"ein magt gein triuwen wol gelobt": Zur Figur der surziere Cundry in Wolfram von Eschenbachs "Parzival"


Hausarbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


1. Inhalt

2. Einleitung

3. ein magt gein tiuwen wol gelobt, wan daz ir zuht was vertobt

4. Cundry, die Grenzgängerin

5. Cundry als komplementäre Figur zu Parzival

6. Die Funktion der Cundry-Figur im Romangeschehen

7. Fazit

8. Bibliographie

Quellen

Forschung

2. Einleitung

Wolfram von Eschenbachs Roman „Parzival“ enthält eine Fülle schillernder Persönlichkeiten und Figurenkonzeptionen. Eine der vielleicht Exotischsten ist die Figur der surziere [1] Cundry.

Unverhofft taucht sie im sechsten Buch des Romans auf, verflucht den Helden Parzival[2] und verschwindet nach ihrem kurzen Auftritt für lange Zeit. Erst im elften Buch erscheint sie wieder persönlich, bittet Parzival um Vergebung und spricht dessen Berufung zum Gralskönig aus.[3] In der Zwischenzeit erfährt der Leser, dass sie die Klausnerin Sigune mit Nahrung versorgt[4], Kontakt zu den eingeschlossenen Frauen auf Schastel marveile hält[5] und wir erfahren durch ihren Bruder Malcreatüre von ihrer Herkunft.[6]

All dies würde Cundry vielleicht noch nicht zur außergewöhnlichen Frauenfigur machen. Das Besondere an ihr ist ihre außergewöhnliche Hässlichkeit, ihr Äußeres, das halb aus Mensch, halb aus Tier besteht und die Art ihres rabiaten Auftretens, das schlichtweg nicht zu einer Frau von Stand zu passen scheint. Eben diese Exotik ist es, welche die Forschung zu ausführlichen Spekulationen und Interpretationen bezüglich ihrer Funktion im „Parzival“ gereizt hat.

Unter Literaturwissenschaftlern umstritten, kommen ihr die unterschiedlichsten Namen und Attribute zu. Joachim Bumke bezeichnet sie als „Gralsbotin.“[7] Diesen Titel greift Ralph Breyer auf, diskutiert, ob er ihr ohne weiteres zusteht, und kommt zu dem Schluss, dass die Figur „bei ihrem ersten, spektakulären Auftritt weniger, beim zweiten mehr als eine Botin“[8] ist.

Für Helmut Brall ist sie das „Zerrbild einer Frau“[9], „eine zoologisch gemilderte Inkarnation des kosmologischen Alptraums“[10] Herzeloydes, gar „eine von männlichen Triebwünschen mißhandelte Ruine von Weiblichkeit.“[11]

Ich möchte im Folgenden diskutieren, ob und wie wichtig die Hässlichkeit der Cundry-Figur für ihre Konzeption und ihre Funktion im „Parzival“ ist. Des Weiteren möchte ich erarbeiten, was ihre besondere Hybridität ausmacht und in welchem Zusammenhang die einzelnen Aspekte ihres hybriden Wesens mit dem Romanhelden stehen.

Dabei werde ich mich ausschließlich auf die Romanvorlage Wolfram von Eschenbachs beziehen und Figurenkonzeptionen von Chrétien de Troyes und der Kundry in der Wagner-Oper „Parsifal“ außer Acht lassen.

Ich benutze als Romanvorlage die Ausgabe von Karl Lachmann (Band 1 und 2). Zum Begriff des Hybriden gibt es, bezogen auf die Figur der Cundry, bislang keine spezifischen wissenschaftlichen Untersuchungen. Was die sonstige Forschungsliteratur betrifft, beschäftige ich mich mit Aufsätzen von Gert Kaiser, Ralph Breyer, Gabriele Raudszus, Andreas Kraß, Helmut Brall, Maria E. Müller, Ingrid Hahn, Michael Dallapiazza, Dorothea Böhland, Elisabeth Schmidt, Joachim Bumke, Evelyn M. Jacobson, Monika Schausten und Ingrid Kasten. Zur Klärung des Schönheitsbegriffs im Mittelalter greife ich außerdem auf Ausführungen Umberto Ecos zurück.

Ich werde im Folgenden zunächst auf das Gesamterscheinungsbild der Cundry und die Bedeutung ihrer Exotik eingehen. Anschließend werde ich die Einzelaspekte ihres hybriden Wesens erläutern und diskutieren, inwiefern man sie als Komplementärfigur zum Romanhelden Parzival sehen kann. Abschließend werde ich anhand meiner Thesen die Funktion der Figur zusammenfassen.

3. ein magt gein tiuwen wol gelobt, wan daz ir zuht was vertobt

Die groteske Erscheinung der Zauberin Cundry trifft den Leser und die Artusgesellschaft unvorbereitet und zu einem Zeitpunkt, zu dem ihr Auftreten nicht verstörender hätte wirken können[12]. Soeben ist der Romanheld Parzival in die Gemeinschaft der Artusritter aufgenommen worden. Er hat somit den glanzvollen Höhepunkt seines bisherigen Weges erlangt, was von Wolfram mit einer wahren Lobeshymne auf seine vollkommene Schönheit unterstrichen wird[13], als die seltsame juncvrouwe [14] die festliche Gesellschaft stört und der kurzen Freude ein jähes Ende bereitet. Schon allein durch ihr optisches Erscheinungsbild hebt sich Cundry von allen Anwesenden ab. Sie ist halb Mensch, halb Tier, ausgestattet mit Eberzähnen, einer Hundenase, Affenhaut, Bärenohren, Löwenkrallen und Schweineborsten. Ihre Augen leuchten gelb, ihr Mund glänzt blau, der schwarze Zopf hängt ihr struppig über den Rücken und selbst ihr Maultier ist von scheußlicher Gestalt. Im Gegenzug dazu ist ihr Gewand von höchster Kostbarkeit. Cundry trägt einen Mantel aus Genter Seide, einen Pfauenhut und ihr Peitschknauf enthält einen funkelnden Rubin.[15]

Doch nicht nur äußerlich betrachtet ist Cundry eine exotische Persönlichkeit. Wolfram unterstreicht ihre Gelehrsamkeit. Cundry spricht Latein, Arabisch und Französisch, außerdem kennt sie sich aus in Dialektik, Geometrie und Astronomie[16], was untypisch ist für eine Frau im Mittelalter. Schließlich beschimpft und verflucht sie den Romanhelden in einem Ausbruch von Zorn und Wut, der ihre Erscheinung noch jämmerlicher wirken lässt.[17] Zunächst scheint nicht klar, wieso gerade Cundry sich veranlasst sieht, Parzival wegen seines Frageversäumnisses auf der Gralsburg zu belehren und zu verfluchen. Ist sie dazu berechtigt? Im elften Buch erfährt der Leser durch Cundrys Bruder Malcreatüre, dass Cundry aus dem Orient stammt und Dienerin des Gralskönigs Anfortas ist, in dessen Dienste sie zwischen der normalen und der Gralswelt hin- und herpendelt – zwei weitere Merkmal, die Cundry zur extraordinären Figur machen.

Die außergewöhnliche Hässlichkeit Cundrys und ihr rabiates Auftreten läuten die Wende der Parzivalhandlung ein. Eben noch gefeierter Held, beginnt für den Protagonisten nun ein neuer Abschnitt, die Suche nach dem Gral und die Wiederherstellung seiner Ehre. Des Weiteren spricht Cundry selbst ein zentrales Problem Romans an, nämlich das Kennen und Verkennen eines Menschen und den Widerspruch von Innen und Außen: ich dunke iuch ungehiure, und bin gehiurer doch dann ir.[18] Damit kritisiert sie Parzivals Unfähigkeit zum Mitleiden und Mitfühlen, stellt möglicherweise den gesamten höfischen Wertekanon in Frage, bzw. kritisiert die oberflächliche Adelsgesellschaft, die sich von Parzivals äußerem schönem Schein blenden lässt.[19]

Was aber bedeutet Cundrys Hässlichkeit für ihre Konzeption und ihre Funktion?

Wie bereits erwähnt, steht Cundry rein äußerlich betrachtet in krassem Gegensatz zur gesamten Artusgesellschaft, insbesondere aber zum Helden Parzival. Weshalb Wolfram bzw. Chrétien, auf dessen Vorlage Wolframs Cundry basiert, die Figur so konzipiert haben, ist dennoch umstritten. Fakt ist, dass Wolfram die Vorlage Chrétiens derart abgemildert und verändert hat, dass sie bei ihm nicht als abstoßend schockierend auf die Adelsgesellschaft wirkt, sondern neutral aufgenommen wird, d.h. Wolfram geht nicht weiter auf die Reaktionen der Gesellschaft ein, offenbar ist Cundry bekannt.[20] Kompositorisch betrachtet, macht ihre Hässlichkeitsbeschreibung nur einen geringen Anteil ihres Auftritts aus, Kernstück ist ihre Rede selbst. Es ist also fraglich, ob Cundrys Hässlichkeit das Hauptmoment ihrer Konzeption ist.

Laut Ralph Breyer verkörpert Cundry in ihrer Hässlichkeit bei ihrem ersten Auftritt ihre schlechte Botschaft selbst,[21] was dazu führt, dass Wolfram sie bei ihrem zweiten Auftritt mit einem Schleier ausstattet, um ihre Hässlichkeit abzumildern, da diese bei Parzivals Berufung zum Gralskönig, also der Verkündigung einer frohen Botschaft, funktionslos ist.[22] Diese Argumentation erscheint mir nicht ganz plausibel. Wenn Wolfram daran gelegen gewesen wäre, Cundry als die Verkörperung des Unheils zu konzipieren, was hat es dann mit ihrem Bruder Malcreatüre auf sich? Dessen Hässlichkeit scheint in diesem Zusammenhang sinnlos. Außerdem berücksichtigt Breyer nicht, dass „Cundries Häßlichkeit keine individuelle Spezialität, sondern Spezifik einer Sippe, eines Volkes“[23] ist – die Folge einer Ahnensünde, der Töchter Adams, die sich nicht an dessen Gebot gehalten haben, während ihrer Schwangerschaft bestimmte Pflanzen zu vermeiden.[24] Auch bin ich nicht der Meinung Helmut Bralls, der in den tierischen Attributen, die Wolfram Cundrys Aussehen zuschreibt, männliche Triebwünsche zu erkennen meint. Dies passt, meiner Ansicht nach, nicht in die sonstige Konzeption der Figur. Außerdem müsste man unter dieser Annahme im Umkehrschluss auch die weiblichen Schönheitsattribute Parzivals analysieren und würde womöglich zu dem Schluss kommen, seine Männlichkeit anzweifeln zu müssen, was wohl eher nicht im Sinne Wolframs gewesen sein wird.

[...]


[1] Wolfram von Eschenbach: Parzival. Stuttgart 1981, Band 1, V. 312, 27

[2] Ebd., V. 312, 1 – 318, 30

[3] Ebd., V. 778, 14 – 783, 30

[4] Ebd., V. 438, 29 – 439, 8

[5] Ebd., V. 579, 23 – 580, 1

[6] Ebd., V. 517, 11 – 520, 2

[7] Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. Achte Auflage, Stuttgart 2004, S. 76

[8] Ralph Breyer: Cundrî, die Gralsbotin? in: Zeitschrift für Germanistik V-1, 1996, S. 61-75, hier S. 61

[9] Helmut Brall: Imagination des Fremden. Zu Formen und Dynamik kultureller Indentitätsfindung in der

höfischen Dichtung, in: An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der

deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters, hg. v. Gert Kaiser, München 1991, S. 115-165, hier

S. 158

[10] Ebd., S. 159

[11] Ebd. S. 159

[12] Wolfram von Eschenbach, V. 312, 3 – 312, 4

[13] vgl. Wolfram von Eschenbach, V. 311, 9 – 311, 29

[14] Ebd., V. 312, 6

[15] Ebd, V. 312, 6 – 314, 10

[16] Ebd, V. 312, 20 – 312, 25

[17] Ebd., V. 318, 5 – 318, 10

[18] Ebd., V. 315, 24 f.

[19] Michael Dallapiazza: Hässlichkeit und Individualität. Ansätze zur Überwindung der Idealität des Schö-

nen in Wolframs von Eschenbach Parzival, in Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft

und Geistesgeschichte LIX Band, S. 400-421, hier S. 407

[20] Ebd.,S. 403 f.

[21] Ralph Breyer: Cundrî, die Gralsbotin?, in Zeitschrift für Germanistik V-1/1996, S. 61-75, hier S.62

[22] Ebd., S. 65 f.

[23] Dorothea Böhland: Darstellungskonventionen in Texten und Bildern des Mittelalters und der Frühen

Neuzeit, in: Böse Frauen – Gute Frauen, hg. v. Ulrike Goebel, Erika Kartschoke, Trier 2001, S. 45-58,

hier S. 50

[24] Wolfram von Eschenbach, V. 518, 11-518, 30

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
"ein magt gein triuwen wol gelobt": Zur Figur der surziere Cundry in Wolfram von Eschenbachs "Parzival"
Hochschule
Universität Siegen
Veranstaltung
Grenzgängerinnen: Die Peripherien höfischer Welt in der epischen Literatur des hohen Mittelalters
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V83689
ISBN (eBook)
9783638908863
ISBN (Buch)
9783638908887
Dateigröße
578 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Figur, Cundry, Wolfram, Eschenbachs, Parzival, Grenzgängerinnen, Peripherien, Welt, Literatur, Mittelalters
Arbeit zitieren
Christine Mewes (Autor:in), 2007, "ein magt gein triuwen wol gelobt": Zur Figur der surziere Cundry in Wolfram von Eschenbachs "Parzival", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83689

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