Performing the Nation: Staatliche Folkore-Förderung in Tansania


Hausarbeit, 2007

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Politischer Hintergrund

3. Exkurs: Nationsbildung und nationale Identität

4. Folklorismus und staatliche Folklore-Förderung
4.1 Ngoma
4.2 Tarabu

5. Aktuelle Entwicklung: Bongo Flava

6. Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Der vorliegenden Hausarbeit liegt eine Publikation von Kelly Askew aus dem Jahre 2002 zugrunde. In ihrem Buch „Performing the Nation - Swahili Music and Cultural Politics in Tanzania-“ bindet sie ihre zehnjährigen Forschungsergebnisse aus Tansania mit ein. In die Thematik des Seminars „Musikalische Reinterpretation: Folklorismus und Revival“ gliedert sich diese Niederschrift passend ein, da hier mit staatlichen Eingriffen Volkskultur massiv gefördert wurde. Die amtierende Regierung versuchte noch vorhandene Traditionsformen in bestimmte Richtungen zu kultivieren, aus ihren Lebenssphären herauszulösen und zu verselbständigen. Durch Nachbildung und Imitation von Volkskultur sollte dem tansanischen Volk ein eindrucksvolles Konglomerat aus Echtem und Gemischtem präsentiert werden, um die neu gegründete „Nation“ zu legitimieren und zusammenzuschweißen. Volkskultur wurde mit dem Ziel gefördert, ein Nationalbewusstsein und eine nationale Identität im Volk herauszubilden. Das Hauptanliegen der Regierung lag dabei darin, die Bevölkerung auf ihre „traditionellen“ Wurzeln aufmerksam zu machen. Dass Folklorismus nicht nur aus einer vermeintlich authentischen Vermittlung von „Tradition“ besteht, sondern einer ständigen Reinterpretation, einer De- und Neu-Kontextualisierung und Neu-Konfiguration unterworfen ist, wird im weiteren Verlauf dieser Hausarbeit mit Beispielen aus der Musikkultur Tansanias in Kapitel vier und fünf verdeutlicht. Vorab wird die politische Entwicklung Tansanias in Kapitel zwei kurz erläutert. Kapitel drei liefert einen Exkurs zu den Begriffen „Nationsbildung“ und „nationale Identität“, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit eine zentrale Rolle spielen. Im letzten Kapitel werden die erarbeitenden Ergebnisse resümierend zusammengefasst.

2. Politischer Hintergrund

Seit 1920 stand die Region als Völkerbundsmandat (nach dem Zweiten Weltkrieg als Treuhandgebiet der UNO) unter britischer Verwaltung.

Am 9. Dezember 1961 erhielt Tansania die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland. Kurz nach der Unabhängigkeitserklärung verbanden sich die beiden Staaten Tanganjika (Tan) und Zanzibar (San) und gründeten am 26. April 1964 die Vereinigte Republik Tansania. Erster Staatspräsident wurde Julius Kambarage Nyerere mit der Tanganyika African National Union (TANU). Auf Anregung von Nyerere fusionierten 1977 TANU und die Afro-Shirazi Party (ASP) Sansibars zur Chama Cha Mapinduzi (CCM[1]). Nyerere und seine Anhänger strebten den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft in Tansania an, verstaatlichten die Banken und führten Bildungs- und Landreformen durch. Ziel Nyereres war ein spezifisch afrikanischer Sozialismus in Abgrenzung zu den autoritären Sozialismusmodellen nach dem Vorbild der Sowjetunion. Vorbild für die sozialistische Umgestaltung Tansanias sollte stattdessen die „Ujamaa”, die Dorfgemeinschaft als Produktions- und Verteilungskollektiv, sein. Die Ausweitung des Ujamaa-Modells auf größere Produktionseinheiten scheiterte allerdings mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. 1992 endete dann das Einparteiensystem, und zum ersten Mal fanden demokratische Wahlen im Jahre 1995 statt, bei denen jedoch die amtierende Regierungspartei CCM ihre Stellung behaupten konnte.

Seit der Gründung der Republik von Tansania im Jahre 1964 wurden staatliche Instrumentarien angewandt, die sich auf kultureller Ebene niederschlugen, um die noch junge „Nation“ zu legitimieren. Staatliche Folklore-Förderung erschien der Regierung ein probates Mittel zu sein, um Einheit und Nationalbewusstsein zwischen den 104 verschiedenen Ethnien im Land zu initiieren. Um ein besseres Verständnis von den Begriffen „nationale Identität“ und „Nationsbildung“ zu bekommen und um einen widersprüchlichen, undifferenzierten und falschen Gebrauch dieser auszuschließen, setzt sich der folgende Abschnitt mit genannten Begriffen gründlicher auseinander.

3. Exkurs: Nationsbildung und nationale Identität

Seit dem Fall des Kommunismus in vielen Teilen der Erde erleben wir eine Renaissance der „Nation“. In Afrika wie auch in der ehemaligen Sowjetunion betreiben UNO und teilweise Nato so genanntes „Nation-Bulding“, um die Situation mit der Durchsetzung staatlicher Herrschaft in besonders krisengefährdeten Regionen zu entschärfen. Dabei spielt die Idee der „Nation“ eine tragende Rolle, weil sie in der Lage ist, die Menschen so wirkungsmächitg zu einem Kollektiv zusammenzufassen, das handlungsfähig ist. Aufbauend auf dem Konstrukt der „Nation“ erhoffen sich heutige Staatenbauer, eine Gesellschaft zu schaffen, die Strukturen und Institutionen errichtet, ein Parlament, eine Verwaltung und eine funktionierende Wirtschaft hochzieht. Gesellschaften, die keine „Nation“ bilden, zerfallen in Gruppen anderer Art, etwa in Stämme, die unfähig sind, ein über die eigene Gruppe hinausgehendes Zusammengehörigkeitsbewusstsein zu entwickeln und dann auch die nötigen Institutionen zu schaffen. Zusammenhalt in einer „Nation“ wird häufig durch ein gemeinsames Geschichtsbewusstsein und eine gemeinsame „Tradition“ vermittelt. Über die Vermittlung von Volkskultur werden Individuen einer Gesellschaft auf emotionaler Ebene angesprochen, was letztendlich die „Nation“ als großes Identifikationsgebilde legitimiert. Zusammenfassend bezeichnet der Begriff der „Nation“

„eine distinktive soziale Gruppe oder Gesellschaft, die sich im Bewusstsein und Willen ihrer Mitglieder als Identität stiftende und Loyalität fordernde Gemeinschaft manifestiert. Danach ist die Nation (…) ein Projekt und Postulat.“[2]

Wichtige Faktoren im Nationsbildungsprozess sind neben der oben erwähnten gemeinsamen Geschichte die territoriale Einheit und die Gemeinsamkeit der Sprache und der Kultur - entscheidend hierbei ist, wie sie im Bewusstsein der Menschen als identitätsstiftend und handlungsorientierend wirksam werden. Die Bedeutung von Kultur - in unserem Fall von staatlich geförderter Volkskultur - ist eine ganz zentrale: Die Basis der „Nation“ bilden in ihr lebende Akteure, kollektiviert in einer Gesellschaft, deren Kultur den „umfassenden Zusammenhang menschlichen Verhaltens“[3] beschreibt. Dieses Konzept setzt den Menschen als Kulturwesen voraus, d.h. das kulturelle Handeln besteht darin, „der Wirklichkeit mit sinnhaftem Tun gegenüberzutreten und über die Sinneseindrücke hinaus eine Welt von Bedeutung zu schaffen.“[4] Kultur als aktiver Kommunikationsprozess fördert gruppenkonformes Verhalten und erlaubt gleichermaßen, wenn auch in den Grenzen des vorgegebenen Systems, Kreativität.[5] Im Konzept der kulturellen Identität als Daseinsform spezifischer Lebensgestaltung enthüllt sich, „wie nun Individuum und Kollektiv als Schöpfer und Geschöpf von Kultur dieser in ihrer je eigenen Biographie und Geschichte erleben und gestalten.“[6] Identität wird wie die Geschichte des Individuum und des Kollektivs weiter fortgeschrieben und ist als nicht abschließbare und stets neu zu erbringende Leistung ständigem Wandel unterworfen. Wenn jede Ethnie eine bestimmte kulturelle Identität besitzt oder zu besitzen erstrebt, dann ist auch für jede gruppenübergreifende Gesellschaft kulturelle Identität im Plural zu denken. Folglich steht das Konzept der nationalen Identität in Konkurrenz zu vielen lokalen und regionalen Identitäten unterschiedlicher Ethnien und muss dahingehend entwickelt werden, sich durch Ausgrenzung von „Minderheiten“ und „Subkulturen“ durchzusetzen oder ohne jegliche „Form von Diskriminierung eine Vielfalt kultureller Identitäten in ein übergreifendes Konzept ‚nationaler’ Identität zu integrieren.“[7]

Nationale Identitäten herauszubilden erfordert ein Mindestmaß an Kommunikation und Interaktion. Mitglieder einer Nation sollen sich als „definiertes Wir“ über die bewusste Annahme nationaler Identifikationsangebote identifizieren und dabei gleichzeitig ihre eigenen gruppenspezifischen Identitäten zurückstellen, jedoch nicht aufgeben.[8]

[...]


[1] Übersetzt: Partei der Revolution

[2] Gewecke, Frauke: Der Wille zur Nation: Nationsbildung und Entwürfe nationaler Identiät in der Dominikanischen Republik, Frankfurt am Main, 1996, S. 211

[3] Malinowski, Bronislaw: Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur. Und andere Aufsätze. Frankfurt am Main, 1975, S. 47

[4] Tenbruck, Friedrich H.: Repräsentative Kultur, in: Haferkamp, Hans (Hrsg.): Sozialstruktur und Kultur, Frankfurt am Main, 1990, S. 20-53, hier: S. 26

[5] Welches kreative Potential in Tansania existiert, wird weiter in nachfolgenden Kapiteln beleuchtet.

[6] Gewecke, S. 215

[7] Ebd. S. 217

[8] Vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Performing the Nation: Staatliche Folkore-Förderung in Tansania
Hochschule
Universität Paderborn
Veranstaltung
Musikalische Reinterpretation: Folklorismus und Revival
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
23
Katalognummer
V83944
ISBN (eBook)
9783638001595
ISBN (Buch)
9783638910088
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Performing, Nation, Staatliche, Folkore-Förderung, Tansania, Musikalische, Reinterpretation, Folklorismus, Revival
Arbeit zitieren
Finn Hassold (Autor:in), 2007, Performing the Nation: Staatliche Folkore-Förderung in Tansania, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83944

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