Rezension zu Grenzenloses Vergnügen: Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970 (von Kaspar Maase)


Rezension / Literaturbericht, 1999

18 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Kaspar Maase, geboren 1949, ist Privatdozent für Kulturwissenschaften an der Universität Bremen und schrieb seine Habilitation über die Amerikanisierung der Jugend in der Nachkriegs-Bundesrepublik. Sein hier diskutiertes Werk heisst „Grenzenloses Vergnügen- Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970“ und ist 1997 im Fischer Taschenbuchverlag erschienen.

Maase beschreibt den Aufstieg der Massenkultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ihren Wandel in eine gesellschaftliche Basiskultur und endet mit dem Übergang in die Postmoderne. Verfasst ist das Buch in Form eines „essayistischen Abrisses“, in dem er auf Literaturhinweise verzichtet. Weiterhin werden die Entwicklungen Süd,- Mittel- und Osteuropas, mit Ausnahme Italiens, vernachlässigt.

Hauptthemen sind Gemeinsamkeiten und Austauschvorgänge zwischen der modernen Massenunterhaltungskultur und den „alten“ Künsten der Unterhaltung, gesellschaftliche Rivalitäten sowie Abgrenzungen gegen moderne und populäre Strömungen. Letztere vertraten die Apokalyptiker, welche im Gegensatz zu den Integrierten versuchten, ihre Werte, und nicht die der Medienkonzerne, am Leben zu erhalten. Jenes gebildete Bürgertum, repräsentiert durch seine „hohen Künste“, sah sich durch die „aktive Massendemokratisierung“, wie Max Weber diesen Prozess des Wandels beschrieb, in ihrer Führung in der Gesellschaft bedroht. Das ungebildete Volk begrüsste die lang ersehnte Selbstbestimmung und freie Entscheidung und fühlte sich durch den Austausch zwischen der Hoch- und Massenkunst in ihrem Anspruch auf „Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit“ bestätigt. Die innerweltliche Askese (gemäss M. Weber) und puritanische Berufsethik wurden ersetzt durch die charakteristischen Elemente der aufsteigenden Kultur, den Genuss und die Freizeit. Erst der vermehrt nach 1900 mögliche Zugang zur Bildung und die Etablierung der Blattdrucke ermöglichte eine wirkliche gesellschaftliche Kommunikation bis hin zu den klassenvereinigenden Künsten- von popular, der Unterschicht, zum populär der „vereinigten Klassen und Künste“. Durch die gemeinsamen Interessen, meint Kaspar Maase, verschwammen die klar abgesteckten Klassengrenzen, man gab sich dem gemeinsamen Vergnügen hin. Die getrennten Welten wurden durch die Massenkultur zusammengeschweisst, und inzwischen hat sie sich als Normalkultur bzw. herrschende Kultur durchgesetzt.

Dennoch schwingt mit dem Begriff „Masse“, welcher durch die Apokalyptiker abgrenzend eingeführt und definiert wurde, die Minderbewertung des Bürgertums und des Einzelnen im Sinne von „Einer von Vielen“ mit. Auch Maase sieht sich gezwungen die vorbestimmte Sprache zu benutzen, bemerkt aber, diese Wortkombinationen wie „Massenkultur“ oder „einfache Leute“, allgemein beschreibend und ohne Voreingenommenheit und Vorurteile zu verwenden. Diese neuen Begriffe, Schlagworte, Meinungen und Urteile erschufen die „Erfinder“ der modernen Massenkünste, ein Teil der gebildeten Oberschicht, selbst und bewirkten damit, dass die populäre Unterhaltung Hand in Hand mit ihren unzähligen Gefahren, wie Verbrechen oder Daseinsverlust, einherstolziert, kreierten dadurch aber auch den enormen Realitätsbezug, auf dem die heutigen Massenkünste basieren. Ein Schrecken für alle diskursbestimmenden Apokalyptiker, der in dem Leitspruch „Müssiggang ist aller Laster Anfang“ wiederhallte. Kaspar Maase beschreibt hiermit den steinigen Weg der Durchsetzung der Massenkultur gegen die Etikette der Gebildeten, welche die Ethik von Beruf, Pflichtbewusstsein, Moral und Genügsamkeit forderten, blind gegenüber der sozialen Missituation und dem Bedürfnis des gemeinen Volkes nach Zerstreuung und der Erfüllung der bislang unerfüllten Träume jenes geknechteten Teils der Gesellschaft.

Der historische Aufstieg begann, als die Massenkultur ästhetische Erfahrungen in den Alltag einfacher Leute brachte. Ihre Künste adressierten sich bewusst an den „Durchschnittsmenschen“ und den „Ungebildeten“. Jene kamen ohne die herkömmliche Ästhetik aus, denn sie passten sich den Wünschen der modernen Industriegesellschaft an. Der Spass etablierte sich als grundlegende Kategorie der Ästhetik (nach Leonard Bernstein).Seit der Renaissance und der Aufklärung war der erstrangige Zweck von Kunst die Unterhaltung. Die Kunst wurde verweltlicht und unabhängig von Ritual und Repräsentation, sie bewegte sich in Richtung Phantasie, Gefühl, Emotion und persönlicher Erfahrung. Die Kunst der Unterhaltung stieg zum absolut vorherrschenden Gebrauchswert auf. Die modernen Massenkünste beschleunigten und radikalisierten somit die Entwicklung der Massenkultur im 20. Jahrhundert.

Die Geschichte der Massenkultur ist auch durchsetzt von Täuschung und Selbsttäuschung, erkannt von Propagandafachleuten, deren Ziel es immer war, die Massen an sich zu reissen. Schon vor 1914 wurden Literatur, Lieder und Filme instrumentalisiert. Chauvinismus, Militarisierung, Kriegsbegeisterung, Zensurierung und Ideologisierung waren die radikalen Mechanismen dieses wirkungsvollen Instrumentariums. Klassen, Ethnizitäten, Geschlechter und Alter der einzelnen Gesellschaftsschichten wurden gegeneinander ausgespielt.

Im vorindustriellen Jahrhundert waren Arbeit und Freizeit noch eng miteinander verbunden. Im Ancien Régime waren die Bestandteile des adeligen und höfischen Lebens Bälle, Diners, Konzerte, Feste, Opernbesuche und Jagdausflüge. Kaufleute, Beamten, Unternehmer und Literaten trafen sich im Kaffeehaus, im Salon, bei Leseveranstaltungen oder im Theater um sich zu unterhalten oder zu diskutieren und pflegten somit gleichzeitig ihre beruflichen Kontakte. Handwerksmeister und Gesellen kamen in den Zünften zusammen, um rituelle Feste und Zeremonien zu begehen. Für sie galt jedoch, wie für das bürgerliche Volk, dass vom Aufstehen bis zum Schlafengehen gearbeitet wird, mit der Ausnahme, dass bei der Arbeitszeit Erzählen, Gesang, gemeinsames Essen und Trinken und die Wanderzeit der Gesellen inkludiert war. Die Zeiten ohne Arbeit, also Sonn- und Feiertage des Kirchenkalenders, wurden für besondere Termine wie Taufe, Heirat und Tod genutzt. Auch die Festtage, vor allem Kirchweihfeiern und Jahrmärkte, boten eine willkommene Abwechslung. Es wurden Vergnügungen und phantastische Sensationen, traditionelle Umzüge, diverse Bräuche wie Maskenumzüge, Versteigerungen von Mädchen und Frauen, rituelle Spiele und Geschicklichkeitswettbewerbe, Tierkämpfe und Tierhetzjagden, Pferderennen und Vorformen des Fussballspiels geboten.

Im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Arbeit, war die Wirtschaftspolitik bestrebt, die Zahl und die Nutzung der religiösen und vom Brauch eingeführten Feiertage auf ein Minimum zu reduzieren. Die meisten Lohnarbeiter mussten bis zu 120 Wochenstunden auf ihren Arbeitsplätzen, zumeist Grossfabriken mit zahlreichen Maschinen, verbringen. Zählt man noch die meist mehrstündigen Anfahrtswege hinzu, so kann von Freizeit keine Rede mehr sein. Besonders betroffen von dieser menschenunwürdigen Situation waren Frauen, Kinder und ungelernte Männer, allenfalls hatten die letzteren noch die Möglichkeit, vor überfüllten Zimmern oder häuslichen Arbeiten in die Kneipe zu flüchten. Durch den Widerstand der Beschäftigten, die Einsicht des Staates und den Einsatz von Reformern kam es zur historisch bedeutsamen Einführung der Arbeitszeitverkürzung. Die Industrie trennte die Arbeit räumlich und zeitlich vom Rest des Lebens, wie Familie, Wohnung, Nachbarschaft und Gemeinde. Das Auseinandertreten von Arbeit und Freizeit bedeutete einen Gewinn an Freiheit, da Lohnarbeiter über Zeiten und Räume abseits von beruflichen Pflichten, Kontrollen und Regeln verfügten. Zudem besassen sie eigene Geldmittel und konnten frei über jene verfügen. Das Glück konnte jenseits von Fabrik und Regeln gesucht werden. Der Genuss der freien Freizeitgestaltung konnte von da an zum Selbstzweck, zum Lebensinhalt werden. Mit der Zeit lernten die Arbeiter auch ihr Freizeitverhalten auf den Arbeitgeber abzustimmen. Jedoch hing die Einteilung der freien Zeit und die Erwartungen an jene auch immer von den beruflichen Belastungen ab. Auf jeden Fall nahm die Freizeit und ihre Befriedigung einen hohen Rang unter den Lebenszielen des arbeitenden Volkes im 19. Jahrhundert ein.

Dieses arbeitende Volk, sprich Proletariat (Arbeiter, Lehrlinge und Angestellte), strömte zu Millionen von den ländlichen Gebieten in die Städte. Es bildeten sich unkontrolliert wachsende Arbeiterviertel, die Bewohner unterschiedlicher sozialer und regionaler Herkunft beherbergten. Jene hatten somit keine gemeinsamen Freizeit- und Festbräuche, ausserdem mangelte es an Räumen, Kraft und Zeit um solche auszuführen. Viele Bräuche erlebten in dieser Zeit ihren Untergang. Festivitäten fanden auf der Strasse oder in Gaststätten statt. Das Bürgertum versuchte jedoch, das Volk umzuerziehen, von unkontrollierbaren, rohen und spontanen Aktionen zur vernünftigen Erholung („rational recreation“). Veranstaltungen durften nur an bestimmten Plätzen ausgetragen werden. Dadurch stieg der Konkurrenzkampf, es kam zu einer Professionalisierung des Vergnügungsmarktes und somit zu einer Qualitätssteigerung der Darbietungen und Angebote, welche durch die Nachfrage des Publikums und ihrem Urteil geregelt wurde.

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Details

Titel
Rezension zu Grenzenloses Vergnügen: Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970 (von Kaspar Maase)
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Zeitgeschichte)
Veranstaltung
Proseminar für Zeitgeschichte
Note
1
Autor
Jahr
1999
Seiten
18
Katalognummer
V8397
ISBN (eBook)
9783638153751
Dateigröße
405 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Rezension zu: Kaspar Maase: Grenzenloses Vergnügen - Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970. Erschienen 1997 im Fischer Taschenbuchverlag.
Schlagworte
Rezension, Grenzenloses, Vergnügen, Aufstieg, Massenkultur, Kaspar, Maase), Proseminar, Zeitgeschichte
Arbeit zitieren
Petra Fischer (Autor:in), 1999, Rezension zu Grenzenloses Vergnügen: Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970 (von Kaspar Maase), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8397

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