Zur Lebenssituation ausreisewilliger Bürger der DDR Ende der achtziger Jahre


Trabajo de Seminario, 2006

23 Páginas, Calificación: 2,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Herrschaft der SED in der DDR
1.1 Ausreiseantragsteller und ihre Motivation
1.2 Repressalien durch das Ministerium für Staatsicherheit
1.3 Verstöße gegen die Menschenrechte
1.4 Protestformen der Ausreisewilligen

2. Alltag in der DDR und alltägliche Konsequenzen für Ausreiseantragsteller
2.1 Erziehung und Schule
2.2 Die berufliche Arbeit
2.3 Kirchen

3. Schlussteil

Literaturverzeichnis

Anhang

Einleitung

Die Idee und die Motivation für diese Hausarbeit entstammen aus den persönlichen Erinnerungen der Familie Weber während ihrer Antragstellung in den achtziger Jahren auf Ausreise in die BRD. Die Erlebnisse wurden von der Verfasserin mittels eines Interviews festgehalten und werden in der folgenden Arbeit mit einfließen. Die weitere Informationssuche erwies sich als äußerst schwierig, da in Bezug auf die Ausreiseproblematik wenig publiziert wurde. Die Geschichte der DDR und deren Opposition sind hingegen zahlreich dokumentiert.

Im ersten Teil dieser Arbeit wird das Machtgefüge der SED-Regierung kurz darstellt, und hierbei wird aufzeigt, inwieweit Andersdenkende durch Repressalien dazu gezwungen werden sollten, die Ideologien der kommunistischen Arbeiterpartei anzunehmen. Dabei werden Verstöße gegen die Menschenrechte durch politische Willkür thematisiert. Außerdem wird die Motivation der Menschen, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten, aufgezeigt, und es werden einige ausgewählte Protestformen der Ausreisewilligen vorgestellt.

Im zweiten Teil wird die geänderte Alltagssituation für Ausreiseantragsteller dargestellt. Der größtmöglichste Einflussbereich des Staates lag in der beruflichen Arbeit und in den erzieherischen Einrichtungen, wie beispielsweise Schule und Kindergarten, hier wurden die Menschen am meisten beschnitten. In dieser Arbeit werden schwerpunktmäßig Eingriffe ins berufliche Leben und in die kindliche bzw. jugendliche Erziehung dargestellt. Danach wird die Beziehung zwischen Kirche und Ausreiseantragsteller thematisiert. Zuerst wird die Stellung der Kirche in der DDR allgemein und dann bezogen auf Einzelschicksale von Ausreiseantragstellern beschrieben.

Im Schlussteil wird das Schicksal der Familie Weber zu Ende erzählt. Die Webers stehen exemplarisch für viele Ausreisewillige in der DDR. Viele ähnliche Schicksale sind mir durch die Recherche bekannt, doch habe ich mich auf die Webers konzentriert, um den unmenschlichen Machenschaften der Staatssicherheit ein Opfer gegenüber zu stellen, welches für den Lesenden ein Gesicht und eine durchgehend erzählte Geschichte hat. Ich werde die Arbeit mit eigenen Erkenntnissen aus den Lebenssituationen Ausreisewilliger und ihre Bedeutung für die heutige Zeit abschließen.

Familie Weber stellte im Frühjahr 1987 einen Antrag auf ständige Ausreise in die BRD. Die vierköpfige Familie besteht zu dieser Zeit aus: Barbara Weber, 37 Jahre alt und als Finanzbuchhalterin in einem Büro tätig; Harry Weber, 36 Jahre alt und als Brigadier (Leiter einer Bautruppe) tätig; die Kinder Sandra, 16 Jahre alt, und Kerstin, 9 Jahre alt, besuchen beide noch die Schule. Das Alter und die Tätigkeiten spiegeln die Situation im Frühjahr 1987 wider. Das Interview fand am zweiten Juli 2006 mit Barbara und Harry Weber statt, wobei sie mir einige Dokumente zur Verfügung stellten. Die Namen der Familienmitglieder sind auf Wunsch der Familie verändert worden.

1. Herrschaft der SED in der DDR

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) herrschte über die Deutsche Demokratische Republik (DDR) diktatorisch, dabei legitimierte sie ihren Machtanspruch gegenüber dem Volk nie durch freie Wahlen, denn die Wahlen spiegelten nicht das Meinungsbild der Bevölkerung wider. Das stets nur gering schwankende Ergebnis bei den verschiedenen Parlamentswahlen um 99,5 Prozent wurde einerseits gefälscht, wie bei der Kontrolle der Wahlergebnisse im Mai 1989 bewiesen wurde oder andererseits durch massiven Druck der Wahlhelfer auf nicht wählende Bürger erzwungen. Das Rechtssystem der DDR sicherte die diktatorischen Machtverhältnisse durch strafrechtliche Disziplinierungsmaßnahmen gegen politische Regimegegner. Zudem konnte man schon allein durch das Herabwürdigen staatlicher Tätigkeiten verurteilt werden. (vgl. Judt 1998, S. 14-15)

Einer der wichtigsten Apparate der SED-Herrschaft war das Ministerium für Staatssicherheit, kurz Stasi bzw. MfS genannt. Das MfS diente unter anderem zur Unterdrückung und Bekämpfung von politischen Gegnern. (vgl. Gieseke 2000, S.5) Außerdem war sie das Instrument, das die Bevölkerung kontrollierte und überwachte. Die Staatssicherheit verfügte über ein weit verzweigtes Bespitzelungssystem, um den Anspruch der Allmacht der Überwachungsorgane aufrecht zu erhalten. Die Stasi war jedoch lediglich ein „Teil der perfektionierten Sicherheits-, Disziplinierungs- und Überwachungsstruktur“, des Weiteren gehörten hierzu noch „die Partei, die Massenorganisationen, die Blockparteien[1], die Volkspolizei, die Schulen und Bildungseinrichtungen, die Kaderabteilungen[2] sowie zahlreiche weitere staatliche und gesellschaftliche Instanzen bis hin zu Hausbuchführern und Hausgemeinschaftsleitungen“ (Wolle 1998, S.153). Die angestrebte Beherrschung des Volkes konnte nur durch dessen eigene Mithilfe, wie durch ständige Berichterstattungen und Denunziationen, gelingen. Das Bestreben die Kontrolle über das Volk zu perfektionieren, führte zu ständig steigenden Mitarbeiterzahlen. Das MfS unter der Leitung von Erich Mielke (1957-1989) hat im Herbst 1989 seinen Höchststand an Mitarbeitern erreicht, es verfügte über rund 175 000 inoffizielle Mitarbeitern[3] und 91 015 hauptamtliche Mitarbeiter. (vgl. Gieseke 2000, S. 7-8) Die DDR besaß im Dezember 1989 genau 16 433 796 Einwohner, bei 175 00 IM kamen dementsprechend auf 94 Bürger ein inoffizieller Mitarbeiter. Die im November 1989 von Mielke gesprochenen Worte während der Auflösung der Volkskammer, er würde doch alle Menschen lieben, standen diametral zu seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Leiter der Staatssicherheit. Doch spiegelten sie die Machtverhältnisse in der DDR gut wider. Die Parteispitze stand als liebender und strafender Erziehungsberichtigter über den unmündigen Kindern, dem Volk. Für das Volk war „die politische Topologie […] voller Gefühlskitsch, der die politischen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse emotionalisierte und damit verklärte“ (Wolle 1998, S.126). Die überschwänglichen Begrüßungs- und Kussszenen der Parteiführung und natürlich auch die obligatorischen Maidemonstrationen, bei denen das Volk mit einer Nelke und roten Fähnchen die Parteiführung huldigen „durfte“, sind Ausdruck dieser Emotionalisierung. Die Verklärung wird durch die ständig wiederholten Begriffe wie Frieden, Sicherheit und Ordnung ersichtlich, welche das friedliche und kommunistische Leben propagierten und dabei der kapitalistischen Gesellschaft diametral entgegenstanden. Das kapitalistische System wurde stets mit negativen Begrifflichkeiten, wie beispielsweise Korruption, Arbeitslosigkeit und Kriminalität, umschrieben. (vgl. Wolle 1998, S. 126) Die Indoktrination positiver Begrifflichkeiten in Verbindung mit dem Sozialismus begann schon im Kindesalter. Der Staat versuchte beispielsweise durch Liedgut Kinder für die sozialistische Staatsidee zu manipulieren; indem die meisten Lieder über einen kurzen Text verfügten, schnell einprägsam waren und ein fröhlichen Liedcharakter hatten, gelang dies auch. So handelt das Lied „Auf zum Sozialismus“ von fröhlichen Kindern, die singen und stolz ihre blauen Halstücher tragen sollen. Ein weiteres anschauliches Beispiel ist das Lied die „Kleine weiße Friedenstaube“, es ist geprägt von Begriffen wie Frieden, Freude und Glück. (vgl. CD: Fröhlich sein und singen / Die schönsten Pionierlieder 1998) Jedoch durchzog die Manipulation alle Altersklassen. Die Bilder vom heimischen Fernsehprogramm und von ostdeutschen Zeitungen vermittelten fortwährend eine heile Welt bestückt mit lachenden und glücklichen Menschen. (vgl. Wolle 1998, S.126) Dieses Leben war bequem für denjenigen, der sich mit den vorgegebenen Bedingungen des Systems abgefunden hatte, aber es gab auch einige Menschen, die sich dieser Heuchelei nicht einfach stillschweigend stellen wollten. Einige dieser Menschen beantragten die Ausreise in die BRD.

1.1 Ausreiseantragsteller und ihre Motivation

Für ostdeutsche Bürger gab es nur einen Weg, die DDR legal zu verlassen. Sie mussten bei der Abteilung für Inneres beim Rat des Kreises oder beim Stadtbezirk einen Ausreiseantrag stellen. Während es sich zunächst nur um Einzelfälle handelte, kam es in den späten siebziger Jahren und vor allem in den achtziger Jahren zu einer stetig ansteigenden Ausreiseantragstellerbewegung.

Abb. 1 Entwicklung der Anträge auf Ausreise und ihre Gewährung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Abbildung aus: Wolle 1998, S.285)

Die obere Tabelle zeigt, dass sich die Anträge im Jahre 1984 zu dem Vorjahr fast vervierfacht hatten (zur besseren Übersicht befindet sich ein Liniendiagramm aus den gleichen Daten im Anhang). Das Problem mit der Masse von 57 600 Erstantragstellern wollte die DDR-Führung mit einer kurzzeitigen Öffnung für 29 800 Ausreisewilligen lösen. Doch führte dieser Schritt im Jahre 1984 zur Ermutigung der Bevölkerung, denn in den nächsten Jahren riss die Flut der Antragstellungen nicht ab. Mit der steigenden Zahl an Antragstellern nahm auch der Druck auf die Ausreisewilligen, den Antrag zurückzuziehen, zu. Was man in der Tabelle am Höchststand von 17 300 Rücknahmen im Jahre 1984 ersehen kann. Die Stasi war stark beschäftigt durch Repressalien, die ich in dieser Arbeit noch beschreiben werde, die Zahl der Antragsteller zurückzudrängen.

Aufgrund der vielen Antragsteller stellt sich für mich einerseits die Frage der Motivation für die Übersiedlung, andererseits auch, ob die Menschen bei der Antragstellung überhaupt wussten, mit welchen Mitteln ihr Anliegen geahndet wurde, da dieser Akt in der DDR-Führung als rechtswidriger Übersiedlungsversuch angesehen wurde.

Die meisten Ausreisewilligen hatten politische oder wirtschaftliche Gründe, die sie veranlassten die Ausreise in die BRD zu beantragen. Prof. Ronge versuchte im Frühjahr 1984 die Motive differenzierter darzustellen. Dafür befragte er 2000 ausgereiste DDR-Bürger im Notaufnahmelager Gießen, von denen 582 Personen bereit waren über ihre Motivation zu sprechen, Mehrfachnennungen waren möglich. Es führten 71 % der Befragten das Motiv der fehlenden Meinungsfreiheit an, 66 % litten unter politischen Druck und immerhin 56 % gaben auch die beschränkten Reisemöglichkeiten als Motiv an. Weitere Gründe für die Ausreise prozentual abwärts sinkend aufgezählt sind: die schlechte Versorgungslage, fehlende oder ungünstige Zukunftsaussichten, verwandtschaftliche Beziehungen zu Bundesbürgern auch als Familienzusammenführung bezeichnet, ein Neuanfang machen und zuletzt wurden die ungünstigen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten angegeben. (vgl. Ronge in: Gärtner 1990, S. 16-17)

Prof. Ronge beschreibt die Situation der Übersiedler wie folgt: `Wenn man DDR-Leute reden hört, wenn sie sich selber äußern, dann wird einem klar, dass kaum einer kam, der nicht gut Gründe hatte, eine solch schwere Entscheidung zu treffen. Aber der Wechsel garantiert nicht, dass man in einem neuen Land auch glücklich wird, dass man den Verlust der Heimat leicht verkraftet, dass man an dieser Trennung nicht leidet` (Gärtner 1990, zit. n. Ronge 1985, S.16).

Barbara Weber gab in dem Interview auf die Frage nach ihrer Motivation an, dass sie für ihre Kinder eine bessere Zukunft haben wollte. Ihre Töchter sollten das Recht auf freie Entscheidungen und auf ein ideologiefreies Gedankengut haben, ohne dabei Angst vor Repressalien erleiden zu müssen. Im weiteren Gespräch gab Frau Weber an, dass ihre Eltern sie schon als Kind dazu erzogen hatten sich eigene Gedanken zu machen und nicht einfach das, was alle sagen, unreflektiert nachzusprechen. Doch schon früh musste sie damit umgehen lernen, dass das, was sie zu Hause hörte, nicht in der Öffentlichkeit erzählt werden durfte. Die Gespräche der Familie blieben geheim, so dass sie weder in der Schule noch im Freundeskreis offen sprechen konnte. Diesen Zwiespalt zwischen öffentlichem und privatem Leben erfuhren fast alle Menschen in der DDR, da durch das häufige Bespitzeln und Denunzieren die Ostdeutschen viel Vorsicht in ihrer Kommunikation walten lassen mussten.

Wussten diese Menschen auch, was nach der Antragstellung auf sie zukommen würde? Frau Weber verneinte dies für sich. Als sie einem Arbeitskollegen, der selbst schon vor drei Jahren einen Antrag gestellt hatte, gut gelaunt von ihrer Antragstellung erzählte, meinte er, ihr würde das Lachen spätestens nach einem Jahr vergehen. Erst nach ein paar Monaten wusste Barbara Weber, wie ihr Arbeitskollege dies gemeint hatte.

1.2 Repressalien durch das MfS

Das Ersuchen auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR stigmatisierte diese Menschen und hatte für die einzelnen Personen oft gravierende Folgen. Die Staatssicherheit war sozusagen die Geheimpolizei der DDR und verfügte somit über Rechte, denen ein Ausreisewilliger hilflos gegenüberstand. Durch die uneingeschränkte ausführende Macht der Stasi kam es zu Gewaltanwendungen, Freiheitsberaubungen, Einschüchterungsversuchen, Androhungen von Gewalt oder Kindesentzug, um nur einige Praktiken der Stasi aufzuzählen. Schätzungsweise gab es 250 000 politische Häftlinge in der DDR-Geschichte. Die kommunistische Partei sicherte dadurch ihre Macht, doch diente das politische Strafrecht nicht nur zur Bestrafung des einzelnen Straftäters, sondern sollte als Abschreckung für andere gelten und eine Anpassung an die sozialistischen Verhältnisse erzwingen. Da der Strafvollzug über Haftarbeitslager verfügte, kam es vor, dass politische Gefangene zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. Dabei mussten sie oftmals gefährliche Arbeiten ausführen, bei denen beispielsweise giftige Dämpfe austraten. (vgl. Kowalczuk 1994, S.1-2) Ein Grund für politische Inhaftierung war die unerlaubte Kontaktaufnahme zu westlichen Politikern, Journalisten oder Menschenrechtsorganisationen. Um diese Form der Opposition zu kriminalisieren, kam es zu einer Strafrechtsverschärfung. „Durch Gesetz vom 28. Juni 1979 wurde dem Strafgesetzbuch in § 99 der Tatbestand der landesverräterischen Nachrichtenübermittlung und in § 219 betreffend die ungesetzliche Verbindungsaufnahme ein zweiter einschlägiger Absatz eingefügt. Fortan waren Westkontakte in vielfacher Hinsicht mit Strafen bis zu zwölf Jahren Freiheitsentzug bedroht“ (Fricke 1984, S.167). Einige politische Häftlinge wurden durch die westdeutsche Regierung freigekauft, andere verbüßten ihre oft jahrelangen Haftstrafen. Die Krankenschwester Doris Wels stellte mehr als 100 Ausreiseanträge, bis sie 1980 wegen Kontakten zu einer Menschenrechtsorganisation verhaftet wurde und verbüßte fast drei Jahre Haft, bis ihr die Ausreise in den Westen gewährt wurde. Acht Jahre hatte sie seit dem ersten Antrag warten müssen. (vgl. Fricke 1984, S.172)

Auch Frau Weber befand sich für kurze Zeit im Frauengefängnis. Als sie eingeliefert wurde, drohte man ihr Medikamentenentzug bei mangelnder Kooperation an. Doch sie schwieg weiter. Die Stasi wusste also von ihren starken Schmerzmitteln, die sie seit einigen Wochen wegen einer Nervenentzündung im Gesicht nehmen musste. Stundenlanges Warten und Verhören spielte sich ab. Seit dem Morgen stand sie unter Beobachtung ohne Essen und Trinken. Am Nachmittag wurde ihr ein Kaffee angeboten. Barbara Weber trank ein Schluck und stellte fest, dass dieser widerlich bitter schmeckte. Danach verzerrte sich das Gesicht des Verhörenden und seine Stimme wurde lang und schallend.

Die ersten Erinnerungen hat Frau Weber erst wieder, als sie vor das Gefängnistor geführt wurde. Wie in Trance nahm sie die Welt wahr. Ihre Sprache kam langsam wieder, jedoch irrte sie völlig orientierungslos durch den von ihr eigentlich bekannten Geburtsort. Erst nach einer Weile konnte sie sich so weit orientieren, dass sie nach Hause fand. Nachdem sie nochmals den Tagesablauf durchgegangen war, stellte sie fest, dass ihr mehrere Stunden in der Erinnerung an diesen Tag fehlten. „Ich ekelte mich vor diesem Abschaum, der mir das angetan hatte. An diesem Abend dachte ich, dass ich keine Kraft mehr habe weiter zu machen. Doch wir haben nicht aufgegeben“ (Weber 2006, S. 4).

Auch Herr Weber wurde für einen Tag direkt auf der Arbeit verhaftet und permanent verhört, nachdem er in der eigenen Wohnung über die Möglichkeit gesprochen hatte, einen Cousin aus Westberlin anzurufen, der in der BRD für Familie Weber aktiv werden sollte. Herr Weber sprach von den zermürbenden Taktiken der Stasi und der ständigen Angst, die das Leben oftmals so hoffnungslos machten.

Die Zermürbungstaktiken der Staatssicherheit fielen mannigfaltig aus. Einerseits waren die Ausreiseantragsteller oftmals endlosem Warten ausgeliefert, andererseits gab es die permanente Überwachungsmethode. Nach der ersten Antragstellung mussten Ausreisewillige oftmals monatelang auf eine Reaktion von der Staatssicherheit warten. Familie Weber wurde nach zwei Monaten zum Rat des Bezirkes in die Abteilung für Inneres vorgeladen. Danach folgten Gespräche im vierwöchigen Abstand, dabei wurden die Vorgeladenen psychisch unter Druck gesetzt.

Unten abgebildet ist eine dieser Karten zu einer Vorladung die Familie Weber regelmäßig erhalten hatte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die ständigen Observationen waren provokant, denn die Stasi machte sich nicht die Mühe ihr Anliegen der Überwachung zu verschleiern, sondern postierte offensichtlich vor den entsprechenden Wohnungen und auch die Verfolgungen in der Öffentlichkeit waren eindeutig erkennbar. Jenes Prozedere der ständigen Kontrolle zermürbte die Kontrollierten massiv. Weitere Repressalien waren Berufsverbot oder die Degradierung zu minderen Arbeiten. Die Kaderabteilung[4] des Betriebes von Harry Weber teilte ihm mit, dass dieser wegen Sabotagegefahr kein sozialistisches Kollektiv mehr leiten könnte, deshalb wurde er zum Kohleschippen ins Heizhaus geschickt. Mit sofortiger Wirkung sollte Herr Weber am nächsten Tag mit der Nachtschicht beginnen. Für eine solche Behandlung gab es für Ausreisewillige keine Möglichkeit der Beschwerde. Herr Weber zog seine eigenen Konsequenzen und kündigte. Eine weitere Schikane war das Verbot, bestimmte Plätze oder Straßen zu begehen, um Herrn Weber an den Besuch einer Kirche zu hindern, belegte die Stasi den Platz auf der die Kirche stand mit einem Begehungsverbot. Ein Kirchenverbot konnten sie auf Grund der Religionsfreiheit nicht erteilen, das andere allerdings schon.

Die Praktiken des MfS sind vielfältig gewesen und könnten noch weiter ausgeführt werden, doch geben die angeführten Beispiele ein eindrucksvolles Zeugnis ab über die Willkür des Machtapparates, dieser waren Menschen ausgesetzt, die es wagten, anders zu denken und dies öffentlich kundzutun.

1.3 Verstöße gegen die Menschenrechte

„An der Wahrung der Menschenrechte auch in den der Öffentlichkeit meistens verschlossenen Bereichen wie der Armee, der Polizei oder den Haftanstalten kann man ablesen, wie demokratisch und freiheitlich ein Gesellschaftssystem ist“ (Kowalczuk 1994, S.2). Die Deutsche Demokratische Republik zeigte darin ihre diktatorischen Züge. Viele DDR-Bürger dachten, dass sich infolge der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)[5] die innenpolitischen Verhältnisse bessern würden, da sich die SED in Helsinki 1975 verpflichtet hatte Menschenrechte und Grundfreiheiten zu wahren. (vgl. Gieseke 2000, S. 42) Für ausreisewillige Bürger lieferte die Akte einerseits eine Argumentationsgrundlage und andererseits sicherte sie Ausreisesuchende völkerrechtlich ab. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1948 von der UNO formuliert, zeigt beim Lesen etliche Widersprüche zu den Rechten, die ein DDR-Bürger hatte. Folgend werden einige Menschenrechte zitiert:

Artikel 9

Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.

Wolf Biermann, bekannt als Autor und Liedermacher, erhielt in der DDR aufgrund seiner regimekritischen Einstellung ein totales Auftritts- und Publikumsverbot. Er wurde 1976 während einer Konzertreise in die BRD von der DDR willkürlich ausgebürgert. Viele nicht prominente Bürger der DDR, die dagegen protestierten, wurden willkürlich inhaftiert. (vgl. Gieseke 2000, S. 45)

[...]


[1] Blockparteien ordneten sich der SED unter, wurden von ihr kontrolliert

[2] Kader hatten Leitungsfunktionen inne und waren loyale Staatsfunktionäre

[3] IM

[4] Personalabteilung

[5] seit 1995 OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa)

Final del extracto de 23 páginas

Detalles

Título
Zur Lebenssituation ausreisewilliger Bürger der DDR Ende der achtziger Jahre
Universidad
Protestant University of Applied Sciences Darmstadt
Curso
Kultur und Politik
Calificación
2,3
Autor
Año
2006
Páginas
23
No. de catálogo
V83993
ISBN (Ebook)
9783638008402
Tamaño de fichero
490 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Lebenssituation, Bürger, Ende, Jahre, Kultur, Politik
Citar trabajo
Katja Schönfelder (Autor), 2006, Zur Lebenssituation ausreisewilliger Bürger der DDR Ende der achtziger Jahre, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83993

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