Friedrich Nietzsche - Biographie und Lebenswerk unter besonderer Berücksichtigung der 'Unzeitgemäßen Betrachtungen'


Essai, 2007

22 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Friedrich Nietzsche – Sein Leben und Werk
2.1 Biographischer Abriss
2.2 Auf Nietzsche wirkende Einflüsse in Bezug zu seiner Bibliographie

3 Nietzsches Unzeitgemäße Betrachtungen
3.1 Allgemeine Betrachtungen zu den ‚Unzeitgemäßen’
3.2 Nietzsches zweite Unzeitgemäße Betrachtung

4 Nietzsches Auswirkungen

Der Essay basiert auf einem Sommer 2002 gehaltenen Vortrag im Rahmen einer Veranstaltung zu Kulturtheorien am Institut für Europäische Ethnologie/ Kulturforschung der Philipps-Universität Marburg.

1 Einleitung

Hans-Georg Gadamer proklamierte einmal (1989:197), es könne nicht länger verbor­gen werden, dass die Gedanken Friedrich Nietzsches ein wahrhaft europä­isches Ereignis gewesen seien, was uns allerdings erst heute bewusst werde. „Seine Ankündigung des Heraufkommens des europäischen Nihilismus und zahllose andere Prognosen und Diagnosen, die er den Erscheinungen der mo­dernen Welt gewidmet hat, beweisen, dass er das Wort des Jahrhunderts, in dem wir leben, gesprochen hat“ (Gadamer 1989:197). In dieser Rolle gehört Nietz­sche zu den drei großen umstürzlerischen Denkern in der Philosophie des 19. Jahrhunderts. Wie Karl Heinrich Marx (1818-1883) und Sören Aabye Kierke­gaard (1813–1855) konstatiert er den Verfall der bürgerlich-christlichen Welt. Dabei scheint er selber sich aber mit den Werken Marx’ nicht befasst zu haben und auf Kierkegaard wurde er erst durch Georg (eigentlich Cohen) Brandes (dänischer Literarhistoriker, 1842-1927) aufmerksam gemacht. Für ein persön­liches Treffen war es da bereits zu spät, so dass Johannes Hirschberger in seiner Geschichte der Philosophie (1980:501) eine geistige Zusammenarbeit von vorneher­ein ausschließt. Neben dem zeitlichen Faktor wäre Marx Nietzsche wohl zu „pöbelhaft“ und Kierkegaard zu „christlich“ gewesen.

2 Friedrich Nietzsche – Sein Leben und Werk

Biographie und Lebenswerk Nietzsches in ihrer Gesamtheit betrachtet, lassen einen Hans Joachims Störigs Ausspruch erinnern, sein Leben sei eine der großen Tragödien des menschlichen Geistes gewesen und selten habe jemand einen so hohen Preis für sein Genie bezahlt (1995:529).

2.1 Biographischer Abriss

Friedrich Wilhelm Nietzsche wird am 15.10.1844 in Röcken bei Lützen, preußi­sche Provinz Sachsen, als Sohn eines protestantischen Pfarrers geboren, welcher einer Überlieferung zufolge einer polnischen Grafenfamilie entstamme. Mit fünf Jahren verliert er aber bereits seinen Vater und wächst ganz in einer weiblichen Umgebung auf, die ihm zwar eine sehr fromme Erziehung zuteil werden lässt, aber ihm seine „erbärmlichen“ Schüchternheit nicht nehmen konn­ten, an der er Zeitlebens litt (Störig 1995:529; Prause-Tratschke o. J.:33).

In seiner Jugend ist Nietzsche ein empfindsamer Junge, der aber schon da­mals versucht, dem durch Abhärtung und eiserne Selbstbeherrschung entgegenzu­wirken. Hier kommt bereits einer seiner Charakterzüge zum Vor­schein: „Was ich nicht bin, das ist mir Gott und Tugend“ (Störig 1995:530). Er besucht das berühmte Internat von Schulpforta – wo vermutlich der Grundstein für seine nie verloschene Liebe zum griechischen Altertum gelegt wird – und studiert in Bonn und Leipzig Altphilologie. Im ersten Semester zu Bonn belegt er auch noch Theologie. Bevor er allerdings nach Leipzig wechselte, absolviert er seinen Militärdienst, aus dem er, nachdem er sich beim Reiten eine Verlet­zung zugezogen hat, bald wieder entlassen wird. In Leipzig war es auch, wo er sich für die Philosophie Schopenhauers begeistert und persönlich mit Richard Wagner zusammentrifft, zwei Menschen die Nietzsches Werke sehr prägen soll­ten.

Bereits mit 24 Jahren wird Friedrich Nietzsche Professor für Klassische Philolo­gie an der Universität Basel. Diese außerordentlich frühe Berufung ver­dankt er nicht nur der Empfehlung seines Lehrers Friedrich Wilhelm Ritschl (1806–1976), sondern auch verschiedener kleiner philologischer Arbeiten, die er vor Abschluss seines Studiums veröffentlicht. In Basel begegnet er dem Histori­ker Jacob Burckhardt (1818–1897), dem Theologen Franz Overbeck (1837-1905) und erneut Richard Wagner, der damals in Triebschen am Vierwaldstädter See lebte (vgl. zu den Begegnungen Störig 1995:530). Lediglich durch seine Teilnahme als freiwilliger Krankenpfleger während des Deutsch-Französischen Krie­ges 1870/71 wurde seine Basler Zeit unterbrochen. Eine schwere Ruhr- und Diphtherieerkrankung bereitete Nietzsches Kriegseinsatzes, welche seine Gesund­heit so angriff, dass er sich nie richtig davon erholen sollte Nach mehreren Krankenurlauben war Nietzsche 1879 gezwungen, endgültig in Pension zu gehen und verbrachte die folgenden Jahre, Ruhe und Genesung suchend, in Sils Ma­ria, Naumburg, Nizza, Marienbad, Venedig, Riva, Rapallo, Rom, Genua und Tu­rin. Im Januar 1989 fiel er in geistige Umnachtung, aus der er bis zu seinem Tode am 25.8.1900 in Weimar nicht mehr erwachen sollte. Die Diagnose der Jenenser Klinik auf Paralyse wurde später von Karl Jaspers noch einmal bestätigt (zur Krankengeschichte vgl. Hirschberger 1980:502).

Die zeigt im Großen und Ganzen, dass der Mensch hinter dem Philosophen und Poeten, der über „Übermenschen“, Schlachten und prachtvolle Schicksale schrieb, kein so umwerfender Mensch war. Er litt unter seinen Krankheiten, seiner Kurzsichtigkeit, hatte häufig Darmprobleme und schien für Frauen nicht besonders attraktiv gewesen zu sein – trotz des sich selbst zugeschriebenen „gewal­tigen sexuellen Appetites“. „Kurz gesagt, er war eine tragische Figur, genau das Gegenteil dessen, was er sein wollte“ (Cohen 2001:223).

2.2 Auf Nietzsche wirkende Einflüsse in Bezug zu seiner Bibliographie

Friedrich Nietzsches Schaffen kann in drei Perioden eingeteilt werden. In seinen Frühschriften kämpft er um ein neues Bildungsideal, während er in seiner zweiten Periode plötzlich zur „theoretischen Lebensform“ übergeht. Diese Phase sollte allerdings nicht lange anhalten und die Motive seiner frühen Schrif­ten klingen wieder durch, jetzt aber radikalisiert zum Willen zur Macht (Störig 1995:534).

2.2.1 Die frühen Schriften Friedrich Nietzsches

Auf seiner Suche nach einem neuen Bildungsideal (Über die Zukunft unserer Bildungs­anstalten (1870/72)) greift Nietzsche besonders auf das ‚ästethisch-heroi­sche Menschenbild’ mit seinen Prototypen im tragischen Zeitalter der Grie­chen vor Sokrates zurück. Vor allem in Heraklit (ca. 550 bis 480 v. Chr.), dem ‚Dunklen’, scheint Nietzsche sich wieder zu erkennen. Hier bei Heraklit finden wir Nietzsches Auffassung der Welt wieder. „Die Welt als unendlicher Prozess des Werdens und Vergehens, des Schaffens und Zerstörens – ein Meer gleichsam, in dem alles Endliche sich bildet, Gestalt annimmt und wieder ver­geht, zerfließt, in dem eine Urkraft sich selbst erhält.“ Es ist eine „dionysische Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des Ewig-sich-selber-Zerstörens, […] dies meint „Jenseits von Gut und Böse“, ohne Ziel, wenn nicht im Glück des Kreises ein Ziel liegt“ (nach Störig 1995:534). Zwar ignoriert Nietzsche nicht unbedingt alle großen Denker zwischen Heraklit und dem neunzehnten nachchristlichen Jahrhundert – wie Sokrates, Platon, Aristoteles, die frühchristlichen und abendländi­schen Philosophen –, aber er misst ihnen auch keine große Bedeu­tung zu. All ihre Schulen und Denkrichtungen seien bloße Irrwege einer Grund­idee, wobei in Ansätzen für Nietzsche brauchbares Material extrahiert werden kann. So besitzt Aristoteles’ Mensch von Seelengröße große Ähnlichkeit mit Nietzsches’ ‚vornehmen Mensche’ Menschen aufweist. Sokrates dagegen beschuldigt Nietzsche, Athens Jugend mit seiner demokratischen Moralauffas­sung verdorben zu haben und Plato lehnt er wegen dessen Hang zum Erbauli­chen ab. Dahingegen liebt er allerdings Demokrit und Epikur, wobei man hierin aber eher eine Bewunderung für Lukrez sehen sollte. „Wie zu erwarten, hat er eine geringe Meinung von Kant, den er einen „Moralfanatiker á la Rousseau“ nennt (vgl. Russel 2001:767-768).

In seiner Schrift über Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1871) sieht Nietzsche im griechischen Leben und Kunstschaffen zwei polar entgegen ge­setzte Mächte wirken – das Dionysische, vergleichbar mit der Analogie des Rau­sches, und das Apollinische, die Kraft des Maßes und der Harmonie (vgl. Störig 1995:530)[1]. Einhergehend mit seinem zu diesem Zeitpunkt endenden „vielver­sprechender Beginn als klassischer Philologe“ (Gadamer 1989:197) widmet sich Nietzsche nun ganz seiner schriftstellerischen Tätigkeit. So folgt er sei­nem Vorbild Arthur Schopenhauer und machte sich einen Namen als Moralist und Aphoristiker. Mit einem unheimlichen Scharfblick sollte er bisher unter der Herrschaft der christlichen Moral und des Alexandrinismus der Wissenschaft verdeckt gebliebene Wahrheiten aufdecken. Der gänzlich alleine zu stehen glau­bende Nietzsche fühlt sich dabei als radikalster aller Denker, als „Zeiten­wende“ (Hirschberger 1980:501), als „Verhängnis“ (Störig 1995:532). „Seine erste große Entdeckung (für die er im Grunde nur in Höl­derlin, dem Lieblingsdich­ter seiner Jugend, einen Vorläufer hatte) war der ‚pessi­mistische’ Hintergrund der apollinischen Heiterkeit, die uns aus der griechischen Kunst entgegenstrahlt. Dass diese Heiterkeit und Leichtigkeit des Geistes etwas ganz anderes verbarg und maskierte, das war die erste große Einsicht, die er im Weiter­denken Schopenhauers erwarb. Es war die griechische Tragödie, die ihm zu dieser Entdeckung verhalf. Er taufte sie auf den Namen des Dionysos, in welchem sich die Bejahung des tragischen Phänomens feiert, ‚ein Jasagen ohne Vorbehalt, zum Leiden selbst, zur Schuld selbst, zu allem Fragwürdigen und Fremden des Daseins selbst’ — und er enthüllte den Sokratismus, Platon, das Christentum, Scho­penhauer und den Idealismus als ‚unterirdische Rachsucht gegen das Leben’“ (Gadamer 1989:197). Aber Nietzsches „leidenschaftliche in­nere Erleben“ in diesen Jahren prallt auf die schmerzliche Realität der Zeit. Nietz­sche „fühlt sich als Ausgestoßener und nennt dieses Gefühl „unzeitge­mäß“ (Colli 1982:18). So entstanden in den Jahren 1873 bis 1876 die Unzeit­gemäßen Betrachtungen, auf die an späterer Stelle näher eingegangen werden soll.

2.2.2 Die mittlere Periode im Schaffen Nietzsches

So wie man Schopenhauer als den Schüler Immanuel Kants bezeichnen kann – auch wenn seine Philosophie im Ergebnis auf das Gegenteil der Philosophie Kants hinausläuft –, so gilt das Gleiche für das Verhältnis Nietzsches zu Schopen­hauers. Abgesehen vom persönlichen Einfluss Schopenhauers ist bei­den ihre Philosophie des Willens gemeinsam, die sie so von den Philosophen der Vernunft abgrenzt. Bereits in Leipzig ist Nietzsche zu einem leidenschaftli­chen Verehrer der Stücke Richard Wagners geworden, welche den Geist Schopen­hauers atmeten. So hatten sowohl Komponist als auch Philosoph ihren ihnen jeweils eigenen Einfluss auf die frühen Schriften Nietzsches. Einen geistigen Bruch herbeiführend sucht der Schüler Nietzsche in der anschließenden Phase die Abgrenzung von den Lehrern, den Ausbruch aus den Grenzen von Schopenhauers Visionen. Nietzsche erlebt förmlich die Identifikation von Leben und Handeln, beinahe eine Philosophie der Tat. Diese Tat erscheint Nietzsche aber nicht nur bewusstlos, sondern ‚ungerecht’ (vgl. Colli 1982:41). Zum Bruch mit Richard Wagner kam es endgültig 1876 bei den Festspielen von Bayreuth, wo Nietzsche Wagner dessen Verfolgung eines christlich-germanischen Kulturide­als vorwarf. Wagner verkörperte nun für ihn „den ganzen Verfall der deutschen und abendländischen Welt“ (Hirschberger 1980:504).

Gelöst von seinen bisherigen Vorbildern kommt es nun zu Schriften wie Mensch­liches, Allzumenschliches (1878), die Voltaire gewidmet ist, Morgenröte (1881) und Die fröhliche Wissenschaft (1882), in denen Nietzsche als vorraussetzungs­loser Kritiker und Positivist erscheinen möchte. „Jetzt ver­nimmt man die herkömmlichen Töne gegen die Metaphysik, das Lob der kalten Er­kenntnis und des freien Geistes, und man meint, einen französischen Aufklärer reden zu hören. Was er bisher verpönt hatte, war er nun selbst geworden. Intellektueller und Sokratiker“ (Hirschberger 1980:504).

2.2.3 Die dritte Periode: die Zeit des Zarathustra

Es ist Nietzsches radikalisiertes Thema des Willens zur Macht, das diese letzte Schaffensphase als Motiv leitet. Es ist die Zeit des Zarathustra (1883–85), in dem er drei Phasen schildert, die der sich entwickelnde Mensch beschreiten muss: „Abhängigkeit von Autoritäten und Meistern – Losreißen von diesen, Erkämpfen der Freiheit (negative Freiheit, ‚Freiheit von’) – Hinwendung zu den eige­nen Werten und endgültigen Zielen (positive Freiheit, ‚Freiheit zu’)“ (Störig 1995:531). Hier findet er eine dichterische Gestaltung seiner philosophischen Gedanken und nicht umsonst macht ihn dieses epische Meisterwerk zu einem der größten Dichter deutscher Sprache (vgl. Störig 1995:540). Alle weiteren Werke Nietzsches werden sprachlich und gedanklich fragmentarisch bleiben und Sammlungen einzelner Gedanken und Aphorismen darstellen.

[...]


[1] Die klassische Altertumswissenschaft hat diese Konzeption weitgehend als unwissenschaftlich abgelehnt, aber noch immer sind ihre Fakten dürftig bis gar nicht belegt. So stützt sie sich weitgehend auf die Anmerkungen von Aristoteles, der Pan-assoziativ ‚Tragödie’ mit ‚Bocksgesang’ in Verbindung bringt (vgl. Colli 1982:15).

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Friedrich Nietzsche - Biographie und Lebenswerk unter besonderer Berücksichtigung der 'Unzeitgemäßen Betrachtungen'
Auteur
Année
2007
Pages
22
N° de catalogue
V84394
ISBN (ebook)
9783638007689
ISBN (Livre)
9783638913522
Taille d'un fichier
495 KB
Langue
allemand
Mots clés
Friedrich, Nietzsche, Biographie, Lebenswerk, Berücksichtigung, Unzeitgemäßen, Betrachtungen
Citation du texte
Wolf Hannes Kalden (Auteur), 2007, Friedrich Nietzsche - Biographie und Lebenswerk unter besonderer Berücksichtigung der 'Unzeitgemäßen Betrachtungen', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84394

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