Männlicher Habitus und Krise im Hollywoodfilm der 90er Jahre: AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB. Eine medien- und kulturwissenschaftliche Analyse


Thesis (M.A.), 2002

212 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen

Einleitung

1. Hinfuhrung zum Thema 6 / Zur Vorgehensweise dieser Arbeit
"Mannlichkeit" in der filmischen Darstellung begreifen
1.1 "Geschlecht" und "Mannlichkeit"
1.1.1 Was ist "Geschlecht" und wie laGt es sich begreifen? - Grundannahmen
Geschlechterkonstruktion ist prozefihaft und kontextabhangig 16 / Die Kategorie Geschlecht uberlagert sich mit anderen Kategorien /
1.1.2 Leitbild und individuelle Identitat
1.1.3 Soziales Geschlecht als Habitus
Die Dialektik zwischen Struktur und Individuum 18 /Das Habitus-Konzept
1.1.4 Habituelle Sicherheit und Krise
Habituelle Sicherheit 20 /Das "fraglos Gegebene " 21 / Krise 22 / Zur Filmanalyse
1.1.5 Was ist "Mannlichkeit"? - Geschlecht als Machtkategorie
"Differenz /Dominanz" 24 /Mannliche Hegemonie - Hegemoniale Mannlichkeit 26 /
Die Zustimmung der Marginalsierten
1.2 "Mannlichkeit" im Film
1.2.1 Die Bedeutung von Film fur die Konstruktion von kollektiven
Geschlechterarrangements
1.2.2 Zu Untersuchung von Geschlechterkonstruktionen im Medium Film

2. Die Bestie im goldenen Kafig: Patrick Bateman in American Psycho
2.1 Formale Analyse
2.1.1 Handlung und Rahmeninformationen
2.1.2 Dramaturgie und Erzahlstrategie
Eine Dramaturgie des Stillstands 35 / Bateman als unzuverlassiger Erzahler 36 / Doppelstrategie: Satire und Horror einer Gesellschaft, deren Prototyp Bateman ist 3
2.1.3 Mise-en-Scene
2.2 Interpretation: Mannlichkeit in American Psycho
2.2.1 Batemans Habitus: hegemoniale Mannlichkeit in einer mannlichen Hegemonie
Eine weifie, westlich-industriell-marktwirtschaftliche, wirtschaftlich erfolgreiche Elite 44 / Frauenfeindlichkeit und Marginalisierung anderer Mannlichkeiten 45 /
Gnadenloser Machtkampf 46 / Homophobie
2.2.2 Mannlichkeitsnorm und Darstellungsformen des doing gender
Kein Platz fur Abweichungen 50 / Konsum: Identitat als "Label" 51 /Bateman und sein Korper 52 /Exkurs: mannliche Korperlichkeit in Mannerzeitschriften der 1990er Jahre
2.2.3 Batemans habituelle Unsicherheit
Der Wunsch nach Identitat, und wie er versagt wird 56 / Batemans Morde 57 /
Batemans Gewalt als makabere Identitatssuche? 59 /Exkurs: mannlicher-hegemonialer Habitus und Aggression 61 / Batemans Gewalt als Gewalt des Geschlechterarrangements
2.3 Zwischenfazit

3. Die Angst, ein "Freak" zu sein oder: Das Gluck liegt in den kleinen Dingen: Mannlichkeitskonstruktionen in American Beauty
3.1 Formale Analyse
3.1.1 Handlung und Rahmeninformationen
3.1.2 Erzahlstrategie
3.1.3 Dramaturgie
Sechs Tage und ein Epilog 68 / Tempo
3.1.4 Mise-en-Scene
Kamera und Set-Design 69 / Rosen und rote Bildelemente 70 / Lesters Tod 71 / Zusammenfassung
3.2 Interpretation: Formen des mannlichen Habitus in American Beauty
3.2.1 Traditionelle Formen des mannlichen Habitus
3.2.1.1 "Das Image des Erfolgs ausstrahlen, zu jeder Zeit": Carolyn Burnham und Buddy Kane
Beschreibung der Figur, ihrer Konflikte und ihrer Handlung
Arbeit 74 /Korperlichkeit, Sexualitat undMacht 75 /Der Konflikt mit Lester und Lesters Tod aus Carolyns Perspektive
Ableitung des Habitus
Rollentausch: Carolyn in der mannlichen Hegemonie 77 /Die Logik vom "Image des Erfolgs" und ihre Krisenanfalligkeit
3.2.1.2 "Struktur und Disziplin": Colonel Fitts
Beschreibung der Figur, ihrer Konflikte und ihrer Handlung
Der Konflikt mit Ricky 82 / Homoerotik und Lesters Ermordung
Ableitung des Habitus
Der militarische Habitus bei Frank Fitts
3.2.1.3 Bewertung der traditionellen Formen des mannlichen Habitus durch den
Film
3.2.2 Neuere Formen des mannlichen Habitus
3.2.2.1 "Nichts mehr zu verlieren": Lester Burnham
Beschreibung der Figur, ihrer Konflikte und ihrer Handlung
Korperlichkeit, Partnerschaft und Sexualitat 88/Arbeit 89 /Familie 90 Lesters Tod aus seiner Perspektive
Ableitung des Habitus
Lesters Habitus als Krisenbewaltigungsstrategie 92 /Lesters "Mannlichkeit" 93 / Transzendenz als Folge des Habitus?
3.2.2.2 "Gott in die Augen schauen": Ricky Fitts
Beschreibung der Figur, ihrer Konflikte und ihrer Handlung
Rickys Kamera(-blick) 96 / Korperlichkeit, Partnerschaft und Sexualitat
Ableitung des Habitus
"Unmannlichkeit“ undhabituelle Sicherheit 99 /Rickys "Habitus der Subjektivitat"
3.2.2.3 Bewertung der alternativen Formen des mannlichen Habitus durch den Film
"Wahre"Mannlichkeit? 101 / Rebellen im Kleinen 101 /Habitus der Subjektivitat
3.2.3 Zwischenfazit
"Das Problem" 103 / "Die Losung" 103 /Modelle von Mannlichkeit? 104 /Konvention -Invidivualitat, "Schiefien"- "Filmen" 104 Wieder der "amerikanische Traum" 105 / "Aber... " 105 / Auf den Zustand der Gesellschaft ubertragbare Aussagen?

4. "Soap, Mayham, Mischief" - Von der Depression zur Weltrevolution: Mannlichkeiten in Fight Club
4.1 Formale Analyse
4.1.1 Handlung und Rahmeninformationen
4.1.2 Erzahlstrategie
4.1.3 Dramaturgie
Zur Struktur 109 / Das Motiv der Spaltung
4.1.4 Mise-en-Scene
Kamera, Schnitt 110 / Tauschungen und deren Entlarvung
4.2 Interpretation: Mannlichkeiten in Fight Club
4.2.1 Ausgangssituation: Das "portionierte Leben"
4.2.1.1 Beschreibung
Konsum 115 /Arbeit 116 Jacks Krise
4.2.1.2 Interpretation: Mannliches doing gender in der "Lifestyle-Gesellschaft"
und das Krisenhafte daran
Der Komplex Konsum/Arbeit 118 / Die Krisenhaftigkeit des doing gender durch "Lifestyle" 120 Das "portionierte Weinen"
4.2.2 Der "Fight Club”
4.2.2.1 Beschreibung
Tyler und die Trennung vom materiellen Besitz 123 / Der Fight Club 124 / Schmerzen 125 / "Hausaufgaben" 126/Sexualitat
4.2.2.2 Interpretation: Der individuelle "Nullpunkt" als Losung?
Ein neuer Habitus?
4.2.3 Das "Projekt Chaos"
4.2.3.1 Beschreibung
Tylers Utopie 131 / Terroranschlage 131 / Aufbau einer Militarorganisation und Terroranschlage
4.2.3.2 Interpretation: Der gesellschaftliche "Nullpunkt" als Losung?
Ziel: Umsturz der mannlichen Hegemonie 134 / Das Umkippen in den Totalitarismus auf der individuellen Ebene
4.2.4 Das Finale
4.2.4.1 Beschreibung
Kampf gegen Tyler und Sieg uber ihn 136/Beziehung zu Marla
4.2.4.2 Interpretation: Mannlichkeit als Kampf mit sich selbst, den "Mann"
kampfen muB?
4.3 Zwischenfazit
Vier Stationen 140 / Gibt es eine Gesamtaussage?

5. Fazit

6. Literatur
6.1 Drehbucher
6.2 Monografien und langere Aufsatze in Sammelwerken
6.3 Kurzere Artikel aus Zeitungen, Zeitschriften und Internet
6.3.1 Allgemeines
6.3.2 Zu American Psycho
6.3.3 Zu American Beauty
6.3.4 Zu Fight Club

Abbildungsverzeichnis

Erklarung

Vorbemerkungen

Vor Beginn der inhaltlichen Erörterungen dieser Arbeit sollen hier einige Bemerkungen zur formalen Gestaltung gemacht werden. Die Arbeit ist in zwei Bände unterteilt, um dem Leser das parallele Nachschlagen der Dokumentation zu den Filmen zu ermögli- chen. Filmtitel und Nachnamen von Autoren sind im Unterschied zu fiktiven Personen aus den Filmen in KAPITÄLCHEN gesetzt. Zitate aus Büchern oder Filmen im fortlaufen- den Text sind kursiv gekennzeichnet. Längere Zitate sind als einzelner Absatz in kleine- ren Lettern hervorgehoben. Die Literaturangaben finden sich in den Fußnoten und ori- entieren sich weitgehend an PREIßNE [1]. Bei der ersten Nennung eines Werkes wird es vollständig genannt, dann nur noch im Format [Verfasser] ([Jahr]), S. [Seite], nachzu- schlagen außerdem in der Literaturliste am Ende des ersten Bandes. Zum Verständnis notwendige, vom Verfasser eingefügte Ergänzungen erscheinen in [], Auslassungen als [...]. Texte aus dem Internet sind nach dem Merkblatt "Hinweise zum Zitieren aus dem Internet" des Fachbereichs Sprache und Kommunikation der Universität Lüneburg an- gegeben.

Um den Text nicht zu "überladen", sind nur wenige Dialogauszüge aus den Filmen im Text zitiert. Stattdessen findet sich nur der Hinweis auf den Anhang. Zitate aus und Hinweise auf Dialoge aus dem Film AMERICAN PSYCHO, die mit "Dialogauszug: [Stun- de]:[Minute]'[Sekunde] gekennzeichnet sind, verweisen auf die Dokumentation der Dia- logauszüge im Anhang, sortiert nach Timecode-Zeiten des Films. Hinweise, die nur mit [Stunde]:[Minute]'[Sekunde] gekennzeichnet sind, dienen nur als Angabe des Timeco- des im Film. Bei den anderen Filmen, zu denen Szenenprotokolle vorliegen, erfolgt die Angabe "Sz." als Verweis auf die Szene im Szenenprotokoll im Anhang. Zur besseren Orientierung ist teilweise zusätzlich die Timecode-Zeit angegeben. Auslassungen in der Dokumentation der Dialoge sind mit [...] gekennzeichnet.

Die Rechtschreibung und Zeichensetzung erfolgt nach den vor der letzten Rechtschreib- reform gültigen Regeln ("alte Rechtschreibung"). Für den Begriff "Habitus", der in die- ser Arbeit häufig verwendet wird, existiert keine Pluralform[2]. Sie muß daher mit Formulierungen wie "Arten des Habitus" o.ä. umschrieben werden. Bei Kollektivbezeichnungen wird angestrebt, geschlechtsneutrale Begriffe oder beide nungen wird angestrebt, geschlechtsneutrale Begriffe oder beide Bezeichnungen zu verwenden. Dennoch werden bei Abweichungen von diesem Vorhaben beide Ge- schlechter gebeten, sich angesprochen zu fühlen.

Einleitung

Hinführung zum Thema

Wer die Medienberichte der letzten Monate und Jahre verfolgt, der liest folgende Schlagzeilen: "Das zerbrechliche Geschlecht. Männer und Gesundheit"[3], "Das benach- teiligte Geschlecht – Arme Jungs"[4], "Das verletzliche Geschlecht [der Männer, J.W.] " [5], "Männer sind Schweine – arme Schweine"[6], und "Zeit der Jägerinnen. Der Sex der Single-Frauen"[7]. Männer sind häufiger Täter, aber auch häufiger Opfer von Gewalt[8], sind im Gymnasium unterrepräsentiert[9] und besetzen nur ein Drittel der neu eingerichte- ten Stellen in den letzten Jahren[10]. Es fällt außerdem auf, daß die verheerenden Amok- läufe und Terroranschläge der jüngsten Zeit, von Littleton über Zug bis zu Jena, von Männern begangen wurden[11]. Wie steht es um das Geschlechterarrangement in den In- dustrienationen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert? Was bedeutet "Männlichkeit" heute individuell und gesellschaftlich? Gibt es eine "Krise der Männlichkeit"?

Informationen aus der Forschung scheinen zwiespältig. Auf der einen Seite besteht im Geschlechterverhältnis noch immer ein gravierendes Ungleichgewicht zu Gunsten der Männer, und das auch 30 Jahre nach den ersten Forderungen nach Gleichstellung. Der Zugang zu Ressourcen, Arbeit, politischer und wirtschaftlicher Macht ist in Deutsch- und Attentate versteckt sich gern in Biederkeit, in: Die Woche (5.10.2001), S. 36.

land und weltweit eindeutig für Frauen schwieriger als für Männer[12]. Je höher wir in den nationalen und globalen Hierarchien blicken, desto mehr Männer sind zu finden. Vor diesem Hintergrund erscheint die (in erster Linie in den Massenmedien formulierte) These von der "Krise der Männlichkeit" als Paradoxon: Wie kann es eine Krise von gesellschaftlich Bevorzugten geben? Denn es sind ja gerade (zumindest einige) "ganz normale", also gesellschaftlich an der Bevorzugung teilhabende Männer, denen "Männ- lichkeit" offenbar unerwartete Schwierigkeiten bereitet.

Andererseits spielt sich ein Transformationsprozeß ab, der durch eine Reihe von Ereig- nissen und Faktoren mit fundamentalem Einfluß auf die gesellschaftliche Ordnung und das Leben des Einzelnen verursacht wird. Dazu zählt nicht nur die "Frauenemanzipati- on" als Folge der "68er-Revolution" und der Erfindung von verläßlichen Verhütungsmethoden. Die dramatischen Entwicklungen bei der Rationalisierung und Automatisierung der Produktion, die mediale Vernetzung und die Globalisierung der Märkte führten zum Wechsel von der "Produktionsgesellschaft" zur "Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft". Und die Fortpflanzungsmedizin entwickelt neuartige Befruchtungsmethoden, die den sexuellen Akt überflüssig machen[13]. All das hat auch das Alltagsleben und damit auch das Geschlechterverhältnis in den westlich und industriell geprägten Nationen nachhaltig beeinflußt. Traditionelle Orientierungen verlieren ihre Verbindlichkeit, ehemals "fraglos Gegebenes"[14] steht jetzt zur Disposition. Es ist die Rede von "Individualisierung"[15], der "Risikogesellschaft"[16], der "Single-Gesellschaft" [17] und der "Konsumgesellschaft". Gleichzeitig gibt es in der Ära nach dem kalten Krieg eine Reihe von neuen globalen Kriegen und Krisen[18].

Welche Erkenntnisse hat die Forschung zum Zustand der "normalen Männlichkeit"? Gibt es Zusammenhänge zwischen dem angerissenen Transformationsprozeß, den aktu- ellen globalen und individuellen Krisen und "Männlichkeit"? Ausgelöst in erster Linie von der oben erwähnten feministischen Kritik existiert seitdem auch in der Wissen- schaft ein weit gefaßter Bereich unter Namen wie "Geschlechterforschung" und "Gen- der Studies". Leider nimmt der Forschungsbereich immer noch nur eine marginale Rolle im Wissenschaftskanon ein – und das, obwohl das Prinzip "Geschlecht" sowohl für die Organisation der Gesellschaft als Ganzes als auch das individuelle Handeln von größ- tem Einfluß ist[19]. Mit den unterschiedlichsten Ausrichtungen und disziplinären Ansät- zen beleuchtet, steht auch heute noch hauptsächlich "die Frau" im Mittelpunkt des Inte- resses, oder scheint es zumindest zu stehen, was das Image des Forschungsbereichs be- trifft. "Männlichkeit" als expliziter Gegenstand der Forschung, besonders von Männern selbst ausgeführt, besteht erst seit wenigen Jahren. Mit quantitativen Methoden die Handlungs- und Organisationslogiken der westlichen Gesellschaften zu erforschen und mit den bestehenden Geschlechterkonstruktionen in Beziehung zu setzen, daran fanden bisher die wenigsten Autoren Interesse[20]. Dabei verspricht ein solches Vorgehen wich- tige Erkenntnisse, leben wir doch einer Gesellschaft, die "männliche" Werte bevorzugt.

Versteht man das Geschlechterarrangement als kulturelle Konstruktion, so muß das Au- genmerk bei einer solchen Fragestellung unweigerlich auf die Massenmedien, und dabei besonders die audiovisuellen, gerichtet werden. Denn sie sind es, die in einer zuneh- mend mediatisierten Welt die Kommunikation immer weitreichender bestimmen und denen gleichzeitig immer deutlicher die Aufgabe zugewiesen wird, neue Orientierungen in einer Zeit zu liefern, in der Sinnzusammenhänge sich auflösen. Film greift bestehen- de Diskurse auf, reproduziert und wertet um – und ist dabei wesentlich an der Produkti- on von neuer "Wahrheit", gerade einer sexuellen[21], beteiligt. Gerade die Filmindustrie der USA[22] zeichnet sich durch eine hohe Reichweite in westlich-industriell geprägten Ländern aus. Die Filme AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB sind von besonderem Interesse, weil sie nicht nur (wie auf irgendeine Art fast jeder Film) Geschlechterarrangements, sondern auch explizit die "Krise der Männlichkeit" themati- sieren. Alle drei sind in weißen, mittelständischen bis elitären Milieus der US- amerikanischen Gesellschaft angelegt, und wurden auf der Schwelle zum 21. Jahrhun- dert produziert. Dabei ist von besonderem Interesse, wie diese Filme, die speziell zu dieser (möglicherweise Umbruchs-)Zeit und an diesem zentralen Ort der globalen Weltordnung verortet sind, einen Zusammenhang zwischen "Männlichkeit" und "Krise" auf individueller und gesellschaftlicher Ebene herstellen.

Zur Vorgehensweise dieser Arbeit

Ziel dieser kulturwissenschaftlichen Arbeit ist es, den Diskurs der dargestellten Proble- matik in den genannten Filmen, die als "Primärtexte"[23] verstanden werden, zu untersu- chen. Dazu sollen zunächst theoretische Basis und Methodik entwickelt werden, die das Phänomen Geschlecht in seinem Zusammenhang von individueller und gesellschaftli- cher Ebene begreift, und zwar speziell auf das bezogen, was in westlichen Gesellschaf- ten als das "männliche" Geschlecht besteht[24]. Die soziologischen Ansätze von CON- NELL[25] und MEUSER zum Zusammenhang von "Männlichkeit"[26], Gesellschaftsordnung und "Krise"[27] werden dabei als Leitlinien dienen, um ein "Werkzeug" zur Interpretation der Filme zu entwickeln[28].

Danach sollen die genannten Filme in drei Kapiteln formal und inhaltlich untersucht werden. Wie bei der Erörterung im einzelnen deutlich werden wird, zeigt der Film A- MERICAN PSYCHO besonders deutlich eine Problemlage im Zusammenhang von "Männ- lichkeit" und "Krise" auf, so daß er als Vergleichsreferenz dienen soll. Bei den Filmen AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB wird dann zu prüfen sein, inwiefern sich die Dar- stellungen der Problemlage decken, um sie dann auf mögliche Lösungskonzepte hin zu untersuchen. Grundlage der Untersuchung sind dabei aufgrund des beschränkten Um- fangs der Arbeit ausschließlich die Filme selbst und nicht ihre Produktions- oder Rezep- tionsgeschichte. Für AMERICAN PSYCHO liegt als Basis der Untersuchung eine Zusam- menstellung von Dialogauszügen vor, für die anderen beiden Filme Übersichten der dramaturgischen Gliederung und vollständige Szenenprotokolle[29]. Diese Versprachli- chung der verschiedenen Zeichensysteme des Films dient dazu, den Gesamtgehalt der aus ihm bewußt oder unbewußt gewonnenen sinnlichen Eindrücke intersubjektiv nach- vollziehbar zu machen[30]. Des weiteren liegen Szenenfotos vor, die aus den Filmen ge- wonnen wurden[31].

Das Fazit am Schluß der Arbeit soll dann in einem Vergleich der Ergebnisse zu den drei Filmen die Frage beantworten, welche Aussagen aus den Filmen auf der Folie der vorher entwickelten Theoriemodelle über "Männlichkeit" zum Ende des 20. Jahrhun- derts abzuleiten sind.

1. Herleitung des Ansatzes: Wie lassen sich "Geschlecht" und "Männlichkeit" in der filmischen Darstellung begreifen?

Die Fragestellung dieser Arbeit lautet kurz umrissen: Welche Aussage machen die Fil- me AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB über Zustand und Bedeu- tung des männlichen Geschlechts zum Ende des 20. Jahrhunderts in den westlichen Ge- sellschaften? Inwiefern werden sie als krisenhaft beurteilt und welche Konsequenzen ziehen die Filme daraus?

Die Kategorien "Geschlecht" , "Weiblichkeit" und "Männlichkeit" sind Phänomene, die unsere Lebenswelt weitreichend durchdringen. Auf latente Art sind sie als etwas weit- gehend "fraglos Gegebenes"[32] überall spürbar und werden von den Mitgliedern der Ge- sellschaft verstanden. Doch wie kommt man diesen Selbstverständlichkeiten, diesem "intuitiven" Verständnis auf die Spur, ohne die eigene Interpretation wiederum mit dem "Intuitiven" zu begründen? Dazu sollen in diesem Abschnitt Kategorien aus folgenden weiterführenden Fragen entwickelt werden:

- Wie kann man das Phänomen "Geschlecht" zunächst im allgemeinen (also nicht in seiner medialen Darstellung) begreifen?
- Welche Aussagen lassen sich speziell über das Geschlecht "männlich" im ausgehen- den 20. Jahrhundert in westlich geprägten Gesellschaften machen?
- In welchem Zusammenhang kann von einer "Krise" gesprochen werden?
- In welchem Zusammenhang steht das "Alltagsphänomen" des individuellen Ge- schlecht mit der medialen / filmischen Darstellung von Geschlecht?

Im ersten Schritt sollen dafür allgemeinere Grundannahmen formuliert werden. Danach soll auf die sozialwissenschaftlichen Ansätze von MEUSER[33], GOFFMAN[34] und CON- NELL[35] eingegangen werden, um anschließend den Bezug zum Medium Film herzustel- len.

1.1 "Geschlecht" und "Männlichkeit"

1.1.1 Was ist "Geschlecht" und wie läßt es sich begreifen? – Grundannahmen

Die folgenden Grundannahmen[36] über das Phänomen "Geschlecht", die von der Frau- en-, Gender- und Männerforschung[37] entwickelt wurden, und als eine Art "Essenz" aus den gesichteten Texten hervorgehen, sollen Basis dieser Arbeit sein. Ziel ist es dabei nicht, einen umfassenden Überblick oder etwa eine Diskussion aller vorhandenen An- sätze zu bieten, sondern geeignete Kategorien und Modelle zu finden, um die Interpreta- tionsaufgabe dieser interdisziplinären Arbeit zu bewältigen. Gleichzeitig sollen die Grundannahmen in der kurzen Abhandlung einen Einstieg in die Problematik bieten.

Die Bedeutung des sozialen Geschlechts für Gesellschaftsordnungen

Die Kategorie "Geschlecht" ist wesentlicher Teil aller (bekannten) Gesellschaftsord- nungen[38]. CONNELL erklärt in seinem Werk "Der gemachte Mann. Konstruktionen und Krise von Männlichkeiten":

"Geschlechterbeziehungen, die Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen, die durch den Reproduktionsbereich organisiert sind, bilden eine der Hauptstrukturen aller doku- mentierten Gesellschaften."[39]

Das Geschlecht ist damit Teil einer Struktur, die die Lebensbedingungen für Individuen definiert. Sie entscheidet über Verfügbarkeit und Verweigerung von Macht, Ressour- cen und Handlungsoptionen im Lebensplan von Individuen[40].

Die Bedeutung des sozialen Geschlechts für individuelle Identität

Gleichzeitig weist eine Reihe von Autoren auf die große Bedeutung des Geschlechts als Quelle der Selbstidentifikation hin[41]. GOFFMAN stellt fest:

"Insofern, wie [...] das Individuum ein Gefühl dafür, was und wie es ist, durch die Bezug- nahme auf seine Geschlechtsklasse entwickelt und sich selbst hinsichtlich der Idealvor- stellungen von Männlichkeit (und Weiblichkeit) beurteilt, kann von einer Geschlechts- identität ('gender identity') gesprochen werden. Anscheinend ist diese Quelle zur Selbst- identifikation eine der wichtigsten, die unsere Gesellschaft zur Verfügung stellt [...]."[42]

Offenbar spielt das Geschlecht nicht nur als äußere Kategorie eine Rolle, sondern auch für die Beurteilung des Individuums durch sich selbst. Bei dieser Selbstbeurteilung, die durch das Vergleichen mit "Idealvorstellungen" oder "sozialen Idealbildern"[43] stattfin- det, verortet sich das Individuum auch selbst aktiv in der Gesellschaft, wobei es sich Handlungsoptionen und -beschränkungen zuordnet. "Geschlecht" ist also ein Phänomen, das sich zwischen dem Individuum und der sozialen Umwelt, zwischen eigenem Bewer- ten/Handeln und sozialem Idealbild abspielt. Wie läßt dieses Phänomen sich beschrei- ben?

Soziales Geschlecht ist konstruiert

Der Ansatz der Gender-Studies hat die Bedeutung eines durch "die Natur" eindeutig definierten oder definierbaren Geschlechts bereits verworfen und das soziale Ge- schlecht vom biologischen abgegrenzt. Neuere Ansätze, wie der von BUTLER[44], gehen unter dem Eindruck der konstruktivistischen Wahrnehmungstheorie und deren Wirk- lichkeitskonzept noch weiter. Sie heben jene Unterscheidungen wie etwa die zwischen "Natur" und "Kultur" auf. Alle Ordnungen, auch "biologisch" oder "natürlich" genannte, werden als Deutungen und Zuschreibungen verstanden, die aktiv eine bestimmte unter unzähligen möglichen Auslegungen wählen. Damit wird nicht nur die soziale Konse- quenz der Zugehörigkeit zu einem biologischen Geschlecht als konstruiert verstanden, sondern das Geschlecht selbst[45]. MEUSER beschreibt diese Sichtweise, die auch das "na- türliche" Geschlecht als eine die Gesellschaft aktiv ordnende Kategorie versteht:

"Das Selbstverständliche wird heuristisch in etwas Unwahrscheinliches, höchst voraus- setzungsvolles transformiert. [...] die Geschlechterzugehörigkeit selbst wird als soziale Konstruktion verstanden."[46]

Hier eröffnet sich eine mikrosystemische Perspektive, die nach der aktiven Sinnkon- struktion in einem Individuum und zwischen den unmittelbaren Teilnehmern an einem Kommunikationsprozeß fragt. Besonders die enthnomethodologische Soziologie kon- zentriert sich auf den Ansatz des "doing gender"[47]. GARFINKEL verdeutlicht anhand ei- ner transsexuellen Person als Grenzüberschreiterin des (sozialen) Geschlechts, daß Ge- schlecht nicht "einfach" existiert, sondern aktiv durch bestimmte Handlungen und Ver- haltensweisen hergestellt wird. Nicht die körperlichen Geschlechtsorgane entscheiden ihm zufolge über die Geschlechtszugehörigkeit, sondern Praktiken im Alltagshandeln, die erlernt werden müssen und mit denen das soziale Geschlecht in interaktiver Koope- ration mit allen Beteiligten hergestellt wird[48]. Unter "doing gender" versteht man also die aktive Darstellung des Geschlechts im Rahmen von Interaktionen (vgl. weitere Aus- führungen S. 15). Um die Konstruiertheit des Begriffs "Männlichkeit" zu verdeutlichen, erscheint er in dieser Arbeit häufig in Anführungszeichen.

Die Kategorie Geschlecht ist eine Differenzkonstruktion

Die Kategorie Geschlecht hebt körperliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen hervor, während andere Unterschiede zwischen Menschen tendenziell ausgeglichen werden oder ihnen weniger Bedeutung beigemessen wird, so GOFFMAN[49]. Diesen kör- unsere sozialen Arrangements geltend gemacht wurden (und werden) und, mehr noch, wie die institutio- perlichen Unterschieden werden soziale Unterschiede zugeordnet. Den Begriffen "männlich" und "weiblich" werden dabei Ausschnitte aus dem gesamten Spektrum der Handlungs- und Ausdrucksmöglichkeiten zugeordnet. CONNELL stellt fest:

"Außerhalb eines Systems von Geschlechterbeziehungen gibt es so etwas wie Männlich- keit überhaupt nicht."[50]

Für das Verständnis eines Geschlechts muß demnach das gesamte Arrangement der Geschlechter und die Konstruktionen der als Differenz konstruierten anderen Ge- schlechter betrachtet werden.

Geschlechterkonstruktion erfolgt in Interaktionen unter Verwendung von Zeichen

Nach GOFFMAN ist doing gender ist ein Kommunikationsprozeß[51]. Nicht nur die Wahr- nehmung der äußeren Welt im Inneren eines Individuums ist mit einer aktiven Aus- wahl- und Deutungsleistung verbunden, sondern auch die Mitteilung der eigenen Kon- struktion von Welt und der eigenen Stellung darin wieder nach außen[52]. BUTLER, post- strukturalistische Sprachwissenschaftlerin, nennt daher die von der Außenwelt kom- menden Wahrnehmungen bzw. die eigenen, ritualhaften Handlungen "performative acts"[53]. Da ihnen bei der Deutung und Benutzung bestimmte Inhalte beigemessen wer- den, sind sie als Zeichen oder Zeichensysteme zu verstehen. Diese Bedeutungsträger können, je nach Art der kommunikativen Interaktion, aus unterschiedlichen "Sprachen" stammen und in einer komplizierten Kombination unterschiedlicher Kommunikations- systeme stattfinden, die auf allen beteiligten Sinneskanälen stattfinden[54]. Die Projekti- onsfläche und das Medium des doing gender ist (fast) immer der Körper[55] und seine "Peripherie", also dessen Ausstattung mit materiellen Dingen als Kommunikationsträ- ger, wie etwa Accesoires und Mode[56].

Geschlechterkonstruktion ist prozeßhaft und kontextabhängig.

Wird Geschlecht als durch Handlung von Individuen im Rahmen von Kommunikati- onsprozessen Konstruiertes verstanden, so hat dies Konsequenzen für die makrosyste- mische Perspektive, d.h. die Analyse von gesellschaftlichen Strukturen, die aufgrund von Geschlecht existieren: Sie stehen unter dem Einfluß der Dynamik von Kommunika- tionsprozessen. Diese kommt zum einen durch die Möglichkeit des Individuums zu- stande, aktiv Zeichen zu verwenden und zu deuten und so Einfluß auf die Bedeutung der Zeichen zu nehmen. Zum anderen wirkt sich aus, da? unweigerlich kleinere oder größere Unterschiede im Verständnis der benutzten Zeichen zwischen dem sich Äu- ßernden und dem Rezipierenden bestehen[57]. Damit sind Geschlecht und Geschlechterar- rangement einem geschichtlichen Entstehungs- und Wandlungsprozeß unterworfen, d.h. prozeßhaft und kontextabhängig. Sie haben sich unter den Bedingungen einer bestimm- ten Vergangenheit entwickelt und sind in der Zukunft veränderbar[58].

Die Kategorie Geschlecht überlagert sich mit anderen Kategorien

Wird die Kategorie "Geschlecht" als sozialwissenschaftliche Unterscheidungskategorie verwendet, so müssen weitere Faktoren wie Alter, Milieu, Bildung, geographische Her- kunft und Hautfarbe mit berücksichtigt werden. Erst in ihrer Kombination lassen sich Geschlechterkonstruktionen erfassen.

1.1.2 Leitbild und individuelle Identität

Zusammenfassend läßt sich auf der Basis der dargelegten Positionen feststellen, daß individuelles "Alltags-doing gender" einerseits mannigfaltig und vieldeutig ist. Ande- rerseits scheint es bestimmte intersubjektive, normative Vorstellungen zu geben, die die Wahrnehmung des Individuums von sich und anderen deutlich strukturieren und die für seine Identitätsbildung von Bedeutung sind. BÜRMANN[59] und GOFFMAN schlagen für diesen Komplex ein Modell mit drei Dimensionen vor. BÜRMANN spricht zum einen von einer "sozialen Identität" (GOFFMAN: "soziale Idealbilder"[60] ), die "normative Er- wartungen an Erscheinungsbild, Verhalten und Charakter"[61] umfaßt und die Interakti- onsteilnehmer wechselseitig antizipieren bzw. erwarten. Hier läßt sich hinzufügen, daß diese Leitbilder auch in materialisierter Form als Macht- und Organisationsstrukturen und Institutionen existieren. Zum zweiten sprechen sie von der "persönlichen Identi- tät"[62], einer Kategorie der Außensicht auf das Individuum. Darunter verstehen sie die wiedererkennbare Kombinationen von Eigenschaften, die eine Unterscheidbarkeit eines Individuums für andere ermöglichen. Zum dritten sprechen sie von der "Ich-Identität"[63] als das subjektive Erleben von Situationen und eigener Kontinuität. Entscheidend sei dabei die Fähigkeit, Distanz und Abgrenzung zum Außen und zu äußeren Erwartungen herzustellen. BÜRMANN erläutert:

"Diese Ich-Identität ist der Freiheitsraum des Individuums, das Gestaltungspotential jen- seits antizipierender Rollenerwartungen, das die Möglichkeit der Distanzierung von ge- sellschaftlichen Normen als Konstituens in sich trägt."[64]

Dabei bestehe ein permanenter Konflikt zwischen Konformität und Abgrenzung, bei dem die eigenen Ansprüche mit den Außenerwartungen (die verinnerlicht wurden) aus- balanciert werden müssten. Ob dieses Ausbalancieren dem Individuum glückt, hängt nicht nur von ihm ab, sondern auch von der Freiheit, die ihm das Leitbild[65] einräume.

Hier finden wir einen ersten Hinweis auf die Bedeutung, die z.B. Film für "Geschlecht" hat: Technische Massenmedien wie der Film spielen eine wesentliche Rolle bei der Konstruktion von normativen Leitbildern[66]. Eine Filminterpretation verspricht daher, Aufschluß über Leitbilder zu geben. In der filmischen Darstellung werden Geschlech- terkonstruktionen und -arrangements (re-)konstruiert und dabei bewertet. Leitbilder werden von verworfenen Konzepten abgegrenzt. Vor der Suche nach Untersuchungs- ansätzen für Film soll aber zunächst auf das Verhältnis von Struktur und Individuum detaillierter eingegangen werden.

1.1.3 Soziales Geschlecht als Habitus

Die Dialektik zwischen Struktur und Individuum

Doing gender entsteht unter Wechselwirkung und im Spannungsverhältnis von Indivi- duum und dem Leitbild der sozialen Umwelt. Geschlecht entsteht durch individuelles Handeln (das auch medienvermittelt sein kann), ist aber gleichzeitig eine bindende strukturelle Bedingung der sozialen Umwelt in Gesellschaften. Das individuelle Han- deln steht einerseits unter makro-, andererseits unter mikrosozialen Einflußfaktoren[67]. Sozialstrukturelle Lebenswelt, kulturelle Tradition und die Bedingungen des Körpers stehen der individuellen, aktiv vorgenommenen Konstruktion einer "Weltsicht" und deren Kommunikation gegenüber. Die beiden Seiten stehen in dialektischem Verhältnis: Der Einzelne lebt unter den Bedingungen der gesellschaftlichen Strukturen und Leitbil- der. Andererseits existieren diese nur durch individuelle Reproduktion, und der Einzel- ne kann durch ein doing gender, bei dem er Vorgefundenes zitiert und gleichzeitig et- was abwandelt, Einfluß auf die Strukturen und Vorgaben nehmen. Die verwendeten kulturellen und sprachlichen Codes (performative acts) rekurrieren einerseits auf den strukturellen Vorgaben und kollektiven Orientierungen, andererseits reproduzieren bzw. verändern sie sie. Der Körper stellt einerseits bestimmte Lebensbedingungen, anderer- seits wird er zum Ort der Inszenierung. Das Individuum hat einerseits bestimmte Zwän- ge zu verarbeiten und andererseits Handlungsspielräume zur Umdeutung der kollektiven Orientierungen und zur Umgestaltung der Lebenswelt.

Das Habitus-Konzept

Um dieses komplexe System zu begreifen, schlägt MEUSER das Konzept des "Habitus" aus BOUDIEUS[68] Werk "Die feinen Unterschiede" vor. MEUSER überträgt den Ansatz, den BOURDIEU ursprünglich für die Untersuchung der Beschaffenheit und Zusammen- setzung von Gesellschaften im allgemeinen verwendet hat, auf die Untersuchung des sozialen Geschlechts[69]. BOURDIEU bezeichnet mit dem "Habitus" eine bestimmte "Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix"[70] , die gesellschaftliche Gruppen aus- zeichnet und "typische Muster der Problembewältigung generiert"[71]. Basis für diese kollektiven Orientierungen ist eine bestimmte gemeinsame Soziallage, die sich durch eine bestimmte Konfiguration von ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital auszeichnet[72]. Manifest werde der Habitus schließlich in "distinkten Lebensstilen"[73].

MEUSER ordnet den Ansatz des doing gender nun in das Habitusmodell ein: Der Habitus sei das übergeordnete Handlungsprinzip des doing gender. Doing gender realisiert, was im Geschlechtshabitus festgelegt ist.

"Der geschlechtliche Habitus ist Basis von 'doing gender', garantiert als 'modus operandi' dessen Geordnetheit. Für das Individuum bedeutet das: Im Habitus hat es ein Geschlecht [...], indem es ein Geschlecht tut [...]. Insofern als dieses Tun nicht voluntaristisch belie- big ist, sondern im Rahmen des Habitus geschieht, ist Geschlecht - obwohl dem Indivi- duum als Merkmal zugeschrieben - keine individuelle Eigenschaft. Andererseits reprodu- ziert sich der Habitus nur im Handeln, so daß Geschlecht nicht etwas dem Handeln der Akteure Externes ist."[74]

MEUSER drückt hier die Wechselwirkung von individuellem Handeln und gesellschaftli- cher Vorgabe aus: Einerseits könnten gesellschaftlich bestehende Geschlechterkonstruk- tionen nur durch individuelle Handlungen existieren. Sie müssten permanent reprodu- ziert werden, da sie ihren Status als "Wahrheit" erst durch die fortwährende, ritualisierte Wiederholung bekommen. Andererseits sei das individuelle Handeln im doing dender nicht frei gewählt, sondern kontextabhängig und muß sich auf das Vorgefundene bezie- hen, sonst könnte es an dessen Bedeutungen nicht teilhaben und würde nicht als doing gender verstanden.

Im Unterschied zu GOFFMANs Konzept der geschlechtlichen Identität ist beim Habitus- Konzept wenig Differenzierung zwischen individueller Identität und gesellschaftlicher Vorgabe zu erkennen. Wie die Abgrenzung des Individuums vom Außen erfolgt, die für die Existenz einer persönlichen Identität notwendig ist, läßt sich mit dem Habitus- Konzept nicht erkennen. Der nächste Abschnitt wird aber deutlich machen, wie mit ihm das Problem lösbar wird, von individuellem doing gender, daß per Medium Film vemit- telt wird, auf die Konstruktion und Bewertung von gesellschaftlichen Leitbildern im Film zu schließen.

1.1.4 Habituelle Sicherheit und Krise

Habituelle Sicherheit

MEUSER erweitert das Habitus-Konzept um den Begriff der "habituellen Sicherheit" und macht damit das Phänomen der "Krise" begreifbar, wie in diesem Abschnitt deutlich werden wird. Er meint mit "habitueller Sicherheit" eine Verhaltenssicherheit, die sich daraus ergibt, daß der individuelle Habitus den Leitbildern und Strukturen der Umwelt angepaßt ist.

"Mit habitueller Sicherheit ist eine Sicherheit gemeint, die ein Handeln betrifft, das unter den Geltungsbereich eines bestimmten Habitus und in den Rahmen einer bestimmten So- zialordnung fällt, hier derjenigen der Zweigeschlechtlichkeit."[75]

Habituelle Sicherheit sei...

"umso eher möglich, je stabiler die Ordnung ist und je vollständiger die Dispositionen der Akteure, d.h. ihr Habitus, die Strukturen der Ordnung reproduzieren."[76]

Habituelle Sicherheit impliziere eine "selbstbewußte Zustimmung zum habituellen Schicksal"[77], sei also "positiv angenommener Zwang"[78], der zu einer Verwurzelung in den Strukturen führe. Sie bestehe in folgenden Dimensionen:

"– als Sicherheit über die Position in der eigenen Familie;

- als Sicherheit hinsichtlich dessen, was in Interaktionen zwischen Männern und Frauen erlaubt ist, und erst recht darüber, was ein angemessenes Verhalten gegenüber Männern ist;

- als Sicherheit hinsichtlich der Strategien und Formen der Selbstrepräsentation."[79]

Die Beherrschung adäquater Verhaltensweisen in den angegebenen Dimensionen sorge für "ontologische Sicherheit"[80]:

"Ontologische Sicherheit meint eine Art Urvertrauen sowohl in die Kontinuität von Selbstidentität als auch in die Konstanz der Strukturen der umgebenden Sozialwelt."[81]

Damit sei die habituelle Sicherheit, so MEUSER, eine lebenswichtige Bedingung dafür, selbstständig entscheiden und als Individuum mit der sozialen Umgebung in Kontakt treten zu können.

Das "fraglos Gegebene"

MEUSER sieht als Bedingung dafür, daß eine habituelle Positionierung in der Gesell- schaft funktioniert, daß das Individuum über den Habitus als "fraglos Gegebenes"[82] ver- fügt. Damit meint er, daß die Berufung auf die entsprechenden Strukturen unbewußt stattfinden muß. Er führt hier eine Unterscheidung zwischen einer expliziten Äußerung im Rahmen eines Diskurses einerseits und der "vorreflexiven Routinepraxis"[83] anderer- seits ein. Der Habitus müsse gewissermaßen "in Fleisch und Blut übergegangen" sein, also quasi-natürlich durch das Individuum beherrscht werden, damit andere ihn erken- nen und akzeptieren[84]. Denn seine Bedeutung bekomme der (geschlechtliche) Habitus dadurch, daß sein Konstruiertsein nicht wahrgenommen, sondern daß er als natürlich gegeben erachtet wird. Der Körper fungiere dabei nicht nur als Ort der Inszenierung der doing gender, sondern auch als "fleischliches Gedächtnis"[85], in das der Habitus einge- schrieben sei.

Krise

Ebenso schwer zu begreifen wie Identität, individuelles doing gender und gesellschaftli- che Geschlechtsleitbilder sind individuelle und gesellschaftliche Krisen, die aus Kon- flikten im Zusammenhang von Geschlecht und Identität entstehen. Auch hier soll auf MEUSER zurückgegriffen werden. Er sieht dann die Gefahr von solchen Krisen, wenn die aktuellen Anwendungsbedingungen für geschlechtlichen Habitus nicht mehr denje- nigen entsprechen, die "– historisch-genetisch – der Entwicklung des männlichen Ge- schlechtshabitus zugrundeliegen"[86]. Gerade zum Ausgang des 20. Jahrhunderts sei die

Geschlechterordnung zunehmend von Instabilität geprägt[87], so daß die Bedingungen sich möglicherweise zu weitgehend ändern, als daß Individuen ihren Habitus schnell genug anpassen können.

MEUSER sieht Abstufungen im Grad der Krisengefahr. Wenn diejenigen strukturellen Lebensbedingungen sich verändern, auf die die Konstruktion von Männlichkeit basiert, ist das gewohnte und gelernte doing gender in den betroffenen Lebensbereichen nicht mehr möglich. So kann z.B. Arbeitslosigkeit als Folge des industriellen Strukturwandels die Konstruktion vom Mann als Familienernährer unmöglich machen. Um den gelernten Habitus weiterhin anzuwenden, muß ein Individuum sein doing gender auf Lebensbe- reiche verlagern, die nicht von Beeinträchtigungen betroffen sind. "Gefährlicher" ist es, wenn etwa durch gesellschaftlichen Wertewandel die bestehenden Geschlechterkon- struktionen selbst als "fraglos Gegebenes"[88] diskursiviert werden und sie so ihre Legi- timation verlieren, wie im nächsten Abschnitt ausgeführt werden wird[89]. Die Infrage- stellung der Gesellschaftsordnung kann in diesem Fall eine Gefährdung der individuel- len Geschlechteridentität von Männern bedeuten, so daß die betroffenen Männer dann mit großen Widerständen ihrer sozialen Umwelt rechnen müssen, wenn sie ihr doing gender auf herkömmliche Weise konzipieren[90]. Den höchsten Grad der Verunsicherung sieht MEUSER in einem dritten Fall bestehen, nämlich wenn die Hinterfragung und Be- zweiflung von männlichem Habitus und doing gender internalisiert werden und inner- halb des Individuum stattfinden[91]. Denn hier würde ein durch das Individuum selbst blockiertes doing gender gegen die Bedingungen einer Außenwelt stehen, in der doing gender immer noch "tendentiell omnirelevant"[92] ist. In diesem Fall drohe dem Indivi- duum eine Krise, sich auf alle Lebensbereiche auswirken könne, weil keine "ontologi- sche Sicherheit" mehr bestehe:

"Den verunsicherten Männern wird die eigene Biografie nicht nur retrospektiv zum Prob- lem, auch prospektiv gerät sie in Gefahr, zum Anlaß von Sorgen und Unwägbarkeiten zu werden."[93]

BRANDES sieht daher geschlechtshabituelle Unsicherheit als eine der wichtigsten Ursa- chen für psychische Störungen, insbesondere Angstleiden[94].

Zur Filmanalyse

Auch wenn die These, daß sich größte Verhaltenssicherheit bei größter Konformität einstellt, zu kritisieren ist, so erlaubt MEUSERS Konzept doch eine wichtige Schlußfol- gerung, nämlich, daß sich an habituell sicheren Individuen das aktuelle kollektive Leit- bild ablesen läßt. MEUSER wendet diesen Grundsatz bei der Untersuchung von Indivi- duen an. Er ist aber auf die filmische Darstellung übertragbar: Nimmt man an, daß Ver- haltenssicherheit positiver bewertet wird als Verhaltensunsicherheit, dann kann davon ausgehen, daß in einem Habitus, der mit habitueller Sicherheit inszeniert wird, ein Leit- bild konstruiert wird.

Die Filme AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB enthalten Aussa- gen über Krisen in Verbindung mit Geschlechteridentitäten und bieten Lösungskonzepte an. Analog zu Meusers Untersuchungen am "Alltags-doing gender"[95] läßt sich anhand der ausgeführten Kategorien und Abstufungen ermessen,

- worin die Krise dort gesehen wird
- welche Ursachen sie dort hat (veränderte Umstände? falscher Habitus?),
- für wie bedrohlich sie gehalten wird
- welche Strategien als Lösungskonzepte angeboten werden.

1.1.5 Was ist "Männlichkeit"? – Geschlecht als Machtkategorie

"Differenz / Dominanz"

Geschlecht ist kontextabhängig. Allgemeine Aussagen über "Männlichkeit" sind dem- nach nicht zulässig. Möglich ist aber, Aussagen über "Männlichkeit" in westlichen In- dustriegesellschaften zu machen. Dabei geht es nicht um individuelle Eigenschaften von einzelnen darin lebenden Männern, sondern um ein ideologisches, "kulturelles Modell mit Breitenwirkung"[96]. Dabei ist die Kategorie Geschlecht nicht nur als Differenz, son- dern auch als Wertung konstruiert. Nach umfangreicher Untersuchung historischer und aktueller Konzepte von Geschlecht und Männlichkeit kommt MEUSER zu folgendem Schluß:

"In den vorliegenden soziologischen Versuchen von Simmel bis Connel wird allemal deutlich, daß 'doing gender' 'doing difference' ist und daß die Herstellung der Differenz sich der gesellschaftlichen Semantik sozialer Ungleichheit bedient."[97]

Die in den ersten Grundannahmen erwähnte Differenz wird hier nicht wertfrei gedacht, sondern bedeutet eine implizite Hierarchisierung von Dualismen wie z.B. Natur – Kul- tur, Körper – Geist, Emotionalität – Rationalität. Für die Konstruktion von "Männlich- keit" gilt dabei, daß mit ihr konnotierte Werte eine Übereinstimmung mit denjenigen Werten aufweisen, die historisch in westlichen Gesellschaften als hochwertig kon- struiert wurden, während Weiblichkeit mit dem "Gegenteil" von "Männlichkeit" belegt und geringer bewertet ist[98]. Das Prinzip eines solchen Geschlechterarrangements be- zeichnet MEUSER mit "Differenz/Dominanz"[99]. Auch auf der materiellen und strukturel- len Ebene läßt sich feststellen, daß die Kategorie Geschlecht eine wesentliche Dimensi- on der sozialen Ungleichheit ist. So ist die Verteilung von Macht- und Ressourcen un- ausgewogen, zu Gunsten einer nach westlicher Tradition geprägten weißen, heterosexu- elle Männlichkeit aus den Industrienationen mit der Beziehungsstruktur Ehe/Kleinfamilie und homosozialen, männerbündischen Zusammenschlüssen. CONNELL stellt fest, daß sich diese die Ordnung im Zuge der Kolonialisierung und dann der kultu- rellen und wirtschaftlichen Globalisierung gegenüber lokalen anderen Geschlechterver- hältnissen und -ordnungen weltweit durchgesetzt hat[100].

Das gängige Beschreibungsmodell für diesen Sachverhalt ist das Konzept der hegemo- nialen Männlichkeit von CONNELL[101], auf das üblicherweise zurückgegriffen wird. CONNELL bezeichnet damit eine Gesellschaftsordnung, in der die Macht einerseits zwi- schen den Geschlechtern, und andererseits zwischen verschiedenen Männlichkeiten ungleich verteilt sei. Die Ungleichverteilung der Macht werde dabei von den unterge- ordneten Gruppen befürwortet[102]. CONNELL stellt fest, daß bei den Beziehungen zwi- schen Frauen und Männern und auch unter Männern die hierarchischen Prinzipien Do- minanz, Unterordnung und Marginalisierung gelten würden[103]. Die dominante, sog. hegemoniale Männlichkeit, eine gesellschaftliche Elite, zeichne sich also Folge dieser Prinzipien dadurch aus, daß sie

- in westlich geprägten Industrieländern lebt oder von deren Lebensstil geprägt sei,
- die weiße Hautfarbe hätte,
- wirtschaftlich erfolgreich sei,
- hierarchische Strukturen aufweise und befürworte,
- Frauen schlechter bewerte als Männer,
- andere Männlichkeiten (wie Homosexualität, andere Hautfarben) schlechter bewerte als die hegemoniale Männlichkeit,

- Homophobie das zentrale Beziehungsmuster zwischen Männern sei.[104]

Männliche Hegemonie – Hegemoniale Männlichkeit

MEUSER führt nun den von ihm spezifizierten Begriff des "männlichen Habitus" und CONNELLS Hegemoniekonzept zusammen. Sinn und Zweck der bestehenden Konstruk- tion von Männlichkeit sei es, die männliche Hegemonie aufrechtzuerhalten. Umgedreht definiere sich das Individuum als Mann durch ihre Stellung in der Hierarchie. Männli- che Hegemonie (gesellschaftliche Ebene) und hegemoniale Männlichkeit (individuelle Ebene) ergänzen und bedingen sich gegenseitig.

"Hegemoniale Maskulinität ist der Kern des männlichen Habitus, ist das Erzeugungsprin- zip eines vom männlichen Habitus generierten doing gender bzw. 'doing masculinity' [...]."[105]

Das bedeutet auch, daß von Seiten der Außenwelt eine Erwartungshaltung an das indi- viduelle Handeln besteht:

"Hegemoniale Maskulinität ist zudem der Maßstab, der an das Handeln eines Mannes von anderen Männern herangetragen wird (und oft auch von Frauen)."[106]

Damit ist der "männliche Habitus" von permanenter Konkurrenz geprägt. Wer sich dem zu entziehen oder verweigern versuche, werde erinnert, sanktioniert und ggf. marginali- siert.

Die Position eines Individuums in diesem Komplex ist aufgrund seiner Dynamik selten eindeutig, sondern Unterordnung unter Strukturen und Nutznießen (CONNELL spricht von "patriarchaler Dividende" [107]) von ihnen überlagern und verschränken sich. KALTE- NEGGER/TILLNER erläutern das Konzept: Daran lasse sich ...

"erahnen, wie kompliziert und facettenreich der Zusammenhang von struktureller und praktizierter Macht ist – daß sich die Macht niemals vollständig personifiziert, daß es den "totalen Herren" nicht gibt, daß die Geschlechterherrschaft vielmehr durch ihre Träger hindurchgeht und sie in der Ermächtigung auch unterwirft."[108]

Individuen lassen sich nicht eindeutig zu untergeordneten oder begünstigten Gruppen zuordnen, sondern mehrere Lebenszusammenhänge überlagern sich. Das Leiden an ge- schlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen kann neben Dominanz über andere stehen.

Die Zustimmung der Marginalsierten

Auf gesellschaftlicher Ebene ist die männliche Hegemonie darauf angewiesen, daß die dominierten gesellschaftlichen Gruppen ihre Zustimmung geben. MEUSER und CON- NELL sehen als unerläßliche Bedingung dafür, daß die bestehende Ordnung unhinter- fragt als "quasi-natürlich" fortbestehe. Sie benötige dazu einen allgemein verbindlichen und anerkannten Wertekonsens, der sich mit ihren Ansprüchen und ihren Legitimatio- nen deckt. In der Herstellung dieses Wertesystems sieht GRAMSCI, Verfasser des Kon- zepts der Hegemonie im allgemeinen Sinne, die Aufgabe der Kultur. Denn Infragestel- lung der Hegemonie bringe die Gefahr der Demontage, weil sie das "fraglos Gegebene" bewußt mache und hinterfrage. Gelinge es nicht, die herrschende Ordnung erneut zu etablieren, so komme es möglicherweise nicht mehr zur Zustimmung der nicht- hegemonialen gesellschaftlichen Gruppen zum Machtanspruch der hegemonialen Grup- pen[109].

Die Filme AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB behandeln die Ge- schichten von Männern, die Teilhaber an der männlichen Hegemonie sind. Offenbar spielt für die Krisen dieser Männer gerade die Konzeption ihrer Männlichkeit als hege- moniale eine wichtige Rolle. Worin dieser Zusammenhang besteht, wird anhand der filmischen Darstellung zu untersuchen sein. Des weiteren stellt sich die Frage, ob die Filme alternative Geschlechterarrangements aufweisen.

Verweigerung der Zustimmung erkenne man andererseits an der Existenz von gewalttätigen Auseinander- setzungen (vgl. CONNELL (1999), S. 104f.).

1.2 "Männlichkeit" im Film

1.2.1 Die Bedeutung von Film für die Konstruktion von kollektiven Geschlechterarrangements

Massenmediale Vermittlung von "Wirklichkeit" spielt eine große Rolle für die individu- elle Identität[110]. Häufig implizit, werden Geschlechterkonstruktionen und -arrangements formuliert und kollektiv rezipiert. Gerade Bildmedien bieten hervorragende Möglichkei- ten für Geschlechterkonstruktion, weil sie Körperlichkeit darstellen können. ANGERER fragt daher nach dem Zusammenhang zwischen der medialen Vermittlung und und dem alltäglichen doing gender:

"Welcher Zusammenhang besteht zwischen den geschlechtsspezifischen Identifikations- strategien, die dem Text (TV-Inhalte, Programme, Bilder) eingeschrieben werden, und der Herstellung einer Geschlechteridentität im Prozeß der medialen Konsumption?"[111]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

MULVEY[112] und TILLNER/KALTENEGGER[113] sehen im Kino, besonders dem des klassi schen Hollywood-Erzählkinos, einen Apparat zur Erhaltung der männlichen Hegemo- nie. KALTENEGGER und TILLNER gehen von den selben Voraussetzungen der hegemoni- alen Männlichkeit aus wie MEUSER mit BOURDIEU und CONNELL: Die Kategorie "Ge- schlecht" wird als gesellschaftsordnend wahrgenommen. Ihre Ordnung wird als eine Möglichkeit unter vielen verstanden und deshalb nach den spezifischen Entstehungsbe- dingungen dieser Ordnung gefragt. Auch sie gehen weiterhin davon aus, daß die männ- liche Hegemonie darauf angewiesen ist, von allen Beteiligten als natürliche Ordnung anerkannt zu werden. Gerade an der rituellen, performativen Herstellung der Geschlech- terverhältnisse werde aber ihr Konstruiertsein deutlich[114]. Im Kino sehen sie eine "tech- nology of gender"[115], mit der unter Ausnutzung der medialen Darstellungsmöglichkei- ten[116] die Fiktion einer bestimmten Geschlechterordnung und einer bestimmten Männ- lichkeit erschaffen wird:

"Über einen streng geregelten Kanon geschlechtsspezifischer Darstellungsformen werden die FilmzuschauerInnen zu ganz bestimmten Männlichkeits- und Weiblichkeitsdarstel- lungen verführt und gewissermaßen als 'ganze' Männer und Frauen aus dem Kino entlas- sen."[117]

"Reale" Männer und Frauen gehen also ins Kino, um sich dort für ihr doing gender zu orientieren, und ihre Männlichkeit bzw. Weiblichkeit besteht in der Nachahmung der Fiktion: "Das reale Verhalten von Männern ist die Aufführung der Fiktion Männlich- keit."[118] Diese Fiktion von ("natürlichen") geschlechtlichen Identitäten könnten real existierende Männer aber niemals erreichen. Gerade diese Unerreichbarkeit der Fiktion sei der Motor für das permanente streben nach ihr:

"'Der 'Patriarch' ist kein lebendiger Mann, er ist jenseits der realen Erfahrungen von Män- nern: als Phantom der Vollständigkeit konfrontiert er diese vielmehr mit ihrer eigenen Mangelhaftigkeit und ihrem In-Differenz-Sein. Gerade darin liegt aber die zentrale Funk- tion dieser Fiktion: das zwangsläufige Scheitern jeder vollständigen Identifikation mit dem Idealbild des Patriarchen liefert die Motivation, ihm beharrlich nachzueifern."[119]

Dennoch, so kann man einwenden, sind auch die Fiktionen von Männlichkeit im Kino nicht ungebrochen. KALTENEGGER antwortet, indem er die Krise als Bedingung für den Fortbestand der Hegemonie in sein Konzept einbringt. So sei die Männlichkeit von rea- len Individuen, da Konstruktion, krisenanfällig, so wie es auch MEUSER zeigt[120]. Dem begegne das Hollywoodkino als Medium der männlichen Hegemonie, indem es Männ- lichkeiten gebrochen und uneindeutig darstelle, dann aber die Widersprüche umdeutet und doch immer wieder in die gewünschte Ordnung bringt. So sei die "Krise entschei- dendes Merkmal dominant-fiktionaler Männlichkeitsrepräsentationen"[121]. (Selbstge- stellte) Aufgabe des Kinos sei es dann, die Krise zu lösen:

"Einen überaus flexiblen Kanon an bild- und erzähldramaturgischen Elementen zu immer wieder neuen Darstellungsformen verdichtend, scheint das Erzählkino um nichts mehr bemüht, als die von ihm aufgeworfenen Widersprüche einer möglichst eindeutigen Lö- sung zuzuführen."[122]

Mit den Begrifflichkeiten von MEUSER und CONNELL formuliert, würde KALTENECKERS These lauten: Das Kino begegnet den Legitimationskrisen der hegemonialen Männlich- keit und stellt durch seine Leitbildkonstruktionen habituelle Sicherheit unter ständig sich verändernden Strukturbedingungen wieder her.

Die Filme AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB greifen solche Problematiken auf, wie sie von MEUSER und CONNELL thematisiert werden. Es geht um Männer aus der amerikanischen Mittel- bis Oberschicht weißer Hautfarbe, die mit guter Ausbildung und Zugang zu materiellen Ressourcen Teilhaber an der männlichen Hege- monie sind. Und doch wird anhand ihrer individuellen Lebensgeschichten gezeigt, wie habituelle Sicherheit durch Veränderungen der Lebensbedingungen und Zweifel an Le- gitimation und Sinn der Lebenskonzepte ins Wanken geraten und neue Entwicklungen hervorbringen. Schon die Existenz von Filmen mit solchem Sujet verweist auf gesell- schaftliche Entwicklungen, die speziell zum Ende des 20. Jahrhunderts stattfinden. Gilt die These über Kino als Bewahrer der männlichen Hegemonie auch für diese Filme? Wie zwingend ist die Verknüpfung von Männlichkeitskonstruktion[123] und Macht? Geht es hier um "die Macht", die nur eine Gruppe haben kann, oder ist eine Art "demokratische" Geschlechterordnung vorstellbar? Muß habituelle Sicherheit zwingend eine Beibehal- tung einseitiger Machtverhältnisse bedeuteten, oder kann sie unter veränderten Bedin- gungen entstehen, die für beide Geschlechter positive Effekte haben[124] ?

1.2.2 Zu Untersuchung von Geschlechterkonstruktionen im Medium Film

Wie läßt sich das Medium Film in diesem Kontext analysieren, und wie sind filmische Männlichkeitskonstruktionen und deren Bewertung durch den Film im Film identifi- zierbar? Der fiktionale Film als kulturelles Produkt steht – auch allgemein, also nicht im Kontext einer Geschlechterfrage – in einem vergleichbaren Zusammenhang aus struktu- reller Vorgabe und aktiver Reproduktion, aus Tradition und Innovation, wie er für das individuelle doing gender hergeleitet wurde: Um verstanden zu werden, muß er sich zum einen auf kollektive Orientierungen, also bestehende und dem Publikum bekannte Sinnzusammenhänge beziehen. Das heißt auch, daß er unter Umständen deren Geltung und "Wahrheitsgehalt" reproduzieren würde. Zum anderen präsentiert er im Rahmen eines Spielraums Neues, hat ein "Anliegen", wandelt um, wertet neu – sonst wäre er nicht "spannend" und würde nicht rezipiert. Dieses kann in neuen Zusammenhängen, Ordnungen, Konzepten und Lösungen für Probleme und Konflikte sein, die in der Story aus einer realen Lebenswelt aufgenommen wurden. Eine Filmindustrie wie diejenige aus Hollywood hat eine ungleich höhere Reichweite, als individuelles doing gender oh- ne technisch-mediale Vermittlung jemals haben kann. Dadurch gehen von ihren Inhal- ten, ob Innovation oder Tradition, viel stärkere Impulse für den kulturellen Diskurs aus.

MEUSER ist den möglichen Formen des männlichen Habitus auf der Spur, indem er real existierende Männer in Gruppengesprächen befragt und deren Äußerungen abstrahiert. Die Tatsache, daß er Männer befragt, läßt ihn darauf schließen, daß deren Habitus ein "männlicher" ist[125]. Die Filminterpretation ist nicht so einfach. Die Geschlechterkon- struktionen eines Filmes lassen sich zwar nachzeichnen[126]. Ebenso wichtig sind aber deren Bewertungen durch den Film. Nur weil ein Film gängige Arrangements reprodu- ziert, muß er sie noch nicht gut heißen. Die Innovation des Films kann in einer Neube- wertung bestehen, die vom Zuschauer (– wahrscheinlich, wenn der Film gut ist –) "intu- itiv" verstanden wird. Eine als "Mann" identifizierbare Person muß nicht unbedingt das kulturelle Ideal bzw. die hier vom Film vorgenommene, als erstrebenswert konstruierte Geschlechterkonstruktion verkörpern. Woran ist erkennbar, daß ein Protagonist Leitbild für "Männlichkeit" ist? Eben nicht daran, daß er ein Mann ist, denn dann würde man mit dem, was man "intuitiv" verstanden hat, die Erörterung in der bewußten Diskursivie- rung beweisen wollen. Die Frage ist ja gerade, warum man den einen Protagonisten als männlich versteht, einen anderen aber nicht. Und welche Bewertung nimmt ein Film vor? Wie läßt sie sich identifizieren?

Auch hier bietet sich der Ansatz der geschlechtlichen bzw. männlichen habituellen Si- cherheit an. Wenn man annimmt, daß bei habitueller Sicherheit eines Individuums eine Übereinstimmung zwischen seinem Habitus und dem kulturellen Ideal seiner sozialen Umwelt besteht, verweist die filmische Inszenierung eines sicheren Habitus auf die a- däquaten Problembewältigunsstrategien unter den Lebensbedingungen. Inszeniert ein Film also habituelle Sicherheit, so stellt er dem Zuschauer adäquate Selbstrepräsentati- ons- und Problembewältigungsstrategien unter den in ihm inszenierten Lebensbedin- gungen vor.

Um ihnen auf die Spur zu kommen, müssen zunächst nachgezeichnet werden:

- die verschiedenen Arten von Habitus, die ein Film konstruiert, hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Handlungen, Selbstrepräsentations- und Problembewältigungs- strategien[127],
- die Lebensbedingungen, die ein Film inszeniert,
- diejenigen Lebensbedingungen, die sich verändern und deren Veränderung für habi- tuelle Verunsicherung besonders geeignet sind und
- die Strategien, mit denen die Akteure auf diese Veränderung / Bedrohung reagie- ren[128].

Dabei spielen nicht nur die Darstellungsmöglichkeiten der face-to-face-Interaktion eine Rolle, sondern auch die filmtechnischen und -ästhetischen[129]. Um diese spezifischen

[...]


[1] Nach Duden, Band 1, 17. Auflage, Mannheim/Wien/Zurich: 1973.

[2] Titel von Der Spiegel Nr. 36/2001, 2.9.2001.

[3] Titel von Focus Nr. 32/2002 (5.8.2002). Die Ausgabe widmet dem Thema ein Dossier von 11 Seiten.

[4] Lakotta, Beate; Petermann, Jurgen: Das Verletzliche Geschlecht, in: Der Spiegel Nr. 36/2001 (3.9.01), S. 90-94).

[5] Holzberg, Oskar (2001): Manner sind Schweine - arme Schweine, in: Brigitte Nr. 19/2001 (5.9.2001), S. 119-130, Dossier "Die Herren der Erschopfung".

[6] Schloemer, Andrea (2001): Zeit der Jagerinnen. Der Sex der Single-Frauen, in: Max Nr. 23/2001, S. 25-38.

[7] Vgl. Holzberg, Oskar (2001), S. 123.

[8] O. V. (2000): Manner und Frauen. Zahlen, Daten und Fakten aus Deutschland [Original erschienen in: IN-Press Basis-Info 3-2000], http://www.inter-nationes.de/d/frames/presse/basis/d/bi03-2000-d.htmI (25.8.02), S. 9.

[9] ebenda. Die hier genannten Zahlen erheben keinen Anspruch auf Vollstandigkeit, sondern sollen nur einen groben Eindruck der Problemlage vermitteln, die dieser Arbeit zugrunde liegt.

[10] Vgl. Briegleb, Till (2001): Extremistische Normalitat Die Bedrohung durch Amoklauf, Serienmord und Attentate versteckt sich gem in Biederkeit, in: Die Woche (5.10.2001), S. 36.

[11] So betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen im Jahr 1998 in Deutschland fur Manner 71.820 DM, fur Frauen aber nur 54.820 DM (vgl. o. V.: Manner und Frauen. Zahlen, Daten und Fakten aus Deutschland, http://www.inter-nationes.de/d/frames/presse/basis/d/bi03-2000-d.html (25.8.02), S. 7).

[12] Vgl. Traufetter, Gerald (2002): Zeugung ohne Manner, in: Der Spiegel Nr. 37/2002 (9.9.2002), S. 154-156.

[13] Meuser (1998): Geschlecht und Mannlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster, Opladen, S. 174ff. - vgl. dazu weitere Ausfuhrungen im Theorieteil der Arbeit.

[14] Vgl. Beck, Ulrich; Beck-Gernsheim, Elisabeth (Hgg.) (1994): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, Frankfurt a.M.

[15] Vgl. ebd.

[16] Vgl. Hradil, Stefan (1995): Die Single-Gesellschaft, Munchen.

[17] In diesem Zusammenhang durfen die Anschlage auf das World Trade Center und das Pentagon nicht unerwahnt bleiben (mutmaBliche Anschlage auf das WeiBe Haus und Camp David konnten verhindert werden), sowie der folgende "Krieg gegen den Terror" zuerst gegen Afghanistan und nun moglicherweise erneut gegen den Irak.

[18] Alle bestehenden Werke an dieser Stelle als Beleg erwahnen zu wollen, ware sinnlos, da unmoglich. Beispielhaft soll hier nur ein bemerkenswerter Aufsatz genannt werden: Cockburn und Omrod zeigen anhand des Planungs-, Produktions-, Marketing-, Verkaufs- und Benutzungsprozesses des Mikrowellen- herdes, wie Geschlechterkonstruktionen (re-)produziert werden. Anhand des Beispiels zeigen sie, wie technologische Kompetenz im Gegensatz zu sozialen und anderen Kompetenzen als hoherwertig und in einem zweiten Schritt als "mannlich" konstruiert wird (vgl. Cockburn, Cynthia; Ormrod, Susan (1997): Wie Geschlecht und Technologie in der sozialen Praxis "gemacht" werden, in: Dolling/Krais (1997) 2Hgg.), S. 17-47).

[19] Vgl. dazu den Theorieteil der Arbeit.

[20] Vgl. Foucault, Michel (1976): Sexualitat und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Frank­furt a.M.: Suhrkamp, S. 21.

[21] In diesem Zusammenhang muB auch auf die besondere Rolle hingewiesen werden, die Hollywood fur das Bild der USA, westliche Werte im allgemeinen und "Mannlichkeit" im besonderen hat. Edward Norton, Hauptdarsteller in Fight Club, ist sich daruber bewuBt, wie er im Interview auBert: "Die Woche: Besitzt das Kino die Kraft zu gesellschaftlichen Veranderungen? Norton: Davon bin ich uber- zeugt. In einer multikultureUen Welt sind die Mythen verschwunden und von kollektiv erlebten Filmen ersetzt worden." (Huschke, Roland (2001): Das Pin-up der Intelligenz. Hollywoodstar Edward Norton uber seine Arbeit mit Marlon Brando und Robert deNiro, Ikea-Scherze und die Frage nach dem Privatle- ben, in: Die Woche (10.8.2001), S. 35.)

[22] Hickethier, Knut (1993): Film- und Fernsehanalyse, 2., uberarb. Aufl., Stuttgart, S. 28.

[23] Der Theorieteil erhebt keinen Anspruch auf Vollstandigkeit in der Wiedergabe der Ansatze der Ge- schlechterforschung, sondern greift jene Ansatze auf, die m.E. fur die Entwicklung eines "Werkzeugs" zur Filmanalyse nutzlich sind.

[24] Vgl. Connell, Robert W. (1999): Der gemachte Mann. Konstruktionen und Krise von Mannlichkeiten, Opladen.

[25] Vgl. Meuser, Michael (1998): Geschlecht und Mannlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster, Opladen.

[26] Ziel dieser Arbeit ist es nicht, das Motiv der Krise in der Literatur uber Mannlichkeit zu diskutieren. Dieses Projekt hat Meuser (1998) bereits hinreichend bewaltigt.

[27] Andere Erkenntnisse aus soziologischer Literatur sollen, ebenfalls aus Platzgrunden, nur sparsam ange- fuhrt werden, wenn sie fur die Erklarung der abgeleiteten Handlungsmuster und ihrer Kontextualisierung dienen konnen. Sie werden nicht im Theorieteil aufgenommen, sondern im Zuge der Interpretationen bei Bedarf herangezogen.

[28] Die Szenenprotokolle sind an der Vorgehensweise orientiert, wie sie bei Korte (vgl. Korte, Helmut (1999): Einfuhrung in die systematische Filmanalyse, Berlin) und Faulstich (vgl. Faulstich, Werner (41994): Einfuhrung in die Filmanalyse, Tubingen) dargelegt sind. Alle genannten Materialien befinden sich im Anhang, des weiteren jeweils eine Zusammenstellung mit Basisinformationen uber die Filme.

[29] Hickethier, Knut (1993): S. 28.

[30] Ein Abbildungsverzeichnis befindet sich am SchluB dieses Bandes.

[31] Meuser (1998), S. 130. - Eine nahere Erlauterung des Begriffs erfolgt weiter unten.

[32] Michael Meuser ist Professor fur Soziologie an der Universitat Bremen. Seine Forschungen uber Mannlichkeit, besonders seine Habilitationsschrift "Geschlecht und Mannlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster" (Opladen 1998) kann als eine der wichtigsten Forschungsgrundlagen in diesem Bereich angesehen werden.

[33] Erving Goffman (Professor fur Soziologie in den USA) ist einer der weltweiten Pioniere im For- schungsbereich "Mannlichkeit" und bei der Untersuchung von deren medialer Konstruktion.

[34] Robert Connell, Professor fur Soziologie in Sydney, konzentriert sich in seinem Ansatz zum Ver- standnis von Mannlichkeit, einem Basiswerk, auf deren Verhaltnis zur Gesellschaftsordnung und deren Herrschaftsverhaltnisse.

[35] Diese sind mit Rucksicht auf den Umfang der Arbeit bewuBt knapp formuliert, im Wissen, daB die wissenschaftliche Tiefe dabei zu kurz kommen droht. Die Grundannahmen sollen nur als Basis fur die danach ausfuhrlicher erlauterten Theoriemodelle dienen, mit denen die Filme verglichen dann werden.

[36] Die Begriffe sind nicht hinreichend definiert. Gemeint sind hier jene Publikationen, die sich mit dem Phanomen des sozialen Geschlechts befassen. Dabei spielt es fur die vorliegende kulturwissenschaftlich angelegte Arbeit keine Rolle, aus welcher Disziplin (Sozialwissenschaft, Linguistik, Germanistik, Film-/Medienwissenschaften...) sie stammen.

[37] Untersuchungen uber Geschlechterphanomene wird vorgeworfen, die Kategorie "Geschlecht" selbst aufzugreifen und deren Zuschreibungen zu reproduzieren. Will man jedoch Geschlechterkonstruktionen nachvollziehen, wie in der vorliegenden Arbeit, so erscheint doch sinnvoll, den Unterscheidungen zu folgen, die man vorfindet - im BewuBtsein der genannten "Gefahr".

[38] Connell (1999), S. 92.

[39] Vgl. Meuser (1998), S. 76ff. und 89ff., Connell (1999), S. 248.

[40] Vgl. Badinter (1992), Brandes (2001), u.a. S. 45 u. 118, Meuser (1998), S. 300f.

[41] Goffman, Erving (1994): Interaktion und Geschlecht, Frankfurt a.M. / New York, S. 110.

[42] A.a.O., S. 111.

[43] Vgl. Butler (1988), dies., (1991), dies., (1997).

[44] Das bedeutet aber nicht, daB Lebensbedingungen, wie sie z.B. der Korper stellt, weniger bindend wa- ren. Butler schreibt dazu, es sei ihr wichtig, "in Erinnerung zu behalten, dafi eine Erorterung des Biologi­schen und des Materiellen als fundierende Kategorien nicht dasselbe ist, wie sie als deskriptive Bereiche oder Gegenstande der Untersuchung nutzlos zu machen" (Butler (1997), S. 9f). Fur die vorliegende Arbeit bleibt diese Diskussion, wie weit der EinfluB der kulturellen Konstruktionen von Wirklichkeit geht, jedoch ein Randthema. Festzuhalten bleibt, daB sie von groBer Bedeutung sind.

[45] Meuser (1998), 63.

[46] u.a. Meuser (1998), S. 64.

[47] Vgl. Garfinkel (1967), S. 116ff.

[48] Goffman zieht deshalb den SchluB: "Nicht die sozialen Konsequenzen der angeborenen Geschlechts- unterschiede bedurfen also einer Erklarung, sondern vielmehr wie diese Unterschiede als Garanten fur unsere sozialen Arrangements geltend gemacht wurden (und werden) und, mehr noch, wie die institutio- nellen Mechanismen der Gesellschaft sicherstellen konnten, daft uns diese Erklarungen stichhaltig er- scheinen." (Goffman (1994), S. 107.)

[49] Connell (1999), S. 91.

[50] Vgl. Goffman (1994), S. 51ff.

[51] Vgl. Jansen, Stefan (1999): Erkenntnis - Konstruktivismus - Systemtheorie. Einfuhrung in die Philo- sophie der konstruktivistischen Wissenschaft, Opladen, S. 161.

[52] Vgl. Butler (1988).

[53] Dazu zahlen z. B. gesprochene Sprache in Text und Performanz, Gestik, Mimik, Kleidung, Make-up usw.

[54] So setzt beispielsweise Muhlen-Achs (1998) in ihrer Untersuchung "Geschlecht bewuBt gemacht. Korpersprachliche Inszenierungen" bei der Korpersprache an, um dem alltaglichen doing gender auf die Spur zu kommen.

[55] Mentges u.a. (2000) untersuchen die Verwendung von materiellen Dingen fur das doing gender. Auch Lifestyle- und Trenduntersuchungen, die den Konsumstil von bestimmten Personengruppen in Hinblick auf deren Verwendung als Bedeutungstrager untersuchen, verwenden diesen Ansatz.

[56] Wittgenstein hat gezeigt, daB es unmoglich ist, "hinter" die Bedeutung der Sprache zu schauen, d. h. die Bedeutung von Zeichen so weit zuruckzuverfolgen, daB man absolut sicher sein kann, daB zwei Kommunizierende wirklich das Selbe meinen (Vgl. Wittgenstein (1968)).

[57] Vgl. Connell (1999), S. 92-93.

[58] Vgl. Burmann (2000), S. 141ff.

[59] Goffman (1994), S. 111.

[60] Burmann (2000), S. 142.

[61] Ebd.

[62] Ebd.

[63] Ebd.

[64] Diese Leitbilder konnen auch Aussagen uber das Verhaltnis von Leitbild und individueller Abgrenzung von ihm machen: Wenn das Individuality als Leitbild konstruiert ist, fordert das Leitbild die permanente Abgrenzung von sich etablierenden Leitbildern.

[65] Vgl. Goffman (1981), Zurstiege (1998), S. 36.

[66] Vgl. Meuser (1998), S. 107.

[67] Vgl. Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M., S. 277-354 und Bourdieu (1979): Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologi- schen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a.M., S. 166ff.

[68] Vgl. Meuser (1998), S. 112ff.

[69] Bourdieu (1979), S. 169.

[70] Bourdieu (1987), S. 728.

[71] Vgl. Meuser (1998), S. 109.

[72] A.a.O., S. 113.

[73] A.a.O., S. 119.

[74] A.a.O., S. 120.

[75] A.a.O., S. 119.

[76] Ebd.

[77] Meuser (1998), S. 296.

[78] A.a.O., S. 119.

[79] Ebd.

[80] Meuser (1998), S. 174ff.

[81] A.a.O., S. 119 und S. 119 Fn. 120.

[82] Am Beispiel der Situation eines Transsexuellen wird der Zusammenhang deutlich: Sie mussen sich den Habitus des angestrebten Geschlechts zuerst "in muhsamen Lernprozessen intentional aneignen und dann als Angeeignetes wieder vergessen" ( Meuser (1998), S. 118).

[83] Hirschauer (1993), S. 60.

[84] Ebd.

[85] Meuser (1998), S. 120.

[86] A.a.O., S. 130.

[87] Krisenhaft kann dies insbesondere dann sein, wenn Mannlichkeit als eine bestimmte Stellung in der Gesellschaft konstruiert ist, wie im nachsten Abschnitt erlautert werden wird.

[88] Connell untersucht deshalb unter anderem Manner in der Umweltschutzbewegung. Diese stehen unter besonderem Druck von feministisch eingestellten Frauen, die ihre Mannlichkeitskonstruktion angreifen. Er fragt dann, mit welcher neuen Geschlechterkonstruktion die betroffenen Manner reagieren. (Connell (1999), S. 143-161.)

[89] Dieses wird durch die Veranlagung der abendlandischen Mannlichkeitskonstruktion begunstigt: BRAN- des stellt fest, daB Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle zentrale Regulationsmechanismen der mannli- chen Sexualitat seien (vgl. Brandes (2001), S. 105).

[90] Meuser (1998), S. 300.

[91] A.a.O., S. 300.

[92] Brandes weist dies mit seiner praktischen Erfahrung als Psychotherapeut fur Manner nach. Vgl. Brandes (2001), S. 45.

[93] Meusers zentrale Fragestellungen zielen darauf ab, in welchen Milieus und Generationen, und dort in welchen Lebensbereichen eine Veranderung der strukturellen "Anwendungsbedingungen" fur mannliches

doing gender auftritt und mit welchen Strategien die Akteure reagieren, um habituelle Sicherheit auf- rechtzuerhalten (Vgl. Meuser (1998), S. 120).

[94] Meuser, (1998), S. 103.

[95] A.a.O., S. 117.

[96] Dies zeigt eine lange Reihe von Autoren. Beispielsweise: vgl. Honegger (1991), Meuser (2001), S. 223. Zur historischen Genese dieser Ordnung vgl. Laqueur, Thomas (1992): Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt a.M./New York.

[97] Meuser (1998), S. 117.

[98] "Die Mannigfaltigkeit der Geschlechterordnungen wird nun ersetzt durch eine zunehmend gleichge- schaltete und sichtbar werdende globale Geschlechterordnung. Westliche Geschlechterarangements sind in diesem System hegemonial." (Connell (1999), S. 220.)

[99] Vgl. Connell (1999).

[100] Connell hat den Hegemoniebegriff von Gramsci ubernommen (vgl. Gramsci, Antonio (1987): Gedanken zur Kultur, Koln.).

[101] Connell (1999), S. 94ff.

[102] Eine Aufstellung in dieser Kurze findet ich bei Doge, Peter (1999): Abschied vom machtigen Mann, in: Freitag, 3.12.1999.

[103] Meuser (1998), S. 118.

[104] A.a.O., S. 119.

[105] Connell (1999), S. 100.

[106] Tillner/Kaltenegger (1995), S. 2.

[107] Connell merkt an, daB eine Erschutterung der Legitimation nicht zwangslaufig zur Anderung der Herrschaftsverhaltnisse fuhren muB. Sie kann auch eine Reaktion der herrschenden Gruppe provozieren, die die Verhaltnisse stabiler etabliert. (Connell (1999), S. 105.)

[108] Verweigerung der Zustimmung erkenne man andererseits an der Existenz von gewalttatigen Auseinander- setzungen (vgl. Connell (1999), S. 104f.).

[109] V. Braun formuliert daher die These, daB ein enger Zusammenhang zwischen der Veranderung der Geschlechterordnung und derjenigen der medialen Rahmenbedingungen bestehe. Dies belegt sie, indem sie die historische Genese der Medientechnologien uber die Zeitalter hinweg (so z.B. von der Entdeckung der Zentralperspektive uber die audiovisuellen Medien bis hin zur virtuellen Realitat) mit der Entwick- lung der erkenntnistheoretischen Konzepte in Beziehung setzt und auf dieser Basis auch einen Zusam­menhang mit der Entwicklung von Geschlechterarrangements vermutet (vgl. V. Braun (2000), S. 300/301).

[110] Angerer (1994), S. 10.

[111] Laura Mulvey nahert sich dem klassischen Hollywood-Erzahlkino aus feministischer Perspektive mit Hilfe der Psychoanalyse (vgl. Mulvey (1993)).

[112] Vgl. Kaltenecker, Siegfried (1996): Spiegelformen. Mannlichkeit und Differenz im Kino und Till­ner, Georg; Kaltenecker, Siegfried (1995): Offensichtlich mannlich. Zur aktuellen Kritik der heterose- xuellen Mannlichkeit.

[113] Vgl. Tillner/Kaltenecker (1995), S. 5.

[114] Kaltenecker (1997), S. 2.

[115] Mulvey sieht die Macht des Mediums Kino in der Identifikation: Sein spezifisches Mittel sei die unmerkliche Definitionsmacht uber den Blick, die dem Zuschauer eine bestimmte Sichtweise prasentiere, ohne daB er sich ausreichend distanzieren und eigene Positionen einnehmen konne. (Vgl. Mulvey (1993), S. 14-28.) Kaltenecker schlieBt daran an. So sei die Position der klassisch-mannlichen Helden- figur seit langem unverandert: "Im Besitz des allwissenden Blicks, als handlungsmachtiger Trager der Erzahlung und als herrschaftlicher Mafistab lustvoller Identifikation blieb sie im unhinterfragten Zentrum kinematografischen Geschehens." (Kaltenecker (1997), S. 2.)

[116] Kaltenecker (1997), S. 2.

[117] Tillner/Kaltenecker (1995), S. 4.

[118] Ebd.

[119] DaB auch "reale" Menschen Krisen in Form von habituellen Verunsicherungen haben, zeigt deren Konstruiertsein: Ein "wirklich naturliches" Individuum konnte keine Krisen haben, da sie das Problem der Nicht-Ubereinstimmung mit einem gesellschaftlichen Idealbild nicht hatte.

[120] Kaltenecker (1996), S. 276.

[121] Kaltenecker (1997), S. 3.

[122] Eine der Leitthesen der BauSteineMAnner, einer Gruppe kritischer Mannerforscher, ist der Zweifel

[123] an der Nutzlichkeit von mannlicher Hegemonie fur Manner selbst (Vgl. BauSteineMAnner (1996), S. 397f.)

[124] Kaltenecker (1998), S. 276.

[125] Daran konnte man kritisieren, daB Meuser mit dieser Vorgehensweise nicht uber die Kategorie "Mannlichkeit" hinauszublicken vermag.

[126] Dieses versuchen eine Reihe von Arbeiten, wie etwa Wenger (2000), Hackl/Prommer/Scherer (1996), Muhlen Achs (1998).

[127] Weitere Details wurden in den Abschnitten "1.1.3 Soziales Geschlecht als Habitus" und "1.1.4 Habituelle Sicherheit und Krise" genannt. Beim Aspekt der Selbstreprasentation ist die Representation des Korpers von groBer Bedeutung, zum einen, weil sich das Medium Film dazu gut eignet, zum anderen, weil die Bedeutung von Korperlichkeit steigt, je habituell unsicherer ein Individuum ist (vgl. Meuser (1998), S. 121).

[128] Vgl. Abschnitt 1.1.4.

[129] Die Untersuchung der filmsprachlichen Mittel soll in dieser Arbeit mit dem gangigen Instrumentarium erfolgen (vgl. Monaco (2000), Albrecht (1997), Korte (1999), Faulstich (1994), Faulstich (1995), Hickethier (1993)).

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Title
Männlicher Habitus und Krise im Hollywoodfilm der 90er Jahre: AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB. Eine medien- und kulturwissenschaftliche Analyse
College
University of Lüneburg  (Fach Kulturwissenschaften)
Author
Year
2002
Pages
212
Catalog Number
V8442
ISBN (eBook)
9783638154147
File size
2253 KB
Language
German
Keywords
Männlicher, Habitus, Krise, Hollywoodfilm, Jahre, AMERICAN, PSYCHO, AMERICAN, BEAUTY, FIGHT, CLUB, Eine, Analyse
Quote paper
Jörn Wendt (Author), 2002, Männlicher Habitus und Krise im Hollywoodfilm der 90er Jahre: AMERICAN PSYCHO, AMERICAN BEAUTY und FIGHT CLUB. Eine medien- und kulturwissenschaftliche Analyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8442

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