Die Reduktion von Vulnerabilität als Strategie im Umgang mit den Auswirkungen des Entscheidungsrisikos Klimawandel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

42 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Entscheiden unter Unsicherheit und Risiko
B. I. Klimawandel als Entscheidungsrisiko
B. II. Objektivierender versus reflexiver Zugriff

C. Vulnerabilität und Klimawandel
C. I. Vulnerabilität als dynamische Systemeigenschaft
C. II. Vulnerabilität sozialer Systeme in Bezug auf Klimawandel

D. Anpassung als Strategie der Reduktion von Vulnerabilität

E. Schlussbetrachtung und Ausblick

Abkürzungsverzeichnis

Bibliographie

Anhang

Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Paulus 13, 1

A. Einleitung

Bereits in der Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als die wachsenden ökologischen Probleme offenkundig und auch öffentlich diskutiert, aber von der erst später einsetzenden und insbesondere durch die Massenmedien forcierten Globalperzeption noch weit entfernt waren, warf Niklas Luhmann die Frage auf, ob die moderne Gesellschaft in der Lage sei, sich auf die ökologische Gefährdung einzustellen.[1] Nur zwei Jahrzehnte danach wird offenbar, dass die Gesellschaft in zunehmendem Maße durch die „Effekte rückbetroffen [ist], die sie in ihrer Umwelt selbst ausgelöst hat.“[2] Mit anderen Worten: „Es ist das Eingriffs- und Transformationspotential des Menschen ihm selbst zum Hindernis, zum Problem geworden.“[3] Demnach darf die Frage nicht mehr lauten, ob die Gesellschaft sich auf ökologische Probleme einstellen kann (sie muss es einfach), sondern schlichtweg wie sie es tut.[4]

Der Frage nachzugehen, wie die Gesellschaft als soziales System auf eine, die Systemstabilität bedrohende, ökologische Krise reagieren kann, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. In diesem Kontext wird sich die Untersuchung auf das augenscheinlich öffentlichkeitswirksamste aller ökologischen Probleme fokussieren, den vornehmlich durch die Dominanz der fossilen Energieerzeugung verursachten und damit zum großen Teil anthropogenen Klimawandel, der unseren Planeten erfasst hat. Dass der Klimawandel inzwischen als scheinbar objektive Tatsache den ökologischen Diskurs beherrscht, ist offensichtlich, wenngleich es sich immer noch um ein mit Unsicherheit behaftetes Phänomen handelt, das sich, trotz enormer Fortschritte insbesondere der Naturwissenschaften, wegen seines hohen Grades an Komplexität niemals bis ins letzte Detail wird fassen lassen.

Eben diese Fortschritte in den Naturwissenschaften generierten jedoch einen entscheidenden Nachteil in der Problemperzeption und Lösungssuche. Ihre jahrelange Dominanz reduzierte den Klimawandel zuvorderst auf ein vorrangig technologisch zu behandelndes und lösendes Problem, wodurch die viel tiefer liegenden Ursachen und Wirkungen dieser Krise aus dem Blick gerieten. Der Klimawandel darf jedoch keinesfalls nur als eine (exogene) Störung der Natur begriffen und behandelt werden, denn gestört ist nicht die Natur als solche, sondern unser gesellschaftliches Verhältnis zu ihr.[5] Letztendlich ist ‚Natur’ eine menschliche Konstruktion und selbst die scheinbar so objektivistischen Naturwissenschaften sind nur unsere Art über ‚Natur’ zu kommunizieren. Insofern versteht sich diese Hausarbeit vordergründig dieser Kritik verbunden, woraus die Eingangsthese resultieren soll, dass selbst bei hinreichend naturwissenschaftlicher Kenntnis der Dynamik und Folgen des Klimawandels, die Frage nach den adäquaten Antwortstrategien noch längst nicht entschieden wäre. Im Rekurs darauf ist festzuhalten, dass es sich beim anthropogenen Klimawandel um ein Problem handelt, welches hinsichtlich seiner Entstehung und vor allem in Bezug auf seine Auswirkungen nur im Konnex aus Natur- und Sozialwissenschaften zu begreifen und zu behandeln ist. Die Konsequenz muss sein, die immer noch vorherrschende Dominanz der Naturwissenschaften zu reduzieren, ohne ihre Leistungen zu negieren und insbesondere den politischen Entscheidungsfindungsprozess um einen dezidiert sozialwissenschaftlichen Zugang zu erweitern. Als realpolitische Auswirkung dieser Dominanz muss die immer noch weit verbreitete Meinung gelten, dass dem Problem Klimawandel vornehmlich durch die Reduktion der so genannten Treibhausgase – allen voran dem Kohlendioxid – am besten beizukommen sei. Doch so sehr es natürlich auch Anliegen sein muss, diese Präventions- oder auch Mitigationsbemühungen zu fördern, kann doch kein Zweifel darin bestehen, dass sie für die heute lebenden und unmittelbar nachfolgenden Generationen nur wenig Auswirkungen haben werden.[6]

In diesem Sinne, soll mit der Strategie der Reduktion von Vulnerabilität sozialer Systeme gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels, der Prävention/Mitigation eine Alternative gegenübergestellt werden, die insbesondere angesichts der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Implementierung des Kyoto-Protokolls und der Ungewissheit über dessen Fortsetzung nach 2012, als fruchtbarer erscheint. Dabei wird die Reduktion von Vulnerabilität, also der Verletzlichkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels, nicht nur vor dem Hintergrund kaum zu erwartender, schneller Mitigationserfolge empfohlen. Sie verspricht gerade in Bezug auf die nach wie vor große Unsicherheit über Eintrittszeitraum, Intensität und räumliche Verteilung der Auswirkungen eine Erfolg versprechende Strategie zu sein. Weil also alle politischen Entscheidungen zur Reduktion des Klimawandels (Prävention/Mitigation) oder seiner Auswirkungen (Vulnerabilitätsansatz) unter hoher Unsicherheit und damit hohen Entscheidungslasten zu treffen sind, bedeutet dies für die Politik vor allem eines: Die Übernahme von Risiken.[7] Insofern wurde als analytischer Ausgangspunkt dieser Arbeit eine entscheidungsorientierte, risikosoziologische Perspektive gewählt, deren Herleitung Gegenstand des zweiten Abschnitts ist (B). Hier wird zu klären sein, welche Konzepte für das Entscheiden unter Unsicherheit und Risiko entwickelt wurden, wie auch der Risikobegriff einer Präzisierung im Zusammenhang mit Klimawandel zu unterziehen ist. Darüber hinaus wird auf die Problematik des Verhältnisses von Natur- und Sozialwissenschaften in der Problembearbeitung eingegangen, weil gerade hierdurch die Dominanz der Mitigation in der Politik determiniert worden ist. Im dritten Teil (C) soll zunächst aus systemtheoretischer Sicht die Vulnerabilität als die dynamische Systemeigenschaft beschrieben werden, welche letztendlich darüber entscheidet, inwieweit die (autopoietische) Selbstorganisation des Systems durch Umweltänderungen negativ betroffen ist. Daran wird sich die Übertragung der Ergebnisse auf den Klimawandel anschließen, wobei der Vorschlag unterbreitet werden soll, zum Zwecke der Mehrebenenanalyse von Vulnerabilität sozialer Systeme, auf das Differenzierungs-paradigma von Niklas Luhmann zurückzugreifen. Hierdurch können – so die Behauptung – Vulnerabilität und ihre Ursachen leichter überblickt und eingeordnet sowie entsprechende Gegenmaßnahmen in Angriff genommen werden. Welche solcher Maßnahmen schließlich möglich sind, um Vulnerabilität zu senken, versucht der letzte Teil dieser Hausarbeit zu skizzieren (D). Die vorliegende Untersuchung versteht sich als theoretisch, wodurch gewisse Abstraktionen nicht zu vermeiden sind. Es soll nicht darauf ankommen, die zahllosen und materialreichen empirischen Analysen von Vulnerabilität zu erweitern, wenn auch diese Arbeit selbstverständlich nicht auf Beispiele verzichten kann. Das Ziel besteht vor allem darin, zu zeigen, dass die Reduktion von Vulnerabilität der Mitigation als Strategie gleichgestellt werden soll, weil einerseits der Klimawandel im Gange und nicht mehr aufzuhalten ist und weil andererseits die Senkung von Vulnerabilität helfen kann, das Risiko fehlerhafter Entscheidungen aufgrund bestehender Unsicherheit zu reduzieren.

B. Entscheiden unter Unsicherheit und Risiko

B. I. Klimawandel als Entscheidungsrisiko

Wer die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Risikothematik reflektiert, stößt – unweigerlich – auf (mikro-)ökonomische ‚Rational-Choice’-Ansätze und vor allem auf die Dissertation Risk, uncertainty and profit, die Frank Knight 1916 zum Ausgangspunkt seiner ökonomischen Theorie machte.[8] Knights dichotome Unterscheidung von aufgrund mangelndem Erfahrungswissen nicht zweckrational zu kalkulierenden uncertainties und zumindest einigermaßen probabilistisch fassbaren risks, stellte sich den damals wie heute in den Wirtschaftswissenschaften virulenten und in der Konstruktion eines homo oeconomicus kulminierenden Vorstellungen von Risikokalkulation unter vollkommener Gewissheit entgegen. Obwohl Knights Kritik, dass sowohl ökonomischer Profit, als auch gesellschaftlicher Fortschritt mit der Kategorie des kalkulierbaren Risikos nicht zu fassen und nur mit Unsicherheit zu beschreiben sind,[9] vom wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream weitgehend unreflektiert abprallte, wurde seine Risikodefinition zur Grundlage der ab der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entstehenden Risikoforschung.[10]

Wenngleich eine Entscheidungssituation unter Sicherheit nie empirisch gedeckt war, entstand in Verbindung mit dem Auftreten gravierender technischer Katastrophen vor allem in den 1960er und 70er Jahren eine Risikoforschung, die überwiegend von technisch-probabilistischen Zugängen dominiert wurde und weiterhin von einem Menschenbild ausging, das auf dem Konstrukt rationaler Entscheidungen aufgrund überwiegend stabiler und berechenbarer Präferenzen basierte.[11] Diese, im angelsächsischen Sprachraum als Risk-Assessment bezeichneten, Ansätze unternahmen den ambitionierten Versuch, wahrgenommene Problemlagen im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Bilanz ‚objektiv’ zu beherrschen. Handlungsleitend war eine dezidiert technisch-naturwissenschaftliche Herangehensweise, die von einer prinzipiellen Berechen- und Beherrschbarkeit technischer Risiken ausging, deren gesellschaftliche Akzeptanz implizit unterstellte und von einem deutlich spürbaren Steuerungsoptimismus und Technikglauben begleitet wurde.[12] Die Annahme eines solchen „Risiko-Nutzen-Entscheidungsalgorithmus“[13] erhielt jedoch spätestens durch die seit den 70er Jahren kontrovers geführte Kernenergiedebatte erste Brüche, die sukzessive zu einer Fundamentalkritik gegenüber der Prämisse von der generellen Objektivierbarkeit von Risiken erweitert wurde. Erst infolge dieser Kritik fächerte sich das Forschungsfeld auf und erhielt zunehmend seinen interdisziplinären Charakter, der die Diskussion seit etwa dem Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts bis heute prägt.

Zunächst versuchten psychologisch-kognitive Ansätze das enge Menschenbild der technisch-probabilistischen Zugänge zu erweitern, indem bei der Risikowahrnehmung und -bewertung auf eine Differenz von objektiv entscheidenden Experten und subjektiv entscheidenden Laien abgestellt wurde. Aufgrund der empirischen Ergebnisse der psychologischen Risikoforschung erschien jedoch ein solch einheitliches Risikomaß immer fragwürdiger, so dass versucht wurde, Risikoeinstellungen in Abhängigkeit von sozialen Indikatoren zu identifizieren. So konnte erkannt werden, dass Menschen ihre handlungsleitenden Präferenzen häufig erst dann entdecken, wenn bereits gehandelt wurde. Insofern scheinen Entscheidungen weniger auf der Grundlage objektiver Information, sondern im Kontext von Deutungsmustern, die mit denen anderer Individuen übereinstimmen können, kalkuliert zu werden. Mit der Vermutung, dass jedes Individuum letztlich Information nur dann annimmt, wenn diese möglichst widerspruchsfrei in solche Deutungsmuster einzufügen ist, wurde in zunehmendem Maße genau die Risikokonzeption infrage gestellt, die von den technisch-probabilistischen Ansätzen übernommen wurde, jedoch ohne sich vollends von dieser zu lösen.[14]

Erst die in den 1980er Jahren entstandenen kulturell-soziologischen Ansätze verwiesen auf den sozialen, kulturellen und historischen Kontext des Risikoverhaltens und der Risikoforschung selbst, was zumeist zu einer grundsätzlichen Infragestellung der Berechenbarkeit der Welt im Allgemeinen und von Risiken im Besonderen führte.[15] Hauptsächlich die soziologischen Risikotheorien bieten für die Erfassung des Klimawandels als einer gesellschaftlichen Krise entscheidende Ansätze und unterscheiden sich damit fundamental von den vorher beschriebenen Zugängen, welche die Risikoproblematik tendenziell eher als Modus der Informationsaufnahme und -verarbeitung begreifen. Unsicherheit und Risiko werden als Kern der Gesellschaftsanalyse angesehen, mit unterschiedlichen Ausgangspunkten und Ergebnissen. Während Ulrich Becks phänomenologische Beschreibung der Risikogesellschaft letzten Endes in einem Risiko-Objektivismus mündet, weil er von einer für die Moderne typischen und damit strukturellen Unsicherheit ausgeht und die klassischen Verteilungskonflikte durch solche der klassenunabhängigen Risikoverteilung verdrängt sieht,[16] verortet der handlungstheoretische Ansatz von François Ewald im Risiko selbst einen neuen Gesellschaftsbezug.[17] Obwohl beide Ansätze – vor allem aber der von Beck – die Diskussion bereicherten, erscheinen Sie gerade für das Problem des Klimawandels nicht geeignet. Ist Becks Sicht des Risikos eine ontologische, begrifflich zu ungenau und entzieht sich durch den hohen Grad an Objektivismus individuellen Wahrnehmungs- und Bewertungsmustern, spitzt Ewald das Problem mit seiner Lobpreisung der Versicherung und des Wohlfahrtsstaates auf Berechen- und Versicherbarkeit[18] zu, dem ein die Gestaltbarkeit der Zukunft überbewertender Steuerungsoptimismus innewohnt.

Gerade weil nachfolgend aber von einer Erosion des Berechenbarkeitsglaubens[19] ausgegangen wird und Risiken nicht in irgendeinem Sinne mit ‚objektiven’ Gefahren gleichgesetzt werden sollen, wird, Niklas Luhmann folgend, Risiko demnach mit ungewissen Entscheidungsfolgen assoziiert. Luhmann rekonstruiert dabei Risiko als ein Phänomen mehrfacher Kontingenz, das dem (System-)Beobachter immer verschiedene Perspektiven bietet. Mit anderen Worten: Kontingenz steht für die jeweils auch anderen möglichen Entscheidungen inklusive der dann auch anders möglichen Entscheidungsfolgen.[20] Dies bedeutet, dass Kontingenz all das ausschließt, was unmöglich und notwendig ist, es erfolgt also eine Entscheidungsselektion aus dem Möglichen und Nicht-Notwendigen, mit der Konsequenz, dass „jeder Selektion (Handlung/Entscheidung) der Schatten anderer Möglichkeiten“[21] folgt. Insofern gibt es anders als im Duktus der ‚Rational-Choice’-Ansätze keine ‚richtigen’ oder ‚falschen’ Entscheidungen, jeder Entscheidung folgt Risiko, alle Entscheidungen sind riskant. Es gibt demzufolge kein risikofreies Verhalten und keine Sicherheit beim Entscheiden. Wahrscheinlichkeits-kalkulationen sind daher stets nur Entscheidungshilfen, selbst das Nichtentscheiden ist eine Entscheidung und somit ebenfalls risikobehaftet.[22] Ob eine Entscheidung ‚richtig’ oder ‚falsch’ war, lässt sich nur im Nachhinein feststellen und ist beobachterabhängig und damit subjektiv. Mithin hängt davon auch ab, wie das Risiko selbst eingeschätzt wird: „Es gehört […] zur Riskanz des Risikos, dass die Einschätzung mit der Zeit variiert“.[23]

Weiterhin wird von Luhmanns Grundannahme ausgegangen, dass mit der Entwicklung der Moderne die Komplexität der Gesellschaft derart gesteigert wurde, dass sich das System Gesellschaft zum Ziele der Komplexitätsreduktion in Teilsysteme mit je spezifischen, nicht von anderen Teilsystemen oder dem Gesellschaftssystem selbst zu übernehmenden Funktionen ausdifferenziert hat. Insofern produziert jedes gesellschaftliche Teil- bzw. Funktionssystem eigene Entscheidungen und damit Risiken, ‚Risiko’ ist also eine spezifisch systemintern kommunizierte Konstruktion. Jedes Funktionssystem kann aber durch seine Entscheidungen riskante Entwicklungsoptionen für andere Systeme oder das Gesellschaftssystem selbst schaffen. Dementsprechend kennzeichnet die moderne Gesellschaft nicht nur einen Zuwachs an Entscheidungsoptionen und damit auch an Risiko durch, möglicherweise erst ex post feststellbare, Fehlentscheidungen, es ist auch zunehmend ein Auseinanderfallen von Entscheidung und Betroffenheit, resp. Entscheidern und Betroffenen feststellbar. Dies lässt sich insbesondere an ökologischen Gefährdungen wie dem Klimawandel festmachen. Betrafen vor den ökologischen Bedrohungen Risiken im Großen und Ganzen die Entscheider selbst, stellt sich der Sachverhalt nun häufig anders dar. Die Kategorien der Entscheider, der (negativ) Betroffenen und auch der Nutznießer können weit auseinander fallen, müssen es aber nicht.[24] Stimmen Entscheidung und Betroffenheit nicht überein, transformiert sich in der konstruktivistischen Sicht Luhmanns das Risiko der Entscheidung in eine Gefahr der Betroffenheit.[25] Übertragen wir diese Überlegungen auf das Phänomen Klimawandel, so ist zunächst ableitbar, dass es sich um kein objektiv zu behandelndes Problem mehr handelt, sondern um Folgen vieler Entscheidungen. Ob diese Entscheidungen als ‚falsch’ oder ‚richtig’ eingeschätzt werden, unterliegt zeitlicher Veränderung und ist systemabhängig. Für die soziale Weltordnung schafft der Klimawandel ein unauflöslich prekäres Problem: Vor allem die Industrieländer des Nordens sind für die Verschmutzung der Atmosphäre verantwortlich, vornehmlich eine Konsequenz der Entscheidung für die fossile Energieerzeugung. Diese Entscheidung haben die Entwicklungsländer in viel geringerem Maße zu verantworten, betroffen sind sie dennoch und wahrscheinlich viel stärker.[26] Für sie transformiert sich das Risiko der Industriestaaten in eine Gefahr der Betroffenheit. Insofern ist der Klimawandel Folge riskanter Entscheidungen, die wiederum risikobehaftete Entscheidungen induzieren. Dementsprechend wird Klimawandel vor allem als eine Möglichkeit angesehen, im Umgang mit ihm die falsche Entscheidung zu treffen.

B. II. Objektivierender versus reflexiver Zugriff

Wie gezeigt worden ist, stellt sich der Klimawandel vor allem als ein Entscheidungsproblem unter hoher Unsicherheit dar. Das Risiko besteht also darin, möglicherweise falsch entschieden zu haben, sich möglicherweise weiterhin falsch zu entscheiden. Vor allem für das politische System bedeutet dies, dass Entscheidungsträger dem Dilemma ausgesetzt sind, auf Basis unzureichenden Wissens regulierende Maßnahmen zu treffen, die sich später eventuell als falsch, weil nicht ausreichend oder überzogen, herausstellen können.[27] Andererseits kann die Entscheidung nicht zu entscheiden sich als ebenfalls falsch herausstellen, ein unauflösliches Kontrolldilemma: „When change is easy, the need for it cannot be foreseen; when the need for change is apparent, change has become expensive, difficult and time consuming.“[28] Neben den höheren Kosten einer verspätet getroffenen Entscheidung, besteht auch die Gefahr, dass ein irreversibler Systemschaden eintreten kann. Zumindest was den Umgang des politischen Systems mit Klimawandel betrifft, kann demnach Georg Krückens These gefolgt werden, nach der die Zukunft zunehmend in Form des Risikos gegenwärtiger Entscheidungen erlebt wird.[29]

Die Notwendigkeit der Beachtung dieser erheblichen Unsicherheitskomponente im politischen Entscheidungsprozess ist evident, es bleibt die Frage nach der angemessenen Strategie im Umgang mit ihr. Letztendlich lassen sich zwei Primärstrategien zur Beantwortung von Umweltänderungen wie dem Klimawandel identifizieren, die ihren Ursprung in unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Ansätzen haben und in das politische System diffundierten. Dabei handelt es sich einerseits um die Strategien der Mitigation/Prävention und andererseits um die der Senkung von Vulnerabilität durch Anpassung. Der vor allem in den USA geführte Streit zwischen den Anhängern beider Paradigmen geht bis in die frühen 1980er Jahre zurück, hat unterdessen allerdings deutlich an Intensität und Zuspitzung verloren. Ursprünglich waren die Anhänger der Mitigation/Prävention von der Gefahr des anthropogenen Klimawandels derart überzeugt, dass sie sich strikt gegen weitere Umwelteingriffe stellten. Demgegenüber standen die Befürworter adaptiver Strategien, sei es weil sie vom Erfolg der Präventionsmaßnahmen angesichts der bereits vorhandenen und weiter fortschreitenden Umweltveränderungen nicht überzeugt waren (Fatalisten) oder weil sie adaptive Maßnahmen mit neuen Entwicklungsmöglichkeiten und Chancen verbanden.[30] Diese beiden Extrempositionen können also als die beiden Endpunkte eines Strategiekontinuums begriffen werden, wenngleich die Anhänger der dann jeweils idealtypischen Ausprägungen nie so zahlreich waren wie die von Mischformen mit unterschiedlicher Gewichtung. Dennoch lässt sich herausarbeiten, dass bis heute eher NaturwissenschaftlerInnen über den Weg der Mitigation/Prävention einen Erfolg versprechenden Ansatz zur Begegnung des Klimawandels sehen und adaptive Maßnahmen vornehmlich als flankierend, nicht jedoch als Alternative betrachten,[31] während aus dem Bereich der Sozialwissenschaften vor allem die Vulnerabilitätsreduktion durch Anpassung im Vordergrund steht und Präventions-maßnahmen als zusätzliche, in ihrer Wirkung aber eher langfristig spürbare Unterstützung betrachtet werden.[32]

[...]


[1] Auf der Jahresversammlung der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften am 15. Mai 1985. Vgl. RWAkW 1985. Eine stark erweiterte Version wurde 1986 unter dem Titel Ökologische Kommunikation publiziert, aus deren vierter Auflage im Folgenden zitiert wird. Vgl. Luhmann 1986 und 2004.

[2] Luhmann 2004, S. 11.

[3] Görg 2003, S. 9.

[4] Vgl. ebd., S. 12.

[5] Vgl. dazu vor allem Becker/Jahn 1987, die mit ihrem kritisch theoretischen Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse (resp. der sozialen Ökologie) die Diskussion bereicherten sowie Becker et al. 1991, hier insb. die vier Thesen (S. 486). Daran anschließend: Oels et al. 2001 und wesentlich erweiternd: Goerg 2003.

[6] Vgl. Becker et al. 1991, S. 485, Wuebbles/Rosenberg 1998, S. 66 f., Schneider/Sarukhan 2001, S. 89 und Friedlingstein/Solomon 2005, die errechneten, dass selbst bei einem sofortigen Stopp aller Emissionen an Kohlendioxid die globale Durchschnittstemperatur noch jahrzehntelang steigen würde.

[7] Vgl. Krücken 1997, S. 14.

[8] Erstmals veröffentlicht 1921. Vgl. Knight 1964.

[9] Vgl. ebd., S. 347 f.

[10] Vgl. Buergin 1999, S. 5 f. und kritischer Luhmann 1991, S. 9, der Knights Unterscheidung tendenziell in den Rang eines Dogmas erhebt.

[11] Vgl. Buergin 1999, S. 11.

[12] Vgl. ebd., S. 9 ff. und Krücken 1990, S. 15 ff. Die Implikation gesellschaftlicher Risikoakzeptanz führte dazu, dass ein Exponent der Forschung meinte, selbst den ‚Nutzen’ von Menschenleben quantifizieren zu können. Vgl. Starr 1969.

[13] Krücken 1990, S. 16.

[14] Vgl. Japp 1996, S. 9 f. und Buergin 1999, S. 11 f. Grundlegend zu kontextabhängigen Risikoentscheidungen: Clarke 1992.

[15] Die hier nicht weiter verfolgte Cultural Theory vertritt bis heute die These einer kulturellen Prägung der Risikowahrnehmung und identifiziert spezifische kulturelle Typen, die sich durch ein charakteristisches Risikoverhalten auszeichnen. Vgl. Buergin 1999, S. 15 f., Japp 1996 und insbesondere den Überblick bei Thompson et al. 1990 und Thompson/Rayner 1999.

[16] Vgl. Beck 1986 und die Kritik bei Krücken 1997, S. 29 f. sowie Buergin 1999, S. 16.

[17] Vgl. Ewald 1993, der die Behandlung von Risiko als eine der „großen geistigen Leistungen des Okzidents“ begreift, die letztendlich in der Etablierung der Versicherung als sozialer Institution ihren Höhepunkt findet und als Konsequenz zu einer Steigerung der Handlungsoptionen führt. In dieser Tradition steht die Fortführung der Diskussion durch Wolfgang Bonß (Vgl. ders. 1995).

[18] Und gehört damit zu den Ausnahmen innerhalb der soziologischen Risikoforschung.

[19] Im Sinne Max Webers. Vgl. ders. 1973, S. 317.

[20] Vgl. Luhmann 1991, S. 25 ff. und weiterführend Japp 1996, S. 20 ff.

[21] Japp 1996, S. 26.

[22] Vgl. Luhmann 1991, S. 37.

[23] Luhmann 1991, S. 51.

[24] Vgl. ebd., S. 115 ff.

[25] Was natürlich nicht bedeutet, dass nicht auch Entscheider betroffen sein können.

[26] Smit/Pilofosova 2001, S. 935.

[27] Vgl. Krücken 1997, S. 131 f.

[28] Collingridge 1980, S. 11.

[29] Vgl. Krücken 1997, S. 38.

[30] Thompson/Rayner 1998, S. 293 f.

[31] Vgl. beispielsweise Schneider 1989, insbesondere S.238 ff.

[32] Lediglich einige Ökonomen erteilten aufgrund wirtschaftlicher Bedenken Präventionsmaßnahmen eine klare Absage und empfahlen die Konzentration auf Adaption. Vgl. vor allem Schelling 1990.

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Die Reduktion von Vulnerabilität als Strategie im Umgang mit den Auswirkungen des Entscheidungsrisikos Klimawandel
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften)
Veranstaltung
„Klimapolitik im Mehrebenensystem“
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
42
Katalognummer
V84439
ISBN (eBook)
9783638007764
Dateigröße
715 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reduktion, Vulnerabilität, Strategie, Umgang, Auswirkungen, Entscheidungsrisikos, Klimawandel, Mehrebenensystem“
Arbeit zitieren
Kai Posmik (Autor:in), 2006, Die Reduktion von Vulnerabilität als Strategie im Umgang mit den Auswirkungen des Entscheidungsrisikos Klimawandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84439

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