Stellen vielleicht die vom Pardoner vorgebrachten, detailgetreu und in akribischer Kausalität geschilderten eigenen Sünden in ihrer perfekten Grellheit ein Ablenkungsmanöver dar? Die Entrüstung heischenden Schilderungen seiner Habsucht, die keine Grenzen und Skrupel kennt – sie scheinen so bunt, so unzweifelhaft lasterhaft, dass sich die Vermutung aufdrängt, der Pardoner wolle eine ihm selbst und auch im mittelalterlichen Kirchenkontext schwerer wiegende Sünde verbergen. Vieles deutet dabei auf eine uneingestandene oder unterdrückte Homosexualität hin. Dies könnte auch Aufschluss darüber geben, warum der Erzähler im General Prologue ihn nicht einschätzen kann, auch, wenn er die Ambiguität des Pardoners geschlechtlich konnotiert. Die Verworfenheit des Pardoners manifestiert sich aber nicht durch der Sünde der Sodomie; die geradezu überzeichnete Darstellung seiner Habgier könnte derart gelesen werden, dass der Pardoner sich der Schwere seiner verschwiegenen Sünde derart bewusst ist, dass er ein literarisches Ablenkungsmanöver inszeniert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Homosexualität im Mittelalter
- Begrifflichkeit und Entwicklung
- Homosexualität im Hoch- und Spätmittelalter
- (Homo)Sexualität als Identitätssdispositiv im 20. und 21. Jahrhundert
- Der Pardoner auf der Suche nach Erlösung
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit setzt sich zum Ziel, die Frage nach der Anwendbarkeit des Begriffs „Homosexualität“ auf Chaucers Pardoner zu untersuchen. Diese Analyse erfolgt im Kontext der Canterbury Tales und zielt darauf ab, die Ursachen für die wütende Reaktion des Pardoners am Ende seiner Erzählung zu beleuchten.
- Entwicklung des Begriffs „Homosexualität“ im Mittelalter
- Die Rolle der „Sünde gegen die Natur“ in der mittelalterlichen Moral
- Die literarische Darstellung des Pardoners und seine (Selbst-)Darstellung
- Das spirituelle Problem des Pardoners im Kontext seiner Sexualität
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die Forschungsfrage, ob der Pardoner als homosexuell interpretiert werden kann.
- Kapitel II.1 befasst sich mit der Begriffsentwicklung von Homosexualität im Mittelalter anhand von Bußbüchern und analysiert die unterschiedlichen Bewertungen von gleichgeschlechtlichen Beziehungen.
- Kapitel II.2 beleuchtet die Entwicklung des Begriffs „Homosexualität“ im Hoch- und Spätmittelalter und zeigt die Bedeutung des kultisch geprägten Reinheitsdenkens.
- Kapitel II.3 setzt die Perspektiven des 20. und 21. Jahrhunderts in den literaturtheoretischen Kontext und untersucht die Bedeutung der Sexualität als Identitätssdispositiv.
- Kapitel III analysiert die literarische Darstellung des Pardoners und seine Erzählweise im Zusammenhang mit dem Ende seiner Erzählung und der Interaktion mit dem Wirte Harry Bailly.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert sich auf die Themen Homosexualität, mittelalterliche Moral, Sünde gegen die Natur, literarische Darstellung, Pardoner, Canterbury Tales, Sexualität als Identitätssdispositiv, spirituelles Problem, und Bußbücher.
- Arbeit zitieren
- Jeanne Fischer (Autor:in), 2007, Homosexualität als mittelalterliches Tabu: Dargestellt an Chaucers Pardoner, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84451