Entnazifizierung

Der verfehlte politische Neubeginn in Westdeutschland


Forschungsarbeit, 2007

57 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Rahmenbedingungen der Besatzungspolitik

2. Die Auflösung der Antifa-Ausschüsse und die Bildung bürgerlicher Stadtkomitees

3. Theoretische und organisatorische Voraussetzungen der US-Besatzungsmacht zur Entnazifizierung

4. Phasen der Entnazifizierung im Rahmen der US-Besatzungspolitik
4.1. Die erste Phase der Entnazifizierung in der US-Besatzungszone
4.2. Die Juli-Direktive und der Fragebogen
4.3. Das Gesetz Nr. 8 der US-Militärregierung
4.4. Von der Ländergesetzgebung zur Entnazifizierung in der US–Zone bis zur Beendigung der Entnazifizierung in der BRD
4.5. Zusammenfassung

5. Bilanz der Entnazifizierung

6. Anmerkung

7. Die konservative Kritik an der Entnazifizierung- Übersicht zur Publizistischen Auseinandersetzung

8. Autor

1. Rahmenbedingungen der Besatzungspolitik

Am Ende des Zweiten Weltkrieges gab es lediglich drei interalliierte Vereinbarungen über eine gemeinsame Besatzungspolitik für Deutschland: die Kapitulationsurkunde, die Festlegung von Besatzungszonen und die Bildung eines Kontrollrates.

Verbindliche politische Richtlinien über die Art und Weise der Umsetzung der militärisch-politischen Verwaltung Deutschlands unterlagen dem militärischen, politisch-ökonomischem Interessenstreit zwischen den Alliierten einerseits sowie auch innerhalb der jeweiligen Siegermacht andererseits.

Für die US-Besatzungspolitik hatte dies zur Folge:

1) Es gab sowohl in den kämpfenden als auch in den Besatzungstruppen zu wenig politisch geschultes Personal, um die politischen Richtlinien umzusetzen und eine einheitliche Besatzungspolitik zu gewährleisten.[1)]
2) Die dem Militär in Kriegszeiten immanente Tendenz zu Verselbständigung wurde gestärkt. Da das Militär sich weniger an politische Entscheidungen demokratisch gewählter Institutionen als an militärstrategische gebunden fühlte, wurden bei der Besatzung Fakten geschaffen, die politische Entscheidungen vorstrukturierten.[2)]

Damit wurde jedoch auch der Einfluss der demokratischen und antifaschistischen Kräfte in den USA eingeschränkt, während die Kräfte des großen Kapitals, die im Kriegsministerium präsent waren, gestärkt wurden und später direkte Einflussmöglichkeiten auf die Besatzungspolitik in den Westzonen erlangten.

3) Diese Tendenzen förderten eine starke Dezentralisierung der US-Besatzungspolitik, wodurch die Behandlung Deutschlands als Einheit erschwert wurde.

Die Auswirkungen dieser Konkurrenz zeigten sich offensichtlich im September 1944, als die Briten und die Amerikaner die „Reichsgrenze“ überschritten und Aachen einnahmen. In Aachen wurde auf Anraten des Bischofs Johann van der Velden Franz Oppenhoff als Bürgermeister eingesetzt. Er war ehemals leitender Angestellter des Rüstungsunternehmens VELTRUP und vormals Rechtsberater des Bischofs. Er wurde nach Eupen geschickt, um den Amerikanern eine Zusammenarbeit anzubieten. Unter seinem Schutz wurde eine Verwaltung bestehend aus 9 Hauptabteilungen, 67 Ämtern mit 750 Angestellten bei einer damals bestehenden Aachener Bevölkerung von gerade noch 11 000 Menschen installiert, in der 22 von 72 Schlüsselpositionen mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern besetzt waren, die einen „christlichen Ständestaat“ präferierten.[3)]

Als diese Tatsache bekannt wurde, nahm die Presse in den USA diese Missstände auf und bewirkte, dass große Teile der US-Bevölkerung Protestschreiben an die Regierung verfassten, in denen gefordert wurde, der Entnazifizierungspolitik mehr Gewicht beizumessen:

„The Joint Chiefs of Staff in Washington strung into action, iussed a directive which, though somewhat vague in certain particulars, seemed to have the effect of barring all who had Nazi affiliations from holding public positions of any type, even if they were clerical or mechanical in character.”[4)]

Insgesamt zog man jedoch aus den Aachenern Geschehnissen keine grundlegenden Lehren. Wohl gelang es die verbindliche Direktive JCS 1067 auszugeben, die jedoch – wie aus Beteiligtenkreisen berichtet – praktisch oft ignoriert wurde.

2. Die Auflösung der Antifa-Ausschüsse und die Bildung bürgerlicher Stadtkomitees

Ungeachtet dessen, dass die Besatzungsmächte, besonders die der USA, jede politische Tätigkeit zunächst verboten, benötigte man gleichwohl einen administrativen Apparat, um in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft zumindest die Grundversorgung zu sichern.

Dies erkannten auch Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere Antifaschisten und gründeten deshalb ortsbezogene antifaschistische Ausschüsse, genannt „Antifa-Ausschüsse“.

„Die Antifa-Ausschüsse als die lokalen Kader der Arbeiterbewegung charakteristische erste Antwort auf die Herausforderung der ´Zusammenbruchgesellschaft´ entwickelten sich in enger Abhängigkeit von den lokalen Bedingungen am einzelnen Ort, seiner Lage, seiner Zerstörung, seiner Besatzungsmacht und der traditionellen und kommunikativen Vorprägung des Potentials der Arbeiterbewegung, das trotz Krieg und Terror zur Verfügung stand.“[5)]

Die bekanntesten aus dem Arbeiterwiderstand hervorgegangenen Antifa-Ausschüsse bestanden in Leipzig als „Nationalkomitee Freies Deutschland“, in Hamburg als „Sozialistische Freie Gewerkschaft“, Lübeck und Bremen als „Die Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“, in Düsseldorf als „Antifaschistische Kampforganisation“, ähnliche Organisationen bildeten sich in Hannover, Braunschweig, Duisburg, Mühlheim/Ruhr, Wuppertal, Oberhausen, Krefeld, Solingen, Stuttgart, Mainz, Köln, München, Nürnberg Frankfurt/Main, Darmstadt, Wiesbaden, Augsburg, Offenbach und andernorts.[6)]

Dabei handelte es sich um Personen und Gruppen, die weder zentral angeleitet noch gar von der UdSSR fremdgesteuert waren. Sie erkannten die Erfordernisse der Stunde angesichts der Niederlage des deutschen Faschismus, nämlich eine Umorganisation des gesellschaftlichen Systems vorzunehmen und sich hierzu die Unterstützung der Bevölkerung zu sichern. Primär organisierten sie die friedliche Übergabe der Städte und Gemeinden an die Alliierten, beteiligten sich an der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung, der Säuberung der Verwaltungen von Nationalsozialisten und/oder an der Aufstellung einer Polizei. Sie aktivierten auch Arbeitervertretungen in den Betrieben und Gewerkschaften.

Am deutlichsten und klarsten wird ihre Tätigkeit am Beispiel Schwarzenberg, einer Stadt und einem Landkreis südlich von Chemnitz, der 1945 18 405 Einwohner zählte und im Mai/Juni 1945 weder von Truppen der USA noch der UdSSR besetzt war.[7)]

Allerdings war die eigenständige Tätigkeit der Antifagruppen von der amerikanischen Militärregierung (Military Government - MG) nicht gerne gesehen:

„Ihre eigenmächtigen Versuche zur Organisation der Massen und ihre politische Linie wurden von MG mit Argwohn betrachtet. Um sich nicht wie seinerzeit im Aachen-Skandal, dem Vorwurf auszusetzen, mit ihrem politischen Tätigkeitsverbot vor allem die Antifaschisten mit drakonischen Strafen zu bedrohen, versuchte sie, das Problem durch eine differenzierte Lösung zu entschärfen, indem sie einzelne Antifas, gewöhnlich die größten und aktivsten verbot, anderen nur die politische Tätigkeit untersagte, sie aber ´only along administrative lines´ ermunterte und wieder andere zu ihren Hilfsorganisationen degradierte.“[8)]

An zwei Beispielen sei dies Vorgehen veranschaulicht:

In Leipzig bestand bis 1943 eine aktive Widerstandsgruppe, deren Kern das Nationalkomitee Freies Deutschland[9)] bildete und die Verbindung nach Berlin, Dresden, Chemnitz und ins Thüringer Land unterhielt. Im Februar 1944 verhaftete die Gestapo 100 NKFD-Mitglieder in Leipzig und ließ 15 Todesurteile verkünden, von denen auch 12 vollstreckt wurden. Dennoch war die Leipziger Widerstandsgruppe nicht völlig zerschlagen, vielmehr verbreitete sie sogar ihren Anhang in den Mittelschichten, den Linkssozialisten und Zwangsarbeitern und bildete Stadtteilzellen. Ziel war es, eine kampflose Übergabe der Stadt zu erreichen. Das erfolgte auch. Beim Einzug der Amerikaner kamen vielfach weiße Fahnen zum Vorschein. Den Anhang der Gruppe schätzte man zwischen 10 000 bis 25 000. Das NKFD wollte mit den Alliierten zusammenarbeiten, besetzte NSDAP- und DAF-Geschäftsstellen, begann Säuberungsmaßnahmen und baute eine Hilfspolizei auf.

Es bestand somit eine aktive Kraft von Deutschen, die von den US-Amerikanern zur Demokratisierung oder zumindest der Durchsetzung der Entnazifizierung hätte herangezogen werden können.

Doch die Armeekommandanten entschieden anders. Aus England brachten sie als OSS-Mitarbeiter Hans Jahn, ehemaliger Funktionär des Internationalen Transportarbeiterverbandes, später SPD-Mitglied, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Gewerkschaft der Eisenbahnen, mit.

Jahn sah es als seine Aufgabe an, den Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts- bund (ADGB) wieder aufzubauen, damit die sich anbahnende Einheitsgewerkschaft zu spalten und eine sogenannten „Konkurrenz-Antifa“ zu gründen, was ihm letztlich auch mit dem bei der Stadtverwaltung gebildeten „Sozialpolitischen Ausschuss“ bestehend aus Unternehmern, rechten SPD- und Gewerkschaftsmitgliedern gelang. Dieser Ausschuss fand wohl den Rückhalt der kaum politisch gesäuberten Stadtverwaltung, jedoch weniger den breiter Bevölkerungsschichten.

Als Major Eaton erkennen musste, dass das NKFD weiter aktiv blieb, wurde die Ankündigung, eine Demonstration für den 1. Mai zusammen mit Zwangsarbeitern zu organisieren mit dem Verbot des Antifa-Ausschusses beantwortet. Flugblätter und Schriften des NKFD wurden eingezogen, Büros durchsucht und 350 Mitglieder inhaftiert.

Als am 2. Juli 1945 die sowjetische Besatzung die US-amerikanische ablöste, besetzte sie die Führungsspitze der Stadtverwaltung mit NKFD-Funktionäre.

Eine andere Maßnahme, die die US-Besatzungsmacht anwandte, um ihr politisch unangenehme organisatorische und antifaschistische Ziele verfolgende Vereinigungen zu neutralisieren, bestand in der Umwandlung dieser Ausschüsse und Auffüllung mit konservativen bürgerlichen Politikern sowie in der Bildung von bürgerlichen Beiräten, Bürgerausschüssen oder Stadtausschüssen, deren Mitglieder ernannt wurden.

Recht anschaulich hat dieses Vorgehen John Gimbel am Beispiel der Stadt Marburg dargestellt.[10)]

Im April 1945 wurde der ehemalige Verleger und spätere Herausgeber der Marburger Presse H. Bauer von den Amerikanern beauftragt, einen Ausschuss zu bilden, der in Zusammenarbeit mit dem staatspolitischen Referenten für Entnazifizierung Ludwig Mütze, vor 1933 Schulrat und führendes Mitglied der DDP, die Säuberung der Verwaltung und der Wirtschaftsunternehmen von ehemaligen Nationalsozialisten sowie den Aufbau der Zivilverwaltung vornehmen sollte. Bauer bildete unter Berücksichtigung des Nachkriegs- einen Ausschuss bestehend aus 8 Kommunisten, 6 Sozialdemokraten, 4 Liberaldemokraten und 2 politisch ungebundenen Personen: Ihrem Beruf nach waren es 4 gelernte Arbeiter, 4 ungelernte Arbeiter, 3 selbständige Handwerker, 5 Akademiker, 3 Geschäftsleute und 1 Angestellter.

Doch dieser Ausschuss wurde von der örtlichen Militärregierung und dem Oberbürgermeister Siebecke abgelehnt und durch ein fünfköpfiges konservatives Gremium ersetzt, den sogenannten Staatspolitischen Ausschuss (SPA), nun bestehend aus 1 Kommunisten, 1 Sozialdemokraten, 2 rechten LPD-Mitgliedern und 1 CDU-Mitglied. Das Sozialprofil war entsprechend: kein Arbeiter gehörte nun dem Gremium an, stattdessen 2 Beamte, 1 Buchhändler, 1 Verleger, 1 Elektriker und 1 Gärtner.

Dieses Gremium wurde später noch durch konservative Kräfte aufgefüllt, bildete bald ein aktives Gegengewicht zu den antifaschistisch ausgerichteten Säuberungsorganen und erreichte im Juni 1945 die Absetzung von H. Frese, dem Chef der Abteilung 11 für Entnazifizierung, weil dieser angeblich kommunistisch orientiert gewesen sei, da er eine Kartei angelegt habe, in der ehemalige Nationalsozialisten erfasst werden sollten.[11)]

Mit der Ausschaltung der Antifas, die als politische Gegenmacht der Arbeiterklasse zur - weitgehend belassenen staatsbürokratischen - Auftragsverwaltung betrachtet werden kann, blieben der US-Besatzungsmacht nur noch der Beamtenapparat zur Umsetzung ihrer Politik. Mit seinem Selbstverständnis von technischer Kompetenz und angeblich unpolitischen Zielen konnte er als Damm gegen revolutionäre Veränderungen fungieren:

„While the administration were never composed exclusivly of one party and the nonpolitical principle was thereby mainted, the idea that these were administrations and not governments led to the entrechment of the old civil service and to the use of that institutions for the establisment of a conservative political machine in power. This was intensified by the use, in the British and American Zone, of a cabinet system whereby full authority and responsibility were given to an appointed provincial president or minister-president who chose his colleagues and subordinates subject to approval by military government. In general (…) the key figures were lesser luminaries from the political right of the Weimar spectrum.”[12)]

Faktisch wurde somit – wie Krieger meint – folgendes erreicht:

„Political life is constituted by a post-Nazi vulgar nationalistic spirit and a pre-Nazi institutional structure.”[13)]

3. Theoretische und organisatorische Voraussetzungen der US-Besatzungsmacht zur Entnazifizierung

Die Konfusion, die die Besatzungspolitik in der US-Besatzungszone charakterisierte, schlug sich entsprechend in der Säuberungspolitik nieder. Sie bestand zunächst vor allem in Kompetenzkonflikten zwischen den taktischen und den Besatzungs-Truppen.

Auf die Besatzung bereitete sich die USA schon früh vor, allerdings durch unterschiedliche Stellen.

Zunächst wurde ein Stab von Europaspezialisten beim „Coordinator of Information“, aus dem sich der spätere Nachrichtendienst „Office of Strategic Services“ (OSS) entwickelte, gebildet. Nach der Gründung von OSS beschäftigte sich besonders die OSS Research and Analyst Branch–Mitteleuropaabteilung mit der Auswertung von Informationen über Deutschland und Italien. Hier war eine Gruppe von Deutschlandkennern versammelt, darunter die Historiker Walter L. Dorn und Hajo Holborn, die Sozialwissenschaftler Herbert Marcuse und Franz L. Neumann, Felix Gilbert, Carl Schorske u.a..

„Geistiger Inspirator der Abteilung war Franz Neumann, dessen neomarxistische Nationalsozialismusinterpretation „Behemoth“ das Deutschlandbild eines großen Teils der Intellektuellen in den Washingtoner Stäben der Roosevelt Administration während des Krieges prägte.“[14)]

Seine Faschismusanalyse und die sich daraus ergebende Elitenaustauschtheorie fand – wenn auch in abgeschwächter Form und personalisiert - Eingang in das Handbook for Military Government vom August 1944 sowie in das SHAEF–Public Safty Manual of Procedures, Military Government for Germany vom September 1944, das zu Beginn in Deutschland angewendet wurde.[15)]

Die Durchführung sah vor, dass spezielle Polizeiabteilungen bei den MG-Einheiten einzurichten seien, die die politische Säuberung durchführen sollten und zwar in Form (a) der Arretierung hoher Nazi-Funktionsträgern und (b) der Überprüfung des Beamtenapparates auf der Grundlage eines Fragebogens. Allerdings besaßen diese Special Branches (SpBr) nur die Befugnis zu Vorschlägen zur Arretierung und Entlassung, die funktionalen Abteilung der Militärregierung hatten die Vorschläge zu prüfen, zu billigen und letztlich auch umzusetzen.[16)]

Dies hatte zur Folge, dass viele Personen, die den Kategorien entsprechend hätten festgenommen oder entlassen werden müssen, wegen Einspruch der taktischen Einheiten im Amt belassen bzw. wieder eingesetzt wurden.

Da vor allem in den Hauptabteilungen Verkehrswesen, Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft die Entnazifizierung nicht begrüßt wurde, scheiterte durch Einspruch der Abteilungen die politische Säuberung in diesen Sektoren.[17)]

Eine weitere administrative Maßnahme der USA, die Besetzung Deutschlands vorzubereiten, erfolgte mit der Gründung der Civil Affair Schools der Militärverwaltung. Sie wurden an verschiedenen Universitäten eingerichtet, um die späteren MG-Offiziere landeskundlich zu unterrichten.

Ende 1943 wurde in Südengland, Shrivenham in der Nähe von Manchester, ein regelrechtes Ausbildungszentrum für Besatzungsoffiziere geschaffen. Wie Walter Dorn, der als Ausbilder dort tätig war, berichtet, wurden Einheiten für die verschiedenen Länder der späteren US-Besatzungszone gebildet und die Offiziere über die wirtschaftlichen, politischen und Verwaltungsstrukturen ihrer späteren Zielgebiete unterrichtet.

Da Washington keine verbindliche Direktive verabschiedete, konnten die Offiziere natürlich auch nicht in der Anwendung der später gültigen Direktive JCS 1067 und der Julidirektive geschult werden.

Deshalb beklagte Dorn schon früh - 1945 - folgenden Tatbestand:

„Die Militärregierung ist zum Teil unter der Verwaltung der taktischen Kommandeure, und nichts ist getan worden, sie in den Aufgaben der Militärregierung oder in den Direktiven, an die sie gebunden sind, auszubilden; sie geben gegenteilige Befehle; dieses Problem wird sich noch verschärfen, wenn wir in das Gebiet jenseits des Rheins vorrücken.“[18)]

4. Phasen der Entnazifizierung im Rahmen der US-Besatzungspolitik

Nach Niethammer[19)] lassen sich vier Phasen der Entnazifizierungspolitik unterscheiden, die mit der Westorientierung der Westzonen und der ökonomischen Restaurierung korrespondieren:

Die erste Phase reichte von den Anfängen der Besatzung bis Herbst 1945 und bestand in einer Verhaftungs- und Entlassungsaktion, die vor allem die NS-Organisationen und die Bürokratie betraf.

Die zweite Phase umfasste den Zeitraum vom September 1945 bis zu den Landtagswahlen Ende 1946. In dieser Zeit wurde eine Auftragsverwaltung installiert, die die politische Säuberung vom Nationalsozialismus mit dem Befreiungsgesetz auf die Deutschen übertrug. Das Befreiungsgesetz legitimierte über ein Spruchkammerverfahren faktisch die „Restauration der Verwaltung“, denn:

„Die Insider auf deutscher wie amerikanischer Seite wollten im Gewande einer spektakulären Ausweitung der Entnazifierung und ihre Umwandlung in ein strafgerichtliches Verfahren die Rehabilitierung des größten Teils der zuvor ausgeschalteten Beamten- und Managerschicht einleiten.“[20)]

Die dritte Phase dauerte von Ende 1946 bis Mitte 1948. In diese Zeit fällt mit der Bizonenbildung und dem Marshallplan die gesellschaftliche Restrukturierung mit personeller Rehabilitierung der ehemaligen Nationalsozialisten in Big Business, Recht und Klerus.

Die vierte Phase von 1948 bis 1951 führte mittels Grundgesetz Art. 55 (5) und Art. 131 zur Aufhebung der politischen Säuberung und zur faktischen Renazifizierung von Verwaltung und Wirtschaft.

4.1. Die erste Phase der Entnazifizierung in der US-Besatzungszone

In der ersten Phase der US-Besatzungspolitik bestimmten zwei Maßnahmenbündel die Entnazifizierung, zum einen die Arretierung von Kriegsverbrechern, hohen nationalsozialistischen Positionsträgern und anderen einflussreichen Personen des öffentlichen Lebens, zum anderen die politische Säuberung des Beamtenapparates mittels einer großangelegten Fragebogenaktion.

Die automatische Arretierung erfolgte auf der Grundlage des Arrest Categories Handbook, einem Sonderdruck aus dem SHAEF Public Manual of Procedures, Military Government of Germany vom September 1944, 2. Auflage 1945 und sogenannter schwarzen Personenlisten, die bis Herbst 1945 ergänzt und neu erstellt wurden. Sie wurden hauptsächlich vom Geheimdienst, Counter Intelligence Corp (CIC), erarbeitet.

Da die Anwendung des Kategoriensystems zur Arretierung eine genaue Kenntnis des nationalsozialistischen Systems voraussetzte und ein Großteil der MG-Offiziere diesen Säuberungsaktionen eher negativ gegenüberstand[21)], kam es quantitativ und qualitativ zu einer Perpetuierung dieser politischen Säuberungsmaßnahme:

„Well over 100 000 Germans, accordingly, were arrested in the American Zone of Occupation during first 8 month of occoupation, averoging some 400 to 600 per day during the initial month. Although many of the original arrestees did not fall within the specified arrest categories, they were hept under detention because they fell under suspionion for one reason or another. This figure did not include the thousend of Prisioners of War who fell within the arrest categries and who, upon their release from Prisoner of War camps, where simply to be transforred to arreste detention camps. By September 1, 1946, however sure 66 500 Germans where continued under arrest as active Nazis, many other having meanwhile been cleared by investigation or released because the conditions impelling their arrest during the initial phases of the occupation had disappenned.”[22)]

[...]


[1)] W. Honert, Schwierig: Nazis vor Gericht zu stellen. Eine Diskussion zu der Frage: Noch NS-Prozesse, in: „Kölner Stadt Anzeiger" v. 15./16.3.1975. Angesichts des Eintritts der Verjährung der unter dem NS-Regime begangenen Mordtaten am 31.12.1979 sollen dazu noch die anhängigen 193 Vorermittlungsverfahren in Sachen NS Verbrechen nicht weiterverfolgt werden. Vgl. H. Düx: Warum die Mörder noch immer unter uns sind. Das unbewältigte Problem der NS Verbrechen. In: „Die Tat" vom 31.3.1978, S. 9-10

[2)] Vgl. hierzu ausführlicher: Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin (DDR) 1968

[3)] H. Stein: Die Justiz traditioneller und aktiver Faktor der Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik, in: „Marxistische Blätter", 1/1978, S. 31-37

[4)] Als die wichtigsten Arbeiten zur Entnazifizierung gelten von den in der Bundesrepublik veröffentlichten: J. Fürstenau: Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik, Neuwied/Berlin (West) 1969. - R. Billerbeck: Die Abgeordneten der ersten Landtage (1946-1951) und der Nationalsozialismus, Düsseldorf 1971. - L. Niethammer: Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung, Frankfurt/M. 1972. - I. Lange, Entnazifizierung in Nordrhein Westfalen. Düsseldorf 1977

[5)] Dieses eng mit dem CDU Staat Adenauerscher Provenienz zusammenhängende soziale Syndrom wurde erst in den frühen 60er Jahren aufgebrochen. Vgl. z. B. die Aufnahme und die Diskussion um den „Stellvertreter" von Rolf Hochhuth (1963)

[6)] J. Neuhäusler: Entnazifizierung und katholische Kirche, in: „Der Überblick. Nachrichten-Dienst aus der christlichen Welt" v. 17. 3.1948, S. 4-8, zit. S. 4. Neuhäusler selbst war seit 1933 einer der Führer der katholischen Widerstandsbewegung und von 1941-1945 im KZ Dachau

[7)] U.S. Forces, European Theater 7. July 1945, Directive Removal of Nazis and Militarists, in: Office of Military Government for Germany (U. S.): Denazification (Cumulative Review). Report of the Military Governor (1. April 1947 - 30. April 1948), Nr. 34, S. 23-36

[8)] So z. B. nachhaltig im Hirtenbrief der katholischen Bischöfe Deutschlands v. 23. 8. 1945, in dem es heißt: „Es ist eine Forderung der Gerechtigkeit, daß immer und überall die Schuld von Fall zu Fall geprüft wird, damit nicht Unschuldige mit den Schuldigen leiden müssen", in: "Keesings Archiv", 1945, 392 A

[9)] E. Müller-Meiningen (jun.), Die Parteigenossen. Betrachtungen und Vorschläge zur Lösung des "Naziproblems", München 1946, zit. S. 14

[10)] E. Schullze, Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. 3. 1946, München 1946

[11)] Direktive Nr. 24: Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen, in: „Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland", 5/1945, S. 98-115

[12)] E. Schullze: a.a.O. (Anm. 10), zit. S. 4

[13)] Referat des Staatssekretärs Dr. Hans Ehard vor dem Beratenden Landesausschuß am 9. 4. 1946, in: H. Schmitt, H. Ehard: Grundlegende Reden zum Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus des Staatsministeriums für Sonderaufgaben H. Schmitt und des Staatssekretärs im Justizministerium Dr. Ehard. Hrsg. im Auftrag des Ministeriums für Sonderaufgaben, Frankfurt/Main 1946, S. 23-32, zit. S. 23

[14)] H. Schmitt, Die politischen Grundlagen des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus, in: H. Schmitt, H. Ehard: aa0 (Anm. 13), S. 322

[15)] Brief des Rates der EKiD an die Amerikanische Militärregierung für Deutschland vom 26. 4. 1946, in: H. Diem: Kirche und Entnazifizierung. Denkschrift der kirchlich theologischen Sozietät in Württemberg, Stuttgart 1946, Anlage 4, S. 74-84, zit. S. 74

[16)] Richtlinien des Rates der EKiD zur Durchführung der Selbstreinigung der Kirche, beschlossen in Treysa am 2. 5. 1946, in: H. Diem, a.a.0: (Anm. 15), S. 72-73. - Weisung des Kardinals Faulhaber an die Priester v. 17. 6. 1946, in: J. Neuhäusler: aaO (Anm. 6), S. 4

[17)] A. Arndt: Die Evangelische Kirche in Deutschland und das Befreiungsgesetz, in: „Frankfurter Hefte", 5/1946, S. 35-46. – Adolf Arndt war 1945-1949 Ministerialrat im Hessischen Justizministerium; seit 1949 MdB (SPD)

[18)] E. Schwarzhaupt: Die evangelische Kirche und das Befreiungsgesetz, in: „Frankfurter Hefte", 12/1946, S, 872-875, zit. S. 872. - Schwarzhaupt war lange Jahre juristische Beraterin in zentralen Dienststellen der EKiD, 1953 MdB (CDU) und 1961 Bundesminister für Gesundheit

[19)] A. Arndt: a.a.0. (Anm. 17), S. 46

[20)] Rede des Staatsministers Schmitt vor dem vorläufigen Landesausschuß am 9.4. 1946, in: H. Schmitt, H. Ehard: aaO (Anm. 13), S. 12-22, bes. S. 15

[21)] Dienstanweisung Nr. 1 für den öffentlichen Kläger, in: E. Schullze: a.a.0. (Anm. 10), S. 69-71

[22)] Wo steht die Entnazifizierung, in: „Das neue Wort", 18/1946, S. 8-10, zit. S. 8

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Details

Titel
Entnazifizierung
Untertitel
Der verfehlte politische Neubeginn in Westdeutschland
Autor
Jahr
2007
Seiten
57
Katalognummer
V84489
ISBN (eBook)
9783638894098
ISBN (Buch)
9783638894159
Dateigröße
801 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entnazifizierung
Arbeit zitieren
Dr. Wilma Ruth Albrecht (Autor:in), 2007, Entnazifizierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84489

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