Nach der Niederlage der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 erklärte Gerhard Schröder noch am selben Abend, vorzeitige Neuwahlen zum Deutschen Bundestag anzustreben (Vgl. Eschenhage 2005: S. 152 f.). Nach seiner Auffassung bedürfe die Agenda 2010 zusätzliche Legitimation durch das deutsche Volk um den eingeschlagenen Kurs weiter fortsetzen zu können. In den darauffolgenden Tagen wurde versucht die geplante Auflösung des Bundestages durch eine Vertrauensfrage dadurch zu rechtfertigen, dass jetzt eine klare Blockademöglichkeit der CDU im Bundesrat möglich sei, nachdem sie in Nordrhein-Westfalen an die Regierung gekommen ist. An den Mehrheiten im Bundestag hatte sich indes nichts geändert, es bestand nach wie vor eine knappe rot-grüne Mehrheit, die sich in der bisherigen Amtszeit als verlässlich erwiesen hat (Vgl. Kürschner 2005: S. 19, sowie zur weiteren Diskussion um die Vertrauensfrage). Dennoch sah sich Kanzler Schröder nicht in der Lage unter diesen Rahmenbedingungen weiter zu regieren.
Dieses zeitgenössische Beispiel zeigt deutlich: Regieren in Deutschland ist von einer Vielzahl an Faktoren abhängig. Allein die politischen Mehrheiten im Bundestag reichen nicht aus. Wichtige Vetospieler wie der Bundesrat, das Bundesverfassungsgericht und die großen Verbände erzeugen einen Verhandlungszwang, so dass häufig Kompromisse gefunden werden müssen und politische Durchsetzungskraft der alleinigen Ziele stark limitiert ist. Es wird in dieser Hinsicht von Verhandlung- bzw. Konsensdemokratie gesprochen. Die Bundesrepublik weißt eine Reihe solcher Elemente auf.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Begriffsdefinitionen
- Historische Verortung der deutschen Verhandlungstradition
- Lijpharts Konsensdemokratiemodell
- Merkmale der Konsensdemokratie im Kontrast zur Mehrheitsdemokratie
- Vor- und Nachteile der Konsensdemokratie
- Theoretische Konstruktion und empirische Dynamik
- Die deutsche Konsensdemokratie
- Verhandlungsdemokratische Elemente in der „Exekutiv-Parteien-Dimension"
- Verhandlungsdemokratische Elemente in der „Föderalismus-Unitarismus-Dimension"
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der deutschen Konsensdemokratie. Die Analyse basiert auf der Annahme, dass die deutsche politische Entscheidungsfindung durch ein komplexes System von Verhandlungsprozessen und Kompromissen geprägt ist, die über die traditionellen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag hinausgehen. Ziel der Arbeit ist es, die historischen Wurzeln der deutschen Verhandlungstradition aufzuzeigen, das Konsensdemokratiemodell von Lijphart zu erläutern und schließlich die Bundesrepublik Deutschland anhand dieses Modells zu analysieren.
- Historische Verortung der deutschen Verhandlungstradition
- Das Konsensdemokratiemodell von Lijphart
- Vergleich von Konsensdemokratie und Mehrheitsdemokratie
- Analyse der deutschen Konsensdemokratie
- Auswirkungen auf die politische Entscheidungsfindung in Deutschland
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das zeitgenössische Beispiel der vorzeitigen Neuwahlen 2005 dar und verdeutlicht, dass politische Entscheidungen in Deutschland von einer Vielzahl an Faktoren abhängen, die über die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag hinausgehen. Im zweiten Kapitel werden die Begriffe Proporzdemokratie, Konkordanzdemokratie und Konsensdemokratie definiert und abgegrenzt. Das dritte Kapitel widmet sich der historischen Verortung der deutschen Verhandlungstradition, die ihre Wurzeln in den Religionsfriedensschlüssen des 16. und 17. Jahrhunderts findet. Das vierte Kapitel stellt Lijpharts Konsensdemokratiemodell vor und analysiert seine Merkmale, Vor- und Nachteile sowie seine theoretische Konstruktion und empirische Dynamik.
Schlüsselwörter
Konsensdemokratie, Mehrheitsdemokratie, Verhandlungsdemokratie, Konkordanzdemokratie, Lijphart, Deutschland, historische Verhandlungstradition, Religionsfriedensschlüsse, Korporatismus, politische Entscheidungsfindung, Vetospieler, Kompromissbildung.
- Quote paper
- Martin Schultze (Author), 2007, Die deutsche Konsensdemokratie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84597