Dimensionen interkultureller Verständigung

Eine empirische Analyse von Situationen der Sprach- und Kulturvermittlung im Kontext der Integrationskurse für Zugewanderte in Deutschland


Magisterarbeit, 2007

158 Seiten, Note: 2,4


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung.

2. Kompetente Zweitsprachenbeherrschung als Problem der 6 Integration von Migranten

3. Dimensionen interkultureller Verständigung.
3.1. Interkulturelle Kommunikation.
3.2. Wissensasymmetrien in interkultureller Kommunikation.
3.3. Theorie der Fremdheit von Alfred Schütz.
3.4. Kreislauf der Kommunikation.
3.5. Rolle der Erwartungen in der interkulturellen 23 Kommunikation
3.5.1. Machtasymmetrien.
3.5.2. Kollektiverfahrungen.
3.5.3. Fremdbilder.
3.5.4. Differente Kulturmuster.
3.6. Die Theorie der kommunikativen Kodes von Gumperz.
3.7. Die Theorie der ethnischen Grenzen von Fredrik Barth.
3.8. Die mögliche Irrelevanz von Ethnizität.

4. Dimensionen interkultureller Verständigung im Rahmen des 31 Zweitsprachenunterrichts
4.1. Der Zweitsprachenunterricht als System.
4.2. Situation als dynamischer Handlungsbegriff.
4.3. Dimensionen der Situation Zweitsprachenunterricht.
4.4. Rahmenbedingungen.
4.5. Die Sprache.
4.5.1. Sprache als psychosoziales Phänomen.
4.5.2. Das Prinzip der Kulturalität der Sprache.
4.5.3. Zweitspracherwerb als kulturelles Lernen.
4.5.4. Grundlagen der Kulturemtheorie.
4.6. Interkulturalität im Zweitsprachenunterricht.
4.6.1. Das Feld „Prozesse der Selbst- und Fremdwahrnehmung“.
4.6.2. Das Feld „Bewältigung von Kommunikation mit Menschen 40 anderer Sprachen und Kulturen“
4.6.3. Das Feld „Landeskunde“.

5. Das TOPOI – Modell.
5.1. Fünf Dimensionen des TOPOI-Modells.
5.1.1. Dimension Taal (Sprache).
5.1.2. Die Dimension Ordening (Ordnung).
5.1.3. Die Dimension Personen.
5.1.4. Die Dimension Organisation.
5.1.5. Die Dimension Inzet (Einsatz).
5.2. Anwendung des TOPOI-Modells.

6. Einzelfallanalyse: Integrationsmaßnahme.
6.1. Zur Forschungsmethode.
6.2. Rahmenbedingungen.
6.2.1. Die Makroebene.
6.2.1.1. Auszüge aus dem „Konzept für einen bundesweiten 52 Integrationskurs“
6.2.1.1.1. Sprachkurs.
6.2.1.1.2. Orientierungskurs.
6.2.1.1.3. Verbundprojekte.
6.2.2. Die Mesoebene.
6.2.3. Die Mikroebene.
6.3. Experteninterview mit Luci am 02.11.2005.
6.3.1. Sequenzieller Aufbau und thematischer Verlauf des 60 Interviews
6.3.2. Inhalt des Gesprächs.
6.3.3. Zusammenfassung.
6.4. Experteninterview mit Luci (Fallbeispiel) am 10.12.2005.
6.4.1. Sequenzieller Aufbau und thematischer Verlauf des 66 Interviews
6.4.2. Inhalt des Gesprächs.
6.4.3. Zusammenfassung.
6.5. Kategorien.
6.6. Gruppeninteraktion/ Unterrichtsaufzeichnung am 06.12.05.
6.6.1. Allgemeine Informationen.
6.6.2. Analyse des ausgewählten Abschnitts.
6.6.3. Sequenzieller Aufbau und thematischer Verlauf.
6.6.4. Inhalt der Interaktion.
6.6.5. Bedeutung der verbalen und non-verbalen Sprache (Taal).
6.6.6. Sichtweise und Logik (Ordening).
6.6.7. Identität und Beziehung (Personen).
6.6.8. Regeln und Machtverhältnisse (Organisatie).
6.6.9. Motive und Beweggründe (Inzet).

7. Schlussfolgerung.

8. Resümee.

9. Literaturliste.

Anhang.

Transkriptionszeichen.

Transkript Experteninterview mit Luci am 02.11.2005

Transkript Experteninterview mit Luci (Fallbeispiel) am 10.12.2005.

Transkript Gruppeninteraktion/ Unterrichtsaufzeichnung am 06.12.05.

Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen

Tabelle 1. Typen der individuellen Sozialintegration und der sprachlichen Kompetenzen

Tabelle 2. Das TOPOI- Modell.

Abbildung 1. Migration, Sprache und Integration.

Abbildung 2. Kreislauf der Kommunikation.

Abbildung 3. Situation als dynamischer Handlungsbegriff.

Abbildung 4. Kultureme und Behavioreme.

Abbildung 5. Verbundprojekte als separate Maßnahmen.

Abbildung 6. Verbundprojekte im engeren Sinne.

Einleitung.

In der vorliegenden Magisterarbeit beschäftige ich mich mit Dimensionen interkultureller Verständigung im Kontext der Integrationskurse für Zugewanderte in Deutschland. Ich werde die Situation - Zweitsprachenunterricht aus einer systemischen Perspektive anhand empirischen Materials untersuchen. Dafür habe ich mich für einen Top-Down-Verfahren, d. h. ein theoriegeleitetes Vorgehen, entschieden. Zuerst zeige ich die in der Theorie diskutierten Dimensionen interkultureller Verständigung auf und anschließend prüfe ich, welche der aufgezeigten theoretischen Grundlagen sich in der Praxis wiederfinden.

Im nächsten Kapitel meiner Arbeit gehe ich auf die Problematik der Integration von Migranten in Deutschland. Das Kapitel soll zuerst einen Überblick über die unterschiedlichen Aspekte der Integration von Migranten in Deutschland geben und die besondere Bedeutung der Sprache und Sprachvermittlung im Prozess der Integration hervorheben.

Im dritten Kapitel erläutere ich die in der Theorie diskutierten Dimensionen interkultureller Verständigung, als Basis der darauffolgenden Analyse der empirischen Daten.

Im vierten Kapitel setze ich mich mit den theoretischen Grundlagen des Zweitsprachenunterrichts auseinander. Ich zeige unter anderem auf, worin die systemische Perspektive der Situationsanalyse besteht.

Im fünften Kapitel stelle ich das TOPOI-Modell vor, das ich als Hilfsmittel für die Analyse der Gruppeninteraktion benutze.

Im sechsten Kapitel dieser Arbeit übergehe ich zu der eigentlichen Analyse der empirischen Daten. Zuerst werte ich die beiden Experteninterviews aus und anschließend analysiere ich die Gruppeninteraktion mit Hilfe des o.g. TOPOI-Modells. Im siebten Kapitel prüfe ich, welche von den beschriebenen Dimensionen interkultureller Verständigung in dem empirischen Material wieder zu finden sind und welche Dimensionen in den theoretischen Ausführungen noch fehlen.

Im achten Kapitel fasse ich die aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Im Anhang dieser Arbeit befinden sich die Transkript der beiden Experteninterviews und die komplette Aufzeichnung der Gruppeninteraktion, sowie die Liste der Transkriptionszeichen.

2. Kompetente Zweitsprachenbeherrschung als Problem der Integration von Migranten.

Die Problematik der sprachlich-kulturellen Integration von Migranten ist sehr komplex. Die Integration ist ein gesellschaftliches Phänomen, das auf Gegenseitigkeit aufbaut. Gemeint ist, auf der Seite der Aufnahmegesellschaft, die Offenheit für Verschiedenheit, die Entwicklung von Toleranz, die Bereitschaft Zuwanderern Partizipation in der Aufnahmegesellschaft zu ermöglichen. Das gilt für Wohnungs-, Arbeitsmarkt und Staatsbürgerschaft. Auf Seiten der MigrantInnen bedeutet Integration ein Respektieren der Werte und Ordnung der Aufnahmegesellschaft, das Entwickeln einer gemeinsamen Sprache, die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen. Integration erlaubt auch die „Mehrfachidentität“: Sich zu Aufnahmegesellschaft zugehörig zu fühlen ohne Herkunftssprache, -kultur und -land aufgeben zu müssen.1

Das Problem der Integration allgemein berührt zwei verschiedene, aber aufeinander bezogene Aspekte: Die soziale Integration und die Systemintegration. Unter sozialer Integration wird die Inklusion bzw. Exklusion von Akteuren in ein bestehendes soziales System, etwa eine Bildungseinrichtung oder eine berufliche Tätigkeit in einem Betrieb verstanden. Mit Systemintegration ist hingegen der Zusammenhalt aller sozialen Systeme gemeint. Dieser Begriff bezieht sich auf die verschiedenen Teile einer Gesellschaft: Gruppierungen ethnischer Minderheiten, funktionale Teilsysteme usw. Geht man bei der sozialen Integration von individuellen Akteuren vereinfachend von zwei möglichen Bezügen der Inklusion bzw. Exklusion aus (ethnische Gruppe vs. Aufnahmegesellschaft), ergeben sich vier Typen der individuellen Sozialintegration2:

!"Die Marginalität, bei der es weder eine Inklusion in die ethnische Gruppe noch eine in die Aufnahmegesellschaft gibt;

!"Die ethnische Segmentation als Inklusion in die ethnische Gruppe und Exklusion aus der Aufnahmegesellschaft;

!"Die Assimilation als die umgekehrte Form einer Inklusion in die Aufnahmegesellschaft bei Exklusion aus der ethnischen Gruppe; !"Die multiple Inklusion als die Inklusion in beide soziale Systeme.

Da die Sprache ein zentraler Bestandteil der sozialen Integration von Migranten in die Aufnahmegesellschaft ist, lassen sich entsprechend für den Aspekt der Sprache die sprachliche Marginalität bzw. eine begrenzte Bilingualität, die monolinguale Segmentation, die monolinguale Assimilation und die kompetente Bilingualität unterscheiden. Die folgende Tabelle fasst das Obengesagte sehr gut zusammen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Typen der individuellen Sozialintegration und der sprachlichen Kompetenzen.3

Die vier verschiedenen Typen der sozialen Integration können sich inhaltlich auf verschiedene Dimensionen beziehen. Es werden dabei die kulturelle Dimension des Erwerbs von Wissen und Fertigkeiten, die strukturelle Dimension der Platzierung auf Positionen, etwa des Bildungssystems oder des Arbeitsmarktes, die soziale Dimension der Aufnahme von Kontakten und sozialen Beziehungen und die emotionale Dimension der Identifikation unterschieden. Entsprechend gibt es jeweils eine kulturelle, strukturelle, soziale und emotionale Marginalität, Segmentation, Assimilation oder multiple Inklusion. Die Sprache ist dabei zunächst ein Teil der kulturellen Dimension der sozialen Integration. Sie hat aber über die kulturelle Dimension hinausgehend enge Beziehungen zur Aufnahme sozialer Kontakte und zur emotionalen Identifikation und alle drei Aspekte bedingen sich gegenseitig.

Die soziale Integration von Migranten kann als Folge des Zusammenspiels von Aktivitäten der Migranten einerseits und gewissen sozialen Bedingungen andererseits verstanden werden. Diese sozialen Bedingungen lassen sich verschiedenen Kontexten und Ebenen zuordnen (Abbildung 1). Besonders bedeutsam ist dabei zunächst die Ebene der individuellen Familien- und Migrationsbiographien, mit ihren Unterschieden etwa nach Wanderungsmotiv, Bildung oder Einreisealter. Zusätzlich lassen sich drei gesellschaftliche Ebenen unterscheiden: Bedingungen im Herkunftsland, im Aufnahmeland und in der ethnischen Gruppe. Als grundlegenden Mechanismus von Prozessen der Sozialintegration und ihrer strukturellen Folgen lassen sich die an den jeweiligen Umständen orientierten Aktivitäten der Migranten angeben. Das spezielle Problem von Migranten besteht darin, dass sie letztlich mit den Einheimischen die gleichen Ziele, etwa ökonomischer Wohlstand, teilen, aber meist nur über weniger effiziente Mittel verfügen um das zu erreichen. Das Problem ist, dass die Migranten nicht über das notwendige (Human-) Kapital verfügen, dessen Wert an die Existenz eines spezifischen Kontextes gebunden ist. Die Sprache gehört zu einem solchen spezifischen Kapital, weil ihre Verwendbarkeit an eine bestimmte sprachliche Umwelt gebunden ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Migration, Sprache und Integration.4

Die besondere Bedeutung der Sprache für die Integration hat mit ihrer mehrfachen Funktionalität zu tun. Drei spezielle Funktionen lassen sich angeben. Die Sprache ist erstens eine wertvolle Ressource, über die viele anderen Ressourcen erlangt werden können und in die man investieren kann. Sie ist zweitens ein Symbol, das Dinge bezeichnen, innere Zustände ausdrücken, Aufforderungen transportieren und Situationen definieren kann. Und sie ist drittens ein Medium der Kommunikation und der darüber verlaufenden Transaktionen und hat dabei die besondere Funktion der kommunikativen Sicherstellung von Abstimmungen und Verständigung.

Vor diesem Hintergrund ist der Erwerb der Sprache des Aufnahmelandes eine zentrale Bedingung der Sozialintegration der Migranten. Bildungserfolg, die Platzierung auf interessanten Positionen, die Aufnahme von Kontakten und die Strukturierung von Identitäten hängen deutlich von sprachlichen Kompetenzen ab. Darüber hinaus ist die Sprache auch ein wichtiger Teil der Mechanismen, über die die Systemintegration verläuft.

Bei dem Problem der Integration von Migranten geht es also im wesentlichen um die Prozesse und Bedingungen des Erwerbs einer kompetenten Zweitsprachbeherrschung, also um die sprachliche Assimilation an den Aufnahmekontext bzw. an gewisse Teile davon.

Die meisten Migranten erwerben die Sprache des Aufnahmelandes in einem Zweitsprachenunterricht. Für viele ist das der erste Kontakt mit der noch fremden Kultur. Die Erfahrungen, die während des Zweitsprachenunterrichts gemacht werden, beeinflussen oft den weiteren Verlauf der Integration, daher muss sehr gut überlegt werden, wie dieser erste Kontakt mit der für die Migranten neuen Situation gestaltet werden kann um deren Integration erleichtern zu können. Unterschiedliche Dimensionen interkultureller Verständigung müssen dabei von den Maßnahmenträgern bzw. Sprachlehrern berücksichtigt werden. Im nächsten Kapitel möchte ich die unterschiedlichen Dimensionen interkultureller Verständigung detailliert anschauen.

3. Dimensionen interkultureller Verständigung.

3.1. Interkulturelle Kommunikation.

In diesem Abschnitt möchte ich auf die Grundlagen der interkulturellen Kommunikation eingehen. Was ist interkulturelle Kommunikation? Unterscheidet sich interkulturelle Kommunikation grundlegend von Kommunikation zwischen Angehörigen derselben Kultur? Welche Dimensionen bzw. Faktoren bestimmen die interkulturelle Kommunikation? Zu welchen Problemen kann es in der interkulturellen Kommunikation kommen und wodurch sind diese Probleme möglicherweise bedingt? Unter interkultureller Kommunikation versteht man den gegenseitigen Verständigungsprozess durch Senden und Empfangen von informationstragenden Zeichen unter Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturen und Sprachgemeinschaften. Dabei ist die Kommunikationssprache für mindestens einen der Teilnehmer nicht seine Muttersprache. Die interkulturelle Kommunikation weist auf der Mikroebene immer auch auf interpersonale Kommunikation hin, in der bei jedem Teilnehmer sowohl seine mehrsprachige als auch mehrkulturelle Kompetenzen aktiviert werden.5

Knapp und Knapp-Potthoff definieren die interkulturelle Kommunikation folgendermaßen:

„’Interkulturelle Kommunikation’ ist ... die interpersonale Interaktion zwischen Angehöreigen verschiedener Gruppen, die sich mit Blick auf die ihren Mitgliedern jeweils gemeinsamen Wissensbestände und sprachlichen Formen symbolischen Handelns unterscheiden. Solche Unterschiede bestehen schon zwischen Gruppen innerhalb einer durch Nation oder Staat definierten Gesellschaft. Insofern unterscheidet sich interkulturelle Kommunikation nicht prinzipiell von der intrakulturellen Kommunikation. Ein wesentliches Charakteristikum von der interkulturellen Kommunikation ist jedoch damit gegeben, dass sich einer der an ihr beteiligten Kommunikationspartner typischerweise einer zweiten oder fremden Sprache bedienen muss, die nicht eine Varietät seiner eigenen ist“6 Intrakulturelle Kommunikation zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass die Verständigungsprozesse der Kommunikationsteilnehmer im Wesentlichen über eine gemeinsame Sprache und über einen gemeinsamen, kulturspezifischen Bestand an Wissen, Deutungsmustern und Interpretationsregeln geregelt und gesichert sind.

Das Gelingen der interkulturellen Interaktion hängt in großem Masse von der interaktionalen Kompetenz der Beteiligten ab. Es setzt Kenntnisse von der Art und Weise voraus, wie verbale parasprachliche und nonverbale informationstragende Einheiten situationsadäquat zu verwenden und Kultureme durch Behavioreme zu realisieren sind.7 Verständigung setzt unter anderem das Verstehen voraus. Hofstätter definiert Verstehen als „etwas in seinem wesensgemäßen Zusammenhang erkennen.“8 Das heißt, dass das Neue mit Hilfe des schon Bekannten identifiziert werden muss.

Die ideale Lage bei mündlicher Verständigung schließt dreierlei ein: Der Empfänger muss verstehen was man sagt (rein akustisch wahrnehmen), wie man es sagt (freundlich, feindlich, neutral, ironisch) und zwar durch parasprachliche und nonverbale Signale und schließlich, wie das Gesagte gemeint ist. In der Praxis können alle drei Kategorien Schwierigkeiten bereiten, denn wie etwas gemeint ist, kann kulturbedingt erheblich unterschiedlich sein.9

Generell kann man sagen: Erfolgreiche interkulturelle Verständigung setzt voraus, dass man nicht nur mit den kommunikativen Normen und Konventionen der Interaktionssituation vertraut sein muss, sondern auch mit den Wertvorstellungen und Einstellungen des fremdkulturellen Partners.

Es wird unter anderem deutlich, dass alle sozialen Interaktionen eine bestimmte Menge gemeinsamen Wissens verlangen. Dieses Wissens leitet sich normalerweise vom gleichen sozialen Wissensvorrat ab oder, im Falle der interkulturellen Kommunikation, von verschiedenen sozialen Wissensvorräten. Die Arten und der Grad der Verschiedenheit des auf die Kommunikation bezogenen Wissens bestimmen den Strukturellen Kontext sozialer Interaktion und Kommunikation. Sie bilden den Kern vieler Probleme sozialer Interaktion sowie der meisten Kommunikationsstörungen. Susanne Günther und Thomas Luckmann beleuchten in ihrem Text „Wissensasymmetrien in interkultureller Kommunikation“ die Problematik der Wissensasymmetrien zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen. Die wichtigsten Aspekte dieser Problematik möchte ich im nächsten Abschnitt beleuchten.

3.2. Wissensasymmetrien in interkultureller Kommunikation.

Als Grundlage ihrer Analyse verwenden die Autoren zwei miteinander verwandte Prinzipien des menschlichen Handelns:

1. Das Prinzip der „Reziprozität der Perspektiven“ („anticopatory interaktion planning“ (Alfred Schütz)): Menschen nehmen normalerweise an, dass andere Menschen grundsätzlich wie sie selbst sind – das ist die fundamentale Annahme, die in die menschliche Wahrnehmung der Wirklichkeit miteingebaut ist und menschliches Handeln in der sozialen Welt lenkt. Die Annahme ist, dass unter denselben Umständen und solange nichts dazwischen kommt, empfinden, denken und handeln die Menschen wie die anderen auch.

2. Das Prinzip der „recipient design“ modifiziert das Funktionieren des ersten Prinzips. Man macht die Erfahrung, dass die Umstände nur selten dieselben sind. Dieses Wissen schränkt die wahllose Anwendung des ersten Prinzips ein, indem es die Umstände bestimmt unter denen es angewendet werden kann (z. B. Erwachsene sind in vieler Hinsicht zwar wie Kinder, in anderer Hinsicht jedoch anders als diese; Männer sind Frauen sowohl ähnlich als auch unähnlich; Amerikaner haben mit Chinesen bestimmte Dinge gemein, andere dagegen nicht).

Aus diesen beiden Prinzipien folgt, dass soziale Interaktion und Kommunikation nicht nur ein Minimum an gemeinsamen Wissen verlangen, sie verlangen auch ein Minimum an Wissen um das, was unter den Kommunikationsteilnehmern relevant gleich und relevant verschieden ist oder, mit anderen Worten, ein gemeinsames Wissen um die Wissensasymmetrien und um den Grad in dem sie relevant werden könnten. Wissensasymmetrien kennzeichnen Kommunikation jeglicher Art. Es gibt verschiedene Wissensarten und -ebenen. Es gibt auch Asymmetrien im Allgemeinwissen, welche interaktiv relevant werden können, aber auch im spezifisch kommunikativen Wissen. In „interkultureller“ Kommunikation wissen die Kommunikationsteilnehmer nicht genau wie sie das Prinzip der „Reziprozität der Perspektiven“ richtig modifizieren können. Ihre „recipient designs“ sind unsicherer als in Situationen, in denen sie problemlos annehmen können, dass ein bestimmtes Hintergrundwissen allen gemein ist. Sie werden bald erkennen, dass sie „Fremde“ sind, bzw. ihr kommunikatives Verhalten macht sie zu „Fremden“ für ihr Gegenüber.

Die „recipient designs“ sind in „interkulturellen“ Situationen nicht nur ungenauer und weniger zutreffend, die sind auch nicht wie in „intrakulturellen“ Interaktionen „automatisiert“. Außerdem neigen die Teilnehmende in interkulturellen Kommunikationssituationen dazu die im Verlauf einer Interaktion auftauchenden Schwierigkeiten nicht auf ihr eigenes „recipient designs“ zurückzuführen, sondern diese Schwierigkeiten anderen Ursachen zuzuschreiben. Auch wenn die Interagierenden

Mängel im „recipient designs“ erkennen, verfügen sie häufig nicht über die Ressourcen, um diese erfolgreich modifizieren zu können. Reparaturvorkehrungen können von einer Kultur zur anderen völlig verschieden sein.

Besondere Aufmerksamkeit widmen die Autoren den kommunikativen Gattungen. Sie behaupten, dass Wissensasymmetrien in der interkulturellen Kommunikation häufig das Wissen um kommunikative Gattungen betreffen, deren Verwendung und situativen Modelisierung.

Kommunikative Gattungen sind „... historisch und kulturell spezifische, festgelegte Lösungen für wiederkehrende kommunikative Probleme. Sie lenken die Erwartungen der Interaktionsteilnehmer/innen bezüglich dessen, was in den vorbestimmten Situationstypen zu sagen und zu tun ist. Zugleich sind sie die Ablagerungen sozial relevanter kommunikativer Prozesse.“10

Wissen über kommunikative Gattungen beinhaltet das Wissen über die passende Verwendung von Gattungen, d.h. darüber in welchen Situationen welche Gattungen verwendet werden:

„...the use of genres is normally linked to clearly defined types of social situations. Some may never appear in one type of communicative situation, rarely in another, frequently in still another, and always in some. From the point of view of the actor’s knowledge there may be situations in which he is forced to use a particular communicative genre, others in which the matter is optional and he is merely likely to do so, and still others in which he will rigorously avoid its use.”11

Wenn die kommunikativen Gattungen als gesellschaftlich konstruierte Lösungen verstanden werden, die den Umgang mit bestimmten kommunikativen Problemen organisieren, routinisieren und standardisieren, dann scheint es recht offenkundig, dass unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Lösungen für spezifische kommunikative Probleme konstruieren. Darüber hinaus mag in einer Kultur ein bestimmtes kommunikatives Problem gattungsmäßig verfestigt sein, während in einer anderen Kultur keine festgelegten Gattungen für dieses Problem existieren. Das Repertoire kommunikativer Gattungen variiert also von Kultur zu Kultur.

In interkulturellen Begegnungen verfügen die Interagierenden teilweise über unterschiedliche „Ausgangsrepertoires“ an kommunikativen Formen und Gattungen.

Zugleich besitzen sie jedoch ein vages Wissen über kulturelle Unterschiede und Ähnlichkeiten im Kommunikationsverhalten. Ein bestimmtes kommunikatives Problem (z. B. das Trauern um Verstorbene) mag in manchen Gesellschaften als kommunikative Gattung institutionalisiert sein, in anderen dagegen nicht. Mangel an Wissen über diese Unterschiede kann in kommunikativen Situationen zu Problemen führen. Wissensasymmetrien können außerdem bezüglich der kulturell unterschiedlichen Handhabung kommunikativer Gattungen auf drei, für kommunikative Gattungen grundlegenden, Strukturebenen angesiedelt sein:

1. Auf der Binnenstruktur der Gattung. Die Binnenstruktur kommunikativer Gattungen besteht aus: „Gesamtmustern recht unterschiedlicher Elemente: aus Worten und Phrasen, Gesamtregistern, Formeln und formularischen Blöcken, rhetorischen Figuren und Tropen, Stilmitteln wie Metrik, Reimschemata, Listen, Oppositionen usw. Lautmelodien, spezifischen Regelungen der Dialogizität wie Redezugbestimmungen, Reparaturstrategien und Festlegungen von Themen und Themenbereichen.“12 Wissensasymmetrien im Bereich der Binnenstruktur führen häufig zu interkulturellen Schwierigkeiten.
2. Auf der Ebene der situativen Realisierung. Die situative Ebene besteht aus jenen Elementen, die Teil der fortlaufenden Interaktion sind, wie die interaktive Organisation der Konversation, das Sprecherwechselsystem, Präferenzstrukturen, Strategien für längere konversationelle Episoden und die Teilnehmerkonstellation etc.
3. Auf der Außenstruktur. Bei der Außenstruktur von Gattungen geht es um Aspekte des kommunikative Milieus, der kommunikativen Situationen, der Auswahl der Handelnden (nach Geschlecht, Alter, Status, usw.), der Beziehung zwischen den Handelnden und der institutionellen Verteilung der Gattungen. Wissensasymmetrien können also zahlreiche Probleme auf verschiedenen kommunikativen Ebenen verursachen. Die meisten dieser Probleme in der interkulturellen Kommunikation wiegen sehr viel schwerer als in der intrakulturellen Kommunikation, vor allem wenn sie in Einklang mit traditionellen Stereotypen über die Fremdkultur interpretiert werden. Wenn Angehörige verschiedener kultureller Gruppen miteinander kommunizieren, gehen sie meist (zumindest anfangs) von der Annahme gemeinsamen Wissens aus. Während sie ohne weiteres wahrnehmen, dass eine Fremdsprache in Wort und Grammatik eine fremde Sprache ist, haben sie Schwierigkeiten, ihr Wissen um die Regeln des Sprachgebrauchs und damit auch ihr Wissen um kommunikative Gattungen auf die jeweilige Situation abzustimmen. Missverständnisse, Fehlschätzungen und Kommunikationsstörungen werden in vielen, wenn nicht allen, Kulturen mit stereotypischen Schuldzuschreibungen (etwa mit nationalen Mentalitätsunterschieden) erklärt und nicht etwa auf strukturell bedingte Erklärungen (etwa Wissensasymmetrien) zurückgeführt.

Auch Alfred Schütz betont in seinem Text „Der Fremde“ die wichtige Rolle des Wissens (oder auch Nicht-Wissens) in der interkulturellen Kommunikation. Auf seine Theorie der Fremdheit gehe ich im folgenden Abschnitt ein.

3.3. Theorie der Fremdheit von Alfred Schütz.

Alfred Schütz untersucht die typische Situation in der sich ein Fremder befindet, der versucht sein Verhältnis zur Zivilisation und Kultur einer sozialen Gruppe zu bestimmen und sich in ihr neu zurechtzufinden. Das Wissen der in-group Mitglieder steht somit dem Wissen des Fremden gegenüber. „Der „Fremder“ ist ein Erwachsener unserer Zeit und Zivilisation, der von der Gruppe, welcher er sich nähert, dauerhaft akzeptiert oder zumindest geduldet werden möchte“13 (z. B. Ein Immigrant).

Die Frage, die Alfred Schütz zu beleuchten versucht, ist: Wie stellt sich die Zivilisationsmuster des Gruppenlebens dem common sense eines Menschen dar, der sein Alltagsleben mit seinen Mitmenschen in dieser Gruppe lebt? „Zivilisationsmuster des Gruppenlebens“ sind laut Schütz, alle besonderen Wertungen, Institutionen sowie Orientierungs- und Führungssysteme (z. B. Volksweisen, Sitten, Gesetze, Gewohnheiten, Bräuche, gesellschaftliches Benehmen, Mode), welche jede soziale Gruppe zu jedem Augenblick ihrer Geschichte charakterisieren, wenn nicht gar konstituieren.

Allgemein weist Schütz darauf hin, dass das Wissen des Menschen, der in der Welt seines täglichen Lebens handelt und denkt, nicht homogen ist. Es ist erstens inkohärent, zweitens nur teilweise klar und drittens nicht frei von Widersprüchen:

1. Es ist inkohärent, weil die Interessen des Individuums selbst nicht in ein kohärentes System integriert sind. Sie sind nur teilweise zu Plänen verschiedenster Art organisiert, z. B. den Lebensplänen, den Plänen für Arbeit und Muße, den Plänen für jede soziale Rolle. Die Hierarchie dieser Pläne ändert sich mit der Situation und mit der Entwicklung der Persönlichkeit. Es ändern sich nicht nur die Gegenstände der Neugierde, sondern auch der Grad des bezweckten Wissens.

2. Der Mensch des Alltagslebens ist nur teilweise an der Klarheit seines Wissens interessiert. Es genügt ihm zum Beispiel, wenn das Telefon funktioniert und normalerweise fragt er nicht, wie der ganze Apparat im Detail läuft und welche physikalischen Gesetze dieses Funktionieren ermöglicht. Er nimmt als selbstverständlich hin, dass sein Mitmensch seine Gedanken versteht, wenn er sie in deutlicher Sprache ausdrückt und er wird entsprechend antworten, ohne dass er wissen möchte, wie diese wundersame Geschichte zu erklären wäre. Er sucht nicht nach Wahrheit und fragt auch nicht nach Gewissheit. Alles was er braucht, ist eine Information über die Wahrscheinlichkeit und etwas Einsicht in die Chancen oder Risiken, welche die jeweilige Situation für das Ergebnis seiner Handlungen enthält. Wenn er mehr Wissen über ein Thema benötigt, stellt ihm die moderne Zivilisation eine Kette von Informationsschaltern und Nachschlagebibliotheken zur Verfügung.

3. Schließlich ist sein Wissen nicht konsistent. Zur selben Zeit kann er Aussagen als in gleicher Weise gültig betrachten, die in der Tat völlig unvereinbar sind. Als Vater, als Bürger, als Angestellter und als Mitglied einer Kirche kann er die verschiedensten und nicht kongruenten Meinungen über Moral, Politik oder wirtschaftliche Angelegenheiten haben. Das Wissen des Menschen verteilt sich auf Sachverhalte, deren Ort verschiedene und verschieden relevante Ebenen sind und man ist sich dessen im Allgemeinen nicht bewusst, dass bei dem Übergang von einer Ebene zur anderen bestimmte Modifikationen angebracht sind. Dieses so erworbene System des Wissens, so inkohärent, inkonsistent und nur teilweise klar, hat für die Mitglieder der in-group den Schein genügender Kohärenz, Klarheit und Konsistenz, um jedermann eine vernünftige Chance zu geben zu verstehen und selbst verstanden zu werden. Jedes Mitglied der Gruppe akzeptiert dieses fixfertige standardisierte Schema kultureller und zivilisatorischer Muster (vgl. Kommunikative Gattungen von Luckmann).

„Es ist ein Wissen von vertrauenswerten Rezepten, um damit die soziale Welt auszulegen und um mit Dingen und Menschen umzugehen, damit die besten Resultate in jeder Situation mit einem Minimum von Anstrengung und bei Vermeidung unerwünschter Konsequenzen erlangt werden können.“14 Das Rezept funktioniert einerseits als eine Vorschrift für Handlungen und dient als Anweisungsschema: Wer ein bestimmtes Resultat erreichen will, muss so verfahren, wie es das Rezept angibt. Auf der anderen Seite dient das Rezept als ein Auslegungsschema: Wer so verfährt, wie das Rezept anzeigt, zielt auf das entsprechende Resultat. Daher ist die Funktion der Kultur- und Zivilisationsmuster – fertige Gebrauchsanweisungen anzubieten, um die schwer zu erreichende Wahrheit durch bequeme Wahrheiten zu ersetzen und um das Selbstverständliche mit dem Fragewürdigen zu vertauschen. Dieses Phänomen nennt Alfred Schütz „Denken-wie-üblich“.15 Voraussatzungen für das Denken-wie-üblich sind:

1. Konstanz der Muster: Das Leben wird immer so sein, wie es gewesen ist, „dass dieselben Probleme, welche die gleichen Lösungen verlangen, wiederkehren werden und dass deshalb unsere früheren Erfahrungen genügen werden, um zukünftige Situationen zu meistern“;

2. Verlassen auf Wissen der Vorfahren und Mitmenschen: „Dass wir uns auf das Wissen verlassen können, das uns durch unsere Eltern, Lehrer, Regierungen,

3. Traditionen, Gewohnheiten usw. überliefert wurde, selbst wenn wir nicht deren Ursprung und deren reale Bedeutung kennen“;

4. Bekanntheitswissen: „Dass in dem normalen Ablauf der Dinge es genügt, etwas über den allgemeinen Typus oder Stil der Ereignisse zu wissen, die uns in unserer Lebenswelt begegnen, um sie zu handhaben und zu kontrollieren“; 5. Gesellschaftliche Anerkennung und Anwendung der Rezepte: „Dass weder die Rezeptsysteme als Auslegungs- und Anweisungsschemen noch die zugrunde liegenden Grundannahmen unsere private Angelegenheit sind, sondern dass sie auch in gleicher Weise von unseren Mitmenschen akzeptiert und angewandt werden“.16

Wenn sich nur eine dieser Annahmen nicht mehr bewährt, dann wird das Denken-wie- üblich unwirksam. Die Voraussetzungen beschränken sich außerdem auf die historische Situation der Gruppe. Deshalb teilt ein Fremder die oben genannten Voraussetzungen nicht. Er stellt fast alles, was den Mitgliedern der Gruppe unfraglich erscheint, in Frage. Ein Fremder kann sich nur die Gegenwart und die Zukunft mit der Gruppe teilen und somit niemals vollständig deren Normen und Werte anpassen. Vom Standpunkt der Gruppe ist er „ein Mensch ohne Geschichte“. Im Laufe der Zeit kann sich der Fremde der Gruppe anpassen. Am Anfang bedient er sich des Auslegungsschemas seiner Ursprungsgruppe bei der Interpretation von Zivilisations- und Kulturmuster. Bald merkt er aber, dass sein Auslegungsschema sich nicht bewehrt. Er entdeckt, dass die Dinge in einer neuen Umgebung ganz anders aussehen, als man es sich noch zu Hause vorgestellt hatte. Auch das Auslegungsschema, das dem Fremden in seiner Heimatgruppe geläufig war, wird durchgestrichen. Es kann nicht mehr als Orientierungsschema in der neuen sozialen Umgebung gebraucht werden. Für die Mitglieder der Gruppe, welcher er sich nähert, gelten andere Zivilisationsmuster. Aber sich nähernde Fremde kann diese nicht einfach so verwenden wie sie sind und auch nicht eine allgemeine Transformationsformel für beide Zivilisationsmustersysteme aufstellen, die es ihm erlaubt alle Koordinaten des einen Orientierungsschemas in solche umzuwandeln, die für das andere gültig sind, weil:

„1. Jedes Orientierungsschema setzt voraus, dass jeder Benutzer die ihn umgebende Welt so betrachtet, als wäre sie um ihn herum gruppiert und er stünde in ihrem Zentrum. Das heißt, dass nur Mitglieder der in-group, die einen definierten Status in deren Hierarchie besitzen und sich dessen auch bewusst sind, die Kultur- und Zivilisationsmuster der Gruppe als ein natürliches und vertrauenswürdiges Orientierungsschema verwenden können. Der Fremde wird jedoch mit der Tatsache konfrontiert, dass er keinerlei Status als Mitglied der sozialen Gruppe besitzt und dass er deshalb nicht in der Lage ist, einen Ausgangspunkt für seinen Versuch einzunehmen. Er befindet sich an der Grenze und kann sich nicht als das Zentrum seiner sozialen Umwelt betrachten.

2. Nur für die Mitglieder der in-group sind die Zivilisationsmuster und deren Rezepte eine Einheit von koinzidierenden Auslegungs- und Ausdrucksschemen. Für den Außenstehenden fällt diese Einheit auseinander. Der sich nähernde Fremde muss deren Ausdrücke in solche der Zivilisationsmuster seiner Heimatgruppe „übersetzen“. Aber auch dann darf der Fremde nicht voraussetzen, dass seine Auslegung der neuen Kultur- und Zivilisationsmuster mit derjenigen zusammenfällt, die unter den Mitgliedern der in-group gebräuchlich ist. Im Gegenteil, er muss mit fundamentalen Brüchen rechnen, wie man Dinge sieht und Situationen behandelt.“17 Erst nachdem der Fremde auf diese Weise ein bestimmtes Wissen über die Auslegungsfunktion der neuen Kultur- und Zivilisationsmuster gesammelt hat, kann er es als sein eigenes Ausdrucksschema verwenden.

Diese Tatsachen erklären unter anderem die zwei Grundzüge der Einstellung des Fremden gegenüber der Gruppe, nämlich die Objektivität des Fremden und seine zweifelhafte Loyalität. Die Objektivität des Fremden ist durch den Bedürfnis zu erklären, ein volles Wissen von den Elementen der Zivilisationsmuster, denen er sich anpassen möchte, zu erwerben und zu diesem Zweck sorgfältig das zu untersuchen, was für die in-group selbstverständlich erscheint. Der tiefere Grund liegt in der Erfahrung der Grenzen seines „Denkens-wie-üblich“, einer Erfahrung, die ihn lehrte, dass ein Mensch seinen Status, seine leitende Rolle und sogar seine Geschichte verlieren kann und dass der normale Gang des Lebens stets viel weniger gesichert ist, als es scheint. Zweifelhafte Loyalität: Der Fremde wird undankbar genannt, da er sich weigert anzuerkennen, dass die ihm angebotenen Kultur- und Zivilisationsmuster ihm Obdach und Schutz garantieren. Aber die Leute, die das sagen, verstehen nicht, dass der Fremde im Übergangszustand diese Muster nicht als ein schützendes Obdach betrachtet, sondern als ein Labyrinth, in welchem er allen Sinn für seine Verhältnisse verloren hat. Anschließend beleuchtet Schütz den Prozess der Auslegung der Welt, der jedem Individuum bekannt ist. Damit betont er, dass jeder die Prozesse, die „ein Fremder“ durchlaufen muss, nachvollziehen kann.

„Fremdheit und Vertrautheit sind nicht auf das soziale Feld beschränkt, sondern sind allgemeine Kategorien unserer Auslegung der Welt. Wenn wir in unserer Erfahrung etwas zuvor Unbekanntes entdecken, das deshalb aus der gebräuchlichen Wissensordnung herausragt, beginnen wir mit einem Prozess der Untersuchung. Zuerst definieren wir die neue Tatsache; wir versuchen ihren Sinn zu erfassen; wir verwandeln dann Schritt für Schritt unser allgemeines Auslegungsschema der Welt auf solche Weise, dass die fremde Tatsache und ihr Sinn mit all den anderen Tatsachen unserer Erfahrung und mit deren Sinnbedeutungen verträglich werden und zusammen gehören können. Wenn wir dabei erfolgreich sind, dann wird die früher fremde Tatsache und das unser Bewusstsein aufreizende Problem in ein neues Element unseres gesicherten Wissens verwandelt werden. Wir haben unseren Erfahrungsvorrat erweitert. Was man gemeinhin den Prozess der sozialen Anpassung nennt, dem sich der Neuankömmling unterwerfen muss, ist nur ein Spezialfall dieses allgemeinen Prinzips. Die Angleichung des Neuankömmlings an die in-group, die ihm zuerst fremd und unvertraut erschien, ist ein kontinuierlicher Prozess, in welchem er die Kultur- und Zivilisationsmuster der fremden Gruppe untersucht. Dann werden diese Muster und Elemente für den Neuankömmling eine Selbstverständlichkeit, ein unbefragter Lebensstil, Obdach und Schutz. Aber dann ist der Fremde kein Fremde mehr, und seine besonderen Probleme wurden gelöst.“18

Das Gelingen oder auch Misslingen von jedem Kommunikationsprozess hängt nicht nur von der gemeinsamen Sprache und dem gemeinsamen Wissen ab. Jede Kommunikation läuft auf unterschiedlichen Ebenen ab. Welche Ebenen das sind und welche Rolle sie für die interkulturelle Verständigung haben möchte ich im folgenden Abschnitt beleuchten.

Dabei verwende ich die Grundlagen des von Schulz von Thun entwickelten heuristischen Modells der Kommunikation.

3.4. Kreislauf der Kommunikation.

Menschen verbringen eine geraume Zeit ihres alltäglichen Lebens damit, miteinander zu reden. Im Sinn des von Watzlawick formulierten Axioms, „man kann nicht nichtkommunizieren“19, hat jedes Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation einen Mitteilungscharakter. Irgendetwas wird also immer kommuniziert. Schulz von Thun beschreibt den Grundvorgang der zwischenmenschlichen Kommunikation folgendermaßen:

„Da ist ein Sender, der etwas mitteilen möchte. Er verschlüsselt sein Anliegen in erkennbare Zeichen – wir nennen das, was er von sich gibt, seine Nachricht. Dem Empfänger obliegt es, dieses wahrnehmbare Gebilde zu entschlüsseln. In der Regel stimmen gesendete und empfangene Nachricht leidlich überein, so dass eine Verständigung stattgefunden hat“.20

Allerdings, es wird nicht immer das empfangen was gesendet wird. Kommunikationspartner senden Botschaften gemäß ihren Absichten, sie wünschen sich, dass der andere einen bestimmten Eindruck von ihnen bekommt, dass er ihre Meinungen teilt, dass er seine Einstellung ändert, dass er sich in einer bestimmten Weise verhält, usw. Da der andere ebenfalls Absichten hat, verfügt er über die Freiheit, sich den Absichten des Partners zu widersetzen, die Annahme der Botschaften zu verweigern. Er kann die Mitteilung entgegen der Intention des Senders interpretieren. Zwei Partner können sich sowohl „zusammensprechen“ als auch „auseinandersprechen“21.

Warum kommt es zu solchen Störungen in der Kommunikation? Laut Schulz von Thun liegt es daran, dass einerseits jede Nachricht, die vom Sender gesendet wird, vier Botschaften enthält: Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung, Appell und andererseits der Empfänger, der diese Nachricht empfängt, empfängt sie mit vier Ohren: Sachohr, Beziehungsohr, Selbstoffenbarungsohr, Appellohr. Das, was die zwischenmenschliche Kommunikation so kompliziert macht ist, dass der Empfänger prinzipiell die freie Auswahl hat, auf welche Seite der Nachricht er reagieren will. Das bedeutet, dass ein Sender nie sicher sein kann, dass seine Botschaft in der von ihm beabsichtigten Weise vom Empfänger interpretiert wird.

Den oben beschriebenen Kreislauf der Kommunikation folgendermaßen darstellen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

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Der Mann sitzt abends im Wohnzimmer. Seine Frau ruft aus der Küche: „In der Küche steht noch das ganze Geschirr!“ – worauf er ruft: „Du glaubst wohl, ich habe den ganzen Tag gefaulenzt“.22

Nachricht I: „In der Küche steht noch das ganze Geschirr.“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nachricht II: „Du glaubst wohl, ich habe den ganzen Tag gefaulenzt.“

Es wird deutlich, dass eine Botschaft recht verschiedene Bedeutungsvarianten auf den vier Ebenen hat, von denen der Sender jeweils eine bestimmte beabsichtigt und aus denen der Empfänger jeweils eine auswählt. Der Interaktionskontext wird von jedem Interaktionspartner anders interpretiert, was zu der Änderung des Situationscharakters führt. Es ist denkbar, dass ein friedliches Gespräch mit einem Streit endet. Man kann also Kommunikation nicht nur als ein Austauschprozess von Informationen sehen. Wenn Partner kommunizieren setzt das auf beiden Seiten die Fähigkeit zu einer Veränderung der Überzeugungssysteme voraus. Sie müssen einen Konsensus herstellen, was „übereinstimmende Wahrnehmung“23 bedeutet. Göppner definiert Kommunikation als:

„den Prozess der von zwei Partnern angestrebten Herstellung eines Konsensus, einer punktuellen (nicht totalen!) Übereinstimmung in der personalen Wahrnehmung, als Überbrücken der Verschiedenheit zweier Individuen durch die Produktion und Rezeption von Botschaften, die bedeutungsvoll für beide sind Eine Kommunikation ist nur dann als geglückt anzusehen, wenn beide Partner mit dem Verfahren der Konsensfindung und mit dem Ergebnis einverstanden sind.“24

Wenn man das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun bei den interkulturellen Kommunikationsprozessen anwendet, wird es deutlich, dass die oben beschriebenen Dimensionen der Sprache und des Wissens nur zwei Ebenen der Kommunikation abdecken, nämlich die Inhalts- und die Sachebene. Die Unterschiede auf der Inhalts- oder Sachebene sind nicht so problematisch, denn sie können leicht thematisiert werden. Problematischer wird es, wenn Unterschiede auf der Beziehungs- oder Appellebene entstehen. Hier haben wir es mit unterschiedlichen Erwartungen seitens der Kommunikationsteilnehmer zu tun und diese Erwartungen sind meist unbewusst und oft auch nicht kommunizierbar. So lässt sich vermuten, dass Erwartungs- und Wahrnehmungsdifferenzen auf der Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appellebene der Botschaft zu folgenreichen Kommunikationsstörungen führen können. Kommt es zu Missverständnissen, so ist es möglich, dass das Missverständnis unbemerkt bleibt oder erst nachträglich deutlich wird. Bleibende unterschiedliche Erwartungen auf der Beziehungsebene wecken oft Gefühle der Unzufriedenheit oder Antipathie, verursachen Irritationen, ohne dass sie versprachlicht werden könnten. Deutliche Erwartungsenttäuschungen führen zum Abbruch der Kommunikation, zum Rückzug oder zu aggressiven Reaktionen. Im besten Fall werden sie zum Lernimpuls für die weitere oder künftige Kommunikation.

Die Erwartungsdifferenzen und ihre Rolle in der interkulturellen Kommunikation wird von Georg Aurenheimer in seinem Text „Interkulturelle Kompetenz – ein neues Element pädagogischer Professionalität?“25 thematisiert. Er zeigt vier Dimensionen oder Faktoren, die die Erwartungen der Kommunikationsteilnehmer beeinflussen können. Auf diese vier Faktoren möchte ich als nächstes eingehen.

3.5. Rolle der Erwartungen in der interkulturellen Kommunikation.

Störungen in der interkulturellen Kommunikation entstehen nicht nur durch Wissensasymmetrien, sondern auch durch unterschiedliche Erwartungen, die aus unterschiedlichen lebenspraktischen Kontexten resultieren können. Abweichende Rollenerwartungen, Werte, Normen, darunter auch sprachpragmatische Regeln, führen zu Verständigungsproblemen.

Es lassen sich vier Dimensionen oder Faktoren identifizieren, von denen die Erwartungen der Kommunikationsteilnehmer bestimmt werden können:

1. Die Machtdimension,
2. Kollektiverfahrungen,
3. gegenseitige Fremdbilder,
4. die kulturelle Dimension.

Die vier Dimensionen beeinflussen und oft beeinträchtigen die Beziehungswahrnehmung in der interkulturellen Kommunikation. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass sie einseitige Empfangsgewohnheiten begünstigen.

Minderheitenangehörige können zum Beispiel, aufgrund ihrer Diskriminierungserfahrungen, überempfindlich reagieren oder dazu tendieren „Beziehungsbotschaften“ einseitig herauszuhören. Umgekehrt, neigen die Mitglieder der Dominanzkultur leicht dazu alle Kommunikationsprobleme der Überempfindlichkeit der Mentalität oder der mangelnden Assimilationsbereitschaft der anderen Seite anzulasten.

3.5.1. Machtasymmetrien.

Interkulturelle Beziehungen sind fast immer durch Machtasymmetrie gekennzeichnet. Das äußert sich in Status-, Rechtsungleichheit oder Wohlstandsgefälle. Macht im Sinne „Überlegenheit von Handlungsmöglichkeiten“26. Sie stützt sich auf ungleiche Verfügbarkeit von Ressourcen unterschiedlicher Art, auf größeres materielles Kapital oder soziales bzw. kulturelles Kapital. Macht kann sich auf den institutionellen Status, den sozialen Beziehungen oder den Zugang zu Informationen gründen. Eine andere Variante der Macht ist diskursive Macht, aufgrund derer jemand bestimmen kann, was das Thema des Gesprächs ist und was Tabu ist. In symmetrischen Beziehungskonstellationen können Beziehungsdefinitionen ausgehandelt werden (durch die Art des Anreden, durch räumliche Nähe und Distanz, durch die Wahl der Sprachvarietät etc.). Bei einer asymmetrischen Beziehung ist jedoch das Aushandeln von Beziehungsdefinitionen erschwert, wenn nicht verunmöglicht. Der Unterlegene muss in der Regel, die meist nonverbal vermittelte Beziehungsdefinition des Überlegenden akzeptieren. Der Widerstand ist in der Regel sinnlos.

3.5.2. Kollektiverfahrungen.

Frühere oder aktuelle Kollektiverfahrungen bestimmen oder beeinflussen die gegenseitige Wahrnehmung und Verhaltenserwartung. Unter Kollektiverfahrungen sind aktuelle oder vergangene Rassismuserfahrungen von Minderheiten zu verstehen. Die historischen Erfahrungen vieler Gruppen sind durch zurückliegende Kriege, Kriegesverbrechen oder durch die Kolonialgeschichte geprägt. Oft werden historische Kollektiverfahrungen durch aktuelle Erfahrungen bestätigt und verstärkt.

Bei Machtungleichgewicht führen die kollektiven Erfahrungen der Unterprivilegierten häufig zu inadäquaten Erwartungen gegenüber dem privilegierten Gesprächspartner, zumal wenn dessen Rolle kulturfremd ist.

Wer mit Menschen zu tun hat, die Ausländer- oder Asylbewerberstatus haben, sollte sich in der Kommunikation mit ihnen immer deren mögliche Diskriminierungserfahrungen bewusst machen, um zu verstehen, warum sie so oder so auf einen zugehen, sich eventuell zurückhalten oder so und so reagieren. Wenn das nicht geschieht, wirken manche Verhaltens- und Reaktionsweisen befremdend. Misstrauen, Rückzug, versteckte Aggressivität etc. werden dann allzu leicht auf die fremde „Mentalität“ zurückgeführt. Die Tendenz zu Ethnisierung wird verstärkt.

3.5.3. Fremdbilder.

Die Fremdbilder speisen sich zum Teil aus kollektiven Erfahrungen, sind aber auch Konstrukte, die sich dem jeweiligen gesellschaftlichen Diskurs verdanken. Selbst Erfahrungen, die die Kommunikationsteilnehmer unmittelbar selber gemacht haben, stellen vermutlich diskursiv vermittelte „soziale Repräsentationen“27 dar. Das heißt, dass alle Erfahrungen immer wieder im Licht der Stereotypen interpretiert werden. Fremdbilder lassen uns oft eine Fremdheit erwarten, die den realen Differenzen nicht entspricht, so dass der Kontakt von vornherein durch Unsicherheit und Misstrauen beeinträchtigt ist. Unsere Erwartung belastet damit die Beziehung und sie bestimmt unsere Wahrnehmung. Da wir von einzelnen Merkmalen auf die erwarteten kulturellen Muster schließen und widersprüchliche Informationen eher ausblenden, bestätigen sich die Bilder immer von neuem.

3.5.4. Differente Kulturmuster.

Kulturspezifisch sind viele nonverbale Ausdrucksformen: Mimik, Gestik, die Körperhaltung, speziell die Art der körperlichen Zuwendung beim Ansprechen, das räumliche Distanzhalten. Kulturspezifisch sind Kommunikationsrituale und Formen der Gesprächsorganisation, zum Beispiel die Regeln des Sprecherwechsels, darüber hinaus auch einige Gesprächstypen. Viele Kommunikationsregeln erschließen sich dem Kulturneuling oder Fremden nicht so schnell, weil sie nicht explizit gehandhabt werden. Über kulturelle Differenzen solcher Art sind sich die Kommunikationsteilnehmer oft gar nicht im Klaren, es sei denn, dass Kommunikationsstörungen offensichtlich werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die vier oben geschilderten Dimensionen die Erwartungen der Interaktionsteilnehmer so beeinflussen können, dass die Interaktion dadurch gestört oder sogar abgebrochen werden kann.

Störungen in der interkulturellen Kommunikation ist ein breites Thema, das in der Fachliteratur viel diskutiert wird. Es wird immer wieder versucht die plausible Erklärung für die Störungen in der interkulturellen Kommunikation zu finden. Um einen mehrdimensionalen Einblick in diese Problematik zu bekommen, möchte ich im nächsten Abschnitt drei von solchen Erklärungsversuchen bzw. Theorien vorstellen: Die Theorie der kommunikativen Kodes von Gumperz, die Theorie der ethnischen Grenzen von Barth und McDermott und die Theorie der möglichen Irrelevanz von Ethnizität von Erikson und Shultz.

3.6. Die Theorie der kommunikativen Kodes von Gumperz.

28 Gumpers behauptet, dass die Schwierigkeiten des Kommunizierens dann auftreten, wenn Differenzen in der Wahrnehmung und Interpretation formeller sprachlicher und nichtsprachlicher Signale auftreten. Zu Missverständnissen führen nicht in erster Linie die Diskrepanzen in der Interpretation ausgetauschter Signale, sondern Brüche im Bereich der sozialen Bedeutungen (soziale Werte, Beziehungsdefinitionen, Affektlagen der Interaktion, unterstelltes soziokulturelles Hintergrundwissen), die in jeder Mitteilung zugleich übermittelt werden. Gumpers bezeichnet die Schlüsselreize (Reiz, der eine bestimmte Reaktion bewirkt), mit denen derartigen sozialen Bedeutungen ausgetauscht werden, als „Kontextualisierungshinweise“ (Körpersprache, Sprachmelodie, Mimik, usw.).

Gumperz führt aus, dass jeder sprachliche Austausch neben der lexikalisch- semantischen Interpretation einen kontextgebundenen Interpretationsprozess verlangt, in dem die Gesprächsteilnehmer wechselseitig ihre Intentionen einschätzen und auf dem sie ihre Reaktionen aufbauen. Zu diesem „konversationellen Schlußverfahren“ gehört, dass sie die jeweils vorliegende Kommunikationssituation als vertraute Szene wieder erkennen. Das heißt, dass ähnliche Situationen als generalisierte kognitive Erwartungsstrukturen (eine Art Skript oder Plan) in ihrem soziokulturellen Wissen gespeichert sind. Vor dem Hintergrund dieser interpretativen Folien stellen sie den Verlauf der Interaktion vor, entwerfen Handlungslinien und beurteilen die Handlungen ihrer Gesprächspartner als Ausdruck von Motiv- und Stimmungslagen und als Schlüsselhinweise für das Maß an sozialer Distanz. Gumperz behauptet, dass die Kommunikation nur dann gelingen kann, wenn die von den Parteien herangezogenen interpretativen Kodes übereinstimmen. Sie verlangt deshalb einen fortlaufenden Austausch von Kontextualisierungshinweisen, die vom Sprecher zugrunde gelegten Schemata indizieren.

Es soll dabei betont werden, dass die besondere Art, wie die Kontextualisierungshinweise benutzt und gewichtet werden, von der kulturbestimmten Konvention (Regeln des Umgangs, des sozialen Verhaltens, die für die Gesellschaft als Verhaltensnorm gelten) abhängt. Gehören die Interaktionspartner verschiedenen ethnischen Gruppen, so sind Störungen in mindestens zwei Bereichen zu erwarten:

1. Zum einem ist die reibungslose Organisation des Interaktionsablaufs beeinträchtigt, da diese davon abgängig ist, dass ein gemeinsamer Interaktionsrhythmus gefunden wird. Zum Beispiel, unstimmige Timing von Blickkontakten oder Positurwechsel werden als unangenehm empfunden und werden durch Zuschreibungen von Stereotypen erklärt;
2. Störungen ergeben sich damit auch im Bereich der wechselseitigen Interpretation von Äußerungen, genauer gesagt, in implizierten sozialen Bedeutungen (was für den einen höflich ausgedruckt ist, ist für den anderen vielleicht abweisend und abrupt)

3.7. Die Theorie der ethnischen Grenzen von Fredrik Barth.

29 In seiner Theorie der ethnischen Grenzen versucht F. Barth die Kode-Unterschiede in der interethnischen Kommunikation als Mittel für die Sicherung ethnischer Grenzen und die Reproduktion ethnischer Gruppen auszuweisen. Er führt aus, dass ethnische Gruppen Produkte der Zuschreibung und Identifikation durch die Handelnden selbst sind. Als solche, besitzen sie die Fähigkeit die Interaktion zwischen Menschen zu organisieren. Ethnische Grenzen existieren in dem Maße, in dem ihre Mitglieder ihre wechselseitigen Begegnungen gemäß ihrer zweigeteilten Identitätskategorien strukturieren. Das dabei gespielte Spiel, „einander in verschiedene Arten von Leuten zu sortieren, das Spiel der Zuschreibung und Übernahme sozialer Identitäten“ mag dabei zunächst durchaus eine „universale menschliche Leidenschaft“ sein. Es dient dazu,

Wahrnehmungen und Verhaltensdeutungen attributiv Konsistenz zu verleihen. Für die ethnische Identität einer Person gilt dabei: Sie ist immer nur eine Identität unter vielen. „Ethnische Kennzeichnungen (Hautfarbe, Körperliche Merkmale, usw.) sind mögliche Identifikationen für menschliche Objekte, denen ebenso gut Kennzeichnungen aus anderen Identitätsmengen verliehen werden können“30.

Die Konstitution ethnischer Identität lässt sich als sprachlicher Sortierungsprozess fassen. „Die Qualifikationen für eine soziale Identität kommen den Bedingungen dafür gleich, dass man mit dem sprachlichen Ausdruck gekennzeichnet werden kann, der diese Identität nennt. Die ethnische Identität X zu besitzen heißt somit, dass „X“ sich in der Menge sozialer Identitäten befindet, mit denen man treffend gekennzeichnet werden kann“31 (Russen, Christen usw.). Ethnische Gruppenabgrenzungen bilden sich im Wechsel von Fremd- und Selbstzuschreibungen. Eine Gruppe kann die Fremdzuschreibung übernehmen und zur Selbstidentifikation nutzen (z.B. Russen – in Deutschland, aber Ukrainer, Kasache, Russe – in ehemaligen Sowjet Union). Das heißt, dass der Gestalt ethnischer Gruppen keineswegs kulturelle Merkmale und Unterschiede zugrunde liegen müssen und dass ethnische Bezeichnungen mehr handlungsstrukturierende Funktionen haben, sie sind Prinzipien sozialer Organisation.

„Einige kulturelle Merkmale werden von den Akteuren als Signale und Embleme von Unterschieden benutzt, während andere ignoriert werden, und in manchen Beziehungen werden radikale Verschiedenheiten heruntergespielt und verleugnet Man kann nicht ... vorhersagen, welche Merkmale die Beteiligten betonen und als organisatorisch relevant behandeln. Ethnische Kategorien stellen mit anderen Worten ein ... Gefäß dar, das in verschiedenen soziokulturellen Systemen mit einem Inhalt verschiedenen Volumens und verschiedener Art gefüllt werden kann. Sie können für Verhalten von großer Bedeutung sein, aber sie müssen es nicht; sie können das gesamte soziale Leben durchdringen, aber ihre Relevanz kann auch auf begrenzte Aktivitätsbereiche beschränkt bleiben“.32

Das Fortbestehen ethnischer Gruppe resultiert primär also nicht aus kulturellen Besonderheiten, sondern hängt, laut Barth, von der „Sicherung einer Grenze“ ab. Von zentraler Bedeutung ist „die ethnische Grenze, die die Gruppe definiert, nicht der kulturelle Stoff, den sie umschließt“33. Damit erhebt sich aber die Frage nach den Charakteristika der Interaktionen, die eine derartige Grenzsicherung bewirken. Barth sagt dazu: „Das Fortbestehen ethnischer Gruppen in Kontaktsituationen impliziert nicht allein Kriterien und Signale der Identifikation, sondern auch eine Strukturierung der Interaktion, die das Fortbestehen kultureller Unterschiede gestattet“34.

In diesem Zusammenhang wird die Funktion von Kodeunterschieden verständlich: Indem die Mitglieder fremder Gruppen in der interethnischen Kommunikation an ihren Kodes festhalten, sichern sie quasi Grenzen des Verstehens. Im Kontakt miteinander verdeutlichen sie sich, dass sie auf der Grundlage fremder Hintergrundsannahmen operieren.

Es wäre noch wichtig zu ergänzen, dass die Theorie der ethnischen Grenzen auf der Labeling-Theorie sozialer Identität fußt, die besagt, dass die ethnische Identität einer Person niemals ihre einzige ist, sie ist nur ein Element einer Menge von Identitäten. Deshalb ist der Einfluss auf die interethnische Kommunikation niemals zwingend oder endgültig. Es sind vielmehr die Beteiligten selbst, die in der konkreten Situation ihrer Kommunikation das relative Gewicht von Ethnizität für ihren Austausch aushandeln. Das bedeutet, dass die Subjekte interethnischer Kommunikation immer auch die Chance haben Fehlschläge zu vermeiden oder zu korrigieren.

3.8. Die mögliche Irrelevanz von Ethnizität.

35 Ein zentraler Gedanke der interaktionistischen Soziologie ist es, dass sich in jeder Kommunikationssituation die Beteiligten fortlaufend darüber verständigen müssen, wer sie sind und wie sie sich zueinander in Beziehung setzen werden. Jeder muss unter seinen verschiedenen Identitäten diejenige auswählen, in der er sich präsentieren wird, d.h. entscheiden, welchen Status aus seinem Gesamtrepertoire er als relevant erachtet und zu welchem Zweck er ihn einsetzen wird. Damit die Kommunikation gelingt, suchen sich die Interaktanten die gemeinsamen „Kategorien“ aus (Studenten - Uni, Frauen - Männer, usw.). Ethnische Identitätskategorien sind zunächst universalistisch, d.h. sie klassifizieren eine Person nur gemäß ihrer grundlegenden und allgemeinsten Identität. Gehören die Interaktanten verschiedenen ethnischen Gruppen an, dann ist die ethnische Zugehörigkeit, als Kategorie für gelingende Interaktion, wenig geeignet. Allerdings, konnten die Untersuchungen von Erickson und Shultz nachweisen, dass obwohl die ethnische Zugehörigkeit nicht thematisiert wird, kommt es in der interethnischen Kommunikation zu den Misserfolgen, weil sich in der Tat Kode- Unterschiede als hinderlich erweisen. Es handelt sich hier um die Untersuchung von Councelling-Interviews in einem College in den USA, bekannt als „gate keeping“- Interaktion36, in der es sich um Studienberatung handelte. Die Autoren weisen nach, dass die Anzahl kommunikativer Fehlschläge (z.B. Fehlabstimmungen im Interaktionsrhythmus, die von beiden Seiten als „unbehaglich“ empfunden wurden) erheblich höher war, wenn die ethnische Zugehörigkeit vom Berater und Student ungleich war und dass diese Fehlabstimmungen regelmäßig das Ausmaß an Rat und Hilfe reduzierten, die dem Studenten zuteil wurden.. Die Autoren zeigen, dass das Ausmaß an Hilfe und Rat, das dem Studenten zuteil wird, am größten ist, wenn „gatekeeper“ und Klient der gleichen ethnischen Gruppe angehören und am geringsten, wenn sie verschiedenen ethnischen Kategorien zuzuordnen sind. Diese Ergebnisse scheinen die Kode-Theorie zu bestätigen. Aber, die Autoren konnten auch zeigen, dass die Ergebnisse deutlich anders ausfielen, wenn die Beteiligten in kleinen Abschweifungen ihres Gesprächs Identitäten ausmachten, die beiden Interaktanten gemeinsam waren. Wenn, zum Beispiel, der amerikanische Berater Geschichte studiert hat, dann hat er dem ausländischen Studenten, der auch Geschichte studiert, mehr geholfen, als einem amerikanischen Studenten, der etwas anderes studiert. Also, die Kategorie – „Student der Geschichte“ scheint in der Situation wichtiger zu sein, als Zugehörigkeit zu verschiedenen ethnischen Gruppen. Diese Ergebnisse zeigen, dass kulturelle Kodes solange Einfluss auf die interethnische Kommunikation haben, wie man es zulässt. Wenn man versucht das Gemeinsame im Gespräch in den Vordergrund zu rücken, gelingt es, trotz ethnischen Unterschieden, gemeinsame Kodes zu finden und erfolgreich zu kommunizieren.

4. Dimensionen interkultureller Verständigung im Rahmen des Zweitsprachenunterrichts.

Im zweiten Teil dieser Arbeit möchte ich die oben geschilderten theoretischen Grundlagen der interkulturellen Verständigung auf die Situation des Zweitsprachenunterrichts anwenden. Um die unterschiedlichen Dimensionen der interkulturellen Verständigung in diesen Rahmen erfassen zu können habe ich den systemischen Zugang gewählt. Das heißt, dass ich die Situation des Zweitsprachenunterrichts aus einer systemischen Perspektive betrachten möchte.

4.1. Der Zweitsprachenunterricht als System.

Unter einem System versteht man allgemein eine neue Einheit, die bestimmte Elemente als Voraussetzung hat, aber nicht als bloße Summe dieser Elemente zu verstehen ist. Durch die Beziehungen der Elemente untereinander und die daraus entstehenden Wechselwirkungen ergibt sich etwas Neues, was nicht ausschließlich auf die Eigenschaften der Elemente zurückführbar ist. Zum Beispiel, Wasser kann als ein System beschrieben werden. Das wird zwar aus den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff gebildet aber, sobald die Verbindung zustande kommt, entsteht eine neue Einheit, deren Eigenschaften nicht auf der Summe der Eigenschaften der einzelnen Elemente beruhen.37

Das System Zweitsprachenunterricht kann aus zwei Perspektiven betrachtet bzw. auf zwei Ebenen untersucht werden: Auf der „Makroebene“ und auf der „Mikroebene“. Die „Makroebene“ umfasst die gesamte Situation der Maßnahme, von ihrem Beginn bis zum Abschluss. Auf der „Makroebene“ wird der Zweitsprachenunterricht als Ganzes gesehen: Es werden die zeitlichen Rahmen der Maßnahme (Anfang und Ende), die Personen die in der Maßnahme teilnehmen, ethnischer Hintergrund der Teilnehmer, Ziele, Handlungsplanungen, Aufgaben- und Methodendarstellung, Organisation, Lehrer, usw. beschrieben. Die Analyse der „Mikroebene“ spiegelt den dynamischen Charakter der einzelnen Unterrichtseinheiten oder Interaktionsprozesse zwischen dem Lehrer und den Teilnehmern oder auch nur zwischen den Teilnehmern.

In Rahmen des Zweitsprachenunterrichts ist jede „Mikro“-Situation in eine gesamte „Makro“-Situation eingebettet, d.h. ohne die Rahmenbedingungen und die Inhalte der Makroebene zu kennen wird es manchmal schwer die Mikroebene zu erfassen. Es ist aber unmöglich die beiden Ebenen deutlich zu trennen, sie existieren in ihrer ständigen Wechselwirkung. An dieser Stelle finde ich wichtig die Situation als solche zu definieren.

4.2. Situation als dynamischer Handlungsbegriff.

Fritz Schütze definiert „Situation“ folgendermaßen:

„Situation“ ist diejenige aktuelle Konstellation einer sich allmählich entfaltenden Ereignisabfolge und ihres Aktivitätsrahmens, im Hinblick auf die und in deren Orientierungsbezug die Akteure bzw. Betroffenen dem je gegenwärtigen Geschehens- bzw. Interaktionsablauf Sinn verleihen, ihre bisher gemachten (Lebens. Bzw. Interaktions-) Erfahrungen durchmustern und reaktivieren, ihre Erwartungen auf künftiges Geschehen ausrichten, ihre Handlungsplannung und Erleidensbereitschaft bestimmen sowie ihre Interaktionsbeiträge auf Mitmenschen – insbesondere Mitakteure – beziehen und zugleich hervorbringen Prototypisch gehören zur Situation die Kopräsenz von Akteuren an einem Ort zu einer Zeit und die Aufspannung eines gemeinsamen Aktivitätsrahmens durch wechselseitige thematische Orientierung auf die Ereignisgestalt, in welche die Akteure verwickelt sind.

... Konstitutiv für „Situation“ als soziale Erscheinung sind letztlich nur der Bezug von Akteuren auf eine thematische Ereigniskonstellation in welche sie zusammen mit anderen Akteuren (die nicht unbedingt räumlich und/oder zeitlich kopräsent sein müssen) verwickelt sind, sowie die Aufspannung eines gemeinsamen Orientierungs- und Aktivierungsrahmens mit Bezug auf die geteilte Ereigniskonstellation.“38

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Situation als dynamischer Handlungsbegriff.

Es wäre falsch zu meinen, dass jede Situation nach einem Situationsablaufsmodell beschrieben werden kann. Allmählich verändern sich die Situationskomponente und dadurch kann sich auch die gesamte Situation verändern. Im Rahmen des Kommunikationsverlaufs versuchen die Akteure durch eigene Aktivitäten den Situationscharakter für ihre Interaktion „hier und jetzt“ herzustellen. Jede aktuelle Interaktionssituation wird zum „Ort der Herstellung von sozialer Ordnung, der Einsozialisierung der Gesellschaftsmitglieder in diese und der Herstellung von kontextuellem, situationsbezogenem Sinn“39. Das heißt, es existieren bestimmte gesellschaftlichen Ordnungsprozeduren die in der aktuellen Interaktionssituation angehalten werden, solche wie Gesprächseröffnung, Gesprächsbeendigung, Sprecherwechsel, konditionelle Relevanzen, Wunscherfüllung, Wunschverweigerung, usw.40 Diese werden bei der Situationsanalyse berücksichtigt.

4.3. Dimensionen der Situation Zweitsprachenunterricht.

Angewendet auf den Zweitsprachenunterricht lässt sich diese spezifische Situation folgendermaßen beschreiben: Der Zweitsprachenunterricht ist die aktuelle Konstellation von:

- Kopräsenz von ausländischen Kursteilnehmern und der SprachlehrerInnen an einem bestimmten Ort, in der Regel in einem Klassenraum der Maßnahme anbietenden Organisation, zu einer bestimmten Zeit bzw. einem bestimmten Zeitabschnitt;
- Gemeinsamer Aktivitätsrahmen in Form von Lehren bzw. Lernen, durch wechselseitige thematische Orientierung auf die zu lehrende bzw. lernende Zielsprache;
- Spezifische Orientierungsbezüge von Akteuren auf die „Prozesse der Selbst- und Fremdwahrnehmung“, „Bewältigung von Kommunikation mit Menschen anderer Sprachen und Kulturen“, „Landeskunde“41. Als nächstes möchte ich auf einige der oben genannten Dimensionen ausführlicher eingehen und die bei der späteren Analyse zu berücksichtigenden Besonderheiten aufzeigen.

4.4. Rahmenbedingungen.

Ausführliche Beschreibung der Rahmenbedingungen erfolgt später, bei der Analyse des empirischen Beispiels. An dieser Stelle möchte ich nur auf die Sphärendistribution eingehen, in deren Rahmen die kommunikativen Akte stattfinden und die eine Auswirkung auf den Verlauf jeder Interaktion hat.

Das makrostrukturelle Distributionsmodell (Summe aller Umgebungen, in denen eine sprachliche Einheit vorkommt im Gegensatz zu jenen, in denen sie nicht erscheinen kann) umfasst vier Kommunikationssphären, die sich nach den Beziehungen zwischen den Beteiligten unterscheiden:42

1. Die intime Sphäre. In dieser kommunizieren Leute, die einander sehr nahe sind.
2. Die persönliche Sphäre. Hier redet man mit Vertrauten, guten Freunden, Verwandten.
3. Die soziale Sphäre. Sie ist die normale Konversationssphäre mit Kollegen und Bekannten.
4. Die öffentliche Sphäre: Hierzu gehört jegliche Kommunikation mit Unbekannten, Kommunikation in und mit Institutionen, z. B. Verwaltung, Gericht.

Dieses Schema sollte nicht als starrer Rahmen angesehen werden. Auf der Mikroebene gibt es Übergänge zwischen den Sphären, aber auch ganz feste Normen dafür, wem man etwas wie sagt. Beim Erwerb fremder Sprachen muss der Lerner stets mit kulturspezifischen Unterschieden bei der Sphärendistribution rechnen. Was als Thema in einigen Kulturen nur zur persönlichen Sphäre gehört, kann in anderen auch in der sozialen vorkommen.

4.5. Die Sprache.

Als gemeinsamen Aktivitätsrahmen in der Situation Zweitsprachenunterricht habe ich das Lehren bzw. Lernen der Zielsprache genannt. Im folgenden Abschnitt möchte ich das Phänomen Sprache in Rahmen des Zweitsprachenunterrichts ausführlich anschauen.

4.5.1. Sprache als psychosoziales Phänomen.

Die menschliche Sprache ist ein psychosoziales Phänomen. Sie existiert und entwickelt sich in einem biologischen und sozialen Kontext. Sie dient als Zeichensystem der Denk-, Erkenntnis- und sozialen Handlungsprozesse der Menschen. Sie ist somit für die Mitglieder einer Gesellschaft das wichtigste Ausdrucks- und Kommunikationsmittel. Mit der Sprache erwirbt ein Mensch unter anderem auch soziale Normen und Verhaltensweisen sowie kulturelle Traditionen. Für das Individuum ist Sprache auch der primäre Faktor seiner persönlichen und sozialen Identität und ein Faktor der Identifikation. Durch unsere Sprache wird sowohl unsere nationale und regionale als auch unsere Geschlechts- Schichten- und Gruppenzugehörigkeit deutlich.

Sprache ist aber auch eines der wichtigsten institutionalisierten Instrumente einer Gesellschaft: Ohne Sprache können keine sozialen Institutionen einer Gesellschaft funktionieren. Sie ist dadurch auch der wichtigste Faktor für soziale Kontrolle und sozialen Einfluss. Sie ermöglicht nicht nur Kontakt in einer Gruppe, sie ist auch selbst ein gruppenbildender und gruppenkennzeichnender Faktor.

Sprache hat eine ganz spezifische Beziehung zur Kultur: Sie ist einerseits selbst kulturbedingt, was sich im Wortschatz und in der Ausdrucksart widerspiegelt, und andererseits ist sie ein Mittel sowohl für die Bezeichnung und Beschreibung kultureller Einheiten als auch für ihre Analyse.

[...]


1 Vgl. Krumm, H.J.: „Sprachkenntnisse sind keine Garantie für Integration.“ www.dieuniversitaet- online.at, 02.08.06.

2 Vgl. Esser, Hartmut: Sprache und Integration: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Zusammenhänge. Working Paper Nr. 7. http://www.oeaw.ac.at/kmi, 11.09.06.

3 Esser, Hartmut: Sprache und Integration: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Zusammenhänge. Working Paper Nr. 7. http://www.oeaw.ac.at/kmi, 11.09.06.

4 Esser, Hartmut: Sprache und Integration: Konzeptionelle Grundlagen und empirische Zusammenhänge. Working Paper Nr. 7. http://www.oeaw.ac.at/kmi, 11.09.06.

5 Vgl. Oksaar, Els: Zweitspracherwerb. Wege zur Mehrsprachigkeit und zur interkulturellen Verständigung. Verlag W. Kohlhammer, 2003. S. 32.

6 Knapp/Knapp-Potthoff, 1990 (aus der Kopievorlage).

7 Vgl. Oksaar, 2003. S. 33.

8 Hofstätter in Oksaar, 2003. S. 33.

9 Vgl. Oksaar, 2003. S. 35.

10 Günthner, S., Luckmann, T.: Wissensassymmetrien in interkultureller Kommunikation. Kopievorlage. S. 223.

11 Luckmann, T.: “On the Communicative Adjustment of Perspektives, Dialogue, and Communicative Genres”, Manuskript, Konstanz 1989, 11. In Günthner, S., Luckmann, T.: Wissensassymmetrien in interkultureller Kommunikation. S. 223.

12 Luckmann, T.: „Einleitung zu „Rekonstruktive Gattungen““. Manuskript, Konstanz, 1992, 39. In Günthner, S., Luckmann, T.: Wissensassymmetrien in interkultureller Kommunikation. S. 225.

13 Schütz, A.: Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch. In: Mert-Benz, P., Wagner, G. (Hrsg.) Der Fremde als sozialer Typus. Klassische soziologische Texte zu einem aktuellen Phänomen. UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz, 2002. S.73.

14 Schütz, A.: Der Fremde. S. 78.

15 Schütz, A.: Der Fremde. S. 79-80.

16 Schütz, A.: Der Fremde. S. 79-80.

17 Schütz, A.: Der Fremde. S. 83-84.

18 Schütz, A.: Der Fremde. S. 91-92.

19 Watzlawick u.a., 1969, S.51. In: Hans-Jurgen Göppner: Hilfe durch Kommunikation in Erziehung, Therapie, Beratung: Ziele und Handlungskriterien. Bad Heilbrunn 1984 (Julius Klinkhardt), S. 17.

20 Friedmann Schulz von Thun: Miteinander Reden: Störungen und Klärungen. Reinbek bei Hamburg 2001 (Rowohlt), 34 Aufl., S. 25.

21 Göppner H.-J.: Hilfe durch Kommunikation in Erziehung, Therapie, Beratung: Ziele und Handlungskriterien. Bad Heilbrunn 1984 (Julius Klinkhardt). S. 16.

22 Göppner, 1984, S. 53-54.

23 Göppner, 1984, S. 19.

24 Göppner, 1984, S. 19.

25 Auernheimer, Georg: Interkulturelle Kompetenz – ein neues Element pädagogischer Professionalität? In: Auernheimer, G. (Hfsg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Leske + Budrich, Opladen 2002. S. 183 – 203.

26 Lexikon der Soziologie 1973 – 186. In: Auernheimer, Georg: Interkulturelle Kompetenz – ein neues Element pädagogischer Professionalität? S. 186.

27 Moscovici: In: Auernheimer, Georg: Interkulturelle Kompetenz – ein neues Element pädagogischer Professionalität? S. 188.

28 Vgl. Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. Drei Theorien in der interethnischen Kommunikation. In: Rehbein Johen (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Gunter Narr Verlag Tübungen, 1985. S. 105-108.

29 Vgl. Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. S. 108-114.

30 Moeman, In: Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. S. 109.

31 Moeman, in: Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. S. 109.

32 Vgl. Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. S. 110.

33 Barth, in: Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. S. 110

34 Barth, in: Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. S. 110

35 Vgl. Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. S. 114-117.

36 Vgl. Streek, Jurgen: Kulturelle Kodes und Ethnische Grenzen. S. 116-117.

37 www.systemische-beratung.de, 02.09.2006.

38 Schütze, Fritz , 1987: Situation. In: Ammon, Ullrich et al. (Hg.). Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Sociolinguistics. An International Handbook of the Science of Language and Society. Berlin, New York: Walter de Gruyter & Co, 1987. S. 157.

39 Schütze, 1987, S.161.

40 vgl. Schütze, 1987, S.161.

41 Reich, Hans H., u. a.: Fachdidaktik interkulturell. Ein Handbuch. Leske+Budrich, Opladen 2000, S. 255-285.

42 Vgl. Oksaar, 2003. S. 47.

Ende der Leseprobe aus 158 Seiten

Details

Titel
Dimensionen interkultureller Verständigung
Untertitel
Eine empirische Analyse von Situationen der Sprach- und Kulturvermittlung im Kontext der Integrationskurse für Zugewanderte in Deutschland
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (FGSE)
Note
2,4
Autor
Jahr
2007
Seiten
158
Katalognummer
V84984
ISBN (eBook)
9783638891295
ISBN (Buch)
9783638891332
Dateigröße
2299 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dimensionen, Verständigung
Arbeit zitieren
Anna Shkonda (Autor:in), 2007, Dimensionen interkultureller Verständigung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84984

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