Die Blechtrommel - Fragen zu Schuld und Verantwortung


Dossier / Travail de Séminaire, 2004

16 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Schuld in der Handlungsebene
1.2 Oskars Begründungsnot
1.3 Schuldzuweisungen

2. Schuld in der Darstellungsebene
2.1 Der Artistische Roman
2.2 Die Blechtrommel als Artistenroman
2.3 Scheitern und Gelingen

Resümee

Literaturverzeichnis

Vorwort

Meine Arbeit verdankt sich zu einem großen Teil der Zusammenarbeit mit den KommilitonInnen, die sich in der Gruppe der Nachkriegsliteratur mit der Blechtrommel[1] von Günter Grass beschäftigt haben. In unseren Diskussionsrunden ergaben sich allerdings immer wiederkehrende Reibungspunkte. Ein für die Gruppe wesentlicher Punkt dabei war die Frage von schuldhaften Verhaltensweisen der Figuren im Roman.

Vor allem die Figur des Oskar Matzeraths sperrte sich gegen eine „eindeutige“ Lesart und somit gegen einen sicheren Interpretationsansatz. Auch zum Zeitpunkt der Präsentation des Buches konnten wir uns im Detail nicht einig werden darüber, welche Bedeutung diese Widersprüchlichkeiten im Bericht von Oskar haben.

Für das Bearbeiten dieser Problematik fand ich vor allem in dem Buch von Klaus von Schilling[2] interessante Überlegungen. Deshalb richtet sich meine Beschäftigung mit der Blechtrommel an dessen Buch aus.

Der Aspekt, den wir im Gruppengespräch leider nicht genauer beleuchtet haben, und der mir jetzt ein geradezu wesentlicher geworden ist, ist die genaue Analyse der beiden tragenden Erzählebenen. Das Auseinanderhalten der Handlungsebene und der Darstellungsebene war zumindest mir, peinlich genug, zum Zeitpunkt der Präsentation des Buches nicht in dem jetzigen Maße bewusst. Denn gerade darin sehe ich nun die einzige Möglichkeit, mit der Schuldproblematik, die für das Buch von Günter Grass immanente Bedeutung hat, in angemessener Weise umzugehen.

1. Schuld in der Handlungsebene

In der Handlungs- und Geschehensebene der Blechtrommel wird dem Leser, durch den Romanschreibenden Oskar Matzerath, dessen Familienleben und wesentliche historische Ereignisse in dem Zeitraum von 1899 bis 1952 geschildert.

Die kleinbürgerliche Welt seiner Eltern ist vor allem die Schablone, vor welcher Oskar Fragen des Anhäufens von Schuld, des gegenseitigen Zuweisens von Schuld und des Scheiterns darin, sich dieser Schuld zu stellen, abarbeitet.

Ich werde vor allem das Verhältnis zwischen Oskars Eltern und dem Onkel Jan Bronski, den Oskar ebenfalls, und nicht zu Unrecht, als potentiellen Vater ansieht, untersuchen. Daran werde ich aufzuzeigen versuchen, inwiefern das Thema Schuld im Roman entwickelt wird und weitere Handlungsabläufe auslöst.

1.2 Oskars Begründungsnot

Oskar beschließt an seinem dritten Geburtstag nicht mehr zu wachsen.[3] Um den Eltern eine Erklärung für das Nichtwachsen geben zu können, bedarf es eines von allen einsichtigen Grundes.

Von Anfang an war mir klar: Die Erwachsenen werden dich nicht begreifen, werden dich, wenn du für sie nicht mehr sichtbar wächst, zurückgeblieben nennen, werden dich und ihr Geld zu hundert Ärzten schleppen, und wenn nicht deine Genesung, dann die Erklärung für deine Krankheit suchen.[4]

Oskar folgert:

Ich musste also, um die Konsultationen auf ein erträgliches Maß beschränken zu können, noch bevor der Arzt seine Erklärung abgab, meinerseits den plausiblen Grund fürs ausbleibende Wachstum liefern.[5]

Alfred Matzerath, der das Schließen der Falltür zum Lagerkeller in der Hektik des Geburtstagsfests „mochte vergessen haben“[6], liefert Oskar die gesuchte Möglichkeit, der Erwachsenenwelt das ausbleibende Wachstum zu begründen. Er entschließt sich kurzerhand dazu, die Treppe hinabzuspringen und das ganze als Unfall vorzutäuschen. Dabei geht er so planvoll und geschickt vor, dass auch wirklich alle anwesenden Geburtstagsgäste davon Kenntnis nehmen und herbeieilen müssen.[7] Oskars Vorhaben gelingt und wird zum vollen Erfolg.

Quasi nebenbei ergibt sich aber ein für meine Arbeit wesentlicher Punkt. Alfred Matzerath wird von seiner Frau Agnes verantwortlich für Oskars Kellersturz gemacht. Oskar gesteht, dass er „...ohne es eigentlich zu wollen den guten harmlosen Matzerath zu einem schuldigen Matzerath gemacht“ hat.[8]

Er hatte die Falltür offengelassen, ihm wurde von Mama alle Schuld aufgebürdet, und er hatte Gelegenheit, Jahre an dieser Schuld, die ihm Mama zwar nicht oft, aber dann unerbittlich vorwarf, zu tragen.[9]

Alfred Matzerath wird also für etwas zur Verantwortung gezogen, dass er weder aktiv betrieben noch gewollt hat. Diese Kellersturzszene beziehungsweise die Entscheidung Oskars, nicht mehr wachsen zu wollen, ist in der Folge aber kein eigentlicher „Schuldmotor“ für Alfred. Auch wenn er dies unerbittlich von Agnes zu hören bekommt, entwickelt er daraus folgend keine weiteren Gewissensqualen. Für ihn hat sich der Unfall ereignet und nun muss mit den Folgen gelebt werden. Hier scheint die rheinische Frohnatur durch, der Alfred als Kriegsverletzter schon im Lazarett „Silberhammer“ frönte.[10] Dort, wie in der Folge auch am eigenen Herd, versteht er es, Gefühle in Suppen zu verwandeln.[11] Warum soll dies nicht auch mit eventuell doch entstandenen Schuldgefühlen geschehen?

Ob Alfred nun tatsächlich Schuld an Oskars Sturz und dessen Folgen empfindet, bleibt in Oskars Schilderungen zumindest unerwähnt. Ganz sicher wird sie aber nicht zu einem handlungstreibenden Schuldmotor.

Ganz anders erscheint mir die Situation bei Oskars Mutter. Agnes schreibt sich selbst im Laufe der Zeit Schuld an Oskars „Zustand“ zu. Der Auslöser dafür ist das schon vor Oskars Zeugung bestehende Liebesverhältnis zu ihrem Cousin Jan Bronski. Sie kann sich nicht sicher sein, ob nicht doch Jan der eigentliche Vater Oskars ist. Damit könnten auch Jan und sie selbst die Schuld tragen, die sie öffentlich Alfred zuschreibt.

Hier wird also zu einem gewissen Grad Schuld eingestanden ohne jedoch in der Lage zu sein, sich den schuldauslösenden Handlungen zu entziehen. Jan und Agnes treffen sich weiterhin nahezu jeden Donnerstag zu den gemeinsam verbrachten Liebesstunden. Und obwohl Agnes von der „Rechtmäßigkeit“ dieser Liebesstunden überzeugt zu sein scheint[12], innerlich kann sie sich den Folgen ihrer Handlungen nicht entziehen. Und damit wird diese Einsicht zumindest bei Agnes zum Schuldmotor. Dies würde zumindest auch eine Erklärung dafür liefern, warum sie sich mit dem Wissen um eine zweite Schwangerschaft an enormen Mengen verzehrten Fischs vergiftet.[13]

[...]


[1] Grass, Günter. Die Blechtrommel. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG 1995. 3. Aufl.

[2] von Schilling, Klaus. Schuldmotoren. Artistisches Erzählen in Günter Grass` ,Danziger Trilogie’. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2002.

[3] Grass, Günter. a.a.O. S. 61.

[4] Ebd. S. 63.

[5] Ebd.

[6] Ebd. S. 64.

[7] Ebd.

[8] Ebd. S. 65.

[9] Ebd.

[10] Ebd. S. 40.

[11] Ebd.

[12] Ebd. S. 111.

[13] Ebd. S. 183 f.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Die Blechtrommel - Fragen zu Schuld und Verantwortung
Université
Martin Luther University  (Germanistisches Institut)
Cours
Wie aktuell sind die literarischen Klassiker? Probleme der Literaturvermittlung
Note
1,3
Auteur
Année
2004
Pages
16
N° de catalogue
V85003
ISBN (ebook)
9783638002899
Taille d'un fichier
512 KB
Langue
allemand
Mots clés
Blechtrommel, Fragen, Schuld, Verantwortung, Klassiker, Probleme, Literaturvermittlung
Citation du texte
Stephan Dietze (Auteur), 2004, Die Blechtrommel - Fragen zu Schuld und Verantwortung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85003

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