Nichtdemokratisches Regieren in Pakistan


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

I.1 Vorbemerkungen
I.2 Weshalb Pakistan?
I.3 Stand der Literatur

II.1 Typologien
II. 2 Islam und Demokratie
II.3 Pakistan
II.3. 1 Militärdiktaturen im Entwicklungsverlauf Paks
II.3. 2 Systemlegitimierung der Militärdiktatur
II.4 Rolle westlicher Politischer Theorien

III. Chancen und Risiken

Literatur

V. Anhang

I.1 Vorbemerkungen

„Pakistan ist he stage, Islam the theme, and the principal actors politicians, bureaucrats, and uniformed officers”[1].

Die hier vorliegende Hausarbeit befasst sich mit nichtdemokratischem Regieren in Pakistan. Die Interaktionen zwischen einer islamisch geprägten Gesellschaft und deren politischen Führung sollen ebenso behandelt werden, wie die Frage des Einflusses westlich geprägter politischer Theorien wie Liberalismus oder Sozialismus. Die besondere Bedeutung von Militärdiktaturen im Entwicklungsverlauf des Landes wird dargestellt und unter Einordnung dieses Regierungstyps in Analyseschemata erklärt. Zum besseren Verständnis der Rolle des Militärs werden diese Regierungen den Phasen demokratisch gewählter Herrschaft gegenüber gestellt. Das Augenmerk liegt hierbei auf ideengeschichtlichen Grundlagen der Herrschaft, weniger auf der Systemstruktur an sich. Es werden Erklärungsansätze vorgestellt, wie sich Militärdiktaturen in Pakistan legitimieren. Aus einer Melange des islamischen Wertesystems, militärischer Herrschaft und Demokratisierungsbewegungen entwickelte Pakistan eine spezifische politische Kultur. Besonders interessant dabei ist, dass gerade in Zeiten demokratischer Regierung Extremisierung und Radikalisierung verstärkt auftreten. Risiken und Chancen einer Demokratie stehen sich hier also gegenüber. Zum Abschluss gebe ich einen Ausblick auf aktuelle Demokratisierungsbewegungen und deren Erfolgschancen.

I.2 Weshalb Pakistan?

Natürlich stellt sich die Frage weshalb es überhaupt lohnenswert sein mag, sich speziell mit diesem Land zu beschäftigen. Einige Gründe sollen hier aufgeführt sein. Pakistan wird als eines der potentiell problematischsten Länder der Welt betrachtet. Zum einen ist es mit knapp 150 Millionen Einwohnern das viertgrößte nichtdemokratisch regierte Land der Erde. Die Bevölkerung wächst stetig und in der südöstlichen Hafenstadt Karachi bildet sich eine jener Megametropolen in denen ein bedeutender Teil der 14 Mio. (bald 20 Mio.) Einwohner in Slums lebt. Das Verhältnis zwischen Stadt und Land stellt einen enormen sozialen Konfliktherd dar. In sich ist das Land ethnisch zersplittert, mit Abspaltungstendenzen in den nordwestlichen Landesteilen und der ungelösten Kaschmirfrage. Doch nicht allein die Größe ist problematisch, sondern vor allem die atomare Kapazität, gepaart mit der jahrzehntelangen Feindschaft zur benachbarten Atommacht Indien. Das Selbstverständnis als einzige islamische Atommacht wird speziell dann gefährlich, wenn die gemeinsame islamische Identität als Grund der Weiterverbreitung von Atomtechnik in andere nichtdemokratische Regime im Nahen Osten gebraucht wird. Auch die Rolle Pakistans, vor allem des Geheimdienstes, als weiterhin aktive Unterstützungsbasis der afghanischen Taliban und Al-Kaida macht deutlich, dass der innenpolitische Zustand des Landes erhebliche Bedeutung für die Weltordnung aufweist. Gleichzeit untergeht Pakistan Modernisierungsbewegungen. Die Wirtschaft ist weitgehend liberalisiert und öffnet sich zunehmend dem globalen Markt. Ein stetiges Wirtschaftswachstum schafft zunehmenden Wohlstand, vor allem der Mittelschichten. Dieser geht mit einem steigenden Bewusstsein der Bedeutung von Bildung einher.

Doch nicht nur aus politischen Gründen scheint es notwendig sich mit diesem Staat zu befassen. Auch wissenschaftlich ist Pakistan äußerst interessant. Zum einen, aufgrund des eigenen Verständnisses als islamische Republik, welche als besonders hoch entwickelte Staatsform betrachtet wird. Es gilt zu erforschen, welche Art politischer Theorie die Grundlage dieses Selbstverständnis bildet und inwieweit sich in der Forschung eine spezifische Politische Philosophie des Islam etabliert. Dabei stellt sich natürlich für westliche Wissenschaftler auch die Frage nach der Universalität der Bewertungsmaßstäbe an denen diese politische Theorie, bzw. darauf aufbauende Staaten eingeordnet und gemessen werden können. Hier steht die Annahme universaler menschlicher Naturrechte der Idee eines multikulturellen Perspektivismus gegenüber. Es stellt sich nicht nur theoretisch, sondern auch in der außenpolitischen Praxis, das Problem der Übertragbarkeit westlicher Vorstellungen einer guten Staats- und Gesellschaftsordnung. Die Positionen schwanken dabei zwischen einem kulturellen und sozialen Relativismus, welcher eine Übertragung der Analysekategorien der Totalitarismusforschung und kritische Betrachtung pakistanischer Demokratiedefizite für unangemessenes (Macht-) Streben hielte; während auf der anderen Seite missionarischer Eifer stünde, durch die pauschale Verbreitung westlicher Demokratiemuster die Welt besser und sicherer zu machen. Beides ist allerdings wenig sinnvoll und soll hier nicht verfolgt werden. Notwendig ist jedoch, Sensibilität zu entwickeln ob und inwieweit unsere Vorstellungen von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat von der eigenen westlichen, christlich geprägten Kultur beeinflusst sind und wie weit sie speziell auf Staaten im islamischen Kulturkreis übertragbar wären.

Zum anderen ist Pakistan auch deshalb ein sozialwissenschaftlich fruchtbares Untersuchungsgebiet, weil wir es hier mit einem Land zu tun haben, in welchem wiederholt und meist friedlich Transformationen von demokratischen zu nichtdemokratischen Regierungen und zurück stattfanden. Dabei lässt sich sowohl die Frage nach den Gründen mangelnder Stabilität der Demokratie stellen, als auch die Frage, weshalb trotz autoritärer Machthaber immer wieder Demokratisierungsbewegungen erfolgreich verlaufen.

I.3 Stand der Literatur

Die Mehrzahl der Publikationen zur politischen Entwicklung Pakistans stammt aus dem Land selbst und ist in Urdu oder Englisch verfügbar. Dabei zeigt sich, dass nicht nur von Akademikern zum Thema Veröffentlichungen vorliegen, sondern dass eine Vielzahl von Journalisten (vor allem der großen Qualitätszeitungen Dawn, Friday Times, The Nation) sich kritisch mit der politischen Entwicklung auseinandersetzen. Hervorgehoben seien hier die ausgezeichneten Arbeiten des kürzlich verstorbenen Zamir Niazi (Press in Chains, Press under Siege). Er betrachtet in seinen Veröffentlichungen besonders Rede- und Pressefreiheit als elementare Rechte und deren Behandlung im pakistanischen politischen System. Problematisch speziell bei älteren pakistanischen Publikationen ist, dass diese häufig Objektivität in der Betrachtung pakistanisch-indischer Beziehungen vermissen lassen. Plumpe Ideologie findet sich unter akademischen Publikationen neben methodologisch einwandfreien Arbeiten. Nichts desto weniger setzt sich die Mehrzahl der neueren Bücher kritisch mit der eigenen Politik auseinander, wie z.B. Khaled Ahmed (Pakistan – The State in Crisis) und Mohammad Waseems. Das Hauptaugenmerk liegt dabei leider auf Systemanalyse, weniger auf einer systematischen Auseinandersetzung mit politischer Ideenlehre. Gerade der Forschungsbereich der Verfassungslehre scheint unterentwickelt. Hierin spiegelt sich die politische Realität einer wenig entwickelten Auseinandersetzung mit Ideenlehre bei politischen Akteuren wieder. Ausnahmen sind jedoch auch hier zu finden. Beispielhaft genannt seien hier Qazi M. A. Abbasi (Aspects of Politics & Society), Aziz Ahmad (Modernism in India and Pakistan) und Inamur Rehman (Public Opinion and Political Development in Pakistan).

Darüber hinaus gibt es natürlich auch im Ausland von (teilweise pakistanisch stämmigen) Wissenschaftlern veröffentlichte Monographien, sowohl in Indien, als auch in Europa und Nordamerika. A.M. Zaidi (Evolution of Muslim Political Thought) als in Indien verlegtes Buch, mit der Besonderheit das es Ideenlehre behandelt, sei hier genannt.

Die Werke des an der Queens University emeritierten Professors Khalid bin Sayeeds (Western Dominance and Political Islam, sowie Politics in Pakistan: The Nature and Direction of Change und The Political System of Pakistan) bildeten eine der Inspirationsquellen dieser Arbeit. Zur besonderen Rolle des Militärs empfehlen sich unter anderem Veena Kukrejas Werk Civil-Military Relations in South Asia und Stephen P. Cohens The Pakistan Army. Zum Thema Islam und Demokratie allgemein, bieten besonders die Mitarbeiter des Center for Muslim-Christian Understanding der Georgetown University, das Institute for Research and Islamic Studies in Houston und die Library of Modern Middle East Studies des Verlags Palgrave Macmillan einige Publikationen. Einen Überblick über die Problematik nichtdemokratischer Systeme und Islam gibt z.B. Islam und Democracy von John Esposito und John Voll, Bernard Lewis Islam and the West sowie Yaacov Ro’i Democracy and Pluralism in Western Eurasia (hier am Beispiel der GUS). Als etwas ältere Monografie wäre Hamid Enayats Modern Islamic Political Thought genannt. Aufsätze in Fachzeitschriften finden sich zu Pakistan nur sehr selten. Das International Journal of Middle East Studies bietet jedoch hilfreiches zum Verhältnis Islam und Demokratie.

Als allgemeines Nachschlagewerk sei die Oxford Encyclopedia of the Modern Islamic World empfohlen. Der Politikwissenschaftler Bassam Tibi (Militär und Sozialismus in der Dritten Welt, Die Krise des modernen Islam, Krieg der Zivilisationen, Politik und Religion zwischen Vernunft und Fundamentalismus) stellt einen der deutschsprachigen Wissenschaftler in diesem Gebiet dar. Die Rolle der ethno-nationalen Mobilisierung wird von Carsten Wieland ausführlich beschrieben und kategoriesiert. Dadurch, dass ein erheblicher Teil der zugrunde gelegten Literatur nur in Englisch erhältlich war, sind in dieser Hausarbeit zitierte Quellen der Einfachheit und Genauigkeit halber in Englisch belassen, diese Mischsprachigkeit möge verziehen werden.

II.1 Typologien

Versucht man es pauschal zu formulieren, so bedeuten Militärregierungen Herrschaft eines Militärs oder einer Junta in einem Staat. Die Übernahme der Macht wird als coup d’etat oder Staatsstreich bezeichnet und das Regieren beruht auf der Unterstützung und Absicherung des Machthabers durch die Streitkräfte. Damit würden Militärregierungen der Vielzahl ziviler Regierungen gegenüberstehen. Eine solche Einteilung allerdings greift erheblich zu kurz und vernachlässigt die zivile Komponente in Militärregierungen. Ein Überblick über einige ausgewählte Typologien und deren Verortung von Militärregierungen scheint deshalb sinnvoll. Die hier vorgestellten Analyseschemata bilden die Grundlage der späteren Betrachtung nichtdemokratischen Regierens in Pakistan.

Wolfgang Merkel unterscheidet 3 Systemtypen anhand ihrer Herrschaftsmerkmale und teilt jene in Subtypen, welche anhand von Realtypen konstruiert sind, ein.[2] Der bedeutendere und klare Gegensatz liegt bei ihm zwischen demokratischen und nichtdemokratischen Systemen, während totalitäre und autoritäre Systeme beide als autokratisch zu bezeichnen sind. Militärregierungen bilden bei Merkel einen autoritären Subtyp und erfüllen damit die Bedingungen jenes Types: des eingeschränkten Herrschaftszugangs, semipluralistischer Herrschaftsstruktur mit umfangreichen Anspruch, welcher rechtsstaatlich bis repressiv umgesetzt wird. Die Legitimation der militärischen Führer basiert auf Mentalitäten und Traditionen und wird falls nötig durch Repressionen abgesichert. Andere Gruppen werden dabei vornehmlich aus pragmatischen, nicht ideologischen Gründen von der Macht ausgeschlossen. Die Abgrenzung von Militärregimen zu anderen autoritären Systemen bildet der Herrschaftsträger, hier das Militär. Dabei kann es mehrere Parteien geben, welche militärisch kontrolliert aber nicht vollständig beherrscht sind. Wesentlich ist, dass das Militär eine vorherrschende Rolle in allen einigermaßen wichtigen Entscheidungen inne behält und nur unwesentliche Entscheidungen anderen Akteuren überlässt. Bürokratisch-militärische Regime und militärische Führerregime stellen nach Merkel dann eine weitere Unterteilung des Subtyps Militärregierungen dar.

Für Dieter Nohlen hingegen ist das autoritäre Regime ein Systemtypus sui generis. Das bedeutet, dass autoritäres Regieren sich von demokratischen und totalitären Systemen grundlegend unterscheidet[3]. Damit steht er im Gegensatz zu Merkels Abgrenzung von demokratischen vs. autokratischen Regimen. Vom Ansatz Linz’ unterscheidet Nohlens Typologie dadurch, dass er Realtypen in den Vordergrund stellt um seine Kategorien zu erstellen. Diese versieht er dann jeweils mit Beispielen politischer Systeme. Autoritäre Regierungen werden dann an folgenden Merkmalen gemessen: 1. ihrer begrenzten sozialen und politischen Basis (militärisch, bürokratisch, ethnisch, etc.), 2. ihrem primären Legitimationsmuster (traditionell oder charismatisch, nicht rechtstaatlich rational), 3. der Zentralisierung und oft auch Personalisierung politischer Macht (allenfalls formale aber nicht reale Gewaltenteilung), 4. eine top-down Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten (Mobilisierung von oben) und letztlich 5. eine Tendenz zur Selbstprivilegierung der Herrschenden in den getroffenen Entscheidungen (policies). Anhand der eben dargestellten Maßstäbe müssen Militärregime als autoritär eingeordnet werden. Nachteile der Typologie Nohlens liegen in der mangelnden Trennschärfe und der Unsystematik der Kategorien, welche sich primär dadurch erklärt, dass er eben von Realtypen ausging.

Juan Linz sieht autoritäre Systeme ebenso als eigenen Systemtyp. „Die Art der Machtausbildung, Organisationsformen, Glaubens- und Wertsysteme, die Verbindung von staatlicher Macht und gesellschaftlicher Sphäre sowie auf die Rollenzuweisung der Bevölkerung im politischen Prozess"[4] sind die entscheidenden Unterscheidungsmerkmale anhand derer Idealtypen gebildet werden sollen. Auf diesen Kategorien aufbauend erstellt Linz einen dreidimensionalen Merkmalsraum mit folgenden Merkmale zur Verortung autoritärer und totalitärer Regime: Pluralismus (begrenzt vs. monistisch), Partizipation (Entpolitisierung vs. Mobilisierung) und Weltanschauung (Mentalitäten vs. Ideologie). Ausgeklammert werden hingegen Zielvorstellungen und Ursprünge des Systems, Transformationen und Policy Outputs sind demnach schwierig zu erklären. Auch ist die Trennschärfe der Kategorien im Umgang mit Realtypen schwierig, z.B. was die Frage nach dem Ausmaß von Pluralität bzw. Monismus anbelangt.

Militärische Herrschaft bildet einen der sieben Subtypen autoritärer Systeme. Nach Linz besteht ein wesentliches Merkmal militärischer Herrschaft darin, dass als Legitimationsgrundlage keine (totalitären) ausgefeilten richtungsweisenden Ideologiegebäude dienen sondern „distinctive orientations and mentalities“[5]. Diese Mentalitäten werden stabilisiert durch traditionelle Institutionen wie Monarchie, Kirche oder „vormoderne soziale Strukturen wie aristokratische oder bürgerliche Großgrundbesitzer“[6]. Jene traditionellen Institutionen stehen jedoch in keinem Machtkonflikt zu den Herrschenden und stellen keine Bedrohung des Militärregimes dar. Während totalitäre Regime sich in der Regel zwar auch auf militärische Macht stützen, so tun sie dies in Form bewaffneter Einheitspartei-Organisationen. Sobald der Führer in diesem System die Macht übernimmt, sichert er seine Vorherrschaft über andere Subsysteme, einschließlich dem militärischen. Militärregime, so Linz, erlauben hingegen einen begrenzten, wenig verantwortlichen Pluralismus, auch bei Parteien. Gesamtgesellschaftliche Mobilisierung ist militärischen Herrschern fremd, stattdessen wird politische Apathie gefördert. Im Verhältnis zu Parteien lässt sich feststellen, dass die herrschenden Militärs versuchen mit Bestechung, Kooperation und Manipulation Parteien politisch ungefährlich zu machen. Philippe Schmitter nennt diese Taktik „besetzten politischen Raum“ und meint, dass Parteien existieren, welche politische Partizipation aus der Gesellschaft nicht fördern, dabei aber Pluralismus vorgaukeln. Es existieren also sowohl traditionelle Institutionen als auch Parteien, jedoch werden sie nicht zu potentiell bedrohlichen Akteuren, stattdessen agieren sie entweder systemkonform oder meist gar nicht.

Ein besonders interessanter Aspekt der Linz’schen Typologie ist seine Betrachtung der Rolle der Bürokratie in Militärregierungen. Militär und Bürokratie betrachtet er als interdependent. Bürokratisch-militärische Regime zeichnen sich vor allem durch ihre Koalition aus Militärs und Bürokraten aus, welche in der Herrschaftspraxis parlamentarische und konstitutionelle Elemente vorangegangener demokratischer Regime als Fassade weiterführen. Der zivile Anteil an der Regierung führt dabei vor allem jene Ordnungs- und Versorgungsfunktionen aus, die den jeweiligen Staat regierbar machen. Durch die unterschiedliche Sozialisierung militärischer und bürokratischer Akteure kommt es häufig zu widersprüchlichen und gegenläufigen Handlungen im System. Diese Widersprüchlichkeit birgt zugleich einen begrenzten Pluralismus in sich, welcher allerdings von Seiten der Akteure nicht unbedingt geplant und gewollt sein muss. Linz führt statt „pluralistisch“ für diese Erscheinung den Terminus „prismenförmig“ ein und führt aus „Per Definition ist diese prismenförmige, zerschnittene Gestaltung politischer Kräfte instabil und kann am besten als ein Übergangsstadium politischer Veränderung gedacht werden“[7].

Max Weber unterscheidet drei verschiedene Legitimitätstypen von Herrschaft. Grundlage der Einteilung der Typen ist dabei die Legitimitätszuschreibung der Beherrschten. Militärische Regime sind dabei schwer einzuordnen, sie stellen Mischtypen dar. So gibt es einerseits das Phänomen, dass der führende Militär als charismatisch gesehen wird. Heldenhafte Erlebnisse in Schlachten, überlebte Anschläge oder eine starke Anziehungskraft unter den direkten Anhängern, vor allem im Militär selbst, wären dabei zu nennen. Andererseits ist diese Wirkung oft stark begrenzt und wird durch stark patrimonale, bürokratische Herrschaft ergänzt. Diese muss nicht nur staatlich sein, sondern kann durch traditionelle Institutionen ausgeübt werden. Damit spielt also auch das Element traditioneller Legitimität eine Rolle. Rationale Herrschaft hingegen lässt sich nur vermeintlich in der vorhandenen Scheinkonstitutionalität und pseudoparlamentarischen Strukturen finden. Die demokratische Fassade stellt allerdings keinen ausreichend legalistischen Rahmen für rationale Herrschaft dar. Nach Webers Konzept ist eine Militärdiktatur nämlich dadurch nicht demokratisch, dass die Bürokratie keinen klaren, zustimmungsfähigen und transparenten Verfahren folgt und nicht durch parlamentarische Organe kontrolliert wird.

Aristoteles stellt in seiner Systemtypologie nicht nur die Frage nach der Zahl der Herrschenden (quantitative Dimension), sondern er hat als zweites Merkmal die Frage nach dem Nutzen der Herrschaft (qualitative Dimension) und entscheidet anhand derer über gute (nützt dem Gemeinwohl) und schlechte (nützt den Regierenden) Formen. So kontrastiert er Monarchie mit Tyrannis, Aristokratie mit Oligarchie und Politie mit Demokratie.[8] Erst später wandelte sich der Begriff der Demokratie und wurde als gute Form der Ochlokratie (Pöbelherrschaft) gegenüber gestellt. Das grundlegende Schema der Herrschaft Aller – Vieler – Einzelner stellt auch heute noch eine sinnvolle Analysekategorie dar, welche natürlich mit den zuvor bereits erörterten Typologien sinnvolle Weiterentwicklung erfuhr. Dabei so scheint es mir, gibt es in der Öffentlichkeit die Tendenz demokratische Herrschaft als wünschenswerteste Form des Regierens anzusehen, egal unter welchen Begleitumständen. Die Frage nach dem Nutzen der Herrschaft wird oft vernachlässigt. Jene Frage wird wohl deshalb meist etwas hinten angestellt, weil sie ideologisch belastet oder wenig objektiv messbar scheint. Trotzdem soll hier der Versuch unternommen werden im Vergleich demokratischer und nichtdemokratischer Herrschaft in Pakistan den Aspekt des Nutzens einfließen zu lassen und das Nonplusultra Demokratie zu hinterfragen.

Bereits angesprochen wurde, dass es problematisch ist, militärische Herrschaft auf der einen Seite und zivile Regierungen auf der anderen Seite pauschal gegenüber zu stellen. Dies sollte noch etwas ausgeführt werden. Amos Perlmutter schreibt, „modern military regimes are not purely military in composition. Instead they are fusionist, they are military-civil regimes”[9]. Auch Juan Linz schreibt “Der Untertyp, den wir am häufigsten bei autoritären Regimen finden, ist sicherlich jener, in dem Koalitionen dominieren, die von Militärs und Bürokraten beherrscht werden.“[10] Und weiter: „In vielen dieser Regime spielen traditionelle Institutionen wie die Monarchie und in einem geringeren Maße die Kirche oder vormoderne soziale Strukturen wie aristokratische oder bürgerliche Großgrundbesitzer, eine große Rolle“[11]. Im Folgenden sollen die institutionelle, kulturelle und soziale Tradition des Islam näher betrachtet werden, um deren Auswirkungen auf die politische Kultur Pakistans bewerten zu können.

[...]


[1] Ziring (1980), S. 109.

[2] Merkel (1999), S. 28.

[3] Nohlen (1997), S. 67ff.

[4] Nohlen (1997), S. 40.

[5] zit in Maniruzzaman (1990), S. 248.

[6] Linz (2000), S. 158.

[7] Linz (2000), S. 165.

[8] Neumann (1998), S.19ff.

[9] zit. in Maniruzzaman (1990), S. 247

[10] Linz (2000), S. 157

[11] Linz (2000), S. 158

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Nichtdemokratisches Regieren in Pakistan
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung)
Veranstaltung
Hauptseminar Nichtdemokratische Systeme
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
35
Katalognummer
V85017
ISBN (eBook)
9783638007894
Dateigröße
577 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nichtdemokratisches, Regieren, Pakistan, Hauptseminar, Nichtdemokratische, Systeme
Arbeit zitieren
Cathleen Bochmann (Autor:in), 2004, Nichtdemokratisches Regieren in Pakistan, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85017

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