Politische Verfolgung und politische Versuche der Demontage der Strafverteidigung in Deutschland


Seminararbeit, 2006

27 Seiten, Note: 12 Punkte


Leseprobe


Gliederung

A. Einleitung

B. Reichstagsbrandprozess
I. Historischer Hintergrund
II. Strafverteidigung innerhalb des Prozesses
1. Strafverteidiger Dr. Alfons Sack
2. Selbstverteidiger Georgi Dimitroff
III. Verlauf des Prozesses
IV. Durchbrechung grundlegender Rechtsstaatsprinzipien

C. RAF-Prozesse
I. Historischer Hintergrund
II. Politische Justiz
1. RAF-Anwälte und Linksanwälte
2. Strafverfolgung der RAF-Anwälte
III. Eingriffe in das Recht auf Verteidigung
1. § 31 EGGVG (Kontaktsperregesetz)
2. § 146 StPO (Verbot , mehrere Beschuldigte in einem Verfahren zu verteidigen)
3. § 137 Abs. 1 Satz 2 (Die Zahl der Verteidiger darf drei nicht übersteigen)
4. § 138 a-d (Ausschluss des Verteidigers)

D. Schlussbetrachtung

A. Einleitung

Der Strafverteidiger Carl von Ossietzky, vom Reichsgericht 1932 wegen Landesverrats verurteilt kommentierte seine Verurteilung wie folgt, er habe „niemals geglaubt, dass es in Deutschland Richter gäbe, die einem politischen Gegner mit den Mitteln des Strafrechts zum gemeinen Verbrecher stempelten“.[1]

In Rahmen des Seminars „Strafverteidiger“ habe ich mich mit dem Thema „Politische Verfolgung und politische Versuche der Demontage der Strafverteidigung in Deutschland“ beschäftigt und möchte im folgenden an zwei prägnanten Fällen in der Vergangenheit Deutschlands, nämlich dem Reichstagsbrand und den Prozessen um die RAF-Terroristen, erarbeiten, welche Mittel vom Staat, den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz eingesetzt werden, um die Strafverteidigung in politischen Prozessen erheblich zu erschweren oder gar zu verhindern.

Des Weiteren möchte ich aufzeigen welche Auswirkungen eine politische Justiz auf die Strafverteidiger, aber natürlich in Konsequenz auch auf ihre Mandanten hatte und ob es für die Strafverteidigungen Möglichkeiten gab, der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht durch Einsetzen juristische Mittel entgegenzuhalten.

B. Reichstagsbrandprozess

Am 27. Februar 1933 ging der Reichstag in Flammen auf, die noch am gleichen Abend stattgefundene Aufklärung durch die Verhaftung des Holländers Marinus van der Lubbe täuschte über die Bedeutung des Brandanschlages hinweg. Diese Nacht war der Ausgangspunkt des Aufeinanderprallens zweier konträrer Regime, denn sowohl die Nationalsozialisten als auch die Kommunisten versuchten den Brand des Reichstages für ihre Ideologie zu nutzen.

Die Konflikte einer Zeit spiegeln sich häufig in großen politischen Ereignissen wider und der Reichstagsbrandprozess war ein Ereignis, das die Macht der Nationalsozialisten festigte und durch Gesetzesverabschiedungen in grundlegende Prinzipien des Strafprozesses eingriff.

I. Historischer Hintergrund

Adolf Hitler wurde am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt, dieses bedeutete jedoch noch nicht die uneingeschränkte Macht der NSDAP im Parlament. Hitler hatte deswegen für den 5. März 1933 Neuwahlen erzwungen, in der Hoffnung hierbei die absolute Mehrheit zu erzielen.

Nicht nur die Mitglieder und Anhänger der NSDAP, sondern auch weite Teile der übrigen Bevölkerung sahen in der bevorstehenden Machtergreifung der Nationalsozialisten ein Ende der sozialen Misere durch die Weltwirtschaftskrise der Weimarer Republik. Vor allem von der Landbevölkerung wurde die These, dass die marxistischen Parteien für die Niederlage des ersten Weltkrieges und für den Versailler Vertrag verantwortlich seien, dankbar aufgenommen und als Begründung für die Unterstützung der NSDAP benutzt. Zumal Klassenjustiz und Verfolgung gegen „links“ schon lange in der Tradition der Weimarer Republik standen.[2] Am 22. Februar wurde die SA-Hilfspolizei unter der Leitung von Herrmann Göring gegründet; die Kommunisten wurden gejagt und in Prügelstätten der SA „konzentriert“. Am 04. Februar verabschiedete Hitler eine „Notverordnung zum Schutze des deutschen Volkes“, die bei einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung die Regierung ermächtigte, Streiks in Betrieben, sowie Versammlungen und Umzüge zu unterbinden. Je näher der Wahltermin zur Reichstagswahl kam, desto größer wurde die Angst in Kreisen der NSDAP vor einem kommunistischen Anschlag.

Die Brandstiftung am Reichstag erfolgte am 27. Februar 1933 zwischen 21:03 Uhr und 21:27 Uhr. Um 21:27 Uhr wurde der Holländer Marinus van der Lubbe im Südumgang des Reichstages festgenommen. Er bekannte sich nach dem amtlichen Preußischen Pressedienst angeblich als „Mitglied des kommunistischen Partei Hollands“.[3] Nach van der Lubbes eigener Aussage, hatte er die Flammen alleine durch mehrere, kleine Brandherde gelegt. Da er sich während seiner zahlreichen Vernehmungen allerdings in einigen Punkten widersprach, waren sich die nationalsozialistischen Führer Hitler, Göring und Goebbels einig, dass es sich um eine Tat von kommunistischer Seite handeln müsse. In einer beispiellosen Blitzaktion wurden die Büros der KPD besetzt und ihre Funktionäre noch in der Nacht zum 28. Februar festgenommen. Allerdings mussten sie weitestgehend aufgrund mangelnder Beweise wieder entlassen werden, außer Ernst Torgler, der Fraktionsvorsitzender der KPD war à gegen ihn wurde schließlich auch Anklage erhoben. Erst zwei Wochen später wurden auch drei Exil-Bulgaren, nämlich Georgi Dimitroff, Blagoi Popoff und Vasil Tannef unter dem Verdacht der Mittäterschaft an der Inbrandsetzung des Reichstages festgenommen.

Als Untersuchungsrichter gegen die fünf in Untersuchungshaft festgenommenen Beschuldigten fungierte Reichsgerichtsrat Paul Vogt. Der Oberreichsanwalt Werner erhob Anklage vor dem für Hoch– und Landesverrat zuständigen IV. Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig à er galt als ein ausgewiesen antikommunistisch eingestellter rechter Senat.

Vor dem eigentlichen Reichstagsbrandprozess in Leipzig fand schon kurz nach der Brandstiftung ein von Willi Münzenberg organisierter Untersuchungsausschuss in London statt. Unter der Leitung des britischen Anwalts Denis N. Pitt versammelten sich bekannte Juristen aus dem europäischen Ausland, um in einem eigenen Gerichtsverfahren den Reichstagsbrand zu untersuchen. Das Urteil, das einen Tag vor dem Prozess in Leipzig bekannt gegeben wurde, verurteilte die Nationalsozialisten und sprach die Kommunisten frei und es sah es als erwiesen an, dass van der Lubbe die Tat zwar begangen, in den Reihen der Nationalsozialisten jedoch seine Hintermänner und Auftraggeber gehabt hatte. Dieser Prozess beeinflusste die öffentliche Meinung erheblich. In spontanen Versammlungen in ganz Europa wurde das Londoner Urteil vollinhaltlich gebilligt und die Nationalsozialisten als wahre Brandstifter bezichtigt.

Bei Beginn des Reichstagsprozesses am 21. September 1933 hatten die Nationalsozialisten ihre Machtposition durch die Wahlen im März und durch das Ermächtigungsgesetz gefestigt. Abgesehen von der Verurteilung van der Lubbes kam es den Nazis auf die Verurteilung der Kommunisten als Hintermänner der Brandstiftung an.

II. Strafverteidigung innerhalb des Prozesses

Dem den Prozess beherrschenden Antikommunismus entsprach es, dass die Beschuldigten sich während der Untersuchungshaft prozessordnungswidrig vielfältigen Schikanen ausgesetzt sahen. Sie konnten keinen Besuch empfangen, ihre Post wurde vielfach nicht befördert, und auch der gewählte Verteidiger konnte sie weitestgehend nicht besuchen. Aber auch in der Wahl ihrer Verteidiger waren die Angeklagten schwer eingeschränkt, so hatte der Reichskommissar für Justiz, Dr. Hans Frank öffentlich erklärt: „ Bei der Verteidigung der angeklagten Kommunisten wird man Acht drauf geben müssen, ob ihre Verteidiger schon oft die Verteidigung von Kommunisten übernommen haben und ob sie dies guten Willens oder mit Vorbedacht taten.“[4] Während der Zeit der faschistischen Willkürherrschaft existierte um die Frage der Verteidigungsbeschränkungen keine kontroverse Diskussion.[5]

Dimitroffs Antrag, den ihm bekannten Verteidiger der „Roten Hilfe“ Dr. Kurt Rosenfeld als Wahlverteidiger zuzulassen, wurde abgelehnt. Dieser vermittelte daraufhin Dimitroff Rechtsanwalt Wille als Verteidiger, der von nationalsozialistischer Seite derartig unter Druck gesetzt wurde, dass er letztlich sein Mandat niederlegte. Denn, Verteidiger von Kommunisten, die auch der KPD angehörten, sahen sich immer dem Verdacht ausgesetzt, dass ihre Tätigkeit den „hochverräterischen“ Zielen der KPD diene.[6] Schließlich wurden Dimitroff und den beiden anderen bulgarischen Angeklagten der Pflichtverteidiger Dr. Teichert beigeordnet, der allerdings eher das Vertrauen des Reichsgerichts, als das der Angeklagten genoss. Marinus van der Lubbe wurde Rechtsanwalt Seuffert vertreten, zumindest formal, denn die beiden wechselten während des gesamten Prozesses kein einziges Wort miteinander.

Entscheidende Verteidigungen für den Prozess waren allerdings nur zwei.

1. Strafverteidiger Dr. Alfons Sack

Ernst Torgler gab dem Juristen Dr. Alfons Sack sein Mandat. Es stellte sich die Frage warum sich Torgler für diesen Verteidiger entschied, denn er kannte den Werdegang und die Gesinnung des NS-Staranwalts, der zuvor in verschiedenen Prozessen rechtsextreme Angeklagte verteidigt hatte.[7] Im „Kurfürstendamm-Prozess“ von 1931 war Dr. Sack Verteidiger der NS-Funktionäre Wolf-Heinrich Graf von Helldorf und Karl Ernst gewesen und trat am 01. Mai 1932 der NSDAP bei.[8] Dennoch vertrat Sack die Ansicht, dass ein Anwalt nicht den politischen, sondern ausschließlich den strafrechtlichen Standpunkt seines Mandanten zu verteidigen habe. Es sei – so Sack – Aufgabe und Pflicht des Verteidigers, gerade in politischen Prozessen zu verhindern, dass Angeklagte ihre politischen Positionen offensiv verfechten.[9] Ernst Torgler suchte nach einem juristischen Verbündeten. Dr. Alfons Sack, schien für ihn mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein versehen zu sein und über erhebliche Vorteile in der Verteidigung zu verfügen, die seinem Mandanten zugute kommen konnten, daher gab er ihm sein Mandat.

2. Selbstverteidiger Georgi Dimitroff

Die herausragende Figur des Prozesses war Georgi Dimitroff. Aufgrund der nur „formal“ bestehenden Verteidigung durch Dr. Teichert blieb ihm nichts anderes übrig, als sich selbst zu verteidigen. Er stützte sich bei seiner Verteidigung auf die reiche Erfahrung, die er als Berufsrevolutionär gesammelt hatte. Von Beginn des Jahrhunderts an, wurde er oftmals von den zaristischen Behörden in Bulgarien verhaftet und abgeurteilt. Es war seine große Gabe, weder bei seiner Verhaftung am 09. März 1933 noch bei den Kreuzverhören die Beherrschung zu verlieren.

In seiner Verteidigungsstrategie nahm Dimitroff den Vorwurf des „bolschewistischen Terrors“ als Spitzenfunktionär der kommunistischen Internationale offensiv an, um seinerseits das faschistische Regime als Akteur wie Nutznießer des Reichstagsbrandes propagandistisch auf die Anklagebank zu setzen. Er war entschlossen in seiner Verteidigung zum Angriff gegen die Reichsanwaltschaft und gegen den Justizapparat überzugehen.[10] Er verlangte die Strafprozessordnung, studierte diese und verteidigte sich, so gut er konnte; er verlangte Einsicht in die Akten, stellte gebotene Anträge und befragte Zeugen und Sachverständige, allerdings wurden die von ihm gestellten Anträge regelmäßig abgelehnt, insbesondere die Anträge, bestimmte Zeugen zu hören. Durch geschickte und zupackende Fragen an die Zeugen, besonders an die Belastungszeugen, zwang er diese, zuzugeben, dass weder die Angeklagten noch die KPD den Reichstag in Brand gesetzt haben konnten. Die „Zeugen der Anklage“, zum großen Teil Polizeiagenten, überführte er durch seine Fragen der Lüge. Zum Höhepunkt des Prozesses wurde das prozessual ungewöhnliche „Rededuell“ zwischen Dimitroff und den nationalsozialistischen Zeugen Göring und Goebbels. So musste Goebbels auch während des Prozesses zugeben, dass ein Amnestiegesetz in Planung war, dass alle Taten der nationalsozialistischen Bewegung schützen sollte „ wenn Leute sich gegen den roten Terror zur Wehr setzen, so konnten wir diese Männer, die zur Rettung der deutschen Nation ihre Taten begangen hatten, nicht ins Gefängnis wandern lassen.[11] So wurde aus dem Angeklagten ein Ankläger gegen die Hitler-Leute.

[...]


[1] Eschen, Klaus, „Linke“ Anwaltschaft von der APO bis heute: Chancen und Versäumnisse, S. 34.

[2] Schneider, Heinz-Jürgen/Schwarz Erika/Schwarz, Josef, Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands: politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik; Geschichte und Biographien, S. 23.

[3] Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror, S. 44.

[4] Stojanov, Peter, Reichstagsbrand. Die Prozesse in London und Leipzig, S. 140.

[5] Göddeke, Dieter, Die Einschränkung der Strafverteidigung, S. 87.

[6] Hannover, Heinrich, Strafverteidiger als Objekte politischer Justiz, Strafverteidiger 3/1990, S. 126.

[7] Heuer, Lutz/Podewin, Norbert, Ernst Torgler ein Leben im Schatten des Reichstagsbrandes, S. 85.

[8] Bahar, Alexander/Kugel, Wilfried, Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird, S. 678.

[9] Heuer, Lutz/Podewin, Norbert, Ernst Torgler ein Leben im Schatten des Reichstagsbrandes, S. 85.

[10] Stojanov, Peter, Reichstagsbrand. Die Prozesse in London und Leipzig, S. 221.

[11] Dimitroff, Georgi, Reichstagsbrandprozess: Dokumente, Briefe und Aufzeichnungen S.139.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Politische Verfolgung und politische Versuche der Demontage der Strafverteidigung in Deutschland
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Rechtswissenschaften)
Veranstaltung
Strafvertreidiger
Note
12 Punkte
Autor
Jahr
2006
Seiten
27
Katalognummer
V85050
ISBN (eBook)
9783638007979
ISBN (Buch)
9783638913973
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politische, Verfolgung, Versuche, Demontage, Strafverteidigung, Deutschland, Strafvertreidiger
Arbeit zitieren
Saskia-Veronique Steffen (Autor:in), 2006, Politische Verfolgung und politische Versuche der Demontage der Strafverteidigung in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85050

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