"Gender/Queer/Feminist Studies" in Thomas Meineckes Roman "Tomboy"

Gelebte Theorien als Persönlichkeitsproblem


Hausarbeit, 2007

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ambiguität des Tomboys (Vivian)

3. Butch/Femme Lesbierinnen und Bisexualität
3.1 Das Klischee der „Kampflesbe“ (Frauke)
3.2 Die phallische Mutter (Korinna)

4. Cross Dressing und Transidentitäten (Angela)

5. Der effeminierte Mann (Hans)

6. Schlusswort

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Kaum eine Rezension über Thomas Meineckes Werke kommt ohne die Erwähnung der DJ- und Musikertätigkeiten des Autors aus, die strukturelle Vergleiche zu seiner Schreibweise hervorrufen. Bereits der Klappentext des Romans Tomboy kündigt einen „mehrspurig [abgemischten] Track“ aus sämtlichen kulturellen Strömungen an. Und auch Wieland Freund spricht von dem Buch als einem „Diskursgenerator, in dem buchstäblich alles . . . zu einem schier endlosen Sample verbunden wird“ (Freund 42). Der Tomboy von Meinecke bietet sowohl ein Archiv der wichtigsten feministischen Veröffentlichungen und Strömungen als auch eine Momentaufnahme der zeitgenössischen Kultur der 90er Jahre. Setzt man die Musikmetaphorik der Rezensionen fort, so ist der Roman ein Multimix-Song aus unzähligen Quellen, in dem die Figuren lediglich als Diskurs-Interpreten agieren: Sie dienen ausschließlich der Performance auf der Gender Trouble -Bühne, sie sind „Typen“ ohne eigenen ausgearbeiteten Charakter. Freund stellt in diesem Zusammenhang fest, dass „Meinecke auf einen Plot im herkömmlichen Sinn [verzichtet], seine Figuren erscheinen nicht als ‚realistische‘ Charaktere, sondern sind die diversen Sprechöffnungen des Diskursgenerators“ (Freund 42).

Die Tomboy Figuren verkörpern jede für sich gewisse Typen, die dem von Judith Butler proklamierten „Gender Trouble“[1] zugeordnet werden können, z.B. Vivian als ambiger „Tomboy“, Angela als „Cross-Dresser“ oder Frauke als „Butch“-Lesbierin. Keine der Charaktere entspricht vordergründig einer klassischen, eindeutig zuschreibbaren Geschlechterrolle. Auch ihre gesamten Lebensweisen präsentieren sich als pure Reproduktion der Gender- und Feminismusdiskurse, „Handlung wie Personen tragen das Buch nicht, sondern dienen allein dem Transport des Diskurses und seiner Reflexion“ (Baßler 137). Als direkte Folge verlieren die Figuren soziale und emotionale Fähigkeiten: Liebe und Sexualität existieren vorrangig nur als diskutierbare Bestandteile innerhalb der Genderforschung, Freundschaften beschränken sich auf ein Miteinander in der Diskursbewältigung und Hauptlebensinhalte sind die Theorien, Mode und (feministische) Musik. Somit stellt sich die Frage, ob gelebter „Gender Trouble“ im Tomboy als persönlichkeitsnegierend transportiert wird, d.h. nicht nur in einer Verkünstlichung der eigenen Persönlichkeit, sondern auch in einer Minimierung persönlicher Beziehungen resultiert.

Dies soll in den folgenden Kapiteln textnah analysiert werden. Vorrangig stehen dabei die dargestellten Geschlechterrollen und Ideologien der einzelnen Figuren im Mittelpunkt sowie deren direkte Auswirkungen auf ihren jeweils eigenen Charakter und ihre soziale Gemeinschaft untereinander. Am Ende steht zur Debatte, ob der von Meinecke integrierte „Gender Trouble“ in der Textrealität erfolgreich ist, d.h. das binäre heteronormative Geschlechtermodell aufzubrechen schafft, oder vielmehr als künstlich angeeignete Rollenimitation gewertet werden sollte, die Persönlichkeit unterdrückt anstatt sie neu zu kreieren und letztendlich im alten Oppositionsentwurf verhaftet bleibt.

2. Ambiguität des Tomboys (Vivian)

Die Protagonistin Vivian Atkinson ist titelgebend für den Roman. Sie wird einerseits als halbamerikanischer Tomboy mit „herausgewachsen[r] Kurzhaarfrisur“ (Meinecke 17)[2] in Herrenjeans (212) oder Hosenanzug (41) vorgestellt, die andererseits auch Miniröcke trägt (46) und bewusst mit ihrem weiblichen Sexappeal spielt (49). Im englischsprachigen Raum steht der Begriff Tomboy meist „für ein Mädchen, das sich wie ein Junge gibt“ (Freund), als Kind also eher typische Spiele, Kleidung und Verhaltensweisen von Jungen bevorzugt hat. Dass Vivians Eltern ihre Tochter nicht nur Tomboy nannten, sondern sie auch als solchen beschimpften (49), macht Vivians offensichtliches Unterlaufen der klassischen Rollenzuweisungen deutlich: sie begeht eine Art Regelbruch. Während die Mutter sie entsprechend der Stereotypen stetig ermahnte zu lächeln, denn „Mädchen lächeln, ganz klar“ (59), bindet Vivian sich in der Pubertät zunächst ihre Brüste ab (28) und lernt erst spät „mit der Frauenrolle umzugehen“ (16). Vivian vereint also optische und verhaltensrelevante Eigenschaften, die als nicht „typisch weiblich“ wahr genommen werden, was die Grenzen der klassischen Geschlechtertrennung verwischt.

Während dieser Effekt anfangs wahrscheinlich unbeabsichtigt und aus einem inneren Verlangen heraus von Vivian herbeigeführt wurde, ist sie als Erwachsene in der Lage, diese Rollen kritisch zu bewerten und sie bewusst einzusetzen. Zum Beispiel vermeidet sie es, trotz störender „Franzen“ im Gesicht, eine Haarspange zu tragen, um nicht „vorrübergehend wie ein Girlie aussehen [zu] müssen“ (186). „Girlie“ sein, symbolisiert für die feministische Vivian ein unterdrücktes und beengendes Rollenbild, das Frauen auf Aussehen und „klassische weibliche Werte“[3] reduziert und eine „hierarchische Zweigeschlechtlichkeit“ (139) manifestiert. Diese Hierarchie unterwandert der Tomboy und genießt die Macht der Doppeldeutigkeit, z.B. „weibliche“ Attraktivität und „männliches“ Ansehen kombinieren oder abwechseln zu können. Eine Dualität, für die bereits der im amerikanischen geschlechtlich ambige (vgl. 28) Vorname der Protagonistin programmatisch erscheint. Zusätzlich impliziert Vivians „Übergangsfrisur“ (95) einen Wandel und ein „dazwischen-Sein“ eine stetig transformierbare und dynamische Genderidentität.

Die Figur Vivian verkörpert nicht nur den allgemein anerkannten feministischen Grundsatz, dass Gender ein kulturelles und dadurch variables Konstrukt ist. Vivian scheint ihre gesamte Sexualität nur mittels der Theorien und dem entsprechenden Diskurs zu leben und auszudrücken. In einer Art Selbstbefriedungsszene denkt sie angestrengt über sexualhistorische Entwicklungen und Frauenbilder nach, wobei sie sich „versehentlich auto-erotisch erregt“ (68). Die Berührungen dienten gewissermaßen Vivians „Forschungszwecken“[4] und waren nicht zum persönlichen Lustgewinn beabsichtigt. Eine weitere Steigerung dieser distanziert erlebten Sexualität ist zu beobachten, als Vivian ihren ersten homosexuellen Kontakt mit Korinna, im Akt selbst, völlig durchanalysiert. Persönliche Färbungen wie Gefallen oder Missfallen werden in der Erzählperspektive ausgespart. Vivian erlebt die Situation nur im Zusammenhang bereits vorher im Roman erwähnter Thesen: Paul Schreber, der Dildo als Dekonstruktion oder Rekonstruktion, der Judenwald als diskursiver Ort und Cyborgs (216) sind nur einige gedankliche Assoziationen Vivians. Die abschließende rhetorische Frage des Erzählers - „[w]ürde Vivian Atkinson diesen denkwürdigen, sich momentan vollziehenden Sexualakt später einmal beschreiben können? Und in wessen Worten?“ (216)- unterstreicht sowohl die Ironie dieser Szene als auch die völlige sprachliche Fixierung von Sexualität. Die Protagonistin ist so weit in dem Theorienlabyrinth über Geschlechterrollen und Sexualität verfangen, dass sie wirkliche Sexualität und ihre eigene Rolle darin nicht mehr wahrnehmen bzw. unvoreingenommen erleben kann: Sex und Sexualität lebt Vivian ausschließlich im Rahmen des Diskurses.

[...]


[1] „Gender Trouble“ als eine aktive Verwirrung der vorherrschenden binären Geschlechterdifferenz.

[2] Zitate aus dem Primärtext werden fortab lediglich mit der Angabe der Seitenzahl und ohne Autorenname angeführt.

[3] Kein Zitat, sondern eigene Markierung.

[4] Kein Zitat, eigene Kennzeichnung.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
"Gender/Queer/Feminist Studies" in Thomas Meineckes Roman "Tomboy"
Untertitel
Gelebte Theorien als Persönlichkeitsproblem
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V85180
ISBN (eBook)
9783638006088
ISBN (Buch)
9783638913904
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Kommentare der Dozentin: -eine ganz hervorragende und sehr kundige Interpretation - trotz sprachlicher Flüchtigkeiten (die auch dem Zeitdruck geschuldet sein dürften) 1,0
Schlagworte
Gender/Queer/Feminist, Studies, Thomas, Meineckes, Roman, Tomboy
Arbeit zitieren
Alexandra Oswald (Autor:in), 2007, "Gender/Queer/Feminist Studies" in Thomas Meineckes Roman "Tomboy", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85180

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