Sinnliche Pädagogik als Grundlage zur Entwicklung eines Umweltbewusstseins


Trabajo Escrito, 1997

37 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Inhalt

EINLEITUNG

1. VON DEN SINNEN
1.1 Ein erweiterter Sinnesbegriff
1.2 Leben ohne Sinn(e)
1.2.1 Wegfall aller Reize – ein Experiment
1.2.2 Kritische Betrachtung der gesellschaftlichen Entwicklung
1.2.3 Schule, Schulgelände und Umwelt- erziehung

2. .ZUR SINNLICHEN PÄDAGOGIK
2.1 Ziele sinnlicher Pädagogik
2.2 Die "Spirale der Begegnung" – ein Beispiel
2.2.1 Entstehung und Bauwerk
2.2.2 Der Stationenweg

3. . ZU DEN MÖGLICHKEITEN IN DER UMWELT- ERZIEHUNG
3.1 Lernort Schulgelände
3.2 Naturerfahrungsspiele

LITERATURVERZEICHNIS

EINLEITUNG

"Es gilt,

unsere Sinne,

Tore zur Wirklichkeit,

wieder zu öffnen,

aufnahmebereit zu machen für die Wunder der Natur

außerhalb und innerhalb von uns selber"

(Schärli,1991,S.163)

Dieses Zitat von Otto Schärli soll im Rahmen dieser Arbeit als Grundlage für einige Überlegungen dienen. Überlegungen darüber, wie wir einer Zerstörung der Natur, und zwar nicht nur der um uns, sondern auch unserer inneren, entgegenwirken können. Es geht um die Entfremdung des Menschen von seiner sinnlichen Wirklichkeit. Hier seien nur ein paar Schlagworte genannt: Verkopfung, Verzweckung, Trennung der Schule vom Leben und Überflutung durch Medien,...

Anhand eines Beispiels, dem Projekt der "Spirale der Begegnung", werden Möglichkeiten aufgezeigt, die Sinne wieder anzusprechen und zu aktivieren, sich Empfindungen gewahr zu werden und einen Austausch von Mensch zu Mensch stattfinden zu lassen. Diese Anregungen und Ideen basieren auf Schärlis Buch "Werkstatt des Lebens: Durch die Sinne zum Sinn".

Sinnliche Pädagogik bietet mehr als die Möglichkeit, sinnliche Erfahrungen und auch Lernen möglich zu machen. Es kann darauf aufgebaut werden, ein Erleben und Leben in und mit der Natur für den Menschen, besonders für Kinder und Jugendliche, wieder möglicher und erstrebenswerter zu machen. Dies kommt sicher-lich auch der Natur zugute und wäre damit ein sinnvoller Schritt in Richtung Umweltschutz. Deshalb halte ich es auch für zweckmäßig, sinnliche Pädagogik und Ökopädagogik nicht an diesen Begrifflichkeiten festzumachen und zu trennen, sondern vielmehr, das eine in das andere überfließen zu lassen, einen Bezug herzustellen zwischen sinnlichem Erleben/Lernen und Umwelterziehung. Denn es geht darum, daß alles mit allem zusammenhängt. Einsichten, daß Dinge, die von außen auf uns treffen unser Inneres verändern und Dinge, die uns innerlich bewegen verändernd auf unsere Umgebung wirken, könnten zum Beispiel durch Projekte wie der "Spirale" gewonnen werden. Solche Einsichten sind nach Beeler gute Voraussetzungen für ein erfreuliches "Leben-Weiterleben". Es gehe dabei ums Überzeugen und nicht ums Überreden. "Die Erscheinungen der Natur sprechen eine Sprache. Die jeder verstehen kann, der sich Zeit nimmt, der sich die Ruhe gönnt,..." (Beeler,in:Schärli,1991,S.167).

Eine Aufgabe an PädagogenInnen und LehrerInnen sollte darin liegen, Möglichkeiten und Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine lebendige Auseinander-setzung mit der Umwelt ermöglichen. Umwelterziehung ist ein komplexes Geschehen und zum Großteil auf schulisches Lernen beschränkt. Sie bemüht sich um die Vermittlung von Wissen über Natur, Umwelt und Gesellschaft, um die Förderung von umweltbewußten Einstellungen und Verhaltensweisen mit den Zielen: Umweltbewußtsein und ökologische Handlungskompetenz.

Deshalb sollte die Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit der natürlichen und gebauten, der individuellen und gesellschaftlichen Umwelt gefördert werden. Fähigkeiten und Wissen, die für ein gegenwärtiges und zukünftiges umweltbewußtes Verhalten und Handeln qualifizieren, müssen erworben werden. "Wissen aber ohne die Bereitschaft, es auch in die Tat umzusetzen, bleibt wirkungslos" (Unterbrunner,1991,S.58). Deshalb gilt es, auch diese Bereitschaft zu fördern und eine zum Handeln notwendige Kompetenz in fachlicher, politischer und sozialer Hinsicht, anzustreben. Diese Ziele verlangen komplexe Lernprozesse auf kognitiver, emotionaler und handwerklicher Ebene. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, erfordert es sinnvolle Inhalte und Methoden. An dieser Stelle kann die sinnliche Pädagogik als Grundlage zum Einsatz kommen, da sie auf Ganzheitlichkeit setzt und jede der drei Ebenen anspricht.

Da die sinnliche Pädagogik natürlich vom Einsatz der Sinne lebt, möchte ich einführend klären, um welche Sinne es geht und wie sie in ihrer Tätigkeit zueinander stehen. Des weiteren werde ich darauf aufmerksam machen, welche Auswirkungen ein Leben ohne Sinne, bzw. die Ausschaltung einzelner, auf unseren Organismus haben kann.

1. VON DEN SINNEN...

1.1 Ein erweiterter Sinnesbegriff

Im Alltag sprechen wir oft von unseren "fünf Sinnen" und meinen damit die Möglichkeiten, sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken zu können. Vermittelt durch äußere Sinnesorgane, durch Augen, Ohren, Nase, Haut und Mund. Darüber hinaus können wir auch Wärme, Druck, Schmerzen, die eigene Körperlage, Beschleunigung und Drehungen wahrnehmen, ohne immer ein isolierbares Organ dafür zu haben. Deshalb gehe ich davon aus, daß die traditionellen fünf Sinne nicht ausreichen, um die zentrale Lebenstätigkeit zu umschreiben (vgl.Schärli, 1991).

Armin Beeler1 ist sogar der Meinung, daß "wir uns klar machen (müssen), daß unsere Vorstellung von den sogenannten fünf Sinnen falsch, gefährlich falsch ist..., denn Sinne, deren wir uns nicht bewußt sind, verkümmern. Und verkümmerte Sinne geben einen verkümmerten Lebens-Sinn. Die traditionelle Vorstellung von fünf Sinnen schließt zuerst einmal alle Sinne aus, die uns etwas über unser Innenleben sagen, über unseren Muskeltonus, über unseren Herzschlag, überhaupt über unseren inneren Lebens-Rhythmus. Wir vergaßen auch, daß jede Wahrnehmung von außen eine solche von innen hervorruft, besser: hervorrufen kann" (Beeler,in:Schärli,1991,S.165).

Deshalb gehe ich von Rudolf Steiners Ansicht über zwölf Sinne aus, wobei ich allerdings nicht weiter auf seine Sinneslehre2 eingehen möchte. Diese Sinne werden der Dreigliederigkeit des Menschen zugeordnet: dem körperlich betonten Willensbereich, dem seelisch betonten Gefühlsbereich und dem geistig betonten Denkbereich (vgl.Tabelle unten (Schäli,1991,S.156)). Die einzelnen Wirkungs-weisen der Sinne durchdringen sich und meistens sind mehrere miteinander in Tätigkeit. Steiner meint: "..., wenn der Mensch einem Sinnes-Objekte gegenübersteht (liegt) die Sache so, daß er niemals bloß durch einen Sinn einen Eindruck erhält, sondern außerdem immer noch durch wenigstens einen anderen..." (Steiner,in:Kirn,1989,S.70).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ich möchte daher auch von einer Einheit der Sinne ausgehen. Der Mensch ist also mit einem Gesamtvermögen "Sinn" ausgestattet, das sich in verschiedene Sinnesqualitäten aufgliedert, die aber in enger Verbindung untereinander stehen (vgl. Schärli,1991). Steiner definiert den Begriff Sinn folgendermaßen: "Ein Sinn tritt in Wirksamkeit, wo wir uns eine Anschauung verschaffen, während unser Verstand noch nicht in Tätigkeit getreten ist. Nur da ist von einem Sinn zu sprechen, wo noch kein Urteilen eingesetzt hat" (Steiner,in:Schärli,1991,S.157). Die Sinne sind sozusagen die Tore zwischen unserer Innenwelt und der Außenwelt. Sinneserfahrung müßte darin bestehen, das in uns Angelegte mit dem uns von außen Entgegenkommenden in allen Dimensionen und voller Intensität des Erlebens zu verbinden. Um eine Voraussetzung dafür zu schaffen, ist es notwendig den Schleier persönlichkeitsgebundener Vorstellungen von unseren Wahr-nehmungen wegzuziehen. Dies bedeutet allerdings eine lange Arbeit der Sinnesschulung, der kritischen Selbstbeobachtung und Bewußtwerdung. Aber nur, wenn wir uns den Dingen und Menschen mit Aufmerksamkeit zuwenden, kann sich uns eine Lehre erschließen (vgl.Schärli,1991).

Zunächst soll allerdings darauf aufmerksam gemacht werden, welche Auswirkungen es haben kann, wenn unsere Sinne vernachlässigt und unterdrückt werden.

1.2 Leben ohne Sinn(e)

1.2.1 Wegfall aller Reize - Ein Experiment

"Nur wer in seinem Leben einen Sinn sieht, will wirklich weiterleben. Dieser Sinn, das Wort sagt es schon, hängt von den Sinnen ab" (Beeler,in:Schärli, 1991,S.165). Diese Aussage Beele rs hört sich erst einmal ziemlich überzogen an. Daß ein Ausschließen aller Sinne im Extremfall zum Tod führen kann, zeigt ein Experiment von dem Hugo Kükelhaus berichtet. In diesem Experiment werden alle Reize, die einen menschlichen Organismus in seiner normalen Umgebung erreichen, ausgeschaltet:

"Im Zuge astronautischer Testversuche fragte man sich vor etwa einem Jahrzehnt: Wie lange hält ein Mensch den Zustand aus, in dem er nichts mehr auszuhalten hat?... Man legte tief unter der Erdoberfläche ein erschütterungsfreies Bassin an, in dessen blutwarmen Wasser sich eine <Testperson> schwebend befand. Der Körper war in Watte verpackt, um das Zustandekommen von Hautempfindungen zu unterbinden. Dazu absolute Licht- und Lautlosigkeit. Licht- und Schallwellenzustand gleich Null. Oberirdische Monitoren verzeichneten die Reaktion aller lebenswichtigen Organe.

Nach wenigen Minuten schon stellten sich beklemmende Halluzinationen ein, Verlust raumzeitlicher Maßstäbe. Die Halluzinationen steigerten sich mit der zunehmenden Geschwindigkeit ihres Wechsels, die Bilder und Zusände jagten sich zur Panik. Nach etwa 10-15 Minuten begann durch Störung der Vorgänge in Teilen des Zwischenhirn ( ) die Versorgung des Nervensystems ( ) mit Hormonen im gebotenen Verhältnis zu versagen; mit dem Effekt totaler Gedankenflucht und lebensgefährlicher Störung des hormonalen Gleichgewichts... Der Versuch mußte abgebrochen werden, um den Probanden zu retten. Er wäre zugrunde gegangen (unvorstellbar qualvoll) mangels der Auseinandersetzung mit einer herausfordernden Außen-Welt; seine Organfunktionen hätten sich gegen ihn selbst gekehrt" (Kükelhaus,1975,S.15f).

Dieses drastische Beispiel zeigt uns, daß ein Zustand der Prozeßlosigkeit Ängste in uns auslöst. Normalerweise wird wohl kaum ein Mensch in eine derart extreme Situation kommen, in der gar kein Sinn mehr angesprochen wird. Wie wir uns trotzdem im alltäglichen Leben, meistens unbewußt und mehr oder weniger oft, einer Nichtinanspruchnahme der Sinne aussetzen oder sie ausschalten und welche Auswirkungen dies für uns, unser Leben und für unsere Umwelt haben kann, wird im folgenden Abschnitt ausführlicher diskutiert.

1.2.2 Kritische Betrachtung der gesellschaftlichen Entwicklung

Wir wissen, daß die Industrienationen im letzten Jahrhundert die größte Technologie aller bisherigen Gesellschaften hervorgebracht haben. Aufgrund dieser Produktivkräfte kann für eine große Zahl Menschen sehr umfangreich Lebensgüter erwirtschaftet werden, bei einem Aufwand eines verhältnismäßig geringen Teiles ihrer Lebenszeit. Allerdings wurde diese Entwicklung durch eine grundsätzlich grenzen- und hemmungslose Ausbeutung von Ressourcen in der äußeren Natur und auch die des Menschen ermöglicht.

Die Naturressourcen in Form von Rohstoffen, Energiequellen und Anbauflächen ließen sich anscheinend beliebig verbrauchen. Es wurden aber auch zum Beispiel Ökologie und soziale Gefüge von Ländern zerstört, um mit dem Anbau einer einzigen Nutzpflanze (Bsp. Kaffee, Kakao, Baumwolle und Zuckerrohr in vielen afrikanischen Ländern) ein Maximum an Rohstoff und Rentabilität zu erziehlen3.

Die Betreiber eines solchen "Fortschritts" drängten aber nicht nur voran, sondern ein Anhalten, um sich durch einen zurückschauenden Blick Rechenschaft über Standort, Vorgehen und Wirkung zu verschaffen, ist als Rückschritt verpönt. "Dies ist das Prinzip der atemlosen Hetze zum nächsten Teilerfolg, der sich später auch als Scheinerfolg herausstellen mag, in der Organisation unserer Gesellschaft und unser Verhältnis zur Natur" (Zur Lippe,1979,S.8).

Zur Lippe (1979) vertritt die Meinung, daß die ökologischen Katastrophen der "Umweltverschmutzung" nicht nur deshalb existenzbedrohende Zeichen zur Umkehr seien, weil wir die Lebensbedingungen der Menschen in der Natur vernichteten und unsere Verantwortung für das übrige Leben auf der Erde verfehlten, sondern daß das, was wir mit den Strategien rücksichtsloser Naturbeherrschung der Natur antun, auch die Unterdrückung, Deformation und Zerstörung unserer inneren Natur als Menschen veranschauliche. Wir müßten verstehen, daß in erster Linie die Menschen "geplündert" werden. Insbesondere durch Arbeitsintensivierung, Urbanisierung des Alltags und verschärfte "Verstandesdressur" in der Schulerziehung. "In der Ökologie wird greifbar deutlich, daß wir nicht in Wechselwirkungen und Kreisläufen zu denken pflegen. Der Lebensentzug an den Menschen vollzieht sich als Stillstellen oder in der einseitigen Ausnutzung von seelischem und körperlichem Austausch. Statt aufzunehmen, zu reagieren, zu wirken und zusammenzuwirken, zwingt uns eine extrem einseitige Organisationsform, uns in einsamer Überaktivität zu verbrauchen" (Zur Lippe,1979,S.11).

Bei sogenannten Naturvölkern wird die Gesellschaftsorganisation durch von der Natur gegebene Voraussetzungen stark mitbestimmt. Unsere moderne Gesellschaft dagegen versucht sich freier gegenüber Naturzwängen zu machen. Mit Hilfe von Technik und Wissenschaft soll die Lebensform bewußt bestimmt werden können. Nach Zur Lippe nutzten wir diese Möglichkeit aber nicht im Sinne einer frei gewählten Ordnung, sondern ließen uns statt dessen durch sogenannte Sachzwänge in Technologie und Verwaltung immer mehr Normen und Vorschriften aufdrängen. Dies entspreche keinem von uns bewußt bestimmten Sinn und diene meistens nur den Interessen einzelner. In diesem Zusammenhang spricht er von "lebenszerstörenden Formen unserer Geschichte und Gegenwart denen das Prinzip der Trennung von Wirkungszusammenhängen zugrunde (liegt)" (Zur Lippe,1978,S.16). Industrialisierte Gesellschaften wie unsere haben Arbeit und Leben, Lernen und Arbeiten, und auch Kinder und Erwachsene voneinander getrennt. Genauso werden Entscheidungsbefugnis und Betroffenheit geteilt und im Bereich der Produktion fallen die Planung und Ausführung ebenfalls auseinander. Dies wird besonders deutlich am Beispiel von Fabrikarbeit: einige übernehmen die Planung und Arbeitsvorbereitung, viele Menschen fertigen in einzelnen Schritten Teile, und eigentlich nimmt niemand an einem kompletten Entstehungsprozeß teil. Aber auch Herstellung und Gebrauch der Produkte fallen auseinander. Eigenen Gesprächen mit Kindern konnte ich schon öfter entnehmen, daß für sie Leberwurst eben aus einem Kühlregal kommt, Milch nur irgendein Bestandteil auf der Zutatenliste von Schokolade ist und Kühe nur als abstraktes lila Bild existieren. Daß hinter diesen Produkten andere Menschen stehen, die sie hergestellt haben, daß Pflanzen dafür gezogen und Tiere dafür sterben müssen, ist ihnen teilweise überhaupt nicht bewußt.

Die wissenschaftliche Medizin hat sich über Jahrhunderte ein Bild vom Menschen gemacht, den sie mechanisch zerlegen konnte (Leichensektion). Als ob das Zusammenwirken von Knochen, Sehnen und Muskeln nicht mehr als eine mechanische Konstruktion wäre. Entsprechend ist der Mensch in der rationalistischen Philosophie und Naturwissenschaft als eine besonders komplizierte Maschine angesehen worden. Noch heute glaubt eine bloß materiell denkende Psychologie, unser Handeln und Erleben auf Basis von "Reiz und Reaktion", also von primitivsten Ursache-Wirkungsreihen ausgehend, erklären zu können, welche angeblich nicht wesentlich mit den vielen Vorgängen in unseren Körper, unserer Seele, unserer Geschichte und Lebensgeschichte zusammenhängen würden.

Dem entsprechend versucht die Betriebswissenschaft in der Arbeitsorganisation einzelne Bewegungen zu Höchstleistungen zu steigern, als ob unsere Lebenskraft, unabhängig von dem lebendig entwickelten Ganzen, in der Anstrengung einzelner Glieder konzentriert verausgabt werden könnte. Ehemals zusammenarbeitende Menschen werden nach dem Konkurrenzprinzip, in ein dirigiertes, koordiniertes Nebeneinander oder sogar Gegeneinander gebracht (vgl. Zur Lippe,1978).

Die Arbeit an Maschinen, bei einem möglichst geringer Kraftaufwand, sollte es dem Menschen eigentlich leichter machen. Trotzdem ist diese Arbeit anstrengend und ermüdend, weil der Organismus durch immer gleichbleibende Verrichtungen nur einseitig in Anspruch genommen wird. "Was uns erschöpft, ist die Nichtinanspruchnahme der Möglichkeiten unserer Organe, ist ihre Ausschaltung, Unterdrückung; ist der 'Negative Streß'...Was uns aufbaut, ist Entfaltung. Entfaltung durch Auseinandersetzung, mit einer mich im Ganzen herausfordernden Welt" (Kükelhaus,1975,S.14).

Dies kann anhand des Vergleichs eines Spazierganges auf einer glatten, geraden Straße und eines Waldspaziergangs deutlich gemacht werden. Nach einem Gang auf der Straße, hell und ohne Hindernisse, fühlt man sich ermattet und abgespannt, weil die risikolose Gleichförmigkeit anödet und uns nichts weiter abfordert, als gegen diese verödende Wirkung der Nichtinanspruchnahme durch Hindernisse anzukämpfen. Nach einem Waldspaziergang dagegen fühlt man sich frisch und erholt, weil er uns allseitig in Anspruch nimmt. Solch ein Weg ist voller kleiner Abenteuer und Wagnisse: Wurzeln und rutschige Stellen müssen überwunden oder unerwartete Geräusche gedeutet werden, man muß sich auf verschiedene Lichtverhältnisse einstellen oder Ästen ausweichen usw.. Hierbei werden alle Glieder und Sinne in Anspruch genommen (vgl.Kükelhaus,1975).

Kükelhaus kritisiert, daß wir alle irgendwie an uns selber vorbeilebten, und das auch noch, mit der Gewohnheit, zunehmend bewußtlos. "Bewußtlos, weil es – dieses An-sich-vorbei-Leben – uns so bequem gemacht wird... und weil es jedermann so macht. Längst hat man... aufgehört sich zu wehren" (Kükelhaus,1975, S.15). Das Leben ist zu einer Fertigware in Werbeverpackung (industriell, technisch, kommerziell, sozial) geworden, die wir entgegennehmen und uns dadurch das Leben nehmen (vgl.Kükelhaus,1975).

In der Öffentlichkeit von Verwaltung und urbanisiertem Alltag werden uns immer mehr Gelegenheiten zur Entfaltung von "Alltagsklugheiten" dadurch entzogen, daß wir immer weniger Situationen, z.B. des Straßenverkehrs in Beziehung zu den anderen beteiligten Menschen und durch praktisches Geschick, selbst bestimmen können. Automatische Türen, Verkehrsführungen unter Abstraktion von allen sinnlichen, geographischen Orientierungsweisen und hoffnungslose Rasterfassaden entziehen uns systematisch solche Gelegenheiten. Unsere Körper nehmen über bestimmte äußere und innere Bedingungen Denk- und Lebensformen auf, ohne daß wir uns darüber bewußt sind. Wir kennen kaum anderes als rechtwinklige Zimmer und Gebäude, Straßen dürfen keine Kurven haben und Eßwaren keine ungeometrischen, dosenfeindlichen Formen. Wir werden durch das Sitzen auf Stühlen daran gewöhnt, im rechten Winkel die "normale Position" unseres Beckens, unserer Knie, Fußgelenke und der Ellenbogen zu finden, so daß unsere Gedanken kaum in der Lage sind aus diesen Bahnen aus-zubrechen. Unser Denken und Leben zerfällt dabei immer mehr in kleine Stücke und Abschnitte. Wir fixieren uns auf bestimmte zu erreichende Resultate und vergessen darüber, die Wege zu unseren Zielen zu erfahren. Abgedrängt in bloße Teilverrichtungen sind die meisten Menschen dem Ganzen der Gesellschaft gegenüber zu unsicher und zu unwissend geworden und haben eine resignative Überlebensstrategie entwickelt. Unser gesellschaftliches Wissen ist nicht aus der Frage entwickelt "wie lebt das Leben" und unsere Organisation der Lebenstätigkeiten läßt diese Frage nur zur Behandlung störender Randbedingungen zu. Wir haben, nach Zur Lippe, z.B. keine positive Vorstellung von Gesundheit, welche nach geltender Ansicht nur als das nicht Auftreten von Krankheiten und Symptomen definiert werden könne. Genauso verhalten wir uns unserer Umwelt gegenüber. Erst Naturkatastrophen und unüberwindliche Probleme im gesellschaftlich organisierten Leben führen den Menschen zwangsweise zur Einsicht und zu einem oftmals zu späten Handeln (vgl.Zur Lippe,1978).

[...]


1 Der Pädagoge wirkte 1988 bei der Planung der "Spirale des Lebens" als Berater mit.

2 Steiner schreibt die zwölf Grundtypen, in estoterischer Tradition, den Tierkreiszeichen zu (vgl. Steiner: Das Wesen des dreiteiligen Menschen. Die zwölf Sinne, fünfter Vortrag, 1967).

3 Dies ist im Kontext der Kolonialisierung von sogenannten "dritte"- oder "vierte"-Welt Ländern durch die Industrienationen zu sehen.

Final del extracto de 37 páginas

Detalles

Título
Sinnliche Pädagogik als Grundlage zur Entwicklung eines Umweltbewusstseins
Universidad
Bielefeld University  (Fakultät für Pädagogik)
Curso
Sinnliche Pädagogik
Calificación
2
Autor
Año
1997
Páginas
37
No. de catálogo
V8518
ISBN (Ebook)
9783638154703
Tamaño de fichero
734 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Hugo Kükelhaus, Gesellschaftskritik, Umwelterziehung, sinnliche Pädagogik, Lernort Schulgelände, Naturerfahrungsspiele
Citar trabajo
Tanja Zielewski (Autor), 1997, Sinnliche Pädagogik als Grundlage zur Entwicklung eines Umweltbewusstseins, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8518

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