Staatstheorien von Hobbes, Locke und Rousseau

Die Notwendigkeit von Recht und Staat im Spannungsfeld zwischen Individualismus und Gemeinsinn, individueller Freiheit und Herrschaft


Thesis (M.A.), 2007

138 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil 1
1. Thomas Hobbes und seine Bedeutung für die politische Philosophie
1.1. Biografische Daten zu Hobbes. Physischer und intellektueller Werdegang
1.2. Philosophie der Angst
1.3. Werke von Hobbes
1.3.1. Die Grundideen von „Leviathan“
1.3.2. „Elemente der Philosophie II/III: Vom Menschen. Vom Bürger“
1.3.3. „Behemoth or the Long Parliament“. Hobbes` Reflexion zum englischen Bürgerkrieg
2. Naturzustand
2.1. Naturzustand— Hypothese oder Wirklichkeit?
2.2. Hobbes` Menschenbild. Der Mensch als ein egoistischer Nutzenmaximierer
2.3. Das Leben im Naturzustand: „Homo homini lupus“
2.4. Machtakkumulation und Sozialisationsversuche im Naturzustand
2.5. Das Naturrecht und die natürlichen Gesetze
3. Das Individuum und der Staat
3.1. Staat als eine künstliche Person— die Vertragstheorie
3.2. Das Individuum in einer bürgerlichen Gesellschaft
3.3. Die Wechselbeziehung zwischen Freiheit, Rechten und Pflichten
3.4. Die Freiheit der Bürger
3.5. Individualismus und Gemeinsinn

Teil 2
4. John Locke— sein Leben und seine Bedeutung für die politische Philosophie
4.1. Die bedeutendsten Werke von John Locke
4.1.1. „Über die Regierung“
4.1.2. „Versuch über den menschlichen Verstand“
5. Der Naturzustand bei John Locke
5.1. Positiver und negativer Naturzustand
5.2. Das Menschenbild
5.3. Eigentum im Naturzustand. Die Rolle des Geldes
5.4. Naturrecht und Naturgesetz
6. Die Entstehung des Staates
6.1. Der Kriegszustand als eine Konsequenz der Einführung des Geldes
6.2. Der Gesellschaftsvertrag
6.3. Regierungsformen. Locke als Gegner der absoluten Monarchie
6.4. Gewaltenteilung
7. Das Individuum und der Staat
7.1. Das Individuum und das Eigentum in einer bürgerlichen Gesellschaft
7.2. Lohnarbeit und Klassenunterschiede
7.3. Die Freiheit vom Naturzustand bis in die politische Gesellschaft
7.4. Individuelle Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft
7.5. Individualismus und Gemeinsinn

Teil 3
8. Jean-Jacques Rousseau und seine Bedeutung für die politische Philosophie
8.1. Biografische Daten zu Rousseau. Physischer und intellektueller Werdegang
8.2. Werke von Rousseau
8.2.1. Der „Gesellschaftsvertrag“
8.2.2. „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“
8.2.3. „Emil oder über die Erziehung“
9. Naturzustand. Abgrenzung von der Zivilisation
9.1. Das Menschenbild im reinen Naturzustand
9.2. Das Gefühl des Mitleids als Naturgesetz
9.3. Der zweite Naturzustand?
9.4. Eigentum und Kriegszustand
10. Der Individuum und der Staat
10.1. Der Gesellschaftsvertrag
10.2. „Kriege zwischen den Nationen“
10.3. „Volonté générale“
10.3. Regierung und Regierungsformen
10.4. Gesetze
10.5. Die Wechselbeziehung zwischen Freiheit, Gleichheit, Rechten und Pflichten

Teil 4
11. Zusammenfassender Vergleich
11.1. Allgemeiner Vergleich der Theorien
11.2. Der Naturzustand
11.3. Die Menschenbilder von Hobbes, Locke und Rousseau
11.4. Zusammenhänge zwischen dem Naturzustand, dem Naturgesetz und dem Staat
11.5. Der Gesellschaftsvertrag
11.6. Individuelle Freiheit im Naturzustand und in einem politischen Körper
11.7. Zielsetzungen der Staatstheorien

Teil 5
12. Geschichtliche Hintergründe der Entstehung der Staatstheorien
12.1. Geschichte Englands
12.2. England: sozialgeschichtliche Hintergründe
12.3. Geschichte Frankreichs
12.4. Frankreich: sozialgeschichtliche Hintergründe
12.5. Der Begriff der bürgerlichen Gesellschaft

Fazit

Literaturliste

Einleitung

Die Frühe Neuzeit (15.— 18. Jh.) war die Epoche der bedeutenden, einander wechselseitig verstärkenden Entwicklungen, die eine starke Wirkung auf den weiteren Verlauf der Geschichte ausübten: die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, die steigende Bedeutung der individuellen Freiheit, die Gedanken, die zur Entstehung des modernen demokratischen Rechtsstaates geführt haben.

Die Epoche der Frühen Neuzeit zeichnet sich durch mehrere Kriege und Revolutionen aus sowie durch die Veränderungen der Machtverhältnisse in der Weltpolitik, durch die gravierenden Veränderungen in den Gesellschaften, durch die Veränderungen des Staatswesens, des Verständnisses der Freiheit, der Herrschaft, des Bürgertums. Die mittelalterliche Feudalgesellschaft wurde umgestaltet; die alte Ständegesellschaft mit geringer sozialer Mobilität konnte von den damaligen Entwicklungen nicht unberührt bleiben. Neue Gesellschaften, in denen das Bürgertum immer mehr Einfluss bekam, standen vor neuen Fragen und Herausforderungen.

Der Staat und das Individuum standen im Mittelpunkt der innergesellschaftlichen Veränderungen. Der Staat wurde sowohl für die einzelnen Individuen als auch in der Weltpolitik immer bedeutender. Er übernahm die Rolle einer Institution, die das Miteinander der einzelnen Individuen regelte und somit in gewisser Weise ihr Leben bestimmte. Die Unterwerfung der Individuen unter eine zentrale Institution, die über gesetzgebende Macht verfügte und in der Lage war, die Grenzen der individuellen Freiheit zu ziehen, gab den Anstoß zur Formulierung der Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit und Herrschaft. Freiheit und Herrschaft standen im Gegensatz zueinander und sollten in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden. Die in der Frühen Neuzeit entwickelten Staats- und Gesellschaftstheorien waren Versuche, die Antwort auf diese Frage zu geben.

Eine herausragende Rolle in der Untersuchung dieses Problems spielen die Staatstheoretiker Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Staatstheorien dieser drei Philosophen. Es werden nicht nur die Theorien vorgestellt, sondern es wird auf das Spannungsverhältnis zwischen Individualismus und Gemeinsinn, individueller Freiheit und Herrschaft und auf die Notwendigkeit von Recht und Staat eingegangen.

Die Fragestellung dieser Arbeit ist auch deswegen interessant, weil sie in der modernen Welt aktuell bleibt: Der Staat und seine Bürger stehen genauso in einem Abhängigkeitsverhältnis wie damals. Die individuelle Freiheit verliert nicht an Bedeutung; das Spannungsverhältnis des Gemeinsinns und der individuellen Interessen wird immer aktuell bleiben; der Staat hat immer noch die Aufgabe, für das Wohl seiner Bürger zu sorgen. Das Thema ist also nicht nur auf die Frühe Neuzeit bezogen; es verliert auch in der heutigen Welt nicht an Aktualität.

Die Staatstheorien von Hobbes, Locke und Rousseau werden in den ersten drei Teilen der Arbeit in chronologischer Reihenfolge vorgestellt. Es wird versucht, die Theorien schon während der Vorstellung zu analysieren, ihre Widersprüche und Schwächen aufzuklären und mögliche Erklärungsversuche zu geben.

Der vierte Teil der Arbeit ist ein zusammenfassender Vergleich der drei Theorien. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Theorien werden aufgezeigt und analysiert.

Um die Hintergründe der Entstehung der drei Theorien verständlich zu machen, wird im fünften Teil der Arbeit ein kurzer Abriss der Geschichte von England und Frankreich gegeben. Dabei werden einige biografische Daten der Philosophen in den geschichtlichen Verlauf integriert. So gewinnt man einen besseren Überblick über das Leben der Philosophen im Zusammenhang mit den geschichtlichen Ereignissen jener Zeit.

Teil 1

1. Thomas Hobbes und seine Bedeutung für die politische Philosophie

Thomas Hobbes gilt als Begründer der politischen Philosophie der Neuzeit. Bis heute befassen sich viele Philosophen mit seiner Lehre. Seine Staatstheorie hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, allerdings wurde sie nicht immer positiv akzeptiert, sondern von Philosophen, Theologen und Politikern aus unterschiedlichsten Gründen kritisiert. Unter den wichtigsten Forschern, die sich mit Hobbes beschäftigt haben, kann man vor allem Crawford B. Macpherson, Leo Strauss und Carl Schmitt nennen, deren Gedanken und Schlussfolgerungen im Laufe dieser Arbeit vorgestellt werden.

Das Großartigste an Hobbes und seinen Theorien war, dass er sich vollkommen von den alten zweitausendjährigen Traditionen des politischen Denkens abgewandt hat. (Münkler, 1993: 14) Ungeachtet dessen, dass Sokrates in der damaligen politischen Philosophie als die wichtigste und allgemein anerkannte Autorität galt, hat Hobbes sich selbst als den wahren Begründer der politischen Philosophie bezeichnet. (Strauss, 1977: 172) Davon zeugt seine Äußerung im Widmungsbrief zu seinem Werk „De corpore“, die lautet: „Die politische Philosophie [ist] nicht älter als das Buch, welches ich selbst unter dem Titel „De cive“ verfasst habe.“(Münkler, 1993: 14)

Durch diese Ablehnung der Tradition machte sich Hobbes zu einem der umstrittensten Philosophen aller Zeiten. So bezeichnet Macpherson Hobbes als den „unbequemsten politischen Denker Englands“. (Macpherson, 1990: 21)

Allerdings entwirft Hobbes keine absolut neue politische Philosophie. Eigentlich basieren die Grundlagen seiner Philosophie gerade auf den traditionellen philosophischen Theorien seiner Zeit. So stimmt Hobbes zum Beispiel mit Sokrates in einer der grundlegendsten Annahmen seiner Philosophie, dem Vorhandensein des Naturzustandes, überein. (Strauss, 1977: 174)

Womöglich sah es Hobbes als seine Aufgabe, die traditionelle politische Philosophie zu überarbeiten, ihre Schwachpunkte zu beseitigen und ihre Glaubwürdigkeit und Aktualität zu steigern. Eine solche Aufgabe konnte von keinem Menschen gelöst werden, der in einer stabilen und geordneten Gesellschaft gelebt hat. Mit der Tradition brechen kann nur jemand, der erlebt hat, wie die Tradition versagt und zusammenbricht. Thomas Hobbes lebte in einer Zeit der Revolution und des Bürgerkrieges. Diese Ereignisse hatten ihn tief beeindruckt, was aus seinen Schriften deutlich wird. Alle seine Werke und seine gesamte Philosophie wurden von politischen Ereignissen jener Zeit beeinflusst. Hobbes hat zukünftige Veränderungen in seiner Gesellschaft vorausgesehen und dadurch der traditionellen politischen Philosophie neue Züge gegeben.

Die traditionelle Philosophie leitete den Menschen aus einer bürgerlichen Gesellschaft ab. Es wurde angenommen, dass der Mensch „die Vollendung seiner Natur nur in der bürgerlichen Gesellschaft und durch sie erreichen kann, und dass daher die bürgerliche Gesellschaft älter als die Einzelperson ist.“(Strauss, 1977: 190) Diese Annahme stellt den entscheidenden Unterschied zwischen der Theorie von Hobbes und der traditionellen Philosophie dar. Mit der Behauptung, dass Menschen auch vor der bürgerlichen Gesellschaft existierten, hat Hobbes das Individuum als Vorläufer der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt. Ein weiterer Beweis dafür, dass Hobbes das Individuum als den Ursprung aller Gesellschaften sieht, ist die Ableitung der menschlichen Pflichten aus den Rechten. (Strauss, 1977: 190)

Vor allem das negative Menschenbild hat viel dazu beigetragen, dass Hobbes` Theorie kritisiert wurde. Den Menschen so zu akzeptieren, wie ihn Hobbes darstellte, war für seine Zeitgenossen undenkbar. Niemand wollte sich mit dem Hobbesschen Menschenbild assoziieren. Allerdings ist es umstritten, ob Hobbes den Menschen als böse darstellen wollte, denn es ist durchaus möglich, dass er nur die negativen Seiten des menschlichen Charakters darstellen wollte, indem er sie alle in einem unrealen Menschenbild zusammenfasste. Diese Frage wird in weiteren Abschnitten genauer untersucht.

In seiner Philosophie geht Hobbes andere Wege als seine Vorgänger. Die Grundfrage der klassischen politischen Philosophen war die nach der Gerechtigkeit. Diese Frage wurde schon von Aristoteles bearbeitet, und genau diese Frage begründet auch den Hobbesschen Bruch mit der Tradition. Versuche des Aristoteles, den Begriff der Gerechtigkeit genau zu definieren und auf der Grundlage dieser Definition die Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens aller Menschen zu rechtfertigen, hielt Hobbes für falsch. Stattdessen setzte Hobbes „auf die souveräne Dezision, die in Gesetzesform vorschreibt, was zu tun und was zu unterlassen ist.“(Münkler, 1993: 72)

Auch den Eigentumsbegriff, die Annahmen über Gleichheit und Ungleichheit, über Naturzustand, Menschenbild, Freiheit und Herrschaft sind bei Hobbes anders konzipiert als bei den klassischen Denkern der politischen Philosophie. (Münkler, 1993: 74-79)

Die Aufgabe dieser Arbeit ist es aber nicht, die Einzelheiten der Unterschiede zwischen der klassischen und der Hobbesschen Philosophie zu diskutieren. Es war aber wichtig, den Platz Hobbes` in der Geschichte der politischen Philosophie darzustellen, denn seine Rolle für ihre weitere Entwicklung ist beträchtlich.

1.1. Biografische Daten zu Hobbes. Physischer und intellektueller Werdegang

Um die Hintergründe der Philosophie von Hobbes besser verstehen zu können, ist ein kurzer Exkurs über sein Leben nötig, denn, wie oben erwähnt, trägt jedes seiner Werke eine Spur der tiefen Eindrücke, die die Ereignisse seiner Zeit hinterlassen hatten. Nach Herfried Münkler, einem Autor zahlreicher Publikationen zur politischen Geschichte der Neuzeit, gibt es nicht so viele Informationen über Hobbes` Leben, wie man es erwarten könnte: Immerhin hatte Hobbes ein ziemlich erfülltes und langes Leben— er wurde über 90 Jahre alt. Aber dank einigen Forschern wie John Aubreys, der sich mit der Erforschung von Hobbes` Leben befasste, gibt es genügend Informationen über seinen Werdegang.

Thomas Hobbes wurde am 5. April 1588 als Sohn eines Landgeistlichen in Wiltshire geboren. Seine Eltern waren wenig gebildete Menschen, aber Hobbes war ein sehr talentiertes Kind: Schon mit vier Jahren konnte er lesen, schreiben und rechnen. Er wurde ab 1596 in einer Privatschule unterrichtet und schon mit vierzehn Jahren hat er die „Medea“ des Euripides in lateinische Jamben übersetzt. 1603 begann er mit seinem Studium in Oxford, das er im Jahre 1607 abgeschlossen hat. Unter den Lehrveranstaltungen, die er während seines Studiums besucht, ist eine Einführung in die aristotelische Logik und Physik. Schon damals hielt er die Lehre des Aristoteles für schlecht. Scharfe Kritik äußerte Hobbes aber erst nach dem Studium, einmal nannte er Aristoteles „den schlechtesten Lehrer, den es je gegeben hat, den schlechtesten Moral- und Staatsphilosophen.“(Gawlick, in: Hobbes, 1994: IX)

Als er den Grad eines Baccalaureus Artium erworben hatte, wurde er nach den gesellschaftlichen Regeln zur Universitätsbahn bestimmt. Allerdings hatte Hobbes eine sehr kritische Einstellung zu Universitäten, die er sein Leben lang nicht aufgegeben hat. So wurde er 1608 zum Tutor und Hofmeister des Sohnes von Baron Cavendish von Hardwick. Diese Stellung hat Hobbes für den Rest seines Lebens behalten, später als Mentor des Sohnes seines ersten Schülers. (Gawlick, in: Hobbes, 1994: X)

Hier zeigt sich wieder, dass Hobbes oft den Regeln entging, die in der damaligen Gesellschaft vorherrschten. Seine Ablehnung sowohl der Universitäten als auch der traditionellen Philosophie, seine Vorliebe für lange Reisen sagen viel über die Persönlichkeit dieses Mannes.

Während Hobbes von 1610 bis 1613 in Frankreich lebt, wird König HeinrichIV. von Frankreich von dem religiösen Fanatiker Ravaillac ermordet, was auf Hobbes einen tiefen Eindruck macht, und sich dann später in seinen Schriften widerspiegelt. (Diesselhorst, in: Hobbes, 2005: 307)

In der Zeit nach der Ermordung des Königs konnte Hobbes den Prozess des Zerfalls eines friedlichen und geordneten Staates am Beispiel Frankreichs beobachten und miterleben. Die Zeit der Regentschaft von Maria von Medici war sehr schwierig für Frankreich, denn es gab keinen richtigen Herrscher und keine Macht, die sich um das Wohl des Staates und seines Volkes gekümmert hätte. Die Favoriten, die an die Macht gelangten, stellten ihre Person höher als den Staat, der Adel kämpfte um Position und Reichtum, und die Kirche führte ihren eigenen Kampf um die Machtposition im Staat. (Schnur, 1963: 25)

Den Staat wieder „zu konsolidieren, gelang Richelieu, in einem langjährigen inneren Mehrfrontenkrieg. Die politischen Ideen, die gegen Richelieu standen, waren im Hinblick auf die moderne Staatstheorie die traditionellen Theorien, die sich als die Verlierer des konfessionellen Bürgerkriegs des 16. Jahrhunderts betrachten mussten, also die politischen Ideen der Katholiken, Hugenotten und des anti-absolutistischen Adels.“(Schnur, 1963: 25)

Die Anhänger der modernen Staatstheorie waren zu dieser Zeit in wenigen Kreisen gesammelt, in die man nur durch Bekanntschaften mit derzeitigen Mitgliedern eingelassen wurde. In diesen Zirkeln wurden alle gegenwärtigen politischen Fragen besprochen, es wurden unterschiedlichste und kühnste Ideen erörtert. Diese Kreise waren in keiner Hinsicht mit Universitäten verbunden, sondern entwickelten ihre Ideen unabhängig von der traditionellen Wissenschaft. Hobbes war ständiger Gast eines der bekanntesten Kreise— der „cercle“ der Brüder Dupuy in Paris, zu dem führende Persönlichkeiten jener Zeit gehörten: Marin Mersenne, Pierre Gassendi, Nicolas Claude Fabri de Peiresc, Guez de Balzac, Hugo Grotius, René Descartes, Samuel de Sorbière (der die Verbreitung von Hobbes` Werken in Frankreich förderte), Galileo Galilei, Tommaso Campanella und viele andere. „Dieser Kreis war für geraume Zeit so etwas wie Europas geistiges Zentrum.“(Schnur, 1963: 25-27)

Die Bekanntschaft mit den wichtigsten Persönlichkeiten seiner Zeit übte einen entscheidenden Einfluss auf Hobbes` Philosophie aus. So hatte Hobbes immer „einen intensiven Gedankenaustausch, hat in scharfen Auseinandersetzungen mit den großen Denkern seiner Zeit gestanden“. (Münkler, 1993: 32) Dank der Verbindung mit der Familie Cavendish hatte er enge Bekanntschaft mit Francis Bacon geschlossen, der seine Ablehnung der aristotelischen Philosophie bekräftigt hat. (Diesselhorst, in: Hobbes, 2005: 307)

Gerade seine Stellung bei der Familie Cavendish ermöglichte es Hobbes, sein Leben so zu führen, wie es für seine philosophische Arbeit nötig war. Er hatte die Möglichkeit, viel zu reisen, dank seiner Verbindung mit einer der führenden adligen Familien Englands gelangte er auch in die Pariser Kreise der „Wissenden“.

In seiner Vorrede zur Übersetzung von Thukydes` Werks „Der Peloponnesische Krieg“ (es geht um den Bürgerkrieg zwischen Athen und Sparta im 5.Jahrhundert) zeigte Hobbes zum ersten Mal sein Interesse an Politik. (Diesselhorst, in: Hobbes, 2005: 310)

Nachdem Hobbes von seiner letzten Bildungsreise nach England zurückgekehrt war, verschärfte sich dort die politische Situation— die Streitigkeiten zwischen König KarlI. und dem Parlament eskalierten. Darauf wurde das „Kurze Parlament“ aufgelöst und das „Lange Parlament“ einberufen. Auf Veranlassung des Grafen von Newcastle verfasste Hobbes zur Unterstützung der Krone seine Abhandlung „Elements of Law Natural and Politic.“ Danach fürchtete er die Verfolgung des Parlaments und sah sich gezwungen, nach Frankreich ins Exil zu fliehen. Dort verbrachte er zehn Jahre. (Diesselhorst, in: Hobbes, 2005: 307)

1642, als seine Schrift „De Cive“ in Paris erschien, brach in England der Bürgerkrieg aus. So wurde Hobbes zum zweiten Mal Zeuge eines Zusammenbruchs einer geordneten Gesellschaft. Die Geschehnisse des Bürgerkrieges wurden zum Prototyp des von ihm später beschriebenen Naturzustands der Menschen— ein Kampf aller gegen alle. Denn immer wieder erscheinen in seinen Werken der Bürgerkrieg und die Revolution als größte Übel.

Während des Bürgerkriegs arbeitete Hobbes an seinen philosophischen Werken. 1646 wurde er berufen, dem im Exil lebenden Thronfolger, dem späteren König Karl II., Unterricht in Mathematik zu erteilen. Das war eine ehrenvolle Aufgabe für den Sohn eines einfachen Landgeistlichen. (Gawlick, in: Hobbes, 1994: XII-XIII)

Im Jahre 1649 wurde König KarlI. hingerichtet— diese Tat war eine große Erschütterung für Hobbes und er begann mit der Arbeit an seinem bedeutendsten Werk, dem „Leviathan“. Durch den „Leviathan“ wurde Hobbes „berühmter und berüchtigter als durch sein ganzes übriges Werk“. (Schmitt, 1938: 9)

Der „Leviathan“ erschien 1651 in London und wurde am Hofe Karls II. sehr ungünstig aufgenommen: Hobbes wurde des Verrats und des Atheismus beschuldigt. Diese Reaktion auf „Leviathan“ war für Hobbes ein Grund zur Rückkehr nach England, wo er sich der Republik unterwarf und sich seinen wissenschaftlichen Werken widmete. (Münkler, 1993: 48) 1653 folgte er der Einladung des Grafen von Devonshire, dessen Tutor er gewesen war, und lebte hauptsächlich auf dessen Besitzungen in Derbyshire. (Gawlick, in: Hobbes, 1994: XIII)

Das weitere Leben von Hobbes ist am besten durch seine Werke darzustellen. So wurde 1655 der erste Teil der Elementa Philosophiae— das Buch „De Corpore“— veröffentlicht. Der zweite Teil der Elementa— „De Nomine“— folgte im Jahr 1658.

1660 kam es zur Restauration der Stuarts in England. KarlII. nahm seinen früheren Lehrer sehr günstig auf und setzte ihm eine Pension aus. 1668 erschien „Leviathan“ zum zweiten Mal in lateinischer Fassung. (Diesselhorst, in: Hobbes, 2005: 309) In demselben Jahr vollendete Hobbes den „Behemoth“. (Gawlick, in: Hobbes, 1994: XIV) Wegen seiner untraditionellen Vorstellungen wurde er oft des Atheismus bezichtigt, allerdings scheint dieser Vorwurf nicht ganz gerecht zu sein, denn gerade bei der Darstellung seiner Theorien bezieht er sich immer wieder auf Aussagen aus der Heiligen Schrift.

Hobbes starb im Jahr 1679 am 4. Dezember auf den Gütern der Familie Cavendish in Hardwick (Derbyshire). (Gawlick, in: Hobbes, 1994: XIV-XV)

1.2. Philosophie der Angst

Die Philosophie von Hobbes wird oft als eine Philosophie der Furcht bezeichnet, denn die Furcht nimmt eine entscheidende Rolle in seinen Schriften ein, genauso wie der Bürgerkrieg, den Hobbes sehr eng mit Furcht und Angst verbindet.

Er selbst gab zu, dass die Furcht ihn sein ganzes Leben begleitet hat. Zurzeit seiner Geburt wurde in England die Angst vor der spanischen Armada verbreitet. Hobbes` Biograf John Aubrey hat die Aussagen von Hobbes über seine Geburt so zusammengefasst: „Seine Mutter kam mit ihm in die Wehen aus Angst vor der Invasion der Spanier und hat Zwillinge zur Welt gebracht, ihn und die Furcht.“(Aubrey, zit. nach Münkler,1993: 35)

Hobbes argumentiert immer mit Furcht. Furcht ist zum Grundmotiv seiner Philosophie geworden. Er unterscheidet zwischen verschiedenen Arten der Furcht: „Die Furcht vor mächtigen unsichtbaren Wesen … ist Religion. … Furcht vor einer Gefahr, deren Ursache und Beschaffenheit uns unbekannt ist, heißt panischer Schrecken“ usw. (Hobbes, 2005: 52-53) Mit Furcht erklärt Hobbes das Verhalten von Menschen: „Bei dieser großen Furcht, welche die Menschen allgemein gegeneinander hegen, können sie sich nicht besser sichern, als dadurch, dass einer dem andern zuvorkommt oder so lange fortfährt, durch List und Gewalt sich alle anderen zu unterwerfen, als noch andere da sind, vor denen er sich zu fürchten hat.“(Hobbes, 2005: 114)

Unter Furcht versteht er jedes „Voraussehen von kommendem Unheil“, und setzt solche Gefühle wie Misstrauen, Verdacht, Vorsicht auch in enge Verbindung mit der Furcht. Er erklärt das ganze menschliche Zusammenleben mit diesem Begriff. So nehmen Menschen Waffen mit, wenn sie verreisen; so schließen sie die Türen, wenn sie schlafen, oder fliehen und verstecken sich vor einer Gefahr, wenn sie sich nicht schützen können— aus Furcht. Auch die Staaten, die mächtigen Leviathane untereinander, regulieren ihr Verhalten durch Furcht: Sie schützen ihre Grenzen zu anderen Staaten, verhandeln über den Frieden aus der Furcht vor Niederlage. (Hobbes, 1994: 79) Aus Furcht heraus werden die Staaten sogar geschaffen, denn im Naturzustand ist Furcht allgegenwärtig und nur der Leviathan ist in der Lage, diese Furcht unter den Menschen maximal zu reduzieren.

1.3. Werke von Hobbes

Im Folgenden werden die Werke von Hobbes vorgestellt: „Leviathan“, „Behemoth“ und „Elemente der Philosophie II/III: Vom Menschen. Vom Bürger“. Diese Werke eröffnen dem Leser Hobbes` Verständnis von einem richtigen Staat und vom Individuum. In seinen Schriften zeigt sich Hobbes als ein guter Psychologe, der alle menschlichen Vor- und Nachteile sieht und die Lösung vorschlägt, wie die Menschen trotz all dieser Eigenschaften ein glückliches Leben führen können.

1.3.1. Die Grundideen von „Leviathan“

Der „Leviathan“ ist zweifellos das bedeutendste Werk von Hobbes. Seine Lebenserfahrungen und seine Beobachtungen veranlassten ihn, nach Vor- und Nachteilen einer Gesellschaft zu suchen. Dabei beschreibt er die menschliche Natur mit einer für viele Leser schockierenden Offenheit.

Nimmt man eine der ersten Ausgaben des „Leviathan“ in die Hände, fällt einem das kunstvolle Titelblatt auf, auf dem man einen aus einer Menschenmenge zusammengesetzten riesigen Menschen mit Krone auf dem Kopf sieht. (Bredekamp, 2003: 10) Der Mann hält ein Schwert in der linken Hand und einen Bischofsstab in der rechten. Dieser Mensch stellt den Leviathan dar— den richtigen und starken Staat, der über der Erde steht. Denn über ihm ist nur der Himmel, also nur Gott. Der Schatten dieses riesigen Menschen fällt über die Stadt, die auf dem Gelände zu sehen ist— als wäre dies ein Symbol dafür, dass der Leviathan alles sieht und alles in seiner Macht steht. Die kleinen Menschen, die in Wirklichkeit die Bürger dieses Staates sind, scheinen zu versuchen, den Riesen wie ein Panzer zu schützen. Hat man das Buch gelesen, die Ideen von Hobbes über den Staat verstanden, so wird einem klar, dass diese Menschen nicht einen anderen schützen, sondern dass sie dieser Andere sind— sie sind der Leviathan, sie sind der Staat und zugleich seine Bürger. Über dem Land sieht man keine Sonne, der Himmel ist wie im Winter verdunkelt. Diese finstere Landschaft erscheint ziemlich bedrohlich, genau wie die Beschreibung des Naturzustandes, die Hobbes seinen Lesern bietet. (Bredekamp, 2003: 13-16)

Die untere Hälfte des Titelblatts besteht aus drei Säulen, wobei in der mittleren der Titel des Buches erscheint. Die rechte und die linke zeigen je fünf Bilder, deren Thematik sich auf das Schwert und den Bischofsstab in den Händen des Leviathan bezieht: Die Bilder links stellen die weltliche Macht dar, die rechts die kirchliche. (Bredekamp, 2003: 14)

Bei den Menschen, die den Körper des Leviathan bilden, sieht man jeden Einzelnen und kann sich vorstellen, dass jeder dieser Menschen sein eigenes Leben lebt, seine eigenen Sorgen und Interessen hat— jeder ist ein Individuum, ein einzigartiger Mensch. Gleichzeitig versteht man, dass die Menschen in diesem Leviathan nicht voneinander isoliert sind, dass sie auf irgendeine Weise miteinander verbunden sind, dass jeder in diesem riesigen Körper seinen eigenen Platz hat und dass es irgendeine bestimmte Ordnung gibt, die das Funktionieren dieses Körpers erlaubt. Der Leviathan ist nach Hobbes ein lebendiges Wesen, genauso wie die Menschen, aus denen er besteht. Und dieses Wesen lebt sein Leben. Jeder der Menschen ist ein Teil dieses Lebens, ein Teil seiner Existenz— die Bürger bilden den Körper des Leviathan, wie die Zellen des menschlichen Körpers.

Betrachtet man den Leviathan genauer, so merkt man, dass alle Menschen, die den Körper der riesigen Fürstengestalt bilden, ihr Gesicht „in die Richtung seines Hauptes wenden, so wie Sonnenblumen ihre Köpfe immer in die Sonne drehen“. (Kersting, 2002: 39) Wahrscheinlich sollte das den Wunsch jedes Einzelnen symbolisieren, dem Wohl des Staates zu dienen, die Interessen des Staates mehr zu beachten als die eigenen. Es stellt sich die Frage, wie es so viele Menschen schaffen, so zusammenzuleben, dass ihr gemeinsames Dasein als ein einziges Wesen begriffen werden kann. Darauf gibt Hobbes in der Einleitung zum „Leviathan“ eine gute theoretische Antwort, in der er erklärt, was er unter dem Leviathan und den einzelnen Menschen versteht. Hobbes vergleicht den Leviathan mit dem menschlichen Körper, dabei unterscheidet er schon am Anfang zwischen einem natürlichen Menschen und einem künstlichen Menschen. Der künstliche Mensch ist der Leviathan, der viel größer und viel mächtiger ist als die natürlichen Menschen. Seine Aufgabe ist es, für die einzelnen Teile seines Körpers zu sorgen, sie zu beschützen und glücklich und gesund zu erhalten. So beschreibt Hobbes den Leviathan als einen Menschen, der genauso wie natürliche Menschen „durch die Bewegung seiner Glieder“ lebt. (Hobbes, 2005: 5)

Der Titel „Leviathan“ ist nicht zufällig gewählt. Carl Schmitt geht auf den Ursprung dieses Namens in seinem Buch über Hobbes` Staatslehre ein. Leviathan ist ein biblisch-mythologisches Wesen, ein Seeungeheuer. Schmitt schreibt, dass „Leviathan in vielen Jahrhunderten von mythischen, theologischen und kabbalistischen Deutungen umkleidetes Bild aus der Bibel, und zwar aus dem alten Testament ist. Er ist das im Buche Hiob in den Kapiteln 40 geschilderte Seeungeheuer.“(Schmitt, 1938: 10-11)

Meistens wurde Leviathan als ein sehr großes und starkes Wassertier beschrieben, das die Züge eines Krokodils, aber auch eines Drachens, einer Schlange oder eines Wales trägt. (Schmitt, 1938: 12) Für Hobbes ist ein Staat das Einzige auf der Erde, was auch nur annähernd so mächtig und stark sein kann. Seine ganze Philosophie beschäftigt sich mit der Frage der Errichtung eines starken Staates, der in der Lage ist, seine Bürger in einem natürlichen und glücklichen Gleichgewicht zu halten und über große Menschenmengen zu bestimmen.

So überträgt Hobbes die Züge eines mythischen Ungeheuers auf den Staat, den er allerdings als den Körper eines Menschen— eben weil er sich aus den Menschen zusammensetzt— und nicht als eines Tieres darstellt. Also hat die mythische Figur des Leviathan nichts mit dem Staat von Hobbes zu tun, sie wurde nur als eine Metapher gewählt, um die Stärke eines Staates anzudeuten.

1.3.2. „Elemente der Philosophie II/III: Vom Menschen. Vom Bürger“

Die Schriften „Vom Menschen“ und „Vom Bürger“ sind zwei Teile eines großen Werkes von Hobbes— den „Elementa Philosophiae“. Mit diesem Werk beabsichtigte Hobbes seine gesamte Philosophie in Grundzügen vorzustellen. Er sah drei Teile der „Elementa“ vor: „Vom Körper“, „Vom Menschen“ und „Vom Bürger“. Allerdings erschienen diese Teile in einer anderen Reihenfolge, als zuerst geplant war. Der Grund, wieso Hobbes die Bearbeitung des politischen Teils der „Elementa“ vorzog, war die Verschärfung der politischen Situation zu der Zeit, als Hobbes mit diesem Werk beginnen wollte. So sah er sich veranlasst, die in der Gesellschaft herrschenden Meinungen über den Staat und Herrschaft zu ändern. Das wollte er durch seine Schrift „Vom Bürger“ erreichen. (Gawlick, in: Hobbes, 1994: XV-XVI) Diese Schrift „enthält die klassische Formulierung der Rechts- und Staatsphilosophie des Hobbes; sie hat von allen seinen Schriften die größte Wirkung auf das philosophische Denken der Neuzeit gehabt.“(Gawlick, in: Hobbes, 1994: XVII) „Vom Menschen“ hatte keine so große Wirkung, vielleicht, weil diese Schrift zu Hobbes` Lebzeiten nur noch in der Amsterdamer Gesamtausgabe gedruckt worden war. Da Hobbes in diesen Schriften dem menschlichen Zusammenleben in einem Staat viel Aufmerksamkeit widmet und auf die Fragen der Herrschaft und der individuellen Freiheit sehr genau eingeht, sind diese Schriften von großer Bedeutung für die Untersuchung der in dieser Arbeit gestellten Frage.

1.3.3. „Behemoth or the Long Parliament“. Hobbes` Reflexion zum englischen Bürgerkrieg

Die Schrift „Behemoth or the Long Parliament“ ist weniger bekannt als der „Leviathan“, obwohl Hobbes diese beiden Werke als eine Gegenüberstellung gedacht hat. „Behemoth“ schrieb Hobbes in hohem Alter und vollendete ihn als er 80 Jahre alt war. Die erste Ausgabe erschien drei Jahre nach dem Tode des Autors, denn König Karl II. hat zunächst die Veröffentlichung dieser Schrift untersagt. Die Schrift geriet allerdings sehr bald in Vergessenheit, und erst 80 Jahre nach der ersten Ausgabe erschien die zweite. (Münkler, in: Hobbes, 1991: 7)

Die politische Entwicklung Englands nach 1660 sah Hobbes mit großer Skepsis. Die Restauration der Stuarts hat er zwar befürwortet, fand aber die Art, wie Edward Hyde die Restauration betrieb, falsch. Hobbes glaubte zu sehen, dass alle Fehler wiederholt wurden, die 1640 zum Bürgerkrieg geführt hatten. Vor diesem Hintergrund entstand das Werk „Behemoth“, in dem Hobbes das Entstehen, die Vorbereitung und den Verlauf des Bürgerkriegs eingehend auf verschiedene politische Theorien und theologische Sätze hin analysiert. (Münkler, 1993: 58-59)

Es ist zu erwähnen, dass Behemoth genauso ein mythisches Wesen aus der biblischen Tradition ist wie der Leviathan, wobei der Behemoth ein Ungeheuer des Chaos und des Grauens ist, und im Gegensatz zu Leviathan ein irdisches Wesen darstellt. (Kersting, 2002: 41)

Schon in einer kleinen Schrift aus dem Jahr 1656 („The Questions concerning Liberty, Necessity and Chance“) erwähnte Hobbes, dass es eine Gegenüberstellung zum Leviathan geben muss und dass „Behemoth against Leviathan“ der beste Titel für ein solches Werk wäre. Somit bedeutet Leviathan den Staat und Behemoth die Revolution. Im „Behemoth“ gibt Hobbes „eine geschichtliche Darstellung der presbyterianischen und puritanischen Revolution von 1640—1660. … Der Behemoth ist … ein Symbol der durch religiösen Fanatismus und Sektierertum hervorgerufenen Anarchie, die während der puritanischen Revolution das englische Gemeinwesen zerstörte.“(Schmitt, 1938: 33-34)

2. Naturzustand

Im 13. Kapitel des „Leviathan“ entwickelt Hobbes seine Theorie des Naturzustands. Unter Naturzustand versteht er das Zusammenleben von Menschen, das von keiner externen Macht und von keinen Regeln, sondern nur durch natürliche Merkmale der Menschen reguliert wird; es handelt sich also um die Abwesenheit eines Staates.

Hobbes war der erste politische Philosoph, der den Naturzustand zu einem grundlegenden Thema der politischen Philosophie gemacht hat. Vor ihm gehörte der Ausdruck „Naturzustand“ weder zur christlichen Theologie noch zur politischen Philosophie. Außerdem wurde der Naturzustand vor allem mit dem Verständnis der göttlichen Gnade verbunden. Da Hobbes die Auswege aus dem Naturzustand nicht mit der göttlichen Gnade verbindet, sondern behauptet, dass für den Ausweg aus dem Naturzustand eine menschliche Regierung nötig sei, er sich somit von den klassischen theologischen Lehren abwandte, wurde sein Naturzustand oft als antitheologisch bezeichnet. (Strauss, 1977: 191)

2.1. Naturzustand— Hypothese oder Wirklichkeit?

So wie Hobbes den Naturzustand beschreibt, ist es nicht offensichtlich, ob er wirklich daran glaubte, dass es Zeiten gab, wo auf der ganzen Erde keine Gesellschaften existierten und überall der grausame Naturzustand vorherrschte. Der erste Eindruck ist, dass laut Hobbes ein solcher Zustand möglich ist und historisch tatsächlich bestand. Bei genauer Betrachtung sieht man allerdings, dass Hobbes` Verständnis des Naturzustands nicht eindeutig ist: Für ihn ist der Naturzustand sowohl eine mögliche Wirklichkeit als auch eine Arbeitshypothese, mit derer Hilfe er die Notwendigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft beweisen will.

Die meisten Gelehrten, die sich mit dem Naturzustand bei Hobbes beschäftigt haben, sehen ihn eher als eine Arbeitshypothese, um „die Notwendigkeit bzw. Unumgänglichkeit eines bürgerlichen Zustandes mit einer absolut souveränen Staatsgewalt zu demonstrieren. D.h. die Lehre vom Naturzustand entspricht viel weniger einer historisch-konkreten als einer logisch-hypothetischen Betrachtungsweise.“ (Kwon, 1991: 21)

„Hobbes` Naturzustand, so wird allgemein zugegeben, ist eine logische, keine historische Hypothese. … Er glaubte, dass der Naturzustand niemals allgemein in der Welt vorgeherrscht habe, und er war sich klar darüber, dass die meisten existierenden souveränen Herrschaftsverhältnisse ihren Ursprung nicht einem Vertrag, sondern einer Eroberung verdanken.“(Macpherson, 1990: 32-33)

Nach diesen Erklärungsversuchen ist der Naturzustand eine rein theoretische Annahme und hat niemals auf der Welt existiert. Allerdings kann man dies bestreiten und versuchen zu beweisen, dass der Naturzustand sowohl eine Wirklichkeit als auch eine Hypothese ist. Auf jeden Fall hat Hobbes nicht geglaubt, dass es jemals Zeiten gab, wo alle Menschen auf der ganzen Erde sich gleichzeitig in einem Naturzustand befanden. Es ist wahrscheinlicher, dass Hobbes den Naturzustand als einen historischen Zustand verstand, der zu bestimmten Zeiten in bestimmten Regionen wirklich vorhanden sein kann. Davon zeugen folgende Zitate, die im Grunde genommen die These über den Naturzustand als eine bloße theoretische Abstraktion widerlegen:

„Aber, möchte jemand sagen, es hat niemals einen Krieg aller gegen alle gegeben! … Wird nicht selbst zu unseren Zeiten noch an vielen Orten ein solches Leben geführt? Die Amerikaner leben zum Teil so, bloß, dass sie sich in kleinen Familien gewissen väterlichen Gesetzen unterworfen haben, und die Eintracht dieser Familien dauert nur so lange, als sie von gleichen Absichten beseelt werden. Aus jedem Bürgerkriege erhellt, wie das menschliche Leben ohne einen allgemeinen Oberherrn beschaffen wäre.“(Hobbes, 2005: 116-117)

So schreibt auch Macpherson über den Naturzustand bei Hobbes: „Hobbes` Bild vom reinen Naturzustand ist ganz eindeutig die Negation der zivilisierten Gesellschaft: keine Industrie, keine Kultivierung des Landes, keine Schifffahrt, keine Künste, keine Wissenschaften, kein gesellschaftlicher Umgang. “(Macpherson, 1990: 36)

Genauso sieht Hobbes den Naturzustand, in dem das Leben der Menschen durch ständige Furcht um die eigene Existenz erfüllt ist. Ein solches Leben führen Menschen, die sich in einem Bürgerkrieg befinden oder die keine Regierung über sich haben. Denn gerade in solchen Zeiten kann es keine Gesellschaft geben, und auch keine Künste und Wissenschaften, nur das Leben der Menschen, erfüllt von der „Furcht, gemordet zu werden, stündlichen Gefahr, ein einsames, kümmerliches, rohes und kurz dauerndes Leben.“(Hobbes, 2005:116)

Also folgt, dass Hobbes den Naturzustand als die bloße Abwesenheit einer regulierenden Macht versteht, und betont, dass dieser Zustand jederzeit und überall eintreten kann, wie im Falle eines Bürgerkriegs. Den Bürgerkrieg kann man aber nicht als eine theoretische Abstraktion bezeichnen, er ist Realität. Ein weiteres Zitat verdeutlicht noch einmal, dass der Naturzustand keine bloße Hypothese für Hobbes war, sondern eine Art der Beziehungen zwischen Menschen oder auch zwischen Staaten. Hobbes schreibt: „Gab es auch gleich niemals eine Zeit, in der ein jeder eines jeden Feind war, so leben doch die Könige und die, welche die höchste Gewalt haben, miteinander in ständiger Feindschaft. … Freilich wird hierbei nicht all das Elend wahrgenommen, welches die allgemeine Freiheit einzelner Menschen mit sich brächte…“(Hobbes, 2005:117)

So schreibt auch Münkler, dass „der Naturzustand die Alternative zu dem durch die Macht und Gewalt des Souveräns gesicherten Gesellschaft ist.“(Münkler, 1993: 111)

Daraus kann man folgern, dass Hobbes den Naturzustand als eine geschichtliche Tatsache in eine verallgemeinernde Hypothese umgewandelt hat. Nach dieser Hypothese soll es Zeiten gegeben haben, in denen sich alle Menschen auf der ganzen Erde in einem grausamen Naturzustand befanden. Die geschichtliche Tatsache dagegen ist beispielsweise der Bürgerkrieg, die Abwesenheit einer Regierung oder die Lebensweise einiger wilder Völker. Das Ziel, das Hobbes dabei verfolgte, ist sicherlich, seinen Lesern das Verständnis seiner Theorie durch eine Verallgemeinerung zu erleichtern.

Somit kommt man zu dem Schluss, dass der Naturzustand in Hobbes` Theorie sowohl als Wirklichkeit als auch als Hypothese zu verstehen ist.

2.2. Hobbes` Menschenbild. Der Mensch als ein egoistischer Nutzenmaximierer

Hobbes stellt sein Menschenbild sehr detailliert vor. Er untersucht menschliche Gedanken und Verhaltensweisen, sucht nach den Gründen für dieses Verhalten, erklärt zwischenmenschliche Beziehungen und analysiert die Seelenzustände der Menschen.

Die Vorstellung des Menschen im „Leviathan“ beginnt Hobbes mit der Beschreibung der menschlichen Sinne, und so, Schritt für Schritt, stellt er seinen Lesern den natürlichen Menschen vor, mit allen seinen negativen und auch positiven Charakteristika. Hin und wieder vergleicht er die Menschen mit Tieren, manchmal gibt er zu, dass sie viel gemeinsam haben. Zum Beispiel bei der Beschreibung des Verstandes: „Die Vorstellung, welche bei Menschen und Tieren durch Sprache oder andere willkürliche Zeichen hervorgebracht wird, heißt Verstand, und diesen hat der Mensch mit den vernunftlosen Tieren gemein.“(Hobbes, 2005: 20-21) Später wird klar, dass für Hobbes die Grenze zwischen Mensch und Tier die Klugheit ist, die es den Menschen erlaubt, sich zu entwickeln und sich die Sprache anzueignen. „Ohne Sprache fänden unter den Menschen Gemeinwesen, Gesellschaft, Vertrag, Frieden ebenso wenig statt wie unter Löwen, Bären und Wölfen.“(Hobbes, 2005: 28)

In seiner Untersuchung beschäftigt sich Hobbes abwechselnd mit dem natürlichen und dem zivilisierten Menschen. „Der Weg seines Denkens war der vom Menschen in der Gesellschaft zurück zum Menschen als einem mechanischen System bewegter Materie und erst dann wieder hin zu des Menschen notwendigem Verhalten in der Gesellschaft.“(Macpherson, 1990: 44)

In den Kapiteln 5 bis 13 des „Leviathan“ geht es ganz offensichtlich um die Merkmale zivilisierter Menschen. Davon zeugt vieles, zum Beispiel die Erwähnung von Wissenschaften im 5. und im 10. Kapitel, oder der Ehre und des Lachens im 6. Kapitel. Allerdings kann es im Naturzustand keineswegs Wissenschaft oder Glück geben, denn das Leben im Naturzustand kann dem Menschen nur Grauen und Angst bieten. Im 10. Kapitel spricht Hobbes ebenfalls eindeutig über den zivilisierten Menschen, da er offen über den guten Ruf als Bürger schreibt, über Reichtum, Gerechtigkeit, aber auch über verschiedene Ehrentitel, was alles nur in einer bürgerlichen Gesellschaft vorhanden sein kann. Auch die Sitten, von denen die Rede im 11. Kapitel ist, finden sich nur in einer bürgerlichen Gesellschaft. (Hobbes, 2005:38-98)

Die Beschreibung des Naturzustandes beginnt Hobbes mit der Absicht, die Bedingungen zu klären, denen der Mensch von Natur aus unterliegt. Er fängt mit der Behauptung über die Gleichheit aller Menschen an: „Die Natur hat die Menschen sowohl hinsichtlich der Körperkräfte wie der Geistesfähigkeiten untereinander gleichmäßig begabt.“(Hobbes, 2005:112)

Insbesondere sind die Menschen in ihren Geistesfähigkeiten gleich, denn „man wird gewiss selten einen so schwachen Menschen finden, der nicht durch List oder in Verbindung mit anderen, die mit ihm in gleicher Gefahr sind, auch den stärksten töten könnte.“(Hobbes, 2005: 113) Da aber kein Mensch zugestehen wird, jemand sei klüger als er, und einige sogar eine zu hohe Meinung von sich haben, wird diese Gleichheit oft angezweifelt. Andererseits „gibt die Zufriedenheit eines jeden mit seinem Verstande für die gleichmäßige Verteilung der Verstandeskräfte den besten Beweis.“(Hobbes, 2005: 113)

Die natürliche Gleichheit der Menschen bedeutet für sie keineswegs ein problemloses Dasein, im Gegenteil— sie sorgt für eine strenge Konkurrenz um knappe Güter, die mit Gewalt ausgetragen wird. Deswegen herrscht im Naturzustand eine fundamentale Unsicherheit, die die Menschen dazu veranlasst, andere „präventiv zu attackieren“. Im Naturzustand kümmert sich jeder vor allem um seine Selbsterhaltung und lebt in ständiger Furcht, dass er getötet oder verwundet werden kann. Egal wie gut sich ein Individuum mit knappen Gütern versorgt hat, lebt es trotzdem in ständiger Furcht, dass es von anderen angegriffen werden kann. Dies veranlasst den Menschen, die anderen anzugreifen, um seine Feinde zu schwächen, bevor sie ihn attackieren. (Becker, 2006: 34-35)

Die Selbsterhaltung sieht Hobbes als Hauptmotiv des menschlichen Verhaltens. „Das erste Gut ist für jeden die Selbsterhaltung. Denn die Natur hat es so eingerichtet, dass alle ihr eigenes Wohlergehen wünschen.“(Hobbes, zit. nach Münkler,1993: 103) So ist die erste Aufgabe eines jeden Menschen, sein Leben und seine Gesundheit zu erhalten, aber auch Sicherheit für die Zukunft zu erlangen, was in einem Naturzustand unmöglich ist. Das Schlimmste, was einem geschehen kann, ist der Tod, insbesondere der Tod durch fremde Gewalt . (Hobbes, 1994: 24)

Hobbes bietet viele Anlässe, sein Menschenbild als böse zu betrachten. Beispielsweise bei der Beschreibung vom „Angenehmen“ und „Unangenehmen“. Da behauptet Hobbes, das fremde Unglück zu sehen sei etwas Angenehmes. Bedeutet dies, dass der Mensch nach Hobbes von Natur aus böse ist? Auf diese Frage kann man keine bestimmte Antwort geben, denn eigentlich schreibt Hobbes dem Menschen auch gute Züge zu. Schon im nächsten Satz erklärt er, warum das angenehm sein soll, und zwar „nicht sofern es ein Unglück ist, sondern sofern es ein fremdes Unglück ist.“(Hobbes, 1994: 26) Dadurch wird die Bedeutsamkeit des Selbsterhaltungstriebs der Menschen unterstrichen— man freut sich vor allem, dass man selbst nicht betroffen wurde. Dies ist das wesentliche Zeugnis des Egoismus der Menschen.

Gleichzeitig schreibt Hobbes dem Menschen auch das Gefühl des Mitlieds zu: „Schmerz empfinden über fremdes Unglück… heißt Mitleid.“(Hobbes, 1994: 35) Hier scheint der Mensch nicht mehr so grausam zu sein, denn schließlich kann er Mitleid empfinden. Des Weiteren zeigt Hobbes, dass das Empfinden auch dieses Gefühls bei den Menschen selbstbezogen ist: „Mitleiden, d.h. die Vorstellung, dass das fremde Unglück einem selbst zustoßen könne. Daher empfinden die größeres Mitleid, die ähnliche Unglücksfälle selbst erfahren haben, und ungekehrt. Denn ein Unglück, das man weniger kennen gelernt hat, fürchtet man für sich weniger.“(Hobbes, 1994: 35)

Also kann man den Hobbesschen Menschen nicht eindeutig als böse bezeichnen, sondern eher nur auf sich selbst und eigene Interessen begrenzt und egoistisch. Im Vorwort zu seiner Schrift „Vom Bürger“ versucht Hobbes zu beweisen, dass die Menschen nicht von Natur aus böse sind, sondern in erster Linie untereinander gleich. Er behauptet, dass im Naturzustand gute Menschen von bösen überhaupt nicht unterschieden werden können, denn alle müssen im gleichen Maße für die eigene Selbsterhaltung sorgen, und folglich, „auch die Guten und Bescheidenen fortwährend Misstrauen hegen, sich vorsehen, anderen zuvorzukommen, sie unterjochen und auf alle Weise sich verteidigen müssen.“(Hobbes, 1994: 68-69) Anders soll es in der bürgerlichen Gesellschaft sein, denn dort endet die Gleichheit, und es gibt Recht und Unrecht, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Verbrecher und gute Bürger.

Hobbes` Menschenbild basiert auf den Leidenschaften, die er allen Menschen zuschreibt und die er als „die inneren Quellen der willkürlichen Bewegung“ bezeichnet. Unter diesen Leidenschaften, die das menschliche Verhalten regulieren, nennt er Neigung, Verlangen, Liebe, Abneigung, Hass, Freude, Schmerz und Traurigkeit usw., die unter verschiedenen Umständen auch andere Namen bekommen. Zum Beispiel: „Verlangen nach Reichtum ist Geiz… Die mit der Vorstellung des zu befürchtenden Schadens verbundene Abneigung ist Furcht… Dem anderen etwas Gutes wünschen, nennt man Wohlwollen oder Güte“ usw. (Hobbes, 2005:47)

Macpherson meint, dass diese Leidenschaften auch den zivilisierten Menschen gleichermaßen eigen sind, nur wird ihr Verhalten weniger durch Leidenschaften gesteuert, sondern vielmehr durch Gesetze, die vorschreiben, was gut und was schlecht ist. Kehren sie aber wieder in den Naturzustand zurück (z.B. während eines Bürgerkriegs), wird ihr Verhalten sich entsprechend verändern. „Ein entscheidender Beweis dafür, dass der Naturzustand das Verhalten meint, zu dem zivilisierte Menschen geführt würden, gäbe selbst den gegenwärtigen, unvollkommenen Herrscher nicht mehr, ist, dass der reine Naturzustand in der Tat durch sukzessive Stufen der Abstraktion von der zivilisierten Gesellschaft erreicht wird.“(Macpherson, 1990: 36)

Beim Beweis, dass die Menschen von Natur aus nicht böse sind, bezieht sich Hobbes gerade auf die angeborenen Leidenschaften. So ist jede dieser Leidenschaften an sich weder schlecht noch gut. Die Leidenschaft selbst kann nicht böse sein, sondern nur die Handlung, die dieser Leidenschaft folgt. Ob eine Handlung unternommen wird, also ob der Mensch seiner Leidenschaft folgt, entscheidet er mit seiner Vernunft. So schreibt Hobbes: „Bosheit ist nur der Mangel an Vernunft in dem Alter, wo sie den Menschen auf Grund ihrer Natur, die durch Zucht und schlimme Erfahrungen geleitet wird, gewöhnlich zukommt.“(Hobbes, 1994: 69)

Jeder Mensch bestimmt seine Handlungen selbst, dazu wird von Hobbes der Begriff „Wille“ eingeführt, dank dem man entscheiden kann, etwas zu tun oder zu unterlassen. (Hobbes, 1994: 21) Der Mensch kann überlegen und entscheiden, und anhand dieser Entscheidungen und Handlungen kann man über seine Güte oder Bosheit urteilen.

Hobbes` Mensch ist also nicht von Natur aus böse. Gut und gesellig ist er allerdings auch nicht. Das wird am Beispiel des folgenden Zitates deutlich: „… die Natur [habe] die Menschen so ungesellig gemacht und sogar einen zu des andern Mörder bestimmt …“(Hobbes, 2005: 116) Diese Aussage bekräftigt Hobbes, indem er den Lesern Fragen stellt, wie etwa: „Warum versehen wir uns mit Waffen, wenn wir eine Reise antreten? Warum verschließen wir Türen und Schränke, sobald wir uns schlafen legen? Wozu sind Gesetze und Männer, die jede Gewaltsamkeit zu rächen befugt sind?“(Hobbes, 2005: 116)

Macpherson meint, dass alle Leidenschaften bei Hobbes auf die Begierde nach dem, was einem in verschiedenen Situationen als gut erscheint, reduziert werden können. Jeder will nur das, was für ihn gut ist, und jeder berechnet die wahrscheinlichen Auswirkungen seiner Handlungen im Bezug darauf.

Schlussfolgerung: Die Menschen tun nur das, was für sie als das Beste erscheint, denken nur an sich und benutzen ihren Verstand, um das eigene Leben zu erhalten. Es folgt also, dass der Hobbessche Mensch nicht böse ist, sondern nur unter Umständen sein kann. Die menschlichen Beziehungen im Naturzustand sind schlecht, weil sie von keiner externen Macht reguliert werden. Ohne einen Herrscher können Menschen womöglich deswegen nicht friedlich existieren, weil jeder unter Umständen böse werden kann, wobei jeder der Meinung ist, dass er richtig handelt. Schließlich urteilen die Menschen im Naturzustand selbst darüber, was gut und was schlecht ist. So darf jeder das tun, was für ihn gut erscheint, auch wenn es eine böse Handlung gegenüber seinen Mitmenschen ist. Und so erwartet jeder, dass sein Nachbar ihm zu jeder Zeit etwas Schlimmes antun kann, und würde dasselbe ihm antun, sobald diese Handlung für ihn nützlich erscheint.

Deswegen werden eine regulierende Macht und Gesetze gebraucht, die durch Strafen (also im Grunde genommen wieder durch die Furcht vor diesen Strafen) Menschen zwingen werden, sich sozial gerecht zu verhalten. Diese Macht soll die menschlichen Handlungen in gute und schlechte unterteilen und die Interessen aller gleichermaßen wahrnehmen.

Aus dem oben Gesagten kann man den Schluss ziehen, dass Menschen weder böse noch schlecht sind, noch sind sie gut. Sie sind selbstinteressiert, egoistisch, versuchen, ihren Profit zu maximieren und alle Vorteile für sich zu nutzen.

2.3. Das Leben im Naturzustand: „Homo homini lupus“

„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“— so sieht Hobbes das Leben der Menschen im Naturzustand. Jeder ist für sich allein und jeder eines jeden Feind, die Menschen sind veranlasst, sich wie wilde Tiere zu bekämpfen. Im Naturzustand kann keiner seiner Zukunft oder seines Besitzes sicher sein, denn jederzeit kann er angegriffen werden, und so muss er sich verteidigen und andere als Erster angreifen, damit er selbst nicht angegriffen wird. Die präventive Gewaltanwendung wird zum Prinzip des Überlebens.

Die Menschen im Naturzustand leben in ständiger Furcht, die deshalb wirklich bei jedem anzutreffen ist, weil im Naturzustand alle „den Willen zu schaden haben“. (Hobbes, 1994: 80) Es scheint allerdings, dass man diesen „Willen“ nicht im eigentlichen Sinne des Wortes verstehen darf, denn dies ist für Menschen im Naturzustand weniger ein „Wille“ (also die Freiheit), sondern eher eine Notwendigkeit zum Überleben.

Dieser „Wille“ kann aus verschiedenen Gründen entstehen: bei dem einen, weil er seine Freiheit verteidigen will, ein anderer seinen Besitz, oder auch aus eitler Ehrsucht oder weil zwei Menschen denselben Gegenstand besitzen wollen. Da die Menschen gleich sind, „ist es selbst dem Schwächsten leicht, den Stärksten zu töten.“(Hobbes, 1994: 80) Egal wie stark oder schwach jemand ist, kann jeder seinen Verstand und seine List gegen den anderen benutzen, und da folglich alle einander Gleiches antun können, sind sie auch untereinander vollkommen gleich. Daraus entsteht der ständige Krieg aller gegen alle.

2.4. Machtakkumulation und Sozialisationsversuche im Naturzustand

Der lebenswichtigste Faktor des menschlichen Zusammenlebens im Naturzustand ist die Machtakkumulation. Im „Leviathan“ gibt Hobbes eine sehr genaue Definition der Macht: „Allgemein genommen besteht die Macht eines jeden in dem Inbegriff aller der Mittel, die von ihm abhängen, sich ein anscheinend zukünftiges Gut zu eigen zu machen.“(Hobbes, 2005: 114) Zugleich unterscheidet Hobbes zwischen der natürlichen und der künstlichen Macht. Die natürliche Macht sind die Vorzüge des Körpers oder des Geistes (wie Stärke, Klugheit, Beredsamkeit usw.). Unter künstlicher Macht versteht Hobbes alle Mittel und Werkzeuge, die es dem Menschen erlauben, seine Macht zu erhöhen; dies können Reichtum, Achtung oder Freunde sein. (Hobbes, 2005: 79)

Um ihr Überleben zu sichern, müssen alle Menschen nach Macht streben. Alle wollen sich ständig fremde Macht zu eigen machen, um die eigene zu vergrößern. Da aber alle gleich sind, kann keiner plötzlich mächtiger als die anderen werden, denn alle versuchen es im gleichen Maße. Daher kommt Hobbes zu dem Schluss, dass die größte Macht, die es auf der Erde geben kann, nur dem Staat gehören kann, dem jeder Einzelne freiwillig seine Macht übergibt. Diese Macht ist dann so stark, dass sie die Verhältnisse und das Zusammenleben der Menschen regulieren kann. (Hobbes, 2005: 80)

Im Naturzustand, in dem es keine solche einschränkende Macht gibt, versucht jeder möglichst viel Macht zu akkumulieren: „Wenn diejenigen, welche mit mäßigem Besitz zufrieden sind, nur sich und das ihrige zu verteidigen, nicht aber ihre Macht dadurch zu vermehren suchten, dass sie andere selbst angreifen, so würden sie nicht lange bestehen können, weil es Menschen gibt, die sich entweder aus Machtgefühl oder aus Ruhmsucht die ganze Erde gern untertan machen möchten.“(Hobbes, 2005: 114)

Hobbes zeigt den Menschen als ein Machtwesen, das nicht nur Macht über die knappen Güter erstrebt, sondern auch die Macht über die anderen Menschen erlangen will. (Weiß, 1980: 142)

Die Leidenschaften sind bei allen sehr ähnlich, woraus Hobbes die „hauptsächlichsten Anlässe“ herleitet, weswegen sich das Leben im Naturzustande nach den Prinzipien der präventiven Gewaltanwendung und ständiger Machtakkumulation richtet. Diese sind nach Hobbes:

Mitbewerbung— „zielt auf Herrschaft und veranlasst Streit über Gewinn.“(Hobbes, 2005: 115)

Verteidigung— „hat Sicherheit zur Absicht und streitet für Wohlfahrt.“(Hobbes, 2005: 115)

Ruhm— „strebt nach einem guten Namen und bewirkt oft über geringfügige Dinge Uneinigkeiten wie z.B. über ein Wort, ein Lächeln, eine Äußerung…“(Hobbes, 2005: 115)

Aus dem oben Genannten folgt, dass das Leben im Naturzustand sehr mühsam und freudlos, beschwerlich und kurz, erfüllt von Angst und Streben nach Macht ist; es herrscht ein Krieg aller gegen alle. An dieser Stelle soll angemerkt werden, dass unter dem Krieg nicht der ständige blutige Kampf zwischen bestimmten Individuen gemeint wird, sondern die allgemeine Abwesenheit von Frieden und Anwesenheit von Furcht und Bedrohung durch potenzielle Konkurrenten und ihre Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Es gibt keine unaufhörlichen Schlachten, sondern eine permanente Bedrohung, denn jeder ist eines jeden potenzieller Feind.

Da Hobbes Menschen als vernünftige Wesen darstellt, kann man sich nicht vorstellen, dass sie sich freiwillig und für immer in einem solchen gefährlichen Zustand des Krieges aufhalten würden. Aber kein Krieg kann ewig dauern, und es ist offensichtlich, dass die Menschen früher oder später diesen unerträglichen Zustand verlassen möchten. Über die Dauer des Krieges sagt Hobbes: „Der Krieg dauert ja nicht etwa nur so lange wie faktische Feindseligkeiten, sondern so lange, wie der Vorsatz herrscht, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Beim Kriege kommt es wie beim Wetter allein auf die Dauer an.“(Hobbes, 2005: 115)

Der Mensch bei Hobbes wird als asoziales und egoistisches Wesen dargestellt; allerdings streitet Hobbes nicht ab, dass Menschen der Gesellschaft bedürfen. Auch im Naturzustand ist es möglich, dass sich Menschen „zufälligerweise“ in Gruppen einteilen und sich so einem gesellschaftlichen Dasein annähern. Diese Erscheinungen sind aber nur auf menschlichen Egoismus zurückzuführen: Sobald einige Individuen die gleichen Bedürfnisse oder Interessen haben (z. B. sich zu schützen), schließen sie sich in Gruppen zusammen, die allerdings nur so lange bestehen, wie die Interessen gleich bleiben. Also ist der Grund für diese Sozialisationsversuche ausschließlich „rein individuelle Zweckrationalität“. (Weiß, 1980: 137-138)

Nur können die Zusammenschlüsse im Naturzustand keinesfalls eine Sicherheit für die weite Zukunft anbieten, denn schon der kleinste Interessensunterschied macht ihre Mitglieder wieder zu Feinden.

Obwohl sich Menschen gegenseitig als potenzielle Feinde ansehen, bedürfen sie doch der Gesellschaft, aber nur des eigenen Vorteils wegen, und dies zeigt am besten den individualistischen Charakter des Hobbesschen Menschen. „Gesellschaft suche der Mensch nicht um der Gesellschaft, sondern um seines jeweiligen Vorteils willen.“(Hobbes, zit. nach Mayer-Tasch,1965: 18)

2.5. Das Naturrecht und die natürlichen Gesetze

„Das Naturrecht ist die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu etwas beizutragen scheint, tun kann.“(Hobbes, 2005: 118)

„Das natürliche Gesetz ist eine Vorschrift oder allgemeine Regel, welche die Vernunft lehrt, nach welcher keiner dasjenige unternehmen darf, was er als schädlich für sich selbst anerkennt.“(Hobbes, 2005: 118)

Aus diesen beiden Definitionen folgt, dass Menschen im Naturzustand nicht nur gleich, sondern auch vollkommen frei sind. Das natürliche Gesetz schreibt ihnen vor, alles für sie selbst Schädliche und Gefährliche zu vermeiden. Und wenn jemand das Recht hat, sich zu erhalten, dann hat er auch das Recht, sich aller Mittel zu bedienen, die ihm dafür nötig erscheinen.

Der Mensch im Naturzustand ist vollkommen frei und unter Freiheit versteht Hobbes „die Abwesenheit aller äußerer Hindernisse…“, (Hobbes, 2005: 118) also die Abwesenheit der einschränkenden Macht und der Gesetze, wie sie in der bürgerlichen Gesellschaft vorhanden sind.

Im Naturzustand sind die Begriffe „Recht“ und „Freiheit“ identisch, denn Recht ist die Freiheit, etwas zu tun oder nicht zu tun. Daraus folgt: Wenn alle Menschen im Naturzustand frei sind, dann „haben alle ein Recht auf alles.“(Hobbes, 2005: 119)

Aus diesem „Recht aller auf alles“ folgt ein weiterer Grund, weshalb im Naturzustand ein ständiger Krieg herrscht. Denn wenn zwei Menschen dasselbe wollen und es keine bindenden und vorschreibenden Regeln gibt, kann nur durch Gewalt bestimmt werden, zu wessen Vorteil der Streit entschieden wird. Schließlich haben sie beide ein natürliches Recht darauf. So entsteht zwischen den beiden ein Krieg, es sei denn, einer tritt von seinem Recht freiwillig zurück. In diesem Krieg kann es weder Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit geben.

Recht und Unrecht gibt es nur für Menschen als Bürger, nur wenn es ein Gesetz gibt. Und ein Gesetz kann erst dann existieren, wenn „ein Gesetzgeber einmütig ernannt“ wird. (Hobbes, 2005: 116-118) Hobbes unterscheidet zwischen den Begriffen „Ungerechtigkeit“ und „Unrecht“. Beide Begriffe gibt es nur in einer bürgerlichen Gesellschaft, und zwar bedeutet dann die „Ungerechtigkeit die Beziehung auf ein Gesetz“, und das „Unrecht die Beziehung auf eine Person, mit der man einen Vertrag eingegangen ist, aber auch auf ein Gesetz“. (Hobbes, 1994: 99) Im Naturzustand schließen die Menschen keine Verträge untereinander und es gibt kein geschriebenes Gesetz.

Das Recht auf alles bedeutet in der Praxis das Recht auf nichts, denn sogar wenn jemand mit Gewalt einen Besitz erlangt, kann er nicht sicher sein, dass ihm ein anderer diesen Besitz später nicht wegnimmt. (Kwon, 1991: 80) Das Recht auf nichts bedeutet in erster Linie, dass es im Naturzustand weder Eigentumsrechte noch Individualrechte gibt; es gibt nur das einzige Recht— sich mit allen Mitteln zu verteidigen.

Auch die Freiheit ist im Naturzustand bedenklich, denn Menschen können nur darüber frei entscheiden, mit welchen Mitteln sie für die eigene Selbsterhaltung sorgen werden. Nur dies steht ihnen wirklich frei. So kann ein Einzelner zum Beispiel nicht selbst entscheiden, ob er aus dem Naturzustand austreten will, denn dazu braucht er das Einverständnis aller anderen. Oder: Keiner kann beschließen, dass er die anderen nicht mehr angreifen will, denn er wird durch das Prinzip der präventiven Gewaltanwendung gezwungen, das zu tun. Keiner kann frei entscheiden, dass er über eine bestimmte Sache verfügt, denn jeder andere kann sie ihm rauben. Dies wird allerdings nicht als Unrecht von seiner Seite gelten, denn er hat dem Naturrecht folgend genauso ein Recht auf diese Sache wie alle anderen.

Außerdem konnte der freie Mensch im Naturzustand seine Freiheit überhaupt nicht schätzen, denn sie war für ihn von „zweifelhaftem Wert“. Es bedeutet, dass die Folge der absoluten Freiheit der schreckliche und elende Naturzustand ist, in dem diese Freiheit zu einer „elenden Freiheit“ wird. (Hager, 1976: 55)

Höffe bezeichnet die unbeschränkte natürliche Freiheit als eine „negative Freiheit“. Diese Freiheit „meint weder ein von inneren Zwängen unabhängiges Begehen noch ein von Kräfte- und Fähigkeitsgrenzen oder Naturzwängen freies Können, bedeutet vielmehr ein sozial uneingeschränktes Dürfen“. (Höffe, 1994: 313)

So spricht Höffe von der gegenseitigen Einschränkung der Freiheit im Naturzustand, denn die „Handlungsfreiheit des einen wird durch die Handlungsfreiheit der anderen eingeschränkt“. Egal wie ein Konflikt in diesem Zustand ausgetragen wird und zu wessen Nachteil, kann die „Handlungsfreiheit in sozialer Perspektive nicht mehr als unbeschränkt“ wahrgenommen werden. (Höffe, 1994: 331)

Im Naturzustand gibt es neben der natürlichen Freiheit die natürlichen Gesetze, die in einer bestimmten Weise die natürliche Freiheit einschränken. Ein Gesetz nach Hobbes ist eine Verbindlichkeit, die einen Gegensatz zur vollkommenen Freiheit darstellt. So kann ein Mensch im Naturzustand zwar kein Unrecht begehen, er kann aber gegen die natürlichen Gesetze verstoßen, was in einer bestimmten Hinsicht auch als Unrecht bezeichnet werden kann. (Hobbes, 2005: 118)

Dabei darf man das Wort Gesetz (in Verbindung mit dem Begriff des natürlichen Gesetzes) nicht im eigentlichen Sinne dieses Wortes verstehen, denn damit meint Hobbes nur die „allgemeinen Wahrheiten“, derer Menschen zu ihrer Selbsterhaltung bedürfen. Die natürlichen Gesetze sind Regeln oder Vorschriften der Vernunft. (Hobbes, 2005: 142)

Oben wurde schon darauf hingewiesen, dass Menschen vernünftige und rationale Wesen sind, und dass sie keinesfalls freiwillig im Naturzustand bleiben würden. Daraus lassen sich leicht die natürlichen Gesetze von Hobbes ableiten, die, wie die Stimme der Vernunft, dem Menschen besagen, dass Frieden für ihn mehr Nutzen und mehr Sicherheit bringen kann als Krieg.

Die allgemeine Regel der Vernunft lautet: „…suche Frieden, solange nur Hoffnung darauf besteht; verschwindet diese, so schaffe dir von allen Seiten Hilfe und nutze sie; dies steht dir frei.“(Hobbes, 2005: 119)

Aus dieser Regel lässt sich das erste natürliche Gesetz ableiten, aus dem sich das zweite natürliche Gesetz ergibt. (Abb. 1)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das zweite natürliche Gesetz zielt auf die Notwendigkeit einer staatlichen Macht ab. Dieses Gesetz verlangt nach einer gemeinsamen Entscheidung aller Menschen, auf das Recht aller auf alles zu verzichten. Hobbes betont, dass alle ohne Ausnahme auf dieses Recht verzichten sollen. Täte dies nur einer, würde man vermuten, dass seine Absicht „nicht, Frieden zu suchen sei, sondern vielmehr sich andern willig zum Raube darzubieten, was das natürliche Gesetz nicht verlangt“. (Hobbes, 2005: 119) Um diesem Gesetz mehr Kraft zu verleihen, bezieht sich Hobbes auf die Worte des Evangeliums: „Was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch.“(Hobbes, 2005: 119-120)

Hier stellt sich die Frage: Was ist, wenn einer das natürliche Gesetz verletzt, oder was ist, wenn es im Naturzustand einen Streit gibt? Es ist offensichtlich, dass es keine obere Gewalt gibt, die eine Entscheidung in diesem Streit treffen oder den Schuldigen bestrafen kann. So ist jeder der Meinung, dass er Recht hat: „Was dem einen, weil es ihm nützt, als gut und tugendhaft gilt, nennt der andere, dem es schadet, böse und lasterhaft.“(Heger,1981: 72)

In diesem Fall schreibt Hobbes vor, dass die Streitenden die Entscheidung einem Richter übergeben sollen, der dem elften natürlichen Gesetz nach „unparteiisch“ sein sollte. Dies soll der Gültigkeit natürlicher Gesetze dienen, denn nur in diesem Fall wird der Streit nicht auf Interessen eines der Streitenden bezogen, sondern gemäß den natürlichen Gesetzen entschieden. Um eine Verletzung der natürlichen Gesetze zu vermeiden, darf „… keiner in seiner eigenen Sache Richter sein.“(Hobbes, 2005: 139) Auch darf der Richter auf keinen Fall von einer Streitigkeit profitieren, und so kommt Hobbes zu dem Schluss, dass alle Streitigkeiten „durch Zeugenaussage entschieden“ werden müssen. (Hobbes, 2005: 140) Solange die Streitigkeit nicht beigelegt wird, dauert der Kriegszustand. Um diesen zu vermeiden, schreibt das 16. natürliche Gesetz vor, dass man „sich den Urteilsspruch des Richters gefallen lassen“ muss. (Hobbes, 2005: 139)

Es scheint allerdings, dass, solange sich Menschen im Naturzustand befinden, sie nicht in der Lage sind, den natürlichen Gesetzen zu folgen, denn wenn sie das täten, gäbe es keinen Krieg im Naturzustand, sondern es würde Friede vorherrschen. Im Endeffekt sind Menschen gezwungen, sich einen Staat zu errichten, um mithilfe einer einschränkenden und regulierenden Macht die Befolgung dieser Gesetze zu ermöglichen.

Was ist dann aber der Grund dafür, dass Menschen, für die das wichtigste Gut die Selbsterhaltung und somit der Frieden ist, den natürlichen Gesetzen im Naturzustand nicht folgen können? Was könnte den Menschen davon abhalten, die Regeln der Vernunft zu befolgen, die es ihm erlauben würden, glücklich und frei (denn im Naturzustand sind die Menschen frei, zumindest verfügen sie theoretisch über mehr Freiheit als in einer bürgerlichen Gesellschaft) zu leben?

Der wichtigste Grund dafür ist die allgemeine Unsicherheit, die im Naturzustand herrscht. Wenn auch ein Einzelner sich entscheidet, den natürlichen Gesetzen zu folgen, und auch mit einem oder mehreren anderen übereinstimmt, dass dies für alle vorteilhaft ist, so kann doch keiner hinsichtlich der Qualität der nachfolgenden Handlungen der anderen sicher sein. Da es keine genauen Vorschriften gibt, was man tun darf und was man zu unterlassen hat, trifft jeder subjektive Entscheidungen darüber, was er tut und ob seine Handlung mit dem natürlichen Gesetz übereinstimmt. Da es im vorstaatlichen Zustand kein Unrecht geben kann, hat jeder Recht— egal was er tut. „Kurz, im Naturzustande wird das Rechte und Unrechte nicht nach den Handlungen, sondern nach der Absicht und dem Gewissen des Handelnden bestimmt.“(Hobbes, zit. nach Heger,1981: 70-71)

Das Problem ist, dass die natürlichen Gesetze zu allgemein sind und keine verbindliche Beschreibung der richtigen und falschen Handlungen enthalten. (Heger,1981: 70-71)

Alle Gesetze der Natur einzeln vorzustellen und die Gründe zu beschreiben, warum diese befolgt oder nicht befolgt werden sollen, ist eine große Aufgabe. Zudem hat Hobbes selbst gesagt, dass nicht allen Menschen diese Gesetze verständlich sind. Als Argument für diese Behauptung nennt Hobbes den menschlichen Egoismus, weil „… der größte Teil der Menschen nur auf Unterhalt und Vergnügen seine Aufmerksamkeit richtet.“(Hobbes, 2005: 140) Dann bezieht sich Hobbes wieder auf den folgenden Satz, der jedem verständlich sein sollte: „Was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch.“(Hobbes, 2005: 140) Wer diesem Satz bei allen seinen Handlungen folgt, der wird die natürlichen Gesetze nicht brechen können.

Auch wenn jemand das Gesetz im Naturzustand bricht, wird er nicht zu einem Verbrecher, denn die natürlichen Gesetze werden nur im Gewissen des Einzelnen anerkannt. Genau das ist der Grund für die Notwendigkeit einer einschränkenden Macht. Denn ungeachtet dessen, dass Hobbes alle Menschen im Naturzustand als gleich bezeichnet, gibt er zu, dass sich Menschen in ihrem Verstande unterscheiden. (Hobbes, 2005: 140-142)

Zwar streben alle Menschen nach Macht, aber dieses Streben ist bei allen unterschiedlich, denn bei einigen ist es von Natur angeboren, anderen wird es aufgezwungen. So streben auch in einer bürgerlichen Gesellschaft nicht alle im gleichen Maße nach Vorrang, Ehre und Ruhm. (Macpherson, 1990: 59)

Aus diesen Unterschieden und aus der natürlichen Gleichheit entstehen Streit, Widersprüche und Krieg. Deshalb wird eine einschränkende Macht gebraucht, die Gesetze erlässt, gute und schlechte Handlungen genau bestimmt, und dadurch den Menschen Gleichheit in Bezug auf das sichere Leben garantiert, aber gleichzeitig Ungleichheiten zwischen den einzelnen Individuen schafft.

3. Das Individuum und der Staat

Die Menschen nach Hobbes sind asozial. Gesellschaftliche Zusammenschlüsse können im Naturzustand nicht über längere Zeit halten, denn sie werden von keiner externen Macht kontrolliert und es gibt keine Verpflichtungen zwischen den einzelnen Teilnehmern. „Der Hobbessche Mensch im Naturzustand ist prinzipiell a-politisch, … [ein] sich gegen jegliche Gemeinschaft aus- und abgrenzendes kämpferisches Individuum.“(Weiß, 1980: 144)

Dennoch bedürfen Menschen der Gesellschaft. Dafür ist der Instinkt der Selbsterhaltung verantwortlich, der dem Menschen sagt, dass Frieden mehr Sicherheit und mehr Möglichkeiten bietet als Krieg.

Als wirklich gesellige Wesen gelten für Hobbes nur wenige Tierarten, wie Ameisen oder Bienen. Denn diese können ohne Probleme in einer gut funktionierenden Gemeinschaft existieren. Im Gegenteil zu Tieren verfügen Menschen über Vernunft und Leidenschaften, die es erlauben, zwischen „gut“ und „böse“ zu unterscheiden und zu verstehen, dass Macht für den eigenen Vorteil genutzt werden kann.

Die Tiere, von denen Hobbes redet, hielt auch Aristoteles für „staatskluge Tiere“. (Hobbes, 2005: 153) Der Grund ist, dass sie in der Lage sind, ohne Regierung und ohne jegliche einschränkende Macht ein gemeinsames Leben für sich zu organisieren. Der Unterschied zwischen tierischen und menschlichen Gemeinschaften ist riesig. Wenn Menschen im Naturzustand eine Gemeinschaft gründen, dann zerfällt sie schnell aufgrund menschlicher Leidenschaften. Tiere kennen keine Leidenschaften und verfügen über kein persönliches Eigentum. Für Menschen dagegen spielt Eigentum eine entscheidende Rolle.

Obwohl John Locke als allgemein anerkannter Begründer der Eigentumstheorie gilt, hat Hobbes dem Eigentum auch einen großen Wert zugeschrieben, wenn auch nicht so offensichtlich wie Locke. Eigentum ist Reichtum, und „Reichtum ist etwas Nützliches. Es gewährt uns nämlich nahezu sicheren Schutz“. (Hobbes, 2004: 24) Zur selben Zeit sind die menschlichen Leidenschaften so geschaffen, dass man den Reichtum richtig verwenden muss: z.B. Freundschaften erwerben. Wenn man dies nämlich nicht tut, erwirbt man Feinde, die einen gefährden können. Denn Reichtum bedeutet Eigentum und kann Hass und Neid herausfordern.

Tiere unterscheiden nicht zwischen persönlichem und gemeinschaftlichem Eigentum: Das Allgemeingut wird als das Gut eines jeden Einzelnen angesehen. Sie müssen keine Macht akkumulieren, um den anderen ihr Gut wegnehmen zu können.

Der Mensch versucht mit allen Kräften, seinen eigenen Nutzen zu maximieren. So Hobbes: „Der Mensch aber kennt bei allem, was er besitzt, keine höhere Freude, als dass andere nicht so viel haben.“(Hobbes, 2005: 154) Dies wird durch die Notwendigkeit der Selbsterhaltung erklärt.

Zieht man ein Fazit hinsichtlich des menschlichen Lebens im Naturzustand und des menschlichen Strebens nach Macht, so kann man sagen, dass das Einzige, wessen die Menschen bedürfen, eine allgemeine Macht ist, unter deren Schutz sie ein ruhiges Leben ohne Kriege führen können. Diese Macht ist der Staat.

Doch wie können egoistische und völlig freie Individuen aus dem Naturzustand in eine bürgerliche Gesellschaft übergehen, in der ihre Freiheit durch unzählige Gesetze beschränkt wird? Wie kann man es schaffen, dass jeder Einzelne freiwillig seine Freiheit aufgibt und sich den Regeln der Gesellschaft unterwirft?

Dieser Übergang aus der vollen Freiheit in eine Gesellschaft wird nach Hobbes durch den Abschluss eines Vertrages eines jeden mit jedem vollzogen.

3.1. Staat als eine künstliche Person— die Vertragstheorie

Um der gesellschaftlichen Verbindung eine verpflichtende Basis zu geben und eine allgemeine Macht über sich zu stellen, schließen Menschen untereinander einen Vertrag ab. Da im Naturzustand alle das Recht auf alles haben und dies die Grundlage des ewigen Krieges ist, muss dieses Recht beseitigt werden. Dies geschieht dadurch, dass jeder auf sein Recht auf alles verzichtet. Wenn jedoch alle auf dieses Recht nur verzichten würden, würde dadurch kein Staat entstehen; dafür muss jeder sein Recht einem (oder mehreren) Menschen übertragen, der die ganze Macht vereinigt. Dies wird die allgemeine Macht sein, die das menschliche Zusammenleben regulieren und beschützen soll.

Während im Naturzustand jeder nach seinem eigenen Willen handelte, ist dies in einer bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr so. Durch den wechselseitigen Vertrag wird auch der Wille eines jeden freien Individuums auf eine einzige Person übertragen.

„Die Unterwerfung des Willens aller unter den Willen eines Menschen oder einer Versammlung erfolgt dann, wenn jeder sich jedem der übrigen durch Vertrag verpflichtet, dem Willen dieses einen, dem er sich unterworfen hat, sei es ein Mensch oder eine Versammlung, keinen Widerstand zu leisten.“(Hobbes, 2004: 128)

So gibt es in einem Staat nicht verschiedene „Willen“, und auch kein Recht auf alles. Die Grundlage des Krieges— Streitigkeiten über die Güter, die angeblich allen gehören— wird dadurch beseitigt. Da alle ihr Recht, ihre Macht und ihren Willen freiwillig einer einzigen Person (oder einer Gemeinschaft) übertragen, gibt es nur einen einzigen Willen, nur eine einzige Macht. Sie gehört dem Herrscher, dem Souverän, der seine Untertanen beschützen, bestrafen und für ihr Wohl sorgen soll. Ab diesem Zeitpunkt gilt der Wille des Souveräns als der Wille aller Staatsangehörigen. „Der Leviathan … als Souverän bewältigt das Sicherheitsproblem, indem er die Macht und die Rechte der Individuen bei sich monopolisiert.“(Nonnenmacher, 1989: 41)

Auf diese Weise entsteht nach Hobbes der Staat— der mächtige Leviathan, dem alle gehorchen und der über eine große Macht verfügt. So werden mehrere einzelne Menschen zu einer künstlichen Person. Der „künstliche Leviathan“ setzt sich aus mehreren natürlichen Personen zusammen, deren Willen und Taten er repräsentiert.

„Und wo nur ein Wille herrscht, herrscht Frieden.“(Mayer-Tasch,1965: 31)

Das einzige Recht, das jedes Individuum für sich behält, ist das Recht der Selbstverteidigung. Denn auch in der bürgerlichen Gesellschaft gilt das erste natürliche Gesetz der Selbsterhaltung. (Hobbes, 2005: 259)

Es kann als Widerspruch erscheinen, dass der Souverän seinen Untertan bestrafen kann, wo dieser sich dagegen aufgrund des Selbsterhaltungsrechts wehren kann. Hobbes sagt, dass keiner bei der eigenen Bestrafung dem Oberherrn behilflich sein kann. Die Bürger haben dem Souverän das Recht zur Strafe nicht explizit gegeben; dieses Recht wird dadurch legitimiert, dass der Staat eine künstliche Person ist und somit das natürliche Recht auf Selbsterhaltung hat. Die Verletzung der bürgerlichen Gesetze gefährdet die Existenz des Staates, somit gilt die Strafe für den Staat als Mittel zur Selbsterhaltung. (Hobbes, 2005: 259)

In der Einleitung zu „Leviathan“ schreibt Hobbes: „Der große Leviathan ist ein Kunstwerk oder ein künstlicher Mensch— obgleich an Umfang und Kraft weit größer als der natürliche Mensch, welcher dadurch geschützt und glücklich gemacht werden soll.“(Hobbes, 2005: 5)

Weiter vergleicht Hobbes die Eigenschaften des Leviathan mit denen des natürlichen Menschen. So ist „derjenige, welcher die höchste Gewalt besitzt, gleichsam die Seele, welche den ganzen Körper belebt und in Bewegung setzt; die Obrigkeiten und Beamten stellen die künstlichen Glieder vor; die … Belohnungen und Bestrafungen … vertreten die Stelle der Nerven; das Vermögen einzelner Personen ist hier die Kraft, so wie das Glück des Volkes das allgemeine Geschäft; die Staatsmänner … sind das Gedächtnis; Billigkeit und Recht eine künstliche Vernunft; Einigkeit ist gesunder, Aufruhr hingegen kranker Zustand und Bürgerkrieg der Tod.“(Hobbes, 2005: 5-7)

Der Staatsgründungsvertrag stellt einen weiteren Streitpunkt in Hobbes` Theorie dar, denn obwohl man den Naturzustand als eine mögliche geschichtliche Wirklichkeit deuten kann, gilt das nicht im Bezug auf den Vertrag. Anscheinend wurde er als eine Metapher gedacht, um zu verdeutlichen, wie die Menschen dazu kommen konnten, ihre Rechte und ihre Freiheit einem Dritten freiwillig zu übertragen. Es ist praktisch unvorstellbar, wie bei einer so großen Anzahl von Menschen jeder mit jedem einen Vertrag schließen konnte, auch wenn es um eine einfache mündliche Absprache und keine rechtliche Vertragsform geht. Es kann vermutet werden, dass Hobbes mit dem Gesellschaftsvertrag einfach das Einverständnis der Menschen zur Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat (vergleichbar mit der Staatsangehörigkeit) gemeint hat.

3.2. Das Individuum in einer bürgerlichen Gesellschaft

Bei der Entstehung des Staates bleibt die menschliche Natur die gleiche wie im Naturzustand: die Leidenschaften bleiben dieselben. Der einzige Unterschied ist die Anwesenheit der Gesetze, die vorschreiben, wie man zu handeln hat, welches Handeln erlaubt ist und welches als böse und verboten gilt.

Es kann auch so verstanden werden, dass „der Naturzustand in die Gesellschaft hineinragt und durch die politische Technizität, durch die Kunst des Menschen, in Latenz gehalten werden muss.“(Nonnenmacher, 1989: 41)

[...]

Excerpt out of 138 pages

Details

Title
Staatstheorien von Hobbes, Locke und Rousseau
Subtitle
Die Notwendigkeit von Recht und Staat im Spannungsfeld zwischen Individualismus und Gemeinsinn, individueller Freiheit und Herrschaft
College
University of Münster
Grade
1,3
Author
Year
2007
Pages
138
Catalog Number
V85190
ISBN (eBook)
9783638897037
ISBN (Book)
9783638897129
File size
1166 KB
Language
German
Keywords
Staatstheorien, Hobbes, Locke, Rousseau
Quote paper
Olga Kagalovska (Author), 2007, Staatstheorien von Hobbes, Locke und Rousseau, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85190

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