Das doppelköpfige Regierungssystem Frankreichs und seine Auswirkungen in der französischen Außenpolitik


Term Paper, 2004

19 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Klassifizierung des französischen Regierungssystems

2. Die „Doppelköpfigkeit“ in der Verfassung der V. Republik
2.1. Die Legislative
2.2. Die Exekutive
2.3. Die Kohabitation

3. Die „Dreiecksbeziehung“ Präsident – Premier – Außenminister in der französischen Außenpolitik
3.1. Konfliktpotential in Kohabitationszeiten
3.2. Nationale Verteidigung
3.3. Internationale Beziehungen

Bewertung

Einleitung

„Wie und durch wen Entscheidungen zustande kommen, ist wichtig für den Gehalt und die Effizienz jeder Politik, so auch von Außenpolitik.“[1]

Die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungsfindung setzt die genaue Kenntnis eines Regierungssystems voraus. Wirft man einen Blick auf die Vergangenheit in Bezug Frankreichs Regierungssysteme, so kommt folgendes zum Vorschein:

Die stark parlamentarisch geprägte III. und IV. Republik kam wegen zahlreichen Kabinettwechsel und Koalitionskrisen fast zum Entscheidungsstillstand.[2] Mit diesem Hintergrund wurde nun 1958 Charles de Gaulle um die Erarbeitung einer neuen Verfassung gebeten, die dauerhafte Stabilität und „Entscheidungsfreudigkeit“ verspricht. Das Ergebnis war eine parlamentarische V. Republik mit ungewöhnlich starker Stellung der Exekutive. In den folgenden Jahren etablierte de Gaulle eine für ein parlamentarisches Regierungssystem sehr präsidentialistische Verfassungspraxis, welche schließlich 1962 durch die Einführung der Direktwahl des Präsidenten zum Teil in der Verfassungstheorie mündete. Diese für die Stellung des Präsidenten äußerst vorteilhafte Verfassungswirklichkeit nahm auch mit de Gaulles Nachfolgern kein Ende. Somit war bis 1986 eindeutig „wie und durch wen Entscheidungen zustande kommen“: Der Präsident bestimmte die Richtlinien, die der Premierminister umsetzte. In außenpolitischen Fragen hatte der Premierminister im besten Fall ein Mitspracherecht, aber ganz zu schweigen von Mitentscheidung.[3]

Diese Hierarchie wurde 1986 erschüttert: Die bürgerlichen Parteien gewannen die Wahl zur Nationalversammlung und Mitterand blieb im Amt. Somit wurde die erste Kohabitation eingeläutet, welche die mögliche Folge haben könnte, dass der Präsident „diese ihm zugewachsenen politischen Möglichkeiten verlieren und auf seine verfassungsmäßigen Kompetenzen beschränkt (…)“[4] wird. Die bis dahin etablierte Verfassungswirklichkeit schien Vergangenheit. Nun trat die „Doppelköpfigkeit“ der Exekutive in ihrer ganzen Pracht hervor und eröffnete dem Premierminister in vielen Politikfeldern (auch in der Außenpolitik) ganz neue Chancen.

Konsequenterweise stellt sich zum einen die Frage, wie sich diese „Doppelköpfigkeit“ im Regierungssystem der V. Republik konkret äußert, zum anderen, wie sie sich in Verfassungstext und Verfassungspraxis in dem bedeutenden Politikfeld Außenpolitik manifestiert und letztendlich zu bewerten ist.

Zunächst soll die konkrete Äußerung der „Doppelköpfigkeit“ anhand der Problematik der Klassifizierung des französischen Regierungssystems deutlich gemacht werden, bevor dann im zweiten Kapitel ein genauer Blick auf die „Dualität“ im Regierungssystem der V. Republik geworfen wird. Danach wird ihre Auswirkung an einem konkreten Politikfeld, der Außenpolitik, betrachtet und abschließend bewertet.

1. Klassifizierung des französischen Regierungssystems

Die Zuordnung des französischen Regierungssystems ist aufgrund folgender Tatsache umstritten:

Die V. Republik weißt nicht, wie üblich in einem präsidentiellen System, eine geschlossene Exekutive auf, sondern eine doppelte Exekutive[5], was einem parlamentarischem System entspricht. Demnach wäre die V. Republik eindeutig dem parlamentarischen Typ zuzuordnen. Jedoch zwei Phänomene machen die Zuordnung kontrovers (was anhand der Einteilung von Winfried Steffani, Maurice Duverger und Klaus von Beyme gezeigt wird):

Zum einen wird der eine „Kopf“ der Exekutive, der Präsident, seit 1962 direkt vom Volk gewählt. Zum anderen ist die Regierung zwar vom Vertrauen des Parlaments abhängig, ist mit ihm aber nicht personell verknüpft.

Letzterer Punkt stellt auch eines von vier Kriterien[6] dar, wonach Winfried Steffani Regierungssysteme klassifiziert. Obwohl das eben genannte Kriterium von Steffani verneint wird und somit für ein präsidentielles System spricht, teilt er die V. Republik dem parlamentarischen Typ zu, da die drei anderen Kriterien Frankreich als parlamentarisches System werten.

Differenzierter sehen die Zuordnung Maurice Duverger und Klaus von Beyme.

Für Maurice Duverger ist der französische „bicéphalisme“[7] Ausdruck für die Qualifizierung der V. Republik als semi-präsidentiell. Diese Bezeichnung rechtfertigt er mit zwei Kriterien:

Auf der einen Seite wird der Präsident direkt vom Volk gewählt und mit zahlreichen Machtmitteln ausgestattet. Dem gegenüber stehen ein Premierminister und eine Regierung, die vor dem Parlament verantwortlich sind. Daraus ergibt sich für Duverger ein „Brennpunkt“: „Cela pose un problème au sommet du pouvoir:les députés et le chef de l`Etat étant investis de légitimités équivalentes.“[8] Aus dieser gleichen Legitimation ergibt sich für Duverger jedoch keineswegs die gleiche Machtfülle. Außerdem weist er darauf hin, dass die Bezeichnung „semi-präsidentiell“ nicht die Bedeutung der Machtminderung im Vergleich zum Präsidenten in einem präsidentiellen System hat, ganz im Gegenteil: Weiß der Präsident eine parlamentarische Mehrheit hinter sich, überschreitet die Macht des französischen Präsidenten die des amerikanischen.[9]

Auch Klaus von Beyme schließt sich dem von Maurice Duverger geprägten Begriff „semi-präsidentiell“ an. Er unterteilt in parlamentarisches und präsidentielles System, wobei „semi-präsidentiell“ und „rein parlamentarisch“ unterschiedliche Ausprägungen des parlamentarischen Typs darstellen, was von Beyme anhand zahlreicher Kriterien prüft.[10]

Die Problematik der Klassifizierung des französischen Regierungssystems hat offenbart, dass die Kontroverse in der Dualität der Exekutive der V. Republik liegt. Wie diese sich konkret äußert und zu welchen Konsequenzen sie in der französischen Außenpolitik führt, soll in den nächsten zwei Kapiteln dargestellt werden.

2. Die „Doppelköpfigkeit“ in der Verfassung der V. Republik

2.1. Die Legislative

Die Bezeichnung „rationalisierter Parlamentarismus“ trifft auf die beiden Kammern, die Nationalversammlung und den Senat, gänzlich zu. Aufgrund der Erfahrungen in der IV. Republik wurde das Parlament in der V. bezüglich seiner Kompetenzen zu Gunsten der Exekutiven stark eingeschränkt. An dieser Stelle lässt sich beispielsweise aufführen, dass dem Parlament laut Verfassung nur sechs Ausschüsse zustehen, was eine effektive Arbeitsweise natürlich sehr eingrenzt.[11] Wie bereits erwähnt wurde das Parlament in der V. Republik in der Wahrnehmung seiner Aufgaben deutlich geschwächt, indem es nun von der „Doppelköpfigkeit“ quasi dominiert wird. Diese Dominanz scheint besonders in der Gesetzgebungsfunktion präsent:

Zu allererst wird in Art. 34 Cf aufgeführt über welche Gesetze das Parlament zu entscheiden hat. Alle anderen fallen unter die Verordnungsgewalt des Regierungschefs und seiner Regierung.

Außergewöhnlichen Einfluss erreicht der Regierungschef durch das „vote bloqué[12]: Durch die Verbindung einer Gesetzesvorlage mit der Vertrauensfrage ist die Nationalversammlung gezwungen, innerhalb 24 Stunden der Regierung das Misstrauen auszusprechen, um die Vorlage zu verhindern (Art. 49 Cf).[13]

Hinzu kommt, dass der Premierminister bei „ungünstig“ erscheinenden Gesetzesvorlagen den Vermittlungsausschuss anrufen kann (Art. 45 Cf).

Davon abgesehen ist es auch zum großen Teil der Regierungschef der Gesetzesinitiativen einbringt, die dann im Parlament beraten werden (Art. 39 Cf).

Auch dem Präsidenten bleiben einige Möglichkeiten das Parlament einzuschränken und gar zu umgehen:

So steht dem Präsidenten laut Verfassung zu, vor der Verkündung eines Gesetztes (Art. 10 Cf)[14] den Verfassungsrat anzurufen (Art. 61 Abs. 2 Cf), um das Inkrafttreten zu blockieren oder hinauszuzögern.

Das Umgehen des Parlaments durch den Präsident ermöglicht Art. 11 Cf. Dieses Recht auf ein Referendum gewinnt noch zusätzlich an Bedeutung, wenn das Staatsoberhaupt damit gleichzeitig sein Vertrauen abfragt, was z.B. Charles de Gaulle nicht nur einmal praktiziert hat.

Durch die eben genannten zahlreichen Einflussmöglichkeiten der doppelten Exekutiven stellt sich die Frage: „Est-ce à dire que le Parlement est hors du jeu et l’exécutif sans contrôle?“[15] Diese Frage lässt sich teils bejahen, teils verneinen. Gegenüber dem einen Teil der Exekutive, der Regierung, kann das Parlament Kontrolle ausüben, indem es die Vertrauensfrage ablehnt bzw. einen Misstrauensantrag stellt oder einen Untersuchungsausschuss beantragt.[16] Was den anderen Teil der Exekutive, der Präsident, angeht, so ist dieser vom Parlament unabhängig, da direkt gewählt.

Somit bleibt zu erwähnen, dass aufgrund der Ambivalenz des französischen Regierungssystems das Parlament von zwei Seiten in seinen Funktionen beschnitten wird, was auch folgende Konsequenz mit sich bringt: „Le Parlement ne pénètre pas dans l’intimité de l’exécutif.“[17] Ob das Verhältnis nun innerhalb der doppelköpfigen Exekutive tatsächlich von „intimité“, im Sinne von Vertrautheit und angenehmer Atmosphäre zeugt, wird u.a. in den nächsten Abschnitten beleuchtet.

[...]


[1] Froehly, Jean-Pierre: Geänderte Rollenverteilung in der Außenpolitik – Mehr Pragmatismus und dezentrales Handeln, in: Dokumente. Zeitschrift für den deutsch – französischen Dialog, 1/1999, Bonn, S. 20, http://www.weltpolitik.net/printer-friendly/1274.html (15.01.2004).

[2] Vgl. Weber-Panariello, Philippe A. (Diss.): Nationale Parlamente in der Europäischen Union, Baden-Baden 1995, S. 110.

[3] Vgl. Kimmel, Adolf: Der Verfassungstext und die lebende Verfassung, in: Christadler, Marieluise, Uterwedde, Henrik (Hrsg.): Länderbericht Frankreich. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, 360, Bonn 1999, S. 314-316.

[4] Kimmel, Der Verfassungstext und die lebende Verfassung, S. 317.

[5] Damit werden in einem parlamentarischen System einerseits die vom Parlament abhängige Regierung und andererseits das repräsentative Staatsoberhaupt bezeichnet. Vgl. Hartmann, Jürgen: Westliche Regierungssysteme. Parlamentarismus, präsidentielles und semi-präsidentielles Regierungssystem, in: Grundwissen Politik, 29, Opladen 2000, S. 22/23. Ebenso, Vgl. Steffani, Winfried: Parlamentarische und präsidentielle Demokratie. Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979, S. 41.

[6] Diese sind: 1. Abberufbarkeit der Regierung vom Parlament, 2. Auflösung des Parlaments durch die Regierung, 3. Zugehörigkeit der Regierung zum Parlament, 4. Fraktionsdisziplin innerhalb des Parlaments, vgl. Steffani, Winfried (Hrsg.): Regierungsmehrheit und Opposition in den Staaten der EG, in: Sozialwissenschaftliche Studien, 25, Opladen 1991, S. 18-20.

[7] Duverger, Maurice: Les régimes semi-présidentiels, Paris 1986, S. 50.

[8] Ebd., S. 7/8.

[9] Vgl. Schild, Joachim: Frankreich. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, in: Alemann, Ulrich von, Czada, Roland, Simonis, Georg (Hrsg.): Grundwissen Politik, 19, S. 68.

[10] S. dazu Tabelle in: von Beyme, Klaus: Die parlamentarische Demokratie. Entstehung und Funktionsweise 1789-1999, 3. Aufl., Opladen/Wiesbaden 1999, S. 52/53; Duverger, Les régimes semi-présidentiels, S. 57/58.

[11] Vgl. Kempf, Udo: Das politische System Frankreichs, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Westeuropas, Opladen 2003, S. 312/313.

[12] Weber-Panariello, S. 121.

[13] An dieser Stelle sei auch auf die Artikel 40 u. 44 Abs. 2 verwiesen, die der Regierung Einfluss ermöglichen.

[14] Durch Art. 10 Abs. 2 Cf kann der Präsident eine erneute Beratung über ein bereits verabschiedetes Gesetz veranlassen.

[15] Ardant, Philippe: Le Premier Ministre en France, Paris 1991, S. 41.

[16] Außer diesen Kontrollmöglichkeiten bleiben dem Parlament noch weitere „kleinere“, vgl. Kempf, S. 314.

[17] Ardant, S. 42.

Excerpt out of 19 pages

Details

Title
Das doppelköpfige Regierungssystem Frankreichs und seine Auswirkungen in der französischen Außenpolitik
College
University of Freiburg
Grade
2,0
Author
Year
2004
Pages
19
Catalog Number
V85203
ISBN (eBook)
9783638006194
ISBN (Book)
9783656213727
File size
478 KB
Language
German
Keywords
Regierungssystem, Frankreichs, Auswirkungen, Außenpolitik
Quote paper
Claudia Fischer (Author), 2004, Das doppelköpfige Regierungssystem Frankreichs und seine Auswirkungen in der französischen Außenpolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85203

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