Sexualisierte Gewalt, sexueller Missbrauch und sexuelle Kindesmisshandlungen sind Schlagwörter, die der Jugendhilfe als Profession und Disziplin nicht fremd sind. Obwohl jene Begrifflichkeiten auf den ersten Blick eine gleiche oder zumindest ähnliche Problematik zu beschreiben versuchen, beherbergen sie doch zum Teil sehr unterschiedliche Denkansätze mit divergierenden Ursachenzuschreibungen und Interventionsstrategien.
In dieser Abhandlung werden jene Konzepte anfangs in einem übergreifenden, wissenschaftlichen Zusammenhang auch hinsichtlich der empirischen Erfassung kritisch erörtert. Hierbei wird offensichtlich, dass sich sowohl die gesamtgesellschaftliche als auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung auf Grund einer weitreichenden, historisch gewachsenen und sich nur langsam auflösenden Tabuisierung von Sexualität im Alltag von Erwachsenen und im Besonderen von Kindern äußerst schwierig gestaltet und in mehrerlei Hinsicht in Dilemmata verfangen ist. Konjunkturelle Bewegungen, die sich ausschließlich polarisierend und auf Skandalisierung zielend der angedeuteten Thematik annehmen, stehen oftmals einer reflektierenden, wissenschaftlichen Annäherung (behindernd) entgegen.
Der Autor diskutiert daher im Fortgang, mit welchen Begriffen und Interventionsstra-tegien - also letztlich mit welchem wissenschaftlichen Standpunkt - Jugendhilfe und Sozialpädagogik gerade im Spiegel ihres disziplin- und professionseigenen Dilemmas von Hilfe und Kontrolle Kindern und Jugendlichen ausreichend Schutz vor sexuellen Grenzverletzungen organisieren kann, ohne lediglich mit paternalistischen Konzepten aufzuwarten. Dies stellt insofern noch immer bzw. immer mehr eine Herausforderung für die Jugendhilfe dar, da ihre Entscheidungen und Interventionen weitreichende, manchmal tragische Konsequenzen haben. Eine kritische Reflexion ihres professionellen Handelns ist sie den mittel- und unmittelbar betroffenen Kindern, Jugendlichen und Familien deshalb schuldig.
Keineswegs kann die vorliegende Arbeit eine abschließende Antwort auf diese Frage geben. Sie ist viel mehr als Impuls gebender Beitrag zu verstehen, die bisherigen Perspektiven und daran ansetzenden Strategien neu zu gewichten und weiter zu entwickeln.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Problematisierungen und empirische Dimensionen
- 1. Begriffe und Diskurslinien
- 1.1 Missbrauch im juristischen Diskurs
- 1.2 Kulturhistorische Dimension von Sexualität und Kinderschändung
- 1.3 Zum feministischen Missbrauchsdiskurs und seiner Kritik
- 2. Zur Empirie sexuellen Missbrauchs
- 2.1 Betroffene
- 2.2 Täter
- 2.3 Anmerkungen zu den Folgen sexuellen Missbrauchs
- 3. Zusammenfassung
- III. Sexualisierte Gewalt und Kindesmisshandlung
- 4. Sexualisierte Gewalt – eine kritische Begriffsbestimmung
- 4.1 Gewalt als physische Handlung
- 4.2 Sexualisierte Gewalt und Kindesmisshandlung
- 5. Sexuelle Kindesmisshandlung im familialen Kontext
- 5.1 Kindesmisshandlung und Familie – Erklärungsversuche
- 5.1.1 Psychopathologische Modelle
- 5.1.2 Soziologische Erklärungsmodelle
- 5.1.3 Sozial-situationale Bedingungen von Misshandlungen
- 5.2 Familie, Sexualisierung und sexuelle Kindesmisshandlung
- 5.2.1 Latente Inzestdynamiken
- 5.2.2 Reale Inzestdynamiken
- 6. Zusammenfassung
- IV. Jugendhilfe und sexuelle Kindesmisshandlung
- 7. Sozialpädagogisches Handeln und sexuelle Kindesmisshandlung
- 7.1 Sozialpädagogik und sozialpädagogisches Handeln
- 7.1.1 Handeln zwischen Hilfe und Kontrolle
- 7.1.2 Subjektorientierung
- 7.2 Handlungsorientierung
- 7.2.1 Adressaten
- 7.2.2 Kindeswohl oder Kinderrechte
- 7.2.3 Parteilichkeit
- 7.3 Zusammenfassung
- 8. Familienorientierte Hilfen
- 8.1 Rahmenbedingungen – Hilfen zur Erziehung
- 8.2 Systemischer Ansatz – Was heißt das?
- 8.3 Zugänge durch Sozialpädagogische Familienhilfe
- 8.4 Zugänge durch Familienberatung
- 8.5 Inobhutnahme – am Beispiel „Kinderwohngruppe“
- 8.6 Kritische Würdigung familienorientierter Hilfeformen
- 8.7 Zusammenfassung
- 9. Parteiliche Beratungsstellen und Wohnprojekte
- 9.1 Parteiliche Mädchenprojekte und Jugendhilfe
- 9.2 Zugänge durch parteiliche Beratung
- 9.2.1 Mädchenberatung
- 9.2.2 Mütterberatung
- 9.2.3 Parteiliche Beratung als Zeuginnen- und Prozessbegleitung
- 9.3 Inobhutnahme - am Beispiel „Zufluchtswohnung“
- 9.4 Kritische Würdigung parteilicher Beratungsarbeit
- 9.5 Zusammenfassung
- 10. Gesamtzusammenfassung
- V. Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit setzt sich zum Ziel, das Thema der sexuellen Kindesmisshandlung im Kontext von Familie aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Sie analysiert den Missbrauchsdyskurs, betrachtet empirische Befunde und befasst sich mit den Ursachen und Dynamiken von sexualisierter Gewalt innerhalb der Familie. Im Mittelpunkt stehen die Herausforderung, die diese Problematik für die Jugendhilfe darstellt, sowie die Frage nach sozialpädagogischen Interventionsformen im Kinderschutz.
- Der Missbrauchsdyskurs und seine unterschiedlichen Perspektiven
- Empirische Befunde zu sexueller Kindesmisshandlung
- Die Rolle der Familie in Bezug auf sexualisierte Gewalt
- Sozialpädagogisches Handeln im Kontext von sexueller Kindesmisshandlung
- Familienorientierte und parteiliche Hilfen in der Jugendhilfe
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Problematik des Themas dar und beschreibt die Situation des Jugendamts, das mit Missbrauchsverdächtigungen umgehen muss. Kapitel II analysiert den Missbrauchsdyskurs, betrachtet empirische Befunde zu Betroffenen und Tätern sowie die Folgen von sexuellem Missbrauch. Kapitel III befasst sich mit der Begriffsbestimmung von sexualisierter Gewalt und Kindesmisshandlung und analysiert die Ursachen von Kindesmisshandlung im familialen Kontext, einschließlich der Rolle von latenten und realen Inzestdynamiken. Kapitel IV thematisiert das sozialpädagogische Handeln im Kontext von sexueller Kindesmisshandlung, beleuchtet die unterschiedlichen Ansätze und Handlungsfelder der Jugendhilfe und zeigt die Möglichkeiten und Grenzen familienorientierter Hilfen auf. Kapitel V präsentiert die Zugänge und Möglichkeiten parteilicher Beratungsstellen und Wohnprojekte, die in der Jugendhilfe eine wichtige Rolle spielen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen sexualisierte Gewalt, Kindesmisshandlung, Jugendhilfe, Kinderschutz, Familie, Sozialpädagogisches Handeln, Missbrauchsdyskurs, empirische Befunde, Inzest, Familienorientierte Hilfen, Parteiliche Beratung, Mädchenprojekte, Familienberatung, Kinderwohngruppen, Zufluchtswohnungen.
- Citation du texte
- Diplom Pädagoge Matthias Schütze (Auteur), 2007, Sexualisierte Gewalt als Herausforderung der Jugendhilfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85416