Seit dem 3. Oktober 2005 verhandelt die Europäische Union mit der Türkei über einen Beitritt. Der Zeitrahmen für die Verhandlungen umfasst zehn bis fünfzehn Jahre und das Ziel der Verhandlungen ist die Vollmitgliedschaft. Bei der Debatte vor dem Beginn der Beitrittsverhandlungen und auch in den Beitrittsverhandlungen spielten und werden außen- und sicherheitspolitische Argumente eine sehr wichtige Rolle spielen. Auf der einen Seite wird vor einem Beitritt gewarnt, da dann die EU-Außengrenze direkt an eine der krisenhaltigsten Regionen der Welt, dem ‚Greater Middle East’ grenzen würde, deren Konfliktbearbeitung die Union überfordere. Institutionell würde die EU durch den Türkei-Beitritt noch handlungsunfähiger als sie es jetzt schon ist, da durch die gesteigerte Heterogenität der Union gemeinsame Interessensfindung im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik unmöglich würden.
Auf der anderen Seite wird auf die Vorteile eines möglichen Türkei-Beitritts verwiesen: Die EU würde die kritische Grenze zu einem ‚Globalen Akteur’ überschreiten, durch ein Mitglied Türkei könnte die EU eine bedeutendere Rolle in der geostrategisch und engergiereichen Region spielen und außerdem generell ihr Verhältnis zur islamischen Welt verbessern. Dabei werden außen- und sicherheitspolitische bzw. geopolitische Argumente sowohl von den Kritikern als auch von den Befürworten als entscheidend für die Bewertung eines möglichen Türkei-Beitritts eingeschätzt.
In der folgenden Arbeit sollen die verschiedenen Aspekte dieser Argumente analysiert werden. Dabei werde ich die außen- und sicherheitspolitischen Argumente unter Berücksichtigung der „Geopolitik“ abwägen und mögliche Szenarien bei einem Nicht-Beitritt vorstellen. Am Ende wird noch ein Ausblick auf eine zukünftige Integrationsform der EU gegeben, die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zum ersten Mal zum Tragen kommen könnte.
Vorab bleibt anzumerken, dass sich im Hinblick auf den projektierten Verhandlungszeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren, alle hier dargestellten Prognosen spekulativ sind, da es wahrscheinlich ist, dass sich sowohl die EU, die Türkei als auch die Situation der Nachbarstaaten der Türkei sich verändern wird. Es können aber Tendenzen und mögliche Ausgänge skizziert werden und die aktuelle Situation dargestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Annäherung der Türkei an die EU seit 1959
- Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU und die Einbindung der Türkei
- Unterschiede in der strategischen Kultur
- Problematik des Konzepts einer „türkischen Welt“
- Sicherheitsinteressen der EU und regionaler Einfluss der Türkei
- Die EU vor neuen Herausforderungen
- Einfluss und Beziehungen der Türkei in der Region
- Die Türkei und die sicherheitspolitischen Vorstellungen der EU
- Brückenfunktion
- Streitkräftepotential und Ordnungsmacht Türkei
- Neue Außengrenzen und konfliktträchtige Nachbarn im Südosten
- Energiesicherheit: Die Türkei als „Energy-Hub“
- ESVP(-Kooperation) und NATO(-Mitgliedschaft)
- Was wäre wenn…
- Alternative Szenarien anstelle eines EU-Beitritts
- Abgestufte Integration statt Vollmitgliedschaft
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die außen- und sicherheitspolitischen Implikationen eines möglichen Türkei-Beitritts zur Europäischen Union. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse der Auswirkungen eines solchen Beitritts auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP/ESVP) der EU und die Beziehungen der EU zu ihren südöstlichen Nachbarn.
- Die strategische Kultur der Türkei im Vergleich zur EU
- Die Rolle der Türkei als regionaler Akteur und ihre Sicherheitsinteressen
- Die Auswirkungen eines Türkei-Beitritts auf die EU-Außenpolitik und Sicherheitspolitik
- Mögliche alternative Szenarien im Falle eines Nicht-Beitritts
- Die Zukunft der EU-Erweiterung im Kontext der Türkei
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Arbeit untersucht die außen- und sicherheitspolitischen Argumente für und gegen einen möglichen Türkei-Beitritt zur EU, wobei die „Geopolitik“ als wesentliches Kriterium herangezogen wird. Es werden verschiedene Szenarien vorgestellt, die sich aus einem Nicht-Beitritt ergeben könnten, und ein Ausblick auf eine zukünftige Integrationsform der EU gegeben.
Die Annäherung der Türkei an die EU seit 1959
Das Kapitel beschreibt die historische Entwicklung der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU, beginnend mit dem ersten Beitrittsantrag der Türkei im Jahr 1959. Es werden die Gründe für die Ablehnung früherer Beitrittsgesuche und die politisch-strategischen Hintergründe der Zuerkennung des Kandidatenstatus im Jahr 1999 beleuchtet.
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU und die Einbindung der Türkei
Dieses Kapitel analysiert die Möglichkeiten der Einbindung der Türkei in die GASP/ESVP. Es werden die Unterschiede in der strategischen Kultur zwischen der Türkei und der EU sowie die Problematik des Konzepts einer „türkischen Welt“ betrachtet. Die Rolle der Türkei in Bezug auf die EU-Außenpolitik in Ex-Jugoslawien, den internationalen Gerichtshof und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus wird untersucht.
Sicherheitsinteressen der EU und regionaler Einfluss der Türkei
Dieses Kapitel befasst sich mit den sicherheitspolitischen Interessen der EU und dem regionalen Einfluss der Türkei. Es werden die Herausforderungen für die EU im Zusammenhang mit ihren südöstlichen Nachbarn, die Rolle der Türkei als potenzieller „Energy-Hub“ und die Möglichkeiten der ESVP(-Kooperation) und der NATO(-Mitgliedschaft) diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Türkei-Beitritt, EU-Erweiterung, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP/ESVP), strategische Kultur, regionale Macht, Sicherheitsinteressen, „Greater Middle East“, „Energy-Hub“, alternative Szenarien, abgestufte Integration.
- Citar trabajo
- Anonym (Autor), 2006, Ein möglicher Türkei-Beitritt zur Europäischen Union, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85839