Die Neutestamentlerin Angelika Reichert hat die Diskussion um den Beginn der Christenprozesse im Römischen Reich mit ihrem 2002 erschienen Aufsatz „Durchdachte Konfusion. Plinius, Traian und das Christentum“ neu entfacht. Davon ausgehend, dass zu Beginn des zweiten Jahrhunderts nach Christus weder ein Gesetz zur Strafbarkeit des Christentums noch eine bestimme Rechtspraxis der Statthalter in den römischen Provinzen im Umgang mit angezeigten Christen existiert habe, behauptet die Theologin in ihrem Aufsatz, es sei der Statthalter Plinius der Jüngere der Provinz Pontus-Bithynien gewesen, dem es durch seine geschickte suggestiv-literarische Darstellungsweise seiner Anfrage an den Kaiser (um 111/112 n.Chr.) gelungen sei, Kaiser Traian dahingehend zu überreden, seine individuelle Vorgehensweise gegenüber den vermehrt in seiner Provinz angezeigten Christen rechtlich von höchster Stelle billigen und bestätigen zu lassen und so zur juristischen Grundlage für den Umgang mit Christen im Römischen Reich schlechthin werden zu lassen. Diese Sichtweise, die vor allem Plinius Absichten, gestützt auf die besondere literarische Gestaltung seiner Anfrage, betont, ist sowohl auf Zustimmung wie auch auf weitgehende Ablehnung gestoßen. Vor allem der Althistoriker Joachim Molthagen kritisiert sowohl die Annahmen als auch die Schlussfolgerungen dieses Neuansatzes. So weist Molthagen in seinem Antwortaufsatz darauf hin, dass es schon wahrscheinlich zur Zeit des Plinius eine feste Rechtspraxis im Umgang mit angezeigten Christen gegeben habe, an die der Statthalter Plinius anknüpfte, mit der Folge, dass er – gerade auch in Anbetracht der hohen Bedeutung der Rechtseinheitlichkeit und -sicherheit im Römischen Reich zur Zeit Kaiser Traians – keineswegs so eigenmächtig gegenüber den Christen agieren konnte wie Reicherts Neuansatz suggeriert. Im folgenden Aufsatz sollen die beiden konträren Positionen gegenüber gestellt werden. Dabei soll deutlich werden, worin die zentralen Streitpunkte bei der Interpretation des Plinius-Briefes an Trajan bestehen und welche zentralen Argumente jeweils Reichert und Molthagen für ihre Position hervorbringen. In einem abschließenden Fazit soll dann der Frage nachgegangen werden, welche Interpretation des Plinius-Briefes überzeugender ist.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Streitpunkte
- Das Nichtwissen des Plinius im Umgang mit den angezeigten Personen und dessen Deutung
- Reichert: Das Nichtwissen als Beweis für die Nichtexistenz eines Gesetzes zur Strafbarkeit des Christseins
- Molthagen: Es besteht bereits eine Rechtspraxis; das Nichtwissen beschränkt sich auf eine Detailfrage (Konvertitenproblematik)
- Die Sicherheit des Plinius im Umgang mit den angezeigten Personen
- Reichert: Die Sicherheit als Mittel zur Überzeugung des Kaisers von der Vorgehensweise des Statthalters
- Molthagen: Die Sicherheit des Plinius als Ausdruck einer bereits existierenden Rechtspraxis; die Frage nach der Begründung für die Strafbarkeit des bloßen Christseins
- Plinius' Sicht des Christentums: zwischen harmlosen Aberglauben und gefährlicher Seuche
- Reichert: Die Gefahr des Christentums, die der Statthalter mit seinem Vorgehen erfolgreich bändigt.
- Molthagen: Alltagsprobleme als Grundlage der Christenprozesse
- Die Frage nach dem Beginn der Strafbarkeit des Christentums
- Reichert: Plinius ist der Urheber der Strafbarkeit des Christentums.
- Molthagen: Die drei Wurzeln der bereits existierenden Strafbarkeit des Christentums.
- Das Nichtwissen des Plinius im Umgang mit den angezeigten Personen und dessen Deutung
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Aufsatz analysiert die unterschiedlichen Interpretationen der Korrespondenz zwischen Plinius dem Jüngeren und Kaiser Trajan zum Thema der Christenprozesse im Römischen Reich. Die Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, ob der Statthalter Plinius der Urheber der Christenprozesse war, wie die Theologin Angelika Reichert in ihrem Aufsatz argumentiert, oder ob es bereits eine existierende Rechtspraxis gab, an die Plinius anknüpfte, wie der Althistoriker Joachim Molthagen behauptet.
- Interpretation der Korrespondenz zwischen Plinius und Trajan
- Frage nach dem Beginn der Christenprozesse
- Kontroverse zwischen Reichert und Molthagen
- Zentrale Streitpunkte der Interpretation des Plinius-Briefes
- Analyse der Argumente beider Positionen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Kontroverse zwischen Reichert und Molthagen über den Beginn der Christenprozesse im Römischen Reich vor. Reichert argumentiert, dass Plinius durch seine Anfrage an Trajan die juristische Grundlage für den Umgang mit Christen im römischen Reich geschaffen habe. Molthagen hingegen vertritt die Meinung, dass es zu Plinius' Zeit bereits eine Rechtspraxis gab, an die er sich anlehnte.
Das Hauptkapitel beleuchtet die zentralen Streitpunkte im Detail. Zuerst wird das Nichtwissen des Plinius im Umgang mit Christen und dessen Interpretation von Reichert und Molthagen untersucht. Reichert interpretiert das Nichtwissen als Beleg für die Nichtexistenz einer Rechtsgrundlage, während Molthagen es als Ausdruck einer bereits existierenden Rechtspraxis sieht.
Im zweiten Teil des Kapitels wird die Sicherheit des Plinius im Umgang mit Christen betrachtet. Reichert interpretiert diese Sicherheit als strategisches Mittel zur Überzeugung des Kaisers, während Molthagen sie als Ausdruck einer bereits existierenden Rechtspraxis sieht.
Anschließend werden die Sichtweise des Plinius auf das Christentum und die Frage nach dem Beginn der Strafbarkeit des Christentums analysiert. Reichert argumentiert, dass Plinius das Christentum als Gefahr sah und die Strafbarkeit des Christentums einführte. Molthagen hingegen sieht in Plinius' Vorgehen eine Reaktion auf bereits bestehende Alltagsprobleme und weist auf die drei Wurzeln der bereits existierenden Strafbarkeit des Christentums hin.
Schlüsselwörter
Christenprozesse, Plinius der Jüngere, Kaiser Traian, Rechtspraxis, Strafbarkeit des Christentums, Reichert, Molthagen, Konvertitenproblematik, Rechtseinheitlichkeit, literarische Gestaltung, Anfrage an den Kaiser.
- Quote paper
- Sebastian Dregger (Author), 2007, Neuere Arbeiten zur Korrespondenz des Plinius mit Kaiser Trajan zu den Christenprozessen - Ist der Statthalter Plinius der Urheber der Christenprozesse?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85914