In der Gegenwart leben wir zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Aufbruch und Enttäuschung. Und in der Gegenwart haben wir auf vielfältigen Feldern zu bestehen. Uns fordert Staat und Politik heraus, ebenso die Wirtschaft, Kirchen und Glaubensgemeinschaften, die Gesellschaft sowie die Weltgemeinschaft.
Im Rahmen der aufgeworfenen Thematik versuchen fünfundzwanzig Einzelbeiträge den Leser und die Leserin zu sensibilisieren und zu einem verantwortungsbewußten reflektierten Verhalten anzuregen. Angesichts der Dynamik der Entwicklung, der Vielfältigkeit der Herausforderungen und der Komplexität des Geschehens erscheint dies angezeigt, damit sich durch vernünftiges Handeln im Miteinander Entwicklung in eine positive Richtung vollzieht.
Wenn auch die Zukunft ungewiss und menschliches Wirken mängelbehaftet ist, nimmt dies nichts von unserer Mitverantwortung für Gegenwart und Zukunft. Es gilt, sich dieser Mitverantwortung zu stellen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Staat und Politik
- Reformstau als Markenzeichen?
- Selbstblockade durch Normenflut und Bürokratie
- Mysterium Mitte zwischen Zielvorstellung, Anspruch und Wirklichkeit
- Nicht Macht- und Gewinnorientierung, sondern Problembewältigung als Präferenz
- Politik in der Pandemie
Wirtschaft
- Einseitigkeit des Denkens und Handelns als Problem
- Neoliberalismus als fragwürdige Leitlinie
- Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher-, sozialer- und umweltbezogener Ausrichtung
- Gesellschaftliche Mitverantwortung der Wirtschaft
- Zielvorstellung „schneller, höher, weiter“ am Ende?
Kirchen und Glaubensgemeinschaften
- Sinnstiftung als Aufgabe und Herausforderung
- Zeichen der Zeit, Beitrag der Kirche, notwendige Entwicklung
- Anmerkungen zum Synodaler Weg in der deutschen katholischen Kirche
- Alle Talente zählen bei der wechselseitigen Ergänzung im rechten Geist
- Bewahrenswerte Botschaft und neue Ausdrucks- formen
Gesellschaft
- Schein und Sein – ein nicht zufälliges Spannungs- feld im Fadenkreuz unterschiedlicher Interessen
- Denken, Reden und Handeln als gebotene Einheit
- Populismus als Zusatzbelastung
- Ost-West-Problematik
- Unzufriedenheit und Forderungen alleine sind zu wenig
Weltgemeinschaft
- Globalisierung, ein Phänomen mit Licht- und häufig verdrängten Schattenseiten
- Weltwirtschaftsordnung als Konfliktherd
- Entwicklungsunterschiede, kulturelle Vielfalt und auftretende Konflikte
- Sozial- und Umweltproblematik als globale Herausforderung
- Heute wird über die Zukunft entschieden
Gesamtzusammenfassung
Anhang
- Gestern – Heute – Morgen
- Fragen zur Selbstbeantwortung
- Bisherige Publikationen des Autors im GRIN-Verlag
- Über den Autor
Zur Umschlaggestaltung:
Das ausgewählte Bild zeigt für einzelne einen Sonnenaufgang, für andere einen Sonnenuntergang. Jeder mag hier selbst entscheiden, ob wir im übertragenen Sinne am Anfang oder am Ende des Tages stehen.
Vorwort
Menschliches Sein gestaltet sich zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Aufbruch und Enttäuschung. Sowohl das Eine wie auch das Andere gehören zu den gemachten Erfahrungen im Laufe der Zeit und dies ist durchaus notwendig, damit einerseits das Positive erkannt und geschätzt und andererseits das Negative bekämpft und überwunden werden kann. Bei Überlegungen zu Hoffen und Bangen, zu Aufbruch und Enttäuschung kommen einem viele Bereiche im menschlichen Leben in den Sinn.
Wir können diese im Einzelnen den Gebieten Staat und Politik, Wirtschaft, Kirchen und Glaubensgemeinschaft, Gesellschaft und Weltgemeinschaft zurechnen und tun dies nachfolgend auch. Damit wird keine erschöpfende Aufarbeitung vorgenommen, jedoch die Breite und Vielfalt der Einzelaspekte hervorgehoben und zum Weiterdenken angeregt. Letztlich ist der Leser und die Leserin dazu aufgefordert, den Rahmen bisheriger Betrachtung zu sprengen und damit neue Perspektiven zu gewinnen.
- Staat und Politik setzt für den Einzelnen einen Rahmen, innerhalb dessen er oder sie die Freiheit zur Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung besitzt, sofern dadurch nicht andere negativ tangiert werden.
- Wirtschaft dient nicht nur der Versorgung. Sie ist auch ein Beitrag zur Bestandssicherung und Fortentwicklung des Gemeinwesens, sowie der individuellen Zielerreichung.
- Kirchen und Glaubensgemeinschaften binden den Einzelnen ein, vermitteln ihm Sinn und bieten ihm Rückhalt in den jeweiligen Unwägbarkeiten der verfügbaren Zeit.
- Gesellschaft umreißt die Menschen, die in einem Land zu einer bestimmten Zeit unter bestimmten Verhältnissen zusammenleben und sich wechselseitig beeinflussen.
- Weltgemeinschaft überschreitet schließlich die Grenze des Nationalen. Sie weitet den Blick und macht deutlich, dass im Zuge der Globalisierung begrenzte Sichtweisen nicht zielführend sind.
Uns muss daran gelegen sein, die Hoffnung zu stärken und durch einen Aufbruch das Erreichbare zu erzielen. Befürchtungen und Enttäuschungen werden dabei nicht ausbleiben. Und dennoch ist ein Aufgeben keine sinnvoll erscheinende Option. Sie führt im evolutionären Prozess nicht weiter und ein Verharren bietet uns keine Überwindung bestehender Ungereimtheiten. So sind wir gehalten, uns auf den Weg zu machen und unseren Beitrag zur Verbesserung der heutigen Gegebenheiten zu leisten.
Die Position zwischen Hoffen und Banken deutet auf eine Ungewissheit hin. Sie ist Ausdruck des gleichzeitigen Strebens und des Befürchtens. In diesem Zwischenfeld liegt die Triebfeder, das Leistbare zu bewerkstelligen und Schaden soweit möglich abzuwenden. Das Hoffen führt uns zum Aufbruch in die Zukunft und Enttäuschung stellt ein nicht unwahrscheinliches Resultat des Eintritts negativer Möglichkeiten dar. Uns kommt es darauf an, die Hoffnung nicht zu verlieren und uns ungeachtet möglicher Enttäuschungen nicht bange machen zu lassen.
Herzlichen Dank an all Jene, die mir im Dialog weiterführende Impulse gegeben haben.
Fürth, im Juni 2020
Prof. Dr. mult. Alfons Maria Schmidt
Staat und Politik
Reformstau als Markenzeichen?
In vielen Bereichen weist Staat und Politik heute nach weit verbreiteter Einschätzung einen Reformstau auf. Dies gilt nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch auf den Ebenen darunter. Dieser Reformstau kommt nicht von ungefähr. Schließlich stehen angesichts der Differenziertheit der Ansichten und Strebungen teilweise unvereinbare Zielvorstellungen einander gegenüber, besteht ein Zögern, den eingenommenen Positionen ein angemessenes Handeln folgen zu lassen und bleiben viele Fragen unbeantwortet.
Sich festzulegen macht angreifbar. Doch Festlegungen und die Bereitschaft, um bestmögliche Lösungen zu ringen ist in einer Demokratie Grundvoraussetzung für sinnvolle und verantwortungsvoll unterstützte Entwicklung. Wenn allerdings nicht die Lösung von Problemen und die Bewältigung von Herausforderungen zählen, sondern die Sicherung und der Ausbau erlangter Machtpositionen und wirtschaftlichen Erfolgs, dann führt das gesellschaftliche System die ihm zugehörigen Mitbürger in eine Krise.
So setzen wir uns nachfolgend mit dem Phänomen Reformstau auseinander, beschäftigen uns mit dem Zusammenhang von Reformstau, Staat und Politik, gehen auf Überwindung als Erfordernis ein und beschäftigen uns mit Ansätzen zur Bewältigung. Dies sollte dazu beitragen, stattgefundene Fehlentwicklungen kritisch zu betrachten, aus der Betrachtung Schlussfolgerungen zu ziehen und den Betrachtungsergebnissen schließlich Konsequenzen folgen zu lassen.
Reformstau
Unter Reformstau verstehen wir allgemein betrachtet die Diskrepanz zwischen vorhandenen Entwicklungserfordernissen und der sich tatsächlich vollziehenden Entwicklung. Reformstau ist nicht nur ein politisches Schlagwort, sondern ein reales Faktum das sowohl politische als auch strukturelle Versäumnisse umfasst. Nicht unwesentlich ist in diesem Zusammenhang die Selbstblockade der zum Handeln Aufgerufenen durch eine übergroßes Maß an formalen Regelungen, an beteiligten Gremien, sowie Einspruchs- und Verhinderungsmöglichkeiten.
Dass hier der Zeitaspekt in den Hintergrund tritt, erscheint dabei als logische Konsequenz, die ihrerseits negative Folgewirkungen für Staat, Gesellschaft und Politik nach sich zieht. Schließlich besteht nicht nur vereinzelt eine hemmende Verankerung in der Vergangenheit, eine wachsende Diskrepanz zwischen dem Gebotenen und dem Gegebenen, sowie ein Zurückfallen im Vergleich mit anderen Gesellschaften. Letztendlich führt dies für Viele – vor allem für gesellschaftlich Unterprivilegierte – mittel- und langfristig zu einem sinkenden Lebensstandard.
Reformstau zeugt von einer übersteigerten Sicherheitsorientierung. Dabei ist doch hinreichend klar, dass veränderte Herausforderungen, Gegebenheiten und Notwendigkeiten ein reines Festhalten am Etablierten und Gefestigten verbietet. Weder die sklavische Bindung an das Vergangene noch eine blinde Reformeuphorie erscheinen uns angemessen. Als hilfreich gilt vielmehr eine Gegenwarts- und Zukunftsausrichtung, die das Bewahrenswerte bewahrt, aber auch notwendige Anpassungen und Veränderungen vornimmt.
Reformstau, Staat, Gesellschaft und Politik
Gerade in Staat, Gesellschaft und Politik besteht derzeit ein unübersehbarer Reformstau auf vielen Gebieten. Ein Blick in die veröffentlichte Meinung macht deutlich, dass nicht zuletzt aufgrund der Dynamik des gesellschaftlichen Wandels ein deutlicher Nachholbedarf bei Reformen besteht. "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen", forderte bereits 1997 der damalige Bundespräsident Roman Herzog. Eine Auflösung des Staus durch die einst grossen Volksparteien war da noch die Hoffnung von Viele.
Bei Betrachtung des Reformstaus blicken wir – aus grundsätzlicher Sicht und jenseits konkreter Einzelfragen – in erster Linie auf nachfolgende Gebiete:
- Gebotene Vertiefung des Grundkonsenses der Gesellschaft, Einsicht in die Notwendigkeit eines langfristigen wertgebundenen Miteinanders und der Abkehr von der Einseitigkeit der Ausrichtung auf Macht und Besitz.
- Gewährleistung von Maßnahmen gegen ein weiteres Auseinandertriften der einzelnen Teilgruppierungen im Gemeinwesen und Sicherstellen der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für alle.
- Annäherung der einzelnen Reformschritte an die in der Gesellschaft bestehenden unübersehbaren Erfordernisse und Notwendigkeiten, sowie Etablieren einer hinreichenden Risikovorausschau und -vorsorge.
- Annehmen des Reformbedarfs der repräsentativen Demokratie, bei ihren Mechanismen, ihrem Erscheinungsbild, der Fülle der normativen Vorgaben und Ergänzen der Repräsentation durch plebiszitäre Elemente.
- Reform der Europäischen Union, ihrer Ausrichtung, ihrer Regelungs- und Entscheidungsmechanismen, ihrer Entscheidungsgeschwindigkeit und ihres Auftretens.
- Wahrnehmung ehrlicher weltweiter Mitverantwortung zur Verhinderung global wirksamer Katastrophen, von kriegerischen Auseinandersetzungen, eines Raubbaus an der Natur, von Ausbeutung und Fluchtursachen.
- Bereitschaft zur Revision gemachter Fehler und aufgetretener Versäumnissen, einschließlich Bemühen um Schadensbegrenzung und Wiedergutmachung.
Letztlich verstärkt sich der bestehende Reformstau durch die sich ergebenden Wechselwirkungen aus vorstehend genannten Gebiete. Insoweit steht an, bei allen vorgenannten Gebieten anzusetzen und aus dem Abbau des Rückstandes neue Optionen und Perspektiven zu gewinnen. Letztlich ist in diesem Zusammenhang jeder Einzelne innerhalb der Gesellschaft, vor allem aber die maßgeblich prägenden Einflussnehmenden und Entscheidungsträger, herausgefordert.
Ansätze zur Bewältigung und Überwindung als Erfordernis
Ansätze zur Bewältigung des bestehenden Reformstaus gewinnen heute zweifelsohne an Bedeutung, denn Defizite und Versäumnisse zu überwinden stellt ein Erfordernis dar, will man Fehlausrichtungen und Rückstände hinter sich lassen.
- Ansätze zur Bewältigung der gegebenen Situation zeigen sich uns dabei im Rahmen vielgestaltiger Maßnahmen. Aus ihnen sollen letztlich konstruktiv wirksame Effekte erwachsen.
- Und die Überwindung als Erfordernis macht den gegebenen Handlungsbedarf deutlich, der uns unter Zugzwang setzt. Damit wir gegenwärtiges Verhalten zu einem Dreh- und Angelpunkt.
Bewältigungsansätze sind eingebettet in umfassende Menschen- und Weltbilder und Resultat eines ganzheitlichen Verständnisses hinsichtlich der Gegebenheiten. Sie spiegeln die bei den jeweils Einzelnen differierenden Anschauungen, Kompetenzen, Entwicklungslinien und Erfahrungen wider, die idealtypisch ergebnisbezogen miteinander ringen und nach tragfähigen Lösungen streben. Aktuelle Ansätze zur Bewältigung sind damit zwangsläufig noch unvollkommene und unvollendete Überlegungen und Konzepte.
Unter Überwindung verstehen wir ein problemlösendes Überschreiten einer prekär sich offenbarenden Situation oder Problematik. Dazu bedarf es des Zutrauens in die eigenen Fähigkeiten und der Bereitschaft, sich selbst einen Stoß zu geben, der Aktivitäten entfaltet. Das Erfordernis ergibt sich aus der Untragbarkeit vorhandener Spannungen und Diskrepanzen zwischen bestehenden Gegebenheiten und gebotenen Notwendigkeiten, die Belastungen darstellen.
Zusammenfassung
Zusammenfassend können wir festhalten: Reformstau als Markenzeichen ist Kennzeichen unserer Zeit. Sie wird durch die Diskrepanz zwischen dem Entwicklungsstand und dem unerfüllten Entwicklungsbedarf charakterisiert. Das Manko einer ausgeprägten Diskrepanz zeigt sich heute in Staat, Gesellschaft und Politik. Daraus resultieren dringliche Handlungserfordernisse, um vorhandene Spannungen und Belastungen zu verringern, eine positive Entwicklung zu gewährleisten und die Defizite abzubauen.
Es geht heute um die Besinnung auf das Wesentliche, die Vermeidung eines Auseinandertriftens der Gesellschaft, um eine Beschleunigung von Vorgängen korrespondierend zu den bestehenden Erfordernissen, hinreichende Vorausschau und den Blick über den Tellerrand, Wahrnehmung von Mitverantwortung, Rücksichtnahme sowie die Bereitschaft zur Schadensbeseitigung. Gefordert sind dabei nicht nur Mandatsträger und Institutionen, sondern letztlich alle Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Vielgestaltig sind die Ansätze zur Bewältigung der gegebenen Situation. Dies resultiert letztlich aus der Differenziertheit der damit befassten Menschen und deren Bestimmungsfaktoren. Die Überwindung des unstreitigen Reformstaus erscheint heute als eine wohl unabweisbare Notwendigkeit. Damit wird das gezeigte Verhalten aus Sicht des Gemeinwesens zu einem zentralen Dreh- und Angelpunkt. Es zählt, hilfreiche Aktivitäten zu entfalten und durch ein Ringen um bestmögliche Lösungen letztlich Entlastung zu schaffen.
Alleine schon die Herausforderung aus der Corona-Pandemie zwingt uns dazu, dass wir uns den bestehenden Notwendigkeiten stellen. Die dadurch bedingten Veränderungen haben wir aus Eigeninteresse und aus gesellschaftlicher Mitverantwortung hinzunehmen.
Selbstblockade durch Normenflut und Bürokratie
Strukturen, Ordnung, Rechtssicherheit und Klarheit sind zweifelsohne wichtig, sie dürfen aber nicht zu einem Selbstzweck und einer Selbstblockade führen, sowie eine erforderliche Entwicklung verhindern. Normen und Bürokratie bedürfen daher einer fortlaufend kritischen Betrachtung. Denn eine zunehmende Verrechtlichung und Bürokratisierung stellt einen Angriff auf Freiheit und Werteordnung dar, denn sie schränkt die Möglichkeit zur Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung über das notwendige Maß ein.
Grundüberlegungen
Nicht eine übergeordnete Autorität ist im Vollbesitz des Wissens und der Erkenntnis. Wir alle sind letztlich gehalten, uns in unserer Zeit um die Bewältigung der uns gestellten Herausforderungen zu bemühen – unter Wahrung individueller Freiheiten und gleichzeitig in wohl erwogener Rückbindung zum Gemeinwesen, welches uns Orientierung, Schutz und Sicherheit gewährt und damit Voraussetzungen für individuelle Entfaltung und Selbstverwirklichung schafft.
Gerade in einer Zeit dynamischer Veränderungen und erforderlichen Wandels erscheint der Anspruch auf ein Bestimmen der immer umfangreicheren Regeln für das Zusammenlebens durch den Staat nicht zuletzt als Misstrauen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, als Vermessenheit und objektiv nicht zu erfüllende Erwartung. Wir erkennen dies vor allem an der verzögerten Anpassung von Normen und bürokratischen Verfahrensweisen an die gegebenen, sich stetig weiterentwickelnden Erfordernisse.
Wenn Freiheit ohne hinreichende Rechtfertigung zunehmend eingeschränkt wird, so ergibt sich ein Abschied nehmen von unveräußerlichen Werten und Grundüberzeugungen – ein Umstand, der das Gemeinwesen in eine veränderte Wirklichkeit führt und den Mitbürger zu einem Gehorsam und Unterwürfigkeit schuldenden Untertan werden lässt. Recht und Bürokratie sind faktisch formale Ausprägungsformen, die zwischen Macht und Gerechtigkeit angesiedelt sind. Sie bedürfen der überzeugenden Legitimation.
Beispiele und Ausprägungsformen
Im Zusammenhang mit Beispielen und Ausprägungsformen dürfte es genügen, auf das heutige Steuerrecht und die fragliche Steuergerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen, auf soziale Absicherung zwischen Unter- und Überversorgung, die Zuständigkeitsvielfalt und Bewältigungshemmnisse bei der Asylproblematik, den Zwiespalt zwischen gebotener akademischer Freiheit und der Akkreditierungspraxis bei akademischen Professionalisierungsangeboten, sowie der normen- und bürokratiebedingten Verschwendung knapper Ressourcen.
Beispiele und Ausprägungsformen sind Grundlage dafür, die Beharrung im Etablierten und jene daraus resultierenden Folgewirkungen in den Blick zu nehmen und wenden uns der Abkühlung des gesellschaftlichen Klimas und den daraus sich ergebenden Konsequenzen zu. In besonderer Weise betrachten wir dabei die Auswirkungen auf die langfristige Konkurrenz- und Zukunftsfähigkeit und deren Gefährdung, sowie die nationale Entwicklung und internationale Positionierung.
In diesem Zusammenhang gilt es einzugehen auf die Differenziertheit der Erwartungen als gesellschaftliches Faktum und Spannungsfeld, auf die Option von Rahmenregelungen gegenüber umfassenden Festlegungen, auf Orientierungserfordernis und Flexibilitätsnotwendigkeit, Beharrung und Widerstand, Angst und fehlender Offenheit. Es gilt hier Sensibilität gegenüber maßgeblichen Faktoren zu fördern. Dies sollte dazu beitragen, zu einem neuen Gleichgewicht zu kommen.
Beharrung und langfristige Folgewirkungen
Grundlegendes Denken, aktuelle Beispiele und Ausprägungsformen, Beharrung des Etablierten und daraus resultierende Folgewirkungen, sowie Reformbedarf und Reformwiderstand bilden auf einander bezogene Teilaspekte bei der aufgeworfenen Themenstellung. Auf keinen Aspekt kann hier verzichtet werden, will man zu Ergebnissen kommen, die in sich stimmig und geeignet sind, bestehende Risiken zu minimieren und gegebene Chancen zu nutzen.
Im Ergebnis kommen wir zur Überzeugung, dass die sich in den letzten Jahrzehnten vollzogene Entwicklung in Richtung einer ausufernden Rechtssetzung und überbordenden Bürokratie aus vielfältigen Gründen den Erfordernissen nicht hinreichend Rechnung tragen kann. Zu verweisen ist hier nicht zuletzt auf die zunehmende Dynamik des Wandels, die Komplexität des Geschehens, den fortlaufenden Änderungsbedarf und die Gefährdung der zu bewahrenden Grundwerte des Gemeinwesens.
Dem entsprechend ist ein bestehender Reformbedarf wohl unübersehbar gegeben. Recht sollte die letzte Auffangposition darstellen die greift, wenn alle anderen Bemühungen um ein friedvolles und konstruktives Miteinander versagt haben. In diesem Zusammenhang ist in erster Linie auf Professionalität einerseits und ethisch-moralische Bildung des Handelns zu verweisen. Sie als Nebengrößen der rechtlichen Regelung und administrativen Verfahrenswiesen unterzuordnen erscheint zumindest fragwürdig.
Juristen und Bürokraten soll hier keineswegs böser Wille unterstellt werden. Doch ihre Sichtweise ist beschränkt und trägt nicht in vollem Umfange den Erfordernissen Rechnung. Dies legt eine Weitung des Blicks und die Einbeziehung weiterer gebotener Aspekte neben der Rechtssetzung und der bürokratischen Abwicklung von Vorgängen nahe. Dabei ist Offenheit und Flexibilität gefordert, die sich in formalen Festlegungen nicht hinreichend abbilden lassen.
Reformbedarf und Widerstand
Letztlich ist zu fragen, ob die gegebene Entwicklung nicht die Grundlagen des Gemeinwesens und die bestehende Ordnung in Frage stellt, ob die ausufernde Rechtssetzung und die überbordende Bürokratie sich nicht längst gegen die Grundwerte, gegen die Vernunft und gegen das Erforderliche positioniert haben und damit immer mehr an Glaubwürdigkeit und Akzeptanz verlieren. Es liegt in unserer Hand, erforderliche Reformschritte einzuleiten und konsequent über die Zeit hinweg zu verfolgen.
Vertrauen statt Misstrauen als grundlegende Ausrichtung, aber auch ein konsequentes Vorgehen gegen den Missbrauch bestehender Freiheit lautet das Gebot der Stunde. Dies ist bei der Bestimmtheit des Menschen gar nicht so leicht zu gewährleisten. Ist der Mensch doch nicht einfach rational strukturiert und immer gewillt, seine Vernunftbegabung angemessen zu nutzen. Doch wer hat uns denn zugesichert, dass Rechtssetzung und Gerechtigkeit schaffen leicht sei?
Realistisch betrachtet gehen wir in jedem Falle ein gewisses Maß an Risiken ein – bei einer Unterwerfung unter den ausgeübten mehr oder minder legitimen Zwang des Staates und Gemeinwesens, oder bei einer grenzenlosen Ausnutzung von vermeintlichen Freiheitsrechten ohne Wahrnehmung von Verantwortung für diese Freiheit, die letztlich nur bei vernunftbestimmter Beschränkung langfristig Bestand haben kann.
Zusammenfassung
Wo also liegen die Grenzen der Freiheit und wo die Grenzen der Bindung und Einschränkung des Einzelnen? Darüber verstärkt nachzudenken, erscheint der Mühe wert. Aus den Grundüberlegungen, den Beispielen und Ausprägungsformen, aber auch der Beharrung und deren Folgewirkungen haben wir den Reformbedarf und den dagegen bestehenden Widerstand thematisiert. Damit wurden die maßgeblich erscheinenden Teilaspekte einer zunehmenden Verrechtlichung und Bürokratisierung zueinander in Beziehung setzt.
Aus Sicht des Autors sollte zu einer themenbezogenen Klärung beitragen und damit einen neuen Ausgangspunkt zu schaffen, der den Aufbruch in eine künftig verbesserte Wirklichkeit ermöglicht. Wenn wir im Zuge unserer Auseinandersetzung mit zunehmender Verrechtlichung und bürokratischer Vereinnahmung einen Angriff auf das Gemeinwesen, auf Freiheit, Sinn, Werte, Qualität und Erfolg sehen, so deshalb,
- weil Freiheit den Gegenpol zur Fremdbestimmung darstellt und der Staat nur unzureichend in der Lage ist, selbstbestimmte Entfaltung und Selbstverwirklichung zu fördern,
- weil Sinn sich ergibt aus einer grundlegend überzeugenden Ausrichtung, die von gesellschaftlichen Werten getragen wird, welche als verbindendes Band der Gemeinschaft gilt,
- weil Qualität aus der wahrgenommenen personalen Verantwortung erwächst und nicht aus formalen Regelwerken, administrativen Vorgaben sowie einem menschenverachtenden institutionalisierten Misstrauen,
- weil Erfolg auf Vertrauen und Beteiligung aufbaut und nicht auf ausufernder Kontrolle, Reglementierung und Sanktionierung des Bemühens um bestmögliche Bewältigung bestehender Herausforderungen.
Unserer Gesellschaft ist zu wünschen, dass der Staat mit seiner Rechtsordnung und Administration zum rechten Maß zurückfindet und sich jenes Gleichgewicht einstellt, welches dem Gemeinwohl bestmöglich dienlich ist. Daran sollte uns allen letztlich gelegen sein. Beschäftigungstherapie ist kein Ersatz für ein engagiertes Ringen um förderliche positive Entwicklung – im Übrigen schon gar nicht im Bereich der Wissenschaft, die von der Freiheit des Denkens und Handelns lebt.
Mysterium Mitte zwischen Zielvorstellung, Anspruch und Wirklichkeit
Innerhalb des politischen Spektrums nehmen viele für sich in Anspruch, die Mitte zu vertreten. Und sie sind wohl auch davon überzeugt, erkannt zu haben, wo diese Mitte liegt. Problematisch erscheint hier allerdings, dass die subjektiv postulierte Mitte sich an den jeweilig individuell anerkannten Grundwahrheiten und Grundpositionen festmacht und auf einem Wertgefüge basiert, das zumindest in Teilaspekten nicht allseitig geteilt wird. Insoweit ergibt sich ein politisches Spektrum, das gesellschaftlich Irritationen auslöst und häufig auch zu Fehlinterpretationen führt.
Aus metatheoretischer Sicht erscheint hier klar erkennbar, was sich im Konkreten nicht selten als problematisch erweist. Schließlich treffen wir – je nach Betroffenheit – auf Widersprüchlichkeiten im menschlichen Verhalten, auf fragwürdige tradierte Gegebenheiten und unzureichend berücksichtigte Defizite. Unter dem Strich zählt hier nicht ein „gut gemeint“, sondern vielmehr ein „gut gemacht“. Dieser Verpflichtung hat sich das Gemeinwesen und letztlich jeder Einzelne zu stellen.
Im Einzelnen betrachten wir nachfolgend die Bewahrung des Bewahrenswerten, die Sicherung von Freiheit in Verantwortung, die Gewährleistung von Hilfe zur Selbsthilfe, Teilhabe und relative Gerechtigkeit, sowie Mitte, politischer Anspruch und Wirklichkeit. Dies führt uns zu einer Zusammenfassung, die versucht, das Wesentliche der aufgegriffenen Themenstellung noch einmal unmissverständlich hervorzuheben. Ziel ist es, einen Beitrag zu konstruktivem gemeinwohlorientiertem Verhalten zu leisten.
Bewahrung des Bewahrenswerten
Zur Wirklichkeit der Mitte gehört es, dass im Miteinander die Bewahrung des Bewahrenswerten zählt. Dieses Bewahrenswerte fußt auf jenen für ein Gemeinwesen unverzichtbaren Grundwahrheiten und Grundwerten, die als zentrale Allgemeingüter gelten dürfen. Ohne Zweifel ist hier die christlich-abendländische Tradition und das darin verwurzelte Postulat von der unverbrüchlichen Würde des Menschen von Bedeutung. Nicht umsonst steht der Auftrag zum Schutz der Würde des Menschen auch in Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
Bewahrung des Bewahrenswerten bedeutet für uns die zeitgemäße Ausgestaltung des Unverzichtbaren. Es bedeutet, basierend auf unaufgebbaren Grundpositionen und Grundwerten das soziale Miteinander so zu gestalten, dass niemand in unangemessener Art und Weise beeinträchtigt, behindert oder geschädigt wird. Damit kommen hier sowohl christlich geprägte Überzeugungen wie auch der kategorische Imperativ Kant´s bei gleichzeitiger Berücksichtigung zeitgebundener Erfordernisse zur Geltung.
Diese Bewahrung des Bewahrenswerten darf allerdings nicht in einer Form verstanden werden, die erforderliche Offenheit und Flexibilität negiert und eine Verankerung im Gestern propagiert. Dem Neuen und der Entwicklung überaus skeptisch gegenüberzustehen oder diese grundsätzlich abzulehnen führt uns nicht weiter. In ihr kommt letztlich eine Verschlossenheit gegenüber der Gegenwart und der Zukunft zum Ausdruck, die sich zumindest problematisch im Hinblick auf die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens zeigt.
Sicherung von Freiheit in Verantwortung
Neben der Bewahrung des Bewahrenswerten besitzt auch die Sicherung von Freiheit Bedeutung. Diese Sicherung von Freiheit bedarf allerdings der Wahrnehmung von umfassender Verantwortung für die Nutzung dieser Freiheit, also auch für die damit verbundenen Folgewirkungen. Freiheit kann schließlich nicht uneingeschränkt wahrgenommen werden, ohne in unzulässiger Art und Weise in die Freiheitsrechte anderer einzugreifen. Grenzenlose Freiheit birgt faktisch das Übel der Willkür, von Unterdrückung, Ausbeutung und gnadenloser Ausnutzung der Macht des Stärkeren in sich.
Die Sicherung von Freiheit darf sich nicht alleine auf die Gewährleistung der Legalität des Handelns stützen und beschränken. Sie muss auch die Legitimität des Handelns, also die Berücksichtigung von unverzichtbaren Grundwerten des Gemeinwesens einschließen. Legitimität ist hier an Ethik und Moral gebunden. Der sich in jüngerer Zeit immer stärker ausbreitende Neoliberalismus trägt dem kaum angemessen Rechnung. Insoweit erscheinen hier Korrekturen durchaus angezeigt.
Sicherung von Freiheit in Verantwortung gestaltet sich als eine permanente Herausforderung und als Gratwanderung. Weder besteht Freiheit voraussetzungslos, noch darf gemeinwohlorientierte Einschränkung von Freiheit diese auf Null reduzieren. Damit wird eine Legitimationsverpflichtung sowohl für das Eine wie auch für das Andere offenkundig. Je stärker Freiheitsrechte bestehen, desto notwendiger erscheint deren Rechtfertigung und die Wahrnehmung der mit Freiheit untrennbar verbundenen Verantwortung.
Gewährleistung von Hilfe zur Selbsthilfe, Teilhabe und Gerechtigkeit
Das Bewahren des Bewahrenswerten und die Sicherung von Freiheit in Wahrnehmung von Verantwortung für diese Freiheit erfordert im Hinblick auf den Anspruch, die Mitte zu vertreten, zusätzlich noch das Gewährleisten von Hilfe zur Selbsthilfe, von hinreichenden Chancen zur Teilhabe und zur Verwirklichung relativer Gerechtigkeit.
- Hilfe zur Selbsthilfe berücksichtigt die Würde des Menschen, erforderliche Solidarität, aber auch Subsidiarität, welche den Freiraum und das Recht auf Selbstentfaltung des Einzelnen sichert.
- Hinreichende Chancen zur Teilhabe gewährleisten die Möglichkeit einer Einflussnahme auf und die Mitwirkung am Leben der Gesellschaft und des Gemeinwesens.
- Verwirklichung relativer Gerechtigkeit stellt darauf ab, dass Gerechtigkeit zu den Grundvoraussetzungen einer auf Dauer angelegten Gesellschaft gehört und von daher zu gewährleisten ist.
Hilfe zur Selbsthilfe, hinreichende Chancen zur Teilhabe und relative Gerechtigkeit ergänzen sich dabei wechselseitig. Sie sichern im Zusammenwirken die Wahrung der Menschenwürde, die zu den Grundlagen eines ethisch verpflichteten Gemeinwesens und verantwortbaren Verhaltens zählt. Eine absolute Gerechtigkeit wird allerdings ungeachtet vorhandenen menschlichen Bemühens und menschlicher Schwächen in aller Regel verfehlt. Sie anzustreben zählt ungeachtet dessen zu den ehrenwerten Zielvorstellungen.
Immerhin ist einzufordern, die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens zu berücksichtigen und geschaffenes Unrecht durch Missbrauch von Leistungen nicht nur in Sozialhilfefällen, sondern auch im Rahmen der Wirtschaftskriminalität angesichts des gemeinschaftsschädigenden Verhaltens in gleichem Umfange zu verfolgen und bislang geduldete Steuervermeidungstatbestände zu eliminieren. Es darf nicht gelten: die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen. Hier zählt nicht zuletzt das nicht unbegründete Empfinden in der Gesellschaft.
Mitte, politischer Anspruch und Wirklichkeit
Ein Blick auf die politischen Programme der einzelnen Parteien macht deutlich, dass eine umfassende Berücksichtigung aller Erfordernisse in aller Regel nicht verfolgt wird. Mitte liegt insoweit quer zu den postulierten Ansprüchen der politischen Parteien. Diese werden mithin dem erhobenen Anspruch nicht umfassend gerecht und bleiben dahinter zurück. Schwerpunktsetzungen weichen da erkennbar von den realen Erfordernissen ab und schaffen damit partielle Fehlausrichtungen.
Mitte liegt letztlich dort, wo die legitimen Interessen und Bedürfnisse aller Berücksichtigung finden, nicht nur die der einflussreichen Eliten, des tragenden Mittelstandes oder der Randständigen und Benachteiligten. Dazu ist allerdings Wissen um bestehende Erfordernisse und hinreichende Bereitschaft zur Rücksichtnahme erforderlich. Beides kann bei Entscheidungsträgern und aktiv Handelnden nicht einfach unterstellt werden. Insoweit erscheint fortlaufend eine hinreichend kritische Reflexion angezeigt.
- Bei realistischer Betrachtung ist Fakt, dass bei der Bewahrung des gesellschaftlich Bewahrenswerten ein reines Achten auf Struktur, Ordnung, Regelungen und Sicherheit in einer Zeit dynamischer Veränderungen zu kurz greift. Zwangsläufige Zeitverzögerung bei der Anpassung von legitimationsbedürftigen Vorgaben gilt es stets mit zu bedenken.
- Bei der Sicherung von Freiheit in Verantwortung erscheint unverzichtbar, die Auswirkungen der Freiheitswahrnehmung auf andere im Vorfeld in die Überlegungen einzubeziehen, damit deren Rechte und Freiheiten nicht in unzulässiger Art und Weise eingeschränkt und deren Teilhabe am gesellschaftlichen Geschehen behindert oder verhindert wird.
- Bei der Gewährung von Hilfe zur Selbsthilfe, Teilhabe und relativer Gerechtigkeit zählt das rechte Maß und die Verhinderung eines Übermaßes. Letzteres käme faktisch einer Entmündigung und der Verweigerung des Rechts auf selbstbestimmter Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung gleich. Dies wäre gesellschaftlich als Verlust zu betrachten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Naheliegende Gebote und Vermeidungstatbestände
Zusammenfassung
Das Mysterium „Mitte“ bewegt sich zwischen Zielvorstellung, Anspruch und Wirklichkeit. Sie ist stetige Herausforderung, Aufgabenstellung und Gratwanderung. Subjektive Sichtweisen stehen dabei nicht selten in einem mehr oder weniger starken Spannungsverhältnis zur bestehenden Wirklichkeit. So bedarf es klarer Kriterien für das Phänomen „Mitte“, an dem sich jeder Einzelne, aber auch soziale Gruppierungen orientieren können, aber auch messen lassen müssen, wenn sie für sich in Anspruch nehmen, für die „Mitte“ zu sprechen.
Mitte ist nicht einfach jene Position zwischen links und rechts oder zwischen Reformeuphorie und Veränderungsablehnung. Sie ist vielmehr eine in Bewegung befindliche Gratwanderung, die unterschiedlichen Anforderungen und Ansprüchen gerecht werden muss. Dass dies nicht jeder Person gefällt, die statisch denkt, muss dabei in Kauf genommen werden. Die Wahrheit ist hier weitaus bedeutsamer, als einfache und damit falsche, ungenaue oder fragwürdige Antworten.
Jenseits der Mitte bewegt sich, wer nicht gleichzeitig bemüht ist, umfassend den drei zentralen Bestimmungsfaktoren der Mitte gerecht zu werden. Nämlich
- der Bewahrung des uneingeschränkt Bewahrenswerten bei gleichzeitig erforderlicher Offenheit und hinreichender Flexibilität für bedarfsgerechte Entwicklung,
- der Sicherung von individueller Freiheit in wahrgenommener umfassender Verantwortung für die jeweils genutzte Freiheit, die neben Legalität auch Legitimität einbezieht, sowie
- der Gewährleistung von Hilfe zur Selbsthilfe, der Teilhabe für alle und relativer Gerechtigkeit bei Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens, des Einforderns der Mitwirkung sowie der Bereitschaft dem Gemeinwohl im Rahmen des Zumutbaren zu dienen.
Wenn dies Einzelne nicht befriedigt, so liegt dies nicht an der Mitte, sondern vielmehr an fragwürdigen Einstellungen zu ihr. Nehmen wir in redlichem Bemühen auf uns, uns fortlaufend um die wahre Mitte zu bemühen – im Interesse der Einzelnen, von sozialen Gebilden und letztlich des ganzen Gemeinwesens.
Wo liegt für mich die Grenze zwischen der Bewahrung des Schützens- und Bewahrenswerten und wo beginnt die Präferenz für Stillstand und eine rein rückwärtsgewandte Ausrichtung?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In welchem Maß besteht Verantwortung für die Wahrnehmung von Freiheit und wo beginnt Rücksichtslosigkeit bei der Wahrnehmung grenzenloser Freiheit?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Was bedeutet im Rahmen von Solidarität erforderliche Hilfe zur Selbsthilfe und wie kann gesellschaftliche Überforderung einerseits und Vermeidung von Mitnahmeeffekten andererseits vermieden werden?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nicht Macht- und Gewinnorientierung, sondern Problem-bewältigung als erforderliche Präferenz
Veränderte Gegebenheiten im politischen Spektrum und im Wahlverhalten machen es erforderlich, neu über die Rolle der Politik in und für diese Gesellschaft nachzudenken. Ein Blick nicht nur auf das zurückliegende Geschehen in Thüringen macht deutlich, dass ein „weiter so“ den Erfordernissen nicht gerecht wird, dass reine Machtorientierung und Ideologieausrichtung keinen Beitrag zur Bewältigung der bestehenden Herausforderungen im Gemeinwesen leisten. Insoweit liegt eine Neuausrichtung nahe.
Wir befassen uns nachfolgend mit der traditionellen Machtorientierung und Ideologieausrichtung, die eine selektive Wahrnehmung der Wirklichkeit und eine zu hinterfragende Bewertung der Gegebenheiten zeigt. Uns beschäftigen sodann die Herausforderungen und Notwendigkeiten zur Bewältigung der gegebenen Situation. Dies mündet in eine Betrachtung zur Problembewältigung, die als zentrales Erfordernis angesehen werden kann. Schlussendlich werden Konsequenzen für das politische Geschehen abgeleitet.
Bisher gezeigtes politisches Verhalten, das nicht von den Herausforderungen, Notwendigkeiten und zu bewältigenden Gegebenheiten ausgeht, steht heute nicht von ungefähr in der gesellschaftlichen Kritik. Schließlich lässt dieses Verhalten, das auf eine Sicherung und Festigung der eigenen Position und Macht angelegt ist, die letztendlich zu leistende Bewältigung der Missverhältnisse, Schwächen und Versäumnisse vermissen. Unzufriedenheit der Betroffenen ist da eine wohl logisch nachvollziehbare Konsequenz.
Traditionelle Machtorientierung und Ideologieausrichtung
Politisches Wirken stützt sich auf Grundüberzeugungen und ist daraufhin angelegt, diese in der Gesellschaft durchzusetzen. Unterschiedliche Sichtweisen und Grundüberzeugungen konkurrieren dabei miteinander und sind bemüht, ihrer nicht unbegründete Position Geltung zu verschaffen. Insoweit erscheint dieses Agieren legitim, sofern nicht anderen deren ehrliches Bemühen abgesprochen und eine reine Orientierung an der eigenen selektiven Wahrnehmung der Wirklichkeit verpflichtend eingefordert wird.
Fragwürdige Prioritätssetzungen mögen aus eigener Entwicklungsgeschichte nachvollziehbar erscheinen, sie sind jedoch stets zu hinterfragende Ausrichtungen, deren Angemessenheit mit einem Fragezeigen zu versehen ist. Gerade die Auseinandersetzung mit anderen ebenso nachvollziehbaren Sichtweisen und Prioritätssetzungen bietet hier die Chance, im Miteinander jene tragfähigen Lösungen zu finden, die Zukunft sichern und Probleme bewältigen helfen. Dass hier Konzessionen erforderlich sind, liegt in der Natur der Sache.
Ideologieorientierung und Bestreben nach Gleichschaltung zeigen dem gegenüber kaum jene erforderliche Flexibilität im Denken und Handeln, jene Beweglichkeit, die eine Bewältigung von Situationen, die Überwindung von Herausforderungen und das Lösen von Problemen greifbar macht. Diese gebotene Beweglichkeit bedeutet allerdings keineswegs eine Aufgabe unverzichtbarer ethisch begründeter Grundpositionen, ohne die ein Gemeinwesen nicht überleben kann und letztlich ihren Bestand gefährdet.
Herausforderung und Notwendigkeit zur Bewältigung
In einer Zeit globaler Umwälzungen und dynamischer Veränderungen liegt in der Überwindung von Ungereimtheiten und in der Bewältigung von Herausforderungen zweifelsohne eine zentrale Aufgabe. Sie weicht insoweit von den Gegebenheiten in statischen Perioden gesellschaftlichen Seins ab, in denen das Bewahren hohe Priorität genießt. Angestrebt wird heute die Bewahrung eines Gleichgewichts der interagierenden Kräfte, das Ausgrenzung verhindert, reale Teilhabe ermöglicht, relative Gerechtigkeit verfolgt und bedarfsgerecht ist.
Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang allerdings, dass eine Reihe von gesellschaftlichen Gruppen gegenüber anderen kaum Einflussmöglichkeiten besitzen und nur sehr schwer ihre legitimen Interessen und Bedürfnisse zur Geltung bringen können. Gerade hier ist die Wahrnehmung einer die eigenen Interessen übersteigenden gesellschaftlichen Mitverantwortung geboten, die eigenes Sein als Teilelement und damit relative Größe innerhalb des ganzen Gemeinwesens begreift.
Bestehende Herausforderungen und die Notwendigkeit zur Bewältigung sind Kennzeichen der Zeit. Sie sind sowohl Zumutungen als auch Bewährungsfelder. Im Umgang mit ihnen zeigt sich das Maß an erreichter Reife und wahrgenommenen Verantwortungsbewusstseins. Dass dies für den Einzelnen zu einer realen Belastung führt, muss letztlich hingenommen werden. Ungeachtet dessen wird man erst am erzielten Ergebnis und dessen Bewertung ablesen können, inwieweit man der gestellten Aufgabe gerecht geworden ist.
Problembewältigung als zentrales Erfordernis
In Zeiten globalen Wandels und dynamischer Veränderungen stellt Problembewältigung in der Tat ein zentrales Erfordernis dar. Dieses zentrale Erfordernis hat dabei zu berücksichtigen,
- inwieweit einzelne Teilaspekte der Problematik von zentraler oder aber sekundärer Bedeutung sind,
- wo die Stärken und Schwächen der einzelnen Optionen liegen und wie erstere verstärkt und letztere vermindert werden können,
- inwieweit sich ein umfassendes, alle legitimen Interessen und Bedürfnisse berücksichtigendes Bewältigungskonzept realisieren lässt,
- welche Priorisierung und zeitliche Abfolge am ehesten der gegebenen Herausforderung gerecht wird und
- welche Kontrollmechanismen im Zeitablauf vorzusehen sind, die geeignet sind, fortlaufend sich ergebende Veränderungen zu berücksichtigen.
In der Bewältigung der Herausforderungen liegen Perspektiven und diese Perspektiven bieten realisierbare Chancen. Daraus ergibt sich, dass ohne Bewältigung Zukunftsfähigkeit verspielt und damit die Zielerreichung fragwürdig wird. Problembewältigung als zentrales Erfordernis erscheint nicht nur aus rationaler Sicht unumgehbar, sofern die sich schrittweise entfaltende Zukunft im Interesse der Betroffenen und der Lebensumwelt eine verbesserte Gegenwart werden soll.
Eine Bewältigung des zu Überwindenden ergibt sich sinnvollerweise im Dialog auf der Grundlage des Austausches von Argumenten. Konsensbildung stellt dabei die Basis nachfolgend zu treffender Handlungen dar. Ohne ein letztendliches Handeln und ein Wirksamwerden des Gebotenen findet letztlich keine problemlösende Entwicklung und keine Wiedergewinnung angestrebter entspannter Verhältnisse statt. Es bedarf schließlich der Bereitschaft, auf andere zuzugehen und im Zuge der Konsensbildung Abstriche bei eigenen Vorstellungen hinzunehmen.
Konsequenzen für politisch Handelnde und das politische Geschehen
Für politisch Handelnde und das politische Geschehen ergeben sich im Zuge der Problemlösungsorientierung eine Reihe von Konsequenzen. Diese Konsequenzen reichen von einer veränderten Grundeinstellung über ein angepasstes individuelles Zugehen auf die gegebenen Problematiken bis hin zu einem veränderten Handeln. Nicht die eigene Profilierung und Macht steht dann im Mittelpunkt, sondern die faktisch vorhandenen Erfordernisse, sowie legitime Interessen, Bedürfnisse und das Gemeinwohl.
Legitime Interessen und Bedürfnisse bestehen bei jedem Einzelnen, bei einzelnen Zielgruppen und ebenso auch bei der Gesamtgesellschaft. Sie alle zu berücksichtigen ist da bei realistischer Betrachtung wohl eher Anspruch als realisierbare Möglichkeit. Und doch erscheint geboten, sich darum zu bemühen, dem Anspruch soweit möglich gerecht zu werden. Dass dies ein fortlaufender Kampf und der Versuch eines Ausgleiches darstellt, sowohl eigenen als auch fremden legitimen Interessen und Bedürfnisse Geltung zu verschaffen, liegt hier wohl auf der Hand.
Gemeinwohlorientierung erfordert insoweit, eigene Interessen und Bedürfnisse als Teilelement einer umfassenden Ausrichtung und Berücksichtigung zu begreifen und damit zu relativieren. Denn individuelles Sein und streben, das auf Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung ausgerichtet ist, lässt sich nur in Rückbindung zu anderen erzielen. Erst in der ehrlichen Begegnung mit diesen wird es gelingen, zum wahren Ich zu kommen. Dies eröffnet die Chance, zukunftsbezogen in positivem Sinne wirksam zu werden.
Zusammenfassung und Ausblick
Heute darf es in Staat, Politik und Gesellschaft angesichts der Dynamik des Wandels und tiefgreifender Veränderungen nicht in erster Linie um Machtorientierung gehen. Es ist die Problembewältigung anzustreben. Letztere zeigt sich als die erforderliche und wahrzunehmende Präferenz, als ein Kennzeichen von Seriosität. Eine traditionelle Machtorientierung, Ideologieausrichtung oder selektive Wahrnehmung von Wirklichkeit kann diesem Erfordernis nicht gerecht werden.
Denn es zählt nicht das Bild, das man sich von den Gegebenheiten macht, sondern die realen Gegebenheiten, die sich erst in ehrlicher Auseinandersetzung mit anderen umfassend erschließen lassen. Letztlich geht es um die Bewältigung von immer wieder neu auftretenden Herausforderungen und Problemen, die einer Einbeziehung fremder Sichtweisen, Kenntnissen und Erfahrungen bedarf. Es geht insoweit um ein Ringen um bestmögliche Lösungen, nicht um die vordringliche Realisierung des eigenen Vorteils.
Ein so gestalteter Blick auf die Erfordernisse legt Konsequenzen nahe, die sich mit veränderter Einstellung, veränderter Herangehensweise und verändertem Verhalten jenseits etablierter Rituale umschreiben lassen. Ausgehend von den real bestehenden Erfordernissen ist sicherzustellen, dass die legitimen Erfordernisse bei allen Teilen der Gesellschaft und das Gemeinwohl Vorrang besitzen, nicht die persönlichen Vorteile und Ansprüche, sowie ideologische Positionen oder Partikularinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppierungen.
Machtstreben erscheint allenfalls dann legitim, wenn es dem Gemeinwohl dient.
Politik in der Pandemie
Pandemien stellen Risiken dar, die es zu bewältigen gilt. Sie treffen uns in der Regel unerwartet und als unliebsame Herausforderungen. In den Ausnahmesituationen hat Politik eine wichtige regulierende Funktion, die sich als Gratwanderung zwischen einzelnen zu berücksichtigenden Zielgrößen darstellt. Unklar sind da nicht nur die erforderlichen Maßnahmen, sondern auch der Zeitpunkt, das Ausmaß und die Verbindlichkeit des Eingreifens. Handlungserfordernis steht da neben fehlendem Wissen und Unvollkommenheit der Beherrschung.
Nachfolgend gehen wir auf jene Ausnahmesituationen ein, die Herausforderungen darstellen. Wir beschäftigen uns mit dem Zielkonflikt zwischen dem Schutz der Menschen und dem Schutz der Freiheit der Menschen. Bei der Bewältigung von Ausnahmesituationen stehen nicht selten globale Regelungen und spezifische regionale Erfordernisse einander gegenüber, die der Klärung bedürfen. Und schließlich bilden Professionalität und Bedarfsorientierung einerseits, sowie Populismus und Showmenship andererseits einen Spannungsbogen, auf den einzugehen ist.
Politik in der Pandemie wurde gerade in diesem Jahr erneut zu einem Thema aufgrund des Ausbruchs des Coronavirus und dessen weltweiter Verbreitung. Da zeigte sich, dass die Einseitigkeit einer vorrangig wirtschaftlichen Betrachtungsweise und jahrzehntelange Versäumnisse bei Vorsorge und Schutz zu einer Verschärfung der Ausgangssituation geführt hat, die zu bewältigen heute verantwortlich Handelnde, Betroffene, Helfende und Gesamtgesellschaft beschäftigt und belasten.
Ausnahmesituationen als Herausforderung
Pandemien stellen Ausnahmesituationen dar, in denen die für den Normalfall konzipierten Vorgehensweisen zu hinterfragen und ggf. zu modifizieren sind. Im Vordergrund muss hier an erster Stelle die Minderung von Risiken stehen. Dies bedeutet vor allem der Schutz von Menschen vor Neuinfektionen und die Versorgung Infizierter.
- Der Schutz vor Neuinfektion und Verbreitung fußt da auf vielfältigen Einzelmaßnahmen. Dazu zählen sowohl die hinreichende Information der Öffentlichkeit, die Vermeidung von Übertragungen, die Isolation Infizierter sowie die intensive Suche nach Impfstoffen.
- Eine Versorgung Infizierter fordert vor allem die einzelnen Einrichtungen des Gesundheitswesens heraus. Dabei ist nicht nur an Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sowie die Vorhaltung erforderlicher technischer Geräte und der Schutz des Personals zu denken.
Bei unsicherer Informationsbasis erscheint ein fortlaufendes Abwägen sowohl medizinischer, wirtschaftlicher und sozialer Aspekte ebenso erforderlich wie die zeitnahe Anpassung von gefahrmindernden Schutzmaßnahmen und mutmachende psychische Begleitung der Betroffenen und Gefährdeten. Insoweit zählen nicht nur Schutz und Versorgung, sondern eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit den veränderten und partiell neuartigen Gegebenheiten innerhalb der Gesellschaft.
Nach dem bedarfsgerechten Ausbau der Schutzeinrichtungen und Maßnahmen steht die Planung des vorsichtigen schrittweisen Ausstiegs aus den zu treffenden Schutzmaßnahmen an. Nicht zu vergessen ist aber auch eine hinreichende Vorsorge gegenüber möglichen weiteren Ausnahmesituationen. Faktisch ergeben sich hier jeweils Gratwanderungen zwischen den einzelnen notwendigerweise zu berücksichtigenden Aspekten. Dabei ist zu bedenken, dass die Bewältigung von Ausnahmesituationen letztlich einen Umgang mit dem noch Unbekannten darstellt.
Zielkonflikt zwischen dem Schutz, Versorgung und Freiheit
Es gehört zum gesellschaftlichen Grundkonsens, dass durch das Gemeinwesen sowohl der Schutz des Menschen und die Versorgung von Opfern, als auch der Schutz der Freiheit der Mitbürger zu gewährleisten ist. Wenn allerdings Schutz, Versorgung und Freiheit im Zwiespalt stehen, dann ergibt sich ein Zielkonflikt, der uns zwingt neu nachzudenken, neu zu entscheiden und angepasst zu handeln, ohne dabei das Fundament des Gemeinwesens zu beschädigen.
Inwieweit Verpflichtungen gerechtfertigt erscheinen, ist abzuwägen mit dem Ausmaß der erforderlich erscheinenden Eingriffe in die Freiheitsrechte der jeweils Einzelnen. Verpflichtungen stellen hier Zwangsmaßnahmen zum Schutze dar, die aus der Sondersituation heraus resultieren. Eingriffe in die Freiheitsrechte des jeweils Einzelnen beschränken letztlich dessen Möglichkeiten, selbstbestimmt personale Identität zu entfalten. Weniger eingreifend erscheinen hier dringliche Empfehlungen und der Versuch zu überzeugen.
Was aber bei unbelehrbaren Gefährdern, bei unzureichendem personenbezogenem Datenschutz und Datensicherheit (Tracing App) oder bei Minderversorgung mit Schutzausrüstungen? Muss hier nicht auch hier fortlaufend entschieden werden und sind nicht Entscheidungen an sich verändernde Einsichten anzupassen? Aus unserer Sicht gilt der Vorrang der Freiwilligkeit gegenüber Vorgaben. Letztere sind wohl die „ultima ratio“ zur Vermeidung eines Rückfalls und Wiederanstiegs der Neuinfektionen. Vorgaben sind da auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken.
Globale Regelungen und regionale Differenzierung
In der Krise stehen globale Regelungen gegen eine regionale Differenzierung. Globalität bietet wünschenswerte Klarheit und Raschheit bei den Entscheidungen, die Differenzierung hingegen eine Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten, der Versorgungskapazität, Ideenreichtum und Vielfalt. Beide Vorgehensweisen bieten letztlich Vor- als auch Nachteile und wir sehen dies bei Betrachtung der Vorgehensweisen in unterschiedlichen Ländern. Angesichts der gegebenen Ungewissheit erscheint da ein vorsichtiges Vorantasten angezeigt.
Schrittweise gewonnene Erfahrungswerte werden hier handlungsleitend wirksam. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Verhältnisse vor Ort erscheint es angezeigt, durch globale Rahmenregelungen für die Allgemeinheit erforderliche Klarheit zu schaffen, gleichzeitig aber im Interesse der Betroffenen und des Gemeinwesens an die konkreten Gegebenheiten angepasste Modifikationen zuzulassen. Die zu treffenden Entscheidungen wird man immer wieder hinreichend begründen und kommunizieren müssen.
Das bereits angesprochene Herantasten an die angemessene Bewältigung gilt auch hier. Letztendlich entscheidend müssen fachliche Überlegungen sein, die zusammenzutragen und zu gewichten sind. Dies nimmt nichts von der Aufgabe der Politik, erforderliche Entscheidungen zu treffen und damit den einzuschlagenden Weg vorzugeben. Um den rechten Weg zu finden bedarf es da eines Austausches von Argumenten und eines ehrlichen Ringens, das ergebnisoffen geschehen sollte.
Professionalität und Bedarfsorientierung wider Populismus und Showmenship
Beim Treffen erforderlicher Maßnahmen stehen Professionalität und Bedarfsorientierung gegen Populismus und Showmenship. Professionalität und Bedarfsorientierung orientieren sich am fachlich Gebotenen, Populismus und Showmenship favorisiert demgegenüber eine Ausrichtung an dem was erwünscht erscheint und Zustimmung bringt. Ersteres kann für sich eine langfristig angelegte Seriosität in Anspruch nehmen, letzteres eine allenfalls kurzfristig wirksame manipulative Eindruckslenkung.
In der jeweiligen individuellen und gesellschaftlichen Orientierung kommen differierende Kulturen, aber auch ein abweichendes Ausmaß an Sicherheitsstreben und Arglosigkeit zum Ausdruck. So gehen Länder wie Südkorea und Schweden unterschiedliche Wege und Deutschland liegt bei den getroffenen Maßnahmen im Vergleich dazu im Mittelfeld. Bei aller Unsicherheit erscheint es müßig, rechthaberisch vorzugehen. Letztendlich wird sich erst beim erzielten Ergebnis zeigen, welcher Weg Erfolg für sich in Anspruch nehmen kann.
Abrundend steht die Frage im Raum: Lernen wir Menschen nur etwas aus Schaden und vorhandenen Krisen und geht es nach Überwindung der aktuellen Herausforderung einfach so weiter wie vor der Pandemie? Was zählt ist da wohl ein verantwortungsbewusstes Handeln und nicht eine Fülle an mehr oder weniger plausiblen Statements über Presse, Funk, Fernsehen und sonstige Medien. Dem Betrachter drängt sich der Eindruck auf: Es ist alles schon gesagt was aktuell gesagt werden kann, nur noch nicht von jedem.
Zusammmenfassung
Pandemien stellen Ausnahmesituationen dar, mit denen umzugehen auch in den Zuständigkeitsbereich der Politik fällt. Der Schutz der Bevölkerung und die Versorgung von Infizierten sind dabei zentrale Herausforderungen. Erst in einer späteren Phase zählen die Schaffung eines vertretbaren Ausstiegsscenarios und die Beseitigung nicht vorrangiger Versäumnissen. Es gilt Kompetenz und Erfahrung zu bündeln und Maßnahmen den wachsenden Erkenntnissen anzupassen.
Zwischen dem Schutz und der Versorgung einerseits und der Bewahrung der individuellen Freiheit kann sich real ein Zielkonflikt ergeben. Bei zu treffenden Maßnahmen ist die Schaffung von Einsicht und Überzeugung verpflichtenden Vorgaben vorzuziehen. Auch zwischen globalen Regelungen und gebotener regionaler Differenzierung gilt es Einvernehmen herzustellen. Letztlich stehen nicht zuletzt Professionalität und Bedarfsorientierung einem Populismus und einer Eindruckslenkung entgegen.
So bedarf es wohl eines argumentativen Ringens um bestmögliche Bewältigungsstrategien, nicht um eine exzessive Selbstdarstellung, um Imagepflege und eines blinden Aktionismus. Erhöhter Einsatz zur Überwindung von Ausnahmesituationen zeugt da von wahrgenommenem Verantwortungsbewusstsein. Erst nach Bewältigung der Herausforderungen in einem schrittweisen Prozess wird sich beurteilen lassen, inwieweit die getroffenen Maßnahmen hilfreich waren und was aus dem zurückgelegten Prozess der Problemlösung gelernt werden kann.
Essentiell erscheinen Vernunft, Vorsicht und Geduld, sowie die Gewährleistung von Hygiene und die Vermeidung von Überforderung.
Einseitigkeit des Denkens und Handelns als Problem
Die Einseitigkeit des Denkens und Handelns ist ein grundlegendes Problem. Verengt sich doch die hier maßgebliche Sicht auf die Gegebenheiten und werden die in die Überlegungen einbezogenen Faktoren über das gebotene Maß hinaus eingeschränkt. Eine reduzierte Auswahl an wahrgenommenen Handlungsalternativen schafft dafür aber die Gefahr einer Fehlorientierung mit den damit verbundenen negativen Konsequenzen. Einseitigkeit beinhaltet somit ein zu vermeidendes Gefährdungspotential.
Einseitigkeit von Denken und Handeln kann in allen Bereichen des menschlichen Lebens geschehen – von der privaten über die familiäre Sphäre bis hin zum Zusammenleben in größeren sozialen Gebilden, zu Wirtschaft, Staat, Gesellschaft und nationenübergreifenden Einrichtungen. Eine selektive Wahrnehmung und Voreingenommenheit gehen hier einher mit einer Abwehrhaltung gegen abweichende Sichtweisen und Argumenten, die nicht in das festgefügte Schema passen.
Im Rahmen unserer Überlegungen zur Einseitigkeit des Denkens und Handelns gehen wir nachfolgend auf den Wesenskern von Einseitigkeit ein, betrachten Einseitigkeit als ernstzunehmendes Problem und bemühen uns darum, die gebotene Überwindung der Einseitigkeit zu begründen. Damit unternehmen wir nicht nur den Versuch, das Bewusstsein zu schärfen, sondern auch der durch das Phänomen bestehenden Gefahr aktiv vorzubeugen, also proaktiv tätig zu werden.
Einseitigkeit versus Mehr- oder Vielseitigkeit
Unter Einseitigkeit verstehen wir den „Zustand, dass etwas nur für eine Seite gilt oder (was für uns maßgeblich ist) nur aus einer Sichtweise betrachtet wird“. Die Einseitigkeit bildet damit einen Gegensatz zur Mehr- oder Vielseitigkeit (https://www.wortbedeutung.info/Einseitigkeit/). Denn
- Einseitigkeit lässt nur den Blick aus einer Perspektive auf die Gegebenheiten zu und negiert damit die Möglichkeit, dass der Blick aus anderer Sicht ergänzende Erkenntnisse beitragen kann.
- Mehr- oder Vielseitigkeit geht demgegenüber davon aus, dass erst eine Gesamtsicht hinreichende Informationen bietet und damit die Chance erhöht, bestmögliche Ergebnissen zu erzielen.
Im Bereich der Wirtschaft verknüpft sich Einseitigkeit zumeist mit der Ausrichtung auf rein ökonomische Gesichtspunkte, auf Erfolgserwirtschaftung bis hin zur Gewinnmaximierung. Dabei wird übersehen, dass diese Ausrichtung ohne Berücksichtigung jener Faktoren nicht zum Ziele führt, die Voraussetzungen für die gewählte Ausrichtung bilden. Zu denken ist hier in erster Linie sowohl an soziale Aspekte, aber auch an den Schutz und die Bewahrung der Natur als unabdingbare Lebensgrundlage.
Die Einseitigkeit einer rein wirtschaftlichen Ausrichtung setzt auf die Minimierung des Ressourceneinsatzes und auf die Maximierung des erzielbaren Gewinns. Dabei geht die einseitige Orientierung von bisherigen Erfahrungen aus, sieht allenfalls eine Sicherheitsmarge vor, nicht aber von bisherigen Erfahrungen abweichende Entwicklungen. Wie wir immer wieder erkennen müssen, lassen sich aber unvorhergesehen Entwicklungen nicht gänzlich ausschliessen. Ganzheitliche Betrachtungsweisen bieten hier eine erhöhtes Maß an Sicherheit.
Einseitigkeit als Problem
Einseitigkeit des Denkens und Handelns ist ein reales Problem, auch wenn dies von Verfechtern einseitiger Betrachtungsweisen und risikobehafteter Vorgehensweisen verkannt oder verdrängt wird. Da stellt sich uns die Frage nach der vertretbaren Risikotoleranz und dem möglichen Schadensumfang. Unseres Erachtens gilt, dass Risikotoleranz in Beziehung zu setzen ist mit dem Umfang des möglichen Schadens bei Eintritt des Risikos. So zählt, was rational betrachtet letztlich verantwortbar erscheint.
Mit dem Problem erhöhter Risiken durch Einseitigkeit des Denkens und Handeln umzugehen, stellt sich als eine permanente Gratwanderung dar, die ein fortlaufendes Abwägen erfordert. Problematisch erscheint hier der zu betreibende Aufwand und dessen Verhältnis zum schließlich erzielten Effekt.
- Ein zu geringer Aufwand, der bei Einseitigkeit zu vermuten ist, erhöht letztlich das Risiko negativer Konsequenzen.
- Eine angemessene Auseinandersetzung stellt den temporär realisierbaren und immer wieder neu anzustrebenden Idealfall dar.
- Ein zu hoher Aufwand schränkt die Flexibilität und Dynamik ein, den Erfordernissen der Zeit hinreichend Rechnung zu tragen.
Handeln steht letztlich in einem Abhängigkeitsverhältnis zum vorgelagerten Denken. Die Einseitigkeit des Denkens führt insoweit zu einer Einseitigkeit des Handelns mit den entsprechenden problematischen Folgewirkungen. Im Bereich der Wirtschaft zeigt sich durch Einseitigkeit klar die Problematik der drohenden Unangemessenheit des Handelns. Schäden drohen da vor allem im sozialen Bereich und im Bereich des Schutzes der Lebensumwelt. Uns erscheint es dem gegenüber geboten, den Dreiklang einer Realisierung ökonomischer Interessen, der Wahrnehmung sozialer Verantwortung und den Schutz der Natur zu gewährleisten.
Überwindung der Einseitigkeit als Notwendigkeit
Aus Sicht wahrgenommener Verantwortung und der Gewährleistung eines angemessenen Beitrages zur Evolution erscheint die Überwindung von Einseitigkeit als eine grundlegende Notwendigkeit, denn Mehr- oder Vielseitigkeit stellt gegenüber der Einseitigkeit eine echte Bereicherung dar, die Chancen erhöht und Risiken mindert. Die Überwindung der Einseitigkeit schafft damit im Rahmen langfristiger Ausrichtung eine zukunftsbezogene Offenheit, hinreichende Flexibilität und Schutz bietende Gefahrenabwehr.
Einseitigkeit des Denkens und Handelns folgt einem statischen Modell. Dieses weise in einer Zeit dynamischer Entwicklung unübersehbare Schwächen auf. Es lässt den Gleichklang und die Übereinstimmung mit den sich vollziehenden Veränderungen und ein bestmögliches Ringen um Lösungen vermissen. Letztlich führt Einseitigkeit im Ergebnis zur Minderung der Konkurrenzfähigkeit. Diese zu gewährleisten erscheint aber als unabdingbare Voraussetzung für den fortdauernden Erfolg.
Wer also wirtschaftlichen Erfolg erzielen will, der ist gehalten, Ideen, Kompetenzen und Erfahrungen im Ringen um tragfähige Antworten einzubeziehen. Er ist gehalten, der Eindimensionalität des Denkens und Handelns eine Absage zu erteilen und dadurch Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten. Die Weitung des Blicks über den Tellerrand und die eigene Beschränktheit hinaus wird damit zu einem erfolgsbegünstigenden Phänomen, zu einer Notwendigkeit, auf die gerade heute nicht verzichtet werden kann.
Zusammenfassung
Aus heutiger Sicht stellt die Einseitigkeit des Denkens und Handelns ein Problem dar, denn die Betrachtung der Gegebenheiten auf nur eine Sichtweise vernachlässigt die davon abweichenden Gesichtspunkte und lässt im Rahmen zu treffender Entscheidungen und zu realisierender Maßnahmen eine ganzheitliche Auseinandersetzung vermissen. Mehr- oder Vielseitigkeit erweitert demgegenüber den Blick, berücksichtigt zusätzliche Aspekte, begünstigt Angemessenheit und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit.
Einseitigkeit als Problem wird im Bereich der Wirtschaft beispielsweise dadurch deutlich, dass zwar ökonomischer Erfolg angestrebt wird, dabei allerdings die diesen Erfolg ermöglichenden Voraussetzungen als nachgelagert betrachtet werden. Ohne Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte und der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen wird langfristig Gewinnerwirtschaftung nicht realisierbar sein. Erforderliche Offenheit, Flexibilität, Gefahrenabwehr und Gerechtigkeit werden wohl erst im Rahmen einer Mehr- oder Vielseitigkeit des Denkens und Handelns hinreichend erzielt.
Insoweit gilt es, die Einseitigkeit – nicht zuletzt auch aus Sicht von Ethik und Moral – zu überwinden. Mit einem eingeschränkten Handlungskonzept wird man in einer sich dynamisch entwickelnden Lebensumwelt wohl kaum den bestehenden Erfordernissen hinreichend Rechnung tragen können. Die gebotene Sicherung von Konkurrenz- und Zukunftsfähigkeit muss auch dem primär wirtschaftlich denkenden und handelnden Menschen aus rationaler Sicht einsichtig sein.
Einseitigkeit Mehr- oder Vielseitigkeit
Abb.2: Einseitigkeit vs. Mehr- oder Vielseitigkeit
Neoliberalismus als fragwürdige Leitlinie
In den letzten Jahrzehnten gewann in der Bundesrepublik Deutschland – ausgehend von anderen Ländern – Neoliberalismus an Bedeutung. Ihn zeitweise zu einer Leitlinie für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu postulieren brachte einen Kurswechsel mit sich, der sowohl Vor- als auch Nachteile in sich barg. Eine mit dem Konzept verbundene erweiterte Freiheit bietet in der Tat Handelnden zusätzliche Handlungsmöglichkeiten, trägt ebenso aber auch die Gefahr eines Missbrauchs der Freiheit in sich.
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