Dienst und Herrschaft in Roberts Walsers "Jakob von Gunten"


Hausarbeit, 2007

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Nichtsseins als Tugend: Zu Walsers ‚Dieneridee’

3 Hochmut, Stolz und umgestülpter Aristokratismus

4 Umwertung und Umwertung der Umwertung der Werte?

5 Schlussbetrachtungen

6 Bibliographie
6.1 Quellen
6.2 Sekundärliteratur

1 Einleitung

„Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“, heißt es in Johann Wolfgang von Goethes ‚ Wilhelm Meisters Lehrjahre[1] ’. Das Bildungskonzept, welches Robert Walser in seinem 1909 erschienenen Lieblingsroman ‚ Jakob von Gunten- ein Tagebuch ’ vermittelt, ist ein anderes.

Während im klassischen Bildungsroman der Protagonist durch Begegnung mit der Welt zu sich selbst findet, gelangt Jakob von Gunten nur durch Isolation von der Welt und durch Unterdrückung seines Bewusstseins und seiner Begierden zu sich selbst. Dieter Borchmeyer spricht in diesem Zusammenhang von einer „satirischen Pervertierung des traditionellen Bildungsbegriffs“[2]. Es ist die Rede von einer Parodie auf den klassischen Bildungsroman, von einem Anti-Bildungsroman.

Das Institut Benjamenta, in welchem Jakob eine Ausbildung zum Diener absolviert, ist gekennzeichnet durch seine Abgeschiedenheit von der Welt, von seiner Weltfremdheit. Seine obersten Grundsätze sind „Geduld und Gehorsam“[3], welche auf ein Leben in „Armut und Abhängigkeit“[4] vorbereiten sollen. Im Vordergrund stehen „innere Erfolge“[5]: Ziel der Ausbildung ist die Kleinheit „bis hinunter zur Nichtswürdigkeit“[6].

Diese ‚Idee des Kleinseins’, welche die Zöglinge des Instituts vollkommen beherrscht, gilt bei Kil-Pyo Hong als Grundidee Walsers. Er bezeichnet sie als „Angelpunkt seiner Dichtung und Poetik“[7]. Auch Borchmeyer vertritt die Ansicht, dass diese Haltung des Dienens und der Nichtswürdigkeit für den Schriftsteller zu „fixen Idee“[8] geworden sei.

Robert Walser selbst absolvierte im Spätsommer 1905 in Berlin einen Kurs zur Ausbildung als Diener und arbeitete als solcher[9] im Herbst 1905 einige Monate auf Schloss Dambrau in Oberschlesien. Die Thematik des Dienens durchzieht sein gesamtes Werk[10] ; besonders deutlich wird sie allerdings im ‚Jakob von Gunten’.

Im Folgenden sollen das Institut Benjamenta und dessen Zielsetzung näher vorgestellt und die ‚Dieneridee’ Walsers mit dem tradierten Bildungsbegriff verglichen werden. In diesem Zusammenhang wird auch Walsers Gesellschaftskritik Erörterung finden.

Weiterer Gegenstand dieser Untersuchung werden die Selbsterziehungspläne des Protagonisten Jakob von Gunten und die damit verbundene Problematik seines Stolzes sein. Außerdem wird eine Gegenüberstellung von Walsers Roman mit der Philosophie des Übermenschen von Friedrich Nietzsche stattfinden, die mit der Frage nach der Massenkompatibilität von inszenierter Demut als Lebenskonzept abschließt.

2 Das Nichtsseins als Tugend: Zu Walsers ‚Dieneridee’

Tätigkeiten, welche eine Dienerschule üblicherweise lehrt[11] und wie sie, zum Beispiel, auch Simon Tanner (in ‚ Geschwister Tanner[12] ) für kurze Zeit bei einer Dame ausführt, werden im Institut Benjamenta[13] nicht vermittelt.

Von Bedeutung im Institut sind, wie bereits in der Einleitung erwähnt, „innere Erfolge“[14], „Geduld und Gehorsam“[15], „Armut und Abhängigkeit“[16].

Während auf üblichen Schulen die Erweiterung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Vordergrund steht, hat der Schüler im Institut Benjamenta „fast gar keine Aufgaben“[17], ihm werden „keine Kenntnisse“[18] vermittelt und der Unterricht besteht aus der ständigen Wiederholung der Übung „Wie hat sich der Knabe zu benehmen?“[19]. Ziel seiner ‚Ausbildung’ sind das Nichtswissen, das Nichtstun, die vollkommene Gedankenlosigkeit. Eine „reizende, kugelrunde Null“[20], „etwas Kleines, Untergeordnetes“[21] soll der Schüler im späteren Leben werden.

Das im Institut vermittelte Bildungskonzept läuft somit allen klassischen Definitionen von Bildung entgegen. Einerseits erfüllt es nicht die im Alltagsdenken verankerten Vorstellungen von Bildung als Belehrung oder Wissensvermittlung, anderseits widersetzt es sich der Idee von Bildung als Wesensverwirklichung des Menschen, als Vervollkommnung der Individualität, wie Wilhelm von Humboldt sie prägte. Im Gegensatz fordert dieses Konzept ein Auslöschen aller persönlichen Regungen, Begierden, allen Bewusstseins überhaupt. Also weder die Ausbildung des Menschen für bestimmte Funktionen in der Gesellschaft, noch die Anregung seiner Kräfte, damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen, sind in diesem Zusammenhang von Belang. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass das Institut Benjamenta derartigen Formen der Entwicklung entgegenzuwirken versucht. „Man will uns vielleicht verdummen“[22], bemerkt Jakob einmal beiläufig in einer durchaus unironischen Hymne auf Dummheit und Armut. Dass er bei dem Gedanken „nie, nie irgendetwas Großes“ zu sein, „vor eigentümlicher Genugtuung“ zittert, bringt seinen Wunsch, sich in dieses negative, asketische Bildungskonzept zu fügen, deutlich zum Ausdruck. Dieses Konzept behält immer das „feste, gute Ganze“[23] im Auge. Es beschränkt sich auf eine Art existentiellen Kern, welcher dem Musterschüler Kraus, ebenfalls Zögling im Institut Benjamenta, bereits innewohnt: Es „ruht etwas in ihm, und er, er ruht und beruht auf etwas“[24]. Dieses ‚Etwas’, auf das Kraus beruht, wird Jakob fernerhin als Bildung bezeichnen und Kraus, den er als sein Vorbild ausgibt, verkörpert für ihn die dazugehörige Bildungsidee. Jakob selbst sagt von Kraus: „An ihm sieht man so recht, was das Wort Bildung eigentlich bedeutet.“[25]

Im Einzelnen sind es folgende Kriterien, die Kraus für Jakob zum echten „Gott-Werk“, zum „Nichts“, zum „Diener“[26] machen:

- „Er wird nie jemanden hintergehen oder verleumden, nun, das vor allen Dingen, dieses Nicht-Schwatzhafte, nenne ich Bildung.“[27]
- „Kraus kennt wenig, aber er ist nie, nie gedankenlos, er unterwirft sich immer gewissen selbstgestellten Geboten, und das nenne ich Bildung.“[28]
- „Was an einem Menschen liebevoll und gedankenvoll ist, das ist Bildung.“[29]

Jakob erklärt Kraus jedoch nicht nur zum Inbegriff von Bildung und macht ihn auf diese Weise zur Richtschnur für seinen eigenen Werdegang, er schreibt seinem Mitschüler auch beste Zukunftsaussichten zu: „Er wird ein ganz wundervoller Diener sein, denn nicht nur sein Äußeres passt zu diesem Beruf der Demut und des Entgegenkommens, nein, auch die Seele, die ganze Natur, das ganz menschliche Wesen meines Kameraden hat etwas im allerbesten Sinn Dienerhaftes.“[30]

Kraus vermittelt das „Bild [eines] rechtlichen, ganz, ganz eintönigen, einsilbigen und eindeutigen Wesens“[31], er „ist gar nichts“[32], „liebt und hasst nichts“[33]. Doch gerade diese Eigenschaften befähigen ihn, die fehlende Möglichkeit von aktiver Betätigung im Institut, die fehlenden Aufgaben- „fast gar keine Aufgaben“[34] - für sich zu nutzen: „Man kann immer, wenn nicht nach außen, so doch wenigstens nach innen, ein wenig tätig sein, man kann murmeln.“[35] In diesem Ausspruch Kraus’ zeigt sich ein weiterer zentraler Aspekt der ‚Ausbildung’ der Eleven in der Dienerschule Benjamenta: Das Nichtstuns und die Notwendigkeit dennoch Haltung zu bewahren. Die damit verbundene Anstrengung erkennt auch Jakob: „Nichtstun und dennoch Haltung beobachten, das fordert Energie, der Schaffende hat es leicht dagegen“[36]

Standhaftigkeit im Nichtstun zu beweisen, könnte als eine der Maximen von Walsers ‚Dieneridee’ gelten. Auch an anderen Stellen seines literarischen Werkes kommt dieser Entwurf deutlich zum Ausdruck: „Auch das Nichtstun ist ein Metier“ heißt es, zum Beispiel, in Walsers Dramolett ‚ Der Taugenichts ’ (1922). „Es stellt sehr viele Anforderungen. Nüchterne und fleißige Leute haben davon keine Ahnung.“ (Borchmeyer, 31f.) In dem Prosastück ‚ An den Bruder ’ schreibt er: „Ich bin ungemein energisch im Gehenlassen und Nichtstun.“[37]

[...]


[1] Goethe, Johann Wolfgang: „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ ’ Stuttgart: Reclam, 1982

[2] Borchmeyer, Dieter: „Dienst und Herrschaft. Ein Versuch über Robert Walser“. Tübingen: Max Niemeyer, 1980. Seite 28

[3] Walser, Robert: „Jakob von Gunten. Ein Tagebuch.“ Hrsg. von Jochen Greven. Zürich, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985. Seite 7

[4] ebd.: Seite 8

[5] ebd.: Seite 7

[6] ebd.: Seite 8

[7] Hong, Kil-Pyo: „Selbstreflexion von Modernität in Robert Walsers Romanen „Geschwister Tanner“, „Der Gehülfe“ und „Jakob von Gunten“. Würzburg, Königshausen& Neumann, 2002. Seite174

[8] Borchmeyer, Dieter: „Dienst und Herrschaft. Ein Versuch über Robert Walser“. Tübingen: Max Niemeyer, 1980. Seite 8

[9] Unter dem Namen ‚Monsieur Robert’

[10] Weitere Texte Walsers, die das Dienen zur Thematik haben, sind, zum Beispiel, die Erzählungen ‚ Tobold ’ und ‚ Aus Tobolds Leben ’, beide 1917 erschienen, und die Prosastücke ‚ Jean, Ein Lakai ’ und ‚ Der junge Diener ’ aus den 20er Jahren

[11] Neben der Unterweisung in diverse Tätigkeiten, welche ein Diener auszuüben hat (Vorlegen, Reinigen und Bügeln der Kleidung, Rasur, Frisur, Maniküre, Bedienen bei Tafel, Empfang der Gäste, Einkauf, diverse Botengänge, zum Teil Putzen, Waschen, Kochen und gegebenenfalls die Haushaltsführung als so genannter ‚Wirtschafter’), werden die Schüler einer Dienerschule vorbereitet auf das Leben als abhängig Arbeitender mit einem Arbeitstag von üblicherweise 17 oder mehr Stunden. Des Weiteren werden wichtige Eigenschaften wie das Einhalten der Etikette, Höflichkeit, Treue, Aufrichtigkeit, Diskretion und Unterwürfigkeit vermittelt.

[12] Walser, Robert: „Geschwister Tanner“ Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997

[13] Das Institut Benjamenta bezieht seinen Namen von Benjamin, dem jüngsten Sohn Jakobs, benannt nach dem kleinsten der zwölf Stämme Israels

[14] Walser, Robert: „Jakob von Gunten. Ein Tagebuch.“ Hrsg. von Jochen Greven. Zürich, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985. Seite 7

[15] ebd.

[16] ebd.: Seite 8

[17] ebd.

[18] ebd.: Seite 9

[19] ebd.

[20] Ebd.: Seite 8

[21] ebd.: Seite 7

[22] Walser, Robert: „Jakob von Gunten. Ein Tagebuch.“ Hrsg. von Jochen Greven. Zürich, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985. Seite 64

[23] ebd.: Seite 79

[24] ebd.

[25] ebd.

[26] ebd.: Seite 81

[27] ebd.: Seite 79

[28] ebd.: Seite 80

[29] Walser, Robert: „Jakob von Gunten. Ein Tagebuch.“ Hrsg. von Jochen Greven. Zürich, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985. Seite 80

[30] ebd.: Seite 31

[31] ebd.: Seite 82

[32] ebd.: Seite 121

[33] ebd.: Seite 140

[34] ebd.: Seite 8

[35] Kraus. Ebd.: Seite 86

[36] ebd.: Seite 71

[37] Borchmeyer, Dieter: „Dienst und Herrschaft. Ein Versuch über Robert Walser“. Tübingen: Max Niemeyer, 1980. Seite 32

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Dienst und Herrschaft in Roberts Walsers "Jakob von Gunten"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V86311
ISBN (eBook)
9783638018135
ISBN (Buch)
9783638920735
Dateigröße
465 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dienst, Herrschaft, Roberts, Walsers, Jakob, Gunten
Arbeit zitieren
Carolin Catharina Wolf (Autor:in), 2007, Dienst und Herrschaft in Roberts Walsers "Jakob von Gunten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86311

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