„Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“, heißt es in Johann Wolfgang von Goethes ‚Wilhelm Meisters Lehrjahre ’. Das Bildungskonzept, welches Robert Walser in seinem 1909 erschienenen Lieblingsroman ‚Jakob von Gunten- ein Tagebuch’ vermittelt, ist ein anderes.
Während im klassischen Bildungsroman der Protagonist durch Begegnung mit der Welt zu sich selbst findet, gelangt Jakob von Gunten nur durch Isolation von der Welt und durch Unterdrückung seines Bewusstseins und seiner Begierden zu sich selbst. Dieter Borchmeyer spricht in diesem Zusammenhang von einer „satirischen Pervertierung des traditionellen Bildungsbegriffs“ . Es ist die Rede von einer Parodie auf den klassischen Bildungsroman, von einem Anti-Bildungsroman.
Das Institut Benjamenta, in welchem Jakob eine Ausbildung zum Diener absolviert, ist gekennzeichnet durch seine Abgeschiedenheit von der Welt, von seiner Weltfremdheit. Seine obersten Grundsätze sind „Geduld und Gehorsam“ , welche auf ein Leben in „Armut und Abhängigkeit“ vorbereiten sollen. Im Vordergrund stehen „innere Erfolge“ : Ziel der Ausbildung ist die Kleinheit „bis hinunter zur Nichtswürdigkeit“ .
Diese ‚Idee des Kleinseins’, welche die Zöglinge des Instituts vollkommen beherrscht, gilt bei Kil-Pyo Hong als Grundidee Walsers. Er bezeichnet sie als „Angelpunkt seiner Dichtung und Poetik“ . Auch Borchmeyer vertritt die Ansicht, dass diese Haltung des Dienens und der Nichtswürdigkeit für den Schriftsteller zu „fixen Idee“ geworden sei.
Robert Walser selbst absolvierte im Spätsommer 1905 in Berlin einen Kurs zur Ausbildung als Diener und arbeitete als solcher im Herbst 1905 einige Monate auf Schloss Dambrau in Oberschlesien. Die Thematik des Dienens durchzieht sein gesamtes Werk ; besonders deutlich wird sie allerdings im ‚Jakob von Gunten’.
Im Folgenden sollen das Institut Benjamenta und dessen Zielsetzung näher vorgestellt und die ‚Dieneridee’ Walsers mit dem tradierten Bildungsbegriff verglichen werden. In diesem Zusammenhang wird auch Walsers Gesellschaftskritik Erörterung finden.
Weiterer Gegenstand dieser Untersuchung werden die Selbsterziehungspläne des Protagonisten Jakob von Gunten und die damit verbundene Problematik seines Stolzes sein. Außerdem wird eine Gegenüberstellung von Walsers Roman mit der Philosophie des Übermenschen von Friedrich Nietzsche stattfinden, die mit der Frage nach der Massenkompatibilität von inszenierter Demut als Lebenskonzept abschließt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung.
- Das Nichtsseins als Tugend: Zu Walsers, Dieneridee'.
- Hochmut, Stolz und umgestülpter Aristokratismus
- Umwertung und Umwertung der Umwertung der Werte?.
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Robert Walsers Roman "Jakob von Gunten" und analysiert die darin dargestellte Dieneridee im Kontext des klassischen Bildungsromans. Die Arbeit untersucht die Eigenheiten des Instituts Benjamenta und deren Zielsetzung im Vergleich zu traditionellen Bildungskonzepten.
- Das Konzept des Nichtsseins als Tugend im Roman
- Walsers Gesellschaftskritik und die Rolle des Dieners
- Die Problematik des Stolzes in Jakobs Selbsterziehung
- Vergleich mit Nietzsches Philosophie des Übermenschen
- Die Frage nach der Massenkompatibilität von inszenierter Demut als Lebenskonzept
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt das Bildungskonzept von Robert Walser in "Jakob von Gunten" vor und vergleicht es mit dem klassischen Bildungsroman. Die Arbeit untersucht die satirische Pervertierung des traditionellen Bildungsbegriffs im Roman und die Rolle des Instituts Benjamenta, das die Schüler auf ein Leben in Armut und Abhängigkeit vorbereitet.
- Das Nichtsseins als Tugend: Zu Walsers, Dieneridee': Dieses Kapitel analysiert die im Institut Benjamenta vermittelte Bildungsidee, die auf das Nichtswissen, das Nichtstun und die vollkommene Gedankenlosigkeit abzielt. Der Roman zeigt, wie das Konzept des Dienens und der Nichtswürdigkeit als "fixe Idee" bei Walser erscheint.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf Schlüsselwörter wie Bildungsroman, Dieneridee, Nichtssein, Gesellschaftskritik, Stolz, Selbsterziehung, Nietzsche, Übermensch und Massenkompatibilität. Diese Begriffe bilden die Grundlage für die Analyse von Robert Walsers "Jakob von Gunten" und dessen satirischen Umgang mit den Themen Bildung, Dienst und Herrschaft.
- Citation du texte
- Carolin Catharina Wolf (Auteur), 2007, Dienst und Herrschaft in Roberts Walsers "Jakob von Gunten", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86311