Demokratische Bildung in der Diskussion. Das Sudbury-Schulkonzept


Magisterarbeit, 2006

91 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Demokratische Bildung, wie sie an Sudbury-Schulen praktiziert wird
2.1 Demokratie - Versuch einer Annäherung
2.2 Die Säulen der demokratischen Bildung
2.3 Wie demokratisch sind Sudbury-Schulen ?
2.4 „Schola semper reformanda“
2.5 Die Grundfesten des Lernens
2.5.1 Informelles und formales Lernen
2.6 Diskrepanzen zwischen Regelschule und Alternativschule und der in Sudbury-Schulen praktizierten demokratischen Idee
2.7 Demokratische Bildung basiert nicht auf neuen Ideen. Das demokratische Erbe der Reformpädagogik

3 Was liegt dieser Bildungsform zugrunde und welche Anliegen hat sie?
3.1 Menschenbild und eine andere Sicht auf das Lernen
3.2 Die Furcht vor der Freiheit. Vorbehalte und Chancen im Zusammenhang mit demokratischer Freiheit
3.3 Demokratische Bildung und Leistung
3.4 Demokratische Bildung und Verplanungs- bzw Pädagogisierungstendenzen in der Gesellschaft
3.5 Demokratische Bildung und Überlegungen zu Gehorsam und Ungehorsam bzw. Konformität
3.6 Demokratisches Lernen und Umgang mit Konflikten Konflikterfahrungen in der Sozialisation

4 Forderungen an die schulische (Aus-)Bildung
4.1 Was erwartet unsere Kinder in 20 Jahren?
4.2 Kompatibilität des Konzeptes mit Forderungen an Zukunftsfähigkeit
4.3 Was ist aus solchen Schülern geworden

5 Grenzen dieser Bildungsform
5.1 Schwierigkeiten mit demokratischen Prozessen
5.1.1 demokratische Schulen & Deutschland: eine schwierige Beziehung
5.2 Ergebnisse so genannter demokratischer Schulen
5.3 Grenzen demokratischer Bildung

6 Konklusion

Literatur- und Quellenverzeichnis

1 Einleitung

Seit langer Zeit beschäftigt sich die Gesellschaft mit der Erziehung ihrer Kinder.

Welche Erziehung ist die Richtige? Was soll mit Erziehung eigentlich erreicht wer- den? Was braucht die Gesellschaft? Was braucht der Einzelne? Wer darf eine The- menauswahl des Lernens überhaupt festlegen bzw. wer entscheidet das und wie? Kann es einen allgemein gültigen Kanon des Lernens überhaupt geben? Wie müssen wir unsere Kinder vorbereiten, damit sie den Anforderungen des erwachsenen Le- bens standhalten können bzw. erfolgreich sein können? Was heißt eigentlich Erfolg in diesem Zusammenhang? Und inwieweit dürfen wir die Gegenwart, das Glück des Kindes an jedem einzelnen Tag, für die Vorbereitung auf eine ungewisse Zukunft opfern? (vgl. Korczak, 1967, S. 40).

Dabei können wir uns nicht einmal sicher sein, ob unsere Anschauungen die Richti- gen sind und sich als zukunftsfähig erweisen. Vor diesem Hintergrund fragt Oelkers nicht nur: „ Müssen wir erziehen?, sondern: Können wir erziehen?“ (1990, S. 6, Herv. v. Verf.). Könnte Bildung und Erziehung ohne einen für alle gültigen übergeordneten Plan, ohne offenes oder verstecktes Curriculum, ohne Motivation oder Anleitung durch professionelle Erwachsene usw. möglich sein bzw. welche Ergebnisse kann eine solche Bildungsform bringen und für wen?

Kann selbstbestimmte Bildung in Anbetracht der Tatsache, dass Menschen, Umwelt und Kultur immer aufeinander einwirken, überhaupt realistisch sein? Kann es also so etwas wie Selbstbestimmung in der Bildung überhaupt geben oder schließen sich Selbstbestimmung und Beeinflussung in irgendeiner Weise aus? In diesem Sinne will ich mich in dieser Magisterarbeit mit der Idee der demokratischen Bildung, wie sie an Sudbury-Schulen praktiziert wird, befassen. SudburySchulen orientieren sich am Vorbild der Sudbury-Valley-Schule, die 1968 in Massachusetts in den USA von einer Gruppe Eltern gegründet wurde.

Wenn ich im Folgenden von demokratischer Bildung spreche, beziehe ich mich vornehmlich auf die Art der demokratischen Bildung, wie sie im Sudbury-Konzept verstanden ist. Einige Beispiele, die ich näher kennzeichnen werde, beziehen sich auf andere demokratische Schulen.

Demokratische Bildungsvertreter haben grundsätzlich den Anspruch ein Bildungs- konzept zu verwirklichen, dass mit der demokratischen Gesellschaftsform direkt- kompatibel ist. Ihrer Meinung nach kann und darf das demnach nur ein demokratisch strukturiertes Bildungskonzept sein (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 7ff.). Die Gründe dafür sollen im folgenden Text herausgearbeitet werden.

Dabei geht es zuerst einmal darum, zu beschreiben, wie sich die so genannte demokratische Bildung nach dem Sudbury-Konzept selbst versteht. Warum nennt sie sich demokratisch, wie unterscheidet sie sich von traditioneller Erziehung und welche Sicht auf das Lernen spiegelt sie wieder?

Auf welchen Grundlagen baut diese Bildungsform auf und welche Möglichkeiten im Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Fragen unserer Zeit, wie beispielsweise Chancengleichheit unter Schülern1, lebenslanges Lernen und Flexibilität bezüglich späterer Berufstätigkeit, Leistungsgesellschaft, Konfliktfähigkeit und. Umgang mit der eigenen Freiheit könnte sie bieten?

Kann eine solche Bildungsform mit den Anforderungen der Zukunft überhaupt kompatibel sein? Können wir darüber überhaupt eine Aussage wagen? Da es seit vielen Jahren Schulen gibt, die nach einem solchen oder ähnlichen Konzept funktionieren, soll betrachtet werden, was aus Abgängern solcher Schulen geworden ist, auch im Hinblick auf mögliche Diskrepanzen zwischen Wünschen und Vorstellungen der Schulgründer und dem Ergebnis.

Zum Abschluss der Arbeit möchte ich mich damit beschäftigen, welche Grenzen diese Bildungsform aufwirft. Demokratische Prozesse und die postulierte Selbstbestimmung sollen kritisch betrachtet werden. Wer kann dort was lernen und wäre diese Bildungsform für Schüler aller Bildungsschichten denkbar?

Das Konzept der demokratischen Bildung steht ganz im Gegensatz zur traditionellen, eher autokratisch gehaltenen Herangehensweise der Regelschulen. Auf diese Unterschiede werde ich im Text immer wieder eingehen und Folgen des einen oder anderen Tuns herauszuarbeiten versuchen.

Ich möchte darauf hinweisen, dass ich in meiner eigenen Sichtweise auf Bildung zwar subjektiv voreingenommen, trotzdem aber um größtmögliche Objektivität be- müht bin.

Eine Idee sollte weder anerkannt, noch abgelehnt werden, weil sie anders ist. Sie sollte daraufhin geprüft werden, ob sie den bisher gemachten Erfahrungen und exi- stenten Theorien in einer Weise standhält, die als nachvollziehbar angesehen werden kann.

Damit möchte ich mich in dieser Arbeit beschäftigen.

2 Demokratische Bildung, wie sie an Sudbury- Schulen praktiziert wird

2.1 Demokratie- Versuch einer Annäherung

Der Begriff Demokratie kommt aus dem Griechischen und bedeutet „die Herrschaft des Volkes“ (vgl. dtv-Brockhaus, 1988). Mit Herrschaft ist gemeint, über Hand- lungsweisen und Verhaltensformen anderer zu bestimmen. Demokratie als Herr- schaft des Volkes (Demos: Volk; kratein: herrschen) heißt also soviel wie: diejeni- gen, die beherrscht werden, haben gleichzeitig die Herrschaft inne. Mehrheiten tref- fen mit Hilfe von Abstimmungen Entscheidungen, die für alle gelten, auch für unter- legene Minderheiten. Einmal verabschiedete Regeln und Gesetze bleiben solange in Kraft bis ein neuer Beschluss diesbezüglich vorliegt. Mittel für die demokratische Entscheidungsfindung sind Diskussionen, in denen im Idealfall Pro und Contra vor- liegender Vorschläge debattiert und gegeneinander abgewägt werden. Demokratie bedeutet nicht nur parlamentarisch-repräsentative Demokratie, in der die Entschei- dungsträger wie Abgeordnete und Minister unabhängig von dem, was deren Wähler wollen selbstständig entscheiden können. Sie kann sich auch in direkter Demokratie manifestieren, in der jeder Betroffene direkt mitentscheidet (vgl. dtv-Brockhaus, 1988).

Die entscheidende Frage in Demokratien ist: wer gehört zum Demos ? Nie waren alle Personen eines Staates gleichberechtigt an der Herrschaft beteiligt. In unseren staatli- chen Demokratien gehören zum Beispiel Personen unter 18 Jahren nicht dazu, in den so genannten demokratischen Schulen ist jede Person jeden Alters Teil des Volkes und darf somit über die Belange der Gemeinschaft mit entscheiden. Der demokratische Charakter einer Teilgesellschaft - wie zum Beispiel einer Schule - wird nach dem Sudbury-Konzept unter anderem Konzepten wie zum Beispiel Summerhill, ist daran festgemacht, ob alle Mitglieder einer Gruppe an den Interessen derselben teilhaben bzw. darüber mitentscheiden dürfen (nicht müssen!.) In Mehrheitsabstimmungen unter besonderer Berücksichtigung der Minderheiten: „Demokratie basiert auf allgemeinem Wahl recht, nicht auf allgemeiner Teilnahme. Entscheidend ist, dass jeder Mensch Zugang zur vollen Teilhabe an der Entscheidungsfindung hat.“ Ob er diese Möglichkeit nützt oder nicht ist seine Sache (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 140f., Herv. v. Verf.).

Es geht also einerseits um eine demokratisch verstandene Organisationsform des täglichen Lebens an der Schule, bei der jeder dort Anwesende ein gleichberechtigtes Mitspracherecht, die meisten Belange die Schule betreffend, hat. Andererseits geht es um die Verbindung von Partizipation mit persönlichen Freiheiten und Rechten, wie sie in der Satzung, die jede demokratische Schule hat, jedem Schulmitglied garantiert werden (vgl. Fuchs, 2006). Nur in dieser Verbindung wird Demokratie dem Sudbu- ry-Konzept gemäß auch Erfolg haben (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 139ff). Der Respekt vor persönlichen Freiheiten und Rechten beinhal- tet eine ganz bestimmte Haltung dem Lernen jedes Einzelnen gegenüber: nämlich, dass jeder - unabhängig von persönlichen Merkmalen oder Alter - jederzeit, selbst- ständig und selbstverantwortlich seinen Bildungsweg entscheiden kann und dürfen soll (vgl. ebd., S. 139ff., Gray, 2006).

2.2 Die Säulen der demokratischen Bildung

Demokratie meint hier also zweierlei: partizipative Mitbestimmung verbunden mit individuellen Rechten. Konkret bedeutet das: jeder Einzelne jeden Alters soll indivi- duell entscheiden können was, wie, wann, wo und mit wem er lernt, und ist gleichbe- rechtigt an den Entscheidungen beteiligt, wie die Institution geführt wird und ob Re- geln und Sanktionen nötig sind, und gegebenenfalls welche (vgl. Sudbury Valley School Press, 2005, Gribble2, 2006/2). Diese Grundsätze sowie die Grundrechte je- des Einzelnen (Bill of rights) sind in der Satzung aller so genannten demokratischen Schulen verankert und sind nicht veränderbar (vgl. ebd., Fuchs, 2005). Die Satzung hat hier ähnliche Funktion, wie im demokratischen Staat die Verfassung. Bei der Sudbury-Valley-Schule, auf die ich mich im Text immer wieder beziehe, handelt es sich um eine Tagesschule. Sie befindet sich in Framingham im Bundes- staat Massachusetts auf einem vier Hektar großen Gelände, das einen See und ein Waldgebiet umfasst. Das Gebäude ist ein ehemaliges Mehrfamilienhaus mit 18 Zimmern. Die Schule hat den Status einer von staatlichen Zuschüssen freien Privat- schule und finanziert sich weitgehend durch das von den Eltern gezahlte Schulgeld. Es gibt hier keine Direktion. Die offizielle Schulleitung obliegt der so genannten School Assembly: ein Zusammenschluss aus allen „Schülern, Mitarbeitern, Eltern, dem Beirat und besonderen öffentlichen Mitgliedern […]. Die Assembly trifft sich regelmäßig an zwei Tagen im Jahr […] und legt alle grundlegenden Richtlinien der Schule fest: den Jahreshaushalt, die Höhe des Gehalts, das Schulgeld, die Verleihung von Abschlüssen sowie die Präsidiumsmitglieder und den Beirat“ (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 132f.).

Wichtige Standbeine der demokratischen Bildung sind: das Recht auf Selbstbestim- mung bzw. Eigensteuerung, und Mitbestimmung im Rahmen der Satzung, aber auch das Recht bzw. die Pflicht zur Selbstverantwortung. Außerdem die Herrschaft des Gesetzes und das allgemeine Wahlrecht. Mit Gesetz wird hier gemeint: der Regelka- talog, der von der Schulversammlung aufgestellt wird und die in der Satzung veran- kerten Grundsätze der Schule. Alle Angehörigen der Schule sind Mitglieder der Schulversammlung: Mitarbeiter wie Schüler (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press 2005, 131ff., 139 ff., Graner & Wilke, 2005). Die Schulversammlung ist die Struktur, die den Rahmen für die konkrete Auseinandersetzung mit Regeln, Sanktionen bilden soll. Gleichzeitig ist sie die Plattform - das Parlament - für die Verhandlung aller aufkommenden Fragen des täglichen Miteinanders. Die Schulver- sammlung trifft sich in regelmäßigen Abständen - meist einmal wöchentlich. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, Zuständige für Routineaufgaben zu ernennen. So wird jemand beispielsweise berufen, Büromaterial zu kontrollieren, sich um Besu- cher zu kümmern, es kann Gebäudeerhaltungs-Zuständige geben usw. (vgl. Green- berg, 2004, S. 121f.). Weiter erhalten die so genannten Schul-Korporationen, die im Wesentlichen ein Zusammenschluss von mehreren Leuten sind, die für ein gemein- sames Interesse eintreten, von der Schulversammlung ein offizielles Mandat für ihre Arbeit. Sie haben mit der Schulversammlung nur dann noch etwas zu tun, wenn sie Geld oder Hilfsmittel brauchen (vgl. Greenberg, 2004, S. 62f.). So kann es Korpora- tionen für Töpferei, Wandern, Camping, Musik und ähnliches geben. Korporationen entstehen und zerfallen, je nach Interesse der Schüler, die aktuell an den jeweiligen Schulen sind (vgl. ebd., S. 62ff.).

Das exekutive Organ der Sudbury-Schulen ist das so genannte Justizkomitee. Es kommt in regelmäßigen Abständen zusammen - je nach Schule und Bedarf -, um aktuelle Fälle zu bearbeiten. Meist wird aber mehrmals pro Woche getagt. Grundlage für ein Zusammenkommen ist der „Eingang einer Beschwerde, […] in der jemand behauptet, eine Regel sei gebrochen worden“ (vgl. Greenberg, 2004, S. 160). Das Justizkomitee in der Sudbury-Valley-Schule in Massachusetts besteht aus Kindern aller Altergruppen, die per Los bestimmt und „bei jedem Treffen durch einen zufällig ausgewählten Mitarbeiter unterstützt werden.“ (vgl. Greenberg, 2004, S. 160). Au- ßerdem gibt es einen Vorsitzenden - ein Schüler oder Mitarbeiter -, der viermal im Jahr von der Schulversammlung gewählt wird (vgl. ebd., S. 160). Die Arbeit des Jus- tizkomitees besteht darin Beschwerden zu untersuchen: Zeugen und Betroffene wer- den befragt, sich widersprechenden Angaben wird nachgegangen usw. Die Herrschaft des Gesetzes ist die fundamentale Basis jeder demokratischen Bil- dung oder Erziehung: sie soll gewährleisten, dass die Autorität von der Gemeinschaft ausgeht und nicht von einzelnen Personen. Strukturen wie beispielsweise die Schulversammlung und das Justizkomitee existieren, um das tägliche Zusammenleben zu regeln und zu organisieren und um ein Forum für Meinungsäußerungen positiver und negativer Art zu schaffen. Diese Strukturgebundenheit soll unter anderem garantieren, dass Vorkommnisse und Organisation bzw. Regeln und Sanktionen für alle berechenbar gehandhabt werden können. Prozeduren um bestimmte Dinge durchzusetzen - zum Beispiel um sein Recht zu erhalten, die Finanzierung für ein Projekt zu forcieren, Konflikte zu bearbeiten - sollen transparent und für alle handhabbar sein (vgl. Neill, 1999, Appleton, 2000, Greenberg, 2004).

Gemäß der Satzung ist ein weiterer wichtiger Punkt für die Demokratie an Sudbury- Schulen die politische Neutralität: In der Sudbury-Valley-Schule bleiben die politi- schen Überzeugungen von zukünftigen Mitgliedern der Schule absichtlich unbeach- tet: „Wir fragen nicht nach Parteizugehörigkeit, Weltanschauung, Klassenzugehörig- keit [...]. Und wir gestatten keine politische Betätigung auf dem Schulgelände“ (Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 149, Fuchs, 2006). Dahinter steht die Idee, dass abweichende politische Meinungen kein Hindernis für die Ge- meinschaft sein müssen und sollen: keiner soll sich an der Schule ob seiner politi- schen Ansichten unwohl fühlen müssen. Jeder soll das Recht auf seine eigene Mei- nung haben, auch wenn er damit zu einer Minderheit gehört (vgl. Greenberg in Sud- bury Valley School Press, 2005, S. 149ff.).

Das Sudbury-Modell unterscheidet sich strukturell ein wenig von anderen demokrati- schen Schulen, wie beispielsweise dem von Summerhill. Ich möchte hier die wich- tigsten Punkte kurz umreißen, um den Unterschied deutlich zu machen. Die Schulversammlung in Sudbury-Schulen hat weiter reichende Kompetenzen als diejenige in Summerhill: Sie entwirft den jährlichen Finanzplan und ist zuständig für Personalentscheidungen. Im Gegensatz zu Summerhill gibt es hier keine Einzelper- son, welche die Befugnis hat, Entscheidungen ganz alleine zu treffen, so dass auch Sicherheitsregeln vollkommen der Schulversammlung unterstehen (vgl. Greenberg, 2004, S. 103f., Appleton, 2000). Weiter gibt es in vielen demokratischen Schulen ein freiwilliges Unterrichtsangebot, das sich am staatlichen Lehrplan des jeweiligen Lan- des orientiert - so auch in Summerhill. Sudbury-Schulen lehnen Unterrichtsangebote und auch sonstige Angebote seitens Erwachsener strikt ab (vgl. Kap. 2.5). Die Sud- bury-Valley-Schule in Massachusetts ist die erste Schule ihrer Art und alle weiteren Sudbury-Schulen orientieren sich an dem dort entwickelten Modell. Bis heute gibt es weltweit ca. 30 Sudbury-Schulen und ungefähr doppelt so viele Gründungsinitiati- ven, unter anderem 8 in Deutschland. (Stand 22.6.2006: www.sudval.com)

2.3 Wie demokratisch sind Sudbury-Schulen ?

Welche Schule würde heute - direkt gefragt - behaupten, sie sei schlicht undemokra- tisch? Wahrscheinlich kaum eine. Die meisten Schulen fühlen sich der Demokratie verpflichtet, haben jedoch nicht den Anspruch demokratische Institutionen zu sein und organisieren sich in der Praxis nach autokratischem Muster (vgl. Peschel in Burk et. Al., S. 142ff., Peschel, 2003, S. 164ff.). Dies entspricht auch den Vorgaben der Schulbehörden (vgl. Lambert et Al., 2003: Schulrecht Baden-Württemberg). Prozes- se, die aus der Demokratie bekannt sind wie Mehrheitsabstimmungen, Kinderräte aus gewählten Repräsentanten, Debatten und Versammlungen finden statt, jedoch aus- schließlich innerhalb festgesetzter Grenzen, die je nach Schule und durchführender Person mehr oder weniger eng sind (vgl. Peschel in Burk et. Al., S. 142ff., Peschel, 2003, S. 164ff.). Es handelt sich also tendenziell um ein bisschen Demokratie inner- halb einer autoritären Institution. Es scheint dabei aber um eine gewährte Freiheit zu gehen - nicht um ein Recht -, die jederzeit widerrufen werden kann. Solche demo- kratie ä hnlichen Prozesse erscheinen nicht verlässlich, denn sie können zwar stattfin- den, müssen aber nicht. Schüler haben kein Recht darauf und können sich somit auch nicht darauf berufen bzw. vertrauen, dass sie für ihre Rechte mittels Strukturen wie zum Beispiel Schulversammlungen kämpfen können, oftmals kennen sie ihre rechte nicht einmal. Demokratische Prozesse werden deshalb von Seiten der Schüler wahr- scheinlich eher als lustige neue Idee eines etwas komischen Lehrers wahrgenommen. Verlassen kann man sich nicht darauf, denn jeder Erwachsene kann dieser Demokra- tie jederzeit ein Ende setzen, falls sie „aus dem Ruder laufen sollte“ (vgl. Hentig, 2003, S. 183f.).

Halten Sudbury-Schulen bzw. Summerhill, die sich selbst zu den so genannten de- mokratischen Schulen zählen, ihre demokratischen Versprechen? Und ist die Durch- führung demokratischer Entscheidungsfindung frei von Manipulation durch Erwach- sene? Können rhetorisch Überlegene in diesen Strukturen die Dinge für sich ent- scheiden oder gibt es dafür einen Schutz? Was würde beispielsweise passieren, wenn die Mehrheit der Schulgemeinschaft entscheiden würde, dass von nun ab jeder Schü- ler seinen TV- und Videospielkonsum selbst regeln darf? Solche Kontrollfragen in- nerhalb einer Gemeinschaft, die sich der Demokratie verschrieben hat, könnten Auf- schluss über ihr Funktionsniveau bieten. Weitere Fragen wären zum Beispiel machen die Mitglieder der Gemeinschaft von ihren Rechten Gebrauch, benützen sie die vor- handenen Strukturen für ihre Belange und wenn nein, warum nicht? Wie hoch ist die Zufriedenheit jedes Einzelnen mit den vorhandenen Strukturen? Und wie ausgeprägt ist die Überzeugung jedes Einzelnen die Schulbelange mitbestimmen und kontrollie- ren zu können?

Man kann davon ausgehen, dass Erwachsene, die Schulen gründen, eine ganz be- stimmte Vorstellung davon haben, wie diese Schule sein sollte bzw. wie sie nicht sein soll. Falls sie, wie in der Sudbury-Schule behauptet wird, die Kinder an der Schulleitung gleichberechtigt mitbestimmen lassen, müssen sie sich darüber im Klaren sein, dass die Entscheidungen der so entstandenen Mehrheit zu Ungunsten ihrer eigenen Ideen ausfallen können.

Sudbury-Schulen haben Satzungen Verfassungen (zum Beispiel Fuchs, 2005), die die grundsätzlichen Ideen der Schule schützen. Eine Mehrheit in der Schulversammlung kann also nicht die Diktatur ausrufen oder sich selbst Wenn man sich mit konkreten Fallbeispielen beschäftigt, die es in Vielzahl von den Sudbury-Schulen und auch Summerhill gibt, wird deutlich, dass nach diesen Be- schreibungen die Schulversammlung die Schule tatsächlich leitet (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 139ff., Greenberg, 2004, S. 103ff., Appleton, 2000, Neill, 1999, Peschel in Burk et. Al., 2003). Sie verabschiedet Regeln und mög- liche Sanktionen bei Nichteinhaltung der Regeln. Appleton berichtet davon, dass in Summerhill manchmal auch die Abschaffung aller Regeln beschlossen wird (2000, S. 86). Er beschreibt eindrücklich, dass all diejenigen, die so eine Art Anarchiezu- stand schon erlebt haben, wegen der unangenehmen Erinnerung daran, entschieden gegen die Abschaffung der Gesetze stimmen. Trotzdem werden sie im demokrati- schen Prozess in regelmäßigen Abständen von den Jüngeren überstimmt (vgl. Apple- ton, 2000, S. 86).

Weiter kann rhetorische Überlegenheit natürlich immer ein Vorteil in der Schulversammlung bedeuten, so wie in anderen Parlamenten auch. Erwachsene sind dabei Kindern und Jugendlichen oftmals überlegen. Deshalb stellt sich bei der Idee der gemeinsamen Debatte zur Entscheidungsfindung immer auch die Frage, ob Erwachsene auf diese Weise ihre Meinung forcieren und so den Prozess manipulieren können. Der Struktur gemäß haben auch sie nur eine Stimme, können aber durch geschickte Argumentation Wähler auf ihre Seite bringen. Es stellt allerdings ein legitimes Vorgehen innerhalb einer demokratischen Struktur dar, für die eigene Überzeugung mit Argumenten zu werben. (vgl. auch Kap. 5.1).

Trotzdem haben sich einige Schulen innerhalb der Schulversammlung abgesichert: sie haben zum Beispiel gewisse Regeln bezüglich Kommunikation innerhalb der Schulversammlung aufgestellt (vgl. Ransom in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 136ff.). Unterschiede zwischen Personen werden trotz allem wahrgenommen:

„Einigen wurde große Anerkennung geschenkt, wodurch sie ihre Auffassungen un- begründet präsentieren und eine Abstimmung lenken konnten, ohne ihren Standpunkt begründen zu müssen; und einige kamen mit sorgfältig begründeten Argumenten und scheiterten, weil es ihnen nicht gelang, eine Mehrheit für ihre Sache zu gewinnen“ (ebd., S. 136f.), (vgl. Kap. 5.1).

Nicht-Gleichbehandlung gibt es erwartungsgemäß auch hier, mit dem einzigen Un- terschied: nämlich, dass man sich hier in seinen Rechten auf die Satzung und das Gesetz berufen kann. Strukturen, die solche Rechte absichern können im eigenen Sinne als demokratisch betrachtet werden: Man ist nicht angewiesen darauf, dass Menschen sich dem Gesetz gemäß verhalten, man hat die Kontrolle über die eigenen Rechte qua Struktur.

Ein weiteres Kennzeichen einer funktionierenden Demokratie an Sudbury-Schulen ist, dass Entscheidungen an der Schule durch Mehrheitsabstimmungen getroffen werden und nicht durch Konsens. Die Vielfalt der Meinungen soll hierbei gefördert werden (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 145). Man muss sich auch nicht einigen und Greenberg zufolge werden„alle konkurrieren- den Vorschläge umfassend und ohne Unterschied angehört“ (vgl. ebd., S. 145). Sie sollen respektiert werden und fortbestehen dürfen „selbst wenn ihre Befürworter in der Minderheit sind“ (vgl. ebd., S. 145). Wenn von Missbrauch die Rede ist, er- scheint das Konsensverfahren viel anfälliger für politische Manipulation zu sein, außerdem gehört Konsens in pluralistischen Gesellschaften wohl eher zur Ausnahme.

Das Konsensprinzip entstand vor allem aus Vorstellungen heraus, die Dissens und Vielfalt in einer Gesellschaft als störend betrachten (vgl. Wikipedia: Konsens, Stand: 11.4.2006). Diese Art von Ideen finden sich unter anderem bei Rousseau ("volonté générale"), Platon, Marx oder Carl Schmitt. Im Gegensatz dazu steht die Pluralis- mustheorie (z. B. Fraenkel) mit ihren Vordenkern von Aristoteles über John Locke ("agree to disagree") bis hin zu unter anderem Immanuel Kant (vgl. ebd., Stand 11.4. 2006).

Innerhalb von Demokratien muss ein gutes Gesetz in seinem Sachverhalt auf das Grundgesetz hin ausgelegt werden. „In einer pluralistischen Gesellschaft aber wei- chen die Auslegungen natürlicherweise und oft voneinander ab [...]“ (Hentig, 2001, S. 114). Nach Hentig bedarf es dafür eines „Maßstabes oberhalb der Paragraphen der jeweiligen Verfassung. Dieser Maßstab ist - in der Theorie der Demokratie - „die Idee des Gemeinwohls“ (ebd., S.114). Natürlich ist das „Gemeinwohl“ auch ausleg- bar und debattierbar: Debatten und Diskussionen, wie sie in Parlamenten von Staaten stattfinden, müssten hier in der Schulversammlung geführt werden (vgl. ebd., S. 114).

Oelkers (2000, S.108f.), versteht unter „ernsthafter Partizipation“, dass Schüler bei- spielsweise an „Lehrerwahlen und Lehrerbeurteilungen“ beteiligt sein und über Lern- inhalte und Lernmethoden mitbestimmen können. In Sudbury-Schulen soll beides gegeben sein: Lehrer und Mitarbeiter werden durch Mehrheitsabstimmungen für ein Jahr gewählt und können genauso auch abgewählt werden.

Mehrere Autoren (Oelkers, 2000, S.108, Tolstoj, 1960, S.29ff., Tenorth in Tenorth, 2003, S. 194), betonen auch die veränderte Gesprächskultur innerhalb von Demokratien: in demokratischen Strukturen müssen die Dinge dialogisch ausgehandelt werden. Das bedeutet beispielsweise auch eine Schwerpunktverlagerung in der Zeitgestaltung an der Schule: Debattieren braucht Zeit und findet an den beschriebenen Schulen in diesem Sinne auch statt (vgl. Appleton, 2000, Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, Greenberg 2004).

Laut Tolstoj (Grunder in Tenorth, 2003, S. 194), müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, wenn man von Demokratie in der Schule sprechen will: nämlich „Selbstbe- stimmung der Lerninhalte durch die Schüler und ein dialogisches Verhältnis in der Lerngemeinschaft“, etwas, das er schon um 1861 in seiner Schule praktizierte (vgl. Tolstoj, 1861 in Rutt, 1960).

Im Gegensatz dazu die traditionelle Schule, die Dewey zufolge „in ihrem Wesen, ihrem ganzen Aufbau und in ihrer Arbeitsweise zur Demokratie im Widerspruch“ steht. In der die Älteren den Jüngeren sagen, was sie lernen müssen, was richtig und falsch ist und wie man sich verhält. Nur wenn alle Teilnehmer einer Gruppe an den Interessen derselben teilhaben können kann sich eine „Teilgesellschaft wie die Schu- le“ demokratisch nennen (vgl. Dewey, zitiert von Flitner, 1999, S. 103, Dewey, 1922, S. 139ff.). Deweys Auffassung einer demokratischen Schule ist diejenige der „unbeschränkten Partizipation aller Mitglieder auf der Grundlage von Gleichbehand- lung, sowie die ständige flexible Weiterentwicklung der Institution durch Austausch und Interaktion mit anderen Gesellschaftsformen (Dewey zitiert von Flitner, 1999, S. 103, Dewey, 1922, S. 140).3

2.4 „Schola semper reformanda“

Da die demokratische Bildung ihrer Bestimmung nach nur individuell sein kann, Interessen immer wieder zur Diskussion stehen und sich ständig verändern und weiterentwickeln, kann eine statische Aussage über die praktische Durchführung einer solchen Bildung nicht gemacht werden. Die dazugehörige Schule muss also flexibel und spontan veränderbar sein und bleiben.

Jeder Einzelne hinterfragt und reflektiert dort laufend seinen eigenen Bildungsweg, organisiert ihn seinen Interessen und Neigungen gemäß, und richtet ihn immer wie- der aufs Neue dahingehend aus: das Suchen nach eigenen individuellen Wahrheiten als ein fortwährender Prozess, dessen Ende nie erreicht ist, ein stetiges Werden, das nie abgeschlossen ist; die demokratische Herangehensweise an die asymptotische Annäherung an die Wahrheit als öffentliche Auseinandersetzung - als „fortwähren- der Diskurs“ (vgl. Flitner, 1999, S. 101f.). „ [...] sobald die Wirklichkeit zeigt, dass bestimmte Richtlinien falsch sind, kann man diese Richtlinien ändern“ (Gribble, 1991, S. 186, eigene Herv.).

Man kann deshalb an demokratisch gehaltenen Schulen auch keine statischen Aussagen über Lerninhalte machen. Lerninhalte verändern sich laufend je nach Bedürfnissen und Interessen der Einzelnen, der Gruppe, der Gesellschaft und Kultur, in der diese Bildungsform stattfindet.

Die Schule passt sich somit stetig an die Bedürfnisse der Schüler an, bzw. verändert sich dynamisch innerhalb der eigenen Satzung und der Grundrechte, die festgelegt sind. Das System - außer das in der Satzung festgelegte - bleibt veränderbar und alles bleibt diskutierbar (vgl. Hentig in Gribble, 1991, S. 21).

In diesem Sinne unterscheidet sich eine solche Schule auch von traditionellen Schu- len und denjenigen Alternativ-Schulen mit einem festgelegten pädagogischen Kon- zept eines bestimmten, oder mehrerer Pädagogen, sei es Montessori, Steiner, Wild oder Freinet. „Was sich auf Gewohnheit gründet, auf ererbte und nicht ausdrücklich geprüfte Prinzipien, auf Einrichtungen, die sich nicht mit der fortlaufend veränderten Wirklichkeit einlassen, verfehlt notwendig ihre Aufgabe: die Bewahrung von Identi- tät im Wechsel der Generationen und im Wandel der Verhältnisse“ (Hentig in Gribble, 1991, S. 12ff.), (ausführlicher Kap. 2.6).

Deshalb lautet auch einer der wichtigsten Grundsätze der demokratischen Schule „Sands“ in England, die in diesem Sinne arbeitet: im Mittelpunkt steht hier der Mensch, der lernt (vgl. Gribble, 2006, S. 30f.). Im Vergleich dazu ein Auszug aus der Satzung einer traditionellen englischen Privatschule: „As at most Schools the central element of the life of Uppingham School is the classroom curriculum” (Gribble, 2006, S. 30f.).

An traditionellen Bildungsinstitutionen, in denen die Schulstruktur im Mittelpunkt steht und in Anpassung mit den dort Lernenden nicht abgeändert werden kann, wird konfliktreiches Verhalten oft im Hinblick darauf kategorisiert, dass der Mensch mit seinem falschen Verhalten die vorliegende richtige Struktur stört. Dabei könnte das auffällige Verhalten Einzelner in ganz bestimmten Situationen des Schullebens auch ein Hinweis darauf sein, dass die dortige Struktur für diese unpassend ist (vgl. Hen- tig, 1976, S. 40). „Dass wir so erschreckend viele ‚verhaltensgestörte’ Kinder registrieren, könnte bedeuten, dass unsere Einrichtungen immer weniger zu ihren vitalen Bedürfnissen passen, dass also ihr Verhalten nicht falsch, sondern diesen Lebensbedingungen gegenüber richtig ist“ (ebd., S. 40).

Die Anschauung des Menschen im Mittelpunkt setzt dagegen ein „dynamisches Geschichtsverständnis“ voraus: eine Pädagogik, die auf Hingehen setzt, statt auf Herkommen (vgl. Hentig in Gribble, 1991, S. 14). Eine Pädagogik, die sich auf die Fahnen schreibt, dass sie - entgegen dessen, was wir tradiert tun - die „Abrichtung auf den vorgegebenen gesellschaftlichen Zweck“ (ebd., S. 14), die nächste Generation auf die kommende Zeit vorbereitet, indem sie sie sich flexibel und offen entwickeln lässt, möglichst ohne vorgedachte Ziele und Zwecke.

Die Aufgabe der Schule wäre es also nur noch, ein System des ständig stattfindenden Austauschs zu sichern und zu erhalten. Statt Dogmen und Selbstverständlichkeiten, die man unbedacht und/oder gezwungenermaßen zum Maßstab aller Dinge macht, gäbe es hier nur die Einigung darauf, dass es im Hinblick auf Lernen und Entwickeln keine allgemein fest stehenden Wahrheiten und Herangehensweisen gibt, die für alle gelten. Kurz: Man einigt sich, im Gegensatz zum alle anderen Ansichten verneinen- den Wahrheitsanspruch darauf, dass man sich nicht einigen kann, und dass diese

Nicht-Einigung ein Gewinn für alle sein kann (vgl. Hentig, 2001, S.36, Gribble, 2006, S. 10, Peschel in Burk et. Al., 2003 S. 142ff.).

2.5 Die Grundfesten des Lernens.

„Die Schule mit ihren Mitarbeitern, dem Gelände, der Ausstattung und der Bibliothek dient als eine Quelle, die, wenn angefordert, verfügbar, wenn nicht, passiv ist“ (Greenberg, 2004, S. 10).

Die Sudbury-Schule soll ein latent verfügbarer Lernraum sein, der weder Angebote, noch Ideen oder Anregungen vermittelt. Die Schule will in diesem Sinne nicht för- dern, sie will keine Anforderungen stellen, es soll offiziell keinen Lehrplan geben (vgl. Greenberg, 2004, S. 10ff.). Ein Schüler würde folglich dem Sudbury-Konzept zufolge, einen bestimmten Lerngegenstand anfragen, anregen, begegnen, sobald er dazu bereit ist. Dafür muss er selbst aktiv werden, etwas wollen. Sobald dies ge- schieht, stehen Schule als Raum, Mitarbeiter, Ausstattung und ggf. Fachleute von außen zu seiner Verfügung. Projekte, Veranstaltungen, Einrichtungen entstehen und zerfallen je nach Zusammensetzung der Schulgemeinde (vgl. Greenberg, 2004, S. 10ff.). Die Dinge werden folglich nur so lange unterstützt und bleiben bestehen, so- lange zumindest ein Schüler sie trägt. Ist das nicht mehr der Fall werden Fotolabore geschlossen, verwildern Schulgärten, zerfallen Schulbands und enden Mathematikklassen. Projekte um der Projekte willen gibt es hier nicht: alles dreht sich um diejenigen Schüler, die zur Jetzt-Zeit an der Schule sind.

Diese so verstandene demokratische Bildung unterstellt also die prinzipielle Frei- heits- und Autonomiefähigkeit von Kindern bzw. von Jedermann, beruhend auf dem Grundvertrauen in die Natur des Menschen, dahingehend, dass sie ihm ein stetiges Bedürfnis mitgegeben hat, sich weiter zu entwickeln und zu lernen Die Schule möchte dafür einen Rahmen bereitstellen, einen Ort, an dem die Kinder individuell entscheiden, was sie tun wollen - jeden Tag, die ganze Zeit. Es geht also darum eine gewisse Freiheit zu erreichen; Freiheit nicht von einem be- stimmten Joch, zum Beispiel dem erzwungenen Lernen, sondern Freiheit zu etwas: nämlich beispielsweise dazu, selbstständig Entscheidungen zu treffen und dadurch diejenigen Erfahrungen zu sammeln, die nötig sind, um als mündiger, selbstreflek- tierter Mensch dort erfolgreich zu sein, wo die eigenen Neigungen sind. Dies mög- lichst losgelöst vom Einfluss derjenigen Stimmen, die Bildung als Antwort darauf sehen, welche (Produktions-)Kräfte die Gesellschaft und Wirtschaft brauchen (vgl. Sudbury Valley School Press, 2005, 8ff., Fromm, 1979).

Falls ein Schüler nichts will bzw. nicht aktiv wird, passiert nichts. Dies wird konkre- ten Berichte zufolge konsequent durchgehalten, eine Woche, ein Monat, ein Jahr, mehrere Jahre (vgl. Greenberg, 2004, Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 139ff., Graner & Wilke, 2005, Sudbury Valley School Press, 2005).

Die Grundidee des so verstandenen demokratischen Lernens besteht also „in der Nichteinmischung in das Heranwachsen des Kindes und im Verzicht auf jeglichen Druck“ (Neill, 1971, S. 103, Greenberg, 2004, S. 5ff.).

Dass jeder ein Recht auf die eigene Entwicklung hat, wird dabei sehr ernst genom- men. Das volle Recht auf die eigene Entwicklung impliziert aber auch ein Recht auf Nicht-Entwicklung. Die Erfahrung damit zeigt, dass eine Phase der Untätigkeit oder Passivität zwar andauern kann, in einzelnen Fällen auch über sehr lange Zeit, dass aber kein psychisch gesundes Kind oder Jugendlicher darin verharrt, sondern ir- gendwann seinen Neigungen gemäß zu arbeiten und zu lernen beginnt (vgl. Graner & Wilke, 2005, Kapitel 15). Darüber hinaus wird angenommen, dass ein Mensch, der sich zwar äußerlich nicht entwickelt, innerlich - während einer Phase des „Nichts- tuns“ eine Entwicklung durchläuft, die ihn am Ende des Prozesses dazu befähigt sich auch äußerlich zu verändern zu können (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 139ff., Graner & Wilke, 2005).

Da es die Einzigartigkeit und die Verschiedenheit jedes Schülers anerkennt und je- dem ermöglicht diese Einzigartigkeit zu leben, nennt Hecht solches Lernen „pluralis- tisches Lernen“ (2002, S. 3). Die Diversität der Menschen soll hierbei kein Hindernis sein, sondern als Bereicherung für die Gesellschaft empfunden werden (vgl. ebd., S. 3).

Dem Sudbury-Konzept zufolge kann Lernen nur dann erfolgreich sein, wenn Schüler sich von sich aus dafür entscheiden. Wenn sie also sowohl reif für ein bestimmtes Thema oder einen bestimmten Lerngegenstand sind, als auch die persönliche Bereit- schaft und Selbstdisziplin mitbringen, sich damit zu beschäftigen, weil ihnen das Beherrschen dieses zu Lernenden einen ganz bestimmten persönlichen Nutzen bringt, den sie für sich verstanden haben (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 78ff.). So lernt nach diesem Konzept jeder erst dann lesen, wenn er für sich entschieden hat, dass er das Lesen braucht. Lernen aus intrinsischer Motiva- tion heraus führt den Erfahrungen der Sudbury-Schulen nach dazu, dass erstaunliche Mengen an Stoff in kürzester Zeit gelernt werden können (vgl. Greenberg, 2004, S. 23ff., Readhead interviewt von Ludwig, 1997, S. 51f., Appleton, 2000, S. 104ff., Kühn, 2002, S. 151).

Außerdem wird vorausgesetzt, dass Kinder eine ganz bestimmte Zeit für verschiede- ne Themen brauchen, die individuell geprägt ist: sie zu drängen wäre demnach kont- raproduktiv. Das Konzept basiert weiter darauf, dass man durch Erfahrung mehr lernt, als durch Unterweisung und dass es Gelegenheiten geben muss aus Fehlern zu lernen (Gribble, 1991, S. 148, vgl. Hentig in Gribble, 1991, S. 46, vgl. Gudjons, 2003, S. 7 ).

Die Unterschiede zum traditionellen Lernen an Regelschule, die sich daraus ergeben, können Folgende sein:

ƒ Lernen soll so weit wie möglich in Eigensteuerung geschehen (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 42ff.).

ƒ Die Verantwortung für die eigene Bildung, des Lehrplans soll beim Lernenden liegen (vgl. ebd., S. 42ff.).

ƒ Jeder soll in seinem Rhythmus und nach eigenem Gutdünken lernen (vgl. ebd., S. 42ff.).

ƒ Niemand soll an seinen Defiziten gemessen oder beurteilt werden: jeder lernt aufbauend auf sein persönliches Vorwissen (vgl. ebd., S. 42ff.).

ƒ Der Lehrplan herkömmlicher Schulen, der Wissens-Kanon, soll in Frage gestellt werden, denn dem Sudbury-Konzept zufolge generalisiert er das Lernen und enthebt damit den Einzelnen von der Suche nach dem, was für ihn bedeutsam ist (vgl. ebd., S. 42ff.).

ƒ Das vorgeschriebene Lernen eines bestimmten Bereichs soll nur dann akzeptiert werden, wenn es als Weg, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen in Kauf genom- men wird (Realschulabschluss, Abitur etc.). Das Ziel muss dann eine große Att- raktivität haben bzw. einen Sinn für den Lernenden darstellen (vgl. ebd., S. 42ff.).

ƒ Die Überzeugung, dass es ernstzunehmende Gründe geben kann, warum ein jun- ger Mensch bestimmte Dinge zu bestimmten Zeiten lernt oder nicht lernt, und das Vertrauen, dass er im Supermarkt des Wissens und der Kenntnisse über die Jahre verteilt, die für ihn wichtigen Inhalte und Fähigkeiten herausfinden kann (vgl. ebd., S. 42ff.).

Nach dem Sudbury-Konzept verfolgt jeder Mensch seinen eigenen wichtigen Plan, der mit dem Lehrplan allgemeiner Schulen nur gelegentlich Überschneidungen auf- weist.

Daraus folgt, dass eine Fülle von Themen, die in keinem Lehrplan auftauchen, ge- lernt werden. Außerdem stehen meist Neigungsthemen im Interesse, die nicht nach Schulfächern aufzugliedern sind wie Fahrradreparatur, Medizinische Themen, Astro- logie, Fußball, Mode, Videospiele, Umgang mit Tieren usw., die aber ggf. Kenntnis- se verlangen, die in der herkömmlichen Schule in den so genannten Schulfächern isoliert gelernt werden (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 42ff.).

Die Lernenden können bei einem Thema, Stunden, Tage, Wochen oder sogar Monate bleiben, bis sie selbst entscheiden, etwas anderes zu tun.

Lernen ergibt sich folglich nur aus dem Sinn heraus, etwas Bestimmtes tun, wissen und erreichen zu wollen. Einen anderen Grund für Lernen kann es nach dem demokratischem Bildungsansatz nicht geben (vgl. ebd., S. 42ff., Graner & Wilke, 2005, Sudbury Valley School Press 2005).

2.5.1 Informelles und formales Lernen

Das schulische Lernen wird mit ganz bestimmten Gegebenheiten, Vorgängen und Ritualen verknüpft, die fast jeder aus seiner eigenen Schulzeit kennt zum Beispiel Frontal-Unterricht, Klassenzimmer, Bankreihen, Stillsitzen, Unterricht, Auswendig- lernen. Es kommt darauf an zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Wissen zu haben, etwas, das durch das Prüfungssystem deutlich wird ( vgl. Fromm, 1979, S.44). In der Form wie Lernen an der Sudbury-Schule stattfindet, erscheint es vielen Außenstehenden wie ein Nicht-lernen. Man lernt nicht in der herkömmlichen Form, bzw. man kann keine Erfolge durch Noten-Zeugnisse nachweisen. Man passt sich an kein übergeordnetes Programm an und es kann dadurch kein simpler Vergleich mit Altersgenossen festgestellt werden. Natürlich ist eine Gewährleistung des Könnens ganz bestimmter Techniken, die in der Regelschule in den ersten Jahren gelernt wer- den an Sudbury-Schulen nicht gegeben. Es kommt vor, dass ein 10jähriger nicht le- sen und schreiben kann, was aber nicht heißen muss, dass er nichts gelernt hat. Er hat sich die ganze Zeit mit Dingen beschäftigt und auch wenn diese vielleicht mit den herkömmlichen Schulfächern nichts zu tun haben, so hat er doch etwas gelernt (vgl. Graner & Wilke, 2005, Ludwig, 1997, S. 43ff.).

Beim Lernen muss zwischen informellem und formalem Lernen unterschieden werden. Unter informellem Lernen versteht man solches Lernen, dass „außerhalb organisierter Zusammenhänge stattfindet“ (Overwien in Rauschenbach, 2005, S. 37, vgl. Dohmen, 2001). Dies geschieht in Regelschule meist auf den Schulhöfen, durch Erfahrungen im sozialen Bereich, durch unbewusste Prozesse, die nebenher passieren, so genanntes Erfahrungslernen.

Wir müssen lernen, wie man sich in unserer Kultur verhält, damit man sich zurecht findet. Dazu gehört eine ganze Menge an verschiedenem Wissen über allgemeine moralische Vorstellungen, Werte und ungeschriebene Gesetze. Man muss sich in seiner Peer-Gruppe zurecht finden, wie auch mit Autoritäten, mit Gesetzen, muss wissen, wie man bekommen kann, was man gerne hätte, welche Strukturen und We- ge zu nützen sind, um an ganz bestimmte Ziele zu kommen. All das sind Dinge, die in traditionellen Schulen eher nebenher erworben werden (vgl. Dohmen, 2001, S. 7ff.). Die Faure-Komission der UNESCO hat bereits im Jahr 1972 erklärt, dass „informelles Lernen etwa 70% aller menschlichen Lernprozesse umfasst“ (Overwien in Rauschenbach et. Al., 2005, S. 37).

Außerdem gibt es formales Lernen, solches Lernen, das vorgeschrieben wird und sich in ganz bestimmte Themen als Lern-Muss für bestimmte Altersgruppen gliedern lässt. Der Bereich des informellen Lernens wird an traditionellen Schulen in Deutschland zwar mittlerweile tendenziell berücksichtigt, es scheint jedoch nicht im Mittelpunkt des Interesses zu stehen (vgl. ebd., S. 10).

Sudbury-Schulen ermöglichen durch die Beschaffenheit ihrer Strukturen eine beson- dere Möglichkeit für informelles Lernen: Erfahrungen mit Selbstbestimmung, Ver- antwortung für sich und andere, Teilnahme an Schulversammlungen, Konfliktlöse- szenarien, Regelgebungen und Entscheidungsfindungen. Die Sozialisation in einer Gemeinschaft, in der man eine wichtige Stimme hat und in der man gleichberechtigt mit allen anderen am Funktionieren der Gemeinschaft teilnimmt, eröffnet neue Mög- lichkeiten für informelles Lernen. Das stärkt auch die so genannte Kontrollüberzeu- gung jedes Einzelnen: ich kann bestimmte Dinge, die mein Leben angehen, ändern, kontrollieren, überprüfen. Ich muss die Dinge nicht so nehmen, wie sie kommen, sondern kann selbst aktiv Entscheidungen für mich treffen (vgl. Graner & Wilke, 2005, Kap. 10, Appleton, 2000, S. 55ff.). „Unter Lehrern und Schülern herrscht eine Stimmung von Selbstvertrauen, denn alle wissen, dass ihre Meinung zählt, dass sie Teil eines Ganzen sind und dieses Ganze immer weiter einem unerreichbaren Ideal annähern können“ (Gribble, 1991, S. 186).

2.6 Diskrepanzen zwischen Regelschule und

Alternativschule und der in Sudbury-Schulen praktizierten demokratischen Idee Unter Alternativschule soll hier folgendes verstanden werden: Schulen, die eine Alternative bzw. Gegentendenzen zum öffentlichen Schulsystem bieten, auf ein festgelegtes pädagogisches Konzept beruhen bzw. so genannte Alternative Werte vermitteln wollen, wie Waldorfschulen, Christliche Schulen, Montessori, Freinet, freie Schulen mit gemischten Konzepten und so weiter.

Der große Unterschied zwischen demokratischen Schulen aller Art und Regel- bzw. Alternativ-Schulen ist, dass diese einen Anspruch auf Mitbestimmung der Organisation ihrer Schule und Selbstbestimmung des Lernens haben, die Regelschulen grundsätzlich nicht, und Alternativ-Schulen nur im eingeschränkten Sinne haben (vgl. Bruckner et. Al., 2000, Peschel, 2003).

Sudbury-Schulen legen Wert auf die Tatsache, dass die Strukturen, die sie tragen, wie beispielsweise Grundgesetz, Schulversammlung und Justizkomitee für alle ver- ständlich sind. Sie sollen von Transparenz geprägt und damit benutzbar sein. Und vor allem: die einmal aufgestellten Regelungen gelten für alle an der Schule ohne Ausnahme gleich - Erwachsene sowie Kinder (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 149ff.).

Strukturen regeln hier, was dort Personen tun. Strukturen sind verlässlich und durch- schaubar, Personen sind es nicht. In Regelschulen kann diese Herangehensweise zu Verwirrung unter Lehrern und Schülern führen, zu Zwietracht und Missgunst zwi- schen Kollegen, und zu ungeregelten Verhältnissen und rechtlosen Räumen, da Schüler Lehrer gegeneinander ausspielen und Sanktionen umgehen können. Der Überblick über das, was passiert, kann dabei verloren gehen. Das kann wiederum zu Beliebigkeit und Chaos führen (vgl. Kamp, 1997, S. 123ff.), (vgl. auch Kap. 3.2).

Der Satzung der Sudbury-Schule nach dürfen sowohl Mitarbeiter als auch Schüler die Organisation ihrer Schule gleichberechtigt mitbestimmen.

In Regelschulen liegt die Organisation der Schule dagegen in Händen der Erwachse- nen: Schulleitung und Gesamtkonferenz (vgl. Lambert et Al., 2003: Schulrecht Ba- den-Württemberg). Außerdem hat das Land bei gewissen Entscheidungen ein gesetz- lich geregeltes Mitbestimmungsrecht (Bsp.: Lehr- bzw. Bildungsplan). Die Schüler bestimmen ihrerseits kaum etwas, was mit der Organisation bzw. den Lerninhalten zu tun hat. Die Entscheidungsbefugnis der so genannten Schülermitverwaltung klammert diesen Bereich jedenfalls aus (vgl. Lambert et. Al., 2003: Schulrecht, Baden-Württemberg).

Wenn Mitbestimmung überhaupt vorkommt basiert sie - und das ist ein großer Unterschied - nicht auf einem Recht, das Schüler innehaben, sondern auf Zufällen und Möglichkeiten, die zuständige Erwachsene ihnen gegebenenfalls einräumen (vgl. Kamp, 1997, S127ff.).

Es handelt sich also um eine eher beliebig gewährte Freiheit, als um ein bestehendes Recht und wird als solche nicht als ehrliche Mitbestimmung wahrgenommen und oftmals aus diesem Grund gar nicht genutzt. „Vielmehr erscheinen die ‚schülerorientierten’ Methoden hier als im Grunde inhaltsleere Elemente eines lehrerzentrierten Unterrichts“ (Peschel, 2003, S. 164).

An Alternativ-Schulen erscheint die Sachlage ähnlich. Die Organisation wird weit- gehend durch Erwachsene bestimmt und in Deutschland muss aufgrund der Rechts- lage der Lehrplan des Landes übernommen werden (vgl. Lambert et. Al., 2003: Schulrecht, Baden-Württemberg, Bruckner et. Al., 2000, Eikel et. Al., 2005).

Die Organisationsform der einzelnen Schule hat oft auch damit etwas zu tun, welche pädagogische Richtung die Alternative ausmacht. An der Laborschule Bielefeld soll beispielsweise „Schule als Polis“ die Belange der Gemeinschaft regeln. Interessant ist die Wortwahl Polis aus dem antiken Griechenland: denn diese war alles andere als demokratisch, ließ diese doch nur griechische Männer, und auch nur die eines be- stimmten Standes mitbestimmen. Die Mitglieder der Schule sind dabei alle auch Mit- glieder der Polis, dennoch dürfen sie über die Belange der Schule nur teilweise mit- bestimmen (vgl.. Eikel et. Al., 2005). Die Organisation liegt weitgehend in den Hän- den der Lehrerschaft und der Schulleitung. An dieser Schule dürfen allerdings inte- ressanterweise auch die Eltern bestimmte Dinge mitbestimmen (vgl.. Eikel et. Al., 2005).

An Alternativ-Schulen gibt es normalerweise auch kaum transparente Grundrechte, die Schüler gleichberechtigt an der Regelung ihres Alltags teilhaben lassen (vgl. Bruckner et. Al., 2000, Eikel et. Al., 2005)

Eine weitere Abweichung zwischen der demokratischen Idee, wie sie im SudburyKonzept vertreten wird und der Alternativ-Schulen, ist die angestrebte politische Neutralität (vgl. Greenberg in Sudbury Valley School Press, 2005, S. 149ff.). Diese wird im Sudbury-Konzept sehr ernst genommen und ist in der Satzung verankert (vgl. Fuchs, 2005), (vgl. Kap. 2.2).

In Alternativ-Schulen haben wir es dagegen oft mit politischen, ideologisch gepräg- ten oder religiösen Konzepten zu tun. An manchen Schulen gibt es sogar ein „ver- ordnetes Glaubenbekenntnis“ (vgl. Gribble, 1991, S. 127). Hier müssen sich die Schüler ganz bestimmten vorgegebenen Richtungen anpassen oder die Schule verlas- sen. „Solche Schulen sollen nicht nur einfach eine Alternative zu konventionellen Schulen bieten, sondern den Kindern vor allem auch Alternative Werte vermitteln [...]“ (Gribble, 1991, S. 126), die je nach pädagogischer Ausrichtung variieren. Sum- merhill distanziert sich davon und weist ausdrücklich darauf hin, dass „seine gegen- wärtige Pädagogik zwar weiterhin auf den Ideen Neills fußt, es sich allerdings um eine lebendige Schule handelt [...]. Summerhill besteht heute nicht im Schatten eines einzelnen Mannes, sondern durch das Konzept der Selbst-Regierung“ (Appleton, 2000, S. 14).

Ein anderer Punkt ist die zum Teil bestehende Mystifizierung des Kindlichen an Al- ternativen Schulen. Vor allem bei Montessori fällt auf, dass die von ihr verwendete Sprache zur Erklärung ihrer Pädagogik oft religiöse Züge annimmt (vgl. Oelkers, 1989, S. 74ff.): „Das Kind, dass mit seinen Händen und Füssen in die Schulbank festgebannt ist [...] Das Kind als der ewige Messias, der immer wieder unter die ge- fallenen Menschen zurückkehrt, um sie ins Himmelreich zu führen“ (Montessori, 1952, S. 302f). Das Kind erfährt eine Überhöhung, aufgrund seines Kindseins, das die Erwachsenen in ihrem Tun blockieren kann und oftmals unnatürlich werden lässt. Wenn das Kind so zur „Wunschfigur der Erwachsenen“ wird, wird eine Begegnung auf Augenhöhe kaum möglich sein (vgl. Flitner, 1999, S. 48).

Regelschulen sind meist politisch neutral, Lehrer als Einzelpersonen sind es dagegen nicht und können in ihrer überlegenen Position von ihrer Möglichkeit der Beeinflus- sung Gebrauch machen. Dies kann sich in Diskussionen, Mitnahme von Kindern auf Veranstaltungen, Sammlungen für ganz bestimmte Zwecke, religiösen Zeichen usw. äußern. Obwohl das zum Teil gesetzlich reglementiert ist, sind trotzdem beispiels- weise religiöse Zeichen an vielen Regelschulen immer noch vorhanden. Auch der Religionsunterricht bezieht sich weiterhin einseitig auf die christliche Religion und entbehrt so der Neutralität, wie sie von demokratischen Schulen gefordert werden würde (vgl. Lambert et. Al., 2003: Schulrecht, Baden-Württemberg).

Weiter gibt es in der Sudbury-Schule eine Struktur für Konfliktbearbeitung: Konflik- te, sofern sie nicht unter den Konfliktparteien gelöst werden können, werden nach den herrschenden Regeln und Gesetzen vor das Justizkomitee gebracht. Dort werden die existierenden Konflikte und Fälle vorgebracht und diskutiert, Meinungen und Begründungen gehört, geltendes Recht wird angewandt und Sanktionen erlassen. Jeder kann hier seinen Fall vorbringen und jede Seite wird gehört. Traditionelle und Alternativ-Schulen haben meist keine festgelegten Instanzen, die Konflikte bearbei- ten. Einzelne Klassen können bestimmte Strukturen haben, die aber jeweils mit der Aktivität des Lehrers bzw. des Kollegiums und der Schulleitung stehen oder fallen. Das Lernen an Sudbury-Schulen liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen. Lernen ist Privatsache und niemand darf sich dabei einmischen. Dies ist in der Satzung so geregelt, die hier maßgebend ist (vgl. Fuchs, 2005).

An Regelschulen dagegen sind der Lehrer und der Lehrplan sind maßgebend. An

Grundschulen, an denen der Lehrplan stark interpretierbar ist, ist der Lehrer maßgebender als alles andere. Lernen kann somit starken Abweichungen unterworfen sein, je nachdem bei welchem Lehrer man lernt bzw. von wem man unterrichtet wird (vgl. Peschel, 2003, S. 164ff.).

Manche Alternativ-Schulen versuchen durch freiwillige Angebote die Lehrersteue- rung zu vermindern. Schüler können sich dann für bestimmte Lerninhalte und gegen andere entscheiden. Wie weit die Freiheit der Entscheidung allerdings geht, ist dem Dafürhalten des Lehrers bzw. dem Kollegium unterworfen. Jede staatlich anerkannte Schule in Deutschland muss sich nach dem gesetzlich geregelten Bildungsplan des Landes richten (vgl. Lambert et. Al., 2003: Schulrecht, Baden-Württemberg). Solche Schulen, die Lernfreiheit propagieren und trotzdem ihre Schüler ab der 4. bzw. 6.

[...]


1 Aus Gründen der Einfachheit und besseren Verständlichkeit verzichte ich im Text auf die weibliche Schreibweise -Innen. Der Text bezieht sich jedoch gleichen Teils auf Frauen wie Männer, Mädchen und Jungen.

2 David Gribble gehört zu den Gründern der demokratischen Schule Sands, die nach ähnlichen Prinzi- pien wie Summerhill und Sudbury-Schulen arbeitet.

3 (Gribble, 1991, S. 21).

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Demokratische Bildung in der Diskussion. Das Sudbury-Schulkonzept
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
91
Katalognummer
V86403
ISBN (eBook)
9783638889094
ISBN (Buch)
9783638889292
Dateigröße
859 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demokratische, Bildung, Diskussion, Beispiel, Sudbury-Schulkonzeptes
Arbeit zitieren
Magister Rut Kittel (Autor:in), 2006, Demokratische Bildung in der Diskussion. Das Sudbury-Schulkonzept, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86403

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