1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Schon vor gut zwei Jahrhunderten beschrieb der berühmte Philosoph Immanuel Kant in seiner visionären Schrift „Zum ewigen Frieden“ die wohlfahrtssteigernde Kraft ökonomischer Wertschöpfung. Auch Vertreter der Freihandelslehre wie z.B. Adam Smith und David Ricardo propagierten die Liberalisierung der nationalen Faktor- und Gütermärkte zur Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, der zu einer Steigerung der Gesamtwohlfahrt führen sollte. Beginnend mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957, wurde im selbigen Vertrag der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Arbeit und Kapital erstmalig kodifiziert. Die Idee des gemeinsamen Binnenmarktes wurde anfangs durch sekundärrechtliche Maßnahmen wie z.B. die EG-Amtshilfe-Richtlinie oder die Mutter-Tochter-Richtlinie umgesetzt. Erst in den letzten Jahren wurde das Binnenmarktkonzept zunehmend durch primäres Gemeinschaftsrecht umgesetzt bzw. gewährleistet.
Durch die Unterzeichnung der „Europäischen Verträge“ hat sich die Bundesrepublik Deutschland u.a. zur Einhaltung der europäischen Grundfreiheiten und den sich daraus ergebenden Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten verpflichtet. Diesem rechtswirksamen Bekenntnis zu einer liberalen Wirtschaftsordnung steht das Interesse der Bundesrepublik Deutschland auf die Durchführung eigener wirtschafts- und fiskalpolitischer Ziele entgegen. Diesem Konkurrenzverhältnis wurde jedoch bis weit in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts keine große Bedeutung beigemessen. Erst in den letzten Jahren häuften sich die Klagen von Marktteilnehmern gegen potentiell gemeinschaftsrechtswidrige nationale Rechtsnormen. Die dadurch vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) erlassenen Urteile verschärfen vor allem im Bereich der direkten Steuern das Spannungsverhältnis zwischen den dem Binnenmarktgedanken zu Grunde liegenden europäischen Grundfreiheiten und dem nationalen Steuerrecht der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Der Gesetzgeber wird sich dadurch einer Vielzahl von Herausforderungen stellen müssen. Mit den BMF-Schreiben v. 08.06.2005 und v. 08.01.2007 wurde im Bereich des AStG ein erster Versuch unternommen, diesen Herausforderungen zu begegnen. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Problemstellung
- Gang der Untersuchung
- Wichtige europäische Grundfreiheiten und ihre Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft
- Grundlagen
- Ziele, Organe und Rechtsakte der Europäischen Union
- Anwendungsvorrang des EG-Rechts vor nationalem Recht
- Materielle Maßstäbe der europäischen Grundfreiheiten
- Formelle Durchsetzung des Schutzes der Grundfreiheiten
- Schutzbereich der Grundfreiheiten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
- Allgemeines
- Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV)
- Der Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV)
- Der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EGV)
- Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote der Grundfreiheiten
- Rechtfertigungsgründe für die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten
- Durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft abgewiesene Rechtfertigungsgründe
- Fehlende sekundärrechtliche Harmonisierung
- Vorteilsausgleich
- Verpflichtungen aus Doppelbesteuerungsabkommen
- Sonstige Rechtsfertigungsgründe
- Durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft anerkannte Rechtfertigungsgründe
- Allgemeine Voraussetzungen
- Missbrauchsverhinderung
- Wirksamkeit der Steueraufsicht und Steuerkontrollen
- Kohärenz des nationalen Steuersystems
- Sonstige Rechtfertigungsgründe
- Die Prüfung der Europarechtskonformität des § 6 AStG
- Die Konzeption des § 6 AStG a.F.
- Systematische Stellung und Zweck
- Tatbestandsvoraussetzungen
- Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen
- Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen
- Rechtsfolgen
- Ersatztatbestandsmerkmale
- Milderungsmaßnahmen
- Verstoß des § 6 AStG a.F. gegen die Grundfreiheiten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
- Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs „de Lasteyrie du Saillant“
- Aspekte der französischen Wegzugsbesteuerung (Art. 167bis CGI)
- Der Ausgangsfall
- Die Entscheidungsbegründung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft
- Die Regelung des § 6 AStG a.F. im Lichte der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft
- Der Schutzbereich der Grundfreiheiten
- Beeinträchtigungen des Schutzbereiches der Grundfreiheiten
- Rechtfertigungsgründe für die Regelung des § 6 AStG a.F.
- Ergebnis der Untersuchung der Europarechtskonformität des § 6 AStG a.F.
- Würdigung der Neufassung des § 6 AStG durch das SESTEG als Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs „de Lasteyrie du Saillant“
- Die Prüfung der Europarechtskonformität der §§ 7-14 AStG
- Allgemeines
- Entstehung und Formen der Controlled Foreign Corporation Legislation
- Zielsetzung und Leitkonzepte der §§ 7-14 AStG
- Die Konzeption der §§ 7-14 AStG
- Tatbestandsvoraussetzungen
- Persönliche Tatbestandsvoraussetzungen
- Beteiligung durch unbeschränkt Steuerpflichtige
- Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft
- Inländerbeherrschung der ausländischen Gesellschaft
- Sachliche Tatbestandsvoraussetzungen
- Einkünfte aus passivem Erwerb
- Niedrige Besteuerung im Ausland
- Rechtsfolgen
- Besonderheiten der erweiterten Hinzurechnungsbesteuerung
- Verstoß der §§ 7-14 AStG gegen die Grundfreiheiten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
- Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs „Cadbury-Schweppes“
- Aspekte der britischen CFC-Regelung
- Der Ausgangsfall
- Die Entscheidungsbegründung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft
- Übertragbarkeit der Entscheidungsgrundsätze des Urteils des Europäischen Gerichtshofs „Cadbury-Schweppes“ auf die §§ 7-14 AStG
- Gemeinschaftsrechtliche Problemfelder auf der Tatbestandsebene der §§ 7-14 AStG
- Allgemeines
- Die Inländerbeherrschung gem. § 7 Abs. 1 und 2 AStG
- Die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung gem. § 7 Abs. 6 AStG
- Die Niedrigbesteuerung gem. § 8 Abs. 3 AStG
- Der Aktiv-/Passivkatalog gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1-10 AStG
- Gemeinschaftsrechtliche Problemfelder auf der Rechtsfolgenebene der §§ 7-14 AStG
- Die Problematik von negativen Hinzurechnungsbeträgen (§ 10 Abs. 1 Satz 3 AStG) und Verlustausgleichsmöglichkeiten
- Die Berücksichtigung ausländischer Steuern
- Die zeitliche Zuordnungsbeschränkung gem. § 10 Abs. 1 Satz 2 AStG
- Die Ermittlung der Zwischeneinkünfte nach den Vorschriften des deutschen Steuerrechts (§ 10 Abs. 3 AStG)
- Ergebnis der Untersuchung der Europarechtskonformität der §§ 7-14 AStG
- Zusammenfassung und Ausblick auf aktuelle Entwicklungen
- Europäische Grundfreiheiten
- Niederlassungsfreiheit
- Arbeitnehmerfreizügigkeit
- Kapitalverkehrsfreiheit
- Europarechtskonformität
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Diplomarbeit untersucht die Europarechtskonformität des § 6 und der §§ 7-14 AStG. Sie analysiert die europäischen Grundfreiheiten und deren Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft im Kontext der deutschen Steuergesetzgebung.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Problemstellung und den Gang der Untersuchung dar. Im zweiten Kapitel werden die europäischen Grundfreiheiten und ihre Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft erläutert. Das dritte Kapitel analysiert die Europarechtskonformität des § 6 AStG im Kontext der deutschen Steuergesetzgebung. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Europarechtskonformität der §§ 7-14 AStG.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Europarecht, Grundfreiheiten, AStG, Steuergesetzgebung, Niederlassungsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Kapitalverkehrsfreiheit, Doppelbesteuerung, Controlled Foreign Corporations (CFC), Hinzurechnungsbesteuerung und Europarechtskonformität.
- Arbeit zitieren
- Thomas Witt (Autor:in), 2007, Die Europarechtskonformität des § 6 und der §§ 7-14 AStG, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86570