Die Interpretatio Romana am Beispiel Germaniens - Ein Beitrag zur römischen Religionsgeschichte


Seminararbeit, 2004

46 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Römische Religion
2.1 Quellenlage zur Römischen Religion
2.2 Die Römische Religion von ihren Anfängen bis zu den Tarquiniern
2.3 Die Römische Religion der Kaiserzeit

3. Die Germanische Religion
3.1 Quellenlage zur Germanischen Religion
3.2 Die Germania des Tacitus als religionsgeschichtliche Quelle
3.3 Die Germanische Religion

4. Die Interpretatio Romana
4.1 Religiöser Synkretismus und Interpretatio Romana: Grundlagen
4.2 Die Interpretatio Romana in Germanien
4.3 Altäre und Weihesteine als epigraphische Zeugnisse

5. Zusammenfassung und abschließende Beurteilung

6. Bildanhang

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der hohen Kaiserzeit, also dem Zeitraum des ersten und zweiten Jahrhunderts nach Christi Geburt, erfuhr das römische Reich unter der kaiserlichen Expansionspolitik seine bislang größte Ausdehnung. War früher hauptsächlich der Mittelmeerraum für die Römer interessant gewesen, begann man in dieser Zeit, die Reichsgrenzen des Imperium Romanum um den Norden, speziell den Nordwesten zu erweitern. Die gallischen Kriege unter Iulius Caesar in der Mitte des ersten Jahrhunderts vor Christus hatten den Römern bereits Teile der späteren Provinz Gallia (dem heutigen Frankreich) sowie einige westgermanische Gebiete gesichert. Weitere Pläne sahen einen Vorstoß in den Osten vor, um auch die jenseits des Rheins gelegenen Germanengebiete an das römische Weltreich anzugliedern. Mit Beginn der Prinzipatszeit wurden mehrere Versuche von Seiten der Römer unternommen, die Elbe als neue Reichsgrenze zu etablieren, doch war die römische Eroberungspolitik gleichermaßen von Siegen und Niederlagen durchzogen. Die Varus-Schlacht im Jahre 9 n. Chr. bedeutete das jähe Ende der römischen Expansion in Germanien, so dass sich bis zum Untergang des Reiches das sogenannte Freie Germanien östlich des Rheins größtenteils selbst überlassen blieb.

Trotz allem ging das Römische Reich nicht spurlos an unseren germanischen Vorfahren vorüber, denn auch wenn das Imperium faktisch an Rhein und Donau aufhörte, war ein Aufeinandertreffen beider Kulturen unvermeidbar. Viele Städte im Grenzgebiet um den von den Römern als unübersehbare Grenze des Reiches erbauten Limes geben heute noch Zeugnis eines regen wirtschaftlichen Austausches zwischen Römern und Germanen. Doch dieser Austausch bedeutete weit mehr! Denn auch im religiös-kultischen Bereich kam es infolge des jahrzehntelangen Nebeneinanders von Römern und Germanen zu einer regen Wechselbeziehung.

Ziel dieser Hausarbeit soll es nun sein, diese Beziehungen im religiösen Bereich zu untersuchen. Dabei werde ich zunächst auf die Religion der Römer von ihren Anfängen bis in die Kaiserzeit eingehen, dann die germanischen Glaubensvorstellungen herausarbeiten. Wo es sinnvoll erscheint, werde ich auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der keltischen Religion Galliens hinweisen. Einen weiteren Schritt widme ich der sogenannten Interpretatio Romana, die in diesem Zusammenhang – wie der Titel der Hausarbeit bereits vermuten lässt – eine große Rolle spielt. Schließlich werde ich auf die Quellenüberlieferung eingehen, die es Historikern ermöglicht, den religiös-kultischen Bereich römisch-germanischer Beziehungen zu erforschen. Als Quellen dienen dabei primär Schriften von Iulius Caesar und Cornelius Tacitus sowie epigraphische Überlieferungen. Über den historischen Aussagegehalt der verwendeten Quellen werde ich an geeigneter Stelle eingehen.

Um diese genannten Beziehungen zwischen der römischen und der germanischen Religion verstehen zu können, erscheint es sinnvoll, zunächst einmal einen Überblick über beide Religionen zu geben.

2. Die Römische Religion

Betrachtet man die Entwicklung Roms von einer kleinen Stadt Latiums zur Hauptstadt eines italischen Reiches und später zur Metropole eines Weltreiches, so scheint sich diese Entwicklung auch in einem Wandel der Religion widerzuspiegeln. Schließlich unterscheidet man bei der römischen Religion zwischen der archaischen und der durch die Tarquinier im 6. Jahrhundert vor Christus veränderten Religion[1].

2.1 Quellenlage zur Römischen Religion

Die Quellenlage zu Entwicklung und Wesen der römischen Religion ist, verglichen mit anderen Religionen aus dieser Zeit, recht umfangreich[2]. Die römischen Festkalender, die Aufschluss über die Bezeichnungen und Termine der meisten römischen Feiertage geben, bieten in Zusammenhang mit der Kalenderliteratur die Grundlage für die römische Religionsforschung. Dazu kommen die Antiquare der späten Republik und frühen Kaiserzeit, wie beispielsweise M. Terentius Varro oder T. Pomponius Atticus, die gemeinsam mit der antiken Geschichtsschreibung im engeren Sinne (z.B. Titus Livius) Entwicklungen im religiös-kultischen Bereich dokumentieren. Weiterhin dienen die Akten der Priestergenossenschaften, wie etwa in Stein gemeißelte Sitzungsprotokolle und Ritualvorschriften, sowie Schriften antiker Dichter wie Vergil oder Ovid als wertvolle Dokumente. Als Indigitamenta bezeichnet man Listen, auf denen Anrufungsformeln der damals verehrten Gottheiten zu finden sind. Auch sie spielen eine wesentliche Rolle für den Historiker und den Religionsforscher. Eine besondere Bedeutung kommt den Weihinschriften zu, die vor allem als Quellenmaterial der Kaiserzeit dienen. Solche Weihinschriften geben auch insofern Aufschluss über die Romanisierung, als dass sie in vielen römischen Provinzen, auch in Germanien, gefunden wurden.

2.2 Die Römische Religion von ihren Anfängen bis zu den Tarquiniern

Die Römer hatten von Anfang an polytheistisch geprägte Glaubensvorstellungen[3]. Schon die sagenhafte Gründung Roms im Jahre 753 v. Chr. weist eine starke religiöse Färbung auf. Man glaubte, dass Romulus und Remus Söhne des Gottes Mars und der Rea Silvia, der Tochter des Königs Numitor von Alba Longa, gewesen seien, was die beiden Jungen zu Halbgöttern machte. In der Gründungssage Roms liegt also bereits der Grundstein einer Religiosität dieses Volkes verankert.

Die frühen Römer kannten zahlreiche höhere Mächte, die Numina, die in allem ruhten und alles bestimmten. Sie versuchten diese Mächte gnädig zu stimmen, um das Unheil abzuwehren, welches diese Geister über sie und ihre Sippen bringen konnten. Dabei existierte scheinbar kein plastisches Bild von diesen Naturgewalten, denn sie wurden weder in Statuen oder Bildnissen dargestellt, noch in eigens für sie eingerichteten Tempeln verehrt. Dennoch war man sich ihrer Präsenz überall bewusst und man glaubte sie, wie in vielen archaischen Naturreligionen, über, auf und unter der Erde zu wissen. In diesem Dreierverhältnis zwischen höheren Mächten, Natur und Mensch hatte auch die Magie ihren Platz. Die Römer glaubten daran, ihr Schicksal durch magische Handlungen, Amulette und Beschwörungsformeln beeinflussen zu können und so gleichsam Einfluss auf das Wesen der Numina zu nehmen.

Zu diesen höheren Mächten gehörten auch die wichtigsten frühen römischen Götter, die Triade aus Iupiter, Mars und Quirinus, sowie Vater Janus (Ianus Pater) und Mutter Vesta (Vesta Mater). Vater Janus ist der älteste Gott in der archaischen Religion der Römer. Er galt als Hüter aller Anfänge und Eingänge und beschützte so Türen, Häfen, Quellen und die Geburt als Beginn neuen Lebens. Noch heute gedenkt man seiner in der Bezeichnung des Monats Januar als Beginn eines neuen Jahres. Aufgrund seiner Funktion wurde er in Gebeten und Ritualen stets als erster Gott angerufen.

Ihm gegenüber stand Vesta als Muttergöttin. Sie galt als Behüterin des Feuers, sowohl im privaten Bereich als Schutzgöttin des Herdfeuers als auch auf staatlicher Seite als Göttin des Feuers im Vestatempel. Ihr unterstanden die sechs Vestalinnen, Jungfrauen, die meist im Kindesalter auserwählt wurden um für die Dauer von 30 Jahren die heilige Flamme im Tempel zu unterhalten. Da sie den Kreis der Hauptgottheiten der damaligen Zeit schließt, wurde sie in Gebeten und Ritualen stets zuletzt angerufen[4].

Inmitten dieser beiden Gottheiten stand die Triade aus Iupiter, Mars und Quirinus. Iupiter war als Nachfahre des indogermanischen Himmelsgottes ursprünglich der Schützer von Bündnissen, Eiden und Grenzsteinen. Er galt zudem als Träger des römischen Schicksalsglaubens. Sein Wille, so glaubte man, teile sich durch verschiedene Naturphänomene mit. So befassten sich spezielle Priester, die Auguren, mit der mantischen Deutung von Blitzen, Vogelstimmen und des Vogelflugs. Auf diese Weise hoffte man die Zustimmung des Gottes bei der Schließung von Verträgen und Eiden zu erkennen[5].

Mars und Quirinus galten ursprünglich als Behüter der bäuerlichen Arbeit, als Schützer von Fruchtbarkeit und Ernte. Im Laufe der Zeit deutete man die Symbole des Mars, zwölf Schilde und zwei Lanzen, als Kriegswaffen um. So kam es allmählich zu einer Bedeutungs­veränderung bis Mars in der Zeit der späten Republik schließlich ganz als Gott des Krieges und der Kriegskunst galt[6].

Neben diesen Hauptgöttern existierten aber noch unzählige Nebengötter. Die Römer wiesen jedem noch so kleinen Bereich ihres täglichen Lebens eine Gottheit zu, sodass eine beinahe unüberschaubare Menge an Göttern zu Tage trat. Zu diesen Nebengöttern zählten u.a.: Saturnus – Gott der Aussaat, Liber und Libera – Götter der menschlichen Zeugung, Consus und Ops – Beschützer der Ernte, Portunus – Schutzgott der Häfen, Volcanus – Gott des Elements Feuer, Neptunus – Gott des Elements Wasser, Flora – Göttin der Blätter und Blüten, Pomona – Göttin des Obstes[7]. Doch damit schienen sich die Römer der Frühzeit nicht zu begnügen. Stattdessen wiesen sie den Nebengöttern noch zahlreiche Untergötter zu, wie aus den Indigitamenta, den Anrufungslisten für Götter, ersichtlich wird und an folgendem Beispiel „Ackerbau“ einmal verdeutlicht werden soll:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[8]Man sieht anhand dieses Beispiels, wie vielschichtig und komplex der römische Glaube bereits in der Frühzeit war, obwohl eine Personalisierung der zahlreichen Götter noch in der Zukunft lag. Auch im häuslichen Bereich kannte man Götter, die primär Schutzfunktionen übernahmen. Die Penaten waren der Vorstellung nach Hausgeister, die in der Vorratskammer lebten und über den Wohlstand des Hauses wachten und dafür Sorge trugen, dass die in dem Haus lebenden Personen stets genug zu essen hatten. Die Laren galten als die Geister verstorbener Familienangehöriger und ruhten in der Nähe des häuslichen Herdes. Sie wurden als Beschützer der Familie angesehen und sollten körperliches Leid von ihrer Sippe abwenden. In ländlichen Bereichen verehrte man zudem die sogenannten Ackerlaren, die als Hüter von Äckern und Grundstücken auftraten. Häufig wurden ihnen zu Ehren Weihesteine an Grundstücksgrenzen errichtet.

Einen weitaus persönlicheren Bezug hatten Genius und Iuno zu den Römern. Sie schenkten dem Glauben nach Mann und Frau Zeugungskraft und Fruchtbarkeit, die Grundlage allen Lebens. Starb eine Person, so verschwand mit ihr gleichsam der persönliche Genius bzw. die persönliche Iuno, daher existierten diese göttlichen Kräfte nur zusammen mit dem Individuum. Während man an den zahlreichen offiziellen Festtagen der Haupt- und Nebengötter gedachte und ihnen opferte, zelebrierte man die Macht von Genius und Iuno am eigenen Geburtstag[9].

Im Zusammenhang mit diesem Komplex an Gottheiten und höheren Mächten stand ein staatliches Priestertum, welches – ganz allgemein gesagt – zur Aufgabe hatte, den kultischen Bereich zu organisieren und die Opferrituale durchzuführen. In der römischen Religion der Antike galt der Vater innerhalb einer Familie als Leiter aller Opferhandlungen. Auf staatlicher Ebene existierte das sogenannte Pontifikalkollegium. Was der Pater Familias im Kleinen darstellte, war hier anfänglich der römische König als Rex Sacrorum. Neben ihm gab es zahlreiche Priester (Pontifices), denen der Hohepriester (Pontifex Maximus) vorstand. Sein Amt war später im Prinzipat dem Kaiser vorbehalten. Dazu kamen noch die als Flamines bezeichneten Priester, die sich speziell einer Gottheit verschrieben. Zu diesen gehörten die Flamines Maiores, drei an der Zahl, für die Göttertriade aus Jupiter (Flamen Dialis), Mars (Flamen Martialis) und Quirinus (Flamen Quirinalis) sowie die Flamines Minores, zwölf Priester der wichtigsten Nebengötter. Darüber hinaus standen auch die sechs Vestalinnen, auf deren Funktion bereits eingegangen wurde, in enger Verbindung zum Priestertum[10].

Als Rom sich im Laufe der Zeit immer rascher zu einer bedeutsameren Stadt entwickelte und gleichsam die Nachbarländer unterwarf, wirkte sich das auch auf die Religion aus. Unter den Tarquiniern, einer vermutlich etruskischen Dynastie, entstand im 6. Jahrhundert vor Christus der Tempel der Diana von Aricia auf dem Aventin. Auf dem Kapitol wurde ein Heiligtum zu Ehren der Götter Iupiter Optimus Maximus, Iuno und Minerva errichtet. Damit war die alte Göttertriade aufgelöst und durch eine neue ersetzt worden. Etwa zu der selben Zeit tauchte eine Sammlung von Kult- und Orakelwerken auf, die sogenannten Sybillinischen Bücher. Sie fanden ab dieser Zeit rege Verwendung bei religiös-kultischen Handlungen der Römer und bedeuteten, aus religionsgeschichtlicher Sicht betrachtet, eine Öffnung der römischen Religion gegenüber der griechischen[11].

Die griechische Religion kannte nämlich bereits zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Götter- und Heldensagen, die wesentliche Fundamente dieser Religion darstellten. Den Göttern sprach man menschliche Charaktereigenschaften zu, weihte ihnen Tempel und errichtete Statuen, die ihre menschlichen Wesensmerkmale abbilden sollten. So hatte die griechische Religion bereits ein hohes Maß an Plastizität erreicht. Genau dies war es aber, was den Römern bislang gefehlt hatte. Unter den Tarquiniern kam es daher zu einer Reform der bisherigen Religion: Nach griechischem Vorbild begann man nun, statt in Grotten und Hainen in Tempeln den Göttern zu huldigen. Ihnen zu Ehren errichtete man Statuen, die erstmals das Aussehen und Wesen der Götter festlegten. Auch zahlreiche Kulthandlungen fanden im Zuge dieser Reform durch die Tarquinier ihren Weg in die römische Religion. Doch all dies wäre nicht möglich gewesen ohne eine Wandlung der Gottheiten selbst, denn die Römer setzten ihre Götter mit den fremden gleich und passten sie den griechischen Vorbildern an. So hielten die bisherigen Götter in neuem Gewand Einzug in das römische Götterpantheon[12].

Diesbezüglich hatten etwa ab dem 6. Jahrhundert vor Christus folgende griechische Gottheiten ein römisches Gegenüber:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[13]

All die auf den vergangenen Seiten genannten Merkmale bildeten sozusagen die Grundlage römischer Glaubensvorstellungen, von der sagenumwobenen Gründung Roms bis hin zum Untergang des Imperiums. Doch nicht nur in der Zeit der tarquinischen Könige kam es zu einigen Veränderungen innerhalb der Religion, sondern auch zum Beginn der Kaiserzeit, wie im folgenden Punkt aufgezeigt werden soll.

2.3 Die Römische Religion der Kaiserzeit

Bis zum Beginn der römischen Kaiserzeit, mit der Errichtung des Prinzipats durch Augustus 27 vor Christus, hatte sich einiges in Rom verändert[14]. Das Königtum war längst verschwunden und hatte zwischenzeitig den Platz für die Römische Republik frei gemacht, die beinahe ein halbes Jahrtausend währte. In dieser Zeit expandierte Rom immer weiter und eroberte schrittweise den hellenistischen Osten, was zu einem regen Austausch von Kultur, Philosophie und Religion mit diesen Ländern führte. Auch wenn Rom zu dieser Zeit kulturell aufblühte, kam es im Inneren zu politisch bedingten Unruhen, die in der Zeit von 133 – 130 vor Christus zu den römischen Bürgerkriegen führten. Aus den Wirren dieser Zeit, die von Unsicherheit geprägt war, erwuchs der Wunsch nach einer starken Führung und innerem Frieden. Augustus kam als erster Kaiser des neuen Reiches dieser Forderung gleich in zweierlei Weise nach: Zum Einen „restaurierte“ er die alte Religion, indem er Tempel wieder aufbauen ließ und neue errichtete, die in den vergangenen Jahrzehnten erstarrten Priesterkollegien in ihrer Funktion wiederbelebte und gleichsam den religiösen Festen und Riten neue Bedeutung gab. Auf der anderen Seite stellte er als Princeps die zentrale Person im Reich dar und war in seiner Rolle sowohl Vorbild als auch Orientierungsmaßstab der Römer. Neu war außerdem das untrennbare Doppelamt, das kurz zuvor von Caesar eingeführt worden war und den Kaiser neben seiner politischen Funktion gleichzeitig mit der Aufgabe des religiösen Oberhauptes Pontifex Maximus versah[15]. Wie Karl Christ schreibt, sollte der politische Neubeginn „im Einvernehmen mit den Göttern erfolgen“[16].

Mit dem Beginn der Kaiserzeit setzte aber noch eine weitere Neuerung ein, die landläufig als Kaiserkult bezeichnet wird[17]. In Anlehnung an die Verherrlichung der ägyptischen Pharaonen und die Verehrung Alexanders des Großen, wurde Caesar nach seiner Ermordung offiziell konsekriert, also heilig gesprochen. Dabei kam ihm eine beinahe gottgleiche Bedeutung zu, die einen Präzedenzfall schaffte, der fortan von allen römischen Kaisern gepflegt wurde. Der Kaiserkult forderte eine besonders starke Loyalität der Menschen im Reich gegenüber des Kaisers und seiner Familie. Auch wenn eine offizielle consecratio erst nach dem Tod des Kaisers durch den Senat beschlossen wurde, errichtete man häufig schon zu dessen Lebzeiten prachtvolle Statuen und Bauten, die ihm geweiht wurden. Aus politischer Sicht stellte der Kaiserkult so ein wirksames Mittel zur Romanisierung dar. Durch ihn war das römische Oberhaupt im ganzen Reich präsent und diente dadurch der Sicherung des Friedens besonders in den weiter entfernten Provinzen und Kolonien[18]. Aus diesem Grund diente er also primär politischen Zielen, die sozusagen in ein religiöses Gewand „gekleidet“ waren[19].

Ein weiteres Merkmal der Kaiserzeit war das zunehmende Aufkommen fremder Kulte, die mit der Eroberungspolitik Roms Einzug in das Reich hielten[20]. Dabei war bereits um 191 vor Christus ein Tempel zu Ehren der phrygischen Muttergöttin Kybele auf dem Palatin errichtet worden. Mit der zunehmenden Expansion, durch Handel und durch Sklaven gelangten mit der Zeit vor allem ägyptische und vorderasiatische Kulte nach Rom. Anfänglich stellten diese Glaubensgemeinschaften nur eine Minderheit dar, bis zur Kaiserzeit erstarkten sie jedoch und gewannen immer mehr an Zulauf. Als Mysterienkulte stellten sie eine einzige Gottheit in den Mittelpunkt ihres religiösen Handelns und boten so einen klaren Kontrast zu der polytheistisch geprägten Religion Roms. Da sie nicht öffentlich waren, musste sich jeder Novize zuerst mit den Inhalten seiner Glaubensgruppe vertraut machen und wurde dann feierlich initiiert. Zudem legte der Neuling ein Schweigegelübde ab, das es ihm verbot, mit Außenstehenden über die religiöse Gemeinschaft und ihre Lehren zu sprechen. Besonders der monotheistische Faktor übte eine große Anziehungskraft auf die Römer aus, die diese Vorstellung allenfalls vom Juden- und allmählich auftauchenden Christentum her kennen konnten. Vor allem auch die bereits angesprochenen Wirren der späten Republik werden allgemein als Grund für das zunehmende Interesse an fremdartigen Kulten in der Kaiserzeit herangezogen.

[...]


[1] vgl. von Glasenapp, Helmuth, Die Nichtchristlichen Religionen, Frankfurt am Main: 1957, S. 258.

[2] Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf: Müller, Werner und Gilbert Trathnigg, Religionen der Griechen, Römer und Germanen, Wels: 1954, S. 107 ff. sowie von Glasenapp, S. 262.

[3] Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf: von Glasenapp, S. 261 f. sowie Müller und Trathnigg, S. 117.

[4] Eliade, Mircea und Ioan P. Culianu, Handbuch der Religionen, Frankfurt am Main: 1995, S. 121 sowie Müller und Trathnigg, S. 121.

[5] Müller und Trathnigg, S. 124.

[6] Müller und Trathnigg, S. 130.

[7] Müller und Trathnigg, S. 131 sowie von Glasenapp, S. 263 f.

[8] vgl. von Glasenapp, S. 262 f.

[9] Müller und Trathnigg, S. 132 f.

[10] Eliade und Culianu, S. 119-121 sowie von Glasenapp, S. 265 f.

[11] Eliade und Culianu, S. 120 sowie von Glasenapp, S. 260.

[12] von Glasenapp, S. 260 ff. sowie Müller und Trathnigg, S. 146 f.

[13] vgl. von Glasenapp, S. 260 sowie Müller und Trathnigg, S. 146.

[14] Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf: Christ, Karl: Die Römische Kaiserzeit: Von Augustus bis Diokletian, München: 2001, S. 10 ff. sowie S. 98 ff.

[15] vgl. diesbezüglich auch: Eliade und Culianu, S. 122 sowie Kapitel 2.2 dieser Hausarbeit.

[16] Christ, S. 99.

[17] Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf: von Glasenapp, S. 261 ff. sowie Wamser, Ludwig (Hg.), Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer: Zivilisatorisches Erbe einer Europäischen Militärmacht, Mainz: 2000, S. 246 ff.

[18] vgl. hierzu besonders Wamser, S. 251.

[19] Kaiser Commodus (180-192 n. Chr.) erhob als erster Kaiser zu Lebzeiten den Anspruch, ein Gott in Menschengestalt zu sein. Mit Diokletian (284-305 n. Chr.) erreicht der Kaiserkult seinen Höhepunkt. Vgl. von Glasenapp, S. 264.

[20] Die folgenden Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf: von Glasenapp, S. 261 und Wamser, S. 241 ff.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Die Interpretatio Romana am Beispiel Germaniens - Ein Beitrag zur römischen Religionsgeschichte
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Veranstaltung
Das Imperium Romanum im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr.
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
46
Katalognummer
V86607
ISBN (eBook)
9783638021470
ISBN (Buch)
9783638923453
Dateigröße
1544 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interpretatio, Romana, Beispiel, Germaniens, Beitrag, Religionsgeschichte, Imperium, Romanum, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Roman Büttner (Autor:in), 2004, Die Interpretatio Romana am Beispiel Germaniens - Ein Beitrag zur römischen Religionsgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86607

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