Erst die späten Werke Michel Foucaults, die einen Wechsel der Perspektive auf das Subjekt vollziehen, lassen das Gesamtwerk des Theoretikers als solches erkennen und bieten den Schlüssel zum Verständnis dessen, was Foucaults theoretisches sowie politisches Anliegen war. Der viel zitierten These, es gebe einen radikalen Bruch in Foucaults Werk, möchte die Arbeit Foucaults eigenes Verständnis einer Kontinuität entgegensetzen. Statt zu postulieren, Foucault spräche in seinem Spätwerk „zum ersten Mal seit gut zehn Jahren wieder von einer freien Subjektivität“, wird dargelegt, das Foucault das Phänomen der Subjektivierung über die Zeit aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert hat, nämlich zunächst von außen und später von innen.
Die Hinwendung zum Subjekt in den späten Werken steht dabei in einem engen Zusammenhang mit einer „Ästhetik der Existenz“, die Foucault in den antiken Überlieferungen findet und hieraus eine Ethik formuliert. Das ethische Interesse in Foucaults spätem Werk war jedoch nicht mit einer Abkehr von einem politischen Interesse verbunden, einem Rückzug in eine privatistische Moral. Im Gegenteil rückte Foucault die Praxis der Ethik oder „die Politik als eine Ethik“ in den Mittelpunkt seiner letzten Schriften, weil er erkannte, dass unsere politische Kultur einen bestimmten Modus der politischen Beziehung auf das Selbst beinhaltet. Denn nur die „Selbstpolitik“ könne uns von einer „Seele“ und einer „Selbstbeziehung“ befreien, die von sehr spezifischen Kräften des Wissens, der Macht und der Subjektivierung definiert worden seien.
Inhalt
1. Einleitung
2. Foucaults Machtkonzept
3. Die äußeren Subjektkonstitutionen
3.1 Biomacht
3.2 Die nicht-diskursiven Praktiken der Subjektkonstitution
3.2 Die diskursiven wissenserzeugenden Praktiken der Subjektkonstitution
4. Die Selbstkonstitution
4.1 Pastoralmacht als Negativfolie der Selbstkonstitution
4.2 Die Selbstkonstitution in der Antike
4.2.1 Die Selbstpraktiken der klassischen griechischen Antike
4.2.2 Die Selbstpraktiken der Spätantike
4.3 Selbstanteil an der äußeren Subjektkonstitution
5. Ethik, Freiheit und Widerstand
5.1 Selbstkonstitution als Freiheit zu, eine Ethik
5.2 Selbstkonstitution als Widerstand
5.3 Freiheit von als Voraussetzung der ethischen Praxis
6. Grenzen der Freiheit: Gesellschaftliche Normierungen
6.1 Hegemonie und symbolische Kämpfe
6.2 Die Grenzen der Freiheit heute
7. Fazit
8. Literaturangaben
1. Einleitung
Erst die späten Werke Michel Foucaults, die einen Wechsel der Perspektive auf das Subjekt vollziehen, lassen das Gesamtwerk[1] des Theoretikers als solches erkennen und bieten in meinen Augen den Schlüssel zum Verständnis dessen, was Foucaults theoretisches sowie politisches Anliegen war. Der viel zitierten These, es gebe einen radikalen Bruch in Foucaults Werk[2], möchte ich Foucaults eigenes Verständnis einer Kontinuität entgegensetzen. Statt zu behaupten, Foucault spräche in seinem Spätwerk „zum ersten Mal seit gut zehn Jahren wieder von einer freien Subjektivität“[3], möchte ich darlegen, das Foucault das Phänomen der Subjektivierung über die Zeit aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert hat, nämlich zunächst von außen und später von innen.
Die Hinwendung zum Subjekt in den späten Werken steht dabei in einem engen Zusammenhang mit einer „Ästhetik der Existenz“, die Foucault in den antiken Überlieferungen findet und hieraus eine Ethik formuliert. Das ethische Interesse in Foucaults spätem Werk war jedoch nicht mit einer Abkehr von einem politischen Interesse verbunden, einem Rückzug in eine privatistische Moral. Im Gegenteil rückte Foucault die Praxis der Ethik oder „die Politik als eine Ethik“ in den Mittelpunkt seiner letzten Schriften, weil er erkannte, daß unsere politische Kultur einen bestimmten Modus der politischen Beziehung auf das Selbst beinhaltet. Denn nur die „Selbstpolitik“ könne uns von einer „Seele“ und einer „Selbstbeziehung“ befreien, die von sehr spezifischen Kräften des Wissens, der Macht und der Subjektivierung definiert worden seien. Diese Politik befinde sich im Widerstand gegenüber einer Form der Macht, die „das Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine Individualität aufprägt, es an seine Identität fesselt, ihm ein Gesetz der Wahrheit auferlegt, das es anerkennen muß und das andere in ihm anerkennen müssen.“[4] Die aktuellen politischen Kämpfe kreisen nach Foucault demnach um die Frage, wer wir sind und „weisen die Abstraktionen ab, die ökonomische und ideologische Staatsgewalt, die nicht wissen will, wer wir als Individuen sind, die wissenschaftliche und administrative Inquisition, die bestimmt, wer man sei.“[5] Der Widerstand verweigere sich also einerseits der Festlegung dessen, wer wir sind, der auferlegten Subjektivierung und müsse anderseits Techniken fördern, die es erlauben, neue Formen von Subjektivität zu erfinden. Foucaults theoretisches und politisches Anliegen stellt sich nun dahingehend dar, daß er die Formen der Selbsttechniken zur Erfindung der eigenen Subjektivität aufzeigen möchte und sie gleichzeitig als politischen Akt versteht, der als eine „Lebenskunst gegen alle schon vorhandenen oder drohenden Formen des Faschismus“[6] seine praktische Verwendung finden kann.
Ich möchte in dieser Arbeit zeigen, daß Michel Foucault in seinem Werk den Prämissen[7] einer kritischen Gesellschaftstheorie folgt, indem er Strukturen der gesellschaftlichen Herrschaft aufdeckt und gleichzeitig auch die sozialen Ressourcen für ihre praktische Überwindung zu seinem Thema macht. Mich interessiert nun daran, welche Relevanz die foucaultsche Theorie für eine heutige Analyse der gesellschaftlichen Machtbeziehungen unter der veränderten Perspektive auf das Subjekt haben kann. Dazu sollen die Fragen, welche gesellschaftlichen Machtpraktiken das Subjekt formen, die Grenzen der freien Selbstkonstitution setzen und welche politische Praxis des Widerstandes dem entgegengesetzt werden kann, im Mittelpunkt der Arbeit stehen.
Zu Beginn der Arbeit werde ich das foucaultsche Machtkonzept skizzenhaft darlegen, um die Grundkategorien einzuführen, und das Verhältnis von Macht, Wissen und Subjektivität herauszustellen. Daran anschließend werde ich die Frage der Subjektkonstitution behandeln und in zwei Bereiche, den der äußeren Subjektkonstitution und den der Selbstkonstitution von innen, aufteilen. Diese Unterscheidung soll den Perspektivenwechsel in Foucaults Werk verdeutlichen, jedoch keinen ausschließenden Gegensatz kennzeichnen. Die äußeren Praktiken der Subjektkonstitution werde ich unter dem Konzept der Biomacht darstellen und dabei die nicht-diskursiven Praktiken der Subjektkonstitution aus „Überwachen und Strafen“, sowie der diskursiven, wissenserzeugenden Technik aus „Der Wille zum Wissen“ beschreiben.
Nach den Darstellungen der äußeren Subjektkonstitutionen werde ich die Verschiebung hin zu den Praktiken der Selbstkonstituierung in den Werken „Sexualität und Wahrheit 2 und 3“ herausarbeiten. Dazu soll das Konzept der Pastoralmacht als Negativfolie zu den antiken Praktiken des Selbst dienen. Anschließend möchte ich den Selbstanteil an den äußeren Praktiken problematisieren, um deutlich zu machen, daß die Machtbeziehungen der äußeren Subjektkonstitution keine totalitäre Herrschaft, sondern fragile Beziehungen darstellen, innerhalb derer Widerstand möglich ist. An diesem Punkt zeigt sich dann auch die Kontinuität des foucaultschen Werks.
Das fünfte Kapitel der Arbeit widmet sich dann dem politische Anliegen Foucaults. Hier werde ich anhand der Fragen von Ethik, Freiheit und des Widerstandspotentials die bis dahin gewonnen Erkenntnisse nutzen, um die foucaultschen Ethik unter dem Gesichtspunkt einer politischen Praxis zu diskutieren.
Ich möchte dann zeigen, daß in Foucaults Werk, unter dem Perspektivenwechsel auf das Subjekt, ein politisch-normativer Anspruch begründet ist, der jedoch in der Machtanalyse nicht genügend reflektiert wird. Foucaults Analysen gehen zwar darauf ein, die Wirkungsweise der gesellschaftlichen Normierungskräfte zu erklären, doch befassen sie sich nur marginal mit der Frage nach ihrer Veränderbarkeit oder Entstehung.
Diese Fragen sollen im sechsten Kapitel anhand von Begriffen wie Hegemonie und symbolischen Kämpfen diskutiert werden, um die foucaultsche Analyse mit einer Dimension der Macht zu erweitern, die ihren Fokus auf normative Kräfte richtet und die Genese gesellschaftlicher Normen thematisiert. Somit kann auch das normativ-politische Anliegen Foucaults einen Platz in der Analyse finden, da auch Foucaults politische Forderung nach einem herrschaftsfreien gesellschaftlichen Zustand als Teil eines sozialen Kampfes um gesellschaftliche Normen verstanden werden muß.
Zum Ende der Arbeit versuche ich dann zu erörtern, was eine heutige Betrachtung der gesellschaftlichen Normierungen aus der foucaultschen Analyse übernehmen kann, welche Dimension der Macht noch zu berücksichtigen ist und welche Widerstandspotentiale die Ethik Michel Foucaults heute birgt.
2. Foucaults Machtkonzept
Das Grundmodell des foucaultschen Machtkonzeptes ist das einer strategischen Intersubjektivität des Kampfes, eines stetigen und unaufhebbaren Kriegszustandes zwischen individuellen oder kollektiven Akteuren:
„Zwischen jedem Punkt eines gesellschaftlichen Körpers, zwischen einem Mann und einer Frau, in einer Familie, zwischen einem Lehrer und seinem Schüler, zwischen dem der weiß und dem der nicht weiß verlaufen Machtbeziehungen, die nicht die schlichte und einfache Projektion der großen souveränen Macht auf die Individuen sind; sie sind eher der bewegliche und konkrete Boden, in dem die Macht sich verankert hat, die Bedingungen der Möglichkeit, damit sie funktionieren kann.“[8]
Die Herausbildung und Reproduktion komplexer Machtgefüge innerhalb einer Gesellschaft begreift Foucault als Netz eines zentrumslosen Systems, in dem situational an unterschiedlichen Orten erkämpfte Machtpositionen verknüpft werden. Diese Machtbeziehungen seien beweglich und höchst fragil und können sich in ihrer Bewegung umkehren. Von diesen Machtbeziehungen unterscheidet Foucault nun andere, die er als Herrschaftszustände bezeichnet und als blockierte und erstarrte Machtbeziehungen begreift: Herrschaftszustände „gestatten denen, die an den Machtbeziehungen teilhaben nicht, eine Strategie zu verfolgen, mit der sie diese verändern können. Wenn es einem Individuum oder einer gesellschaftlichen Gruppe gelingt, ein Feld von Machtbeziehungen zu blockieren, sie unbeweglich und starr zu machen und - mit Mitteln, die sowohl ökonomisch als auch politisch oder militärisch sein können - jede Umkehrbarkeit der Bewegung zu verhindern, dann steht man vor dem, was man einen Herrschaftszustand nennen kann.“[9]
Eine Herrschaftsordnung könne sich nun in dem Netz der Machtbeziehungen nur „von unten“ her bilden, indem sich die Summe verschiedener sozial erkämpfter Erfolge mit gleicher Zielsetzung bilde. Diese zeigen zunächst eine augenblickshafte Verknüpfung gleichartiger Handlungserfolge an unterschiedlichen Orten des gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs auf, seien aber noch fragil. Bestand gewinnen Herrschaftszustände im foucaultschen Verständnis erst, wenn es gelingt, die ineinanderpassenden Erfolge in den selben Konfliktsituationen wiederholbar zu machen. Dadurch entstehe dann ein System verstetigter Ordnung, das die Machtbeziehungen von situativ erkämpften Positionen erstarren lasse.
Foucault versteht jedoch unter den verfestigten Machtbeziehungen nicht solche, die bloß die Individuen, auf die sie wirken, direkt oder indirekt zwingen, von der eigenen Zielsetzung abzulassen. Solche Macht wäre, nach Foucault, arm an Ressourcen und unterdrücke bloß, ob mit physischer Gewaltandrohung oder mit Hilfe geschickter Täuschung, das Interesse des Gegenübers. In diesem Verständnis müsse sich die Machtwirkung ständig wiederholen und wäre darin erschöpft, „nein zu sagen“. Die Macht könnte nicht produzieren, sondern nur Grenzen ziehen: „Ihre Wirksamkeit bestünde in dem Paradox, daß sie nichts vermag als dafür zu sorgen, daß die von ihr Unterworfenen nichts vermögen, außer dem, was die Macht sie tun läßt.“[10]
Foucault setzt also dem traditionellen Machtverständnis das der produktiven Macht entgegen, welches er in modernen Gesellschaften mit „produktiver Effizienz“ und „strategischem Reichtum“ zum Einsatz kommen sieht. Die Techniken sozialer Macht haben jetzt in Foucaults Sichtweise die Fähigkeit, gesellschaftliche Energien zu mobilisieren: „Diese Macht ist dazu bestimmt, Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten.“[11]
Foucault untersucht nun die produktiven Leistungen der verfestigten Machtbeziehungen und stellt eine normierende Integrationsfähigkeit fest, die sich in den modernen Gesellschaften herausgebildet hat. Durch bestimmte Techniken der Disziplinierung der Individuen habe es gelingen können, Verhaltensweisen zwanghaft zu fixieren und in routinierte reproduzierbare Handlungsschemata zu verwandeln. Die normierenden Kräfte, die eine Instabilität der Gesellschaft verhindert haben, wirken nach Foucault weniger auf die kulturellen Denkweisen als auf die körpergebundenen Lebensäußerungen. Darunter versteht er alle direkt an die Funktionsbasis des menschlichen Körpers gebundenen Lebensäußerungen, die rein motorischen Bewegungen wie auch die organisch elementaren Vorgänge der Zeugung oder Erkrankung. Diese Bereiche von Körpervorgängen gilt es für Foucault zu untersuchen, weil er hier die strategische Effektivität der Herrschaftsmittel in ihrer unmittelbaren Wirkung vermutet, weil hier die durch Macht produzierten Effekte zu beobachten sind.
Die körperbezogenen Techniken der sozialen Machtausübung seien nun nach Foucault das Ergebnis der wissenschaftlichen Erschließung der entsprechenden Körper- und Lebensvorgänge. Denn Disziplinierung der individuellen Körper und Verwaltung der organischen Lebensprozesse seien nur durch Gewinnung von Informationen und Erkenntnissen möglich, die über den Menschen unter dem Gesichtspunkt der strategischen Verfügung gewonnen werden. Insofern begreift Foucault die Wissenschaft insgesamt als eine Tätigkeit, in der die Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkt der sozialen Machtgewinnung empirisch erschlossen und theoretisch erklärt werden könne. Wissenschaft diene demnach dem Zweck der sozialen Unterwerfung von Individuen und könne außerhalb der strategischen Machtbeziehungen keinen angebbaren Sinn erfüllen. „Eher ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehung voraussetzt und konstituiert.“[12]
In Foucaults Machtkonzeption sind also Macht und Wissen unmittelbar miteinander verknüpft und ermöglichen so eine Art politischer Rationalität, die das Körperinnere der Individuen durchziehen kann und sie mit Hilfe dieser „Biomacht“ als Subjekte konstituiert.
3. Die äußeren Subjektkonstitutionen
3.1 Biomacht
Foucault sieht die Biomacht erstmalig als zusammenhängende politische Technologie im 17. Jahrhundert entstehen, wo die Pflege des Lebens, Wachstum und Wohlergehen der Bevölkerung zentrales Anliegen des Staates geworden sei. Hier sei nach Foucault ein neuer Typ politischer Rationalität entstanden und eine neue Praxis, die eng mit der Entstehung der Sozialwissenschaften zusammenhing. Es seien systematische und empirische Untersuchungen historischer, geographischer und demographischer Bedingungen unternommen worden, um ein Wissen zu produzieren, das von der Biopolitik zur Produktion und Verwaltung der Gesellschaft benötigt worden sei.
„Auf dem Felde der politischen Praktiken und der ökonomischen Beobachtungen stellen sich die Probleme der Geburtenrate, der Lebensdauer, der öffentlichen Gesundheit, der Wanderung und Siedlung; verschiedenste Techniken zur Unterwerfung der Körper und zur Kontrolle der Bevölkerungen schießen aus dem Boden und eröffnen die Ära einer ‘Bio-Macht’.“[13] Dabei gibt Foucault zwei Pole an, die er untersucht, wobei der eine, die Sorge um die Bevölkerung, die menschliche Spezies als Ganzes betrifft und die Reproduktion der Gattung im Auge hat. Der andere Pol bezieht sich auf die Sorge um den Körper des einzelnen zu disziplinierenden Individuums. Beide Pole der Biomacht waren mit dem Aufstieg des Kapitalismus verknüpft, dessen Voraussetzung die Produktion disziplinierter Subjekte und die Fixierung, Kontrolle und rationale Verteilung der Bevölkerung war. Biomacht ist also der Machttypus, der spezifisch sei für die kapitalistische Gesellschaftsformation: „Die Abstimmung der Menschenakkummulation mit der Kapitalakkumulation, die Anpassung des Bevölkerungswachstums an die Expansion der Produktivkräfte und die Verteilung des Profits wurden auch durch die Ausübung der Biomacht in ihren vielfältigen Formen und Verfahren ermöglicht. Die Besetzung und Bewertung des lebenden Körpers, die Verwaltung und Verteilung seiner Kräfte waren unentbehrliche Voraussetzungen.“[14]
Allgemein gesprochen sei das Ziel der Biomacht, so Foucault, die Formung und Produktion von Subjekten gewesen, die eine ausdifferenzierte und moderne Gesellschaftsform erst ermöglicht haben. Ein Prozeß, der alle Bereiche des Lebens umfasse und jegliche individuellen Angelegenheiten wie die Sexualität zu einem Problem der gesellschaftlichen Regulierung werden ließ. In dem Werk „Überwachen und Strafen“ und im ersten Band zu „Sexualität und Wahrheit“ beschreibt Michel Foucault diesen Prozeß der Regulierung durch die Biomacht, der mit Hilfe von nicht-diskursiven, stummen Praktiken und diskursiven, wissenserzeugenden Techniken der äußeren Subjektkonstitution das „Netz der Biomacht“[15] spannte.
3.2 Die nicht-diskursiven Praktiken der Subjektkonstitution
In „Überwachen und Strafen“ (Surveiller et punir. La naissance de la prison) beginnt Foucault damit, die nicht-diskursiven Praktiken der körperlichen Disziplinierung seit dem 18. Jahrhundert zu schildern und die Veränderungen der Techniken der Disziplinierung bis zur Moderne, bis zur „Geburt des Gefängnisses“ aufzuzeigen.
Foucault schildert zu Anfang die Technik des Marterns am Beispiel einer öffentlichen Hinrichtung zur Mitte den 18. Jahrhunderts. Diese Zeremonie der Grausamkeit, in der brutal gefoltert, der Delinquent gevierteilt und zum Ende verbrannt wurde, stelle die gängige Praxis der feudalen Gerichtsbarkeit dar. Die Schädigungen des Körpers bis zu seiner vollständigen Zerstückelung und Zerstörung solle die geschädigte Integrität des Körpers des souveränen Herrschers wieder herstellen, die durch die Tat des Delinquenten verursacht wurde. Diese absolutistische Strafpraxis sei gekennzeichnet durch die zeremoniale Öffentlichkeit der Marter auf der einen Seite und durch die Heimlichkeit des gerichtlichen Verfahrens auf der anderen, worin der Angeklagte seine Tat zu gestehen habe und notfalls auch durch Folter zum Geständnis gezwungen werde.
Der Körper spiele bei dieser Praxis eine dreifache Rolle, weil er durch die Züchtigung bestraft werde, durch die Folter das Geständnis, also die Wahrheit zutage trete und durch die öffentliche Zeremonie der Marter das Geständnis bezeugt werde und als bewiesen gälte. „Die wahre Marter hat die Wahrheit aufzusprengen; und insofern führt sie vor den Augen des Publikums die Arbeit der Folter weiter. [...] Eine gelungene Marter rechtfertigt die Gerichtsbarkeit, sofern sie die Wahrheit des Verbrechens im Körper des Gemarterten kundtut.“[16]
Die aufgeklärten Reformjuristen kritisierten nun die Grausamkeit und Willkür des absolutistischen Strafvollzuges und forderten eine Humanisierung der Praktiken. Nicht mehr die Rache am Kriminellen und die Wiederherstellung der Integrität des feudalen Souveräns solle im Mittelpunkt stehen, sondern der Schutz der Gesamtgesellschaft und ihrer Normen. Der Straftäter solle den Normen der sozialen Konformität durch Behandlung oder Erziehung angepaßt werden, um schließlich wieder in den sozialen Verkehr reintegriert zu werden. Nicht mehr der Körper solle beeinflußt und umgeformt, sondern die Seele angepaßt werden. Die Strafe gälte in diesem Verständnis gleichzeitig als Abschreckung und als Belehrung einer öffentlichen Demonstration der gesellschaftlichen Norm. Doch die Einführung des Gefängnisses als gängige Strafpraxis wurde, wie Foucault zeigt, nicht vorrangig als humanisierende Maßnahme zur Abmilderung des physischen Leids der Betroffenen eingeführt, sondern als ein Prozeß der Optimierung sozialer Kontrollverfahren. Effizienzsteigerung und Rationalisierung der gesellschaftlichen Machttechniken seien die Gründe der „Geburt des Gefängnisses“, weil die Strafpraxis des Marterns den großen Nachteil der hohen finanziellen wie politischen Kosten habe, die das massive Aufgebot des Gewaltapparates verlange. Auch neigte das Publikum des „Fest der Martern“ in bestimmten Fällen zur Sympathie für das Opfer und es kam zu Aufruhr bis zur Befreiung des Delinquenten. So sei ein effektiverer Strafvollzug entstanden, der die finanziellen Kosten gering halte, politische Diskretion vorsehe und für ein geringes Aufsehen sorge. Es sei eine Praxis der relativen Unsichtbarkeit entstanden, die auch einen geringen Grad von Widerstand erregte. Die Machtausübung solle möglichst intensiv und ohne Niederlagen und Lücken funktionieren.[17]
Foucault sieht in den neuen Formen der Strafpraxis die Herausbildung einer neuen Machttechnik, die sich zunächst unabhängig in verschiedenen Disziplinierungsstätten wie Klostern, Kasernen und Fabriken herausgebildet und sich zu einem Netz einer einzigen Machtstrategie verknüpft habe. Diese Strategie der Disziplinierungsverfahren habe dafür gesorgt, die motorischen und gestischen Bewegungen des Menschen in den Zwang routinierter Verhaltensweisen zu pressen.[18] Durch räumliche Parzellierung der menschlichen Körper nach Funktion oder Rang in Schulen, Klostern oder Werkstätten seien die Menschen isolierten Plätzen und Räumen zugeordnet worden. Mit Hilfe zeitlicher Durchrationalisierung des Körperverhaltens sei der körperliche Bewegungsfluß in Einzelakte zergliedert und damit spezialisiert worden, was auch zu einer zeitlichen Durchgestaltung des Dressurverfahrens selbst geführt habe. Schritte der Disziplinierung seien organisierbar und planbar geworden, so daß eine Eingliederung des disziplinierten und zerlegten Körpers in einen übergeordneten Funktionszusammenhang wie Armee oder eine Werkstatt möglich geworden sei.[19]
Erreicht worden seien diese Disziplinierungsverfahren durch bestimmte Kontrolltechniken der stetigen und minutiösen Überwachung der routinierten Tätigkeiten, durch spezielle architektonische Anlagen der Disziplinierungsstätten und durch Sanktionen in Form von Ermahnungen und Strafungen.[20] Einzig die Prüfung stelle eine Kombination aller anderen Kontrollverfahren dar, weil sie normiert, qualifiziert, klassifiziert und strafende Überwachung vereint. Die idealtypische Vergegenständlichung der Disziplinarmacht stellt nun das Modell des „Panopticums“ aus dem Jahr 1787 dar.[21] Es ist die Architektur einer Überwachungsanstalt, in der Einzelzellen in konzentrischen Kreisen um eine zentrale Beobachtungseinrichtung angelegt sind, von wo alle Insassen gesehen werden können, aber die Wächter ihrerseits unsichtbar bleiben. Daher kann die Überwachungszentrale auch unbesetzt bleiben, weil sich die Gefangenen zwangsläufig so verhalten müssen, als wenn sie ständiger Kontrolle und Beobachtung ausgesetzt wären. Das Modell stellt nach Foucault die Utopie der völligen Transparenz und ständigen Selbstüberwachung dar und sollte nach ihrem Erfinder Bentham seine Anwendung in Fabriken, Schulen, Krankenhäusern usw. finden.
[...]
[1] Ich beziehe mich in dieser Arbeit ausschließlich auf die Werke in denen Michel Foucault beginnt das
Verhältnis der Macht zum Subjekt in den Mittelpunkt der Analyse zu rücken. Dieses wird mit
„Überwachen und Strafen“ 1975 eingeleitet.
[2] vgl. Hinrich Fink-Eitel: Michel Foucault zur Einführung. (3. Aufl.). Hamburg 1997, S. 98
[3] ebd.
[4] Michel Foucault: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Subjekts. In: Herbert L. Dreyfuß/Paul
Rabinow: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. (2. Aufl.) Weinheim 1994, S.
246
[5] ebd.
[6] Michel Foucault: Der „Anti-Ödipus“ - Eine Einführung in eine neue Lebenskunst. In: ders.: Dispositive
der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin 1978, S. 228
[7] vgl. Axel Honneth: Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie.
Frankfurt/Main (2. Aufl.) 1994, S. 382
[8] Michel Foucault: Die Machtverhältnisse durchziehen das Körperinnere. Ein Gespräch mit Lucette Finas.
In: Ders.: Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin 1978, S.
110
[9] Michel Foucault: Freiheit und Selbstsorge. Interview 1984 und Vorlesung 1982. Hrsg. Von Helmut
Becker u.a. Frankfurt/Main 1985, S. 11
[10] Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. (10. Aufl), Frankfurt/Main 1998, S.
106
[11] ebd. S. 163
[12] Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. (12. Aufl.), Frankfurt/Main
1998, S. 39
[13] Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. a.a.O., S. 167
[14] ebd. S. 168
[15] vgl. Michel Foucault: Dispositive der Macht. a.a.O., S. 109
[16] Michel Foucault: Überwachen und Strafen. a.a.O., S. 59
[17] vgl. ebd. S. 280
[18] vgl. ebd. S. 181
[19] vgl. ebd. S. 181f
[20] vgl. ebd. S. 192f
[21] vgl. ebd. S. 256f
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