Das Problem der "schulischen Hinterbühne"

Ist die Demokratisierung der Schule eine Antwort hierauf?


Hausarbeit, 2002

29 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die schulische Hinterbühne

3. Worin besteht die Problematik des Hinterbühnen-geschehens?

4. Was ist die „just community“?

5. Inwiefern kann das “just community” – Modell hilfreich sein?

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

Das Problem der schulischen Hinterbühne – mit Demokratisierung der Schule zu beantworten?

1. Einleitung

Die schulische Hinterbühne ist ein schlüssig konstruiertes Modell, das einen bestimmten Aspekt des schulischen Alltags beschreibt. Mit ihm werden Phänomene greifbar, die, einzeln betrachtet, wohl vielen bekannt, aber schlecht greifbar sind. Isoliert finden diese Phänomene zwar immer wieder Beachtung, nicht zuletzt deshalb, weil sie in ihren Ausprägungsformen oft zum schlechten Klima einer Schule beitragen. Bei der Betrachtung des Innenlebens der Institution Schule aus soziologischer Sicht kann man sie jedoch gut aufschlüsseln und als bestimmten Typus des alltäglichen Schulverhaltens in das Gesamtbild der Institution einfügen.

Trotzdem wird das schulische Hinterbühnengeschehen als solches schulpädagogisch wie schulpolitisch wenig beachtet.

Ich möchte daher im Folgenden beschreiben, worum es sich dabei handelt und welches die Bedingungen sind, die solch eine Hinterbühne entstehen lassen.

Gemeint ist mit der Bezeichnung „Hinterbühne“ all jenes Geschehen, was sich jenseits des öffentlichen, institutionell vereinbarten oder festgesetzten Rahmens abspielt.

Der öffentliche Rahmen umfasst alles, was gemeinsam von Lehrern und Schülern in einer mehr oder weniger öffentlichen Form durchgeführt wird und aus dem Sinn und Zweck der Schule entsteht.

In dieser „repräsentative[n] Vorderbühne von Schule“ (S. 34) sind Lehrer und Schüler in der Regel gemeinsam bestrebt, das Zusammenleben mit all seinen vereinbarten sozialen Regeln und innerhalb der anerkannten Ordnung aufrechtzuerhalten. Wie Zinnecker dazu passend formuliert: „Das Zusammentreffen von pädagogischem Personal und Schülerklientel stabilisiert die offizielle Handlungsebene der Institution“ (S. 34).

Darin erschöpft sich das Schulgeschehen aber bei weitem nicht. Drumherum und nebenher spielt sich sowohl auf der Lehrer- wie auf der Schülerseite weit mehr ab. Und vor allem die Aktivitäten der Schüler erscheinen dabei oftmals als problematisch.

Die zu einem großen Teil versteckt ablaufenden Aktionen, von denen die Schüler wissen, dass sie verboten sind, gehören dazu oder das Rumtoben im Gebäude und auf dem Schulhof, aber auch die zunehmend offene verbale und physische Gewalt gegen Mitschüler und der zunehmend offene Ausdruck mangelnden Respekts gegenüber den Lehrern.

Es wird in der Regel versucht, solches Verhalten zu unterbinden – auf welche Arten und mit welchem Erfolg, wird noch zu erörtern sein – und viele Lehrer klagen darüber, dass sie sich überfordert und machtlos fühlen, nicht wissen, wie sie dem begegnen sollen.

Im Rahmen dieser Problematik möchte ich mich mit dem Thema „Demokratisierung der Schule“ befassen und der Frage nachgehen, ob durch eine Demokratisierung, wie sie beispielsweise in der „just community“ gelebt wird, das Treiben auf der Hinterbühne eingedämmt werden kann, bzw. ob es dadurch vielleicht gänzlich seinen Nährboden verlieren kann.

2. Die schulische Hinterbühne

Da ich mit dem, was sich hinter dem Begriff der Hinterbühne verbirgt, als dem zentralen Thema dieses Aufsatzes durchweg arbeiten werde, möchte ich ihn zunächst genauer unter die Lupe nehmen.

Zunächst gibt es für das Schulleben an jeder Schule bestimmte Grundregeln, an die sich jeder, der zu dieser Institution gehört, zu halten hat. Sie regeln den Umgang zwischen Schülern und Lehrern, geben vor, wie man sich im Unterricht zu verhalten hat, was geschehen soll, wenn es zur Pause klingelt, sie beinhalten die Hausordnung und die Notengebung.

Es gibt natürlich sehr grundsätzliche Punkte, die schulübergreifend gelten, aber auch viele, die von Schule zu Schule variieren oder anders gehandhabt werden. Es sind soziale Regeln, auf die Lehrer und Schüler sich geeinigt haben, um das gemeinsame Schulleben zu gestalten. Diese Ordnung wird durch die Mitglieder aufrechterhalten und gegen neue Einflüsse von außen verteidigt. Sie bleibt unter normalen Umständen erstaunlich stabil und wird so von Generation zu Generation tradiert. Durch sie wird das Bild der Schule nach außen präsentiert.

Jeder, der neu hinzukommt, findet also ein vorgefertigtes soziales Gefüge vor, in das er sich einzuordnen hat. Dafür stehen ihm zum einen verschiedene Formen alltäglicher und nicht-alltäglicher Anpassungsmechanismen zur Verfügung. Wenn man sich die Ordnung der Institution zu eigen macht, sie anerkennt, ist dies eine sehr passive Art des Umgangs mit der Institution. Doch natürlicher Weise müssen dafür auch Abstriche bei der eigenen Persönlichkeit, bei Verhaltensgewohnheiten oder ideellen Vorstellungen gemacht werden. Auf der anderen Seite wird auch versucht werden, die institutionellen Bedingungen so zu verformen, dass die Ordnung der Institution mit den eigenen Vorstellungen und Wünschen besser zusammenpasst. Der alltägliche Umgang mit der Institution basiert dann auf ausgehandelten Kompromissen.

Es gibt aber auch nicht-alltägliche Formen der Aneignung, die den vorgegebenen Handlungsrahmen sprengen. Das geschieht, wenn Mitglieder gegen die bestehende Ordnung rebellieren, sich ihr widersetzen, sie aushebeln wollen. Das führt dann entweder zu einer Umgestaltung der Institution, von der Änderung bestimmter Regeln bis zu einer totalen Neukonzeptionierung oder sogar Auflösung, oder aber dazu, dass der Rebellierende die Institution verlassen muss und diese stabil bleibt. Häufiger wird letzteres die tatsächlich vorkommende Variante sein, weil ein Angriff auf die sozialen Regeln einer Institution schließlich nicht zuletzt deren gesellschaftliche Funktion in Frage stellt und daher eine sehr problematische Angelegenheit ist.

Beim alltäglichen Umgang mit der Schule nun werden die Mitglieder sich offiziell einverstanden erklären mit den geltenden Regeln und sie befolgen. Trotzdem entwickeln Lehrer wie Schüler zusätzlich private Regeln, die personen-, gruppen- und ortsabhängig sein können, also nur von einem allein favorisiert werden oder von einer bestimmten Gruppe des Lehrerkollegiums oder der Schülerschaft, oder beispielsweise auch von einem Klassenverband innerhalb eines bestimmtes Unterrichtsfaches bei einem bestimmten Lehrer.

Sie werden versuchen, diese unterschiedlichen, voneinander abweichenden Regelvorstellungen in einen gemeinsamen Konsens zu bringen.

Alle, die bestimmte eigene Regelvorstellungen in diesem Rahmen haben, können und werden bemüht sein, diese öffentlich zu machen und als Teil der legitimen Regeln anerkennen zu lassen. Die Schüler können dafür einzelnen Lehrern gegenüber protestieren und mit ihnen Diskussionen anregen, sie können ihre Anregungen als Diskussionspunkte auf die Tagesordnung bei Schülerversammlungen setzen, Lehrer können ebenso auf Konferenzen ihre Kritikpunkte und Ideen vortragen und auf einen Beschluss drängen.

Es gibt aber außer diesen verhandelbaren und kompromissfähigen Regelungen auch Vorstellungen und Verhaltensweisen, die nicht mit den etablierten sozialen Regeln in Einklang gebracht werden können. Diese bilden das Gegenstück zu den alltäglichen und nicht-alltäglichen Aneignungsformen.

Will man nämlich nicht offen – und in diesen Fällen erwartbarer Weise erfolglos – gegen die Institution rebellieren und damit seinen eigenen Platz in ihr in Frage stellen, behält man diese Vorstellungen trotzdem innerlich bei. Auf diese Weise bildet sich eine Art Doppelmoral in der Schule heraus, indem die Mitglieder nach außen hin so tun, als würden sie sich genau den Regeln entsprechend verhalten, während sie jedoch in Wirklichkeit ihre ganz eigenen Regeln haben. Zinnecker spricht in diesem Falle von einer abspaltenden anstelle einer integrativen Strategie.

Worin genau bestehen nun diese subversiven Hinterbühnenspielchen?

Um ein Beispiel zu gebrauchen: Es ist ja an den meisten Schulen verboten zu rauchen; nicht nur im Gebäude, sondern auch auf dem Schulhof. Inzwischen gibt es zwar meistens einen bestimmten Ort, die sogenannte Raucherecke, an dem die über Sechzehnjährigen rauchen dürfen, aber trotzdem versuchen sie es oft außerhalb der Raucherecke. Und natürlich rauchen auch viele Jüngere heimlich. Wenn es eine Pausenaufsicht gibt, postieren die Schüler oft ihrerseits einen Beobachter, der bescheid gibt, wenn die Aufsicht sich nähert. So stellen sie die entsprechenden Regeln nach außen hin nicht in Frage, sondern umgehen sie gekonnt, ohne deswegen mit Autoritätspersonen aneinander zu geraten.

Ein anderes typisches Beispiel ist das „Entfernen vom Gelände“. In der Regel ist es den Schülern nicht gestattet, sich vom Schulgelände zu entfernen. Sie versuchen aber immer wieder, in einer unbeobachteten Sekunde vom Schulhof oder durch die Eingangstür zu verschwinden, um sich beim Bäcker etwas kaufen zu können oder um draußen, „in Ruhe“ (natürlich gehört gerade auch der Nervenkitzel dazu) eine zu rauchen. Werden sie doch von jemandem erwischt, dann haben sie oft Ausreden parat, etwa, sie hätten jetzt Schluss oder sie kämen gerade erst.

Ein drittes Beispiel ist das Klassenzimmer während der Pausen. Hier haben wir einen zentralen, äußerst beliebten Ort für das Ausagieren des Hinterbühnenlebens. Es eignet sich so hervorragend, da es ein räumlich abgegrenzter Ort ist, zu dem man nur Einsicht und Zutritt durch die Tür hat, drinnen also recht geschützt vor den Blicken der Lehrer ist. Außerdem ist der Klassenverband unter sich, es handelt sich also um eine überschaubare und vertraute Anzahl von Kindern. Und drittens bittet der Klassenraum reichlich Material (Tafel, Kreide, Schulmappen, Fenster, Tische, Bänke, ...), im Gegensatz zum Schulhof oder den Gängen.

Dort können sich die Schüler in den kleinen Pausen ungestört austoben, es werden kleinere Rangeleien und Kontaktkämpfe zwischen Mädchen und Jungen ebenso wie Feindschaften ausgetragen. Auch Außenseiter müssen sich stellen, denn auch wenn sie auf dem Hof waren, vergeht spätestens, wenn sie von draußen zurückkommen, meist noch einige Zeit bis zum Erscheinen des Lehrers. In dieser Zeit sind sie dem geschlossenen Verband ausgesetzt und ihre Peiniger nutzen gerade diese Zeit mit Vorliebe für ihre teilweise grausamen Spielchen. Dann werden Federtaschen oder ganze Schulmappen ausgekippt, Kreideschlachten veranstaltet, Dinge aus dem Fenster geworfen, Plätze bemalt oder mit Kaugummi beklebt.

Das Klassenzimmer eignet sich jedoch auch hervorragend zum Ausruhen, Zurückziehen, Träumen oder dazu, noch schnell die Hausaufgaben zu erledigen. Man kann sich unbemerkt darin einschließen lassen oder verstecken, um nicht in der großen Pause auf den Schulhof zu müssen.

Wie eingangs geschildert, spielt sich das Vorderbühnen- oder das primäre Geschehen gerade dort ab, wo Lehrer und Schüler aufeinander treffen.

Das institutionelle Unterleben entwickelt sich gerade dort, wo ein größerer Freiraum herrscht, wo beide Gruppen nicht direkt oder überhaupt nicht aufeinandertreffen. Zu diesen Bereichen gehören der Pausenhof, die Schülertoilette oder zeitweise der Klassenraum. Ent-scheidend ist also sowohl eine räumliche als auch eine zeitliche Komponente.

[...]

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Details

Titel
Das Problem der "schulischen Hinterbühne"
Untertitel
Ist die Demokratisierung der Schule eine Antwort hierauf?
Hochschule
Universität Potsdam  (Humanwissenschaftliche Fakultät)
Autor
Jahr
2002
Seiten
29
Katalognummer
V8669
ISBN (eBook)
9783638155793
ISBN (Buch)
9783638863544
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Problem, Hinterbühne
Arbeit zitieren
Anne Burkhardt (Autor:in), 2002, Das Problem der "schulischen Hinterbühne", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8669

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