Strategisches Beschaffungsmanagement im Einzelhandel - Entwicklungstendenzen, Handlungsfelder und Zukunftspotenziale


Diploma Thesis, 2007

91 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffliche Abgrenzung
2.1 Der Beschaffungsbegriff
2.2 Strategische Beschaffung als Teilkonzept der Beschaffung
2.3 Die Beschaffungskanäle
2.4 Situative Clusterung der Beschaffungsprozesse

3 Die Entwicklungstendenzen im Einzelhandel
3.1 Treibende Kräfte des Beschaffungsmanagement
3.1.1 Externe Kräfte
3.1.2 Interne Kräfte
3.2 Entwicklungspfade im Beschaffungsmanagement

4 Optimierung der Beschaffung mittels ECR
4.1 Überblick der Entwicklungen
4.2 Das ECR Konzept
4.2.1 Die traditionelle Lieferantenbeziehung
4.2.2 ECR als Auslöser für eine Änderung des Beschaffungsmanagements
4.3 Absatzmarktorientierte Beschaffung im ECR mittels Category Management
4.3.1 Die Bedeutung des CM
4.3.2 Vorteile und Ziele der kooperativen Sortimentspolitik
4.3.3 Problemfelder der kooperativen Sortimentspolitik
4.3.4 Fallbeispiel: KarstadtQuelle
4.4 Prozessorientierte Beschaffung im ECR mittels SCM
4.4.1 Die Supply Side des ECR
4.4.2 Problemfelder im SCM
4.4.3 CPFR als unternehmensübergreifende Lösung
4.4.3.1 Erklärung des Begriffs
4.4.3.2 Effizienzvorteile durch CPFR
4.4.3.3 Problemfelder des CPFR
4.4.3.4 Fallbeispiel: Karstadt/Quelle

5 Internationale Beschaffung
5.1 Überblick
5.2 Global Sourcing
5.2.1 Determinanten des Global Sourcing
5.2.2 Vorteile und Ziele des Global Sourcing
5.2.3 Wege der internationalen Beschaffung
5.2.4 Low Cost Country Sourcing vs. Speed Sourcing
5.2.5 Fallbeispiel: HM
5.3 Problemfelder und Herausforderungen der internationalen Beschaffung

6 Die kooperative Beschaffung
6.1 Überblick
6.2 Internationale Kooperation
6.2.1 Entwicklungsursache
6.2.2 Beispiel Alidis/Agenor
6.3 Virtuelle bzw. temporäre Allianzen
6.3.1 Entwicklungsursache
6.3.2 Erscheinungsformen virtueller Kooperationen
6.3.3 Vorteile und Problemfelder einer virtuellen Allianz

7 Die beziehungsorientierte Beschaffung
7.1 Überblick
7.2 Das Supplier Relationship Management
7.2.1 Ursachen des Supplier Relationsship Managements
7.2.2 Ziele und Entscheidungsfelder des Supplier Relationship Managements

8 Die elektronische Beschaffung
8.1 Überblick
8.2 Elektronische Marktplätze
8.3 Bedeutung elektronischer Marktplätze für die Beschaffungscluster
8.4 Potenziale und Problembereiche der elektronischen Beschaffung

9 Fazit und Ausblick

IV Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Typische Beschaffungsprozesse im Handel

Abb. 2: Umweltexterne Einflussfaktoren

Abb. 3: Übergang vom Push- zum Pull-Prinzip

Abb. 4: Entwicklungstendenzen in der Beschaffung des Handels

Abb. 5: Komponenten des Efficient-Consumer-Response-Konzepts

Abb. 6: Einordnung des kooperativen CM

Abb. 7: Prozess des Category Managements

Abb. 8 : Zufriedenheit mit der Kooperationsform

Abb. 9 : Das neunstufige CPFR-Modell

Abb. 10 Erfolge von CPFR

Abb. 11: Chancen des Global Sourcing

Abb. 12: Verteilung des direkten ausländischen Beschaffungsvolumens auf die Beschaffungskanäle

Abb. 13: Definitionen von Supplier Relationship Management

1 Einleitung

Der Einzelhandel ist heute durch einen enormen Kosten- und Wettbewerbsdruck belastet. Ursachen hierfür liegen in der hohen Veränderungsdynamik, die durch Mega-Trends, wie bspw. die Globalisierung oder die veränderten Konsumentenbedürfnisse ausgelöst wurden (Loos-Neidhart 2005, S. 1). Diese Entwicklung verdeutlicht auch eine Umfrage von Roland Berger Market Research, in der Manager von Einzelhandelsunternehmen in den kommenden Jahren deutliche Veränderungen in ihrer Branche erwarten (Irrgang 2004, S. 19). Gleichzeitig erhöht sich der Konkurrenzdruck durch das Auftreten neuer Anbieter und neuer Angebotsformen und -bündelungen im Markt (Zentes/Swoboda 1999, S. 40 ff).

Will ein Einzelhändler unter diesen Vorraussetzungen konkurrenzfähig bleiben, so muss er in der Lage sein, einen kundengerechten Sortiments-Mix, d.h. aktuelle, qualitätsvolle und vielfältige Ware zu gleichzeitig tiefen Preisen anzubieten (Müller-Hagedorn 1998, S. 494f.). Im Kampf um die entsprechenden Marktanteile kommt dabei der Beschaffung eine immer größer werdende Rolle zu (Arnold 1998, S. 235f.). Da der Einzelhändler bei der Beschaffung nur über eine geringe eigene Wertschöpfung verfügt und sich die Wertschöpfung auf die Distribution bezugsfertiger Güter konzentriert (Koppelmann 2000, S. 6), wird die Notwendig- keit einer optimalen Beschaffungsstrategie noch deutlicher. Wenn einem Händler die Zugänge zu den schnellen, qualitativ zuverlässigen, preislich interessanten und logistisch erschlossenen Märkten fehlen, wird er kaum in der Lage sein, seine Waren zu verkaufen. Allerdings bedeutet die Umsetzung bedürfnisgerechter Sortimente mehr, als nur den Zugang zu guten Beschaffungsquellen zu schaffen (Rudolph/Loos 2006, S. 719). Der Handel muss heute in der Lage sein, aus den Absatzmarktstrategien effiziente und zielgerichtete Anforderungen für das Beschaffungswesen zu entwickeln. Nur so kann er das Spannungsfeld zwischen konsequenter Absatzmarktorientierung (zur Erschließung von Umsatzpotenzialen) und Rationalisierung in der Supply Chain (zur Realisierung von Kosten- und Zeitvorteilen) überbrücken (Loos- Neidhart 2005, S. 2).

Die Beschaffung ist dabei aber nicht mehr als einfache und rein operative Aufgabe zu betrachten, sondern als eine vielfältige und komplexe Tätigkeit (Large 2005, S. 3). Das rein operative Beschaffungsmanagement wird somit durch das strategische Beschaffungsmanagement ergänzt, welchem heute eine wesentlichere Rolle als noch vor einigen Jahren zukommt (Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005, S. 28).

Ziel dieser Arbeit ist es die heutigen Entwicklungstendenzen im Beschaffungsmanagement aufzuzeigen und die aktuellen Handlungsfelder und Zukunftspotenziale der Unternehmen zu analysieren. In Kapitel 2 werden dazu zunächst die zum Verständnis der Arbeit notwendigen Grundlagen abgehandelt. Kapitel 3 beschäftigt sich mit den treibenden Kräften und den u.a. daraus resultierenden Entwicklungspfaden des Beschaffungsmanagements. Letztere werden anschließend in den Kapiteln 4 bis 8 genauer analysiert, wobei vor allem aktuelle Trends betrachtet werden. Im abschließenden Kapitel 9 werden die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und Prognosen über die weitere Entwicklung im strategischen Beschaffungsmanagement getroffen.

2 Begriffliche Abgrenzung

2.1 Der Beschaffungsbegriff

Für den Begriff der Beschaffung existieren in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur zahlreiche Definitionsansätze (Kleiner 1997, S. 13 ff). Trotzdem lässt sich kein eindeutiges Verständnis des Beschaffungsbegriffs finden. Vielfach nähert man sich einer Definition über die Betrachtung der Objekte und Aufgabeninhalte der Beschaffung an. Es vollzieht sich eine Auseinandersetzung mit inhaltlich verwandten Begriffsauslegungen, wie Einkauf, Materialwirtschaft und Logistik im deutschsprachigen Raum oder englischen Begriffen, wie „Purchasing“, „Procurement“ und „Supply Management“.

Ältere Definitionen gehen bei der Bedeutung der Beschaffung noch von einer reinen Versorgungsfunktion aus. Bereits 1935 wies Sandig darauf hin, dass es sich um „…ein aktives schöpferisches Tätigsein, und nicht etwa um einen zwangsläufig sich abwickelnden Vorgang handelt…“ (Sandig 1935, S. 176). Nach und nach wurde dann das Begriffs- verständnis erweitert und so sah bspw. Theisen in den 70er Jahren die Beschaffung als „all die Tätigkeiten umfassend, die darauf gerichtet sind, dem Betrieb die benötigten aber nicht selbst erzeugten Güter zur Verfügung zu stellen“ (Theisen 1974, S. 494). Die Beschaffung ist seiner Ansicht nach somit mit dem reinen Einkauf gleichzusetzen, der eine Kette aus primär operativen Aktivitäten darstellt (Grochla/Schöhnborn 1980, S. 49). Obwohl dieser Ansatz noch bis vor einigen Jahren vor allem im industriellen Sektor vorherrschend war, wird er weder den aktuellen Anforderungen an die Beschaffung insgesamt noch der Beschaffung gerade im Einzelhandel gerecht.

Neuere Definitionen, wie die von Arnold hingeben verleihen der Beschaffung einen veränderten Charakter: „Beschaffung umfasst sämtliche unternehmens- und/oder marktbezogenen Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, einem Unternehmen die benötigten, aber nicht selbst hergestellten Objekte verfügbar zu machen“ (Arnold 1997a, S. 3). Hier wird die Beschaffung als Aktionsfolge definiert, die umfassender und von einiger strategischer Relevanz ist und dabei den Einkaufsprozess mit einschließt. Sie wird somit als Primärstufe gesehen, die den unmittelbaren Bezug zu den vorgelagerten Märkten herstellt und die übrigen betrieblichen Subsysteme versorgt (Arnold 1997a, S. 3ff.).

Auch Bloech/Bogaschewsky/Götze (1993, S. 167) sehen den Einkauf als Teil der Beschaffung. Sie gehen davon aus, dass die Beschaffung neben dem Einkauf „außerdem strategische Aspekte wie die Sicherung der Beschaffungsmarktposition und die Erhaltung der Versorgungssicherheit“ (Bloech/Bogaschewsky/Götze 1993, S. 167) umfasst. Wobei Bogaschewsky (1997, S. 42) später noch hinzufügt, dass die Beschaffung außerdem langfristige Formen der Zusammenarbeit mit Schlüssellieferanten koordiniert. Auch Monczka/Trend/Handfield (1998, S. 4) gehen von einer zusätzlich strategischen Relevanz aus. Allerdings vertreten sie ein synonymes Verständnis der Begriffe Einkauf und Beschaffung. „Purchasing (or Procurement) refers to a functional activity carried out in just about every organization. The term purchasing most often refers to the day-to-day management of material flows and information.“ Sie definieren Sourcing als „a crossfunctional process that involves members of the firm other than those who work in the purchasing department“ (Monczka/Trend/Handfield 1998, S. 4).

Auch die Definition von Corsten betont die strategische Bedeutung der Beschaffung: „Unter Beschaffung sind all jene Aktivitäten zu subsumieren, die darauf gerichtet sind, der Unternehmung die Produktionsfaktoren zur Verfügung zu stellen, die sie im Rahmen ihrer Sachzielerfüllung benötigt, die sie aber nicht selbst produziert“. Unter Einkauf versteht er, das „Erlangen der Verfügungsgewalt über die Beschaffungsobjekte“ und somit das „Vollzugsorgan der Beschaffung“ (Corsten 1994a, S. 613 und 1995, S. 579).

Anhand dieser Definitionen wird deutlich, dass eine einheitliche Definition für den Beschaffungsbegriff bis heute nicht existiert. Unterschiede liegen dabei wie zuvor ersichtlich u.a. in der unterschiedlichen Bedeutung des Einkaufsbegriffs. Anhand der neueren Definitionen wird jedoch ersichtlich, dass die strategische Bedeutung der Beschaffung in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat.

Diese Veränderung beruht auf dem Wandel der Beschaffung zu einer der betrieblichen Grundaufgaben und damit verbunden dem zunehmenden Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens (Eckseler 1999, S. 151). So bildet die Beschaffung heute die Verbindung zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt (Corsten 1994b, S. 191), was dazu führt, dass nicht mehr nur interne sondern auch externe Faktoren zu beachten sind (Eyholzer 2000, S. 1). Dadurch hat sich die Beschaffung heute von einer abwicklungs- orientierten Versorgungsfunktion zu einer Funktion gewandelt, die heute den Unternehmens- erfolg wesentlich mitbestimmt. Durch diese Veränderung kommen aber auch dem Beschaffungsmanagement neue Aufgaben zu. So beschäftigt sich dieses heute außer mit der Kostenminimierung und der Versorgungssicherung auch mit der aktiven Ausschöpfung von Lieferanten-, Kosten- und Innovationspotenzialen (Boutellier 2004, S. 409f.). Das bedeutet, dass es alle Abläufe und Strukturen der Planung, Steuerung, Kontrolle und Umsetzung der Beschaffung koordiniert (Arnold 1997a, S. 56 und S. 129), wobei diese in strategische und die operative Beschaffung untergliedert wird.

2.2 Strategische Beschaffung als Teilkonzept der Beschaffung

Der Ansatz, betriebliche Aufgabenbereiche auf verschiedenen Konzeptionsebenen zu zerlegen, ist eine gängige Vorgehensweise in der Betriebswirtschaftslehre, um eine komplexe Gesamtaufgabe in verschiedenartige - jedoch in sich jeweils geschlossene - Aufgaben- bereiche zu zerlegen. Dabei erfolgt die Zerlegung entsprechend der verschiedenen Hierarchieebenen, der Planung und des Managements zumeist in die Bereiche operative und strategische Aufgaben und Entscheidungen (Becker 1998, S. 4f., Arnold 1999, S. 222f., Kienzle 2000, S. 10).

Somit handelt es sich auch bei der Beschaffung um eine Gesamtkonzeption mit den beiden Konzeptionsebenen „strategische Beschaffung“ und „operative Beschaffung“. Der Unterschied liegt dabei darin, dass die operative Beschaffung die Durchführung von Beschaffungsprozessen im Zuge von Einzelaktionen als Kern hat, während strategische Aufgaben der Beschaffung überwiegend transaktionsübergreifenden Charakter haben (Kaufmann 2001, S. 42). Im Folgenden richtet diese Arbeit ihren Fokus auf das strategische Beschaffungsmanagement.

Der Begriff „strategisches Beschaffungsmanagement“ wird gemäß Roland wie folgt definiert: „Die Aufgaben der strategischen Beschaffung bestehen darin, durch Analyse und Gestaltung der relevanten unternehmens- und umweltbezogenen Faktoren langfristige Beschaffungspotentiale zu entdecken, zu realisieren und zu sichern“ (Roland 1993, S. 13). Die Analyse soll folglich unternehmensinterne und -externe Erfolgs-, aber auch Risikopotenziale aufzeigen, um somit die Beschaffung zu unterstützen, während die Gestaltungsaufgaben dazu dienen, die Unternehmensziele unter Berücksichtigung der ermittelten Restriktionen zu realisieren (Roland 1993, S. 14f.). Die strategische Beschaffung befasst sich also schwerpunktmäßig mit der Gestaltung der Abnehmer-Lieferanten-Beziehung und bildet somit die Rahmenbedingungen für die Ausführung der operativen Beschaffung und der Beschaffungslogistik (Large 2006).

Um die strategischen Beschaffungsaufgaben durch entsprechende Handlungen zielorientiert zu erfüllen, existieren so genannte Beschaffungsstrategien (Carr/Schmelzer 1997, S. 200). Diese umfassen die strategischen Handlungsabsichten im Bereich der Beschaffung und stellen das Ergebnis des strategischen Managementprozesses dar. Die Unterteilung in die verschiedenen Beschaffungsstrategien ergibt sich auf Grund der verschiedenen Erfolgspotenzialquellen. Diese können entweder intern, also Personal-, Struktur, oder Prozessstrategien oder extern, also Lieferanten- und Kooperationsstrategien sein. Des

Weiteren können Beschaffungsstrategien auch Aussagen über die strategischen Beschaffungsziele enthalten (Large 2006, S. 38ff.).

„Als wesentliches Element des „Strategischen“ kann deshalb das Vorhandensein von Handlungsmöglichkeiten identifiziert werden“ (Large 1999, S. 27).

Das strategische Beschaffungsmanagement versucht, Rahmenbedingungen des Beschaffungs- marktes und Beziehungsmuster mittel- und langfristig zu beeinflussen und bestehende Ablauf- und Aufbauorganisationen zu verbessern. Damit weist das strategische Beschaffungs- management sowohl nach außen als auch nach innen gerichtete Komponenten auf (Wagner 2002, S. 8).

2.3 Die Beschaffungskanäle

Beschaffungskanäle sind Systeme, deren Element in gegenseitigen Austauschbeziehungen zueinander stehen (Schögel 1997, S. 21). Ein Systemelement stellen dabei die Institutionen des Beschaffungskanals, also Hersteller und Händler dar. Ein weiteres Systemelement hingegen besteht aus der unternehmensübergreifenden Wertkette, dem so genannten Beschaffungsprozess (Zentes/Swoboda/Morschett 2004, S. 220). Innerhalb des Beschaffungs- kanals kombiniert der Händler einen eigens gewählten Beschaffungsprozess mit einem ebenso eigens gewählten Lieferanten, wobei dieser Beschaffungskanal dabei unternehmens- übergreifend und zunehmend international ausgerichtet ist (Rosenbloom 1999, S. 9f.). Hinsichtlich möglicher Beschaffungskanäle für Einzelhandelsunternehmen wird in der Literatur zunächst zwischen dem direkten Bezug zum Hersteller sowie zwischen der Nutzung indirekter Bezugswege unterschieden (Kleiner 1997, S. 125f.). Darüber hinaus sind gerade im Einzelhandel Beschaffungskanäle von großer Bedeutung, die kooperativ, d.h. auf eine gemeinsame Beschaffung mehrerer Handelsunternehmen ausgerichtet sind, also Verbundgruppen oder Einkaufsgemeinschaften (Eckert 1982, S. 535ff.). Auch die kooperativen Beschaffungswege können dabei direkt oder indirekt ausgerichtet sein. Die Vorteile der indirekten, kooperativen Beschaffung liegen hauptsächlich in den Bündelungs- effekten, die durch eine Kooperation erreicht werden können. Dadurch können sich Einstandspreisreduzierungen und eine Verringerung des administrativen Aufwands ergeben. Zugleich ist diese indirekte Beschaffung aber auch mit einem Verlust des direkten Herstellerkontaktes verbunden, was bei einer direkten Beschaffung nicht der Fall ist (Essig 2000, S. 17). Zusätzlich bringen beide Kanäle aber auch den Nachteil mit sich, dass die Beurteilung der Beschaffungsalternativen bzw. der Hersteller nicht autonom getroffen werden kann (Hansen 1990, S. 488). Gerade die direkte Form gewinnt dabei heute durch die elektronischen Handelsplätze zunehmend an Bedeutung, da diese völlig neue Möglichkeiten, wie bspw. eine Auktion eröffnen. Hieran wird ersichtlich, dass gerade bei großer Kostenorientierung die indirekte und/oder kooperative Beschaffung genutzt werden sollte, während bei einer hohen Beziehungsorientierung eher auf direkte Beschaffungskanäle zugegriffen werden sollte (Janz 2004, S. 193).

Der Radius der Beschaffungskanäle hat sich von einer nationalen auf eine globale Reichweite ausgeweitet, da die Nutzung internationaler Beschaffungsquellen im Rahmen des so genannten Global Sourcing heute vermehrt Vorteile mit sich bringt, auf welche später genauer eingegangen wird (Janz 2004, S. 190ff.).

Aber gerade diese Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten eröffnet einen Handlungs- spielraum, der zwar einerseits neue Chancen durch mögliche Wettbewerbsvorteile eröffnet, andererseits aber eine erhöhte Komplexität mit sich bringt (Loos-Neidhart 2005, S. 31).

2.4 Situative Clusterung der Beschaffungsprozesse

Die Beschaffungssituationen im Handel sind u.a. durch eine hohe Artikelzahl und ein starke Sortimentsdynamik geprägt. Trotzdem lassen sich die Beschaffungssituationen vereinfacht in drei Beschaffungssituations-Cluster unterscheiden, die sich aus der Kombination von „absatzmarktorientierter Profilierungsrelevanz“ und „Komplexität der Beschaffungssituation“ ergeben (Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005, S. 33).

Abb. 1: Typische Beschaffungsprozesse im Handel

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Zentes/Barsch 2002b, S. 44.

Die Profilierungsrelevanz umfasst die Bedeutung der Waren- oder Artikelgruppe bezüglich ihrer Relevanz für das Category Management, wobei vereinfacht zwischen „hoher“ und „niedriger“ Profilierungsrelevanz unterschieden wird. Dabei wirkt sich auch die Vielzahl der Kundenbedürfnisse, die sich, bezogen auf Qualitätsanforderungen, Produktinvolvements und Kontinuität der Bedürfnisse, niederschlägt, darauf aus (Zentes/Bartsch 2002b, S. 39). Auch die Komplexität wird in „hoch“ und „niedrig“ unterteilt und durch unterschiedliche Größen beeinflusst. Über den Komplexitätsgrad unterscheiden dabei u.a. die Transparenz der möglichen Beschaffungsquellen und die potenzielle Lieferantenanzahl. Aber auch der geografische Beschaffungsort und die Leistungsfähigkeit der Lieferanten sind mitentscheidend (Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005, S. 34).

Beschaffungscluster 1 umfasst die Waren, die bei gleichzeitig niedriger beschaffungsmarkt- bezogener Komplexität mit einer hohen Profilierungsrelevanz verbunden sind. Diese Situation trifft gerade im Bereich der Markenartikel zu, da diese zur Sortimentskompetenz des Handels unabdingbar sind, zugleich aber meist nur wenige international ausgerichtete Hersteller für diese Produkte zur Verfügung stehen. Außerdem sind Beschaffungsvolumen und Umschlags- geschwindigkeit in diesem Bereich sehr hoch. In den 90er Jahren setzten die Grundmodelle des ECR (worauf später genauer eingegangen wird) in diesem Cluster an, was zu der Folgerung führt, dass hier ein erhebliches Potenzial für vertikale Kooperationen im Supply Chain Bereich liegt. Elektronischer Datenaustausch und internetgestützte Zusammenarbeit sind in diesem Gebiet Vorraussetzungen. Auch IT-gestützte Dispositions- und Planungssysteme sind von großer Bedeutung. Trotz geringer Komplexität ist die Beschaffung von erheblicher Relevanz, da gerade in diesem Gebiet ein hohes Beschaffungs- und Absatz- volumen erbracht wird. Preis- und Konditionsverhandlungen werden nicht an Bedeutung verlieren, doch werden logistische und warenwirtschaftliche Felder hinzukommen (Zentes/Bartsch 2002b, S. 43).

Ein weiteres Beschaffungscluster, welches eine niedrigere Profilierungsrelevanz, zugleich allerdings eine höhere Beschaffungskomplexität aufweist, ist der Bereich der Handelsgüter, bzw. MRO-Güter. Hiermit sind Güter mit hoher Artikelzahl aber geringer Umsatzbedeutung gemeint, für die eine Vielzahl an weltweiten Lieferanten existiert. Eine Übersicht potenzieller Beschaffungsquellen ist meist nicht gegeben, die Markenbedeutung ist allenfalls zweitrangig, die Qualität meist nicht relevant (Zentes/Bartsch 2002b. S. 43).

Das dritte Beschaffungscluster umfasst den Bereich der Handelsmarken, der in beiden Dimensionen eine hohe Beschaffungsrelevanz aufweist. Des Weiteren ist in diesem Bereich eine hohe Integration des Handels in die Wertschöpfungskette festzustellen. So bietet dieses

Cluster umfassende Potenziale zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung durch die weitgehende Verknüpfung der Wertkette. Durch diesen hohen Integrationsgrad gehen sie dabei sogar über die Potenziale des Beschaffungscluster 1 hinaus. Auch die Dimensionen Qualität, Zuverlässigkeit, Umschlagsgeschwindigkeit und Innovationsstärke der Lieferanten spielen innerhalb dieses Clusters eine bedeutende Rolle (Zentes/Barsch 2002b, S.45).

3 Die Entwicklungstendenzen im Einzelhandel

3.1 Treibende Kräfte des Beschaffungsmanagement

3.1.1 Externe Kräfte

Die Herausforderungen an das Beschaffungsmanagement beruhen im wesentlichen Teil auf tief greifenden Veränderungen des Umfeldes, die dort als Treiber der handelsrelevanten Entwicklung bezeichnet werden. Die wichtigsten umweltinduzierten Treiber werden nachfolgend vorgestellt (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Umweltexterne Einflussfaktoren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Loos-Neidhard 2005, S. 142.

Der erste Treiber ist in der Liberalisierung der Weltmärkte und der Globalisierung zu sehen. Als wichtigsten Vorteil der Liberalisierung wäre die Entstehung neuer Wirtschaftsräume (EU, NAFTA) zu nennen, da dies den Wegfall tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse bewirkt (Liebmann/Zentes 2001, S. 93ff.). Weitere Vorteile liegen in der Reduktion von Währungshemmnissen im internationalen Handel durch die Schaffung des Euro als länderübergreifende Währung (Arnold 1998, S. 240) und im Wegfall preissteigernder Quoten nach dem Beitritt wichtiger Produzentenländer zur WTO (Loos-Neidhart 2005, S. 142). Diese Vorteile bringen zwar Chancen durch den Zugang zu neuen Beschaffungsmärkten mit sich, sind aber auch mit neu entstehenden Nachteilen, wie bspw. dem Eintreten neuer Akteure in den Markt verbunden, die nicht unterschätzt werden dürfen. Auch die zunehmende Globalisierung bringt in Verbindung mit der Liberalisierung wichtige Vorteile mit sich. Durch Strategisches Beschaffungsmanagement im Einzelhandel- Entwicklungstendenzen, Handlungsfelder und Zukunftspotenziale die Öffnung der Weltmärkte entsteht ein zusätzliches Marktpotenzial, da nun die Möglichkeit, global zu wachsen, gegeben ist (Colsman 2000, S. 1ff.). Allerdings erfordert der erfolgreiche Zugang zu den neuen Absatzmärkten ein Verständnis der lokalen Bedürfnisse und adaptierte Sortimente (Monczka/Trend/Handfield 2002, S. 15f.). Der Zugang zu neuen Beschaffungs- märkten eröffnet ebenfalls neue Chancen in Bezug auf neue Produkte, Lieferanten und interessante Preislagen etc. (Loos-Neidhart 2005, S. 143), hat aber auch eine Notwendigkeit der Anpassung von Strukturen, Prozessen und Systemen zur Folge (Bedacht 1995).

Einen weiteren Treiber stellt die Informations- und Kommunikationstechnologie dar. Diese Entwicklung ist ein zentraler Treiber des Handels. Gerade diese Technologien haben im unternehmens- und wirtschaftsstufenübergreifenden Informationsaustausch in den letzten Jahren zu völlig neuartigen Lösungen geführt. So wird heute bspw. ein Grossteil der Auftrags-, Logistik- und Rechnungsdaten durch Electronic data interchange (EDI) übermittelt Dadurch werden die Prozesskosten beachtlich reduziert (Loos-Neidhart 2005, S. 143f.). Darüber hinaus bieten B2B-Marktplätze und Fachportale heute die Möglichkeit des Zugriffs auf globale Beschaffungsmarktinformationen oder die Durchführung von Beschaffungs- auktionen und -ausschreibungen (Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005, S. 29) Des Weiteren erleichtern sie Planungs- und Lenkungsaufgaben durch die zentrale und transparente Daten- haltung (Oesterle/Fleisch/Alt 2002). Trotz dieser neuen Möglichkeiten muss aber dennoch beachtet werden, dass für diese Entwicklung auch hohe Investitionen etwa für den Aufbau einer Infrastruktur benötigt werden. Die Mitarbeiter müssen sich neuen Wissens- anforderungen stellen und den Umgang mit den elektronischen Systemen akzeptieren (Loos- Neidhart 2005, S. 144).

Ein weiterer Treiber ist in der Machtverlagerung der Industriestruktur zu erkennen. Beschaffungsseitig hat sich die Handelsseite in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich verändert. Der Handel hat sich stark internationalisiert, massive Akquisition sowie starke Konzentration betrieben. Dies führt dazu, dass die Umsätze der größten Handelskonzerne heute die der größten Konsumgüterhersteller erreichen. Somit wird deutlich, dass der Handel für die Konsumgüterhersteller heute zu einer bedeutenden Schnittstelle zum Endkonsumenten geworden ist, so dass man gegenwärtig sogar von einer Verschiebung von Verkäufer- zu Käufermarkten spricht (Loos-Neidhart 2005, S. 145).

Abb. 3: Übergang vom Push- zum Pull-Prinzip

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Zentes 1996, S. 29.

Dadurch hat der Handel heute einen enormen Machtzuwachs erreicht, der aber zugleich beschaffungsseitig zu völlig neuen Herausforderungen führt, da er nun die Supply Chain aktiv gestaltet.

Auch das Aufbrechen bestehender Strukturen und Entstehen von Netzwerken ist als aktueller Treiber zu sehen. Die Handelswertkette hat sich heute stark verändert. Sie wird von Kunden- und Abverkaufszahlen bestimmt, was verdeutlicht, dass sie sich stark am Endkonsumenten orientiert. Diese neue Denkweise stellt völlig neue Anforderungen an die einzelnen Institutionen der Wertkette. Die Folge ist das Aufkommen neuer „intermediärer Transaktions- spezialisten“ (Zentes 2002, S. 19) die ihre Dienstleistungen anbieten, indem sie spezialisierte Dienstleister über Netzwerke zusammenführen und Handelsfunktionen auf virtuellen Marktplätzen verknüpfen. Durch diese Veränderungen brechen einerseits bestehende Strukturen wie bspw. geographische Grenzen auf (Chiang 2002, S. 8f.). Andererseits werden neue Grenzen durch Bildung von Netzwerken, wie etwa die Bildung virtueller, globaler Netzwerke geschaffen (Liebmann/Zentes 2001, S. 5). Auch diese Entwicklung stellt neue Anforderungen an das Beschaffungsmanagement, wie etwa die Bereitschaft zur Offenheit gegenüber neuen Partnern oder neuen Abwicklungsprozessen (Loos-Neidhart 2005, S. 147). Den letzten externen Trend stellen die neuen Konsumentenbedürfnisse dar. Die Stichworte „Multioptionsgesellschaft“ und „hybrider Konsument“ beschreiben aktuelle Phänomene, die verdeutlichen, wie unberechenbar der heutige Konsument geworden ist (Liebmann/Zentes 2001, S. 134ff.). Aber nicht nur der Konsument, sondern auch sein demografisches Umfeld hat sich entscheidend verändert. Dies zeigt sich u.a. in der heutigen Zusammensetzung der Haushalte (Single-Haushalte, arbeitende Frauen). Folgen dieser Entwicklung sind völlig neue Erwartungen des informierten Kunden in die Produkte bezüglich Qualität, Aktualität, Preis und Vielfalt. Um als Handelsunternehmen konkurrenzfähig zu bleiben, ist auch hier das Beschaffungswesen gefordert. So verlangt es die Verkürzung der Beschaffungszyklen, das Auffinden neuer Beschaffungsquellen und flexible Logistiksysteme (Loos-Neidhart 2005, S. 147f.).

3.1.2 Interne Kräfte

Bei den internen Einflussfaktoren sind besonders die Unternehmensstrategie, die Unternehmensorganisation und die Absatzmarktstrategie bzw. die Sortimentspolitik zu nennen.

In den letzten Jahren wird immer deutlicher, dass bereits auf den Beschaffungsmärkten langfristige Wettbewerbsvorteile gesichert werden können. Die Beschaffung bietet somit einen Beitrag zu den strategischen Unternehmenszielen. Die Grundlage für eine optimale Beschaffungsstrategie liegt dabei in dem Geschäftsmodell bzw. der Unternehmensstrategie eines Unternehmens.

Auch die Art der Zusammenstellung der Sortimente hat sich stark verändert. So werden diese nicht mehr nach der klassischen Sortimentspyramide sondern nach Kategorien aufgebaut, wodurch sich die Konsumentenbedürfnisse besser verfolgen lassen. Erst nachdem die Sortimentsbausteine entsprechend der Kundenbedürfnisse zusammengestellt wurden, können sie koordiniert in die Beschaffungskanäle abgegeben werden. Folgen dieser Entwicklung sind ein erhöhter Koordinationsaufwand und ein starker Einfluss der Sortimentsdefinition auf die Beschaffungsabwicklung.

All dies führt zugleich aber auch zu neuen Anforderungen an die entsprechenden Beschaffungsmanager bzw. die gesamte Organisationsstruktur eines Unternehmens. Ihre Aufgabe liegt jetzt nicht mehr nur in der operativen Abwicklung von Beschaffungsaufträgen, sondern dem Verständnis für bereichsübergreifende Zusammenhänge und langfristige Vorgänge (Loos-Neidhart 2005, S. 148ff.).

3.2 Entwicklungspfade im Beschaffungsmanagement

Die vorliegende Arbeit baut auf der Erkenntnis auf, dass sich das Handelsmanagement seit einigen Jahren in einem fundamentalen Wandel befindet (Liebmann/Zentes 2001, S. 84ff.). Der Handel hat dadurch eine neue Machtposition erlangt, die sich insbesondere auf das Beschaffungsmanagement auswirkt. Dadurch erwächst diesem ein weitaus größerer Handlungsspielraum. Auf diesen Überlegungen aufbauend finden sich in der Literatur in den letzten Jahren verstärkt Arbeiten, die den Wandel im Beschaffungsmanagement über unterschiedliche Entwicklungspfade begründen.

Bereits in den Neunzigern identifizierte Swindley (1992, S. 534f.) folgende Haupt- veränderungen, die eine neue Beschaffungskonzeption des Handels erfordern: Er nannte dabei zum einen die zunehmende Zentralisierung des Einkaufs. Eine weitere Veränderung sieht er in dem zunehmenden Interaktionsgrad mit anderen Funktionsbereichen und den Herstellern, was eine informations- und kommunikationstechnische Infrastruktur erfordert. Außerdem stellt er eine Veränderung in den immer komplexer werdenden Aufgabenbereichen durch die Erhöhung des Eigenmarkenanteils und dem zunehmenden sozialen Druck fest.

Arnold (1997b, S. 22) hingegen bemerkte weiterhin, dass die Ursache aller Veränderungen im Beschaffungsmanagement in dem Trend zu einer zunehmenden Prozessorientierung der Unternehmen zu sehen ist. Durch diese Orientierung werden Struktur- und Funktionsgrenzen überschritten. Das führt zu unternehmensübergreifenden Wertketten. Folge dieser Wertketten- entstehung ist die Notwendigkeit eines Aufbaus langfristiger Beziehungen zu den Lieferanten. Homburg/Werner (1998, S. 979f.) hingegen argumentieren, dass in der Beschaffung lange Zeit kein Blick auf die Gesamtkosten gerichtet wurde, nur eine Konzentration auf einen günstigen Einkaufpreis stattfand.

Auf diesen Trends aufbauend sehen Zentes/Bartsch (2002b, S. 49ff.) folgende Trends als ausschlaggebend für die neuen Entwicklungstendenzen im Beschaffungsmanagement an, auf welchen die nachfolgende Arbeit aufgebaut ist.

Vor dem Hintergrund der Umkehr von Verkäufer- zu Käufermärkten ist als erster Trend der Wandel von einer lieferanten- zu einer kunden- und absatzmarktorientierten Beschaffung zu nennen. Dies zeigt sich u.a. in der steigenden Hersteller-Handels-Interaktion im Sinne einer vertikalen Win-Win-Situation, dem Category Management oder dem Customer Relationship Management. Auch die zunehmende Bedeutung von Handelsmarken bzw. speziell gefertigten Exklusivmarken verdeutlicht diesen Trend. Somit wird erkennbar, dass heute eine Professionalisierung der Sortimentspolitik stattfindet (Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005). Als weiterer Trend ist die zunehmende Prozess- und Effizienzorientierung in der Beschaffung des Handels zu nennen, die heute sowohl intra- als auch interorganisatorisch festgestellt wird. Dies wird u.a. daran deutlich, dass ECR- und Reengineering-Projekte heute “Werkzeuge des täglichen Gebrauchs“ im Handel darstellen (Zentes/Barsch 2002b).

Auch der Trend zur internationalen Beschaffung gewinnt in den letzten Jahren verstärkt an Bedeutung. Dies wird deutlich, betrachtet man die zahlreichen internationalen Beschaffungs- Strategisches Beschaffungsmanagement im Einzelhandel- Entwicklungstendenzen, Handlungsfelder und Zukunftspotenziale projekte, die heute von vielen Handelsunternehmen vorangetrieben werden, wie bspw. Konzepte zur Durchführung des Direktimports oder internationale Ausschreibungen (Rode 2002). So zeigt sich, dass sich der Handel heute zunehmend europaweit oder sogar inter- national betätigt. Dabei wird ein immer größer werdender Sortimentssektor, besonders der der Markenartikel, auf weltweiter Ebene international beschafft. Dadurch wirkt sich die Internationalisierung des Einzelhandels immer stärker auf die Beschaffung aus (Zentes u.a. 2002, S. 429). Ursachen liegen u.a. in der zunehmenden Standardisierung und gleichermaßen Globalisierung der Produkte und Marken. Allein in Deutschland stammen 60% der vom Handel beschafften Waren heute aus ausländischen Quellen (Zentes/Hilt/Domma 2007, S. 37). Der Bedeutungsanstieg der internationalen Beschaffung ist allerdings nicht nur auf Unternehmensebene, sondern besonders auf kooperativer Ebene relevant, was zum nächsten aktuellen Beschaffungstrend, nämlich der kooperativen Beschaffung führt (Hertel/Zentes/ Schramm-Klein 2005).

Kooperative Beschaffung hat gerade im Handel eine lange Tradition und trug in der Vergangenheit wesentlich zur Entstehung großer Verbundgruppen bei (Olesch 1998, S. 59 ff). Bereits 1992 wies Zentes auf den Bedeutungsanstieg der kooperativen Beschaffung im Rahmen einer internationalen Beschaffung hin (Zentes 1992). Kooperationen können dabei sowohl in horizontaler Form, also als strategische Allianzen, Einkaufgemeinschaften oder anderen Verbundgruppen vorliegen, als auch in vertikaler Form, z.B. als Hersteller-Handels- Interaktion (Zentes/Bartsch 2002b). Das diese Bedeutung auch aktuell noch weiter zunimmt, wird anhand aktueller Entwicklungen etwa im Bereich der Megakooperationen deutlich (Zentes/Hilt/Domma 2007, S. 25). Aber nicht nur die internationale Bedeutung gewinnt bei kooperativer Betrachtung an Bedeutung, sondern auch die virtuelle Kooperation wird heute immer bedeutender. So entstehen heute immer häufiger virtuelle oder ad hoc Allianzen (Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005).

Die Möglichkeiten hierzu schafft der letzte aktuelle Trend, genauer gesagt die inter- und intraorganisatorische Technologisierung bzw. Elektronisierung/Digitalisierung. Dieser Trend hat zu Folge, dass die Entwicklung neuer Innovations- und Kommunikationstechnologien heute zu zahlreichen, innovativen neuen Beschaffungsoptionen führt, die sich bedeutend auf die Beschaffung auswirken. Dies wird daran deutlich, dass heute überwiegend mit dem Internet oder mit Firmen-Extranets gearbeitet wird und die Bedeutung virtueller Marktplätze weiter zunimmt (Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005).

Zentes/Bartsch fassen in der folgenden Abbildung die auf den zuvor genannten Trends basierenden Entwicklungstendenzen im strategischen Beschaffungsmanagement nochmals zusammen.

Abb. 4: Entwicklungstendenzen in der Beschaffung des Handels

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Zentes/Bartsch 2002b, S. 32.

Aufgrund der vielfältigen Entwicklungstendenzen stellt sich zugleich die Frage, ob und in welchem Umfang die verschiedenen Trends in der Praxis Anwendung finden. Es ist davon auszugehen, dass die vielfältigen Instrumente der Beschaffung situationsbedingt im Sinne eines Mehrkanal-Systems (Multi-Channel-Sourcing) eingesetzt werden und keine standardisierte Anwendung über alle Produktbereiche durchgeführt wird. So gibt es sicherlich Produktbereiche, in denen bei der Beschaffung der Einsatz elektronischer Medien sinnvoll ist, während dies in anderen Bereichen auf Grund nicht vorhandener Produktstandards wenig zweckmäßig erscheint. Zudem stellt sich die Frage, ob bei einer möglichen Nutzung elektronischer Marktplätze ein zu beschaffendes Produkt eher national oder international beschafft werden sollte (Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005).

Nachfolgend werden nun die einzelnen Entwicklungsrichtungen genauer betrachtet und auf aktuelle Strategien und Konzepte in den jeweiligen bereichen eingegangen.

4 Optimierung der Beschaffung mittels ECR

4.1 Überblick der Entwicklungen

Ende der 60er Jahre fand ein deutlicher Wandel von Verkäufer- zu Käufermärkten statt. Spätestens seit dieser Phase wurde in vielen Unternehmungen ein strategisches Umdenken von einer Lieferantenorientierung zu einer absoluten Markt- bzw. Abnehmerorientierung notwendig (Zentes/Bartsch 2002b, S. 55). Diese Orientierung umfasst die Ausrichtung des gesamten Handelsunternehmens auf die Bedürfnisse und Wünsche seiner Kunden, mit dem Ziel, nachhaltige Wettbewerbsvorteile aufzubauen, um die langfristige Existenz des Unternehmens zu sichern (Liebmann/Zentes 2001, S. 427). Die Schwierigkeit liegt dabei darin, dass bei den Kunden heute eine Tendenz zu vermehrt spontanen Kaufentscheidungen - vom aktuellen Sortiment und Angebot beeinflusst - während des Einkaufs auszugehen ist. Die wesentlichen, erfolgskritischen Faktoren für Handelsunternehmen sind dabei Auswahl, Convenience und Preiswürdigkeit (Milde 1994, S. 343). Im Rahmen dieser Kunden- orientierung hat in letzter Zeit die Kundeninformationsgewinnung erheblich an Bedeutung gewonnen. Im Rahmen diese Entwicklung kommt verstärkt dem Category Management als Konzept der Kooperation im Bereich des Marketing heute eine bedeutende Rolle zu, um die Wettbewerbssituation zu verbessern, die Kundenbindung zu erhöhen und Marktanteile zu vergrößern (Rotthowe 1999, S. 50). Denn heterogene Kundenbedürfnisse, steigender Konkurrenz- und Preisdruck sowie allgemein veränderte Marktdaten erfordern heute ein optimiertes Management der Sortimente (Hertel 1999, S. 63).

Ein weiterer wichtiger Trend ist die Entwicklung von der Funktionsorientierung zur Effizienz- und Prozessorientierung in der Beschaffung, welche sich sowohl intra- als auch interorganisatorisch zeigt (Zentes/Bartsch 2002b, S. 75).

Wurde früher eine funktionsorientierte Sichtweise verfolgt, bei der die einzelnen Abteilungen des Unternehmens unabhängig voneinander arbeiteten, so gewinnt in den letzten Jahren die prozessorientierte Sichtweise, also eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, an Bedeutung.

Mit Blick auf diesen neuen Trend kommen der Neuorientierung des Supply Chain Management, also dem unternehmensübergreifenden Ansatz der Planung und Durchführung des Materialflusses unter Berücksichtigung von Lagerbestandsreduktionen im gesamten Wertschöpfungskanal eine bedeutendere Rolle zu (Zentes/Bartsch 2002b, S. 75). Die Neuausrichtung umfasst dabei neben klassischen Instrumenten wie Kostenoptimierung der Lagerstandorte und effizienter Transportbündelung nun auch erweiterte Basisstrategien des ECR-Ansatzes (Zentes/Bartsch 2002b, S. 87).

Das ECR (Efficient consumer response)-Konzept mit seinem integrativen Ansatz aus stärkerer Prozess- und Absatzmarktorientierung gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung, weshalb die wesentlichen Aspekte im Folgenden beschrieben werden.

4.2 Das ECR Konzept

4.2.1 Die traditionelle Lieferantenbeziehung

Im traditionellen Beschaffungsmanagement waren die Einkäufer unter anderem für die Erstellung des Sortiments, die Lieferantenauswahl und die Verfügbarkeit der benötigten Waren zuständig (Oertel/Abraham 1994, S. 177). Soweit dies möglich war, versuchte ein Händler die eigene Verhandlungsstärke auszubauen und die Position des Herstellers zu schwächen (Brettschneider 1999, S. 3). Die Beziehung zu den Lieferanten erfolgte somit auf zwei Ebenen, nämlich der Transaktions- und der Beziehungsebene Die Transaktionsebene umfasst dabei die Planung und Umsetzung der Real- und Nominalgüterströme, während sich die Beziehungsebene mit den offenen und verdeckten Intentionen beim Eingehen von Transaktionen und dem Beziehungsklima beschäftigte (Laurent 1996, S. 99ff.). Das Ziel der Händler bestand in der Positionierung der Einkaufsstätte, während der Hersteller den Aufbau von Präferenzen für seine eigene Marke anstrebte. Folgen dieser Ziele waren Desinformationen, Konfrontationen und gegenseitige Ausbeutung (Drosten 1997, S. 35). Die Transaktionsdimensionen innerhalb der traditionellen Lieferantenbeziehung bestanden dabei in einer geringen Spezifität, da Lieferanten austauschbar waren und einer geringen Komplexität, da nur eine einzig Verhandlungsschnittstelle zwischen den Beteiligten bestand. Diese opportunistischen und flüchtigen Lieferantenbeziehungen behinderten die Nutzung von Effizienzsteigerungspotenzialen und führten zu überhöhten Produktion, Logistik- und Vermarktungskosten sowie langen Prozesszeiten (Brettschneider 1999, S. 6ff.).

4.2.2 ECR als Auslöser für eine Änderung des Beschaffungsmanagements

Die nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick über die einzelnen Komponenten des ECR und die damit verbundenen ECR-Basisstrategien.

Abb. 5: Komponenten des Efficient-Consumer-Response-Konzepts

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Hertel/Zentes/Schramm-Klein 2005, S. 173.

Der Begriff „Efficient Consumer Response“ stammt aus den USA und kann mit den Worten „effiziente Reaktion auf die Kundennachfrage“ übersetzt werden (Heydt 1997). ECR bezieht sich heute auf die Bildung strategischer Partnerschaften innerhalb der Supply Chain mit dem Ziel, eine bessere Befriedigung der Kundenbedürfnisse durch die Gewährleistung eines effizienten Warennachschubs, einer effizienten Verkaufsförderungspolitik, sowie einer effizienten Sortimentsgestaltung am Point of Sale und einer effizienten Politik bei der Neuprodukteinführung zu ermöglichen (Kotzab 1997, S. 171). Es handelt sich also um die Bündelung vermarktungs- und beschaffungsseitiger Kooperationsstrategien zwischen dem Handel und der Konsumgüterindustrie (Brettschneider 1999, S. 9). Die Ansätze des ECR beziehen sich dabei darauf, eine Eliminierung von Ineffizienzen entlang der Supply Chain unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse zu erzielen und dadurch einen Nutzen für alle Beteiligten im Rahmen der Supply Chain zu erreichen, welcher im Rahmen isolierter, nicht kooperativer Vorgehensweisen unerreichbar wäre (Heyd 1998). Die Ausgangslage des ECR bildet der Kooperationsgedanke zwischen Industrie und Handel (Täger/Nassua 1998, S. 43). Die Grundüberlegung ist dabei ein unternehmensübergreifender Ansatz zur Optimierung von Waren-, Finanz- und Informationsströmen, um so eine Optimierung des gesamten Systems entlang der Supply Chain zu realisieren (Skjoett-Larsen 2000, S. 377f.). Entscheidend für den Erfolg der Strategie sind dabei Treue, Offenheit und Vertrauen in der Lieferantenbeziehung (Brettschneider 1999, S. 10). Um dies zu gewährleisten müssen beide Seiten von ihrem bis dahin opportunistischen Verhalten ablassen, um so die langfristige partnerschaftliche Zusammenarbeit zu ermöglichen (Williamson 1990, S. 75).

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Excerpt out of 91 pages

Details

Title
Strategisches Beschaffungsmanagement im Einzelhandel - Entwicklungstendenzen, Handlungsfelder und Zukunftspotenziale
College
Saarland University
Grade
1,7
Author
Year
2007
Pages
91
Catalog Number
V86723
ISBN (eBook)
9783638054652
File size
1016 KB
Language
German
Keywords
Strategisches, Beschaffungsmanagement, Einzelhandel, Entwicklungstendenzen, Handlungsfelder, Zukunftspotenziale
Quote paper
Diplomkauffrau Marie Kuppler (Author), 2007, Strategisches Beschaffungsmanagement im Einzelhandel - Entwicklungstendenzen, Handlungsfelder und Zukunftspotenziale, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86723

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