Eine Gruppe palästinensischer Drogenhändler in Berlin

Innere soziale Ordnung und äußere Einflüsse


Seminararbeit, 2007

42 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Zur Veröffentlichug dieser Arbeit unter www.grin.com

1 Einleitung: Palästinensische Drogenhändler

2 Äußere Einflüsse - Die Erzählungen der Drogenhändler
2.1 Volkszugehörigkeit: Palästinenser - und „die Juden“
2.1.1 Geschichte, Herkunft und die Registrierung bei der UNRWA
2.1.2 Die Abgrenzung gegenüber „den Juden“
2.2 Aufenthaltsstatus und rechtliche Restriktionen
2.2.1 Palästinenser in Deutschland und Berlin
2.2.2 Verschiedene Arten des Aufenthaltsstatus
2.2.3 Palästinenser in Berlin ohne Aufenthaltserlaubnis
2.2.4 Warum dealen die Männer trotzdem? Entscheidungstheorie
2.2.5 Was wird hier gespielt?
2.3 Weitere äußere Einflüsse
2.3.1 Noch ein Spiel: Drogenhändler gegen Polizei
2.3.2 Die Deutschen
2.3.3 Die anderen Palästinenser in Berlin
2.3.4 Das kriminelle Milieu

3 Innere soziale Ordnung - Beobachtungen
3.1 Arbeitsaufteilung: Rollen und Jobs
3.1.1 Jobs im Drogenhandel
3.1.2 Palästinensische verglichen mit afrikanischen Dealergruppen
3.1.3 Mimetische Isomorphie - Legitimität oder Inkrementalismus?
3.2 Hierarchie mit vielen Brüchen
3.2.1 Rangordnung und gesellschaftliche Stellung
3.2.2 Veränderungen innerhalb der Gruppe
3.3 Zwei Standorte: Zwei Untergruppen - aber ohne scharfe Trennung
3.4 Netzwerk und Kultur

4 Schluss

Literatur- und Informationsverzeichnis

0 Zur Veröffentlichug dieser Arbeit unter www.grin.com

Im Sommersemester 2007 verfasste ich für ein Soziologie-Modul an der FernUniversität in Hagen eine Hausarbeit über eine Gruppe palästinensischer Drogenhändler in Berlin. Zur Veröffentlichung unter www.grin.com habe ich die ursprüngliche Hausarbeit in mehreren Punkten verändert: Ein Zitat habe ich nach Rücksprache mit dem Zitierten verändert, bei zwei weiteren Zitaten den Namen des Zitierten entfernt, ferner drei Rechtschreibfehler korrigiert, und vor allem habe ich Menschen und Orte unkenntlich gemacht oder die Angaben leicht verändert, um die Persönlichkeit der Protagonisten zu schützen.

Zur Hausarbeit gehören ursprünglich ein Plan und drei Anhänge (vgl. Ende Kapitel 1): Diese werden auf www.hausarbeiten.de aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht veröffentlicht, damit Personen und Orte nicht erkannt werden können. Die Männer erhielten Buchstabenkürzel, die hier ebenfalls nicht entschlüsselt werden. Dasselbe gilt für Zahlen im Text, die auf die Nummer des Treffens verweisen, das hier nicht weiter erklärt wird. Aber die Reihenfolge bleibt entschlüsselt, damit der Leser sich ein Bild über die empirischen Grundlagen der Hausarbeit machen kann.

Abschließend möchte ich betonen, dass die 20 oder 30 Drogenhändler aus dem Park eine verschwindend geringe Minderheit unter den Palästinensern in Berlin darstellen. Ich finde aber Dealer interessanter als beispielsweise Familien oder Schulkinder, darum habe ich über sie geschrieben und nicht über die allermeisten Palästinenser, die integriert sind und sich an die Gesetze halten. Ich bitte also die 8.000 bis 32.000 nicht mit Drogen handelnden Berliner Palästinenser, nicht beleidigt zu sein.

1 Einleitung: Palästinensische Drogenhändler

Der Park, in dem die Drogenhändler ihrer Tätigkeit nachgehen, ist sehr beliebt. Hier trainieren Jogger, Dreadlockträger trommeln, Mütter fahren ihre Kinder spazieren, Türkische Großfamilien picknicken, Schüler trainieren im Sportunterricht Dauerlauf.

Bekannt ist der Park aber vor allem für seine Drogenszene. Regelmäßig veröffentlichen regionale und überregionale Medien Artikel über seine Dealer und Kunden, über Anwohner und Parkbesucher.

Ich wollte wissen, warum die Männer – Frauen sah ich nie - mit Drogen handeln und beschloss, eine Fallstudie über eine Gruppe Rauschgifthändler zu verfassen. Ich hatte die Hypothese, dass sie sich nicht in die Gesellschaft einfügen wollen: Drogenhandel als Protest.

Ich ging in den Park, trat auf einige Grüppchen zu und stellte mich vor: eine Studentin und Journalistin, die eine Hausarbeit und Zeitungsartikel über ihre Zusammenarbeit schreiben möchte. Zwei Gruppen verstanden (angeblich) kein Deutsch, eine dritte Gruppe - Palästinenser aus dem Libanon - war bereit, mit mir zu reden. Wir sprachen viermal längere Zeit miteinander - zwischen sieben und 35 Minuten - und ich sah sie regelmäßig etwa ein- bis dreimal wöchentlich über einen Zeitraum von etwa drei Monaten und notierte meine Beobachtungen (Anhänge 1 und 2). Letzteres war ethisch fragwürdig, da nicht verabredet. Ich entschloss mich trotzdem dazu, ein bisschen, weil sie zu weniger Gesprächen bereit waren als zugesagt, außerdem viele ihrer Aussagen einer Überprüfung nicht standhielten. Zudem halten sie sich an einem öffentlichen Ort auf, und vor allem: Die Arbeit von Drogenhändlern ist von allgemeinem Interesse.

Es hat sich gezeigt, dass die Männer, mit denen ich gesprochen habe, noch mit 30 Jahren ziemlich planlos in den Tag hinein leben. Sie organisieren ihre kleine „Arbeit“, aber sie organisieren nicht ihr Leben. Im Gegenteil: Sie schimpfen auf George W. Bush, Deutschland und „die Juden“, und sie behaupten, dass sie gar nicht anders könnten als mit Drogen zu handeln. Das verrät Scham - damit schien die Protest-Hypothese erledigt.

Ich fragte mich: Warum leben sie so? Ist wirklich der Rest der Welt „Schuld“ an ihrem „Schicksal“? Wäre das eine tragfähige Hypothese? Schaffen sie es nicht, ihr Leben zu gestalten?

Ich beschloss, Governance anhand der äußeren Einflüsse (Kapitel 2) und der inneren sozialen Ordnung (Kapitel 3) ihrer Gruppe zu untersuchen. Als analytische Instrumente sollten mir vor allem Theorien der Entscheidungsprozesse und des Neuen Institutionalismus dienen: Wie wirken Individuum, Gruppe und Umgebung auf einander? Welche Möglichkeiten haben die palästinensischen Drogenhändler, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen - und sie dann auch durchzusetzen? Welche Institutionen fördern, welche behindern sie, welche können sie ihrerseits gestalten?

Zwei Vorbemerkungen:

Ich nenne in der Hausarbeit weder Daten, noch beschreibe ich Personen. Dies, damit niemand erkannt oder überführt werden kann, falls die Hausarbeit etwa auf dem Postweg verloren ginge. Damit meine Angaben trotzdem nachprüfbar sind, schicke ich mit getrennter Post drei Anhänge. Sie nennen Datum, Ort und Art der Treffen sowie die Anzahl der Teilnehmer (Anhang 1), eine Zusammenfassung der Gespräche und Ereignisse (Anhang 2) und (Anhang 3) ein Who-is-Who, in dem auch die Namenskürzel dechiffriert werden. Ich habe die Treffen durchnummeriert, Zahlen im Text verweisen auf die Nummer eines Treffens.

Zweitens nenne ich die Kreuzungen, an denen etwa Menschen afrikanischer Herkunft dealen, der Einfachheit halber oft „schwarze“ oder „afrikanische“ Kreuzungen, und die dort stehenden Männer „Afrikaner“. Dies soll keinerlei rassistische Vorbehalte ausdrücken. Auch bin ich mir darüber im Klaren, dass Mitglieder dieser Dealergruppen aus verschiedenen Ländern kommen oder Deutsche sein können.

2 Äußere Einflüsse - Die Erzählungen der Drogenhändler

2.1 Volkszugehörigkeit: Palästinenser - und „die Juden“

Um die Einflüsse auf palästinensische Drogenhändler abschätzen zu können, muss man sich mit der Geschichte und der Situation von Palästinensern in Deutschland und speziell in Berlin auskennen.

2.1.1 Geschichte, Herkunft und die Registrierung bei der UNRWA

Im Laufe des ersten israelisch-arabischen Krieges werden etwa 750.000 Palästinenser vertrieben. Sie fliehen in den Libanon und nach Syrien, ins Westjordanland, nach Transjordanien und in den Gaza-Streifen (Ofterdinger Exkurs 1997: 93). Vor allem in den Libanon - dort lebt inzwischen „die zweitgrößte Gemeinschaft der palästinensischen Diaspora“ (Sayigh 1997: 15). Dorthin flüchten auch die Eltern der Drogenhändler (2).

Ab 1969 können die Palästinenser ihre Lager im Libanon selbst verwalten, außerdem im Südlibanon militärisch präsent sein. Das Land wird zum wichtigsten Stützpunkt der PLO (Projekt 1997: 128). Von 1975 bis 1990 herrscht im Libanon der Bürgerkrieg, dem wohl um die 150.000 Menschen zum Opfer fallen. Sch sagt, „ich habe mit der Waffe gekämpft“, möglicherweise nahm er am Bürgerkrieg teil. Die libanesische Regierung macht den Palästinensern das Leben schwer: Reisedokumente etwa sind sehr schwierig zu bekommen. Viele Wiederaufbaumaßnahmen sind offiziell verboten - auch für Kanalisation, Strom- und Trinkwasserversorgung. Die Ausübung zahlreicher Berufe wie Arzt, Ingenieur und Anwalt ist nicht gestattet (Sayigh 1997: 15, 23 f.), außer im Flüchtlingslager (Chahrour: Gespräch). Die meisten Palästinenser im Libanon sind arm: Mitte der 90er Jahre lebt mehr als die Hälfte von ihnen in Lagern. Zahlreiche Palästinenser fliehen. Wohl auch die Männer, die heute im Park Drogen verkaufen.

Seit dem Jahr 1949 besteht das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, UNRWA). Dort können Palästinenser sich registrieren lassen und erhalten Unterstützung. Aber: Nicht alle palästinensischen Flüchtlinge lassen sich bzw. ihre Kinder bei der UNRWA registrieren, andere werden aus den Listen gestrichen, weil sie nicht unterstützungsbedürftig sind, wieder andere können sich gar nicht registrieren lassen (Projekt 1997: 133 f. und Ghadban 2000: 95 ff., an beiden Stellen Verweise auf Quellen). Auch wer aus dem Libanon flieht, auswandert und Bürger eines anderen Staates wird, wird aus den libanesischen Flüchtlingsregistern gestrichen. (Projekt 1997: 133 f.) „Schätzungen und Angaben über die Zahl der Palästinenser im Libanon weichen erheblich von einander ab und reichen von 200.000 bis 600.000. ... Die Zahl der nicht registrierten Flüchtlinge im Libanon wird heute auf 50.000 bis 115.000 geschätzt.“ (Projekt 1997: 133). Chahrour schätzt die Anzahl der nicht registrierten Palästinenser im Libanon allerdings bloß auf mehrere 1.000 (Gespräch). Schwendner (Gespräch) und Kierzynowski (Telefonat) kennen nur Nomaden oder Beduinen als nicht-registriert.

Dass diese Aufzeichnungen derart verworren sind, könnte sich auch bei den Dealern im Park niedergeschlagen haben: Möglicherweise wurden sie nicht bei der UNRWA registriert und haben dadurch Probleme, ihre palästinensische Volkszugehörigkeit nachzuweisen und einen geregelten Aufenthaltsstatus zu erlangen. Dann würde stimmen, was sie immer sagen: „Wir sind heimatlos, wir kriegen hier keine Papiere, wir können nicht hier sein, aber wir können auch nicht zurück.“ (3). Ich halte dies allerdings für unwahrscheinlich (Näheres unter 2.2.3).

Eines fällt bei jedem Gespräch mit den Dealern auf: Sie schweigen über die Geschichte Palästinas ebenso wie über das Leben ihrer Eltern in Palästina und im Libanon. Im Gegenteil: Sie schimpfen auf Deutschland, nicht jedoch auf den Libanon - obwohl es Palästinensern dort nicht gut geht. Die Männer schweigen über ihre Familien. Sie sprechen nicht davon, dass sie in Deutschland Freunde haben. Sie finden die vielen Palästinenservereine in der Hauptstadt oder gar die Generaldelegation der Erwähnung nicht wert. Die Drogenhändler betonen immer wieder, dass sie Palästinenser, Flüchtlinge und unterdrückt sind, aber sie zeigen weder an ihrer Geschichte noch an (nicht dealenden) Mit-Palästinensern irgendein Interesse.

Nur beim gemeinsamen Drogenhandel spielt die Volkszugehörigkeit eine wichtige Rolle: Wegen ihrer Herkunft und Geschichte können sie angeblich nicht anders als dealen. Das gilt aber nur für Palästinenser, nicht für Menschen beispielsweise aus Afrika: Die afrikanischen Dealer eine Kreuzung weiter handelten mit harten Drogen (1), sie hätten das Dealen gar nicht nötig, denn viele Afrikaner seien Algerier und hätten französische Pässe, und wer etwa aus Sierra Leone komme, verfüge über Bodenschätze (2). - Die Palästinenser fühlen sich dank ihrer Volkszugehörigkeit als ganz besondere Gruppe. Sie sind die Einzigen, die das Recht haben, vertrieben worden und arm zu sein. Die Volkszugehörigkeit wird als Synonym für Armut, Vertreibung und Unterdrückung institutionalisiert, für die man daher nichts kann: Sie ist nicht mehr so sehr als erlebte Geschichte wichtig, sondern als Hintergrund und Muster für eine Identität von Männern, die (angeblich) zum Drogenhandel gezwungen sind. Die Volkszugehörigkeit gibt den Männern die Bestätigung: Sie können nicht anders als Dealen, ihren Kameraden geht es schließlich genau so. Das befreit von Verantwortung und lindert die Scham - die nämlich empfinden sie: Als ich frage, ob Haschisch im Islam erlaubt sei, kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück „nein!“ (1). Auch die Tatsache, dass die Männer alle möglichen Begründungen für ihre Tätigkeit suchen, verrät Scham.

2.1.2 Die Abgrenzung gegenüber „den Juden“

Ein weiteres Thema nimmt in den Gesprächen 2 und 3 immer wieder eine wichtige Rolle ein: Die Juden haben angeblich alle Macht, auch in Deutschland. „Wenn hier jemand ein Problem mit einem Juden hat, sagt der, Du hast den Holocaust geleugnet, und der Deutsche ist fertig.“ (Zum Ausdruck „Holocaust leugnen“ vgl. Kap. 2.3.2). Ein Händler lobt Deutschland: „In Deutschland kannst Du alles sagen.“ M widerspricht: „Nein, Du kannst nicht sagen, Hitler hat keine Juden getötet. - Wie viel hat er getötet? 200.000? 300.000?“ Ich sage: „Sechs Millionen!“ Das wird sofort bezweifelt: „Ich war nicht da, war nicht auf der Welt“, sagt einer. (2) Beim nächsten Treff heißt es (3): „Es gibt keine Demokratie auf der Welt!“ George W. Bush ist schlecht, Angelika (!) Merkel auch. Warum? „Sie redet mit Juden - sie hat Angst vor Juden!“ Araber sind wohl die besseren Menschen: Saddam Hussein habe „bloß“ 130 Menschen getötet, aber im Irakkrieg seien eine Million Zivilisten gestorben (2). Auch die Presse sei gegen Palästinenser: Ich würde Ärger bekommen, wenn ich die Wahrheit schriebe - sowieso schrieben Journalisten nicht die Wahrheit, außer bei Al Jazeera. Die hätten eine englische Website, die solle ich mir anschauen. „Für wen schreibst Du? Für die B.Z.?“ („Boulevard Zeitung“ des Springer-Verlages) - Ich: „Nein!“ Ein Mann: „Die B.Z. ist jüdisch, das sind alles Juden!“ Juden sind mächtig, aber sie sind auch so böse, dass auch Gott gegen sie ist, und deswegen werden sie letztendlich verlieren: „Siehst Du, was Gott mit Sharon gemacht hat? Er liegt im Koma, er lebt nicht, er stirbt nicht!“

Dieser Hass auf die Juden - wenn die Männer von ihnen sprechen, dann verzerren sich ihre Gesichter vor Wut - wird nicht sachlich-rational mit der Geschichte des palästinensischen Volkes begründet. Die Jahreszahl 1948 und die Flucht in libanesische Lager finden zwar Erwähnung, aber niemand bringt dies mit Juden in Verbindung, geschweige denn mit Israelis. - Der Ausdruck „Israelis“ fällt ohnehin kein einziges Mal, stattdessen heißt es immer „Juden“. Das ist ein eher religiöser Begriff. Dennoch bringen die Palästinenser sich nicht als Muslime ins Spiel - möglichweise, weil Drogenhandel in der Religion nicht erlaubt ist. Die Männer nennen Juden jedes Mal im Zusammenhang mit Geld und Macht, das sind klassische verschwörungstheoretische Äußerungen (vgl. Tietze 2006: 94).

Wenn ihr Judenhass nicht im Zusammenhang mit der Geschichte der Palästinenser steht, muss er eine andere Funktion haben. Nikola Tietze (ebd.) sieht den Grund für solchen Antisemitismus in gravierenden Bildungsdefiziten und mangelnder rechtlicher Inklusion in die Bundesrepublik (ebd.: 99). Sie fand ihn bei manchen Angehörigen der zweiten, in Berlin aufgewachsenen und zur Schule gegangenen Generation (ebd.: 81). Diese jungen Leute hatten den Wunsch, dass die „Institution Schule“ nicht nur Juden thematisiert, sondern auch Muslime und Palästinenser. Sie fühlten sich durch die deutsche Erinnerungskultur Juden gegenüber zurückgesetzt. Meine Gesprächspartner aus dem Park sind auch sehr ungebildet, allerdings sind sie selber erst als Jugendliche oder junge Erwachsene nach Deutschland gekommen. Bei ihnen hat der Judenhass zusammen mit der Volkszugehörigkeit eine etwas andere Funktion: Beides schließt die Männer zu einer Gruppe zusammen. Diese formale Struktur wird zu einem institutionellen Regelwerk. „Institutionelle Regeln funktionieren als Mythen, die von Organisationen aufgenommen werden. Dadurch gewinnen sie Legitimität, Ressourcen, Stabilität und bessere Überlebenschancen“ (Meyer/Rowan 1977: 340). In vielen Organisationen in der nachindustriellen Gesellschaft spiegeln die formalen Strukturen die Mythen der institutionellen Umgebung und nicht die Anforderungen ihrer Arbeitsaktivitäten wider (ebd.: 341). Das verschafft ihnen eine institutionelle Legitimität, verbindet und macht aus den Männern eine Gemeinschaft. Wie die Volkszugehörigkeit sie nach innen eint, grenzt der Antisemitismus sie gegenüber der Welt draußen ab. Es gibt ein klar definiertes Böses, das Judentum, das ist überall, nur nicht bei ihnen, die Männer sind durch ihre Volkszugehörigkeit davon getrennt. Also können sie gar nicht anders als gut sein. Gut sein, wichtig sein für die Gesellschaft - dass sie das sind, betonen die Drogenhändler sowieso immer wieder: Sie würden nur mit weichen Drogen handeln und gäben sie nicht an Kinder - ich solle ruhig ein Kind hinschicken, ich würde sehen: Es bekäme nichts (1). Früher habe es im Park viele Raubüberfälle „und Vergewaltigungen von Kindern und so“ gegeben - seit sie da stünden, nicht mehr (2).

2.2 Aufenthaltsstatus und rechtliche Restriktionen

2.2.1 Palästinenser in Deutschland und Berlin

Palästinenser haben - obwohl Deutschland größter Geldgeber für die Palästinensischen Gebiete ist - in Deutschland keinen guten Stand, das wird auf höchster Ebene geradezu anekdotenhaft sichtbar: Auf der Website des Auswärtigen Amtes befinden sich nur sehr knappe Informationen zu den Palästinensischen Gebieten - weder eine Fahne, noch ein Text zur Geschichte wie bei anderen Länder- und Reiseinformationen. Dies ließe sich noch damit erklären, dass es eben keinen Staat Palästina gibt. Aber die Liste mit den Vertretungen fremder Staaten verzeichnete noch im April diesen Jahres unter der Generaldelegation der Palästinensischen Gebiete Herrn „Abdallah H. J. Alfrangi“ als Generaldelegierten. Nun aber heißt der Mann erstens Abdallah Frangi, zweitens schied er laut Generaldelegation schon Ende des Jahres 2005 aus seinem Amt als Generaldelegierter Palästinas in Deutschland aus (und wurde Vorsitzender der Fatah-Partei im Gaza-Streifen). Jedoch erst im Mai 2007 veröffentlicht das Auswärtige Amt die korrekte Adresse der Palästinensischen Generaldelegation in Berlin und den Namen ihres schon nicht mehr neuen Generaldelegierten, Herrn Hael Al-Fahoum. - Es ist unwahrscheinlich, dass die Mitarbeiter der palästinensischen Generaldelegation den Namen ihres (früheren) Chefs nicht zu schreiben wussten, andererseits fußen die Eintragungen in der Liste des Auswärtigen Amtes auf Angaben der jeweiligen Vertretung. Anscheinend haben die Akteure und Institutionen Palästinas und Deutschlands kein besonderes Geschick im Umgang miteinander.

Walid Chahrour (Gespräch) schätzt, dass heute etwa 24.000 bis 32.000 Palästinenser in der Hauptstadt leben: 8.000 bis 9.000 Eingebürgerte (also Deutsche), weitere 12.000 - 13.000 mit einem geregelten Aufenthaltsstatus, mehrere Tausend Geduldete und ein paar Hundert Unregistrierte. Am 31.12.2001 waren 45,5 Prozent der Palästinenser in Berlin unter 15 Jahre alt (Schwendner: Gespräch). Die meisten Palästinenser in Berlin gehören also zur dritten Generation: Ihre Großeltern waren in den Libanon und von dort nach Deutschland geflüchtet, ihre Eltern wurden in Deutschland geboren und bekamen hier viele Kinder. Die Drogenhändler gehören in Deutschland zu einer Minderheit: weil sie an die 30 Jahre alt sind, und weil sie selber noch im Libanon geboren wurden.

Wieviele Palästinenser insgesamt nach Deutschland gekommen sind, kann man kaum sagen. Das hat mehrere Gründe: erstens die statistische Erfassung - „Palästinenser waren in der Statistik mit der Länderkennziffer (997) für Staatenlose erfasst; ab 1985 fand ihre Erfassung mit der Länderkennziffer (998) für Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit statt“ (Ghadban 2000: 68). Zweitens werden unter „Palästinenser“ auch die Kurden aus dem Libanon subsummiert (ebd.: 69 f. und Fußnote 158).

Von 1975 bis Anfang der 90er kommen die meisten Libanon-Flüchtlinge als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland (Schwendner: Gespräch). Ab 1990 kamen „hauptsächlich Wirtschaftsflüchtlinge, die nach Ende des Bürgerkrieges und der Auflösung der Milizen, die als Hauptarbeitgeber fungierten, vor dem Nichts standen.“ (Ghadban 2000: 75 f.). In dieser Zeit kommen allerdings nur noch wenige Palästinenser nach Deutschland, und die meisten von ihnen allein. Es handelt sich vor allem um junge Männer, die illegal mit Schleusern einreisen. Zu dieser Gruppe gehören wahrscheinlich die Drogenhändler aus dem Park. Zwar nennt kaum einer Jahreszahlen, einige aber geben immerhin Anhaltspunkte: G, Ende 20, kam mit 15 Jahren nach Deutschland (2). R, 31, musste vor zehn Jahren ins Gefängnis (12). DB, 26 Jahre alt, sagt „bin seit acht hier“ (3) und macht auch bei Nachfragen keine deutlichere Aussage. Er kam also entweder im Alter von acht Jahren nach Deutschland oder, wahrscheinlicher, er ist seit acht Jahren hier. Sch sagt, er habe „mit der Waffe gekämpft“. Das könnte heißen, dass er bei der Miliz war und nach dem Ende des Bürgerkrieges arbeitslos wurde. Alle Männer sprechen extrem schlechtes Deutsch, was eher gegen einen Schulbesuch in Deutschland spricht.

[...]

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Eine Gruppe palästinensischer Drogenhändler in Berlin
Untertitel
Innere soziale Ordnung und äußere Einflüsse
Hochschule
FernUniversität Hagen  (LG Soziologie II / Handeln und Strukturen)
Veranstaltung
Modul
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
42
Katalognummer
V86813
ISBN (eBook)
9783638897594
ISBN (Buch)
9783638897624
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit wurde für die Veröffentlichung anonymisiert: Um die Protagonisten zu schützen, wurden sämtliche Angaben, die Rückschlüsse zulassen, weggelassen oder verändert. Einzelheiten dazu am Beginn der Hausarbeit.
Schlagworte
Eine, Gruppe, Drogenhändler, Berlin, Modul
Arbeit zitieren
Ulrike Heitmüller (Autor:in), 2007, Eine Gruppe palästinensischer Drogenhändler in Berlin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86813

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