Die Musik des Jiddischen Theaters


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2006

120 Páginas, Calificación: 1,70


Extracto


INHALT

1 Einleitung

2 Die jiddische Sprache und Kultur
2.1 Die Musik in der jüdischen Kultur
2.2 Schund oder Vorläufer des Musical? – Der Begriff und die Form des jiddischen Musik-Theaters

3 Anfänge des jiddischen Theaters in Osteuropa
3.1 Die Goldfaden-Ära
3.1.1 Goldfadens Schaffensperioden
3.1.2 Inspiration – Die Musik in den Goldfaden-Stücken

4 Emigration – Das jiddische Theater in Amerika
4.1 Joseph Lateiner, Moshe Hurwitz und Boris Thomashevsky
4.2 Sigmund (Zelig) Mogulesco (1858-1914)
4.2.1 Biographisches
4.2.2 Die Handlung von “David’s Violin“
4.2.3 Die Musik in “David’s Violin“
4.3 Arnold Perlmutter und Herman Wohl
4.3.1 Biographisches
4.3.2 Dos Pintele Yid
4.4 Die Gordin-Ära oder das „Goldene Zeitalter des jiddischen Theaters“

5 In Amerika geborene Komponisten und ihre Musik für das jiddische Theater
5.1 Abraham Ellstein (1907-1963)
5.1.1 Biographisches
5.1.2 Abi gezunt
5.2 Alexander Olshanetsky (1892-1946)
5.2.1 Biographisches
5.2.2 Glik
5.3 Sholom Secunda (1894-1974)
5.3.1 Biographisches
5.3.2 Die Geschichte von „Bay mir bistu scheyn“
5.3.3 Analyse von „Bay mir bistu scheyn“

6 Formen und Strukturen der analysierten Werke im Vergleich
6.1 Von Goldfaden bis Perlmutter und Wohl
6.2 Vom Lied der jiddischen Bühne zum populären Welthit

7 Das jiddische Theater heute

8 Nachwort

9 Glossar

10 Literatur
10.1 Schrifttum
10.2 Internet
10.3 Noten und Theaterstücke
10.4 Tonträger

11 Anhang

1 Einleitung

Das jiddische Theater ist eine Gattung der jüdischen Volkskunst, die viel Ähnlichkeit mit der zeitgleich entstandenen Operette hat. Beide wollten das Volk mit einfachen Themen aus dem Alltag unterhalten und nahmen dafür Gesang, Tanz und Schauspiel zu Hilfe. Dabei legten sie keinen großen Wert auf Originalität, zeitgenössische Stile oder künstlerische Qualität. Zu Anfang, in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, gab es einzelne jüdische Sängergruppen wie die Broder-Sänger[1], die in russischen Lokalen sangen und zu ihren Liedern tanzten. Es entwickelte sich weiter, über die zahlreichen fest etablierten jiddischen Theaterhäuser in New York, die diese leichte Kunstform als jüdisches Gegenstück zum dortigen Musical betrieben, bis in die heutige Zeit. Der Begriff ‚jiddisches Theater’ fasst alles zusammen, was unter diesem Aspekt geschah.

Die Musik spielt im jiddischen Theater eine sehr große Rolle. Schon von Beginn an waren jiddische Theaterstücke mit viel Musik angereichert, wenn nicht gar die Handlung von der Musik getragen wurde. Als Vater des jiddischen Theaters gilt Abraham Goldfaden, der inspiriert aus den Vorläufern des jiddischen Theaters wie den Purim spielen, Broder-Sängern, Badchn und anderen, die ersten jiddischen Theaterstücke entwarf. In dieser Arbeit soll die Entwicklung des jiddischen Theaters von seinen Anfängen in Rumänien und anderen Ländern Osteuropas bis hin nach New York aufgezeichnet werden. Dabei möchte ich im Besonderen die Musik in den Theaterstücken betrachten und versuchen, die Entwicklung der Musik mit ihrem Entstehungsort in Beziehung zu setzen. Während sich Abraham Goldfaden sehr von der europäischen Operette beeinflussen lässt und bekannte Melodien aus Volksliedern, Opern und Operetten kopiert, so wandelt sich die Musik und Form des jiddischen Theaters in Amerika immer mehr in Richtung Musical und Jazz. Die Aufgaben waren im Theater in den Anfängen nie klar umrissen. Ein Künstler erfüllte oft mehrere Aufgaben. Goldfaden war nicht nur der Autor von jiddischer Literatur und Theaterstücken, sondern auch der Gründer der ersten Theatertruppe in Rumänien und Regisseur, Komponist und Hauptdarsteller in diesem Ensemble. In Amerika wandelte sich die Aufgabenverteilung und nahm klassische Formen an. Hier kann man die Komponisten des jiddischen Theaters ganz klar von seinen Darstellern und Regisseuren unterscheiden.

Um die Hintergründe und Grundlagen der jiddischen Kultur und damit auch ihres Theaters zu verdeutlichen, beginnt meine Arbeit mit einem Kapitel über jiddische Sprache und Kultur. Weiter geht es mit einer Darstellung der Geschichte des jiddischen Theaters von seinen Anfängen in Osteuropa, über dessen Weiterentwicklungen in Amerika bis zur Neuzeit, wobei besonders auf jene Personen eingegangen wird, die das jiddische Theater entscheidend geprägt haben. Dabei geht es um die Frage: Gibt es Gemeinsamkeiten in der Musik des jiddischen Theaters von Osteuropa und Amerika, die diese als jiddische Theatermusik kennzeichnet? Oder hat die amerikanische Musik des jiddischen Theaters durch andere Einflüsse eine neue Form gewonnen?

Diese Fragen sollen in meiner Arbeit untersucht werden. Die wichtigsten Komponisten werden hierzu kurz biographisch beschrieben, um daraufhin einzelne Lieder von ihnen exemplarisch zu betrachten und sie mit anderen zu vergleichen. Drei Generationen von Komponisten werden hier dargestellt. Diese waren für die Musik des jiddischen Theaters von großer Bedeutung, sie haben sie weiter entwickelt und prägen sie bis heute. Die erste Generation stellt Komponisten, die in den Anfängen des jiddischen Theaters 1876 und in den Folgejahren, vorwiegend in Osteuropa gewirkt haben. Als Vertreter dieser Generation sei hier Abraham Goldfaden genannt. Die zweite Generation ist die jener Juden, die Ende des 19. Jahrhunderts von Osteuropa nach Amerika emigrierten. Zu ihnen zählten Arnold Perlmutter, Herman Wohl und Siegmund Mogulesco. Zur dritten Generation zählen die jüdischen Komponisten mit Wurzeln in Osteuropa, die in Amerika aufgewachsen sind. Sie wird hier durch Abraham Ellstein, Alexander Olshanetsky und Sholom Secunda vertreten.

Die Musik im jiddischen Theater hatte die Funktion, Charaktere mit einem Lied vorzustellen, Höhepunkte eines Stückes zu unterstreichen, die Handlung zu entwickeln und die Stimmung zu heben. Bei Theaterproduktionen wurden die Lieder schon auf dem Heimweg vom Publikum gesummt, in der Familie gesungen und durch den häufigen Gebrauch im Volk entwickelten sie sich zu Volksliedern. Die Lieder haben Juden auf der ganzen Welt verbunden und tun dies heute noch. Diese Musik, die volksliedähnlich in der jüdischen Kultur lebt, wird hier untersucht.

Klezmer musik, jüdische Instrumentalmusik, war im Theater ebenso wichtig wie das jiddische Lied. Sie beeinflussten sich gegenseitig und wirkten nebeneinander und miteinander gleichwertig. Das jiddische Lied hat Motive und Formen der Klezmer musik übernommen und umgekehrt. Einige Lieder werden zu Klezmer in Beziehung gesetzt. Daneben hat die Klezmer bewegung jedoch viele Details, die im Rahmen dieser Arbeit nicht dargestellt werden können.

Ebenso kann hier nicht auf das jiddische Kunst-Theater von Maurice Schwartz eingegangen werden, das 1918 ins Leben gerufen wurde und ein Vierteljahrhundert gearbeitet hat. Es steht für das professionelle jiddische Theater, das sich die europäische Theaterkunst zum Vorbild nahm. Durch den großen europäischen Anteil im jiddischen Kunst-Theater, ist es für diese Arbeit weniger relevant.

Jiddisch wird meist in hebräischen Lettern geschrieben. Die Sprache ähnelt dem Deutschen so weit, dass ein Deutscher den Großteil verstehen kann. Mit der hebräischen Schreibweise ergibt sich das Problem der Transliteration bei Zitaten. Dies habe ich so gelöst, dass Zitate in lateinischen Lettern nach YIVO[2] Schreibweise von mir wiedergegeben und in Fußnoten übersetzt werden. Bei der Wiedergabe von Zitaten wird die, in der Literatur angewandte Schreibweise verwendet. Jiddisch hat keine festgelegte Schreibweise in lateinischen Buchstaben. Erst mit der YIVO Transliteration wurde sie vereinheitlicht. Aber sie gilt nur als Richtlinie, nicht als Gesetz und es gibt weiterhin Transliterationen, die z. B. für Deutsche besser zu lesen sind. Aus diesem Grund kann es sein, dass jiddische Liedtitel und auch Namen an verschiedenen Stellen in dieser Arbeit unterschiedlich geschrieben werden, je nachdem, in welchem Zusammenhang sie stehen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die männliche Form verwendet. Es sind jedoch beide Geschlechter gemeint, falls nicht anders gekennzeichnet.

2 Die jiddische Sprache und Kultur

Das jüdische Volk zeichnet sich durch seine Verstreutheit in der Welt, häufige Ortswechsel und Völkerwanderungen aufgrund von Verfolgung und Vertreibung aus. Oft lebten Angehörige des jüdischen Volkes relativ isoliert von der Umgebung in kleinen Orten bzw. im schlimmsten Fall, gezwungenermaßen in Ghettos. Bis 1215 hatten sie in Europa freiwillig in Judenvierteln nahe beisammen gewohnt. 1215 wurde jedoch das Laterankonzil verfasst, das zu einer stärkeren Spaltung von Juden und Nichtjuden führte, da Juden in Zwangsghettos isoliert wurden und immer weniger kultureller und gesellschaftlicher Austausch stattfand. Diese Unterdrückung und Isolation des jüdischen Lebens verursachte eine Verarmung der deutschen Sprache unter den Juden und förderte die Entwicklung einer eigenen Sprache. Das religiöse und geistige Leben der Juden spielte sich zuvor auf Hebräisch und Aramäisch ab, da die Bibel und die nachbiblischen religiösen Schriften in diesen Sprachen verfasst worden waren. So kannten die streng Gläubigen und Gelehrten diese Sprachen sehr gut, während die weniger gebildeten Juden doch zumindest einen einfachen Bibelkommentar lesen und verstehen konnten.[3]

Das Deutsch der Juden wurde mit der Zeit immer mehr mit hebräischen Ausdrücken und Elementen angereichert und vermischt. Das Judendeutsch, wie es damals genannt wurde, war noch nicht weit entwickelt. Es wurde unter den Gegebenheiten des Ghettolebens immer weiter ausgebildet – auch französische Ausdrücke und Färbungen kamen hinzu, durch vertriebene Juden aus Lothringen, die sich im Rheinland niederließen.

Es kam zu immer mehr Verfolgungen, Entrechtungen und Metzeleien, die noch verstärkt wurden durch die Kreuzzügler und später auch durch das Zuschreiben der Schuld an der Pestepidemie, die im 14. Jahrhundert wütete. Diese Verfolgungen vertrieben die übrig bleibenden Juden zum großen Teil aus den Gebieten im Rheinland in den Osten, nach Böhmen, Polen und Litauen.

Hier lebten sie meist autark in kleinen Gemeinden und bildeten den bis dahin fehlenden Mittelstand. Umgang mit der Umwelt hatten die Juden im Osten hauptsächlich geschäftlich bedingt und behielten als tägliche Umgangssprache ihre Mundart bei. Im Osten hatten sich in den Städten deutsche Kolonisten niedergelassen, mit denen sie Deutsch sprechen konnten. Der Kontakt zu den in Deutschland gebliebenen oder in andere Länder vertriebenen Freunden und Verwandten verlief ebenfalls meist in jüdischem Deutsch. Und nicht unbeachtet zu lassen ist die Traditionstreue und das Festhalten an spirituellen und kulturellen Werten im jüdischen Volk.

All dies begründet, dass sich die jüdisch-deutsche Sprache im Osten fast besser und schneller entwickelte, als sie es in Deutschland getan hatte, von nun an mit slawischen Sprachelementen angereichert. Unter Juden hieß diese Sprache ab jetzt „Máme-Lóschen“. Von einigen Sprachwissenschaftlern wird sie noch heute nicht als eigenständige Sprache akzeptiert. Sie wird als ‚Jargon’ bezeichnet und abgewertet, doch steht sie ganz auf eigenen Füßen. Sehr viele Elemente haben sie gebildet und geformt. In ihr ist das Mittelhochdeutsch als Stamm enthalten, sehr viele slawische und semitische Elemente, sowie Spuren von mittelalterlichem Französisch, Italienisch, Spanisch, Griechisch und Latein. Ein Grund, das Jiddische zum ‚Kauderwelsch’ zu degradieren kann jedoch nicht mit der Vielzahl der enthaltenen Sprachen erklärt werden. Vielmehr enthalten die meisten europäischen Sprachen abgeleitete Worte aus anderen Mundarten, und niemandem würde einfallen, sie aus diesem Grund herab zu setzen.

Aufgrund der Unterdrückungen von Juden während der russischen Zarenherrschaft (Juden wurden z. B. nur eingeschränkt an höheren Schulen zugelassen und durften keine öffentlichen Ämter bekleiden), kam es zu Massenauswanderungen nach Amerika und insbesondere nach New York. 1870 gingen fast 50 000 osteuropäische Juden nach Amerika.[4]

Die Repressionen im Zarenreich und in Österreich-Ungarn führten dazu, dass in den Jahren 1901-1915 eine gewaltige Migration von Osten nach Westen einsetzte. Über sieben Millionen Osteuropäer verließen ihre Heimat, um in die Neue Welt auszuwandern.

Vor dem Holocaust gab es ungefähr zwölf Millionen Jiddisch sprechende Juden, die vorrangig in Osteuropa lebten. 1928 wurde in der Sowjetunion ein autonomes jüdisches Gebiet eingerichtet, in dem Jiddisch die Amtssprache sein sollte. Doch wurde nie die nötige Mehrheit für diese Maßnahme erzielt. Nach dem Ende der Sowjetunion 1991 wanderte ein Großteil der Juden aus der Sowjetunion nach Israel, Deutschland und in die USA aus.

Heute gibt es nur noch sehr wenig Jiddisch sprechende Menschen und die vorwiegend in Amerika. Denn auch in Israel ist Jiddisch keine anerkannte Sprache.

Während sich das Jiddische vor etwas mehr als 100 Jahren den Weg zur Anerkennung als Sprache erst bahnen musste und eher als Jargon und Straßendialekt angesehen wurde, wird es gegenwärtig kaum noch auf der Straße gesprochen. Heute ist es eine Sprache, die studiert und neu gelernt werden muss. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich wieder so weit etablieren kann, dass sie von einem Teil des jüdischen Volkes aktiv gesprochen wird. Diese Entwicklung ist nicht auszuschließen, wenngleich sich Juden heute in der jeweiligen Landessprache ihres Wohnsitzes unterhalten, denn aus dem jüdischen Leben haben sich wiederholt Bewegungen entwickelt, die sich die Pflege ihrer Sprache und Kultur zur Aufgabe machten.

2.1 Die Musik in der jüdischen Kultur

Um die jiddische Musik in der jüdischen Kultur und im Besonderen das jiddische Lied wie es heute ist verstehen zu können, muss man die jüdische Geschichte kennen, denn die Lieder entstehen und leben im Volk und spiegeln sein Leben und die Zeit wider. Eine Bereicherung des „Volkslied-Begriffes“ bietet Aron Marko Rothmüller an:

“Folk-Song is a descriptive rather than a definitive term, and we shall use it broadly to cover the various kinds of song sung by the people and expressing the characteristics of the people“.[5]

Das Volkslied wird zu bestimmten Anlässen gesungen oder beschreibt alltägliche und besondere Ereignisse, mit denen sich ein Volk identifiziert.

Die jüdische Musik hat dadurch einen besonderen Stand, dass Juden in Ghettos und Gemeinden verschiedener Länder lebten. So bewahrten sie sich einerseits einen Teil ihrer Kultur, ließen andererseits jedoch Teile aus der Kultur des Landes, in dem sie lebten in ihre Musik und Sprache mit einfließen.

Vor dem 9. Jahrhundert wurde Kunstmusik und vor allem weltliche Musik von den geistigen Führern der Juden unterdrückt. Zu dieser Musik gehörte auch die Instrumentalmusik, gleichwohl sie zu religiösen Anlässen wie Hochzeiten gespielt wurde. Demnach war die Musik des jüdischen Volkes beschränkt auf das traditionelle Singen der Gebete und die, auf bestimmte Modi festgelegten, gesungenen schriftlichen Lesungen. Ab dem 9. Jahrhundert gab es in Nordafrika und Spanien Sänger und Dichter, die religiöse Lieder sangen und komponierten. Sie erfanden Melodien oder adaptierten bereits bestehende jüdische Melodien für ihre eigenen Texte. Diese Art, aus weltlichen Volks- und Minneliedern religiöse Gesänge zu machen, breitete sich auch im nördlicheren Europa unter den Juden aus. Ab jetzt wandten auch Rabbis Kontrafaktur an und schrieben sakrale Gesänge, indem sie Melodien von Volksliedern mit religiösen Texten versahen. Diese Lieder wurden wiederum in das häusliche Leben der Juden integriert und z. B. zu Mahlzeiten und am Sabbat gesungen.[6]

Im 11. Jahrhundert gab es viele jüdische Gemeinden im Rheinland, beispielsweise in Köln und Mainz. Sie waren über Generationen gewachsen und hatten sich in die deutsche Umgebung und die deutsche Kultur so eingelebt, dass Juden deutsche Dichter lasen und rezitierten, deutsche weltliche und geistliche Musik aufführten und vom 13.-15. Jahrhundert sogar an der Entstehung von deutschen Epen beteiligt waren.[7]

In dieser Zeit entstanden auch die ersten Vertonungen jiddischer Gedichte und jüdische ‚Spielmänner’ zogen durch das Land, welche die Menschen mit alten jüdischen Epen (z. B. Shmuel Buch = Das Buch Samuel), eigenen Kreationen jiddischer Lieder mit Melodien deutscher Volkslieder, Übersetzungen deutscher Epen wie „Dietrich von Bern“ oder auch durch leichtere Unterhaltung wie Clowns-Nummern und Akrobatik unterhielten. Das geschriebene Wort wurde in den meisten Fällen singend vorgetragen, indem es mit Melodien versehen oder auch rezitativisch dargeboten wurde, nur selten blieb es auf die reine Sprachmelodie begrenzt.[8] Auch Klezmer entwickelte sich in dieser Zeit zum ersten Mal: Jüdische Emigranten aus Italien, die nach Deutschland und in slawische Länder übersiedelten, brachten jene Musiker mit, die schon bald das soziale und musikalische Leben mit bestimmen sollten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Jüdische Emigrationsströme nach Osteuropa[9]

Während des 16. Jahrhunderts, mit der Auswanderung vieler Juden aus dem Mittelrheingebiet nach Polen, Litauen, Böhmen und Russland, hört die Tradition der jüdischen Spielmänner auf.

Der ostjüdische Liederschatz, der bis heute überliefert ist, enthält Gesänge mit weltlichen und religiösen Themen, wobei die weltlichen überwiegen. Themen der Lieder sind nach RUBIN folgende:

- Die Kinderwelt
- Liebe und Liebeswerben
- Heirat
- Bräuche und Glauben
- Fröhlichkeit
- Tanzlieder
- Historisches und Aktuelles
- Chassidische Melodien und Lieder
- Lieder literarischen Ursprungs
- Armut, Mühsal und Kampf
- Jenseits der Schatten
- Nach Amerika
- Zu Zion
- Sowjetisch jiddische Volkslieder
- Überlebenskampf
- Volkslieder als universale Sprache.[10]

Bohlman beschreibt das Leben des Volksliedes wie folgt:

„In diesen Liedern klingt die ganze Skala der Empfindungen der Volksseele wider; alle Volksschichten kommen da zu Wort, von der höchsten bis zur niedrigsten, vom Rabbi und Talmudjünger bis zum Dieb, von der Mutter bis zur Hure. Der jüdische Volksgesang ist ein wahrer Ausdruck des Lebens der jüdischen Volksmassen in Osteuropa, was den Text anbelangt.“[11]

Das Alter der Lieder kann man an den Texten (Inhalt und Sprache) erkennen, die älteren Lieder haben ein relativ reines Mittelhochdeutsch geschrieben und behandeln Themen wie den „Kampf zwischen Altgläubigkeit und westeuropäischer Bildung; die verhängnisvollen Gesetze Nikolaus I., wie zwangsmäßiger Militärdienst und moderner Schulunterricht“ und den Kampf zwischen Chassidim und ihren Gegnern.[12] Das Leben der Handwerker und die Liebe sind eher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Thema der Lieder geworden. Ein weiteres Kriterium, das auf die Entstehungszeit schließen lässt, ist das Einfließen von slawischen Elementen in die Texte. Während die älteren Liedertexte in fast reinem Mittelhochdeutsch sind, gibt es erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Liedertexte, die mehr slawische Elemente aufweisen. Dies ist zurück zu führen auf die Russifizierung der westlichen Gebiete ab 1863.

Bohlman und Holzapfel schreiben dazu:

„Lexicographically, separating a German from an Eastern European Jew is not possible. The meanings may seem to be geographically contradictory, but etymologically they overlap. And this is precisely the case with their folk songs.”[13]

Entstehungszeit und Herkunft eines Liedes kann nicht an seiner Melodie erkannt werden. Die Texte wurden z. T. später mit neuen, aktuellen Melodien versehen oder es wurden im Parodieverfahren Melodien weltlicher Lieder mit religiösen Texten verknüpft.

Viele der jiddischen Lieder aus Osteuropa haben eine natürliche Moll-Skala als Grundlage. In Osteuropa war es vergleichsweise unüblich in Durtonarten zu komponieren, im Gegensatz zum westlichen Europa, wo es eine klare Trennung gab zwischen Dur (hell, freundlich, fröhlich) und Moll (dunkel, gedeckt, melancholisch). Diese Einteilung hatte in Osteuropa keine Bedeutung. Durch die Tonart wurde in keiner Weise festgelegt, ob ein Lied ein trauriges oder ein fröhliches Thema hatte. SLOBIN legt die Ursache für diesen Moll-Schwerpunkt jedoch auf den Einfluss, den die deutsche Musik des 14.-16. Jahrhunderts auf die jüdische Volksmusik hatte und die Musik der Ostslawen, die damals ebenfalls oft in natürlichem Moll standen und unter denen Juden während einiger Jahrhunderte gelebt hatten.[14]

Schund oder Vorläufer des Musical? – Der Begriff und die Form des jiddischen Musik-Theaters

“Es handelt sich bei der jüdischen Bühnenmusik um ein Nebeneinander von Volksliedern, volkstümlichen Liedern, Bühnenschlagern und Popularmusik. Der Austausch zwischen verschiedenen Traditionen war stets im Gange. Aus diesen Traditionen entwickelte sich nicht nur die Musik des jiddischen Theater, sondern auch jene des amerikanischen Musicals und der Wiener Operette.“[15]

Kurt Pinthus (1886-1975), Verlagslektor, Schriftsteller, Theater-, Film- und Literaturkritiker schrieb in einem Bericht über das jiddische Theater über die Stücke Goldfadens:

„Jener Lehrer, Schreiber, wandernde Sänger sammelte einige der jüdischen Volkssänger und schrieb für diese seine seltsamen, langen Theaterstücke, in denen sich die klassischen Elemente der Dichtungen Shakespeares und Schillers mit der Operette Offenbachs, der großen Oper und dem französischen Intrigenstück bunt und in primitivem Aufbau vermischten.“[16]

PERLMUTTER beschreibt die Phasen des jiddischen Theaters folgendermaßen:

“In der kurtser tseyt fun zayn ekzistents, hot der jidischer teater durkhgemakht, volt ikh zogn, gantse fir epokhes: di goldfaden- un gordin-Epokhe, di epokhe fun jidischn kinstlerischn teater, un di gants letste epokhe. Di erschte tsvey epokhs hobn schoyn zeyer arbet khmet farendikt. Di drite epoche, velkhe hot zikh ongehoybn mit iber a fertl iorhundert tsurik, hot oyfgehoybn di jidische drama un di jidische teater-muzik oyf a farheltnischmesik heykher madréga. Bes di letste epokhe hot, erger oder beser, bloyz ibergekhzrt dos schoyn gezogte, un keyn groyse enderungen kon men schoyn nischt dervartn.”[17]

Der Begriff für jiddisches Theater hing immer mit der Definition und Anerkennung von Jiddisch als Sprache zusammen. In den Anfängen wurde das Theater in jiddischer Sprache von Nichtjuden oftmals als „Jargontheater“ bezeichnet, da Jiddisch in den Augen Vieler keine eigene Sprache war. Wenn es um die genaue Beschreibung eines Stückes geht, erscheint in der Kritik häufig die Form, welcher das Theaterstück zuzuordnen ist, als Begriff: es konnte – je nachdem, ob es eine Komödie oder ein Drama und wie viel Musik für das Stück geschrieben worden war – als Vaudeville, Oper, Operette, Musical, Musiktheater, Revue oder Kabarett bezeichnet werden. Goldfaden selber nannte seine Stücke „eine Komödie mit Musik“, „ein musikalisches Melodram“ oder eine „romantische Oper“.[18] Eindeutig für das Publikum war nur, dass es ein Stück zu sehen bekam, in dem Musik eine große Rolle spielte und es erwartete Duette, Trios, Soli und Chöre, gesungen von Schauspielern mit gut ausgebildeten Stimmen.

Der Begriff „Musical“ ist hier der offenste und fasst mehrere dieser Bezeichnungen zusammen.

„Der Terminus Musical bezeichnet ein Stück des musikalischen Unterhaltungstheaters, das gleichermaßen Schauspiel, Musik, Gesang, Tanz und Szene einbezieht. Im weiteren Sinne wird der Begriff verwendet, um diejenigen Genres zusammenzufassen, die nicht reines Sprechtheater sind. Der Rahmen dieser Subgenres umfaßt Revue, musical comedy, musical play, Operette (sowohl die amerikanische als auch die importierte, am Broadway aufgeführte) und die sog. Broadway-Oper. [...] In ihren Grundzügen ist die Musik des Musicals an zwei Konstanten gebunden: sie bleibt einerseits der Tonalität und Stilmitteln des 19. Jh. verpflichtet, andererseits steht sie in Beziehung zur jeweils aktuellen Popularmusik, deren Elemente sie mehr oder weniger stark integriert, ohne jedoch stets völlig mit ihr identisch zu sein.“[19]

Das Musical wurde in seinen Anfängen als “musical comedy“ bezeichnet und war stilistisch und terminologisch nicht klar getrennt von der Operette auf der einen Seite und der Revue auf der anderen Seite.

Der Wert des Jiddischen Theaters wird sehr unterschiedlich angesehen.

Als „Schund“ wird ein ganzes Repertoire von jiddischen Theaterstücken bezeichnet, die sehr schnell und aus dem Zwang heraus entstanden, dass es nur ein relativ kleines Publikum gab, das ständig neue Stücke sehen wollte. So schrieben die Autoren in Fließbandproduktion Schauspiele, die sich nicht durch ihre künstlerische Hochwertigkeit auszeichneten, vielmehr sollten sie dem Publikum gefallen. Das Publikum des jiddischen Theaters hatte, im Vergleich zu der nichtjüdischen Bevölkerung, eine weniger umfassende klassische Bildung erfahren, vielmehr lag der Schwerpunkt der Bildung auf dem Kennen der Bibel und des Talmud. Das führte dazu, dass das Publikum nur zur leichten Unterhaltung ins Theater ging.

Besonders stark wurde dieses ‚Schund-Theater’ von NATHAN BIRNBAUM kritisiert:

“Warum dann aber doch noch dieses Elend auf der jüdischen Bühne? Warum bekommen wir auf ihr und um sie herum noch so viel Peinliches zu sehen und zu hören? Warum diese klägliche Außenseite? Warum dieses jämmerliche Repertoire? Wohl wahr, es sind noch nicht zu viel gute Stücke von literarischem Werte da. Warum können sich aber nicht einmal diese wenigen die jüdischen Bühne erobern? Warum herrscht dieser Schund? Was ist Schuld daran, daß wir noch immer nicht am letzten und entscheidendsten Wendepunkt stehen – dort, wo das zum Drama veredelte Stück veredelnd auf die Bühne rückzuwirken beginnt, wo das Schauhaus zur Kulturstätte wird?“[20]

Zwischen 1876 und 1879 entwickelte Goldfaden sein Theater immer mehr zu einem Musiktheater. Genauer müsste man sagen, dass er die Musik mit Theater zum Musiktheater entwickelte. „Di kishifmakherin“ zählt als das Stück, in dem seine Art von Musiktheater zum ersten Mal richtig vollendet ist, mit einer richtigen Bühne samt Bühnenbild und Kostüm, festgelegten Dialogen, ausgebildeten Schauspielern und verschiedenen musikalischen Einlagen wie Solo-Arien/Lieder, Chöre, Tänze und Zwischenspiele. Goldfadens Ruhm breitete sich immer weiter in Osteuropa aus. Viele Autoren und Unterhalter imitierten seine Art Stücke zu schreiben und kopierten ihn zum Teil sogar wörtlich. So fühlte sich Goldfaden dazu berechtigt, seine Stücke „Opern“ und „Operetten“ zu nennen. Er hielt Ansprachen vor den Aufführungen, in denen er dem Publikum die Wichtigkeit der Lieder in seinen Stücken erklärte, und dass sein Theater ohne Musik kein jüdisches Theater wäre. Das heißt, dass alle seine Schauspieler auch Sänger sein mussten.[21]

Instrumentalmusik spielte im jiddischen Theater eine untergeordnete Rolle. Dies lässt sich damit erklären, dass Theater eine sprachliche Funktion hat, die im Gesang bzw. bei Liedern weiter bestehen kann, während reine Instrumentalmusik nur eine Interpretation und Verdeutlichung des Textes sein kann. Hingegen kann sie sehr viel dazu beitragen eine Stimmung zu erzeugen, und so wurde die Instrumentalmusik im jiddischen Theater genutzt. Sie diente z. B. als Musik eines Hochzeitstanzes und übernahm die Rolle, die Musik auch in der jüdischen Kultur hat. Doch der Anteil an Instrumentalmusik in Theaterstücken war eher gering.

Zum Verständnis der Form und des Begriffs des jiddischen Theaters und dessen musikgeschichtlicher Bedeutung sei noch ein Blick auf seine Entwicklung geworfen. Die anfängliche Form des bunten Gemischs aus Drama und Komödie, Zitaten fremder Opern und Einlagen jüdischer Volksmusik ist heute nicht mehr vorhanden. Als Gelegenheit, Seifenopern und Tanzshows sowie ‚Schlager’ von Mozart oder Verdi auch außerhalb der Originalaufführung zu Gehör zu bringen, war das jiddische Theater, ähnlich wie zahlreiche andere Genres, wie die Operette oder das Cabaret, in seiner Form für die Gesellschaft des „fin du siècle“ eine willkommene Unterhaltung. Bis zum Erscheinen des Grammophons, des Rundfunks und Fernsehens war dieses Medium neben der Hausmusik die einzige Möglichkeit, leichte und unterhaltsame Musik zu genießen. Die Einführung dieser innovativen Mischung von Show und Gesang ist genauso wenig den jiddischen Theaterautoren zuzuschreiben wie das Gemisch von Shakespeare und dem Volkslied. Besonders die wandernden Theatergesellschaften hatten damals weder das Personal, noch das nötige Geld für Bühnenbild und Kostüme, um ein Shakespeare-Drama vollständig aufzuführen. Stattdessen drehte sich die ganze Kompanie um einen talentierten Schauspieler, der mehrere Monologe aus der Theaterliteratur hintereinander aufsagte und dazwischen mit Gesang und Tanz das Publikum erheiterte. Dies war nicht nur bei jüdischen Theaterleuten üblich.

Dass das jiddische Volk sein eigenes Theater (und damit sein eigenes Genre) geschaffen hat, kann man sowohl in Anbetracht der Originalität eines stolzen Volkes, als auch im Kontext der Unterdrückung und der gesellschaftlichen Abspaltung der Juden betrachten. Da aber das Erscheinen des Musicals in Amerika zur gleichen Zeit stattfand wie das vermehrte Auftauchen von jiddischen Theatern, bedingt durch die Einwanderung der Juden, ist die Vermutung berechtigt, dass die Form des Musicals durch den Umzug des Jiddischen Theaters von Europa nach Amerika beeinflusst worden war.

Sicherlich ist das Musical eine stabilere Form, die bis heute den kulturellen Strömungen gefolgt ist und nach wie vor populär bleibt, wogegen das jiddische Theater und die Operette heute zu einem weniger populären Genre gehören. Dazu kommt noch, dass das jiddische Theater nicht den Anspruch hatte, eine originelle Kunstrichtung zu sein. Vielmehr bediente es sich ausgereifter Formen wie der des Melodrams in welchem sich Szenen mit Szenen und Possen mit Gewalt und Pathos abwechselten. Das Melodram war ein vielseitiges Genre, das sowohl Tragödie als auch Komödie sein und Gewalt, Sensation, Pathos und Liebe zeigen konnte.

Dadurch gelang es überhaupt erst, neue Theaterstücke in einer so hohen Geschwindigkeit zu kreieren, wie sie das Publikum forderte.

Dennoch schaffte das jiddische Theater ein Medium, welches zu seiner Zeit eine gesellschaftliche Schicht nicht nur Besucher jüdischen Glaubens kulturell befriedigte. Anfangs aus der Sehnsucht nach weltlicher Kultur in der Zeit der Unterdrückung heraus, später durch die immer weiter wachsende internationale Popularität versuchte das Jiddische Theater stets Formen erfolgreicher Genres für sich zu adaptieren.

3 Anfänge des jiddischen Theaters in Osteuropa

Das Theater in der jüdischen Kultur war etwas, das sich nur sehr schwer etablieren konnte. Zu viele Verbote widersprachen dem Theaterspiel: es gab ein Bilderverbot im jüdischen Glauben, Männer durften keine Frauenkleider tragen und Frauen durften kein Theater spielen. Aus diesem Grund entwickelte sich das jüdische Theater erst zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Form, wie wir es in Europa heute kennen, und in dem Frauen von der Bühne nicht mehr weg zu denken sind. Bevor die Verbote, die der jüdische Glaube mit sich brachte, liberalisiert wurden, gab es Strömungen in der jüdischen Kultur, die das Theater stark beeinflussten, prägten und die als Vorformen zu bezeichnen sind. Es gab zum einen die Purimspiele. Zu Purim waren die entscheidenden strengen Verbote aufgehoben, um dieses ausgelassene Fest zu feiern.

“Purim was the time of the year when religious restrictions were unofficially relaxed; everything es past – it is allowed: to drink, to perform practical jokes, to masquerade, to wear women’s clothes if one is a man, were all countenanced. Rules of respect and deference were relaxed. This was already an indication of what was possible in breaking with the strict Hebraic code by which women were not permitted to act, and by which the Bible forbade a man to wear women’s clothing.”[22]

Man kann Purim als ausgelassenes Fastnachtsfest sehen. Es liegt genau in der Zeit, zu der der Karneval gefeiert wird, im Februar oder März. Die ersten Purim spiele fanden schon im 16. Jahrhundert statt. Die älteste Überlieferung eines Purim spiels in jiddischer Sprache stammt aus Frankfurt am Main aus dem Jahre 1708. Es erreichte seinen Höhepunkt im 18. Jahrhundert und fand bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts noch in Deutschland statt. In Osteuropa wurden Purim spiele sogar noch im 20. Jahrhundert aufgeführt.[23]

Die Purim spiele ähnelten in ihrer Art sehr der Commedia dell’Arte. Es gab keine oder nur wenig festgelegte Texte. Was festgelegt wurde, waren die Charaktere und die Geschichte, die erzählt werden sollte. Weiteres wurde improvisiert. EDELMAN beschreibt die Rollen, die dabei auftreten konnten, so:

„the phony wise man or „quack“ doctor (Dottore), the old man attempting to maintain his authority over a younger man or wife (Pantalone), the cowardly soldier masking his fear with false bravery (Capitano), and the servant who outwits his master (Harlequin) became fixtures in European comedy from the Renaissance through the nineteenth century.“[24]

Die Einbindung der Musik in das Theater hing mit der Bewegung der Chassidim zusammen. Die chassidische Bewegung im 18. und 19. Jahrhundert machte es sich zur Aufgabe, auch jene Juden, die hebräisch nicht umgangssprachlich sprechen und verstehen konnten, mit in das kulturelle Leben einzubeziehen und zu bilden, indem sie Literatur, Theater und Prosa ins Jiddische übersetzte. Aber nicht nur die Literatur breitete sich umfassend unter dem Volk und vor allem im alltäglichen Leben der Juden aus, sondern auch die Musik. Wie die Literatur wurde sie dadurch mehr in den Alltag einbezogen, dass nicht nur in der Synagoge sakrale Musik gesungen wurde, sondern es bei den Chassidim auch erlaubt war, im Haus des „ Zaddik “, des Oberhauptes der jüdischen Gemeinde, Musik zu machen. Dort vermischten sich die sakrale und die weltliche Musik. Unter dieser Voraussetzung und mit der zunehmenden Bedeutung der jiddischen Sprache wurde die jiddische Musik geboren.

Dadurch wurde die Möglichkeit für die Entstehung des jiddischen Theaters geschaffen. Im jiddischen Theater wurden hauptsächlich Szenen gezeigt, die jeder gläubig lebende Jude aus seinem Alltag kannte, mit denen er sich identifizieren konnte und denen viel Musik (gespielt und gesungen) beigefügt war.

Schon im 16. und 17. Jahrhundert existierten Bühnen in den Ghettos von Venedig und Frankfurt, an denen jüdische Theaterstücke aufgeführt wurden.[25] Jedoch erst mit Abraham Goldfaden (1840-1909), der auch als „Vater des jiddischen Theaters“ bezeichnet wird, wurde die Blütezeit des jiddischen Theaters eingeläutet. Er gründete in Iaşi[26] /Rumänien das erste jiddische Theater, an dem er Amateurschauspieler beschäftigte, die aus der Badchn-Tradition heraus kamen: Die Badchonim waren hochgebildete Spaßmacher, Alleinunterhalter und Prediger auf jüdischen Hochzeiten. Oft improvisierten sie und zitierten Texte der Bibel, die sie auswendig kannten. R. OTTENS und J. RUBIN beschreiben die späteren Badchonim so:

„Die begabtesten unter diesen Knaben kannten die Bibel von der ersten bis zur letzten Seite auswendig und wussten, nachdem irgendeine Seite des Buches aufgeschlagen, ein beliebiges Wort gewählt und von hier aus eine Nadel so tief wie möglich durch die Buchseiten gesteckt worden war, jedes einzelne der Wörter zu nennen, die von der Nadel auf den verschiedenen Seiten durchbohrt waren.“[27]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Broder-Sänger[28]

Oft kamen Interpreten des jiddischen Theaters aber auch aus der Broder-Tradition. Broder-Singer wurden jene Ein-Mann-Unterhalter genannt, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Gaststätten der osteuropäischen Städte wie der galizischen Stadt Brody (nach der die Sänger benannt sind), Iaşi und Odessa auftraten. Bei ihren Auftritten trugen sie „selbstkomponierte Gesänge und Monologe mit weltlichen Texten vor, die zudem von den Purim -Spielen und der Vortragskunst der Badchonim beeinflusst waren“.[29] Auch Abraham Goldfaden kam aus dieser Tradition. Seine Stücke entwickelten sich aus dem Repertoire an Liedern, die er für Broder-Sänger schrieb. Durch das Verbinden der Lieder mit Texten und dem Unterlegen einer Handlung entstanden die Operetten und Dramen des jiddischen Theaters. Später, ab der ‚Gordin-Ära’ (s. u.) wurden nicht nur Stücke jiddischer Autoren und Dichter auf die Bühne gebracht, sondern es wurden auch Theaterstücke der Weltliteratur ins Jiddische übersetzt.

Die Musik wie auch die Schauspieler des jiddischen Theaters entstammten in der ersten Zeit, primär dem Bereich der Synagoge. Die Handlungen bildeten oft Geschichten aus der Bibel, meist handelte es sich in der frühen Zeit des jiddischen Theaters um das Purim- Spiel, das zu Purim gespielt wurde und das die Ester-Erzählung aus der Bibel zur Grundlage hatte. Doch ebenso wurden Volkslieder, europäische Couplets und Arien aus Opern- und Operetten jeglicher Art in die Produktionen mit einbezogen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts entfernte sich das jiddische Theater von diesem sakralen Hintergrund.

Das jiddische Theater war sehr erfolgreich. Das Publikum fühlte sich repräsentiert und verstanden und dadurch bestärkt. Schnell breitete es sich in Osteuropa aus: Lemberg, Moskau, Warschau, Odessa, Minsk, Moskau, Kiew und Bukarest brachten jiddische Theater hervor.

3.1 Die Goldfaden-Ära

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Abraham Goldfaden Statue vor dem Nationaltheater in Iaşi/Rumänien[30]

Abraham Goldfaden wird als ‚Der Vater des jiddischen Theaters’[31] bezeichnet. Er schrieb zahlreiche Theaterstücke, die mit Musik unterlegt waren, bzw. in denen Musik eine sehr große Rolle spielte. Ende des 19. Jahrhunderts waren seine Stücke in sämtlichen jiddischen Theatern zu sehen und zu hören.

Abraham Goldfaden wurde als Avrom Goldenfodim 1840 in Alt-Konstantinopel (Starokonstantinov) in der Ukraine geboren. Sein Vater war ein anerkannter Uhrmacher im Schtetl und seine Leserbriefe wurden regelmäßig in der Hebräischen Zeitung veröffentlicht. Auch Avroms Bruder schrieb und seine Texte wurde veröffentlicht. Avroms Talent erkannte sein Vater früh und nannte ihn schon mit sieben ‚Avremele badchn ’. Als er mit siebzehn das Schtetl verließ, waren seine Lieder und Verse in den umliegenden Dörfern schon bekannt. Er ging von Starokonstantinov nach Jitomir, um dort auf der Staatliche Rabbinische Akademie zu lernen.

In Jitomir befreundete er sich auch mit einem Klassenkameraden, mit dem er später noch viel unternehmen sollte, Yoel Linetski. Zusammen gründeten sie in Iaşi 1876 die Zeitung ‚Der alter yisrolik’, die schnell einen guten Ruf bekam. Doch die russische Regierung verbot die Zeitung im Zuge der Judenfeindlichkeit schon nach fünf Monaten.[32] Genau in dieses Jahr legt Abraham Goldfaden die Entstehung des jiddischen Theaters:

„Einmal kam mir beim Anhören dieser Sänger die Idee, diese von mir geschriebenen Lieder mit verbindenden gesprochenen Szenen in ein Theaterstück umzuwandeln. Ich machte mich sofort an die Arbeit, und zu Sukkot 1876 legte ich den Grundstein zum jiddischen Theater.“[33]

Goldfaden veröffentlichte schon 1866, noch in Jitomir seine ersten Gedichtbände, zunächst noch in Hebräisch, ein Jahr später einen weiteren in Jiddisch. Er empfahl im Vorwort dieses Gedichtbandes, die Verse mit bekannten Melodien zu versehen und zu singen.

1869 brachte er einen weiteres Buch heraus , das eine Sammlung von jiddischen Gedichten, eine kurze dramatische Szene und eine dreiaktige Komödie enthielt obwohl es zu der Zeit noch keine professionelle Theatertruppe gab. Dies Buch hatte großen Erfolg und schon nach zwei Jahren wurde eine zweite Auflage gedruckt. N. MEIZEL erklärt den Erfolg folgendermaßen: „...di Tipn fun der doziker Komedie zenen genumen funs Odeser yidish leben, - un dermit derklert zikh der groyser Erfolg fun dem Verk.“[34]

Goldfaden wird heute als Gründer des jiddischen Theaters angesehen, weil er, als er 1876 nach Iaşi kam, in einem Weinlokal einen Brodersänger (Israel Grodner) hörte, der eins seiner Lieder sang. Dies gefiel ihm so gut, dass er anfing ein Konzept für einen ganzen Abend zu gestalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Gedenkstein in Iaşi mit der Aufschrift: „Hier befand sich das erste jiddische Theater der Welt (Der grüne Baum), gegründet 1876 von Avram Goldfaden“, Landesamt Iaşi, Oktober 2002[35]

Nachdem er das jiddische Theater in Iaşi ins Leben gerufen hatte, baute er eine feste Theatertruppe auf, die er erst in Bukarest, dann in Odessa stationierte.

Themen der Stücke, die er herausbrachte waren häufig die Heiratsvermittler und ihre Heirats-Arrangements, die schwerlich mit der Realität und den Wünschen junger Menschen zusammenzubringen waren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: A.Goldfaden (Mitte vorne) und seine Schauspieltruppe[36]

Gleich von Beginn an, wurden Goldfadens Theaterstücke rezensiert. Die Kritiken wurden in drei Sprachen verfasst: rumänisch, jiddisch und jiddisch-rumänisch. Das Bemerkenswerte daran ist vielleicht, dass die positivste der Kritiken die rumänische war, von dem wohl größten rumänischen Dichter der Zeit geschrieben: Mihail Eminescu:

“Trupa venită din Rusia, şi compusă din vreo 16 inşi (toţi bărbaţi), are un repertoriu caracteristic, care atinge numai viaţa casnică şi religiosă a evreilor. [...] Despre piese avem puţin de zis – ele nu prezintă vreun mare interes dramatic, dar jocul actorilor a fost excelent.”[37]

Die Schauspieler wurden hoch gelobt, das Stück selber, weniger. Die Schauspieler, die am Anfang beteiligt waren, kamen jedoch schon aus der Schauspielkunst und mussten durch Goldfadens Konzept wenig an ihrer Art aufzutreten umstellen. Erst später entwickelten sich Goldfadens Schauspiele zu besser durchgestalteten Theaterstücken.

Doch lange währte die Zeit des jiddischen Theaters in Osteuropa nicht. 1881/82 kam es unter Zar Alexander III. zu einer wachsenden Unzufriedenheit mit den sozialen und politischen Verhältnissen und einer judenfeindlichen Stimmung. 1883 wurde das jiddische Theater verboten und Goldfaden orientierte sich westwärts. Über Warschau wanderte er schließlich 1887 nach Amerika aus. Dort hatte sich das jiddische Theater auch schon durch ausgewanderte Juden, die z.T. bei Goldfaden gelernt hatten und an der Ausbreitung des jiddischen Theaters über Europa beteiligt gewesen waren, etabliert. Dies waren u.a. Joseph Lateiner, der bald nach der Gründung des jiddischen Theaters in Rumänien, inspiriert durch Goldfadens Art Stücke zu schreiben, eine eigene Theatertruppe gründete und ähnliche Stücke schrieb, und Moishe Isaac Halevy Hurvitz, der ebenfalls schon in Rumänien Goldfaden imitiert hatte. Diese beiden betrachteten Goldfaden mit Beginn ihrer Arbeit noch in Rumänien als Rivalen, der seine Urheberrechte einfordern könnte und den sie übertrumpfen wollten. Als Goldfaden 1887 nach Amerika kam, hatten sie dort schon ihre Theater aufgebaut und Publikum angezogen. Eine Zusammenarbeit mit Goldfaden kam für sie nicht in Frage. Auch bei seinen Anhängern in New York machte er sich unbeliebt, als er bei seiner Ankunft erklärte, er könne nicht nur Mitglied eines Theaters sein, sondern er müsse der Leiter sein. Er ließ das Roumania Opera House umbenennen in Goldfaden Opera House und als eine Produktion von „Bar Kochba“ unter seiner Aufsicht begann, spalteten sich die Schauspieler in zwei Lager.

“Rebellion broke out. An emergency meeting was called, and the actors declared in hot speeches that they would rather die of hunger than be Goldfaden’s slaves as they had been in Russia and Roumania. When the managers threatened to organize a new company, it was open war. Max Karp, Sophia Goldstein, and the Finkels sided with Goldfaden. The others walked out in what may well have been the first actor’s strike in America.”[38]

Nach diesen und weiteren Misserfolgen kehrte er 1889 nach Europa zurück und ließ sich erst in London, später auch in Paris und Lemberg nieder.

Erst 1902 kehrte er nach Amerika zurück, unterstützt durch Boris Thomashevsky[39] und Jacob P. Adler[40], die ihn verehrten. Hier wurde er jetzt als ein Relikt einer früheren Zeit des jiddischen Theaters angesehen. Seine produktive Zeit war vorbei. Er war enttäuscht und geschwächt von der Undankbarkeit der Zuschauer und Autoren des jiddischen Theaters. 1907 verfasste Goldfaden sein letztes Theaterstück, Ben-Ami, das am 25. Dezember 1907 in Boris Thomashevskys New Yorker Theater uraufgeführt wurde. Es wurde ein großer Erfolg, doch konnte Goldfaden ihn kaum noch genießen. Im Januar 1908 starb Goldfaden in New York. 75 000[41] Trauergäste folgten dem Zug über die ‚Brooklyn-Bridge’ zu seinem Grab in Brooklyn.

Goldfaden hat nicht nur die Theaterkultur in das jüdische Volk gebracht, unter ihm spielten auch zum ersten Mal Frauen auf der Bühne. Nur kurze Zeit besetzte er Frauenrollen mit männlichen Schauspielern. Schon ein Jahr nach der Gründung seines Theaters kam ein 16-jähriges Mädchen, Sureh Segal, zu ihm und fragte ihn, ob sie mitspielen dürfe. Da ihre Mutter Sorge um ihr Ansehen und ihre Zukunft hatte, arrangierte Goldfaden eine Hochzeit mit Sacher Goldstein, ein Schauspieler und Mitglied der Truppe. Sureh Segal ließ ihren Namen in Sarah Goldstein ändern und wurde später berühmt als die Soubrette Sophie Karp (1861-1906).

3.1.1 Goldfadens Schaffensperioden

Goldfadens Schaffensperioden können nach HESKES in folgende drei Kategorien eingeteilt werden[42]:

1.) die frühen Stücke

Hierzu gehören sämtliche Stücke, die er auch schon vor 1876 geschrieben hat. Dramen von 1866 und 69 griff er in der ersten Zeit der praktischen Arbeit mit dem Theater wieder auf, experimentierte, improvisierte und entwickelte sie weiter. Die ersten flickte er noch aus kurzen Szenen und Liedern zusammen, die er früher gesammelt hatte, später entwarf er strukturiertere Schauspiele. Zu den ersten Stücken gehören unter anderem: „Di tsvey sh’khinos“ (die zwei Nachbarinnen), „Di mumeh Susyeh“ (Die Tante Susie), „Di shtumeh kalleh“ (Die stumme Braut) und „Der leybedigeh toyter“ (Der lebendige Tote). Zu den etwas späteren Stücken, die mehr aus einem Guss sind gehören unter anderem: „Shmendrick“, „Di beydeh Kuni-Lemel“ (Die zwei Kuni-Lemel) und „Breyndeleh khozak“ (Breindele Kosak).

2.) Die produktive Zeit seines großen Erfolgs von 1879-1883

In dieser Schaffensperiode schrieb Goldfaden seine wichtigsten Stücke. Gleichzeitig hatte er in dieser Zeit auch den größten Erfolg mit seinen Produktionen. Es war die Zeit in Odessa und in anderen Städten Osteuropas, in die er mit seiner Truppe reiste und Stücke wie „Di kishifmakherin, oder Di tsoyberin“ (Die Schneiderin, oder die Hexe), „Shulamith, oder bas Yerusholayim“ (Shulamith, oder Tochter Jerusalems“), „Bar Kokhba, oder suhn fun dem shtern“ (Bar Kokhba, oder Sohn des Sterns), „Dos Tseynteh Gebot“ (Das zehnte Gebot) zeigte. Dies waren sehr didaktische Stücke, die gekennzeichnet waren durch Goldfadens Willen, dem jüdischen Volk mit Hilfe von historischen (z. B. Bar Kokhba – die Revolte in Judäa gegen das Römische Reich), biblischen (Keynig Akhashverush, oder Keynigen Esther – ein ausformuliertes, voll entwickeltes Purim- Spiel) oder klassisch-kulturellen Themen (Dos Tseynteh Gebot – eine jüdische Version von Goethes Faust) eine umfassendere Bildung zukommen zu lassen.

Einfluss auf seine Entscheidung ernstere Stücke zu schreiben hatte ein Ereignis auf einer Tour: Als Goldfadens Truppe 1882 nach Sankt Petersburg reiste und einige Stücke dort aufführte, wurden sie anders aufgenommen. Goldfadens Komödien wurden kritisiert und ihm wurde nachgesagt, dass er Juden lächerlich darstellen würde und die Presse machte sich lustig über seine sogenannten „Jargon-Stücke“. Gut aufgenommen wurde jedoch seine Art das Theater zu entwickeln und neu zu formen. Dies führte dazu, dass Goldfaden nach seiner Rückkehr nach Odessa im Februar 1882 vermehrt ernste Stücke/musikalische Dramen schrieb.

3.) Das Werk, das Goldfaden in der Zeit des persönlichen und künstlerischen Kampfes hervorbrachte

Diese Zeit begann mit dem Verbot von jüdischen Theatern unter Zar Alexander III. im Jahre 1883. Es setzte eine Zeit ein, in der sich Goldfaden erst in Odessa mit der Veröffentlichung einer Sammlung von Gedichten und Liedern beschäftigte, die er „Dos fideleh“ nannte. Doch vom Veröffentlichen kann er nicht so gut leben und ihm fehlt das Theaterleben. So lässt er sich 1885 in Warschau nieder und zeigt in einem zeitweise festen Theater mit Schauspiel- und Instrumentalensemble eigene Stücke früherer Zeiten. Das Zarenverbot hatte ihn entmutigt und er schrieb erst einmal keine weiteren Stücke.

Weiter liegen in dieser Phase seine erfolglose und noch mehr entmutigende Reise 1887 nach New York, zwei Jahre später erst London, dann Paris und 1890 schließlich die Rückkehr nach Lemberg, wo er noch einige Stücke schrieb, wie „Moshiakhs tsayten“ (Messianische Zeiten), „Rothschild’s geshikhte“ (Rothschilds Geschichte), „Uriel Acosta“ (ein literarisches Stück), „Der eviger Yid“ (Der ewige Jude) und „Ben Ami, oder zuhn fun mayn folk“ (Ben Ami, oder Sohn meines Volkes). Wieder sehr pädagogische, ernste Stücke.

Goldfaden hat die jüdische Kultur der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht, indem er erst das jüdische Theater gründete und auf der Bühne Dramen zeigte und Musik spielte, die eng im jüdischen Kontext standen. So wurde vor allem auch das jiddische Volks- und Popularlied auf internationaler Ebene gefördert.

3.1.2 Inspiration – Die Musik in den Goldfaden-Stücken

HESKES schreibt zu Goldfaden als Urheber jiddischer Lieder:

„Goldfaden’s musical elements were dereived from a broad range of nineteenth-century eastern European sources: synagogue cantillation, prayer chant, and hymnology; Yiddish folk songs; Hasidic tunes; Russian, Ukrainian, and other Slavic melodies; and arias from French and Italian operas. […] It was just that sort of melodic variety that Goldfaden was able to shape and adapt to enhance his poetic texts. Perhaps this unique mixture provided the qualities of accessability and universality that enabled a number of his songs to survive well beyond their original settings and to become ageless “classics” treated as folk songs.”[43]

In seine Theaterstücke band Goldfaden seine eigenen Lieder ein und brachte sie auf diese Weise zu einem sehr hohen Bekanntheitsgrad bis in die heutige Zeit. 1876 schrieb er „Shulamith“, eins seiner wichtigsten und deutlich didaktischen jiddischen Theaterstücke.[44] Für die Aufführungen engagierte er Sänger, die er im Weinkeller als Broder-Sänger gehört hatte.

Das wohl bekannteste Lied Goldfadens stammt aus diesem Theaterstück: „Roschinkes mit Mandlen“ (Rosinen mit Mandeln), ein Wiegenlied für einen kleinen Jungen, unter dessen Wiege eine schneeweiße Ziege liegt, die mit Rosinen und Mandeln handelt und damit einen Ausblick auf die mögliche Zukunft des Jungen gibt, der später ein reicher Händler werden soll – die Traumvision eines schönen Lebens ohne Nöte. Der Text zu diesem Lied stammt aus dem 17. Jahrhundert. Es war ein sehr bekanntes Lied, dessen Melodie jedoch nicht mehr der Zeit entsprach (siehe Anhang – Original und die Version Goldfadens). Indem Goldfaden eine neue Melodie unter diesen wohl bekannten Text setzte, stellte er sicher, dass sich das Publikum dieses Lied merken würde. So erlangte dies Lied eine Popularität, die bis in die heutige Zeit reicht. Dies Lied soll hier stellvertretend für sehr viele anderer Lieder, die Goldfaden in dieser Art bearbeitet hat genauer analysiert werden.

[...]


[1] Kursiv gedruckte Worte werden im Glossar erklärt

[2] Das YIVO Institute for Jewish Research wurde 1925 als Yiddish Scientific Institute in Vilna/Litauen gegründet. Seit 1940 hat es seinen Sitz in New York und widmet seine Forschung der Geschichte und Kultur der aschkenasischen Juden und ihren Einfluss in Amerika.

[3] LANDMANN, SALCIA: Jiddisch. Das Abenteuer einer Sprache, München 1964.

[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_den_Vereinigten_Staaten (Zugriff am 16. August 2006).

[5] ROTHMÜLLER, ARON MARKO: The Music Of The Jews. An Historical Appreciation, New Jersey 1967, S.167.

[6] RUBIN, RUTH: Voices of a people, Philadelphia 1979.

[7] vgl. RUBIN, RUTH: Voices of a people, S.19.

[8] RUBIN, RUTH: Voices of a People.

[9] Vgl. STROH, WOLFGANG MARTIN: Spiel Klezmer, spiel! Materialien für den Musikunterricht, 2002. Online ohne Graphiken und Bilder: http://www.uni-oldenburg.de/musik-for/klezmer/schule/Kap0/kap0.htm, CD-ROM zu beziehen von: Wolfgang Martin Stroh, Saarstr. 22, 26121 Oldenburg

[10] Aus: RUBIN, RUTH: Voices of a people, 1979, S. 11 ff.

[11] Bohlman, Philip v.: Jüdische Volksmusik – eine mitteleuropäische Geistesgeschichte, Wien, Köln, Weimar 2005, S. 286.

[12] Vgl.: Idelsohn, Abraham Z.: Jewish Music – Its Historical Development, New York 1992, S. 287.

[13] bohlman, philip v.; holzapfel, oTTO.: The Folk Songs of Ashkenaz, Wisconsin 2001, S. 2.

[14] Vgl.: SLOBIN, MARK (Hrsg.): Old Jewish Folk Music. The Collections and Writings of Moshe Beregovski, Philadelphia 1982, S. 294.

[15] VINAVER, CHEMJO: Etwas über jüdische Bühnenmusik, in: Bohlman, Philip v.: Jüdische Volksmusik, S. 328.

[16] GRÖZINGER, ELVIRA: Die jiddische Kultur im Schatten der Diktaturen. Israil Bercovici – Leben und Werk, Berlin/Wien 2002, S.232.

[17] PERLMUTTER, SHOLEM: Yiddishe Dramaturgn un Teater-Compositors, New York 1952, S. 22. “Das jiddische Theater hat in der kurzen Zeit seiner Existenz ganze vier Epochen durchgemacht hat: die Goldfaden- und die Gordin-Epoche, die Epoche des jiddischen künstlerischen Theaters und die ganze letzte Epoche. Die ersten zwei Epochen haben ihre Arbeit schon beendet. Die dritte Epoche, welche vor über einem Vierteljahrhundert begonnen hat, hat das jiddische Theater und die jiddische Theater-Musik auf ein verhältnismäßig hohes Niveau gehoben. In der letzten Epoche, wurde das schon Gesagte nur noch einmal umgekehrt und größere Änderungen sind jetzt nicht mehr zu erwarten.“

[18] Vgl. SANDROW, NAHMA: Vagabond Stars: A world history of yiddish theater, New York 1977, S. 63.

[19] FINSCHER, LUDWIG (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume. Sachteil 6, Kassel, Basel, London, New York, Prag1997, S. 688.

[20] BIRNBAUM, DR. NATHAN: Ausgewählte Schriften zur jüdischen Frage. Band II., Czernowitz 1910, S. 263

[21] Vgl.: HESKES, IRENE: Passport to Jewish Music – Its History, Traditions, and Culture, New York 1994, S. 137.

[22] LIFSON, DAVID S., The Yiddish Theatre in America, New York 1965, S. 21.

[23] DALINGER, BRIGITTE: Verloschene Sterne. Geschichte des jüdischen Theaters in Wien, Wien 1998, S. 19/20.

[24] Vgl. EDELMAN, MARSHA BRYAN: Discovering Jewish Music, Philadelphia 2003, S.98 f.

[25] Vgl. Idelsohn, Abraham Z.: Jewish Music, S. 449.

[26] Ausgesprochen: Jasch.

[27] Ottens, Rita; Rubin, Joel: Klezmer-Musik, Kassel 1999, S. 82.

[28] aus: http://www.collect.at/show-marschelik-p-3526.html?language=de (Zugriff am 28.6.2006).

[29] Ottens, Rita; Rubin, Joel: Klezmer-Musik, S. 83.

[30] Fotos: Autorin.

[31] Weithin gilt Goldfaden als Gründer für das jiddische Theater. In der Literatur wird er meist als dieser dargestellt und auch auf seinem Grabstein in New York stehen diese Zeilen.

[32] Berkowitz, Joel: The Bard of Old Constantine, 2004 http://yiddishbookcenter.org/pdf/pt/44/PT44_goldfaden.pdf (Zugriff am 28.6.2006).

[33] wie zitiert in: Lilienfeld, François: lomir ale singn – Die Musik der Juden Osteuropas, Zürich 2002 , S.76.

[34] „... die Charaktere dieser Komödie stammen vom jiddischen Leben in Odessa, - und damit erklärt sich der große Erfolg des Werkes.“ MEIZEL, NAHMAN: Abraham Goldfaden. Der foter fun jidisn teater, Warschau 1935, S. 18.

[35] Fotos: Autorin.

[36] http://www.cinephil.co.il/Index.asp?ArticleID=330&CategoryID=75&Page=1 (Zugriff am 12.12.2005).

[37] „Das Ensemble, das aus Russland kommt und aus etwa 16 Leuten besteht (nur Männer), hat ein charakteristisches Repertoire, welches nur häusliche und religiöse Themen der Juden berührt. Über das Stück kann nur wenig gesagt werden – es hat keinen großen dramatischen Wert, aber die Schauspieler haben exzellent gespielt.“ (Eigene Übersetzung.) Diese Kritik erschien im „Curielul de Iaşi“ zu einer Aufführung am 19. August 1876. Teatrul Evreiesc de Stat din Bucureşti (Hrsg.): 80 de Ani de Teatru Evreiesc in Rom înia, Bucureşti 1956, S. 8.

[38] ADLER ROSENFELD, LULLA: The Yiddish Theatre and Jacob P. Adler, New York 1988, S.237.

[39] Schauspieler und Inhaber eines Theaters in New York.

[40] Jacob Pavlovitch Adler (12. Februar 1855 – 1926) war einer der berühmtesten Schauspieler der jiddischen Bühne in Amerika.

[41] Diese Zahl stammt aus BERCOVICI, ISRAIL: O sută de ani de Teatru evreiesc în România, wird jedoch in der Literatur unterschiedlich hoch angegeben. Sie differiert zwischen 30 000 und 100 000.

[42] HESKES, IRENE: Passport to Jewish Music, S. 138 ff.

[43] HESKES, IRENE: Passport to Jewish Music, S. 142.

[44] Vgl. EDELMAN, MARSHA BRYAN: Discovering Jewish Music, S. 103.

Final del extracto de 120 páginas

Detalles

Título
Die Musik des Jiddischen Theaters
Universidad
University of the Arts Berlin
Calificación
1,70
Autor
Año
2006
Páginas
120
No. de catálogo
V87149
ISBN (Ebook)
9783640128228
ISBN (Libro)
9783640130795
Tamaño de fichero
18660 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Musik, Jiddischen, Theaters
Citar trabajo
Friederike v. Moellendorff (Autor), 2006, Die Musik des Jiddischen Theaters, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87149

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