Franz Grillparzer: "Der arme Spielmann"


Seminar Paper, 2002

23 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


INHALTSVERZEICHNIS (Gliederung)

1. Einführung in die Erzählung „Der arme Spielmann“
1.1 Die Rahmenhandlung als Erzählanlass für die Lebensgeschichte des Spielmanns
1.2 Die Binnenhandlung: die Erzählung des Spielmannes als Geschichte in der Geschichte

2. Entstehungsgeschichte und Hintergründe der Erzählung
2.1 Biederrmeierzeit, Restauration und Vormärz
2.2 Autobiographisches im „Spielmann“

3. Charakteristik – Der Spielmann
2.3 Jakobs Verhältnis zu Barbara
3.2 Jakobs Verhältnis zum Erzähler

4. Zusammenhang von Kunst, Religion und Leben
4.1 Grillparzers Musikästhetik in der Erzählung
4.2 Mythischer Realismus

5. „Der arme Spielmann“ – eine Novelle?
5.1 Unerhörte Begebenheit
5.2 Realismus und Wahrheitsanspruch
5.3 Wendepunkt
5.4 Dingsymbol
5.5 Fazit

1. Einführung in die Erzählung „Der arme Spielmann“

Franz Grillparzers Erzählung „Der arme Spielmann“ (Erstveröffentlichung: 1848) ist in erster Linie die fiktive Geschichte des bewegten Lebens eines Geigers und damit der Problematiken der bürgerlichen Existenz dieser Zeit.

Der Brigittenkirchtag und das damit verbundene Wiener Bürgerfest ist – wie der Lebenslauf des armen Spielmannes – im Gegensatz zu den oft hochstehenderen Erzählanlässen früherer Novellen wie zum Beispiel von Arnims märchenhafter Erzählung „Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau“ (1817) auf den ersten Blick eher unspektakulär und alltäglich gehalten. Die Aufmerksamkeit des Erzählers geht bald über auf den armen Bettelmusikanten Jakob, einem recht unheldenhaften Protagonisten, der am Rande der Gesellschaft steht.

Entgegen der allgemeinen Kritik an der fehlenden Größe des Werkes war Adalbert Stifter einer der wenigen Zeitgenossen Grillparzers, die den „Spielmann“ als ein Meisterwerk verstand:

Hier ist menschliche Größe in dem schwächsten zerbrechlichsten Gefäße, und wenn

andere ihre Helden recht groß machen, oder überhaupt ihr sogenanntes Großes

schildern wollen, so können sie nicht genug Gebirgszüge von Kröpfen und Höckern

anbringen, und nicht schnell genug den Menschenverstand über Bord werfen, damit es

nicht alltäglich und klein sei.“1

Nicht nur inhaltlich, auch strukturell ist die Erzählung recht unscheinbar und einfach gehalten. Sie lässt sich unkompliziert in die eigentliche Binnenhandlung, die aus der Sicht des Spielmannes erzählt wird und in ein äußeres Rahmengerüst mit einem in die Handlung einführendem Ich-Erzähler einteilen. Am Ende der Geschichte laufen beide Handlungsebenen inhaltlich sowie formal zusammen.

1.1 Die Rahmenhandlung als Erzählanlass für die Lebensgeschichte des Spielmanns

Die Geschichte beginnt mit einer Rahmenhandlung, in der uns der Autor Grillparzer durch einen Erzähler, der auch Schriftsteller und Dichter ist, in Zeit und vor allem Ort der Handlung einführt. Der Leser wird durch den Erzähler ins lebendig beschriebene Wien des beginnenden 18. Jahrhunderts hineingezogen. „Als ein leidenschaftlicher Liebhaber der Menschen, vorzüglich des Volkes“2 lässt dieser sich von den strömenden Massen eines bunten Volksfestes, des Brigittenkirchtages, mitreißen. Dabei wird seine ganze Aufmerksamkeit bald auf einen „ alte[n] leicht siebzigjährigen Mann in einem fadenscheinigen, aber nicht unreinlichen Molltonüberrock3 gezogen, der ganz in seine musikalische Arbeit vertieft ist. Das Kuriose an diesem Bettelmusikanten mit seiner alten, vielzersprungenen Violine ist für den Erzähler nicht nur seine Hingabe zur Musik, sondern vor allem auch die scheinbar „ unzusammenhängenden Folge von Tönen ohne Zeitmaß und Melodie“4, die der Alte – ohne besondere Rücksichtnahme auf ein zahlendes Publikum – von einem Notenblatt abspielt. Als der Spielmann seinen leeren Hut aufhebt, einen lateinischen Satz von Horaz zitiert und trotz des noch jungen und deshalb profitablen Abends seinen Heimweg antritt, ist die (psychologische) Neugier des Erzählers endgültig geweckt. Die Diskrepanz zwischen der ärmlichen äußeren Erscheinung und dem anscheinend hohen Bildungsgrad des Musikanten lässt im Erzähler eine Begierde nach dem Zusammenhange aufkommen, die er selbst sogar als anthropologischen Heißhunger bezeichnet. Um diesem Rätsel auf den Grund zu fühlen, stellt er den Spielmann durch Fragen zur Rede und lädt sich kurzerhand selbst zu ihm nach Hause ein.

Einige Tage später kommt der Erzähler dann endlich seinem Vorhaben nach und besucht den armen Spielmann in seiner Dachwohnung am Stadtrand von Wien, die er mit zwei Handwerkern – das Zimmer nur durch einen dicken Kreidestrich getrennt – teilt.

Dort erfährt der Erzähler vom bisherigen Lebensschicksal Jakobs, so der Name des Spielmannes. Die Rahmenhandlung geht somit über in die Binnenhandlung. Der arme Spielmann übernimmt seinerseits die Perspektive des Ich-Erzählers und erzählt dem Schriftsteller und vor allem auch noch einmal sich selbst seine traurige Geschichte.

1.2 Die Binnenhandlung: die Erzählung des Spielmannes als Geschichte in der Geschichte

Der Spielmann nimmt sodann auch bildlich die bequeme Haltung eines Erzählenden an. Sich selbst reflektierend und seiner Erinnerung Ordnung verschaffend, berichtet Jakob im Folgenden von seinem Lebensweg, der gezeichnet ist von gesellschaftlichen Abstieg und Isolation. Der Autor-Erzähler wird hierbei wie der Leser zum passiven Zuhörer und greift im Laufe der inneren Geschichte nur sehr zurückhaltend und sporadisch kommentierend ein. Sein ganzes „Ohrenmerk“ ist auf das Lüften des Geheimnisses um das paradoxe Wesens des Spielmannes gerichtet.

Dieser stammt ganz zum Erstaunen des Autors aus großbürgerlichem Hause. Sein Vater bekleidet das einflussreiche Amt eines Hofrates und übt auch noch über seinen Tod hinaus einen wesentlichen Einfluss auf Jakob, den mittleren von drei Brüdern, aus. Entgegen seinen eigentlichen Interessen ein künstlerisch feines Handwerk zu erlernen, „genießt“ Jakob eine gymnasiale Schullaufbahn, die jedoch an seiner langsamen und zögerlichen Arbeitsweise und damit letztendlich an seinem inneren Wesen scheitert. Indem sein Vater ihn aus seiner Enttäuschung heraus verstößt und damit familiär ächtet, werden die Weichen für Jakobs Leben – seinem Schicksal als gesellschaftlichen Einzelgänger – schon früh gestellt. Isoliert von der Familie übernimmt er unbezahlt die Arbeit eines Abschreibers in der Kanzlei seines Vaters, wo er schließlich durch die – wie sich für ihn herausstellen wird - schicksalhafte Melodie eines Liedes die Bekanntschaft mit Barbara, der Tochter eines Lebensmittelhändlers, macht. Das Lied bildet sowohl in Rahmen- als auch Binnenhandlung ein Leitmotiv der Erzählung, hängt an ihm doch die freudigste sowie auch die traurigste Erfahrung des armen Spielmanns – also die Begebenheiten mit dem für ihn höchsten emotionalen Gehalt. „Der Ton drang in mein Inneres hinein und aus dem Innern wieder heraus“5, erzählt Jakob, der dadurch seine in der Jugend so verhasste Geige auf ganz neue Art und Weise wiederfindet und lieben lernt.

Durch das plötzliche Ableben seines Vaters ohne die Chance auf eine Versöhnung, was für ihn neben dem späteren Verlust von Barbara zur traurigsten Lebenserfahrung wird, erbt Jakob eine nicht unerhebliche Menge Geld. Der Warnung Barbaras folgend, geht Jakob nicht auf die Handelsvorschläge ihres Vaters ein und vertraut ein Teil des Geldes einem Sekretär seines Vaters als Kaution an, um einen Auskunfts-, Kopier-, und Übersetzungsladen zu errichten – unter anderem auch, um Musikstücke vervielfältigen zu können. Dem vermeintlichen finanziellen Aufstieg – „ich fühlte mich erleichtert, erhoben, zum ersten Male in meinem Leben selbstständig, ein Mann“6 – folgt jedoch sogleich der endgültige Abstieg. Als Barbara, in die er sich verliebt und mit der sich mehr oder weniger ein Verhältnis entwickelt, ihm vorschlägt, das Geld in einen Putzladen zu investieren, um die für sie notwendige finanzielle Absicherung zu gewährleisten, ist Jakob sofort bereit. Letztendlich vereitelt aber seine leichtgläubige, naive Natur alle Zukunftspläne mit Barbara. Da, wie Jakob erfährt, sein Compagnon, der Sekretär der Kanzlei, mit dem Geld durchgebrannt ist, bricht Barbara – durch ihren Vater beeinflusst – das gerade aufgeblühte Verhältnis zu Jakob ab und heiratet der finanziellen Bodenständigkeit wegen einen Fleischer. „(...) das ist der Mann! Hat Grütz’ im Kopfe und Geld im Sack. Betrügt niemanden, läßt sich aber auch nicht betrügen;“7, begründet Barbaras Vater seinen Rauswurf. Nachdem sich Barbara rührend von Jakob verabschiedet,

(...) es ist nun einmal so. Sie haben es selbst gewollt, sich und uns haben sie unglück-

lich gemacht; aber freilich sich selbst am meisten. (...) Es werden harte Zeiten kommen.

(...) Gott mit dir, Jakob! – In alle Ewigkeit, Amen“!8

und trotz sporadischem Kontakt zu seiner einzigen Liebe – er gibt ihrem ältesten Sohn sogar Geigenunterricht – ist das Scheitern Jakobs als bürgerliche Existenz besiegelt. In seinem Dilemma sieht er keinen anderen Ausweg, als durch Musik sein Fortkommen zu suchen: (...) da kam eine selige Empfindung über mich. (...) So habe ich mich, obzwar ärmlich, aber redlich fortgebracht bis diesen Tag. Hier endet die Erzählung des armen Spielmannes und somit auch die Binnenhandlung. Völlig abwesend und in seine Erinnerungen vertieft beginnt er mit bekannter Spielweise, Barbaras Lied zu spielen. Ohne Worte und Anteilnahme verlässt der Autor-Erzähler die Dachwohnung.

Durch eine mehrmonatige Reise des Erzählers erfährt die Erzählung an dieser Stelle eine Zäsur. Nachdem der Spielmann für den Erzähler schon fast in Vergessenheit geraten war, erinnert er sich durch ein Hochwasser in der niedrig gelegenen Wiener Vorstadt wieder an ihn zurück und beschließt, nach ihm zu sehen. Es stellt sich aber heraus, dass Jakob kurz nach der Rettung zweier Kinder und den Steuerbüchern des Nachbarn an einer Lungenentzündung starb. Der Erzähler sieht dort zum ersten Mal Barbara mit ihren Kindern, die den Leichenzug samt Beerdigung des Spielmannes begleitet und versucht vergeblich die Unglückliche zum Verkauf der Geige als Andenken zu überreden.

2. Entstehungsgeschichte und Hintergründe der Erzählung

Wie fast alle Werke Grillparzers hat „Der arme Spielmann“ eine lange Entstehungsgeschichte hinter sich. 1831 begonnen, wurde die Erzählung erst 17 Jahre später in „Iris. Deutscher Almanach für 1848“ – zusammen mit Stifters Novelle „Prokop“ veröffentlicht.

Zuerst als Versuch eines autobiographischen Romans gedacht, hat Grillparzer die Geschichte mehrfach überarbeitet und seine Arbeit dabei häufig und oftmals längere Zeit unterbrochen. Als „Der arme Spielmann“ dann durch den Wiener Verleger Gustav Heckenast erst 1848 erschien, hatte sich sein Autor auf Grund von Misserfolgen, insbesondere seines Lustspiels „Weh dem der lügt!“ (1838), schon enttäuscht von der Literaturlandschaft zurückgezogen.

Die Figur des Spielmannes Jakob, umrahmt vom empirisch nüchternen Blick eines apollinisch-beobachtenden Erzählers, spiegelt sowohl das Kunstverständnis und damit auch die Zerrissenheit Grillparzers im Speziellen als auch die Entwicklung der Kunst im 19. Jahrhundert von der Klassik zur Moderne im Allgemeinen wieder.

Grillparzer sah sich in seiner Kunstauffassung teilweise immer noch den ästhetischen Idealen der Weimarer Klassik verpflichtet. Im Gegensatz zum als unzusammenhängend und zufällig empfundenen Leben der Biedermeierzeit bedeutete die Kunst, allem voran die Dichtkunst und auch die Musik für Grillparzer Zugang zur vollkommenen Wahrheit.

„Der arme Spielmann“, neben „Das Kloster bei Sendomir (1828), einer Erzählung, die den Aufbau des „Spielmanns“ schon vorwegnimmt, Tagebüchern, Reisejournalen und der „Selbstbiographie“ (1853/54) eines der wenigen Prosawerke Grillparzers, ist mit letzterem der konkreteste Versuch des Autors, sich selbst und sein Verhältnis zur Welt zu erklären.

Gerade deshalb gilt die Novelle vor allem auch als kritische Studie zum Bild des Menschen seiner Zeit, in der das Leben selbst zur Kunst geworden ist. Benno von Wiese merkt dazu an:

„Im ‚Armen Spielmann’ zeigt sich bereits die Verfremdung der Welt, die nunmehr

groteske und bodenlose Züge aufweist. Darum kann sich auch die dichterische Sehn-

sucht Grillparzers nach dem Höchsten und Reinsten nur in einer entstellenden,

karikierenden Weise aussprechen. Darin ist diese Novelle ganz erstaunlich modern.“9

Diese von der klassisch-idealistischen Kunsttradition beeinflusste dichterische Sehnsucht äußert sich auch in Grillparzers Gattungsverständnis. Grillparzer war „der seltsamen Meinung, eine in Prosa verfasste Dichtung sei nur halb eine Dichtung zu nennen. Darum ist für Grillparzer die Novelle nicht vollgültige Dichtung.“10, wie Hugo von Hoffmannsthal schrieb. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Grillparzer in einem Schreiben an Herausgeber Heckenast 1846 die Gattungsbezeichnung „Novelle“ für die Erzählung ablehnte.

[...]


1 Adalbert Stifters Leben u. Werk in Briefen u. Dokumenten, Frankfurt a. M.: Insel Verlag, 1962. S.185. Nr.120

2 Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann, S.5.

3 vgl. Spielmann, a.a.O., S.7

4 Spielmann, a.a.O., S.7

5 Spielmann, a.a.O., S. 24

6 Spielmann, a.a.O., S.39

7 Spielmann, a.a.O., S.46

8 Spielmann, a.a.O., S.49

9 Wiese, Benno von: Franz Grillparzer, Der arme Spielmann. In: B. v. W.: Die deutsche Novelle. Von Goethe bis

Kafka. Band I. Düsseldorf: Bagel, 1967. S.152.

10 Naumann, Walter: Grillparzer. Das dichterische Werk, S.21.

Excerpt out of 23 pages

Details

Title
Franz Grillparzer: "Der arme Spielmann"
College
Friedrich-Alexander University Erlangen-Nuremberg  (Neuere deutsche Literatur)
Course
Proseminar: Die Novelle
Grade
1,3
Author
Year
2002
Pages
23
Catalog Number
V8757
ISBN (eBook)
9783638156479
ISBN (Book)
9783656347453
File size
573 KB
Language
German
Keywords
Franz, Grillparzer, Spielmann, Proseminar, Novelle
Quote paper
Roman Seda (Author), 2002, Franz Grillparzer: "Der arme Spielmann", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8757

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Title: Franz Grillparzer:  "Der arme Spielmann"



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