Objektive Hermeneutik

Methodologie und Methodik


Dossier / Travail, 2007

22 Pages, Note: 1,3


Extrait


Gliederung

I. Einleitung

II. Abriss zur Methodologie der Objektiven Hermeneutik
II.1 Protokolle als objektive Grundlage
II.1.2 Der Texte als regelerzeugtes Gebilde
II.2 Der autonome Fall
II.2.1 Rekonstruktion und Struktur des Falles
II.2.2 Latente Sinnstrukturen und objektive Bedeutungsstrukturen statt subjektiver Disposition
II.2.3 Klinische Datenerhebung und rekonstruktionslogische statt subsumtionslogischer Auswertung
II.2.4 Strukturgeneralisierung

III. Elemente der Methode der Objektiven Hermeneutik
III.1 Kontextfreiheit
III.2 Wörtlichkeit
III.3 Sequenzanalyse
III.4 Extensivität
III.5 Sparsamkeit

IV. Resümee

Literatur

I. Einleitung

Das Verfahren der Objektiven Hermeneutik ist in das Feld der qualitativ empirischen Sozialforschung eingebettet.

Hermeneutik kann als die Kunst des Interpretierens, des Deutens bezeichnet werden. Die einzelnen Sinnschichten sollen durch diese Methode zutage gefördert werden, dabei befinden sich die Deuter jedoch stets im Spannungsfeld von variablen Situationen und invarianten Elementen. Um diese unsicheren Faktoren zu minimieren und Erkenntnisse von subjektiven Einflüssen weitestgehend zu bereinigen, wird bei der Objektiven Hermeneutik vorwiegend mit Texten als soziale, manifeste (Wirklichkeits-)Protokolle gearbeitet. Denn ein gewichtiges Kriterium ist wiederholbare Abrufbarkeit der Daten.

Objektivität soll durch fest aufgestellte, explizite Regeln erzeugt werden. Die Objektive Hermeneutik ist bestrebt, erkenntnissichernde Instrumente zu entwickeln, die sich intersubjektiv anwenden und Schwankungen in den Ergebnissen nur sehr gering ausfallen lassen.

Diskursiv schreiten die Betrachter von Einzelfall zu Einzelfall, die in diesen Abschnitten auftauchenden Zeichen sollen vom Kontext losgelöst erschlossen werden.

Der Objektiven Hermeneutik als Paradigma geht es primär um das Wie des Verstehens, daher wird sie auch als Modell, als Methodologie bezeichnet. Nicht das Intendierte der im Text handelnden Personen steht im Vordergrund, vielmehr wird deren direkte, losgelöste Handlung untersucht.

Das Verfahren ist bemüht, die charakteristischen Strukturen der sozialen Welt zu erforschen und letztendlich zu verstehen. Die konstitutiven Merkmale eben dieser stehen im Mittelpunkt dieses Forschungsprogramms.

In dieser Arbeit werde ich Objektive Hermeneutik als Eigenamen verwenden, daher sind auch beide Anfangsletter groß geschrieben.

II. Abriss zur Methodologie der Objektiven Hermeneutik

In dem ersten Abschnitt werde ich versuchen, die Grundpfeiler der Methodologie dieser analytischen Hermeneutik vorzustellen.

Wenn es gilt, eine Methodologie für die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften zu begründen, muss zuerst mit dem Empiriebegriff, welcher seit Hume vorherrscht, gebrochen werden. Die Bedeutungsebenen lassen sich nicht durch Sinne erschließen, sondern sie „sind grundsätzlich abstrakt.“[1]. Bedeutung und Sinn gestalten sich als solche nicht direkt wahrnehmbar, jedoch sind es diese Faktoren, die dem Menschen zum Verständnis seiner Umwelt notwenig zu sein scheinen. Der Mensch bildet selbständig ein Kategoriensystem, welches die Ebene des reinen, natürlichen Aufnehmens überschreitet. Als geistige Wesen konstruieren wir unsere Welt, schreiben sie in je eigenem Ausdruck nieder und machen sie so für andere zugänglich.

Als transkribierte Form tritt das Subjektive in einen objektiven Raum, es wird zu einem plastischen Träger, zu einem Protokoll von latenten Sinnstrukturen.

Für einen erweiterten Einblick in die auf dieses Kapitel folgenden Methoden stelle ich im Folgenden die wichtigsten Positionen der Methodologie dar.

II.1 Protokolle als objektive Grundlage

Die Daten, welche sich in den Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften erheben lassen, sind Ausprägungen sinnstrukturierten menschlichen Handelns. Zumindest wenn man von der Tatsache ausgeht, dass es Gründe, einen Sinn für Handlungen eines Individuums, einer sozialen Gemeinschaft, gibt. Diese Varianten menschlicher Tätigkeiten lassen sich als Ausdrucksgestalten kategorisieren.

Für die intersubjektive Interpretation bedarf es daher Texte als materielle Instanz. Ausgehen von der Annahme, dass sich die sinnstrukturierte Welt durch Sprache, folglich als transkribierbar und somit überdauernd und intersubjektiv kontrollierbar konstituiert. Der zu erforschende Gegenstand erscheint erst in der Textform.

Texte sind Protokolle einer Wirklichkeit, die erst in solcher Form eine objektive, methodisch geleitete Rekonstruktion möglich machen. Die Objektive Hermeneutik fusst auf dem Grundsatz, dass es keinen objektiven und gleichzeitig unmittelbaren Zugang zur realen Lebenspraxis geben kann.[2]

Der Text, sowie der Protokollbegriff sind dabei weit gefasst. Es kann sich um „Aufzeichnungen,… intendierte Beschreibungen … oder um künstlerische oder sonstige bewusste Gestaltungen handeln“[3]. Auch das Material oder Medium, mit welchem der Ausdruck stattfindet, ist nicht strikt an die Textform gebunden. Rein das Kriterium der sinnlichen Wahrnehmbarkeit und der Fixierung für die Überdauerung sind entscheidend.

Das Protokoll ist abstrakt formiert, da es den räumlich-zeitlichen Komponenten enthoben ist.

Die Entstehungsrealität ist zwar weiterhin vorhanden, als Produkt kann es jedoch nach belieben und in immer neuer Form, in neuen Gegenwarten rezipiert werden. Eine Beobachtung, ein Erlebnis kann auf diese Weise unbegrenzt häufig vergegenwärtigt werden. Flüchtige Momente werden so auf Dauer bereitgestellt. Erinnerungen treten, „sofern sie aufgezeichnet worden (sind), (in) eine objektivierte konkrete Ausdrucksgestalt.“[4]

Protokollierte Erlebnisse von Einzelpersonen oder Gruppen sind „die einzige methodisch zureichende Grundlage für zwingende Schlussfolgerungen in der […] Erforschung der sinnstrukturierten Welt“[5]. Haben wir nur ein Protokoll, können wir auch nur dies für gesicherte Aussagen verwenden. Um Kritik an diesem Forschungsgegenstand üben zu können, bedarf es weiterer, plausiblerer Protokolle. Und selbst dann bleibt zu beachten, dass ein Protokoll auf eine Schnittstelle und ein Erlebnis in der Zeit verweist; der Rahmen für Vergleichsmöglichkeiten daher nur sehr gering ausfällt.

Interessant für die Forschung ist weiterhin die Wahl der Protokollform, da sie ja einen subjektiven Erfahrungshorizont spiegeln. Besonders, da der Gegenstand der Forschung ja die Protokolle selber sind. Die in der Forschung arbeitenden Personen sollten daher die Handlung des Protokollierens reflektieren und unter Umständen diese Tätigkeit erneut protokollieren. Solch ein Vorgehen sichert die Neutralität gegenüber dem erforschten Gegenstand.

II.1.2 Der Texte als regelerzeugtes Gebilde

Das menschliche Miteinander basiert auf Regeln, die ein jeder, mit dem interagiert wird, kennen muss, um die Kommunikation zu einem Erfolg zu führen. „Soziales Handeln konstituiert sich entlang dieser Regeln und die Interpretation der Protokolle dieses Handelns erfolgt unter Rückgriff auf unser Regelwissen.[6]

Der Regelbegriff ist ein Bindeglied zwischen Protokoll und Methode, da er einerseits verständliches soziales Handeln erst ermöglicht und andererseits macht er ein Interpretieren bzw. eine Rekonstruktion erst möglich. Man geht dabei von einem sozialen Raum aus, in welchem durch Regeln Möglichkeiten für Aktionen geschaffen wurden. Die Lebenspraxis kann sich dem regelerzeugtem Raum nicht entziehen, da „die Regelgeleitetheit … der Handlung erst Bedeutung (verleiht)“[7]. So wird nicht nach der moralischen Norm einer Handlung gefragt, vielmehr interessiert die Frage „was es heißt, etwas zu tun“[8]

Bei der nun anstehenden rekonstruktiv verlaufenden Deutung einer Tätigkeit und ihrer Bedeutung bedarf es intersubjektiver Regeln. Die Zeichen, die ein Text an sich liefert, müssen aufgrund unseres Vorverständnisses gelesen werden. Die Regelkenntnis kann auch als Kompetenz verstanden werden, die nach Oevermann dreier Grundfeiler bedarf 1) die sprachliche Kompetenz muss zwingend vorhanden sein 2) so auch die Kenntnis über Modi der Kommunikation und 3) die kognitive Kompetenz. Obwohl diese drei als zwingende Voraussetzungen angesehen werden können, sind natürlich für gezielte Interpretationen wie beispielsweise in einem spezifischen Milieu noch andere Kenntnisse zu erwerben. Vordergründig ist die Aufgabe, einen Regelkatalog aufzustellen, sonst wird die mangelnde Adäquanz den ersten Kritikpunkt einer Auslegung markieren.

Ungeachtet dieser Grundbedingungen, welche wir uns als animal rationale bereits vor der Prozedur der Interpretation angeeignet haben, ist das Ziel nicht die menschliche Lebenpraxis, also die Erfahrungen mitschwingen zu lassen, sondern den Kerngehalt eines Vorganges zu untersuchen. Es geht darum, was eine Handlung wirklich bedeutet, um deren regelförmige Implikaktion, und nicht wie die Menschen es allgemein verstehen. Nur wenn für alle die Struktur hinter einer Handlung klar ist, kann es zu eindeutigen und intersubjektiven Erklärung kommen.

II.2 Der autonome Fall

In den Sozialwissenschaften und besonders in der Objektiven Hermeneutik als analytische Hermeneutik wird mit Fällen, so genannten Krisen, gearbeitet. Auf solchen exemplarischen, sich wiederholenden Einzelerlebnissen gründet die menschliche Fähigkeit, die dynamische Umgebung zu kategorisieren und so zu verstehen. Später und nach eingehender Überprüfung auf die Zweckrationalität wird aus den Einzelfällen ein abstrakter Idealtypus[9] gebildet, Routine[10] stellt sich ein. Der erste Ansatz besteht folglich darin, den Fall nach Krise oder Normalfall zu differenzieren.

Die Objektive Hermeneutik interessiert sich jedoch vorwiegend für den Einzelfall und seine Besonderheit, sowie seine Bedingung. Wie und warum äußert sich der Fall in seiner je eigenen Weise sind Fragen, die an das Phänomen gestellt werden.

Aus zweierlei Gründen erhebt die Sinndeutung einer aufgesuchten und nun zu erprobenden Krise den Anspruch der Objektivität.

[...]


[1] Oevermann, U.: Manifest der hermeneutischen Sozialforschung. S. 3

[2] Wernet, A.: Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. S. 12

[3] Oevermann, U.: Manifest der hermeneutischen Sozialforschung. S. 4

[4] ebd. S. 4

[5] ebd. S. 4

[6] Wernet, A.: Einführung in die Interpretationstechnik der Objektiven Hermeneutik. S. 13

[7] ebd. S. 13

[8] ebd. S. 13

[9] Soeffner, H. – G.: Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. S. 172

[10] Oevermann, U.: Manifest der hermeneutischen Sozialforschung. S. 10

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Objektive Hermeneutik
Sous-titre
Methodologie und Methodik
Université
University of Flensburg  (Psychologie)
Cours
Theorie und Praxis ausgewählter empirischer Methoden
Note
1,3
Auteur
Année
2007
Pages
22
N° de catalogue
V87604
ISBN (ebook)
9783638022798
ISBN (Livre)
9783638923781
Taille d'un fichier
455 KB
Langue
allemand
Mots clés
Objektive, Hermeneutik, Theorie, Praxis, Methoden
Citation du texte
Hauke Reher (Auteur), 2007, Objektive Hermeneutik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87604

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