,,Zeige mir wie Du wohnst, und ich sage Dir, wer Du bist". Dieses Sprichwort könnte als Motto vor einer rein soziologischen Analyse des Wohnens und der Wohnung stehen, kann doch, im Sinne Norbert Elias′, ,,der Niederschlag einer sozialen Einheit im Raume, der Typus ihrer Raumgestaltung eine handgreifliche, eine - im wörtlichen Sinne - sichtbare Repräsenta-tion ihrer Eigenart" sein. Die Beschreibung des Wohnens der Gesellschaft ließe demnach Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Organisation zu, über die Verteilung des Reichtums, über den Grad der Urbanisierung, über familiäre Strukturen und viele andere, ähnlich dispara-te Themenbereiche.
Wohnen ist ein existentielles Grundbedürfnis des Menschen und in einem ständigen Wandel. Als eine mögliche Definition sei folgende angeführt: ,,Wohnen als elementare Erscheinungs- und Ausdrucksform menschlichen Seins umfasst alle die Tätigkeiten und Verhaltensweisen, die regelmäßig an einem bestimmten Ort stattfinden" . Die Wohnung, das "Dach über dem Kopf", hat zunächst sowohl physische, als auch soziale und sozialpsychologische Schutzfunk-tion: vor Witterungseinflüssen, vor Gefahren aller Art, vor Mitmenschen - gleichgültig ob Freund oder Feind, vor neugierigen Blicken usw. Doch gerade dieser Aspekt des Wohnens als Grundbedürfnis kann nicht im Zentrum einer soziologischen Analyse stehen, vermag er doch die historischen, interkulturellen und innergesellschaftlichen Differenzen der Wohnweisen der Menschen eben nicht zu erklären, sondern verweist lediglich darauf, dass alle Menschen wohnen, was banal ist. Eine Analyse, die sich auf neuartige Tendenzen in Wohn- und Le-bensweise bezieht, muss daher die historischen Bedingungen der jeweiligen Gesellschaften notwendig mit einbinden.
Inhalt
Vorwort
1. Die Herausbildung modernen Wohn- und Lebensweise
Das vormoderne „ganze Haus“
Das moderne Wohnen
2. Wohnen und Arbeiten
3. Individualisierung im Privaten
4. Neue Haustypen
Single und Einpersonenhaushalte
Nichteheliche Lebensgemeinschaften
Alleinerziehende
Wohngemeinschaften
5. Zwischen Bindungslosigkeit und Differenzierung
6. Politisch-soziologische Konsequenzen
Quellenverzeichnis
Vorwort
,,Zeige mir wie Du wohnst, und ich sage Dir, wer Du bist". Dieses Sprichwort könnte als Motto vor einer rein soziologischen Analyse des Wohnens und der Wohnung stehen, kann doch, im Sinne Norbert Elias’, ,,der Niederschlag einer sozialen Einheit im Raume, der Typus ihrer Raumgestaltung eine handgreifliche, eine - im wörtlichen Sinne - sichtbare Repräsentation ihrer Eigenart"[1] sein. Die Beschreibung des Wohnens der Gesellschaft ließe demnach Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Organisation zu, über die Verteilung des Reichtums, über den Grad der Urbanisierung, über familiäre Strukturen und viele andere, ähnlich disparate Themenbereiche.
Wohnen ist ein existentielles Grundbedürfnis des Menschen und in einem ständigen Wandel. Als eine mögliche Definition sei folgende angeführt: ,,Wohnen als elementare Erscheinungs- und Ausdrucksform menschlichen Seins umfasst alle die Tätigkeiten und Verhaltensweisen, die regelmäßig an einem bestimmten Ort stattfinden"[2]. Die Wohnung, das „Dach über dem Kopf“, hat zunächst sowohl physische, als auch soziale und sozialpsychologische Schutzfunktion: vor Witterungseinflüssen, vor Gefahren aller Art, vor Mitmenschen - gleichgültig ob Freund oder Feind, vor neugierigen Blicken usw. Doch gerade dieser Aspekt des Wohnens als Grundbedürfnis kann nicht im Zentrum einer soziologischen Analyse stehen, vermag er doch die historischen, interkulturellen und innergesellschaftlichen Differenzen der Wohnweisen der Menschen eben nicht zu erklären, sondern verweist lediglich darauf, dass alle Menschen wohnen, was banal ist. Eine Analyse, die sich auf neuartige Tendenzen in Wohn- und Lebensweise bezieht, muss daher die historischen Bedingungen der jeweiligen Gesellschaften notwendig mit einbinden.
Themenstellung dieser Arbeit ist daher vor allem die soziologische Perspektive, die aber auch die ökonomischen und vor Allem die demographischen Bedingungen des Wohnens, in der gegenwärtigen Situation, mit einbeziehen muss. Der wohnungswirtschaftliche Sektor hat eine Reihe von Besonderheiten, die zur These des Marktversagens führen: ,,Der Markt kann jedoch eine angemessene Wohnungsversorgung für alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere für die einkommensschwächeren und die Bevölkerungsgruppen, die sozialen Diskriminierungen ausgesetzt sind, nicht gewährleisten"[3]. Aus diesem Grunde, ist neben der sozialpolitischen, auch die ökonomische Komponente zu beachten. Der Staat ist in der sozialen Marktwirtschaft Deutschlands verantwortlich für eine angemessene Versorgung der Gesellschaftsmitglieder mit nicht substituierbaren Versorgungsgütern - in diesem Falle mit dem Wohnraum. Er greift also soweit in das Marktgeschehen ein, wie es nötig erscheint, um allen ein Minimum zu sichern, ohne dabei aber den Marktmechanismus außer Kraft zu setzen! Er steht bei seinen sozialpolitischen Eingriffen also im Spannungsfeld zwischen sozialpolitischer Verantwortung und ordnungspolitischer Zurückhaltung. Wie wird sich der Sozialstaat in Zukunft diesen Aufgaben gerecht werden können?
Noch aus einem weiteren Grund lässt sich das Thema nicht eindimensional betrachten. Neben der Frage nach den Bauformen im Rahmen einer historisch-komparativen Analyse geht es stets um die räumliche Anordnung und Einbindung der Gesellschaft in den Wohnraum auf der Mikroebene von Wohnhäusern und Wohnungen.[4]
Obwohl der moderne Typus des kleinfamiliären und privaten Wohnens das Produkt einer langen Entwicklung ist, lässt sich diese, in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts manifestierte, Wohnform nicht ohne weiteres auf die heutige Zeit projizieren. Bis in die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts lässt sich eine Verengung der Wohnweisen ausmachen, die sich in der Folgezeit permanent ausdifferenziert haben. Diese, keineswegs abgeschlossene Entwicklung zu neuen Wohntypen und –weisen soll in dieser Hausarbeit aufgezeigt werden.
Aus der Themenbeschreibung ergibt sich der Aufbau dieser Arbeit: Am Anfang steht eine kurze Beschreibung der historischen Entwicklung des Wohnens und der Wohnung, an die sich die Darstellung eines sozialen, politischen und ökonomischen Wandels der Wohnweisen, ausgehend von der gegenwärtigen Situation, anschließt. Abschließend sollen mögliche politische Konsequenzen aus den aufgezeigten Befunden gezogen werden
Worpswede, im Dezember 2002 Martin Runkel
Ein herzlicher Dank geht an meinen Bruder, der an der Gestaltung des Titelbildes maßgeblich beteiligt war!
1. Die Herausbildung moderner Wohn- und Lebensweisen
Historische Prozesse sind äußerst komplexe bzw. ambivalente Vorgänge, bei deren Beschreibung notwendigerweise verkürzt und vereinfacht wird, um Entwicklungen analytisch herauszuarbeiten. Einen Zugang zum Thema bietet Aristoteles, der für die Errichtung von Wohnräumen in der griechischen Polis vier wesentliche Gründe und Vorraussetzungen angab[5]:
- Die causa finalis, der Zweck zu dem ein Haus gebaut wird, steht an erster Stelle. Hiermit wird die zukünftige Funktion des Hauses (zukunftsweisend) in einen aus der Generationenabfolge resultierenden Zeitbegriff eingebunden.
- Die causa efficiencia umfasst den angemessenen Einsatz von Kapital und Arbeitskräften, die zum Bau eines Hauses notwendig sind.
- Die causa formalis, umfasst den Bauplan, sowie die
- Causa materialis, die Baustoffe.
Erweitert man dieses Beispiel durch die Einführung einer sich ändernden Gesellschaftsstruktur, so können sich Zwecke, Mitteleinsatz und damit auch die Funktion des Wohnens ändern. Dieser Argumentationslinie folgt auch Weber, der zwei Idealtypen des Wohnens gegenüberstellt: Zum einen den des vormodernen Wohnens, des sogenannten „ganzen Hauses“, zum anderen denjenigen des modernen Wohnens. Der Idealtypus ist hier weder normatives noch statistisches Konstrukt, sondern eine abstrahierende Verdichtung, die das Besondere einer Epoche im Unterschied zur anderen herausarbeitet[6]. Er ist auch kein Instrument, das eine chronologische Abfolge beschreiben will, wo offensichtlich keine ist: die beiden Wohnformen sind zeitlich nicht klar voneinander zu trennen, sondern gehen, differenziert u.a. nach räumlichen Kriterien (wie Stadt - Land) und schicht- oder klassenspezifischen Gesichtspunkten (etwa bäuerliche vs. bürgerliche Haushalte), ineinander über. Es handelt sich beim Übergang von der einen zur anderen Form um einen vieldimensionalen, mannigfaltigen Prozess. Die Idealtypen sind also methodische Konstrukte, sind Analyseinstrumente.
- Das vormoderne „ganze Haus“
Das ursprüngliche Konzept des ganzen Hauses, wie es von Otto Brunner beschrieben wurde, beinhaltet die Idee eines Haushaltes, der sowohl in sozialer als auch in ökonomischer Hinsicht nicht ausdifferenziert ist: der ,,Haushalt als Wohn- und Produktionsgemeinschaft"[7]. In ihm fanden sämtliche Aktivitäten aller Mitglieder, meist in denselben Räumen statt: Kochen, Essen, Schlafen, Erholung, Sexualität, Arbeit, Vieh- und Kinderaufzucht. Hinzu kam, dass die soziale Einheit diese Haushaltes nicht die biologische (Klein- oder Groß-) Familie war, sondern dass neben der erweiterten Kernfamilie auch (unverheiratete) Knechte und Mägde, Gesellen und anderes Gesinde mit im Hause wohnten. Ein Wohnungsmarkt im heutigen Sinne bestand nicht, da meist Produzent und Besitzer, nahezu immer jedoch Besitzer und Nutzer, die gleiche Person waren. Ebenso müssen das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit und das Verständnis von Intimität und Schamgefühlen, völlig andere gewesen sein, als wir sie heute (meist als selbstverständlich) ansehen. Dieses ursprüngliche Konzept zeichnet also das Bild einer quasi-autarken Ein-Raum-Haus- und Arbeitseinheit.
Diese - möglicherweise etwas romantisierende Sichtweise - muss jedoch relativiert werden. Von autarken Haushalten lässt sich möglicherweise nur in der Spätantike sprechen. Jedoch schon im ausgehenden Mittelalter, sicher mit beginnender Neuzeit kann diese Vorstellung zunehmend als ,,Legende" angesehen werden[8], da Handel und später die frühkapitalistische Wirtschaftsweise die wirtschaftliche Selbständigkeit und auch die Einheit von Arbeitsplatz und Wohnort zunehmend aufbrechen, und damit das „ganze Haus“ in seiner Reinform wohl Ende des 18. Jahrhunderts weitgehend verschwunden ist.
- Das moderne Wohnen
Die Veränderungen, welche den Wandel der Wohnweisen vom vormodernen hin zum modernen Wohnen, also dem Wohnen unserer Gegenwart, ausmachen, lassen sich in vier Hauptargumenten beschreiben:
1. Zentraler Vorgang - und das nicht nur im Hinblick auf die Soziologie des Wohnens - ist sicherlich die Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz und die Entstehung von Lohnarbeit. Dieser Vorgang steht in engem Zusammenhang mit der Industrialisierung und Urbanisierung. Es ist ein Vorgang mit kaum absehbaren Folgen. Es entsteht die klare, auch räumliche Trennung von Arbeits- und Freizeit. Eine lange Reihe von Tätigkeiten wird aus den Haushalten ausgelagert, was beispielsweise die Nahrungsmittelindustrie, aber auch Wäschereien, Einzelhandel, gastronomische Betriebe, also: Dienstleistungsbetriebe ermöglicht und nötig macht. „Heute hat der „Vergabehaushalt“ fast alle seine wirtschaftlichen Funktionen an spezialisierte Betriebe und Infrastruktureinrichtungen abgegeben"[9].Die Wohnung wird zunehmend zum Ort der Reproduktion. Aber auch Kindergärten, Schulen und Altersheime übernehmen Funktionen, die vorher innerhalb der Häuser wahrgenommen wurden. Darüber hinaus macht die Urbanisierung es unumgänglich, in den Städten umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen zu verwirklichen. All dies wird im Laufe der Industrialisierung verstärkt wirksam. Auch innerhalb der Haushalte sind die Folgen vielfältig und unübersehbar. Es sei an dieser Stelle wiederholt, dass diese Prozesse keineswegs so einförmig abliefen, wie es nach dieser Beschreibung scheinen könnte.
2. Zweiter wichtiger Prozess ist die Entstehung der Wohnung als Kleinfamilienhaushalt. Der Ausgliederung der Erwerbsarbeit aus dem Wohnbereich folgt die Ausgliederung der mit der Arbeit befassten Personen auf den Fuß. Im Zuge der Veränderungen der Intimitäts- und Peinlichkeitsnormen werden auch nährere Verwandte schließlich aus den Wohnungen gedrängt, und so bleiben Eltern und deren Kinder zurück, die Kernfamilie9, in der sich "personenbezogene Gefühlsbeziehungen entwickeln können".[10] Das hat natürlich auch Rückwirkungen auf die Rollen und Funktionen im Hause. Wurde vorher die individuelle Lebensplanung wesentlich von der häuslichen Gemeinschaft bestimmt, so nimmt jetzt ,,der Anteil der individuell getroffenen Entscheidungen an der Lebensplanung"[11] zu. Parallel dazu entsteht eine gesellschaftlich determinierte Normalbiographie. Die Rollendifferenzierung wird ausgeprägter und die einzelnen Lebensphasen unterscheiden sich zunehmend voneinander. Kindheit, Jugend (und späterhin auch die Postadoleszenz), Erwachsenenalter und Alter entstehen als eigene Lebensabschnitte. Die gesellschaftlich bestimmte Zeit setzt sich nun über Arbeits-, Schulzeiten etc. durch.
3. Die Intimisierung der Wohnung ist der dritte Faktor, der das moderne Wohnen ausmacht. Sie beruht ihrerseits auf der Ausgrenzung der produktiven Arbeit, wodurch Freiraum geschaffen wird für eine vorher nicht mögliche Privatheit und Individualität, für Liebe und Intimität, für Aggressivität und Gewalt. Auch in diesem Zusammenhang ist die Urbanisierung von entscheidender Bedeutung, da die Konzentration von immer mehr Menschen zur ,,Verinnerlichung von Zwängen und vermehrter Selbstkontrolle"[12] führt. Die körperlichen Verrichtungen, Entleerungen und sexuelle Aktivitäten werden in Aborte und Schlafzimmer verlegt. Der Abort wird zum ,,Bergfried der Intimität"[13]. Die neuen Rollen im Haushalt, die Schaffung von Intimität, die neuen Peinlichkeitsnormen erfordern auch eine neue räumliche Anordnung von Zimmern, d.h. die Grundrisse der Wohnungen verändern sich, neue Raumtypen, wie Schlaf- oder Badezimmer, die äußerst privaten Raum darstellen, entstehen.
4. Die Herausbildung des Wohnungsmarktes soll als letztes Merkmal der modernen Wohnweise genannt werden. Bis zum 18. Jahrhundert waren Mietwohnungen die Ausnahme. Dann beginnt sich ein Wohnungsmarkt zu entwickeln und im Zuge der Industrialisierung mit ihrem massiven Bevölkerungswachstum und der Urbanisierung ,,wird der Wohnungsmarkt, auf dem der einzelne Haushalt den Wohnraum als Ware durch Kauf oder Miete erwirbt, zum dominierenden Mechanismus der Wohnungsversorgung"[14]. Damit entsteht auch die Notwendigkeit, zunächst rechtlich, zu regulieren. Jedoch: ,,die Wohnungsfrage des 19. Jahrhunderts stellte eine der krassesten Ausprägungen der sozialen Frage dar"[15]. Sie führte dazu, dass der Wohnungsmarkt schon früh zum Gegenstand sozialpolitischer Regulierung wird.
Diese vereinfachende, dichotomisierende Darstellung der historischen Entwicklung soll als Grundlage für den folgenden Abschnitt gelten. Darauf, dass es heute andere Entwicklungslinien gibt, wie die weitere Individualisierung und Differenzierung der Lebensläufe und die damit einhergehenden Emanzipationsbestrebungen bestimmter Gruppen, die sich auch auf dem Wohnungsmarkt und bezüglich der Wohnungsbedürfnisse auswirken, zeigt, dass jegliche soziologische Betrachtung die institutionelle Organisation der Wohnformen und –Verhältnisse mit einschließt. In den folgenden Kapiteln soll aufgezeigt werden, in welchen Bahnen die erneute Auffächerung in unterschiedliche Wohnformen vonstatten geht, und in welcher Weise sich die aufgezeigten Elemente des dargestellten Idealtypus des modernen Wohnens in den Bereichen Wohnen und Arbeit, dem Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, der Art der Verfügung über die Wohnung und der sozialen Einheit des Wohnens verändern.
2. Wohnen und Arbeiten
Obwohl durch die Trennung von Arbeit und Wohnen das Bild vorherrscht, die Wohnung sei in erster Linie ein Ort der Erholung, zeichnen sich Tendenzen ab, die zeigen, dass es zu einer partiellen Rückverlagerung des Arbeitsplatzes in den Wohnbereich kommen wird. Indikatoren für eine derartige Entwicklung sind unter anderen das Aufkommen neuer Informationstechnologien, kürzere und flexiblere Arbeitszeiten, ein zeitlich gestreckter Bildungsweg oder der verfrühte Eintritt in die Pensionierung. All diese Faktoren lassen die Grenzen zwischen Arbeit und einem allgemein ansteigenden Freizeitbereich verschwimmen.
Bezogen auf die Handhabung von Haushaltsgeräten zeigt sich, dass qualitative und quantitative Unterschiede, die sich durch die Fähigkeiten bei ihrer Bedienung einstellen, durch den Einzug technologischer Innovationen an Bedeutung verlieren, und so auch für technikorientierte Menschen die Hausarbeit an Attraktivität gewinnt. Dies gilt auch für andere Formen der informellen Arbeit die professionalisiert werden und neue materielle Vorraussetzungen bedingen. Die Technisierung der Haushalte hat mittlerweile dazu geführt, dass die durchschnittlichen Investitionskosten eines westdeutschen Haushaltes mit denen eines gewerblichen Arbeitsplatzes gleichziehen. Damit einher geht auch ein Wandel auf der sozialen Ebene, wo sich eine haushaltsübergreifende Organisation abzeichnet: Die häusliche Arbeit wird gleichmäßig auf die Familienmitglieder verteilt. Der von diesen Entwicklungen eingefasste Bereich beschränkt sich aber nicht allein auf die traditionellen Haus(frauen)arbeiten im und am Haus, sondern schließt nahezu alle Bereiche ein, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit stehen. Als Beispiele seien genannt: Umbauten und Renovierungen, Gartenarbeit, aber auch soziale Tätigkeiten, wie die Betreuung von Kindern und Alten, die in sozialen Netzen haushaltsübergreifend organisiert wird - wie in den Nachkriegszeiten üblich[16]. Diese Formen der Neuorganisation und Dezentralisation von traditioneller Haus- und Sozialarbeit tragen in erheblichem Maß zur Aufwertung von haushaltsbezogenen und sozialorientierten Dienstleistungen bei, die - erbracht in den privaten Haushalten - ein Drittel des bundesdeutschen BSP übersteigen. Vor dem Hintergrund der heutigen demographischen Struktur ist es bemerkensweit, dass über 80% der Altenpflege von den nächsten Familienangehörigen übernommen wird[17], ein informeller Beitrag, ohne den eine ausreichende Altenversorgung nicht möglich wäre, auch wenn diese bereits heute deutliche Lücken aufweist. Ähnlich hohe Bedeutung kommt dem Bereich der Selbsthilfe bei Wohnungsversorgung und Eigentumsbildung, vor allem in den suburbanen Gegenden, zu. Über ein Drittel der Arbeiterschaft ist im Besitz eines eigenen Anwesens, was ohne ein erhebliches Maß an Eigenarbeit nicht zu verwirklich gewesen wäre. Die neuen Wohn- und Lebensweisen setzen in einigen Bereichen Einschränkungen voraus, die im erhöhten Maß Verantwortung und Arbeit in den Haushalt (zurück)verlagern, hin zu einer ökologisch verträglichen Lebensweise. Diese auch vor den Hintergrund einer sinkenden Zahl junger Menschen und einer steigenden „Altenlast“. So wird man in Zukunft von dem Bild der Wohnung als funktionsentlasteter „Nicht-Arbeits-Ort“ Abstand nehmen müssen, da soziale, finanzielle und ökologische Zwänge ein Mehr an informeller Arbeit im produktiven und sozialen Bereich internalisieren. Steigende Qualitätsanprüche und Kosten, bei gleichzeitiger Vermehrung der berufsfreien Zeit, verlangen ein hohes Maß an Eigeninitiative, die zudem von Seiten der Industrie vorausgesetzt wird, wenn geringfügig produktive Arbeit externalisiert wird.
Diese Neuorganisation des Haushaltes vollzieht sich aber auch im Bereich der formellen Arbeit. Während das idealtypische Wohnquartier tagsüber weitestgehend ungenutzt ist, da das Erwerbsleben die Anwesenheit beim Arbeitgeber verlangt und die Kinderbetreuung ebenfalls außerhaus stattfindet, wird das Zuhause der Zukunft auch tagsüber belebt sein. Vor allem in Folge der technischen Innovationen im Telekommunikationssektor wird der Heimarbeit eine zunehmende Bedeutung beigemessen. Diese neuen Formen der Arbeit auch bei abhängigen Beschäftigungsverhältnissen führen dazu, dass der räumliche Arbeitsbereich innerhalb der Wohnung aufgewertet und steuerlich anerkannt wird. Ausdruck einer derartigen Verflechtung von Wohnen und berufsbezogenen Arbeit, sind die sogenannten „Telecottages“, die vor allem von der Datenvermittlung über das Internet profitieren. Quintessenz dessen ist das verschwimmen von Arbeits- und Freizeit, das nicht mehr einer strikten zeitlichen Trennung unterliegt - eine neue „Einheit des Alltags“[18]. Diese Verflochtenheit, zusammengenommen mit sozioökonomischen, politischen und kulturellen Entwicklungen, hat eine Neuorganisation im Wohnbereich zu Konsequenz, die den zu Zeiten der Industrialisierung diskutierten Konzeptgegensatz „Wohnung als Heimat“ vs. „Wohnung als Maschine“wieder deutlich zum Erstgenannten bewegt.[19] Die Auswüchse dessen sind enorm: „Anton Schweighofer entwickelte „wachsende Wohnungen”, so beim Wohnhaus in Berlin (1983), bei dem Ausbaumöglichkeiten von Maisonettes und Galerien, Verwandlungen in Lofts und Kombinationen von Arbeiten und Wohnen möglich sind.“[20]
[...]
[1] Elias, 1983, S. 70
[2] Spiegel, 1991, S.41
[3] Eichener / Heinze, 1994, S.3
[4] Lichtenberger, 2002, S. 188
[5] Lichtenberger, 2002, S. 188
[6] Spiegel, 1991, S.43
[7] Häußermann / Siebel, 1996, S. 24
[8] Häußermann / Siebel, 1996, S. 24
[9] Häußermann / Siebel, 1996, S.25
[10] Spiegel, 1991, S.43
[11] Häußermann / Siebel, 1996, S.31
[12] Häußermann / Siebel, 1996, S.33
[13] Häußermann / Siebel, 1996, S.34
[14] Häußermann / Siebel, 1996, S.42
[15] Eichener / Heinze, 1994, S.3
[16] Zapf, 1999, S.566
[17] Häußermann / Siebel, 2000, S.318
[18] Häußermann / Siebel, 2000, S.320
[19] Häußermann / Siebel, 2000, S.89
[20] Repp, 2002
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