Gewalt in Kaufringers "Drei listige Frauen"


Seminararbeit, 2007

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gewalt in der mittelalterlichen Märendichtung

3. Drei listige Frauen
3.1 Gewalt bei Kaufringer
3.2 Aufbau/Inhalt
3.3 Analyse der Gewaltakte in den drei Schwankmotiven

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Heinrich Kaufringer, schriftstellerisch tätig um und vor 1400 in Landsberg am Lech, gehört zu den bedeutenderen Vertretern der deutschen Märendichtung, die vor allem im Spätmittelalter ihre Blütezeit hatte. In seinen Mären „macht sich auffallend häufig das Phänomen der physischen Gewalt bemerkbar“[1], so auch in der Erzählung ‚Drei listige Frauen’. Nach einem allgemeinen Einstieg zum Thema Gewalt in der mittelalterlichen Märendichtung und ihren Wirklichkeitsbezug soll im Folgenden diese Kurzerzählung in Bezug auf die Darstellung und Bedeutung der Gewaltakte analysiert werden.

2. Gewalt in der mittelalterlichen Märendichtung

Gewalt und ihre literarische Darstellung ist ein zentrales Thema in den Kurzerzählungen des Mittelalters. Zungen werden abgebissen, Hoden und Penis vom restlichen Körper abgetrennt, Ehemännern werden die Zähne ausgebrochen, Menschen werden eingemauert oder lebendig begraben. Immer wieder werden so Konflikte ‚gelöst’, Menschen für begangene Fehler, worunter wohl auch die eigene Torheit zählt (vgl. Kapitel 3.1), bestraft. Die Härte der Bestrafung erscheint jedoch im Verhältnis zum Vergehen oftmals völlig unangemessen.[2] Wie ist das, vor allem mit Blick auf das Verhältnis von mittelalterlicher Realität und ihrer literarischen Repräsentation/Reflexion zu verstehen? Auf der Suche nach diesem „Sitz im Leben“[3] der literarischen Texte und den damit verbundenen gattungsbestimmenden Elementen verweist Klaus Grubmüller auf den Wirklichkeitsbezug im Märe. Dieser sei

der des Modells, das verkürzt, Details zurücktreten lässt, Grundlinien herausarbeitet, Grundsätze gegeneinander setzt, und zwar gerade im Blick auf die Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Sie stehen im Mittelpunkt, sie werden verdeutlicht. Die Verhaltensmodelle, die das Märe vorstellt, erscheinen aber nicht als Modelle, sondern als Geschichten, sie müssen aus den Geschichten abstrahiert werden, und es muss das richtige Abstraktionsniveau gefunden werden und das zu abstrahierende Prinzip.[4]

Das Märe ist also in Abgrenzung zur Dichtung des hohen Mittelalters mit ihrer idealen und gereinigten Weltdarstellung (Artusromane/Minnedichtung: grundsätzlich frei von individueller Gewalt im privaten Bereich) direkter an die Wirklichkeit anzuschließen, es bedarf jedoch trotzdem einer Abstraktionsleistung auf Seiten des Lesers um den Sinn des Erzählten zu erschließen.

Neben den Punkten der Modellhaftigkeit und des direkteren Wirklichkeitsanschlusses als Erklärungsversuche für die übertriebenen Boshaftigkeit und Gewaltanwendung in der Märendichtung

scheint sich [aber auch, Anm. d. Verf. ] die Spirale der Gewalt innerhalb der Gesellschaft im Spätmittelalter erheblich schneller gedreht zu haben als noch im 12. und 13. Jahrhundert, u.a. bedingt durch ein starkes Endzeitbewusstsein, die Erfahrung des totalen Chaos ausgelöst durch den Schwarzen Tod und andere Epidemien, den Zusammenbruch des byzantinischen Reiches und schließlich verheerender Wirtschaftskrisen.[5]

Neben den zunehmenden gesellschaftlichen Problemen und der daraus resultierenden Unruhe erwähnt Classen auch den nicht unerheblichen „Konflikt zwischen den Geschlechtern […], der […] durch die ökonomische Krise mitbedingt war und […] mit dem endgültigen Sieg des Patriarchats endete […].[6]

Grubmüller unterscheidet im Hinblick auf den Wirklichkeitsbezug grob drei Märenmodelle. „Die Basis für dieses [das erste, Anm. d. Verf.] Modell gibt das allgemeine Erfahrungswissen, wie es sich im Sprichwort niederschlägt.“ Als Beispiel führt er hier ‚Wer nicht hören will, muss fühlen’ und das Märe der ‚Bösen Adelheid’, die trotz Warnung ihres Mannes nicht von einem Flussufer zurücktritt und in das Wasser stürzt, an. „Die Kongruenz mit dem allgemeinen Erfahrungswissen [des Rezipienten, Anm. d. Verf.] gibt diesem Modell die Überzeugungskraft.“[7]

Dem zweiten Modell „[…]liegt ein geistlich-moralisches Bezugssystem zugrunde.“[8] Ein Mensch begeht eine Sünde, verstößt also gegen die Werte des Christentums, muss dafür bestraft werden und „auf ein bestimmtes Maß an Gerechtigkeit hat der Sünder keinen Anspruch.“[9] Die Basis dieses Modells ist, dass „es sich an feststehende Wahrheiten anschließt. Ihrer Bestätigung dient die Gewalt.“[10] Die übertriebene Gewalt soll hier abschrecken und so erziehen.

Das dritte Märenmodell beinhaltet die Tatsache, dass hier Menschen nicht aufgrund eines sündhaften Vergehens Gewalt erleiden, sondern aufgrund ihrer eigenen Torheit. Sie werden getäuscht und überlistet, man denke zum Beispiel an des Strickers ‚Begrabenen Ehemann’. Torheit als eine „Störung der göttlichen Ordnung und deshalb nicht nur verachtens-, sondern verdammenswert“[11] und somit als Sünde, die bestraft werden muss, anzusehen und daraus die Überzeugungskraft dieses Modells zu definieren scheint hier zu wenig. Es ist nicht möglich, durch christliche Wertvorstellungen zu begründen, dass der dem Toren geistig überlegene Klügere mit diesem machen kann, was er will und an ihm seine Gewaltlust auslebt. Grubmüller lenkt daher den Blick bei diesem Modell auf die „innere Stringenz der Erzählung“[12] und damit auf das Bauprinzip (G. erarbeitet seine Theorie am Prinzip des Witzes) und die Form eines solchen Märes. Durch den durchdachten Aufbau und die intellektuelle Handlungskonstruktion gewinnt dieses Modell, dem laut Grubmüller die größte Gruppe von Mären zuzuordnen sind, an Überzeugungskraft. Es wird darauf hingewiesen, „der Erzählstrategie der Texte zu folgen und nicht im Nicht-Erzählten den Sinn zu suchen“ und „die Umstandslosigkeit des Erzählens im Märe ernst zu nehmen“[13] Das Modellhafte, Überzeugende und das didaktische Moment entstehen hier eben genau aus dieser „gnadenlosen Umstandslosigkeit“ und „Gewalt dient dazu, sie herzustellen“[14].

Grubmüller teilt ‚Die drei listigen Frauen’ keinem dieser drei Modelle zu, da „beim Kaufringer die nun sowohl literarisch wie funktional gänzlich unmotivierte und auch kommentarlos erzählte, freigesetzte Bösartigkeit der Frau das Schema des Witzes ebenso wie das des Exemplums verlässt.“[15] Er ordnet dieses Märe zusammen mit anderen (u.a. Niemands ‚Die Mönche von Kolmar’; Rosenplüts ‚Fünfmal getöteter Pfarrer’) einer gesonderten Gruppe zu, die für ihn den Endpunkt der Gattungsentwicklung markiert. Es wird hier nur noch an der Form festgehalten, die ursprüngliche „Intention, die Ordnung der Welt (und sei es im Gegenbild) sichtbar zu machen“ wird als gescheitert betrachtet und gerade durch das Festhalten am Formalen und der gleichzeitigen Darstellung „eine[r] aus den Fugen geratene[n] Welt, in der Zufall, Bosheit und Gewalt Triumphe feiern“[16] reflektiert.

3. Drei listige Frauen

3.1 Gewalt bei Kaufringer

Wie bereits einleitend erwähnt, spielt Gewalt in zahlreichen Mären Kaufringers eine ganz wesentliche Rolle. Diese spielt sich wie auch in ‚Drei listige Frauen’ sehr oft im Bereich des mittelalterlichen Ehelebens ab. Trotzdem wird schon beim ersten Lesen der ‚Drei listigen Frauen’ eine entscheidende Besonderheit im Vergleich zu Kaufringers anderen Erzählungen oder auch zu Mären anderer Verfasser deutlich. Die Gewalt richtet sich hier keineswegs gegen Sünder, ist somit also nicht als Exempel oder Lehrstück mit christlich-moralischem Hintergrund zu verstehen. Verglichen mit Erzählungen wie ‚Die unschuldige Mörderin’ oder ‚Die Rache des Ehemanns’, in denen Gewalt als Verteidigungs-, Rachemittel oder Liebesbeweis benutzt wird, aus Verzweiflung und Wut entsteht und somit immer eine Art Gegenwert und gewissen Rechtfertigungsgrund besitzt, ist hier eine gänzlich unmotivierte (es geht um den im Vergleich zu den darauf folgenden Gewalthandlungen lächerlichen Wert eines überzähligen Hellers[17]) Gewalthandlung und ihre ‚pure’ Darstellung (besser: Feststellung) zu beobachten.

3.2 Aufbau/Inhalt

„Die Wette der drei Frauen ist wohl der erfolgreichste Stoff innerhalb der deutschen Märenliteratur.“[18] Die Geschichte wurde in verschiedenen Versionen und Ländern von zahlreichen Autoren verarbeitet. Trotz zum Teil deutlicher Unterschiede und oftmals keiner direkten Verbindung und Abfolge ist „der gemeinsame Grundriß, auf den sich alle beziehen, unbestreitbar, […]“[19].

Die Erzählung ist durchdacht und intelligent aufgebaut, die dramatische Struktur des Textes sticht deutlich hervor. Nach einem kurzen Vorwort ist der Hauptteil in drei Teile gegliedert, die aufeinander aufbauen und jeweils eines der drei Schwankmotive behandeln. Der dritte Teil kann noch einmal gegliedert werden, indem man die Zusammenführung und die anschließende Erkenntnis der drei Bauern in der Kirche gesondert betrachtet. Ein offen gestaltetes kurzes Schlusswort beendet die Erzählung.

Drei Bauersfrauen streiten sich nach gemeinsamem Eierverkauf um einen „ungeraden haller“[20]. Sie fassen den Entschluss, dass dieser derjenigen gehören soll, die ihren Ehemann am besten mit einer List hinters Licht führt.

[...]


[1] Classen, Albrecht: Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Unterdrückung und Sexualität: Liebe und Gewalt in der Welt von Heinrich Kaufringer. In: Daphnis: Zeitschrift für mittlere deutsche Literatur und Kultur der frühen Neuzeit 29 (2000), S. 3.

[2] Vgl. Grubmüller, Klaus: Der Tor und der Tod: Anmerkungen zur Gewalt in der Märendichtung. In: Gärtner, Kurt (Hrsg.): Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters: Bristoler Colloquium 1993. Tübingen: Niemeyer, 1996, S.342.

[3] Classen 2000: Mord, Totschlag, Vergewaltigung. S.8.

[4] Grubmüller 1996: Der Tor und der Tod. S.341.

[5] Classen 2000: Mord, Totschlag, Vergewaltigung. S.12.

[6] Ebd. S.13.

[7] Ebd.

[8] Ebd.

[9] Grubmüller 1996: Der Tor und der Tod. S. 342.

[10] Ebd.

[11] Grubmüller 1996: Der Tor und der Tod. S.343.

[12] Ebd.

[13] Ebd. S.346.

[14] Ebd.

[15] Ebd. S.347.

[16] Ebd.

[17] Vgl. Kaufringer, Heinrich: Drei listige Frauen. In: Grubmüller, Klaus (Hrsg., übers., komm.): Novellistik des Mittelalters: Märendichtung. Frankfurt a. M.: DKV, 1996. (Bibliothek des Mittelalters, Bd. 23). V. 28-31.

[18] Grubmüller, Klaus (Hrsg., übers., komm.): Novellistik des Mittelalters: Märendichtung. Frankfurt a. M.: DKV, 1996. (Bibliothek des Mittelalters, Bd. 23). S.1292.

[19] Ebd. S.1294. Vgl. auch Raas, Francis: Die Wette der drei Frauen. Beiträge zur Motivgeschichte und zur literarischen Interpretation der Schwankdichtung. Bern: Francke, 1983. (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur, Bd.58)

[20] Kaufringer 1996: Drei listige Frauen. V.30.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Gewalt in Kaufringers "Drei listige Frauen"
Hochschule
Universität Konstanz
Veranstaltung
Gewalt in Kurzerzählungen des Mittelalters
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V87884
ISBN (eBook)
9783638034012
ISBN (Buch)
9783638932028
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewalt, Kaufringers, Drei, Frauen, Gewalt, Kurzerzählungen, Heinrich Kaufringer, Drei listige Frauen, Mittelalter
Arbeit zitieren
Danny Gronmaier (Autor:in), 2007, Gewalt in Kaufringers "Drei listige Frauen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87884

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