Der Vertrag von Nizza hat die Kompetenzen und Bedeutung der Europäischen Kommission deutlich ausgedehnt. In der europäischen Rechtsetzung hat die Kommission nach Art. 208 EGV das Vorschlagsrecht, dessen Vorschläge der Ministerrat nach Zustimmung des EP aufgreifen kann. Der Kommission kommt somit die Rolle des Agendasetters in der Europäischen Union zu. Pollack (1997: 102) unterscheidet zwischen dem formellen/prozeduralen Agendasetting und dem informellen/substanziellen Agendasetting.
In dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt der Analyse auf der informellen/substanziellen Agendamacht der Kommission beim Rechtsetzungsprozess, darüber hinaus wie diese von der Kommission strategisch genutzt werden kann. Der Theoretische Teil basiert auf der Principal-Agent-Theorie, sowie Theorien zum Agandasetting in der Europäischen Union, die in verschiedenen Aufsätzen von Tsebelis und Garrett entwickelt wurden, wobei nicht nur zwischen den Theorien von Intergouvernmentalismus und Supranationalismus hin und her argumentiert werden soll. Tsebelis und Garett untersuchen das Agendasetting innerhalb der Europäischen Union und befinden die Agendamacht der Kommission dass für besonders groß, wenn der Ministerrat die Vorschläge mit qualifizierter Mehrheit verabschieden kann, eine Abänderung jedoch Einstimmigkeit erfordert.
Es wird dabei die These verfolgt, dass dieser Modus von der Kommission strategisch genutzt wird, was auch als Grundlage des Aufbaus der These dieser B.A. Arbeit dienen soll. Empirisch wird die Hypothese an zwei bzw. drei Fallstudien aus der Europäischen Umweltpolitik überprüft. Der Bereich Umweltpolitik wurde ausgewählt, weil dieser Politiksektor als vergleichssweise stark integriert einzuordnen ist. Insbesondere sind die Issues dieses Sektors meist nicht regional oder national begrenzt, was als zusätzlicher Grund für eine starke Europäisierung der Umweltpolitik heranzuziehen ist. Die Fallstudien umfassen die Problematik der REACH-Verordnung (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) aus dem Chemikalienrecht (Juni 2006), die Maßnahmen der Europäischen Kommission als Reaktion auf die BSE-Krise (Verhütung, Kontrolle und Tilgung transmissibler spongiformer Enzephalopathien [TSE]) sowie die Verabschiedung der Wasserrahmenrichtlinie (Oktober 2000) zur Verbesserung des europäischen Gewässerschutzes. Alle diese Maßnahmen haben erhebliche Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten und stießen z.T. auf harten Widerstand.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die Rolle der Kommission in der Literatur
- 2.1. Intergouvernementalismus vs. Supranationalismus
- 2.2. Liberaler Intergouvernementalismus
- 2.3. Der neofunktionalisitsche Ansatz
- 2.4. Das Modell der Multi-Level-Governance
- 2.5. Der neoinstitutionalistische oder Rational Choice-Ansatz
- 3. Entwicklung der Hypothese: Agendasetting in der Europäischen Union
- 3.1. Rechtsetzung in der Europäischen Union
- 3.2. Die Kommission als Agendasetter
- 3.3. Informelle Einflussnahme und Komitologie
- 3.4. Die Kommission und europäische Umweltpolitik
- 4. Umweltpolitik in der Europäischen Union
- 4.1. Die Chemikalienverordnung (REACH)
- 4.1.1. Das Problem
- 4.1.2. Der Kommissionsvorschlag
- 4.1.3. Die Reaktion der Mitgliedstaaten
- 4.1.4. Ergebnis
- 4.2. BSE
- 4.2.1. Das Problem
- 4.2.2. Die Kommissionsvorschläge
- 4.2.3. Die Reaktion der Mitgliedstaaten
- 4.2.4. Ergebnis
- 4.3. WRRL
- 4.3.1. Das Problem
- 4.3.2. Der Kommissionsvorschlag
- 4.3.3. Reaktionen
- 4.3.4. Ergebnis
- 5. Analyse
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Rolle der Europäischen Kommission als supranationaler Akteur in der europäischen Umweltpolitik. Sie untersucht, wie und unter welchen Voraussetzungen die Kommission ihr Vorschlagsrecht im Europäischen Rat nutzen kann, um Einfluss auf die europäische Rechtsetzung zu gewinnen. Sie analysiert dabei die Rolle der Kommission im Rechtsetzungsprozess und ihre Fähigkeit, eigene Präferenzen durchzusetzen, auch wenn diese den Präferenzen der Mitgliedstaaten widersprechen.
- Die Kommission als Agendasetter in der Europäischen Union
- Die strategische Nutzung des Vorschlagsrechts der Kommission
- Die Rolle der Kommission in der europäischen Umweltpolitik
- Die Interaktionen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten bei der Rechtsetzung
- Die Analyse von Fallstudien aus der europäischen Umweltpolitik
Zusammenfassung der Kapitel
- Kapitel 1: Einleitung
- Kapitel 2: Die Rolle der Kommission in der Literatur
- Kapitel 3: Entwicklung der Hypothese: Agendasetting in der Europäischen Union
- Kapitel 4: Umweltpolitik in der Europäischen Union
- Kapitel 5: Analyse
Die Einleitung stellt die Fragestellung der Arbeit vor und ordnet sie in den Kontext der wissenschaftlichen Debatte zum Rechtsetzungsprozess in der Europäischen Union ein. Sie erläutert den Fokus auf die Rolle der Kommission und ihre Fähigkeit, eigene Präferenzen durchzusetzen, und gibt einen Überblick über den Aufbau der Arbeit.
Dieses Kapitel bietet einen Überblick über verschiedene Theorien zum Rechtsetzungsprozess in der Europäischen Union und diskutiert die Rolle der Kommission in diesen Theorien. Es werden intergouvernementale, neofunktionalistische und neoinstitutionalistische Ansätze sowie das Modell der Multi-Level-Governance beleuchtet.
Dieses Kapitel entwickelt die Hypothese der Arbeit, die besagt, dass die Kommission im Bereich der Umweltpolitik ihre Agendamacht strategisch dazu nutzen kann, ihre eigenen Präferenzen zu verfolgen. Es wird auf die Rechtsetzung in der Europäischen Union und die verschiedenen Mechanismen des Agendasettings eingegangen.
Dieses Kapitel präsentiert drei Fallstudien aus der europäischen Umweltpolitik: die Chemikalienverordnung REACH, die Maßnahmen zur Bekämpfung von BSE und die Wasserrahmenrichtlinie. Es werden die Entstehung des Problems, die Kommissionsvorschläge, die Reaktion der Mitgliedstaaten und das Ergebnis des Rechtsetzungsprozesses für jede Fallstudie dargestellt.
Kapitel 5 analysiert die drei Fallstudien im Hinblick auf die in Kapitel 3 formulierte Hypothese. Es wird untersucht, ob die Kommission ihre Agendamacht strategisch genutzt hat und welche Faktoren ihren Einfluss in den einzelnen Fällen beeinflusst haben.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter der Arbeit sind: Europäische Kommission, supranationaler Akteur, europäische Umweltpolitik, Agendasetting, Rechtsetzungsprozess, Vorschlagsrecht, Intergouvernementalismus, Neofunktionalismus, Neoinstitutionalismus, Multi-Level-Governance, Fallstudien, REACH, BSE, Wasserrahmenrichtlinie, strategisches Verhalten, Einflussnahme, Präferenzen, Mitgliedstaaten.
- Arbeit zitieren
- Bachelor of Arts Johannes Schumm (Autor:in), 2007, Die Kommission als supranationaler Akteur in der europäischen Umweltpolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87977