Im Rahmen der umfassenden Darstellung der Gesellschaft seiner Zeit in der „Comédie humaine“ schreibt Honoré de Balzac 1835 auch den Roman „Le Père Goriot“. Er erzählt die Geschichte eines Vaters von zwei Töchtern in den gesellschaftlichen Umwälzungen der Restauration. Zunächst wird geschildert, wie die Familie Goriots einen so rasanten sozialen Aufstieg erlebt, wie er mit dem Ausklang des 18. Jahrhunderts aufgrund der veränderten Umstände zum ersten Mal möglich wird. Doch Balzac möchte auch darstellen, „wie prekär ein auf Geld gegründeter gesellschaftlicher Aufstieg unter der restaurierten Monarchie ist“ und wie schnell der jähe Absturz folgen kann. Exemplarisch schildert er die Geschichte des Revolutionsgewinnlers Jean-Joachim Goriot und seiner Töchter, deren weiteres Leben in den Romanen „La Maison Nucingen“ und „Gobseck“ fortgeführt wird.
In „Le Père Goriot“ bringt Balzac die Vertreter aller wichtigen gesellschaftlichen Schichten der Restauration schon allein in der Familie von Goriot unter und obwohl der Roman natürlich noch eine große Anzahl weiterer Figuren umfasst, sollen fünf, Vater, Töchter und Schwiegersöhne ausreichen, das Spektrum in seinen Grundzügen zu beschreiben: den Erbadel, den Geldadel und das nach Macht und Prosperität strebende Bürgertum. Anhand dieser Figuren schildert er die gesellschaftlichen Umstände der einzelnen Klassen.
Bei der Betrachtung der einzelnen Figuren in ihrem sozialen Kontext, muss Balzacs „Konzeption des Menschen als eines vom Spiel der gesellschaftlichen Kräfte determinierten Wesens“ berücksichtigt werden. Das heißt, dass Balzacs Charaktere nicht nur durch ihren eigentlichen gesellschaftlichen Kontext, wie auch durch andere rein äußerliche Dinge wie Kleidung und Wohnung, verstanden werden sollen, es soll auch berücksichtigt werden, inwiefern soziale Umstände diese Figuren in ihrem Handeln beeinflussen.
Goriots gesellschaftlicher Aufstieg vom mittellosen Arbeiter zum neureichen Bürger, der vor dem Einsetzen der Handlung stattfindet, wird vor allem im Gespräch von Mme. de Langeais und Mme. de Beauséant wiedergegeben:
In seinen jungen Jahren war Goriot ein einfacher Arbeiter in einer Nudelfabrik. Während der Revolution gelangte er – wie auch M. de Taillefer auf nicht allzu ehrenwerte Weise - zu großem Reichtum, nämlich indem er die Nahrungsknappheit im Volk ausnutzte, um die Preise für Mehl in die Höhe zu treiben.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Exemplarität der Familie Goriot
2. Die Personen in ihrem gesellschaftlichen Kontext
2.1. Jean-Joachim Goriot
2.1.1. Goriots gesellschaftlicher Aufstieg
2.1.2. Goriots gesellschaftlicher Abstieg
2.2. Anastasie de Restaud
2.3. Delphine de Nucingen
2.4. Comte de Restaud
2.5. Frédéric de Nucingen
3. Zusammenfassung
4. Bibliographie
1. Die Exemplarität der Familie Goriot
Im Rahmen der umfassenden Darstellung der Gesellschaft seiner Zeit in der „Comédie humaine“ schreibt Honoré de Balzac 1835 auch den Roman „Le Père Goriot“. Er erzählt die Geschichte eines Vaters von zwei Töchtern in den gesellschaftlichen Umwälzungen der Restauration. Zunächst wird geschildert, wie die Familie Goriots einen so rasanten sozialen Aufstieg erlebt, wie er mit dem Ausklang des 18. Jahrhunderts aufgrund der veränderten Umstände zum ersten Mal möglich wird. Doch Balzac möchte auch darstellen, „wie prekär ein auf Geld gegründeter gesellschaftlicher Aufstieg unter der restaurierten Monarchie ist“[1] und wie schnell der jähe Absturz folgen kann. Exemplarisch schildert er die Geschichte des Revolutionsgewinnlers Jean-Joachim Goriot und seiner Töchter, deren weiteres Leben in den Romanen „La Maison Nucingen“ und „Gobseck“ fortgeführt wird.
In „Le Père Goriot“ bringt Balzac die Vertreter aller wichtigen gesellschaftlichen Schichten der Restauration schon allein in der Familie von Goriot unter und obwohl der Roman natürlich noch eine große Anzahl weiterer Figuren umfasst, sollen fünf, Vater, Töchter und Schwiegersöhne ausreichen, das Spektrum in seinen Grundzügen zu beschreiben: den Erbadel, den Geldadel und das nach Macht und Prosperität strebende Bürgertum. Anhand dieser Figuren schildert er die gesellschaftlichen Umstände der einzelnen Klassen.
Bei der Betrachtung der einzelnen Figuren in ihrem sozialen Kontext, muss Balzacs „Konzeption des Menschen als eines vom Spiel der gesellschaftlichen Kräfte determinierten Wesens“[2] berücksichtigt werden. Das heißt, dass Balzacs Charaktere nicht nur durch ihren eigentlichen gesellschaftlichen Kontext, wie auch durch andere rein äußerliche Dinge wie Kleidung und Wohnung, verstanden werden sollen, es soll auch berücksichtigt werden, inwiefern soziale Umstände diese Figuren in ihrem Handeln beeinflussen.
2. Die Personen in ihrem gesellschaftlichen Kontext
2.1. Jean-Joachim Goriot
2.1.1. Goriots gesellschaftlicher Aufstieg
Goriots gesellschaftlicher Aufstieg vom mittellosen Arbeiter zum neureichen Bürger, der vor dem Einsetzen der Handlung stattfindet, wird vor allem im Gespräch von Mme. de Langeais und Mme. de Beauséant wiedergegeben:[3]
In seinen jungen Jahren war Goriot ein einfacher Arbeiter in einer Nudelfabrik. Während der Revolution gelangte er – wie auch M. de Taillefer auf nicht allzu ehrenwerte Weise - zu großem Reichtum, nämlich indem er die Nahrungsknappheit im Volk ausnutzte, um die Preise für Mehl in die Höhe zu treiben. Er verkörpert den klassischen Parvenü, das aufsteigende Bürgertum, dem jedes Mittel recht ist, um zu Geld zu kommen.
Nachdem Goriot so die Grundlage für seinen gesellschaftlichen Aufstieg geschaffen hatte, spekulierte er auch nach der Revolution weiter erfolgreich mit Korn und Mehl und häufte so ein ansehnliches Vermögen an, das ihm und seiner Familie den Aufstieg in die höhere Gesellschaft ermöglichen sollte.
Goriot verwendet sein Geld in erster Linie darauf, seinen beiden Töchtern Anastasie und Delphine, die nach dem Tod seiner Frau sein Ein und Alles geworden sind, jeden Wunsch zu erfüllen: „elles vivaient comme auraient vécu les maîtresses d’un vieux seigneur riche.“[4] Dieser Vergleich zieht sich durch die gesamte Handlung. Goriot verhält sich des Öfteren eher wie „l’amant le plus jeune et le plus tendre“[5], als wie ein Vater, zum Beispiel, wenn er Eugènes Weste haben möchte, auf der Delphines Tränenspuren zu sehen sind[6] oder sich auf den Boden wirft, um ihre Füße zu küssen[7].
Weil er aufgrund seines Berufes und den gesellschaftlichen Umständen seiner Zeit, der französischen Restauration, fast ausschließlich in den Kategorien des Geldes denkt, weiß er sich die Liebe seiner Töchter von Anfang an nur mit materiellen Dingen zu sichern: „`L’argent donne tout, même des filles.’“[8]
Die horrenden Ausgaben, die Goriot für seine Töchter tätigt, scheinen seine finanzielle Lage noch nicht zu beeinträchtigen, als er noch seiner Arbeit als Kaufmann nachgeht. Nachdem er aber sowohl Anastasie als auch Delphine verheiratet hat, und jeder der beiden die Hälfte seines Vermögens mit in die Ehe gegeben hat, um mit dieser großzügigen Mitgift die Einheirat in den Adel zu ermöglichen, geht er mit dem Rest seines Besitzes in Rente, im Vertrauen darauf, dass er bei seinen Töchtern bis an sein Lebensende willkommen sei.
Aber mit dem Beginn der Restauration ändern sich die gesellschaftlichen Umstände, und Goriot muss die bittere Erfahrung machen, dass seine Anwesenheit in beiden Häusern, sowohl bei de Restaud, als auch bei de Nucingen wenig erwünscht ist. Mme. de Langeais schildert die Situation folgendermaßen:
„Vous comprenez bien que, sous l’Empire, les deux gendres ne se sont pas trop formalisés d’avoir ce vieux Quatre-vingt-treize chez eux; ça pouvait encore aller avec Buonaparte. Mais quand les Bourbons sont revenus, le bonhomme a gêné monsieur de Restaud, et plus encore le banquier. Les filles, qui aimaient peut-être toujours leur père, ont voulu ménager la chèvre et le chou, le père et le mari; elles ont récu le Goriot quand elles n’avaient personne; (…) Il [Goriot] a vu que ses filles avaient honte de lui; que, si elles aimaient leurs maris, il nuisait à ses gendres. Il faillait donc se sacrifier. Il s’est sacrifié, parce qu’il était père: il s’est banni de lui-même.“[9]
Damit findet Goriots gesellschaftlicher Aufstieg, der vor allem durch sein Vermögen und die Einheirat seiner Töchter in den Erb- und Geldadel widergespiegelt wird, ein jähes Ende. Denn Goriot hat den einzigen Trumpf, der seinen sozialen Rang hätte festigen können, vorzeitig ausgespielt, als er seinen gesamten Besitz seinen beiden Töchtern als Mitgift gegeben hat, um ihnen den gesellschaftlichen Aufstieg zu finanzieren.
„Ein Vater, der so offensichtlich das Gegenbild zu dem im Code Civil verankerten patriarchalischen Status des pater familias verkörpert wie Goriot, hat in der restaurativen Gesellschaft keine Überlebenschance. Das ruchlose Verhalten der beiden Töchter wirkt hier wie eine quasi provozierte Reaktion auf die Störung des gesetzlich festgelegten Rollenschemas in der bürgerlichen Familie.“[10]
Goriot hat sich also aus Liebe zu seinen Töchtern gesellschaftlich herabgestuft, was ihn nicht nur sein Vermögen gekostet hat, sondern auch die Liebe seiner Töchter, obwohl er sich bis kurz vor seinem Tode gegen diesen Gedanken wehrt. Seine Töchter nämlich verleugnen ihn, weil ihnen in der Gesellschaft der Restauration jeder Beweis ihrer bürgerlichen Herkunft unangenehm ist.
2.1.2. Goriots gesellschaftlicher Abstieg
Von seinen Töchtern und deren Ehemännern verstoßen, zieht Goriot in die Pension Vauquer, wo er beim Einsetzen der Handlung bereits mehrere Jahre lebt. Dort vollzieht sich sein gesellschaftlicher Abstieg auf symbolhafte Art und Weise. Denn laut Balzac soll die Pension „les éléments d’une société complète“[11] widerspiegeln und steht somit stellvertretend für die Gesellschaft.
Zunächst wird Goriot zum Objekt wildester Spekulationen. Die regelmäßigen Besuche seiner eleganten jungen Töchter, die die Pensionäre für seine Geliebten halten, und das Dahinschwinden seines anfangs doch noch ansehnlichen Vermögens geben den Bewohnern Rätsel auf. Mit fortschreitender Handlung wird Goriots mehr und mehr zum Opfer boshaften Gespöttes. Bemerkenswert ist vor allem, dass sich die Anrede vom respektvollen Monsieur Goriot zum abfälligen Père Goriot wandelt. Darin kommt symbolisch die soziale Deklassierung zum Ausdruck.
Außerdem steigt er, um Geld zu sparen, in der Pension schrittweise immer weiter von Stockwerk zu Stockwerk nach oben auf, bis er schließlich in einer verwahrlosten Dachkammer haust. Das ist als Ironie zu interpretieren, da dieser räumliche Aufstieg einen gesellschaftlichen Abstieg bedeutet.
Ebenfalls bedeutungsvoll ist auch der Wandel in seinem Äußeren, der wohl nicht nur als Folge seiner selbst auferlegten Sparsamkeit, was Essen und Unterkunft angeht, sondern auch als physische Folge der emotionalen Belastung zu interpretieren ist, die aus der finanziellen Ausbeutung durch seine Töchter und der Materialisierung der Vater-Tochter-Beziehung resultiert:
„Il devint progressivement maigre; ses mollets tombèrent; sa figure, bouffie par le contentement d’un bourgeois, se vida démesurément ; son front se plissa, sa mâchoire se dessina. (…) Le bon vermicellier de soixante-deux ans qui ne paraissait en avoir quarante, le bourgeois gros et gras, frais de bêtise, dont la tenue égrillarde réjouissait les passants, qui avait quelque chose de jeune dans le sourire, semblait être un setuagénaire hébété, vacillant, blafard.“[12]
[...]
[1] Dethloff, Uwe: Le Père Goriot: Honoré de Balzacs Gesellschaftsdarstellung im Kontext der Realismusdebatte, Tübingen 1989, S. 15
[2] ibid : S. 32f.
[3] Balzac, Honoré de: Le Père Goriot
Alle Zitate aus diesem Werk beziehen sich auf die Ausgabe von Larousse – Petits classiques, Paris, 2001: S. 77-81 und 88-91
[4] ibid: S. 90
[5] ibid: S. 210
[6] ibid: S. 147
[7] ibid: S. 210
[8] Balzac: S. 256
[9] ibid: S. 78f.
[10] Dethloff: S. 38f.
[11] Balzac: S. 22
[12] Balzac: S. 32
- Arbeit zitieren
- Christine Reff (Autor:in), 2003, Die Darstellung der Familie Goriot in ihrem gesellschaftlichen Kontext, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88022
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