Modernisierungsschub III: Abkehr von der Bildungsbegrenzung im niederen Schulwesen


Hausarbeit, 2008

17 Seiten, Note: 2,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 „Allgemeine Bestimmungen“ von 1872
2.1 Ausbau des preußischen Volksschulwesens nach den „Allgemeinen Bestimmungen“ von 1872
2.2 Aufbau der Mittelschulen
2.3 Die Bewegung zur Volksschulreform

3 Der „Neue Kurs“
3.1 Die „Allerhöchste Ordre“ von 1889
3.2 Die allgemeinen Fortbildungsschulen und die wilhelminische Jugendpflege

4 Fazit

5 Literaturverzeichnis
5.1 Quellen
5.2 Sekundär Literatur

1 Einleitung

Betrachtet man die Zeitspanne, in der sich die Schule als Regelinstanz für den gesamten Nachwuchs herausgebildet hat - das 19. Jahrhundert -, so wird das Implikationsverhältnis von Schule und Gesellschaft deutlich. Es war die Zeit, in der sich eine Agrargesellschaft innerhalb einiger Jahrzehnte in eine verstädterte Industriegesellschaft verwandelte und neue soziale Klassen entstanden.[1]

Im Folgenden werden sich die Ausführungen aber nur auf den Zeitraum von 1872 bis 1911 beziehen und dann auch nur auf den elementaren und mittleren Bildungsbereich. Dieser Zeitrahmen wird üblicherweise als ein Modernisierungsschub bezeichnet, in dem sich das Volksschulwesen der Bildungsbegrenzung abwendete und die Tendenz einer Bildungsverbesserung eingeschlagen wurde. Es soll eine schulpolitische Entwicklung erläutert werden, die aus Integrationsstrategien eines Obrigkeitsstaates hervorgeht. Dabei wäre es irreführend, den Ausbau des modernen Volksschulwesens als einen gleichmäßigen, zwangsläufig fortschreitenden Prozess zu verstehen.

2 „Allgemeine Bestimmungen“ von 1872

Der kleindeutsche Nationalstaat Preußen verfolgte seit seiner Gründung die Zielperspektive einer bürgerlichen Gesellschaft mit rechtlich gleichen, aber in der Bildung ungleichen Staatsbürgern. Die Bildungspolitik bestand aus dem Konzept einer Staatsbürgererziehung, die jedem Bürger ein Mindestmaß an Bildung zugestehen sollte. Im Gegensatz zu den Volksschulen standen die höheren Schulen, die einer Minderheit an privilegierten Schülern die Grundlagen einer allgemeinen wissenschaftlichen Bildung vermitteln sollten, damit die Schüler zu selbstständiger geistiger Arbeit befähigt werden. Das niedere Schulwesen hingegen sollte „der großen Minderheit des Volkes eine religiös durchtränkte nationale Bildung vermitteln, welche die für das bürgerliche Leben nötigen allgemeinen Kenntnisse und Fertigkeiten umfasste.“[2]

Wie eingangs schon erwähnt war die Bildungspolitik des niederen Schulwesens dennoch nicht rückwärtsorientiert. Aufgrund der immer größer werdenden Diskrepanz zwischen der Schulentwicklung auf der einen Seite und der ökonomischen Entwicklung auf der anderen Seite, wurden 1872 die Allgemeinen Bestimmungen durch den preußischen Staat erlassen. Damit kam es zu einer Anpassung der Schulen und Lehrpläne an die gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Politik der umstrittenen Stiehlschen Regulative von 1854 wurde umfassend gelockert durch „eine beträchtliche Erweiterung des Lehrplans und der Lehrziele als auch [durch] einen institutionellen Ausbau der Volks- und Mittelschulen.“[3] Wie genau die strukturellen Tendenzen der Bildungsverbesserung für das niedere Schulwesen aussahen, wird im Folgenden näher beschrieben werden. Zusätzlich wird auf die Unterschiede zwischen den städtischen und ländlichen Volksschulen aufmerksam gemacht.

2.1 Ausbau des preußischen Volksschulwesens nach den „Allgemeinen Bestimmungen“ von 1872

Durch die „Allgemeinen Bestimmungen für die Volks- und Mittelschulen in Preußen“ vom 15. Oktober 1872 wurden die Lehrpläne der niederen Schulen im Vergleich zu dem der ersten Jahrhunderthälfte deutlich erweitert. Verantwortlich für die neuen Möglichkeiten an inneren und äußeren Reformen war der preußische Kultusminister Adalbert Falk und sein Mitarbeiter Seminardirektor Karl Schneider, der Nachfolger Stiehls.[4] So erläutert der liberale Kultusminister Falk zu Beginn des Erlasses, dass umfassende Änderungen „in Betreff der Ausstattung der Schulzimmer und der für den Unterricht zu beschaffenden Lehrmittel, sowie wegen Vertheilung [sic] der Stunden auf die einzelnen Lehrgegenstände die bezüglichen Bestimmungen […] durchzuführen“[5] sind. Des Weiteren ordnet er den Schulinspektoren an „die neuen Lehrpläne schleunigst auszuarbeiten […] und baldigst einzureichen.“[6]

Bezüglich der strukturellen Gliederung der Volksschulen wurde nun erstmals durch einen Erlass festgehalten, dass auch die mehrklassigen Volksschulen normal sind. Außerdem wurde eine räumliche Festlegung für Klassenräume gemacht, die auf 48 m² bei einklassigen Schulen angesetzt war. Daraus geht schon hervor, dass Falk und sein Mitarbeiter zwischen verschiedenen Volksschuleinrichtungen unterschieden, die auch im Erlass näher ausgeführt werden.[7] Die normalen Volksschuleinrichtungen waren

- Die einklassige Volksschule: Kinder jedes schulpflichtigen Alters werden in einem gemeinsamen Klassenraum von einem Lehrer unterrichtet. Die Schülerzahl darf nicht mehr als 80 betreffen
- Die Halbtagsschule: Diese Form der Einrichtung betrifft Schulen, die die Schülerzahl von 80 überschreiten. In diesem Fall sollte es zwei aufsteigende Klassen geben, die von einem Lehrer unterrichtet werden.

Des Weiteren wurde für die mehrklassige Volksschule die Einteilung der Unterrichtsstunden genau begrenzt. Bei dieser Einteilung wird zwischen den drei Abteilungen unterschieden, in die die Volksschulen nun unterteilt wurden. Demnach sollte die untere Abteilung (bezieht sich auf die jüngsten Schüler) auf wöchentlich 22, die mittlere auf 28 und die oberste Abteilung auf 30 bis 32 Unterrichtsstunden kommen.[8] Diese vielen Unterscheidungen von Volksschulen mit verschiedenen Schülerzahlen erscheinen heutzutage sehr mühselig. Der geplante Fortschritt gerät demnach schon bei der strukturellen Festlegung ins Stocken.

Wie bereits erwähnt findet der Ausbau des preußischen Volksschulwesens auch im Bereich der Lehrgegenstände und im Bereich der Verteilung der Unterrichtsstunden statt. Betrachtet man die Stundentafel für die mehrklassige Volksschule[9] fällt schnell auf, dass neben den elementaren Kulturtechniken, neue und eigenständige Unterrichtsfächer eingeführt werden. Auch wenn der Religionsunterricht zwar weiterhin Zentrum des Unterrichts blieb, wurde er doch deutlich eingeschränkt.[10] An dieser Stelle ist besonders der Fortschritt im Vergleich zu den Stiehlschen Regulativen auffallend, die 1854 noch den Grundsatz der „herrschaftskonformen Glaubenserziehung“[11] erfüllen sollten. Neben der Reduktion um 1-2 Wochenstunden im Religionsunterricht wird des Weiteren erstmals Geschichte als eigenständiges Unterrichtsfach in der Volksschule etabliert. Hinzu kommen weitere Fächer, wie z.B. Erdkunde, Naturkunde, Raumlehre, Turnen für die Jungen und Handarbeit für die Mädchen. Ergänzend wurden die Ansprüche in Deutsch und Rechnen erhöht. Zusammenfassend kann für den Bereich der Lehrgegenstände und der Stundentafel gesagt werden, dass der Normallehrplan ausgebaut wurde und somit ein fachlich ausdifferenzierter Lehrplan die Entwicklung bestimmte.[12]

[...]


[1] Berg, Christa. Volksschule im Abseits von „Industrialisierung“ und „Fortschritt“. In: Hermann, U. (Hrsg.): Schule und Gesellschaft im Jahrhundert. Weinheim 1977. S., 250

[2] Vgl. Kuhlemann, Michael. Niedere schulen. In: Handbuch der Deutschen Bildungsgeschichte: Band IV: Berg, Chr. (Hrsg.): 1800-1870. München 1991, S. 183

[3] Vgl. Ebd.

[4] Herrlitz, H.-G./Hopf, W./Titze, H.: Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart. Weinheim 2005, S. 104

[5] Landshut, Siegfried. Zu den Begriffen „Klassengesellschaft“ und Klassenstaat“. In: Michael, B./Schepp, H.-H. (Hrsg.): Die Schule in Staat und Gesellschaft. Dokumente zur deutschen Schulgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 1993, S. 180

[6] Ebd.

[7] Herrlitz, H.-G. 2005, S. 104

[8] Landshut, Siegfried 1993, S. 180f.

[9] Gies, Horst. Nationale Identitätsbildung als Aufgabe des Geschichtsunterrichts in der Volksschule. In: Dithmar, R. (Hrsg.): Schule und Unterricht im Kaiserreich. Neuwied 2006, S. 114

[10] Ebd, S. 115

[11] Herrlitz, H.-G. 2005, S. 104

[12] Gies, Horst 2006, S.115

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Modernisierungsschub III: Abkehr von der Bildungsbegrenzung im niederen Schulwesen
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
2,1
Autor
Jahr
2008
Seiten
17
Katalognummer
V88200
ISBN (eBook)
9783638017480
Dateigröße
390 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Thema der Hausarbeit bezieht sich auf die zeitliche Einordnung von 1872 bis 1911. Es geht hauptsächlich um die "Allgemeinen Bestimmungen", die "Allerhöchste Ordre" bzw. den "Neuen Kurs"
Schlagworte
Modernisierungsschub, Abkehr, Bildungsbegrenzung, Schulwesen
Arbeit zitieren
Christina Eggers (Autor:in), 2008, Modernisierungsschub III: Abkehr von der Bildungsbegrenzung im niederen Schulwesen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88200

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