Francois Rabelais: Garagantua LII-LVII: L'Abbaye de Thélème


Trabajo, 2002

27 Páginas, Calificación: 1,3


Extracto


Inhalt:

1. Vorwort

2. Kapitel LII: Comment Gargantua feist bastir pour le moyne l’abbaye de Theleme

3. Kapitel LIII: Comment feust bastie et dotée l’abbaye des Thelemites

4. Kapitel LIV: L’inscription mise sur la grande porte de Thélème

5. Kapitel LV: Comment estoit le manoir des Thelemites

6. Kapitel LVI: Comment étaient vêtus les religieux et les religieuses de Thélème

7. Kapitel LVII: Comment estoient reiglez les Thelemites à leur maniere de vivre

8. Kapitel LVIII: Enigme de prohetie

9. Schlußbetrachtung

10. Literatur

1. Vorwort

Die Thélème-Episode[1] (Garg.LII-LVIII) bildet den Abschluß des 1534 erschienen Romans Gargantua von François Rabelais. Gegenstand dieser Arbeit ist eine detaillierte Untersuchung jener Episode, die auf Grund ihrer zahlreichen Widersprüche, aber auch wegen ihrer utopischen, komischen, non-konformistischen, enigmatischen, zeitkritischen, theologischen und philosohischen Aspekte ein vielbeachteter Text der französischen Renaissance ist. Gemäß der im Gargantua-Prolog vorgeschlagenen Allegorese des Rabelais’schen Werks, soll sowohl der wörtliche als auch der übertragene Sinn des Textes im Mittelpunk stehen. Entlang der Kapitelabfolge der Thélème-Episode soll so möglichst die Vielschichtigkeit des Textes herausgearbeitet werden, soll auf intertextuelle Bezüge aufmerksam gemacht werden und verschiedene Interprätationsansätze verglichen werden. Die vorliegende Arbeit möchte keine generell neue Interpretation der Thélème-Episode liefern, sondern vielmehr bereits vorliegende Interpretationen dialogisch vergleichen und mit eigenen Betrachtungen relativieren. Es sollen weder real-historische noch didaktische oder komische Aspekte des Textes einseitig überbewertet werden; im Zentrum der eigenen Betrachtungen steht dennoch der Aspekt der allgemeinen Zeitkritik, der bislang v.a. in religiös-theologischer Hinsicht untersucht worden ist.[2]

2. Kapitel LII:Comment Gargantua feist bastir pour le moyne l’abbaye de Theleme

Im ersten Kapitel der Thélème-Episode werden die wesentlichen Merkmale des Rablais’schen Utopie festgelegt. Nach der Schlacht gegen Pichrochole belohnt Gargantua die Beteiligten mit Land und Geld; es stand nur noch die Belohnung für Frère Jean des Entommeures[3] (Bruder Jahn vom Kopffleisch)[4] aus, der im pikrocholinischen Krieg seine Abtei standhaft verteidigte. Gargantua bietet ihm mehrere Abteien in seinem Reich an, Frère Jean lehnt diese Würden jedoch dankend ab[5]. Bemerkenswert ist hierbei, wie er seine ablehnende Haltung begründet: “Car comment (disoit il) pourray je gouverner aultruy, qui moymesmes gouverner ne scaurois?” (Grag.LII,S.350)[6]. Der Mönch möchte viel lieber ein Kloster nach seinen eigenen Vorstellungen gründen.[7] Gargantua, der großzügige Sieger des pikrocholinischen Krieges ist einverstanden, und gibt ihm sein “pays de Thélème” an der Loire. Frère Jean möchte sein Kloster so errichte haben, daß es sich von allen anderen Klöstern grundsätzlich unterscheidet: in den folgenden Kapiteln bestimmt jedoch Gargantua, nicht Frère Jean[8], die Ausgestaltung der Abbaye de Thélème[9]. Frère Jean tritt in den folgenden Kapiteln der Thélème-Episode in den Hintergrund.[10] Die Abtei soll keine Mauern haben, bestimmt Gargantua, und dem stimmt der Mönch, wohl aus eigener Erfahrung, zu: “où mur y a et devant et derriere, y a force murmur, envie et conspiration mutue.” (Garg.LII,S.352). Hier und im Folgenden tritt die Funktion des Anti-Klosters in den Vordergrund. Indem Gargantua beschreibt wie Thélème nicht sein soll, grenzt er seine Klosterutopie[11] gegen die Regeln des monastischen Lebens im Mittelalter und der Frühen Neuzeit ab. In Thélème soll das Leben nicht nach einem Zeitplan festgelegt, bestimmt oder geregelt werden - es soll keine Uhren geben[12]. Auch dies begründet Gargantua mit scharfer Kritik am monastischen Leben: “Car [..] la plus vraye perte du temps qu’il sceust estoit de compter les heures - quel bien en vient-il? - et la plus grande resverie du monde estoit soy gouverner au son d’une cloche, et non au dicté de bon sens et entendement” (Garg.LII, S.352).[13] Mit sarkastischem Ton beschließt Gargantua daß nur schöne und wohlgestaltete Frauen und Männer in Thélème aufgenommen werden - seine Begründung dafür hat elitären Charakter[14]. Das Eintrittsalter für die Thelemiten soll bei Jungen und Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren liegen[15]. Es soll es keine Geschlechtertrennung geben, kein Zölibat, kein Noviziat und keine Gelübde[16]. Hiermit werden die Grundprinzipien monastischen Lebens aufgehoben - das Leben in Thélème hat im Grunde keine Elemente mehr, die auf eine religiöse Lebensgemeinschaft schließen lassen. Mit jenen ersten Regelungen und Bestimmungen endet das 52. Kapitel des Gargantua und das erste Kapitel der Thélème-Episode. In diesem Kapitel herrscht noch das Postulat des Anti-Klosters[17] vor - durch die Negierung aller monastischer Lebensregeln verliert Rabelais Darstellung in den folgenden Kapiteln den Bezug zu einer alternativen religiösen Lebensgemeinschaft und entwickelt sich eher zu einer utopischen Lebensgemeinschaft einer auserwählten Bildungsaristokratie. Das 52. Kapitel ist auch in sprachlicher Hinsicht ein Übergangskapitel: zu Beginn dominiert noch der dialogische Charakter des Romans (es unterhalten sich Gargantua und Frère Jean) - dann tritt aber an dessen Stelle eine viel unpersönlichere Diktion (fut ordonné..., fut decreté..., fut constitué...). Ab dem 53. Kapitel wirkt der Text deskriptiv und ungewohnt abstrakt, steht also in deutlichem Gegensatz zu den bisherigen Kapiteln[18]. Womöglich hat Rabelais dieses Kapitel bewußt als sprachliche Schwelle[19] konzipiert, an der das groteske Epos endet und die Utopie, die Gegenwelt von Thélème, Gestalt annimmt.

3. Kapitel 53: Comment feust bastie et dotée l’abbaye des Thelemites

Im 2. Kapitel der Thélème-Episode berichtet Rabelais zunächst von der Finanzierung der Klostergründung. Der kurze Abschnitt über die Schenkung wirkt wie eine Wortlawine - Thélème wird mit Geldern geradezu überschüttet. Der Leser verliert sich in astronomischen Zahlen, wobei deren Graphie in Worten diesen Effekt noch verstärkt und dazu zwingt jede Zahl auszusprechen. Amüsant sind hierbei auch die verschiedenen Währungen: 2700831 moutons à la grande laine, 1669000 escuz au soleil, 2369514 nobles à la rose und 1669000 escuz à l’éstoille poussinière[20]. All diese Gelder stammen aus den Zoll- und Steuereinnahmen des kleinen Flüßchen Dive [Mirebalaise] in der Tourraine[21]. Die reichlich groteske Schenkung wird schließlich mit einer Urkunde besiegelt: “Et de ce leur passa belles lettres” (GargLIII,S.354). Rabelais gebraucht den feierlichen Stil und die kodifizierte Sprache zeitgenössischer Urkunden, und schafft somit einen satirischen Kontrast zum grotesken Inhalt seines Berichtes[22]. Im weiteren wird in diesem Kapitel das Gebäude[23] der Abbaye de Thélème beschrieben[24]. “Le bastiment feut en figure exagone” - Rabelais konzipiert einen zentral ausgerichteten sechseckigen Bau[25], mit jeweils einem runden Turm an jeder Ecke. Die sechs Türme sind alle sechzig Fuß hoch und sehen jeweils gleich aus.[26] Sie sind (unallegorisch) nach Himmelsrichtungen und Wetterseiten benannt: Artice, Calaer, Anatole, Mesembrine, Hesperie und Cryere[27]. Die Loire fließt im Norden am Turm Artice vorbei. Das Gebäude hat sechs Stockwerke - Rabelais beschreibt auch Details, wie die Fassadenverzierungen, das Dachwerk und die Deckenverzierungen. Die Gesamtkonzeption der Anlage (Hexagon) verweist auf architektonische Formen der italienischen Renaissance, die beschrieben Ausgestaltungen im Detail erinnern eher an den nordeuropäischen style flamboyant des späten Mittelalters[28]. Thélème verkörpert jenen franko-italienischen Baustil in dem zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Frankreich gebaut wurde. Erst um 1550 setzte sich auch hier ein puristischer, an antiken Vorbildern orientierter, klassischer Baustil durch.[29] Rabelais setzt den Bau von Thélème bewußt in Bezug zu den zeitgenössischen Schloßbauten an der Loire: “Ledict bastiment estoit cent foys plus magnifique que n’est Bonnivet[30], ne Chamourg, ne Chantilly [...]”(Garg.LIII, S.356). Hiermit verrät Rabelais nicht nur was überboten werden soll, sondern auch was als Vorbild gedient haben mag und woran sich die Vorstellung der Leser orientieren soll: die franko-italienische Schloßarchitektur der zwanziger und dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts. Bemerkenswertes Element des Bauwerks ist der sechseckige Grundriß und die immer wiederkehrende Zahl 6: sechs Türme, sechs Stockwerke, etc..[31] Viele Bauwerke des Mittelalters und der Renaissance setzten in ihren Abmessungen eine oftmals subtile Zahlensymbolik um[32] - Rabelais Pentalogie ist nicht nur in der Thélème-Episode reich an Symbolen, Emblemen und Allegorien. Die Idee eines regelmäßigen Polygons verdeutlicht womöglich den gesellschaftlichen Charakter von Thélème: um das Bauwerk architektonisch von Feudalbauten und Palästen abzusetzen, gebrauchte Rabelais den Grundriß einer Idealstadt[33]: nicht nur Filaretes Sforzinda[34], sondern auch mittelalterliche Darstellungen des himmlischen und irdischen Jerusalem waren kreisförmig oder polygonal. Rabelais beschreibt im Folgenden die innere Ausgestaltung Thélèmes: “en ycelluy estoient neuf mille troys cens trente deux[35] chambres, chascune guarnie de arriere chambre, cabinet, guarderobbe, chapelle et yssue en une grande salle.”(Garg.LIII, S.365). Die Bewohner Thélèmes wohnten in fürstlichen Appartements mit eigenem Andachtsraum; was Rabelais beschreibt, erinnert stark an die Wohnverhältnisse an den absolutistischen Fürstenhöfen, die im 16. und 17. Jahrhundert entstanden.[36] Im Folgenden widmet Rabelais einen recht großen Teil des Kapitels der Beschreibung einer gebrochenen Spiraltreppe, die in den Bau integriert ist.[37] Die Bibliothek Thélèmes ist im Nordwestflügel untergebracht: sie umfaßt, geschoßweise geordnet, Bücher in sechs Sprachen: “[...] les belles grandes librairies en Grec, Latin, Hebrieu, Francoys, Tuscan et Hespaignol [...]”(Garg.LIII, S.358). Die Bewertung dieser bibliothèque humaniste, insbesondere deren Sprachauswahl, fällt in der Rabelaisforschung sehr unterschiedlich aus.[38] Zwischen den Türmen Anatole und Mesembrine finden sich “belles grandes galeries, toutes pinctes des antiques prouesses, histoires et descriptions de la terre”. Hiermit endet dieses zweite Kapitel der Thélème-Episode. Es berichtet über die Architektur und die Ausgestaltung Thélèmes; in vielen Details (z.B. Fassaden, Treppenhaus) sind Rabelais Beschreibungen sehr ausführlich und anschaulich. Die Lektüre der vorhergehenden Kapitel des Gargantua, aber auch des Pantagruel schaffen beim Leser einen Erwartungshorizont, der in der Beschreibung Thélèmes nicht erfüllt wird[39]. Die Beschreibung des humanistischen Anti-Klosters verliert sich eher in architektonischen Details, in Nebensächlichkeiten und Unerwartetem. Die Vorstellung des Lesers rückt mehr und mehr von den Kategorien monastischen Lebens ab, und es drängt sich nicht nur im Hinblick auf die Architektur ein Vergleich mit den Fürstenhöfen[40] der italienischen und französischen Renaissance auf. Es ist die Diskrepanz zwischen dem, was Leser vom Rablais’schen Anti-Kloster erwarten, (und was man von Rabelais, uomo universale der französischen Renaissance erwartet) und der letztlich beschrieben Gestaltung Thélèmes, die viele Fragen aufwirft und zu ganz unterschiedlichen Interpretationen der Thélème-Episode führt.[41]

4. Kapitel 54:L’inscription mise sur la grande porte de Thélème

Noch im 53. Kapitel der Episode findet sich der Übergang zum folgenden Kapitel: Rabelais verweist auf die Eingangspforte von Thélème die mit einer langen Inschrift versehen ist[42]. Mit dieser Inschrift in Versen proklamiert Rabelais, wer von Thélème ausgeschlossen bleibt und wer willkommen ist einzutreten. Zunächst Einiges zur Form der gereimten Inschrift: sie setzt sich zusammen aus sieben Paaren von je zwei verschiedenen Strophen. Die erste Strophe jedes Paares ist ein huitain mit zehnsilbigen Verszeilen, die zweite ein sixain mit fünfsilbigen Versen. Die huitains enthalten jeweils drei Reimpaare nach folgendem Schema: a b a a b b c c. Es handelt sich hierbei um eine metrische Form des Mittelalters und der frühen Renaissance. Jenes Metrum gebrauchten v.a. die großen Rhétoriqueurs.[43] Die sixains[44], die in jedem Strophenpaar auf die huitains folgen, und deren inhaltlichen Gegenstand ergänzen, bestehen aus fünfsilbigen Versen mit je zwei Reimen. Der erste Reim wird dreimal wiederholt und umschließt das Reimpaar der dritten und vierten Verszeile nach folgendem Schema: a a b b a a. Die ersten vier Strophenpaare benennen all jene, die keinen Zutritt zu Thélème haben sollen: Hypokriten, Parasiten, Betrüger, Zwietrachtstifter, Juristen, Wucherer, Eifersüchtige, Krüppel, Häßliche, Dummköpfe und Kranke. Hierbei greift Rabelais wieder auf eine sehr plastische, anschauliche und auch vulgäre Diktion zurück[45]. Nach den eher deskriptiv und nüchtern gehaltenen ersten beiden Kapiteln der Thélème-Episode, scheint es, als ob Rabelais hier die ganze expressive Kraft seines Schreibens wieder unter Beweis stellen möchte. Ein Beispiel:[46]

Cy n’entrez pas, maschefains, practiciens,

Clers, basauchiens, mangeurs du populaire,

Officiaulx, scribes, et pharisiens,

Juges anciens, qui les bons parroiciens,

Ainsi que chiens, mettez au capulair.

Vostre salaire est au patibulaire,

Allez y braire: icy n’est faict exces

dont en voz cours on deust mouvoir proces. (Garg.LIV, S.360)

[...]


[1] Die Thélème-Kapitel das Gargantua als eine in sich geschlossene Episode zu betrachten ist nicht neu, Raoul Morçay (1949) edierte sogar jene Kapitel als eigenständige Ausgabe mit Kommentar. Reinhard Krüger (2002), S.108ff., betont die Episodenstruktur der Pentalogie: “Rabelais übernimmt für die Konstruktion seiner fünf Romane eine den Novellenzyklen abgeschaute Mikrostruktur. Die Grundstruktur der Erzählung [...] ist daher weniger episch als novellistisch. [...], [die Tatsache, daß] diese Romane als Intarsienwerk aus einer Vielzahl novellistischer und fazetiöser Kurzerzählungen aufgebaut sind, die in ihrer Gesamtheit wie die Vorführung diverser Facetten des Lebens erscheinen, legt den engen Zusammnehang zwischen Novelle, Kurzerzählung und Roman bei Rabelais nahe. [...] Rabelais gestaltet die Erzählungen nach dem Prinzip abgeschlossener Episoden und klar unterteilter Kapitel der einzelnen Bücher. So wird eine Episode an die andere gereiht, ohne daß in jedem Fall der logische Fortgang der Geschichte erforderlich ist. Mit der episodischen Struktur setzt Rabelelais [...] die Novellentradition mit ihren jeweils kurzen Erzählungen fort.”

[2] Zitiert wird nach folgender Ausgabe: Rabelais, François: Gargantua, texte original et translation en français moderne, édition, établie, annotée et préfacée par Guy Demerson, Paris 31996.

[3] Siehe hierzu Garg.XXVII, S.221-230: “En l’abbaye estoit pour lors un moine claustrier nommé frere Jean des Entommeures, jeune, guallant, frisque, dehayt, bien à dextre, hardy, adventureux, délibré, hault, maigre, bien fendu de gueule, bien advantagé en nez, beau despecheur d’heures, beau desbrideur de messes, beau descroteur de vigiles; [...] vray moine si ononcques en feut depuys que le monde moynant moyna de moynerie. Au reste, clerc jusques ès dents en matiere de breviaire.”

[4] Vgl. Hausmann, Frank-Rutger (1981), S.19.

[5] Garg.LII,S.350: “Mais le moyne luy fist responce peremptoire que, de moyne, il ne vouloit charge ny gouvernement [..]”

[6] Frère Jean verneint Gargantuas Angebote mit einem Sokrates-Zitat: “Stultum est autem ut velit quis imperare aliis, cum sibi ipsi imperare non possit”. (Liber de vita et moribus philosophorum et poetarum, cap.XXX, De Socrate philosopho. Vgl. hierzu: Screech, M.A. (1969), S.10ff.: “[...] the really surprising thing about Frère Jean’s answer to the offer of his own abbey is that he declines it by quoting ... Sokrates: [...] What on earth is Frère Jean doing quoting Sokrates! In the rest of the book his knowledge does not get beyond Breviary stuff. [...]” Screech wundert sich zurecht über den plötzlichen Bildungsbackground des Bruder Jean, von dem der Leser bislang nur dessen derb-gewaltätige Seite (z.B. Grag.XXVII) kennengelernt hat.

[7] Vgl. S.350: “Si vous semble que je vous aye faict et que puisse à l’advenir faire sevice agreable, oultroyez moy de fonder une abbaye à mon devis”

[8] Mit der schwer zu bewertenden Funktion des Frére Jean befaßt sich A. Tournon (1987); In seinem Aufsatz L’Abbé de Thélème gibt Tournon einen größeren Überblick über die Figur des Frère Jean in Rabelais Pentalogie: “Frère Jan est un héros positif. Il importe d’autant plus de constater qu’avec lui s’introduit dans le texte un ferment de désordre, et de multiples atteintes aux normes qui s’y dessinent - prudence, savoir, lucidité, maîtrise de soi, longanimité [...]”

[9] Dem Namen der Abtei, liegt das gr. uelhma zugrunde (dt. Wille), und verweist auf ein Schlüsselwort des Neuen Testaments. Siehe hierzu Hausmann, F.-R. (1981), S.20: “Qelhm, in der Antike kaum belegt, findet sich aber im Neuen Testament über sechzigmal.[z.B.Mt.6.10 gehqhtw to qelhma sou : Fiat voluntas tua] Es meint nicht nur den spontanen menschlichen Willen, der nicht durch Reflexion konkretisiert ist, sondern auch die göttliche Absicht. Gottes Wille und menschlicher Wille fallen in uelhma zusammen.” Sehr intensiv befaßt mit dem neutestamentarischen Ursprung des Namens der Abtei Nykrog, Per (1965), S.385-391, und kommt zu folgendem Ergebnis: “Le sens du nom de l’abbaye de Thélème est ainsi une allusion claire à l’Evangile et à la volonté de Dieu, et en même temps un accent très fort mis sur le rôle donné aux impulsions spontanées et irréfléchies dans la vie de l’abbaye. [...]” Der Name Thélème knüpft womöglich auch an das Reich der Königin Eleuteryllida bei Francesco Colonna (Hynerotomachia Poliphili, 1499; siehe Anm.54) an, dessen Hofdame Thelemia (Vernunft, Wille) den Traumreisenden Poliphilos durch fiktive Traumlandschaften begleitet.

[10] so auch Sreech, M.A. (1969): “Frère Jean is offered the abbey to do what he likes with. Yet except in the first half of the first chapter he plays no part whatsoever in the episode making no sign whatsoever of his presence. His role is limited to three remarks in chapter LII.” Eine Interpretation für die schwache Präsenz Frère Jeans in der Thélème-Episode bietet Morçay (1949), Introduction: S.XXX, “Visiblement il n’est ici que le trait d’union passager qui va rattacher, vaille que vaille, à un roman gigantal un tableau des plus inattendus, ou, si l’on veut il rapelle ces meneurs de jeu qui, dans les farces [...] font le cry et annoncent, en se gaussant, la scène qui va se dérouler.”

[11] Siehe hierzu z.B. Köhler, Erich (1973), S.302ff. “Das Blid Thélèmes lebt aus der Umkehrung mönchischen Daseins. [...] Thélème ist ein Anti-Kloster, eine religion au contraire de toutes aultres (Garg. LII). [...] Thélème ist in allem das Gegenstück zum Kloster.”

[12]Et par ce que ès religions de ce monde tout est compassé, limité et reiglé par heures, feut decreté que là ne seroit horrologe ni quadrant aulcun.” (Garg.LII, S.352) Mit heures (Stunden) sind sowohl die durch monastische Regeln (z.B. die Benedikt-Regel) vorgeschrieben Gebete gemeint, als auch die dafür vorgesehenen Tageszeiten (vêpres, laudes, matines, etc.).

[13] Hier kritisiert Rabelais wohl nicht nur das nach festen Gebetszeiten geregelte monastische Leben sondern den allgemeinen Trend der Gesellschaft der Frühen Neuzeit ihr Leben mehr und mehr nach der Uhrzeit auszurichten.

[14] [...] parce qu’en icelluy temps on ne mettoit en religion des femmes sinon celles que estoient borgnes, boyteuses, bossues, laydes, defaictes, folles, insensées, maleficiées et tarées, ny les hommes, sinon catarrez, mal nez, niays et empesche de maison.”(Garg.LII, S.352)

[15]Au regard de l’eage legitime, les femmes y estoient repceues depuis dix jusques à quinze ans, les hommes depuis douze jusques à dix et huict.”(Garg.LII, S.354); Der Übergang von Thélème als Projekt zu Thélème als bereits realisierte Idee vollzieht sich hier in den letzten Zeilen des 52. Kapitels. Was Gargantua bislang mit Verben im subjonctif und conditionel als Möglichkeit und Idee konzipiert hat (peult estre marié..., que chascun feut riche..., vesquist en liberté...) wird nun plötzlich zur Realität und im imparfait beschrieben. Siehe hierzu auch Rigolot, F. (1972), S.82: “Le regard qui se dirigeait jusque-là vers l’horizon d’un futur hypothétique doit modifier sa visée pour plonger vers le passé et considérer une bâtisse entièrement terminée. L’acte de naissance de Thélème se situé donc entre l’avant-dernier et le dernier paragraphe du chapitre 52.”

[16]Item, par ce que ordinairement les religieux faisoient troys veuz - scavoir est de chasteté, pauvreté et obedience-, fut constitué que là honorablement on peult estre marié, que chascun feut riche et vesquist en liberté.”(Garg.LII, S.354)

[17] In der Konzeption des Anti-Klosters zeichnet sich die Widersprüchlichkeit der Thélème-Episode ab. So bemerkt Rigolot, F. (1972), S.79ff.: “A un anti-couvent il faut des anti-règeles. Cela semble logique, et pourtant cela ne l’est pas. A la règle de l’abbaye traditionnelle devrait correspondre l’absence de règle [...] Il n’en est rien. Gargantua préscrit de nouvelles règles qui se substituent aux anciennes: Thélème n’aura pas de murailles, pas d’horloge, pas de pensionnaires débiles, la segregation sexuelle, la séparation d’avec le monde, les vœux perpétuels seront interdits. Ce qui frappe, c’est que ces sept règles sont négatives. Elles semblent être la libérté même, mais la façon dont elles nous sont présentées leur donne un aspect coercitif.[...] Ces règeles sont en outre impersonelles et impératives: elles ont la froideur et l’austérité d’un formulaire de status.[...] Le ton même de ce corps de lois est celui du décret administratif. [...] Les verbes impersonels conjugés au passif, le style indirect, la symétrie des articles flanqués de leurs causales et précédés de leur Item [z.B. Davantaige, veu que..., feut ordonné que...,et parce que..., feut ordonné que..., Item, parce que..., feust estably que...] tout cela confère au chapitre une rigidité formelle qui jure étrangement avec la souplesse de l’idéal qu’il est censé transmettre.”

[18] So auch Rigolot, F. (1972), S.77: “Après la débauche des rires et de rythmes que fut la guerre picrocholine, l’abbaye de Thélème nous propose son havre de grâce.[...] après le chaos de la guerre, le douceurs d’une vie noble et calme.”

[19] Bettina Rommel (1997),S.93-94, untersucht den Gargantua als Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Ihre Beobachtungen im Zusammenhang mit der Thélème-Episode eröffnen einen weiteren Interpretationsaspekt: “Tatsächlich ist die Gestalt des Frère Jean am markantesten mit den Merkmalen einer Kultur ausgestattet, die im Umgang mit Schrift und der Verfügbarkeit von Schriftlichem auf orale Traditionen bezogen ist. Die Mündlichkeit des Mönches bildet im episodischen Zusammenhang des picrocholinischen Krieges daher einen Gegenpart zur interiorisierten Literalität, die Gargantua auszeichnet. Das Spannungs-verhältnis, in dem diese beiden Handlungsträger [...] stehen, wird v.a. in ihren unterschiedlichen intellektuellen Verhaltensstrategien sichtbar: Gargantua organisiert seine Äußerungen nach literarischen Denk und Wort-Mustern, die ihm durch die täglichen Lektüren in einem auf des Buch bezogenen Bildungsgang eingeprägt worden sind. [...] Gargantua belohnt Frère Jean mit dem Bau von Thélème - einer Klostergründung die bekanntlich alle Züge einer Gegenwelt trägt. Allerdings läßt Rabelais [...] den Beschluß, Thélème weder mit Mauern noch mit Glocken auszustatten, nicht durch den Mönch, sondern Gargantua begründen.[...] Hatte der Mönch [...] vor der Festrunde noch kriegerisch erklärt: “Jamais je ne me assubjectois à heures: les heures sont faictez pour l’homme, et non l’homme pour les heures. Pourtant je foys des miennes à guise d’estriveries; je les acourcys ou allonge quand bon me semble [...] , so dekretiert Gargantua nun [...] als Vertreter einer Schriftkultur, welche den gesellschaftlichen Frieden durch Selbstdisziplinierung garantiert, “que la plus vraye perte du temps qu’il sceust estoit de compter les heures [...] et la plus grande resverie du monde estoyt soy gouverner au son d’une cloche, et non au dicté de bon sens et entendement” [...] Mit seiner Feststellung wird das in der ursprünglichen Erklärung Frère Jeans noch faßliche Messen in operativen Zusammenhängen, das es dem Mönch erlaubt, die Stunden zu kürzen und damit nach Belieben den situativen Gegebenheiten anzupassen, in Selbstkontrolle abgewandelt.”

[20] Hierbei handelt es sich teils um reelle zeitgenössische Münzprägungen, aber auch um frei erfundene Währungen. Näheres hierzu im Gargantua-Kommentar von Wolf Steinsiek (1999), S.230, sowie im Kommentar der Gargantua-Ausgabe von Guy Demerson (1996), S.354.

[21] “[...] le tout feust parfaict, assigna sus la recepte de la Dive [...]”(Garg LIII, S.354.).

[22] Näheres zur Komik und Parodie bei Rabelais z.B. bei Hausmann, Frank-Rutger (1976), S.113ff.: “Unter Parodie verstehen wir die verzerrende Nachahmung ernster literarischer Vorlagen bzw. wissenschaftlicher Verfahrensweisen mit dem Ziel, diese ins Lächerliche zu ziehen. Der Autor verwendet die Formen etablierter literarischer Gattungen und wissenschaftlicher Methoden [...] bewußt kontrastiv zu dem burlesken Stoff seiner Pentalogie.[...]”.

[23] Rabelais Abbaye de Thélème ist das früheste französische Beispiel präziser Beschreibung eines erfunden, aber architektonisch möglichen Baus; näheres hierzu bei Goebel, Gerhard (1971), S.146ff.

[24] das Klostergebäude von Thélème nimmt eine zentrale Stellung innerhalb der Rablais’schen Utopie ein. Es fasziniert bis in unsere Zeit die Leser und wurde in der Forschung unter zahlreichen Gesichtspunkten interpretiert: im 19. Jh. wurde u.a. versucht die Beschreibung Rabelais bildlich darzustellen (Lenormat, Charles: Rabelais et l’architecture de la Renaissance - Restitution de l’Abbaye de Thélème, Paris 1840, Zeichnungen von Charles Questrel). Billacois, François (1980) untersucht im Detail die Beschreibung der Klosteranlage und stellt deren verschiedene Elemente in einen reichen kulturhistorischen Kontext; Hausmann, Frank-Rutger (1981) macht auf die Zahlensymbolik in der Architektur von Thélème aufmerksam. Goebel, Gerhard (1971) untersuchte die Thélème-Episode vor dem Hintergrund erdichteter Architektur in der französischen Renaissance (Poeta Faber) und kontextualisiert Rabelais architektonischen Entwurf mit zeitgenössischen Bauwerken. Genauso vergleicht Schrader, Ludwig (1988) Thélème mit anderen “artistisch-intellektuellen Gegenwelten” (Francesco Colonna - Jean Lemaire de Belges - Rabelais). Rigolot, F. (1972) macht auf die zahlreichen architektonischen Unstimmigkeiten im Bau von Thélème aufmerksam und erkennt eine Diskrepanz zwischen Form und Inhalt der Thélème-Episode. Rommel, Bettina (1997) entdeckt in der Architektur Thélèmes die Umsetzung einer ars memorativa (Mnemotechnik).

[25] Zu real existierenden Bauwerken mit poygonalem Grundriß, die Rabelais vermutlich kannte, siehe Goebel, Gerhard (1971), S.148ff.: “Man kann in dieser Grundrißfigur eine Rückkehr zu mittelalterlichen Burgformen sehen: polygonale Grundrisse wurden seit dem 12. Jh. öfters für Donjons [...] verwendet.[...]”

[26] “Le bastiment feut en figure exagone, en telle facon que à chascun angle estoit bastie une grosse tour ronde à la capacité de soixante pas en diamètre, et estoient toutes pareilles en grosseur et portraict.” (Garg.LIII,S.356)

[27] Vgl. hierzu: Wolf Steinsiek (1999), Kommentar S.231; sowie Goebel, Gerhard (1971), S.149. Artice (gr. arcticoz, arktisch, Nordturm), Calaer (gr. calozaer, schöne Luft, Nord-Ostturm), Anatole (gr. anatolh, Osten, Süd-Ostturm), Mesembrine (gr. meohmbrinoz, südlich, Südturm), Hesperie (gr. eoperioz, westlich, Süd-Westturm), Cryere (gr. crueroz,eisig, Nord-Westturm).

[28] Mit dieser Stilmischung erweist sich der Architekt Rabelais als Kind seiner Zeit: so stellt Goebel, Gerhard (1971), S.146 fest: “Rabelais Bauphantasie ist der erste literarische Niederschlag jener Assimilation von Renaissanceformen, die in Frankreich erst in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts die Baukunst bestimmten. Unter Franz I. [François Ier] entsteht ein ganze Reihe von Schlössern, in denen das Château-fort mit dem Palazzo sich zu eigenartigen Synthesen verbindet, darunter als berühmtestes Beispiel [...] Chambord (1524ff.), in dem der traditionelle Donjon durch das griechische Kreuz in der Salle des Gardes palastartig zerlegt und durch regelmäßige Pilasterordnungen gegliedert, italienische Dachlaternen mit manieristisch wuchernden französischen Kaminen bizarr vereinigt [sind].”

[29] In Italien begann man schon 100 Jahre zuvor Palastbauten nach antiken Vorbildern zu errichten. Ein bekanntes Beispiel für diese frühe Renaissancearchitektur in Italien ist der Palazzo Ducale in Urbino (um 1450 für Federico da Montefeltro), den auch Rabelais vermutlich kannte. Näheres zur Architektur des Palazzo Ducale: www.commune.urbino.ps.it

[30] Die erste Edition erwähnte nur Schloß Bonnivet, erbaut bei Poitiers für Guillaume Gouffier. Im Gegensatz zu den Schlössern an der Loire (Chambord und Chantilly) war Bonnivet damals bereits vollendet. Vgl. Kommentar der Gargantua-Ausgabe von Guy Demerson (31996), S.356.

[31] Zur Symbolik der Zahl 6, siehe Hausmann, Frank-Rutger (1981), S.21: “Sechs ist die erste vollkommene Zahl, denn sie ist die Summe (und sogar das Produkt) ihrer Faktoren. Sie ist zugleich die Verbindung der Zahl Gottes (I), des Geraden (II), das für des Weibliche, und des Ungeraden (III), das für das Männliche steht. Es ist die letzte irdische Zahl vor der himmlischen Sieben und signalisiert Ordnung, Fruchtbarkeit und Produktivität, was den sechs Attributen der Gottheit (potentia, prudentia, maiestas, amor, misericordia und iusticia) entspricht. Ob Rabelais an diese Symbolik glaubte muß offen bleiben [...].” Daneben besitzt die Zahl sechs noch weitere ideale Merkmale: unter den regelmäßigen Polygonen ist das Hexagon am natürlichsten (Bienenwabe: auch ein Symbol von gemeinschaftlichem Handeln) und am leichtesten zu konstruieren (a6=r). Weiterführende Literatur zur Zahlensymbolik der Renaissance findet sich bei Hausmann, F.-R. (1981) in Anm.33, S.59ff..

[32] Bekanntes Beispiel für ein zahlensymbolisch durchkonstruiertes Bauwerk des Mittelalters ist das Castel del Monte in Apulien (um 1240, für Friedrich II. von Hohenstaufen). Es verwirklicht mehr noch als Thélème die architektonische Umsetzung ihrer Grundzahl, der Acht: Grundriß ist ein regelmäßiges Achteck, wobei an den Ecken acht, wiederum achteckige Türme stehen usw.. Ob Rabelais womöglich auch dieser Bau als Inspiration gedient haben mag ist nicht bekannt.

[33] Zu realisierten Idealstädten der frühen Neuzeit siehe z.B.: Kruft, Hanno-Walter: Städte in Utopia - Die Idealstadt von 15. Bis zum 18. Jahrhundert zwischen Staatsutopie und Wirklichkeit, München 1989; sowie Vercelloni, Virgilio:Atlante storico dell’idea europea della città ideale, Milano 1994.

[34] Filarete [Antonio Averlino]: Trattato di architettura (1480) [Traktat über die Baukunst (ital. u. dt.)], hrsg. W.v.Oettingen, Wien 1890. Filarete widmete dem Herrscherhaus der Sforza (Milano) den Entwurf einer Idealstadt, der jedoch nicht realisiert wurde. Sein diesbezüglicher Traktat enthält eine Vielzahl von Plänen und Zeichnungen, die Rabelais gekannt haben könnte. Siehe hierzu z.B. Rolf Tomann: Die Kunst der italienischen Renaissance, Köln 1994, S.116-119; sowie Herfried Münkler u.a.: Lexikon der Renaissance, München 2000, hier: Artikel: Idealstadt (S.172-177)

[35] Auch hier gilt es Rablais Zahlenangaben nicht allzu ernst zu nehmen: “La critique positiviste se penchait doctement sur de tels chiffres pour en déduire, avec embarras, que chaque thélèmite disposait d’un appartement d’un metre carré. [...] Les chiffres que Rabelais avance, et qu’il entasse ne visent pas au réalisme. Ils sont par leur accumulation et par leur énormité une source de comique; ils rendent sensible le merveilleux de l’épopée gigantale.[...]” vgl.: Billacois, François (1980), S.99.

[36] Der Vergleich zu den cours princiers der französischen und italienischen Renaissancefürsten wird sich in den noch folgenden Kapiteln noch mehr aufdrängen. Ob Rabelais womöglich mit der Thélème-Episode Stellung bezieht zu den im 16. Jahrhundert allmählich entstehenden absolutistischen Fürstenhöfen, die einen Großteil des Adels, ähnlich wie in Thélème, in ein kostspieliges und raffiniertes Hofleben einbeziehen, ist an diesem Punkt der Episode nicht ersichtlich.

[37]Entre chascune tour, au mylieu dudict corps de logis, esoit une viz brizée dedans icelluy mesmes corps, [...]”(Garg.LIII, S.356); siehe hierzu Goebel, Gerhard (1980), S.150: “Die schönste Idee des Thélème-Entwurfs ist zweifellos die der gebrochenen Spiraltreppen, die Rabelais mitten in den Baukörper einbezieht - wie in Chambord - und zugleich nach außen sichtbar macht, ohne sie doch, wie in Blois, aus dem Schloßflügel vorspringen zu lassen.[...]”

[38] So vermutet Goebel, Gerhard (1980), S.150, daß es sich hierbei um jene sechs Sprachen handelt, die Rabelais als Literatursprachen ansah. Rigolot, F. (1972), S.84, verweist auf den auffallend geringen Stellenwert der den Bibliotheken in Rabelais Text zukommt und zieht einen Vergleich zur beschriebenen Bibliothek von Saint Victor im Pantagruel: “Quant aux belles grandes librairies, on ne nous précise où elles se trouvent ni quel genre de livres on peut y consulter. [...] Effectivement il faudrait opposer la froideur de cette énumération au pittoresque de la librairie de Saint Victor (Pant, ch.7). D’une part, de froides bibliothèques savantes dont la trace éphémère sur la page suggère l’inconsistance, l’irréalité. D’autre part le savoureux catalogue du célèbre collège de théologie. [...] la lettre déçoit l’esprit. Les deux lignes sur les librairies de Thélème nous indiffèrent alors qu’elles devraient exciter notre intérêt; les cent quarante titres ridicules de Saint Victor nous intéressent alors qu’ils devraient engendrer la monotonie”. Billacois, François (1980), S.103ff. versucht die Auswahl der Sprachen geschlechterspezifisch zu deuten: “Le critère de distiction ici non plus n’est pas temporel. Il ne départage pas langues mortes et langues vivantes, mais dans l’actuel langues sacrées et profanes, langues des clercs et langues vulgaires. [...] mais distinguant encore une fois les lecteurs des deux sexes. Car selon les mentalités du temps, c’est plutôt affaire d’homme de lire Platon ou Saint Paul et même Terence ou Lucien; et c’est plutôt affaire de femme de lire Pétrarque ou l’Amadis de Gaule. Affaire de femme ou de galant homme qui veut conférer civilement avec les dames, dont la vocation spécifique exclut toute revêche érudition.”

[39] Rigolot, F. (1972), S.85, analysiert den Unterschied zwischen Erwartung und Realität von Thélème unter mehreren Gesichtspunkten (sprachlich, inhaltlich, stilistisch): “Le chapitre 53 présente donc un double versant: celui du sujet et celui de l’anti-sujet. A l’origine, Rabelais s’est promis de bâtir une abbaye agréable qui tient plus du château que du couvent. [...] C’est alors que par son style, il accentue certains traits antithétiques qui ouvriront le dialogue entre la Thélème attendue et la Thélème livrée: l’abbaye qui se construit sur la page n’est pas celle que le lecteur était en droit d’attendre. Un palais Renaissance pouvait être hexagonal et ornementé de tourelles; mais Rabelais par l’inertie et la pesanteur de sa phrase, fige l’hexagone dans un désaveu d’élégance.[...] On a l’impression qu’il amplifie les données pour détromper le lecteur qui aurait la naïveté de voir en Thélème le poème de la Renaissance (l’expression est de Morçay, p.35). [...] Le chapitre se fait massif et grotesque, il abonde en ornements somptueux [...] mais il y manque l’essentiel: la vie.”

[40] Als Leibarzt im Gefolge des Kardinals Jean Du Bellay war Rabelais dreimal in Italien, und hatte dort die Möglichkeit das aufwendige Hofleben der weltlichen und geistlichen Fürsten zu erleben. Im Zusammenhang mit diplomatischen Verhandlungen traf er sowohl auf François Ier, als auch auf Karl V. in Aigues Mortes.

[41] Mit der gereimten Inschrift an der Pforte von Thélème haben sich näher befaßt: Plattard, Jean (1912), sowie Chambon, Jean-Pierre (1988). Beide kontextualisieren jenes gereimte Inschriften-Kapitel mit zeitgenössischer Lyrik und entdecken Analogien zum Stil der Rhétoriqueurs.

[42]Au milieu estoit une pareille montée et porte comme avons dict du cousté de la rivière. Sus icelle porte estoit escript en grosses lettres antiques ce que s’ensuit.” (Garg.LIII, S.358)

[43] Zum zeitgenössischen Gebrauch diese Reimschemas und dieses Strophentyps siehe Plattard, Jean (1912), S.299: “C’est une forme du moyen âge. Elle a fleurie surtout aux XVe et XVIe siècles; c’était un des mètres préférés des grands rhétoriqueurs. On le rencontre dans Chastelain, Molinet, Olivier de la Marche, Gringore, Cretin, J. Lemaire, J. Bouchet et même dans Marot. Rabelais, en adoptant cette forme métrique, suit donc l’exemple des rhétoriqueurs [...]” La Rhétorique ist eine Gruppe von Dichtern und Schriftstellern, die in der Zeit zwischen 1440 und 1525 produktiv tätig sind. Anfänglich bezeichnete Rhétoriqueur jeden, der sich in Vers und gewandter Prosa rhetorisch raffiniert und reimtechnisch perfekt auszudrücken vermag. Die Dichter der Rhétorique sind Reimkünstler, das Hauptinteresse galt der sprachlichen Form, weniger dem Inhalt. Ihre Themen wurzeln noch im Mittelalter, sie zielen auf moralische Belehrung und religiöse Erbauung. Im Mittelalter ist die Lyrik noch nicht von der Rhetorik getrennt, die Rhetorik liefert konkrete Anleitung zur Sprachgestaltung. Sprachlich sind die mittelfranzösischen Dichter der Rhétorique vom Roman de la Rose (1230-1280) und seinem Inventar an Stilmitteln abhängig: Allegorien, Formalismen, Gekünsteltes, Manieriertes...Wichtigste Repräsentanten der Rhétorique sind: Guillaume de Machaut (1300-1377), Eustache Deschamps (1344-1404), Alain Chartier (1385-1433), Christine de Pizan (1365-1429), Charles d’Orléans (1394-14659), Jean Molinet (1435-1507) und Jean Lemaire de Belges (1473-1513). All diese Autoren verknüpften Poetik mit Rhetorik, verbanden Poesie mit Wissenschaft und Gelehrsamkeit und bemühten sich um die Verfeinerung der französischen Verskunst durch strenge Regelung des Verses, des Reimschemas und der Gedichtformen wie ballades, rondeaux, virelais, chants, royaux und chansons. Sie pflegten und bereicherten die französische Sprache durch zahlreiche Neologismen. Vgl. hierzu: Johannes Klare: Französische Sprachgeschichte, Stuttgart 1998, S.78ff.; Hausmann, Frank-Rutger: Französische Renaissance, Stuttgart/Weimar 1997, S.186ff.

[44] Zur zeitgenössischen Bedeutung jener sechszeiligen expressiven Kurzstrophen siehe Plattard, Jean (1912), S.301ff. “Le sixain sur deux rimes était un legs du moyen âge aux grands rhétoriqueurs. A partir de Marot, il cessa d’être sur deux rimes seulement. Le type choisi par Rabelais était donc légèrement archaïque en 1534. En outre, notons dans les rimes un autre trait d’archaïsme. L’alternance des vers masculins et féminins, appliquée régulièrement par Octovien de Saint-Gelais dans sa traduction des Héroïdes d’Ovide, était devenue une loi de la versification française, généralement acceptée par les grands rhétoriqueurs. [...]”

[45] Zur sprachlichen und inhaltlichen Form der Torinschrift bemerkt Rigolot, F.(1972), S.86: “Les quatres c’y n’entrez pas sont un terrible anathème prononcé contre les hypocrites de toutes sortes, faux dévots, juges, usuriers, avares, jaloux, et vérolés. Rabelais retrouve toute sa fougue, tout son génie verbal, son ivresse lexicologique pour créer des monstres sorties d’Antiphysies: Gotz, bigotz, cagotz, magotz, matagotz, Ostrogotz se bousculent à la porte de Thélème sous le fouet de l’assonance et de l’allitération. Tout un peuple gueux, crée par la voie des sons, surgit soudain [...] Au moment où Rabelais proclame: C’y n’entrez pas... c’est nous qui entrons dans le monde chaotique de sa parole, dans cette copia verborum à mi-chemin entre le comique et l’horreur. Nous quittons la pâleur de Thélème, séduits par les charmes fantastiques qui l’entourent. Rabelais, d’habitude médiocre versificateur, donne toute à coup à ses vers un élan irrésistible au moment où il s’agit de clouer sur place une foule d’intrus.”

[46] Vgl. hierzu die Übersetzung von Wolf Steinsiek [bzw. Frank.-Rutger Hausmann für die Kapitel in gebundener Rede](1999), S.170f.: “Hier habt keinen Zutritt gier’ge Rechtsverdreher,/ ihr Schreiberlinge, Volksverdummer, Pharisäer,/ ihr Offiziale, Amtsanwälte, Robenträger/ ihr alten Richter, die ihr stets als Kläger/ den Biedermann ins Beinhaus werft, gleich einem Hund/ holt euren Lohn am Galgen, Pfund um Pfund,/ brüllt dort herum, hier gibt’s keinen Frevel,/ dem ihr Prozesse macht mit Feuer und Schwefel.”

Final del extracto de 27 páginas

Detalles

Título
Francois Rabelais: Garagantua LII-LVII: L'Abbaye de Thélème
Universidad
University of Freiburg  (Romanisches Seminar)
Curso
Hauptseminar: François Rabelais
Calificación
1,3
Autor
Año
2002
Páginas
27
No. de catálogo
V8834
ISBN (Ebook)
9783638157018
ISBN (Libro)
9783656828358
Tamaño de fichero
726 KB
Idioma
Alemán
Notas
Die Thélème-Episode bildet den Abschluß des 1534 erschienen Romans Gargantua von Francois Rabelais. Gegenestand dieser Arbeit ist eine detaillierte Untersuchung jener Episode, die auf Grund ihrer zahlreichen Widersprüche, aber auch wegen ihrer utopischen, komischen, non-konformistischen, enigmatischen, zeitkritischen, theologischen und philosophischen Aspekte ein vielbeachteter text der französischen Renaissance ist.
Palabras clave
Rabelais, Gargantua, Theleme, Renaissance, Utopie, Französische Literatur
Citar trabajo
Manfred Merkel (Autor), 2002, Francois Rabelais: Garagantua LII-LVII: L'Abbaye de Thélème, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8834

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