Sonderpädagogische Beschulung in Norwegen


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2004

63 Páginas, Calificación: 2


Extracto


Gliederung

1. Zielsetzung und Problemstellung der Arbeit

2. Die Ergebnisse der PISA-Studie für Norwegen und andere europäische und nichteuropäische Länder im Vergleich

3. Darstellung der historischen Entwicklung des Spezialunterrichts bis hin zum integrativen Schulsystems in Norwegen

4. Die Salamanca-Konferenz und ihre Folgen für Norwegen

5. Darstellung des integrativen Schulsystems Norwegens
5.1 Vorschulische Erziehung
5.2 Die 10 Jährige Einheits- und Grundschule (grunnskole)
5.3 Weiterführende Schule
5.4 Die Spezialschule
5.5 Die Sonderpädagogischen Zentren (Kompetenzzentren)
5.6 Die Pädagogisch-Psychologischen Dienste

6. Schulvorstellungen und Fallbeispiele für integrativen Unterricht in norwegischen Schulen
6.1 Die Lutvann Skole (Kinderstufe)
6.2 Die Haugeasen Ungdomskole

7. Begriffsklärung von Integration und Behinderung und deren Einfluss auf die norwegischen Prinzipien der Integration inklusive ihrer theoretischen Einreihung
7.1 Prinzipien der Integration
7.2 Der ökosystemische Ansatz von A. Sander und die Theorie des Gemeinsamen Gegenstands von G. Feuser

8. Historische und gesellschaftliche Entwicklung Norwegens
8.1 Das familiäre Prinzip
8.2 Das karitative Prinzip
8.3 Das egalitäre Prinzip (Gleichheitsprinzip)

9. Abschlussbemerkung

10. Literaturverzeichnis

1. Zielsetzung und Problemstellung der Arbeit

Ich wurde durch einen Artikel „Mut fürs Leben mitgeben“[1] aus der Frankfurter Rundschau auf das norwegische Schulsystem aufmerksam. In diesem Artikel wurden die ausgezeichneten Leistungen der skandinavischen und insbesondere der norwegischen Schüler angepriesen. Als Besonderheit für diese Leistungen wurde das norwegische Schulsystem kurz vorgestellt und, durch die fast 100% Integration der Schüler mit Behinderungen, seine Differenz zu anderen bestehenden europäischen Bildungssystemen erwähnt. Auch wurden die guten Ergebnisse Norwegens innerhalb der PISA-Studie geschildert, die im europäischen Vergleich ebenfalls auf eine Sonderstellung Norwegens verweisen. Aus diesem Artikel heraus wuchs in mir die Idee zu diesem Thema meine Examensarbeit anzufertigen. Ich stellte mir die Frage, aus welchem Grund die Schüler in Norwegen derart gute Ergebnisse hervorbringen und wodurch diese Leistungen begünstigt werden? Weshalb und inwiefern werden Schüler in Norwegen gut gefördert? Hat eventuell das integrative Schulsystem einen Anteil an den guten Ergebnissen der PISA-Studie? Wie sieht die integrative Beschulung in Norwegen aus und wieso konnte sich ein integratives Schulsystem in Norwegen etablieren? Gibt es einen Zusammenhang zwischen schulischer Integration und guten Schulleistungen? Oder gibt es andere Faktoren im norwegischen Schulsystem, die das gute Abschneiden der norwegischen Schüler bei der PISA-Studie begünstigen? Dies sind Fragen, denen ich im Rahmen dieser Arbeit näher auf den Grund gehen möchte.

Dazu werde ich in den folgenden Kapiteln die Ergebnisse der PISA-Studie von Norwegen im Vergleich zu anderen europäischen und nichteuropäischen Ländern genauer vorstellen. Des Weiteren zeige ich den Verlauf der schulischen Integration im historischen Kontext auf, deren Weiterentwicklung, die in der UNESCO-Konferenz von Salamanca aus dem Jahr 1994 und den aus ihr hervorgehenden Entscheidungen münden und welche Folgen die Salamanca-Erklärung sowohl für die norwegischen Bildungspolitik als auch für die Integrationsbewegung hat. Folgend stelle ich verschiedene Theorieansätze innerhalb der Integrationspädagogik vor, um die in Norwegen vorherrschende Integration pädagogisch einzureihen. In einem weiteren Kapitel der Arbeit beschreibe ich ausführlich die Bedeutung der gesellschaftlichen und historischen Entwicklung Norwegens und deren Einfluss auf das Bildungssystem. Dieses geht einher mit einer Darstellung des allgemeinen und integrativen Schulsystems. Einige Fallbeispiele sollen die Besonderheit der funktionierenden schulischen Integration in Norwegen veranschaulichen und abrunden.

2. Die Ergebnisse der PISA-Studie für Norwegen und andere europäische und nichteuropäische Länder im Vergleich

Es handelt sich bei der PISA-Studie[2] um die bisher weitreichenste Schulleistungs­studie, die international durchgeführt wurde. Da sie von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) initiiert wurde, handelt es sich bei den teilnehmenden Staaten, mit Ausnahme von Brasilien, Lettland, Liechtenstein und der Russischen Föderation, um die OECD-Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland und Norwegen.

Das Ziel der Studie ist es, bei den Teilnehmerstaaten ein Bild zu erhalten, wie gut es den jeweiligen Schulen gelingt, die Schüler[3] auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Dabei geht es weniger um die Ermittlung von Faktenwissen, sondern vielmehr um die Untersuchung von Basiskompetenzen, die in modernen Staaten für eine Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben notwendig sind. Das Vorhandensein dieser Kompetenzen sowie der Einfluss von sozialer Ungleichheit am Bildungserfolg werden durch verschiedene schulische und außerschulische Lebensbedingungen analysiert.

Die PISA-Studie besteht aus 3 Zyklen, die seit dem Jahr 2000 in dreijährigem Abstand Untersuchungen in den Kompetenzbereichen Lesen, mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung vornimmt. Zusätzlich findet bei jeder Datenerhebung eine Konzentration auf einen Schwerpunkt statt. Für das Jahr 2000 lag dieser bei der Erfassung der Lesekompetenz. In der Schulleistungsstudie werden neben diesen Basiskompetenzen auch fächerübergreifende Kompetenzen sowie Merkmale der sozialen Herkunft von Schülern, die Beziehungen zu Eltern, Einstellungen der Schüler oder private Lesegewohnheiten erhoben.

Ebenfalls werden die finanzielle und materielle Ausstattung von Schulen, die Größe der Lerngruppen und Organisationsstrukturen in der PISA-Studie beachtet (vgl. Stanat / Artelt / Baumert / Klieme / Neubrand / Prenzel / Schiefele / Schneider / Schümer / Tillmann / Weiß, 2000)

Ich möchte im Folgenden auf einige Ergebnisse der PISA-Studie aus dem Jahr 2000 eingehen, die Norwegen im Vergleich zu anderen Staaten erreicht hat. Eine Tabelle soll die Einordnung Norwegens in den internationalen Vergleich nochmals optisch verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Stanat / Artelt / Baumert / Klieme / Neubrand / Prenzel / Schiefele / Schneider / Schümer / Tillmann / Weiß, 2000)

Es lässt sich anhand der Daten und dem blauen Hintergrund (laut der Legende) erkennen, dass Norwegen sowohl in den Werten der Lesekompetenz als auch in denen der naturwissenschaftlichen Grundbildung leicht über dem OECD-Durchschnitt liegen. Bei den mathematischen Kenntnissen liegt Norwegen ebenfalls noch im Durchschnittsbereich. Nach der Rankingliste bestehend aus allen 32 teilnehmenden Nationen, belegt somit Norwegen bei der Lesekompetenz den 13. Platz, bei der mathematischen Kompetenz den 18. Platz und bei der naturwissenschaftlichen Kompetenz wiederum den 13. Platz. Im Vergleich mit Norwegen erzielt Deutschland in allen drei Kategorien nur Platzierungen unterhalb des OECD-Durchschnitts mit den Plätzen 22, 21 und 21. Unter den ersten drei Plätzen finden sich Länder wie Japan und Korea, die gleich in 2 Kategorien (Mathematik und Naturwissenschaften) hohe Werte erreichen. Auch Länder wie Neuseeland, Kanada, Finnland oder Australien zählen zu den Bestplatziertesten.

Die Leistungen der Schüler wurden gemäß den Werten in 5 aufsteigende Kompetenzstufen (I-V) eingeteilt. Dabei zeigt sich nochmals das schlechte Abschneiden Deutschlands bei der Messung der Lesefähigkeit, da lediglich 13 % der deutschen Schüler die Kompetenzstufe I erreichen. Annähernd 10 % bleiben unter der Stufe I. Vergleicht man dazu die Prozentzahlen Norwegens, so sieht man, dass ungefähr 12 % der norwegischen Schüler die Kompetenzstufe V erreichen und lediglich ungefähr 8 % die Kompetenzstufe I oder darunter. Norwegen liegt damit wiederum, ganz im Gegensatz zu Deutschland, oberhalb des OECD-Durchschnitts. Genau wie beim Abschneiden in den drei Kategorien zählen wiederum Korea, Finnland, Kanada, Japan, Neuseeland und Australien zu den Nationen, die den größten prozentualen Schüleranteil auf der Kompetenzstufe V vorweisen können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Stanat / Artelt / Baumert / Klieme / Neubrand / Prenzel / Schiefele / Schneider / Schümer / Tillmann / Weiß, 2000)

Interessant ist ebenfalls der Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Kompetenzerwerb. Dabei zeigt sich, dass in keinem anderen Land der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schullaufbahn so eng ist wie in Deutschland. Das heißt, dass etwa die Hälfte der Jugendlichen aus den höchsten Sozialschichtgruppen das Gymnasium besuchen, während nur weniger als 10 % der Jugendlichen aus Arbeiterfamilien in dieser Schulart beschult werden. Belgien, die Schweiz, Luxemburg und das Vereinigte Königreich folgen der Platzierung Deutschlands. Insbesondere Japan, Korea, Island und Finnland, aber auch Kanada und Schweden gelingt es, bei hohem Leistungsniveau eine geringe Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Leistung zu erzielen. Norwegen befindet ebenfalls im unteren Feld, nahe der Platzierung von Kanada. Dieses Bild zeigt sich ebenfalls bei der Lesekompetenz von Migrantenkindern bei den Ländern mit einem bedeutsamen Anteil an fremdsprachiger Zuwanderung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Stanat / Artelt / Baumert / Klieme / Neubrand / Prenzel / Schiefele / Schneider / Schümer / Tillmann / Weiß, 2000)

Die Ergebnisse der Pisa Studie zeigen somit auf, dass das Bildungssystem von Norwegen, die Schüler effektiver beschult als in vielen anderen europäischen und außereuropäischen Ländern. Im Laufe dieser Arbeit werde ich nun dieses Bildungssystem, welches ein integratives Ganztagsschulsystem ist, näher betrachten. Ich widme mich jedoch zuerst der historischen Betrachtung der norwegischen Schule und damit eng verbunden der sonderpädagogischen Beschulung um die Entwicklung des norwegischen Schulsystems zu verdeutlichen.

3. Darstellung der historischen Entwicklung des Spezialunterrichts bis hin zum integrativen Schulsystems in Norwegen

Die sonderpädagogische Beschulung hat in Norwegen eine weit zurückreichende Tradition. Bereits im Jahr 1739 wurde durch ein königliches Dekret, einem öffentlichen Dokument mit dem Namen Hinweis für Kirchendiener, Küster[4] und Schulmeister eine besondere Form von Einzelunterricht eingeführt, der die Möglichkeit des Nachhilfeunterrichtes für schwache Schüler anbot. So heißt es im §20 / 21 des aufgeführten Schreibens: „Alle jungen Leute im Kirchspiel oder Dorf, die Bedürfnis oder Lust danach haben könnten, dass dies, was sie zuvor gelernt haben, gefestigt wird, sollen vom Kirchendiener oder Schulmeister [...] im Schulhaus, oder an dem Ort, an dem Schule gehalten wird, belehrt werden“ (Lie 1965, S. 1, zit. n.: Grosch 1983, S. 2). Ferner wird erwähnt, dass der Lehrer die Pflicht habe, alle diejenigen in Religion zu unterrichten, die beim Pfarrer zu wenig gelernt haben um konfirmiert zu werden. Diejenigen, die nicht fleißig genug waren, sollten nachsitzen. Dies solle unter der Berücksichtigung auf Schüler mit unterschiedlichen Lernfähigkeiten geschehen (vgl. Lie 1965, S. 1, in: Grosch 1983, S. 2). Hier handelt es sich bereits um eine Art Einzelunterricht, welche auch ein Hauptinstrument des Spezialunterrichts darstellt. Gerade die Rücksichtnahme auf die jeweiligen Lernkapazitäten der Schüler lässt bereits eine Sensibilität für das Bestehen von "Spezialschülern" erkennen. Diese Verordnung hielt sich jedoch nicht länger als zwei Jahre, da sie durch unterschiedliche Bildungsbedingungen in Norwegen nicht auf das ganze Land übertragen werden konnte.

Erst im Jahr 1825 wurde die Tradition zur Einführung von Spezialunterricht durch die Gründung einer "Schule für Taube" in Trondheim, wenn auch auf privater Initiative, wieder fortgesetzt. Diese Schule war somit die erste Institution für Spezialunterricht, die erste Spezialschule in Norwegen. Im Jahr 1841 folgte die erste "Schule für schwer erziehbare Kinder" und im Jahr 1861 die "Schule für Blinde". Bereits in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts war es jedoch in Oslo schon zu Einführungen von ersten Hilfsklassen (hjelpeklasser) für lernschwache Kinder gekommen. Somit war Norwegen eines der ersten Länder in Europa, das mit solchen pädagogischen Maßnahmen schwächere Schüler förderte. Es folgten 1874 die ersten Regelklassen mit 10 lernschwachen und "schwach-begabten" Kindern. Diese Tendenz setze sich in den folgenden Jahren fort und wurde sogar noch ausgeweitet. Es handelt sich somit um die ersten Versuche einer integrativen Beschulung in Norwegen.

Nicht ausgeblendet werden sollen jedoch auch die negativen pädagogischen Zustände die teilweise in Norwegen existierten. So gab es für lernschwache Schüler ebenfalls die körperliche Züchtigung oder die Bestrafung des "in die Ecke Stellens" (vgl. Vik 1972, S. 14, in: Grosch 1983, Seite 3)

Dies änderte sich erst durch das Gesetz über das Schulwesen des gemeinen Volkes auf dem Land[5] aus dem Jahr 1860, bei dem erwähnt wurde, dass die Schulgemeinde dazu verpflichtet war, Schülern, die als vernachlässigt galten und in der allgemeinen Schule nicht sinnvoll beschult werden konnten, einen besonderen Unterricht einzurichten bis sie nach der Beurteilung eins Lehrers oder Dorfpfarrers wieder in die allgemeine Schule zurückgeführt werden konnten. „Bei diesen Anordnungen handelt es sich um den ersten Hinweis eines gesetzlich verankerten Spezialunterricht in der allgemeinen Volksschule“ (Grosch 1983, S. 3). Im Jahr 1881 wurde anschließend durch ein Gesetz für "Schulen für Abnorme" (Abnormeskoleloven) die Errichtung einer Institution festgelegt, die einerseits die Beschulung „abnormaler Kinder“ außerhalb der Volksschulen vorsah und andererseits jedoch eine allgemeine Schulpflicht für diese Schüler vorschrieb. Hierbei lässt sich ein Entwicklungsunterschied zu Deutschland erkennen, da sich in Deutschland sehr früh eine eigenständige Beschulung von Hilfsschülern herausbildete. In Norwegen jedoch entstand diese aus der anfänglichen gemeinsamen Beschulung in der Regelschule durch Hilfsklassen. Die Gründung von Hilfsschulen, wie beispielsweise im Jahr 1892 in Oslo, welche 107 Schüler mit Lernschwächen in drei Volksschulen auf 10 Klassen verteilt unterrichten ließ, blieben eher die Ausnahme. An Volksschulen angegliederte Hilfsklassen bildeten hingegen bereits die Regel. „Abschließend soll hier festgehalten werden, dass die sichtbare Bevorzugung von Hilfsklassen, mit denen [...] eine Verbindung zur Volksschule aufrecht erhalten blieb, den Weg später für eine weitergehende Integration ebnen half“ (Grosch 1983, S. 6).

Das Abnormeskoleloven blieb, abgesehen von wenigen kleinen Veränderungen, bis zum Jahr 1936 gültig, nachdem es anschließend durch ein neues Volksschulgesetz ersetzt wurde. Dieses besagte, dass Schüler, die der allgemeinen Volksschule nicht mehr folgen konnten, durch die Verordnung der Schulleitung und unter Bewilligung der finanziellen Mittel einen gesonderten Unterricht für einzelne Kinder oder Sonderschulklassen eingerichtet bekommen sollten. Den integrativen Bestrebungen, die sich im 19. Jahrhundert bemerkbar gemacht und verbreitet haben wurde durch den Einmarsch der deutschen nationalsozialistischen Truppen in Norwegen ein abruptes Ende gesetzt. Dies lag an dem behindertenfeindlichen Menschenbild der Nationalsozialisten, die einen Ausbau der integrativen Maßnahmen unmöglich machte.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde 1947 ein Ausschuss gegründet, dem 21 Vertreter aller in Norwegen existierenden Schularten angehörten. Dieser Ausschuss brachte im Jahr 1949 eine Empfehlung über Hilfsschulen und Hilfsklassen an Volksschulen heraus, in der eine Übersicht über die Hilfsschularbeit der betreffenden Jahre beschrieben wird. Laut dieser Empfehlung wurden 1947/48 1501 Schüler in den Städten gezählt, die Hilfsunterricht erhielten, das heißt dass 3 % der volksschulpflichtigen Schüler in Hilfsklassen- oder Schulen unterrichtet wurden. Bei den ländlichen Gegenden lag die Beschulungsquote von Hilfsschülern bei lediglich 1,3%, was eine Unterversorgung an Hilfsklassen auf dem Land sichtbar werden lässt. Es gab Gebiete nördlich der Städte, die keine Möglichkeiten mehr boten, Kinder auf eine Hilfsschule oder in eine Hilfsklasse zu schicken. Der Ausschuss gab somit bekannt, dass annähernd 4% aller Schüler einen Anspruch auf den Besuch einer Hilfsschule/-klasse haben. Im Jahr 1949/50 lag die Zahl der Gesamtschüler bereits bei 316.000 mit einem Anteil von 12.640 Hilfsschülern. Durch den Ausschuss wurde auch näher definiert, welches Klientel zu dem Kreis der Hilfsschüler zählte. So wurde davon ausgegangen, „dass Hilfsklasseschüler einen IQ haben, der zwischen 70 und 85 liegt [...]“ (Tilrading VII 1953, S.18, zit. n.: Grosch 1983, S. 7). Es gebe jedoch, so der Ausschuss, viele Schüler mit einem niedrigeren IQ mit Werten unter 70 bis 50, welche eine Schule für Schwachbefähigte besuchen sollten. Diejenigen, die unterhalb der Grenze von 50 liegen, sollten ein Heim für Geistesschwache besuchen. Zusammenfassend war die Absicht des Ausschusses durch diese Empfehlungen und Definitionen, „[...] möglichst allen Kindern nach ihren Schulfähigkeiten entsprechende Schulangebote zu machen“ (Grosch 1983, S. 7). Durch diesen Anspruch kam es in Norwegen zu einem Ausbau der Internatshilfsschulen, die Volksschulen und Hilfsschulen oder Hilfsklassen in einem Gebäude integrierten und die 200 Schülern einen Platz sichern sollten. Mit diesen Maßnahmen lässt sich eine Dezentralisation sowie der Wille, Hilfsschulen und Volksschulen zusammenzuführen, erkennen. Die Maßnahmen blieben jedoch unter dem Gesichtspunkt segregierend, dass die schulischen Angebote für Hilfsschüler in diesen Internatsschulen noch sehr oft von denen der allgemeinen Klassen getrennt waren. „Trotz dieser Einschränkungen kann nicht übersehen werden, dass dadurch, weil in vielen Volksschulen verstärkt Hilfsunterricht organisiert wurde, weitere zaghafte Schritte in Richtung schulischer Integration durchgeführt wurden“ (Grosch 1983, S. 7).

Neben diesen ersten einzelnen integrativen Maßnahmen wurde in den 50er Jahren ebenfalls der Ausbau des Spezialschulwesens vorangetrieben. Dieser Ausbau führte zu einem akuten Raum- und Lehrermangel, der sich trotz intensiver Bemühungen noch bis in die 70er Jahre nicht in Griff bekommen ließ. Es kam bereits 1946/47 zu der Gründung des ersten schulpsychologischen Büros (PPT)[6], die bis 1955 noch beachtlich erweitert wurden. „Das im Gesetz angeregte, vergrößerte Angebot von Hilfsunterricht erforderte natürlich auch einen umfangreichen Ausbau von schulpsychologischen Stationen, da nur sie in der Lage waren, qualifizierte Diagnosen zu stellen“ (Grosch 1983, S. 8). Es folgte ebenfalls eine Gründung eines Direktorats für Spezialschulen. In einem 1951 erlassenen Spezialschulgesetz wurden der Ausbau folgender Schularten gesetzlich festgelegt:

Schule für

Taube und Hörbehinderte

Blinde und Sehbehinderte

Kinder mit geringen Fähigkeiten

Sprach- Lese- und Schreibschwierigkeiten

Kinder und Jugendliche mit Anpassungsschwierigkeiten

Ebenfalls verankert wurde die Verpflichtung des Staates die Ausgaben für die Spezialschulen und deren Schülern zu übernehmen. Angeregt wurden diese radikalen Veränderungen im Schulsystem einerseits durch die Missstände der Jahre vor und nach dem Krieg sowie andererseits durch die positiven Schulentwicklungen, die Norwegen in den skandinavischen Nachbarländern beobachten konnten.

[...]


[1] Brigitte Schumann "Mut fürs Leben mitgeben", Frankfurter Rundschau 19. September 2002

[2] PISA steht für „Programme for International Student Assesment“

[3] Im Laufe dieser Arbeit werde ich für eine erleichterte Lesbarkeit die männliche Form verwenden. Ich beziehe ich mich damit sowohl auf das männliche als auch das weibliche Geschlecht.

[4] Im Orginal: Instruction for Degne, Klokkere og Skoleholdere

[5] Im Original: Lov om Almueskolevae senet paa Landet

[6] Im Orginal PPT: pedagogisk-psykologisk tjeneste

Final del extracto de 63 páginas

Detalles

Título
Sonderpädagogische Beschulung in Norwegen
Universidad
University of Frankfurt (Main)
Calificación
2
Autor
Año
2004
Páginas
63
No. de catálogo
V88380
ISBN (Ebook)
9783638028196
Tamaño de fichero
4880 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Sonderpädagogische, Beschulung, Norwegen
Citar trabajo
Christophe Rafflenbeul (Autor), 2004, Sonderpädagogische Beschulung in Norwegen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88380

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Título: Sonderpädagogische Beschulung in Norwegen



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