Aufgrund seiner vor 1933 gemachten programmatischen Aussagen und deren Umsetzung in die Praxis bis 1939 orientiere ich mich an der These, dass Hitler von einem "Programm" mit zwei dogmatisch fixierten „Endzielen“, „Rassenherrschaft“ und „Lebensraum im Osten“, geleitet wurde. Als Folge des konkreten Ablaufs außenpolitischen Agierens und Reagierens war er allerdings gezwungen, mit temporären Kompromissen zu leben und Variationen zu akzeptieren. In seinem "Programm“, das der Realisierung dieser Ziele galt, waren rassenideologische und machtpolitische Denkstrukturen ineinander verwoben. Auch im Falle Großbritanniens, das als "Idealpartner“ eine festumrissene, wenngleich untergeordnete Funktion in Hitlers "Programm“ hatte, gingen diese Komponenten eine charakteristische Synthese ein.
Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 ohne Kriegserklärung "entfesselte" Hitler den europäischen Krieg. Als Folge sah er sich einer Machtkonstellation gegenüber, die seinen "programmatischen" Freund-Feind-Vorstellungen widersprach. Großbritannien, das er als "idealen" Bündnispartner zur Absicherung der Ostexpansion betrachtete, hatte dem Reich den Krieg erklärt. Zugleich befand er sich in Abhängigkeit von der Sowjetunion, deren Vernichtung das Hauptziel seines "Programms“ war.
Was also blieb nach dem 3. September 1939 noch übrig von der Idee Hitlers einer Partnerschaft mit England auf der Grundlage einer Interessenabgrenzung und der unterstellten gemeinsamen Abwehrhaltung gegen den „jüdisch-bolschewistischen Weltfeind“? Wie verhielt es sich mit den „rassisch wertvollen Elementen“ in England, die Hitler als substantielle Basis gegen den „jüdischen Einfluß“ glaubte in Rechnung stellen zu können? Vor allem aber: Welche Auswirkungen hatte das Englandbild Hitlers auf seine Strategie und Bündnispolitik bis 1945? Diese Frage soll denn auch im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Hier wird das Feld der Perzeptionsproblematik betreten.
Denn Kräfteverhältnisse, Aktionen und Reaktionen, die der Historiker im Nachhinein rekonstruieren kann sind eine Sache; ihre oft verzerrte Wahrnehmung ist etwas anderes, das aber für das Denken und Agieren der Akteure ausschlaggebend ist. In diesem Rahmen sollen nicht die militärischen und diplomatischen Aktionen in den Kriegsjahren 1939-1945 als solche aufgezählt und im Einzelnen geschildert werden. Sie sind nur unter der speziellen Perspektive interessant, wie sie Hitlers Haltung zu England widerspiegeln oder Aussagen über diese ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
- I. Hitlers deutsch-englische Allianzkonzeption der zwanziger Jahre und erste vergebliche Realisierungsversuche (1933 bis 1937)
- II. Realisierungsversuch durch eine Politik des diplomatischen Drucks und der militärischen Drohung (1937/38 bis 1939)
- III. Realisierungsversuch durch die Demonstration der militärischen Macht (September 1939 bis Mai 1940)
- IV. Realisierungsversuch durch die Anwendung militärischer Gewalt Die Wendung des europäischen Krieges von Ost nach West (Mai 1940 bis Juni 1941)
- V. Realisierungsversuch durch eine Ziel-Mittel-Vermischung Die Wendung des europäischen Krieges von West nach Ost (Juni 1941 bis Dezember 1941)
- VI. Der Weltkrieg: Hitler und England Die alte Formel der zwanziger Jahre Neue illusionäre Hoffnung und Spekulationen 1942
- VII. Die letzte Phase des Krieges: Hitler und England Die alte Strategie von 1940 - Verlagerung des militärischen Schwerpunktes von Ost nach West (1943 bis 1945)
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Einfluss von Hitlers Englandbild auf seine strategischen Entscheidungen im Zweiten Weltkrieg. Sie analysiert, wie seine Wahrnehmung Großbritanniens seine Außen- und Bündnispolitik prägte und wie sich diese Wahrnehmung im Laufe des Krieges entwickelte. Die Arbeit vermeidet eine bloße Aufzählung militärischer und diplomatischer Aktionen, sondern konzentriert sich auf die zugrundeliegende Perzeptionsproblematik.
- Hitlers deutsch-englische Allianzkonzeption
- Entwicklung des Englandbildes Hitlers im Laufe des Zweiten Weltkriegs
- Der Einfluss des Englandbildes auf Hitlers strategische Entscheidungen
- Die Rolle Großbritanniens in Hitlers "Programm" von Rassenherrschaft und Lebensraum im Osten
- Die Diskrepanz zwischen Hitlers programmatischen Zielen und der Realität des Krieges
Zusammenfassung der Kapitel
I. Hitlers deutsch-englische Allianzkonzeption der zwanziger Jahre und erste vergebliche Realisierungsversuche (1933 bis 1937): Dieses Kapitel analysiert Hitlers frühe Konzeption einer deutsch-englischen Allianz und die ersten Versuche, diese in die Tat umzusetzen. Es beleuchtet die ideologischen und geopolitischen Hintergründe dieser Konzeption und zeigt auf, warum die frühen Versuche scheiterten. Die Geheimkonferenz vom 5. November 1937 wird als Schlüsselereignis analysiert, das Hitlers expansive Raumpolitik und seine Einschätzung der Lage verdeutlicht. Der Bezug zu "Mein Kampf" und die Verknüpfung von sozialdarwinistischem Denken und Geopolitik werden detailliert untersucht.
II. Realisierungsversuch durch eine Politik des diplomatischen Drucks und der militärischen Drohung (1937/38 bis 1939): Dieses Kapitel befasst sich mit der Phase, in der Hitler versuchte, durch diplomatischen Druck und militärische Drohungen eine Allianz mit England zu erreichen oder zumindest eine Abgrenzung der Interessen zu erzielen. Die Entwicklung der internationalen Beziehungen wird im Detail beleuchtet, wobei insbesondere der Fokus auf die Reaktionen Großbritanniens und die sich daraus ergebenden Herausforderungen für Hitlers Pläne gelegt wird. Der scheiternde Versuch, England durch militärische Drohgebärden zu beeindrucken, wird analysiert und in den Kontext der damaligen internationalen Lage eingeordnet.
III. Realisierungsversuch durch die Demonstration der militärischen Macht (September 1939 bis Mai 1940): Dieses Kapitel untersucht den Zeitraum nach dem Überfall auf Polen und den Ausbruch des Krieges. Es analysiert, wie Hitler die militärische Macht als Mittel zur Erreichung seiner Ziele gegenüber England einsetzte und wie die sich verändernde militärische Lage seine Strategie beeinflusste. Die Erfolge der Blitzkriege und ihre Auswirkungen auf Hitlers Englandbild und seine politische Kalkulation stehen im Mittelpunkt der Analyse. Die wachsende Diskrepanz zwischen Hitlers Zielen und der tatsächlichen Entwicklung der Situation wird hervorgehoben.
IV. Realisierungsversuch durch die Anwendung militärischer Gewalt Die Wendung des europäischen Krieges von Ost nach West (Mai 1940 bis Juni 1941): Dieses Kapitel beleuchtet die Phase nach dem Fall Frankreichs und die strategische Wendung des Krieges. Es konzentriert sich darauf, wie Hitlers Anwendung militärischer Gewalt seine Beziehung zu England und seine weiteren Kriegsziele beeinflusste. Die Analyse beleuchtet die Gründe für die Wendung des Krieges von einer West- auf eine Ost-Strategie und wie sich dies auf das Englandbild Hitlers auswirkte. Die damit verbundenen strategischen Fehlentscheidungen werden im Detail beleuchtet.
V. Realisierungsversuch durch eine Ziel-Mittel-Vermischung Die Wendung des europäischen Krieges von West nach Ost (Juni 1941 bis Dezember 1941): Dieses Kapitel befasst sich mit dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion und der damit verbundenen strategischen Verschiebung. Es analysiert, wie die Verfolgung unterschiedlicher Ziele (der "Lebensraum im Osten" und die Allianz mit England) zu einer Ziel-Mittel-Vermischung führte und welche Folgen diese für Hitlers Englandpolitik hatte. Die Analyse konzentriert sich auf die Auswirkungen des Krieges gegen die Sowjetunion auf Hitlers Strategie und die sich daraus ergebende veränderte Wahrnehmung Großbritanniens.
VI. Der Weltkrieg: Hitler und England Die alte Formel der zwanziger Jahre Neue illusionäre Hoffnung und Spekulationen 1942: Dieses Kapitel untersucht den weiteren Verlauf des Krieges und wie sich Hitlers Englandbild weiterentwickelte. Es analysiert, wie sich die anhaltende Kriegsführung auf seine Hoffnungen und Spekulationen bezüglich einer möglichen Allianz oder zumindest einer Kooperation mit England auswirkte. Es beleuchtet die Widersprüche zwischen Hitlers ideologischen Zielen und der politischen Realität. Die Rolle von Illusionen und Fehleinschätzungen wird hier im Detail behandelt.
Schlüsselwörter
Hitler, Englandbild, Zweiter Weltkrieg, Allianzpolitik, Strategie, Rassenideologie, Lebensraum, Geopolitik, Perzeption, Ostexpansion, militärische Macht, diplomatische Beziehungen, Mein Kampf, Hoßbach-Protokoll.
Häufig gestellte Fragen zu: Hitlers Englandpolitik im Zweiten Weltkrieg
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht den Einfluss von Hitlers Wahrnehmung Großbritanniens (seines "Englandbildes") auf seine strategischen Entscheidungen im Zweiten Weltkrieg. Der Fokus liegt nicht auf einer bloßen Chronologie militärischer und diplomatischer Ereignisse, sondern auf der Analyse der zugrundeliegenden Perzeptionsproblematik und deren Auswirkungen auf Hitlers Politik.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt Hitlers deutsch-englische Allianzkonzeption, die Entwicklung seines Englandbildes während des Krieges, den Einfluss dieses Bildes auf seine strategischen Entscheidungen, die Rolle Großbritanniens in Hitlers Expansionsplänen ("Lebensraum im Osten"), und die Diskrepanz zwischen Hitlers Zielen und der Realität des Krieges.
Welche Phasen von Hitlers Englandpolitik werden untersucht?
Die Arbeit gliedert Hitlers Englandpolitik in verschiedene Phasen: seine frühen Versuche einer Allianz in den 1930er Jahren (unter Einsatz von Diplomatie und Drohungen), den Einsatz militärischer Macht nach 1939, die strategische Wendung des Krieges von West nach Ost und wieder zurück, und schließlich die letzte Phase des Krieges.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert, die jeweils eine spezifische Phase von Hitlers Englandpolitik behandeln. Jedes Kapitel bietet eine detaillierte Analyse der relevanten Ereignisse und deren Kontextualisierung im Hinblick auf Hitlers Englandbild und seine strategischen Ziele. Ein Inhaltsverzeichnis und Kapitelzusammenfassungen sind enthalten.
Welche Rolle spielt Hitlers "Mein Kampf" in der Analyse?
Hitlers "Mein Kampf" wird als wichtiger Bezugspunkt für die Analyse seiner Ideologie und seiner geopolitischen Vorstellungen herangezogen, um seine Englandpolitik besser zu verstehen.
Welche Schlüsselereignisse werden analysiert?
Wichtige Ereignisse, die analysiert werden, sind unter anderem die Geheimkonferenz vom 5. November 1937, der Überfall auf Polen, der Fall Frankreichs, der Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion und die sich daraus ergebenden strategischen Entscheidungen Hitlers.
Welche Schlussfolgerungen werden gezogen?
Die Arbeit zeigt, wie Hitlers verzerrtes und sich veränderndes Englandbild seine strategischen Entscheidungen maßgeblich beeinflusste und zu Fehlkalkulationen und letztendlich zum Scheitern seiner Pläne beitrug. Die Analyse betont die Bedeutung der Perzeption und die Gefahren einer ideologisch geprägten Realitätswahrnehmung in der Politik.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren den Text?
Schlüsselwörter sind: Hitler, Englandbild, Zweiter Weltkrieg, Allianzpolitik, Strategie, Rassenideologie, Lebensraum, Geopolitik, Perzeption, Ostexpansion, militärische Macht, diplomatische Beziehungen, Mein Kampf, Hoßbach-Protokoll.
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- MAGISTER ARTIUM Udo Schmidt (Author), 1998, Hitlers Englandbild und seine strategischen Entscheidungen im Zweiten Weltkrieg, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88544