Videostudie. Vor- und Nachteile einer empirischen Methode


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Vorteile von Videostudien

3 Nachteile bzw. methodologische Herausforderungen
3.1 Datenerhebung
3.2 Invasivität und Kameraeffekte
3.3 Selektivität und Standardisierung der Aufzeichnung
3.4 Digitalisierung und Transkription
3.5 Die Wahl der Analyseeinheit
3.5.1 Niedrig inferente Kodierungen
3.5.2 Hoch inferentes Qualitätsrating

4 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Videobasierte Unterrichtsanalysen stellen eine wertvolle, methodische Erweiterung der Unterrichtsforschung dar. Videoaufnahmen werden heutzutage nicht mehr nur zur Dokumentation von Einzelfällen eingesetzt, sondern können auch zur Erfassung eines repräsentativen Querschnitts der Unterrichtspraxis herangezogen werden. Die ersten Videostudien waren die TMSS 1995 Video Study[1] und die TIMSS 1999 Video Study[2], die unter Führung amerikanischer Wissenschaftler im Anschluß an die internationalen TIMSS - Leistungstests durchgeführt wurden. Eine der ersten großangelegten Videostudien im Bereich Geschichte, stellt das schweizerische Projekt „Geschichte und Politik im Unterricht“ dar.[3]

Videostudien haben das Ziel, Unterricht in seiner Repräsentativität zu beschreiben und zu vergleichen, um Hinweise auf die Ursachen von Leistungsunterschieden im konkreten Unterrichtsgeschehen zu finden. In dieser Arbeit sollen die spezifischen Vorteile dieser empirischen Methode gerade für das Fach Geschichte dargestellt, aber auch die in der Praxis sich zeigenden Schwierigkeiten erörtert werden. Die methodologischen Herausforderungen zeigen sich bei der Datenerhebung, Datenaufbereitung sowie bei der Datenanalyse.

2 Vorteile von Videostudien

Videotechnologie ist nach ihrem ersten Auftreten in der Unterrichtsforschung wieder ein viel beachtetes Thema.[4] Bis vor 30 Jahren waren dem Einbezug von Ton- und Bilddokumenten für Zwecke der Unterrichtsforschung enge Grenzen gesetzt. Die Videotechnologie hat eine Qualitätssteigerung bei gleichzeitiger Kostenabnahme erfahren. In den 1970er und 1980er-Jahren wurden Schulklassen in hochtechnisierten Mitschauanlagen aufgezeichnet. Heute dagegen ist der finanzielle sowie technische Aufwand vergleichsweise gering. Digitale Videogeräte und Funkmikrophone in den Klassenzimmern liefern technisch höherwertige Ergebnisse. Gute Tonaufnahmen ohne störendes Rauschen sind schon mit Standardgeräten zu realisieren. Computergestützte Videoformate erlauben zudem eine verbesserte Archivierung, Distrubuierung, Bearbeitung und Analyse auch großer Datensätze mit Hilfe qualitativer Datenanalysesoftware wie z. B. Prism TM, Videograph, Catmovie oder ATLAS.ti. Die erweiterten technischen Möglichkeiten wurden von einer Reihe von Autoren in ihrem Wert für die Unterrichtsforschung erkannt und in wissenschaftliche Entwicklungen überführt.[5]

Die Vorteile von Videostudien ergeben sich angesichts der Grenzen von Fragebögen, Interviews und Unterrichtsbeobachtungen, welche die Daten durch das jeweilige Erhebungsinstrument (Items, Skalen, Leitfaden und Protokollraster) und die dahinter liegenden theoretischen Annahmen in hohem Maße vorstrukturieren.[6] Im Gegensatz zu herkömmlichen Untersuchungsmethoden müssen bei Videoanalysen Fragestellungen und Kategorienraster nicht bereits vor der Erhebung bis ins Detail festgelegt werden. Dadurch kann eine gewisse Offenheit gegenüber noch nicht bekannten Sachverhalten gewährleistet werden.[7]

Die Beobachtung von Unterricht erfolgt immer auf der Basis des eigenen Vorwissens. Das Bekannte, zu dessen Erfassung bereits Begriffe und Kriterien verfügbar sind, wird erkannt. Postulat jeglicher empirischer Analysen sollte die Offenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand sein. Dies schließt die Überlegung ein, dass das Vorverständnis gegenüber dem Beobachteten nur ein vorläufiges sein kann. Fragebögen und die subjektive nicht videografierte Beobachtung bergen die Gefahr, dass die Vorannahmen, die sich in der Fragestellung widerspiegeln, in der anschließenden Interpretation ihren Niederschlag finden. Auch wenn die „Offenheit für Neues“ theoretisch expliziert wird, ist sie eben nur theoretische Optimalvorstellung und in der Praxis nicht haltbar. Durch die Möglichkeit der wiederholten Betrachtung des Gegenstandes zu unterschiedlichen Zeitpunkten und von verschiedenen Personen wird die Gefahr einer durch Vorannahmen geprägten Interpretation minimiert. So fördert die Auseinandersetzung mit Unterrichtsvideos die Explizierung und Erweiterung des Wissens über reale Lehr- Lernzusammenhänge.[8]

Das Unterrichtsgeschehen läßt sich unmittelbar in großer Anschaulichkeit und Lebendigkeit beobachten. Die Handlungen und Interaktionen der Lehrpersonen und Lernenden zeigen sich realitätsnah in ihrer Prozeßhaftigkeit. Im Unterschied zu anderen Medien transportieren Filme die Informationen gleichzeitig in mehreren Symbolsystemen. Eine hohe kognitive sowie emotionale Aktivierung der Beobachter ist somit gewährleistet. Durch diese Unmittelbarkeit und Fülle von Informationen wird eine authentische Auseinandersetzung mit realen Unterrichtssituationen möglich. Der Vorteil bei diesem Beobachtungsverfahren ist, dass der Betrachter nicht unmittelbar unter Handlungsdruck steht.[9] Ausgehend von dem aufgezeichneten Datenmaterial kann der reale Unterricht aus verschiedenen Perspektiven und unter mannigfaltigen Gesichtspunkten analysiert werden. Bei Untersuchungen, die Experten verschiedener Spezialgebiete einschließen, wird eine fachübergreifende Kommunikation anhand der visuellen Beispiele möglich. Allerdings bleibt es erforderlich, eine gemeinsame Sprache für die videografierten Phänomene zu formen und zwar nicht nur bei der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Disziplinen wie Fachdidaktik, Allgemeindidaktik und Erziehungswissenschaften, sondern auch bei international vergleichenden Videostudien. Der Kooperation internationaler oder transdisziplinärer Teams muss gerade bei Kultur vergleichenden Studien ein hoher Wert beigemessen werden: Die eigene Praxis kann im Lichte des fremdem Unterrichts neu hinterfragt und diskutiert werden. Auch eine zukünftige Kontrastierung in der historischen Rückschau ist mit Hilfe von Videodaten denkbar. Mit Videoaufnahmen ist es möglich über einen wichtigen Teil unserer kollektiven Kultur, den Bildungsprozeß, ein objektiviertes Gedächtnis herzustellen.[10]

Zudem wird durch Videoaufnahmen die Komplexität von Unterrichtsprozessen besser erfaßt und es wird so einem pädagogischen sowie didaktischen Dilemma entgegengewirkt. Denn oftmals werden allgemeine Qualitätsurteile aufgrund einzelner Beobachtungen gefällt.[11] Gerade für die Untersuchung des Geschichtsunterrichts, bei dem noch nicht auf eine gründliche Vorkenntnis des zu erforschenden Gegenstandes zurückgegriffen werden kann, scheint darüber hinaus die geringere Subjekt- und Theoriegebundenheit von Videodaten ein wichtiger Vorteil zu sein.[12]

Anschaulichkeit, Informationsdichte und Realitätsnähe bedeuten den medienspezifischen Mehrwert von videografiertem Material und erlauben einen adäquaten Umgang mit der Komplexität von Unterrichtsprozessen, mehr als Selbstberichte und Fragebögen dies tun. Eine Kombination aus beiden (Videoaufnahmen und Fragebögen), wie es bei der TIMSS 1999[13] oder der Videostudie „Geschichte und Politik im Unterricht“[14] der Fall ist, bedeutet eine noch größere Annäherung an den Untersuchungsgegenstand.

[...]


[1] Vgl. Stigler e.a. 1999.

[2] Vgl. Hiebert.

[3] Es liegen bis dato noch keine Ergebnisse dieser Videostudie vor.

[4] Vgl. Wild ; Ulewicz & Beatty 2001; Aufschnaiter .

[5] Vgl. Stigler 1998; Stigler, Gallimore & Hiebert 2000; Reusser, Pauli & Zollinger 1998; Stigler, Gonzales, Kawanka, Knoll & Serrano 1999.

[6] Vgl. Petko e. a., S. 265.

[7] Vgl. Waldis e. a., S. 161f.

[8] Vgl. Krammer/ Reusser, S. 84.

[9] Vgl. Brophy , S. 287; Sherin, S. 20.

[10] Vgl. Krammer / Reusser, S. 83.

[11] Vgl. Waldis e. a., S. 161.

[12] Vgl. Waldis e. a., S. 161f.

[13] Vgl. Stigler e. a. 1999.

[14] Vgl. Waldis e. a..

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Videostudie. Vor- und Nachteile einer empirischen Methode
Hochschule
Universität Münster
Veranstaltung
Geschichtsdidaktische Lehr- und Lernforschung
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V88644
ISBN (eBook)
9783638030045
ISBN (Buch)
9783638927857
Dateigröße
455 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Videostudie, Geschichtsdidaktische, Lehr-, Lernforschung
Arbeit zitieren
Simone Bender (Autor:in), 2008, Videostudie. Vor- und Nachteile einer empirischen Methode, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88644

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