Eine kritische Auseinandersetzung mit dem christlich-fundamentalistischen Nachfolgeideal der Auferweckungsbewegung „The Call“

Eine Unterrichtsreihe in einem GK Katholische Religion 12


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2007

84 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II Planung der Unterrichtsreihe
1 Bedingungsfelder
1.1 Die Lerngruppe
1.2 Schulorganisatorische Bedingungsfaktoren
2 Didaktische Analyse
2.1 Nachfolge
2.2 Der Dokumentarfilm „Jesu' junge Garde“
2.2.1 Der Inhalt des Films
2.2.2 Didaktische Überlegungen zum Einsatz des Films
2.2.2.1 Die Intention des Films
2.2.2.2 Die Nutzung des Mediums „Film“ in Bezug auf den Dokumentarfilm
„Jesu' junge Garde – Die christliche Rechte und ihre Rekruten“
2.3 Die Auferweckungsbewegung „The Call“
2.4 Einbettung der Reihe: Bezug zum Halbjahresthema „Jesus Christus“
2.5 Lehrplanbezug
2.6 Das Thema im Horizont der Lerngruppe
2.7 Didaktische Reduktion: Der Aufbau der Unterrichtsreihe
2.8 Die übergeordneten Lernziele der Unterrichtsreihe
3 Methodische Überlegungen
3.1 Allgemeine methodische Überlegungen
3.2 Textarbeit
3.3 Filmbetrachtung
3.4 Sozialformen: Arbeitsteilige Gruppenarbeit und arbeitsgleiche Partner- und Einzelarbeit
3.5 Collagen- und Plakatarbeit
3.6 Phasen der Stellungnahme und persönlichen Reflexion

III Durchführung der Unterrichtsreihe
1 Überblick über die erste Stunde
1.1 Methodisch-didaktische Überlegungen
1.2 Lernziele
1.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
1.4 Kurzreflexion
2 Überblick über die zweite Stunde
2.1 Methodisch-didaktische Überlegungen
2.2 Lernziele
2.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
2.4 Kurzreflexion
3 Überblick über die dritte Stunde
3.1 Methodisch-didaktische Überlegungen
3.2 Lernziele
3.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
3.4 Kurzreflexion
4 Überblick über die vierte Stunde
4.1 Methodisch-didaktische Überlegungen
4.2 Lernziele
4.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
4.4 Kurzreflexion
5 Überblick über die fünfte Stunde
5.1 Methodisch-didaktische Überlegungen
5.2 Lernziele
5.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
5.4 Kurzreflexion
6 Detaillierte Darstellung der sechsten Stunde
6.1 Didaktische Analyse
6.2 Methodische Überlegungen und Entscheidungen
6.3 Lernziele
6.4 Geplanter Unterrichtsverlauf
6.4 Kurzreflexion

IV Gesamtreflexion – Nachbetrachtung der Unterrichtsreihe
1 Beteiligung des Kurses
2 Lernziele und Lernerfolge
3 Überlegungen zum Konzept
4 Vorschläge zur Leistungsmessung
5 Möglichkeiten zur Weiterarbeit

Bibliographie
Verwendete Literatur
Filmangaben
Internetquellen

Anhang
Unterrichtsmaterialien
Arbeitsblatt AB Stunde 1
Arbeitsblatt AB Stunde 2/1
Arbeitsblätter AB Stunde 2/2
Arbeitsblätter AB Stunde 4/1
Arbeitsblatt AB Stunde 4/2
Arbeitsblatt AB Stunde 6
Evaluationsbogen zur Unterrichtsreihe
Evaluationsbogen zur Unterrichtsreihe - Auswertung

I Einleitung

Seit Beginn der 90er Jahre geht die Anzahl der Kirchenaustritte in Deutschland zwar stetig zurück,[1] dennoch kämpfen die Volkskirchen mit dem Schwinden ihrer Anhänger; die Verbliebenen sind vorwiegend ältere Menschen. Leere Kirchen und zu wenig Priester scheinen von einer spirituellen Krise des deutschen Christentums zu zeugen, die sich auch zur ökonomischen Krise der Bistümer auswächst: Gemeinden werden zusammengelegt, Immobilien verkauft und Unternehmensberatungen konsultiert. Doch während die Volkskirchen schrumpfen und überaltern, erlebt Deutschland einen religiösen Boom, eine christliche Renaissance, die an ihnen vorbei zu gehen scheint. Alternative Glaubensgemeinschaften, v.a. Freikirchen, verzeichnen einen hohen Zulauf, insbesondere an jungen Menschen.[2] Evangelikale Auferweckungsbewegungen, die in Deutschland mehr und mehr Fuß fassen, zeugen von einer Amerikanisierung der Spiritualität und Religiosität. „Historisch gesehen kommen mit [dem erwecklichen Christentum] die einst aus Europa verdrängten spiritualistischen und „wiedertäuferischen" Strömungen zurück.“[3] Doch weshalb sind sie so erfolgreich?

Zum einen ist sicherlich die Form der praktizierten Spiritualität für junge Menschen attraktiver, als die Liturgien der Volkskirchen – Christliche Rockmusik, Gottesdienste mit Eventcharakter, sinnliche Erfahrbarkeit von Glauben, etc. Zwar gab und gibt es auch in regulären römisch-katholischen wie evangelischen Kirchengemeinden Jugendgottes-dienste, die mit eben diesen Elementen „aufgepeppt“ werden (man erinnere sich an die sog. Techno-Gottesdienste), dies bleibt jedoch die Ausnahme. Das Erfolgsrezept der Freikirchen ist es, diese Ausnahmen zur Regel zu machen und so vor allem jungen Menschen zugewandt zu sein. Ein Vergleich der Liturgien mag Hinweise offenbaren, weshalb Jugendliche sich von den Volkskirchen ab und den Freikirchen zuwenden, jedoch reicht dies nicht aus, um den Zulauf von außerhalb eines christlich-religiösen Umfeldes zu erklären. So könnte man soziologisch argumentieren und vermuten, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen den Jugendlichen verwehren, was die religiösen Gemeinschaften ihnen bieten, z.B. Hoffnung, Zukunftsoptimismus, Zusammenhalt und ein festes Wertesystem zur Orientierung. Jedoch soll innerhalb der Unterrichtsreihe weniger relevant sein, weshalb Jugendliche sich Glaubensgemeinschaften wie The Call überhaupt zuwenden, sondern weshalb diese für Jugendliche attraktiver sind als die Volkskirchen – und eben diese Attraktivität soll kritisch hinterfragt werden.

„Jesus verkündete das Himmelreich; was kam, war die Kirche.“ Dieser berühmte Ausspruch von Alfred Loisy drückt zweierlei aus: zum einen die Enttäuschung über die ausgebliebene Ankunft des Reiches Gottes, zum anderen den Zweifel, ob die Kirche denn wirklich in der Tradition Jesu steht. Nun gibt es zwar apologetische Ansätze, die Kirche als Institution in ihrer Gestalt und Entstehungsgeschichte zu rechtfertigen, es bleibt jedoch die Frage, inwiefern ein solcher auch bürokratischer Apparat dem Auftrag Jesu, den er an seine Jünger weitergab, dient und dienen kann. Die Antwort vieler alternativer Glaubensgemeinschaften dazu wäre wohl eindeutig: gar nicht. „Das Konzept [der] „Rückkehr ins Urchristentum“ ist [nicht zuletzt deshalb] kennzeichnend für alle Ausdrucksformen erwecklicher Frömmigkeit.“[4]

Im Rahmen des übergeordneten Themas des Halbjahres 12/1 'Jesus Christus' soll dieses Konzept anhand des Beispiels der Auferweckungsbewegung The Call näher betrachtet werden, indem das Ideal der Nachfolge Jesu, in der konkreten Umsetzung dieser Glaubensgemeinschaft, untersucht und diskutiert wird. Der Titel dieser Arbeit „Wenn Jesus heute...“ spielt auf das Selbstverständnis von The Call an, originale Jünger Jesu zu sein und in der heutigen Zeit ihren Glauben so zu leben, wie es seine Nachfolger schon vor gut 2000 Jahren taten. Inwiefern ist dieser Anspruch, in direkter Tradition Jesu und der Jünger zu stehen, berechtigt? Wie ist die Form der Spiritualtität, die aus diesem Selbstverständnis resultiert, zu bewerten? Welche Konsequenzen ergeben sich dafür eventuell für die eigene Spiritualität? Diese Fragestellungen sollen zielführend für diese Unterrichtsreihe sein.

II Planung der Unterrichtsreihe

1 Bedingungsfelder

1.1 Die Lerngruppe

Der MSS-Kurs kR12G1 setzt sich aus 14 Schülerinnen und 8 Schülern[5] zusammen und wird von mir seit Beginn des betreuten Unterrichts im Schuljahr 2006/07, zunächst unter Anleitung von Herrn XXX und seit dem zweiten Schulhalbjahr eigenverantwortlich, unterrichtet. Das Klassenklima ist insgesamt als positiv zu bewerten und durch lockeren aber auch respektvollen Umgang miteinander, auch unter den Schülern, geprägt. Es handelt sich um einen netten Kurs, in dem es möglich ist, konsequent und konzentriert zu arbeiten.

Der Kurs hat Freude daran, kontrovers zu diskutieren. Die vertrauensvolle und zum Teil schon fast herzliche Atmosphäre ermöglicht es, recht persönliche Ansichten und Erfahrungen – von Schüler- und Lehrerseite – in den Unterricht mit einzubringen, ohne Gefahr zu laufen, ausgelacht zu werden. Dass einige der Schüler sich selbst als 'nicht gläubig' bezeichnen, ist daher selten hinderlich, sondern eher als fruchtbar zu bezeichnen. Die eigene (nicht)vorhandene Spiritualität der Schüler ist immer wieder Thema im Unterricht, weshalb zu erwarten ist, dass die Form der Spiritualität, die im Dokumentarfilm ‚Jesu junge Garde’ dargestellt wird, emotional kommentiert und treffend analysiert werden kann.

In dem Kurs mit insgesamt 22 Schülern ist eine recht breite Streuung von Beiträgen möglich, obwohl es ebenso leistungstragende wie zurückhaltende Schüler gibt. Insbesondere die Schüler Katja, Karl und Kirstin verfügen über ein auffallend hohes Maß an Reflexions- und Transfervermögen, das gezielt eingesetzt werden kann, indem diesen drei z.B. schwierigere Teilaufgaben zugeteilt werden u. ä. Die Schüler Eva, Sandra und Martin sind sehr zurückhaltend mit mündlichen Beiträgen, obwohl an ihrer Arbeitshaltung und schriftlichen Ergebnissen abzulesen ist, dass sie stets dem Unterrichtsgegenstand folgen. Diese Schüler können gezielt aufgerufen werden, um z.B. Teilergebnisse zusammenzufassen. Die Schüler Karsten, Marc, Anton und Daniel tragen durch ihre lebendige Art zwar viel zum Unterricht und dessen Auflockerung bei, können jedoch auch für eine teils negative Unruhe sorgen. Bei Gruppenarbeiten ist deshalb dringend darauf zu achten, Schüler der eben beschriebenen Typen zu mischen und nicht gemeinsam in eine Gruppe einzuteilen; um Gruppenarbeitsphasen möglichst produktiv und ergebnisorientiert zu gestalten, wird den Schülern also nur selten die Gruppeneinteilung freigestellt und diese meistens von der Lehrperson vorgenommen.

1.2 Schulorganisatorische Bedingungsfaktoren

In der Mainzer Studienstufe der XXX-Schule werden die Kursarbeiten zentral festgelegt. Die Art der Organisation hat zweierlei Konsequenzen für den Unterricht. Zum einen kann es vorkommen, dass der Unterricht nicht offiziell ausfällt und mehrere Schüler dennoch aufgrund einer schriftlichen Prüfung nicht anwesend sind; zum anderen ist es nicht möglich den Kursarbeitstermin im eigenen Fach flexibel zu wählen. Um die Unterrichtsreihe dieser Examensarbeit ungestört halten zu können, musste ein recht später Starttermin gewählt werden, da die Kursarbeit im Fach Religion für das Halbjahr 12/1 auf den 06. November gelegt wurde.

Die Unterrichtsverteilung auf die Tage Dienstag und Donnerstag ist recht günstig, da Konferenzen an der ADS in der Regel Mittwochs stattfinden. Am Dienstag, den 20. November, fällt wegen eines Studientages jedoch der gesamte Unterricht aus, weshalb eine einwöchige Pause zwischen der dritten und vierten Stunde der Examensreihe liegt. Dies ist bei der Sicherung der Ergebnisse der dritten Stunde dringend zu berücksichtigen.

Donnerstags liegt der Religionsunterricht in der siebten Stunde. Da manche Schüler hin und wieder außerhalb von XXX in der Mittagspause (13:25-14:15) essen gehen, kommt es hin und wieder vor, dass eine ganze Gruppe zu spät zum Unterricht erscheint, was den Beginn der Stunde erheblich stören kann. Auch wenn sich dieser Zustand erheblich gebessert hat, sind trotzdem entsprechende Puffer in der Planung der Donnerstagsstunden vorzusehen.

2 Didaktische Analyse

2.1 Nachfolge

Wörtlich bedeutet der Begriff „Nachfolge“ das „Gehen hinter einem andern, der vorausgeht“[6] ; dieser Jemand ist Jesus Christus. Die Nachfolge Christi beschreibt ursprünglich also „die Berufung der Jünger durch Jesus zum das ganze Leben umfassenden Dienst für das Reich Gottes.“[7] Dieser lebenslange und -umfassende Dienst schließt das wortwörtliche „Hinterhergehen“, sprich das Umherziehen gemeinsam mit Jesus in seiner Tätigkeit als Wanderprediger, als auch die ideelle Ausrichtung der eigenen Lebensgestaltung an den von Jesus gepredigten und gelebten Werten wie persönliche Besitzlosigkeit, Zuwendung hin zu Menschen am gesellschaftlichen Rand (Sünder, Arme, Kranke, etc.), Verkündigung des Reiches Gottes, Verbreitung der frohen Botschaft, etc., mit ein. Mit dem Anwachsen der christlichen Gemeinde über den arabischen Raum hinaus und der damit einhergehenden Organisation und Institutionalisierung des Christentums ging neben der Naherwartung der Ankunft des Reiches Gottes auch die Ursprünglichkeit des Lebens der ersten Christen immer mehr verloren.

Während den Christenverfolgungen des Altertums blieb die Gemeinschaft der Christen vor allem deshalb bestehen, weil sie sich nicht nur durch „allgemeine Tugenden der Treue, Standhaftigkeit, Todesverachtung, usw.“[8] auszeichnete, sondern „in ihrem neuen Glauben ganz singuläre Bewältigungs- und Trostmöglichkeiten für diese Situation besaß.“[9] Nachfolge wurde zur Teilhabe an Christi Leiden und gewaltsamen Todes, der dem Eingang ins ewige Leben vorsteht.[10] Mit dem Mailänder Toleranzedikt von 313 und der späteren Erhebung des Christentums zur Staatsreligion des Römischen Reiches, stellte das Christ-Sein keine Gefährdung des eigenen Lebens mehr dar und wurde Teil normalen gesellschaftlichen Lebens.

Die Sehnsucht nach der Ursprünglichkeit des Lebens der ersten Christen[11] erlebte im Mittelalter im Rahmen verschiedener Reformbewegungen, wie der monastischen Armutsbewegung des 13. Jahrhunderts, ein Wiederaufleben. In der Auffassung der Bettelorden der Franziskaner, Dominikaner, Augustiner-Eremiten, Karmeliten und anderer bestand die Nachfolge oder Imitatio Christi in „einer am Auftrag und Vorbild Jesu ausgerichteten Lebensführung“[12] bis in letzter Konsequenz. Daraus ergaben sich das Wanderpredigertum und das Armutsideal dieser Orden. Im Rahmen der Verstädterung des Mönchtums ging auch diese Ausprägung religiöser Lebensgestaltung mehr und mehr zurück.[13]

Im Kontext zeitgenössischer Religiosität und des Volkskirchentums ist Nachfolge in ihrem ursprünglichen Sinn nur noch sehr bedingt möglich, z.B. als Missionar in der Dritten Welt. Für den Menschen als Teil der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist Nachfolge zum festen Begriff christlicher Existenz geworden. Im Vordergrund steht dabei nicht die Nachahmung des Lebens Jesu oder dem hervorragender Christen (z.B. Heilige, Märtyrer), sondern die praktische Konsequenz aus dem Glauben an Jesus.[14] Diese Konsequenz muss von jedem Christen persönlichen reflektiert und in der Umsetzung entschieden werden, getreu dem Spruch eines unbekannten Verfassers:

Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun, er hat keine Füße, nur unsere Füße, um Menschen auf seinen Weg zu führen. Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um den Menschen von ihm zu erzählen. Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest. Wir sind Gottes letzte Botschaft, in Taten und Worten geschrieben.[15]

Ziel dieser Reihe ist es, einen Überblick über den Wandel des Begriffs „Nachfolge“ im Laufe der Kirchengeschichte zu vermitteln, die Umsetzung des Nachfolgeverständnis der Auferweckungsbewegung The Call, anhand der verschiedenen Bedeutungshorizonte von Nachfolge kritisch zu betrachten und in Kontrast dazu den Schülern die Möglichkeit einzuräumen ein eigenes Verständnis von Nachfolge zu entwickeln und mögliche Konsequenzen aus dem persönlichen Glauben abzuleiten.

2.2 Der Dokumentarfilm „Jesu' junge Garde“

Im Zentrum der Unterrichtsreihe steht der Dokumentarfilm der Polylux[16] -Moderatorin Tita von Hardenberg, „Jesu junge Garde“[17], der ein kritisches Portrait des deutschen Zweiges der amerikanischen Auferweckungs-Bewegung ‚The Call’ darstellt.

2.2.1 Der Inhalt des Films

Der Film beginnt mit Ausschnitten eines Massenevents von The Call am Brandenburger Tor in Berlin aus dem Jahre 2003 und zeigt eine ausgelassene Menge von Jugendlichen, die von Rednern bzw. Predigern auf einer Bühne in ihrer Euphorie angeheizt wird. Zwischen lauten Anrufungen Gottes um Salbung und Erlösung, spricht Ben-Rainer Krause, der Deutsche „Kopf“ von The Call von einer heiligen Revolution und dem bevorstehenden Tag des jüngsten Gerichts.

Lou Engle, US-Amerikaner und Gründer von The Call, erzählt von seinen Absichten: Deutschland habe eine Bestimmung, nämlich die Jugend der Welt zu Jesus Christus zu führen. Diese Bestimmung leitet er von der „Begeisterungsfähigkeit“ des deutschen Volkes ab, das sich unter der Stimme von Adolf Hitler einst versammelte. Hitler bezeichnet er aber als einen gebrochenen Mann, der die falsche Stimme hatte. Hieraus scheint sich für ihn auch eine Verpflichtung der Deutschen abzuleiten, an der Sache Jesu Wiedergutmachung für die Verbrechen des Dritten Reiches zu leisten. Seine in den USA angestrebten Ziele, nämlich eine gesellschaftliche Umwälzung herbeizuführen, verfolgt Ben-Rainer Krause in Deutschland mit ähnlichen Methoden. Es wird versucht Anhänger der Bewegung in gesellschaftlich (und politisch) relevanten Positionen zu gewinnen bzw. zu platzieren und so die Gesellschaft zu ‚revolutionieren’. Dieses Bestreben ist in den USA recht erfolgreich: So haben die Verbände und Organisationen der Evangelikalen Christen, der zusammen inzwischen mehr als ein Drittel der amerikanischen Bevölkerung angehören, eine ausgefeilte Infrastruktur für Kommunikation und Einflussnahme. Eigene Radiosender erreichen täglich bis zu 400 Millionen US-Bürger und ranghohe Vertreter treffen sich wöchentlich mit US-Präsident George W. Bush, um in wichtigen politischen Entscheidungen zu beraten. Während Lou Engle die verfassungsrechtlich garantierte Trennung von Staat und Kirche offen als falsch und faktisch nicht-existent bezeichnet, wiegelt Krause die Bemühungen der Mitglieder von The Call in Deutschland lediglich als Vorbildfunktion für die Gesellschaft ab.

In einer Mischung von Veranstaltungsmitschnitten, persönlichen Kommentaren und Experteninterviews werden Lehre, Botschaft und das Selbstverständnis der evangelikalen Christen entfaltet. Uwe Birnstein, evangelischer Theologe und Journalist, setzt sich schon seit Langem mit christlichem Fundamentalismus auseinander und sieht die Entwicklungen in den USA und ihre Anfänge in Deutschland sehr kritisch. Zwar sei eine christliche Präsenz in unserer Gesellschaft grundsätzlich wünschenswert, wenn die christliche Position mit Fundamentalismus und Ideologie durchsetzt sei, werde sie jedoch gefährlich.

Auf der Wetterkuppe in Hessen, in der Nähe von Frankfurt am Main, unterhält The Call ein Schulungszentrum, wo Wochenendseminare für Jugendliche abgehalten werden: Die Holy Revolution School. Dort wird der Zuschauer Zeuge eines Ausbildungsseminars für minderjährige[18] Prediger, sowie eines Kurses in christlichem Heilen, in dem durch intensive Anrufung körperliche Gebrechen mit den Worten „Im Namen Jesus Christus [...], ich spreche vollständige Heilung aus“[19] weggebetet werden sollen. Der jugendliche Kursleiter[20] erklärt dies so:

Es ist ein ganz einfaches Prinzip: Ich glaube fest an das, was in der Bibel steht, die Bibel ist das Wort Gottes, und das funktioniert. Und wenn ich daran glaube und danach handle, weiß ich ganz genau, dass es funktioniert.[21]

Weiter im Angebot ist ein Kurs in christlichem Tanz, der sich nur auf den ersten Blick vom herkömmlichen Jazz Dance kaum unterscheidet. Die Trainerin erklärt worauf es ihr bei Tanzeinlagen in Fußgängerzonen ankommt: aufreizende Kleidung und Bewegungen dürften nicht sein, da so Männer, die eher visuell geprägt seien, so zum gedanklichen Ehebruch verführt würden.

Christliche Tänzer sollen verantwortlich mit ihrer Kleidung, ihrem Körper und ihrem Tanzen umgehen.

Esbjörn Gerking, Ausbilder an der Holy Revolution School, reist nach Washington, um sich dort von seinen Amerikanischen Glaubensbrüdern für seine Bemühungen in Deutschland inspirieren zu lassen. Gemeinsam demonstrieren sie vor dem Obersten Gerichtshof gegen Abtreibung und feiern Gottesdienst in Lou Engles Heim außerhalb von Washington.

Zurück in Deutschland erzählt er an der Holy Revolution School von seinen Erlebnissen. Neben Vortrags- und Ausbildungsangeboten werden auch Auszüge aus Anrufungsfeiern, Segnungsgottesdienste und Gebetsstunden gezeigt. Immer wieder sieht man euphorische Jugendliche in religiöser Verzückung oder Weinende, die unter schwerem Schluchzen zusammenbrechen. Die fünfzehnjährige Hanna erzählt, fest von Gottes Plan für ihr Leben überzeugt zu sein. Die Dokumentation begleitet sie bei der ‚Missionierung’ von jugendlichen Skatern in einer Fußgängerzone und in ihrer Freizeit zu Hause, wo sie freimütig erzählt, immer beim Anblick eines Moslems für diese Person beten zu müssen, weil sie spüre, „dass da ’was fehlt“.[22] Am Ende des Films spricht Hanna von ihrer Bewunderung für die Märtyrer, die für Jesus gestorben sind. Ihr persönliches Ziel sei es, „diese Leidenschaft [zu] bekomme[n], dass ich bis ans Äußerste für IHN gehe.“[23]

2.2.2 Didaktische Überlegungen zum Einsatz des Films
2.2.2.1 Die Intention des Films

Der Dokumentarfilm „Jesu junge Garde – Die christliche Rechte und ihre Rekruten“ stellt in erster Linie ein kritisches Portrait einer christlich-fundamentalistischen Glaubensgemein-schaft dar und wurde auf Basis der Arbeitsthese produziert, dass es in dieser christlichen Bewegung junger Leute „einen Gap [, eine Lücke gibt], zwischen dem sehr modernen Auftreten und den sehr konservativen Inhalten.“[24] Werner Nachtigall, Pastor der Kirche am Südstern/Berlin und Mentor der Gemeinschaft The Call, hat keine Einwände gegen kritische Untertöne des Films und lobt die Macher ausdrücklich, obwohl er Szenen vermisst, in denen klarer gezeigt wird, dass es bei The Call in erster Linie um Jesus und um christliche Werte geht, und nicht nur um euphorisches religiöses Erleben.[25] Trotz dieser internen Billigung bleibt nach der Filmbetrachtung anstatt von Begeisterung ein fahler Nachgeschmack. Ideologische bzw. fanatische Äußerungen zeugen von Intoleranz, z.B. gegenüber Andersgläubigen. Das zur Schau getragene Selbstverständnis der The Call -Anhänger wirkt stellenweise äußerst überheblich; diese Arroganz scheint die Ausgangsthese der Filmemacher zu belegen. Trotz aller kritischer Distanz der Berichterstattung ist es fast unausweichlich The Call als teils manipulative und heuchlerische Organisation wahrzunehmen.

Der Film würde sich als Unterrichtsgegenstand deshalb in erster Linie für eine Reihe zum Thema Fundamentalismus anbieten. Um den Film allerdings für einen Einsatz im Kontext des Halbjahresthemas 12/2 nutzen zu können, müssen verschiedene Adaptionen vorgenommen werden, die im Folgenden beschrieben werden.

2.2.2.2 Die Nutzung des Mediums „Film“ in Bezug auf den Dokumentarfilm „Jesu' junge Garde – Die christliche Rechte und ihre Rekruten“

Das Medium Film ist nur eines von vielen möglichen Hilfsmitteln für den Unterricht. Wie bei allen anderen auch, sei es z.B. ein Text, ein Bild oder ein Musikstück, ist die Aufgabe des Films als Unterrichtsgegenstand zwischen den Schülern und dem zu behandelnden Thema zu vermitteln. H.-J. Frisch postuliert zwei Kriterien zum Einsatz solcher Medien:

1. Ist das gewählte Medium „sachgemäß“, also dem Inhalt angemessen?
2. Ist das Medium „personengemäß“, d.h. dem einzelnen Schüler und der Klasse angemessen?[26]

Um die Sachangemessenheit zu gewährleisten, ist es wichtig den Fokus der Dokumentation von der fundamentalistischen Ausrichtung von The Call zu nehmen und auf die Rezeption des Nachfolgegedankens zu legen. Dies ist möglich, indem durch neues Schneiden des Films (vorgenommen mit herkömmlicher DVD-Authoring-Software) eine Version der Dokumentation hergestellt wird, die den Anforderungen des Unterrichts genügt. So sind Wertungen, Analysen und Einschätzungen – im Film präsent vor allem durch Expertenkommentare des Theologen Uwe Birnstein – aus der im Unterricht gezeigten Version herausgeschnitten worden. Ebenso wurden zum größten Teil Berichte über die Entwicklungen der Evangelikalisierung weiter Teile der Vereinigten Staaten von Amerika entfernt. Relevant sind vor allem jene Szenen, in denen sich Vertreter von The Call zum Selbstverständnis der Gruppe äußern und religiöse und gemeinschaftliche Praktiken, wie Segnungsgottesdienste, Sprachengebete und Heilungen, zeigen. Die Umsetzung der Imitatio Christi von The Call ist für die Schüler so einfacher analysierbar.

Die Angemessenheit des Films in Bezug auf die Zielgruppe, also die Schüler des Religionskurses 12G1 der Alfred-Delp-Schule[27], ist schon fast selbstevident: Zum einen sind die meisten interviewten Personen im gleichen oder ähnlichen Alter wie die Schüler selbst; zum anderen ist an einer kirchlich-katholischen Schule wie der ADS eine gewisse Erfahrungsbasis der Schüler in Bezug auf gemeinschaftlich-religiöse Erlebnisse voraussetzbar – so werden regelmäßig Schulgottesdienste mit modernen Elementen veranstaltet, religiöse Besinnungstage angeboten, sowie Fahrten zu den Weltjugendtagen organisiert. Bei zuletzt genanntem Anlass besteht auch die reelle Möglichkeit, Jugendmissionare von The Call zu treffen bzw. bereits getroffen zu haben.[28] Darüber hinaus ist der Dokumentarfilm in voller Länge auf den Online-Videoportalen Youtube[29] und Googlevideo[30] verfügbar, wo er von den überwiegend jugendlichen Nutzern auch über zwei Jahre nach der Erstausstrahlung auf ARD angeregt diskutiert und kommentiert wird.

Filmen kann generell im unterrichtlichen Kommunikationsprozess ein Eigenwert zugesprochen werden, der auch in diesem konkreten Fall zum Tragen kommt. So erreicht die Darstellung von Aussagen und Sachverhalten einen besonderen Grad der Anschaulichkeit und erleichtert so das Lernen. Darüber hinaus stiftet dieses Medium durch seinen Erlebniswert eine fast unmittelbare Betroffenheit und begünstigt so Motivation und Identifikationsmöglichkeiten für die Schüler.[31] Ein positiver Nebeneffekt der Entfernung von für das Reihenthema irrelevanter Szenen ist die Verkürzung der Gesamtspieldauer von etwa einer dreiviertel Stunde auf ca. 26 Minuten. Die begrenzte Unterrichtszeit einer 45-minütigen Schulstunde ist somit ausreichend, das Vorführungsgerät aufzubauen, den Film zu zeigen und in der verbleibenden Unterrichtszeit den Schülern Gelegenheit zu bieten, erste Eindrücke zu äußern oder Fragen zu klären. Für eine Auswertung des Films und die effektive Weiterarbeit in den Folgestunden ist es unabdinglich, die Filmbetrachtung der Schüler zu lenken. Um den Blick der Schüler jedoch für Aspekte der Umsetzung der Imitatio Christi bei The Call zu schärfen, kann der Film nicht direkt zum Einstieg in die Unterrichtsreihe gezeigt werden. Um die Schüler ein differenziertes Begriffsverständnis der Nachfolge Christi erarbeiten und erwerben zu lassen, wird der Film deshalb erst in der dritten Reihenstunde verwendet, nachdem die Bedeutungshorizonte von Nachfolge im biblischen und historischen Kontext thematisiert wurden.

2.3 Die Auferweckungsbewegung „The Call“

The Call wurde im Jahre 2000 von dem Prediger Lou Engle in Washington in den USA gegründet. Nach einer Massenandacht mit über einer halben Million Teilnehmern, verbreitete sich die evangelikale Bewegung auf den Philippinen, in Südkorea, Australien, Brasilien, England und schließlich auch in Deutschland und vermittelt weltweit ein erzkonservatives Christentum mittels moderner Happenings.[32] Mit „evangelikal“ ist zunächst „eine Glaubenshaltung beschrieben, die durch persönliche Entschiedenheit charakterisiert ist und die verpflichtende Bindung an die Bibel als inspiriertes Wort Gottes hervorhebt.“[33] Die evangelikale Bewegung, deren Glauben allein auf Wort und Bekenntnis gründet, steht eigentlich im Widerspruch zu erfahrungsbetonten Bewegungen wie die der Charismatiker, die ihren Glauben „primär an die Erfahrungen des Heiligen Geistes“[34] binden. Die Charismen, wie Zungenreden, Prophetie, Heilungsfähigkeit, etc., sind gemäß charismatischem Gedankengut erfahrbar für jeden Christen.[35] Die evangelikale Argumentation dagegen ist jedoch, dass diese Erfahrungen

nur solange möglich [waren], wie es das Wort, das Neue Testament in der Endfassung, noch nicht gab – also nur im ersten Jahrhundert nach Christ Geburt. Sobald der christliche Kanon vorlag, galt und gilt der Grundsatz: Der Glaube ist allein gebunden an Wort und Schrift. Seitdem seien Erfahrungen, so schön sie auch sein mögen, das denkbar unsicherste Fundament des Glaubens.[36]

Bereits 1999 stellte Birnstein in seinem Buch über christlichen Fundamentalismus fest, dass die Grenzen zwischen diesen beiden so gegensätzlichen Bewegungen immer poröser wurden, denn „mit ihrem erfahrungsorientierten Glaubensleben ziehen charismatische Gruppen viel mehr Menschen als die eher trockenen Evangelikalen an“[37] und prognostizierte eine Symbiose beider Bewegungen, da nur so „kirchenpolitische Macht und gesellschaftlicher Einfluß [...] in den kommenden Jahren [...] zu erreichen [sei].“[38] So ist auch The Call nicht als rein evangelikale Glaubensgemeinschaft zu identifizieren, obwohl auch sie die Bibel als wortwörtlichen Willen Gottes verstehen, den sie bis zu letzter Konsequenz für sich als eigenen Maßstab beanspruchen. Die aufweichenden Grenzen zwischen den vielen neuen christlichen Glaubensgemeinschaften prägten den Begriff des (amerikanischen) Erweckungschristentums, bei dem folgende Charakteristika beobachtet werden können:

- Das Auftreten plötzlicher Bekehrung, nicht selten unter intensiven psychischen und leiblichen Begleiterscheinungen,
- ein der Bekehrung folgender intensiver Vollzug eines heiligen christlichen Lebens (keine Alkohol, kein Drogenkonsum, etc.),
- Gemeinschaftsbildungen von hoher Bindekraft, in einem zweiten Stadium die Entstehung verschiedenster Denominationen,
- Gottesdienstliche Versammlungen mit elementaren Predigten und massenhaften Zuhörerschaften,
- Betonung eines Laienchristentums und Verwurzelung im Volk (finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden und Gruppen),
- Starke Zersplitterung der Gemeinschaftsbildungen in zahlreichen Denominationen, zugleich Wettbewerb in gegenseitiger Hochachtung.[39]

So zeigen einzelne Biographien und persönliche Kommentare im Dokumentarfilm „Jesu junge Garde“ die oben genannten Merkmale auf der individuellen Ebene, während The Call als Gemeinschaft selbst tatsächlich eine Splittergruppe ist.

Evangelikale Glaubensgemeinschaften werden in der Regel nach ihrer Ausprägung unterschieden; so gibt es den klassischen, den bekenntnisorientierten, den missionarisch-diakonischen, den fundamentalistischen und den pfingstlich-charismatischen Typ.[40] The Call scheint eine Mischung aus den beiden letzteren genannten Typen zu sein. So herrscht dort ein fundamentalistisches Bibelverständnis, das von der absoluten „Irrtumslosigkeit (inerrancy) und Unfehlbarkeit (infallibility) der ganzen Heiligen Schrift in jeder Hinsicht ausgeht.“[41]

Diese Sicht der Bibel geht auf die sogenannte Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel aus dem Jahre 1978 zurück, die von einem Zusammenschluss evangelikaler Theologen zum Internationalen Rat für biblische Irrtumslosigkeit (International Council on Biblical Inerrancy, kurz ICBI) verfasst wurde.[42] Dort heißt es: „Da die Schrift vollständig und wörtlich von Gott gegeben wurde, ist sie in allem, was sie lehrt, ohne Irrtum oder Fehler.“[43] Sie ist also unfehlbar und irrtumslos.

Diese negativen Begriffe sind von besonderem Wert, weil sie ausdrücklich positive, entscheidende Wahrheiten sichern. Der Begriff unfehlbar bezieht sich auf die Eigenschaft, dass die Bibel weder in die Irre führt, noch irregeleitet ist und schützt so kategorisch die Wahrheit, dass die Heilige Schrift eine gewisse, sichere und zuverlässige Regel und Richtschnur in allen Dingen ist. In ähnlicher Weise bezeichnet der Begriff irrtumslos die Eigenschaft, dass die Bibel frei ist von allen Unwahrheiten oder Fehlern, und schützt so die Wahrheit, dass die heilige Schrift in allen ihren Aussagen vollständig wahr und zuverlässig ist.[44]

Diese Auffassung wird auch von The Call vertreten und dort an die Anhänger weitergegeben. Darin begründet und weiterhin „kennzeichnend ist ebenso [ein] stark auf Abwehr und Abgrenzung gerichteter, oppositioneller Charakter [erwecklicher Gemeinschaften] im Verhältnis zur historisch-kritischen Bibelforschung, zur Evolutionslehre, zu Abtreibung, Pornografie, Feminismus, etc.“[45]

So spricht Johannes, ein Dozent für christliches Heilen an der Holy Revolution School, von einem ganz einfachen Prinzip: „Ich glaube fest an das, was in der Bibel steht, die Bibel ist das Wort Gottes, und das funktioniert. Und wenn ich daran glaube und danach handle, weiß ich ganz genau, dass es funktioniert.“[46] Mit den Worten „Im Namen Jesus Christus spreche ich zu dem Becken: Es soll gerade werden“[47] meint er Verkrümmungen und Verwachsungen eines Kursteilnehmers geheilt zu haben. Dieses „einfache Prinzip“ klingt eher nach Scharlatanerie und Zauberei als nach echtem Heilen und ist durch eine Studie der Harvard Medical School widerlegt. „Bei 1802 Bypass-Patienten in sechs Kliniken [wurde] streng kontrolliert die Wirkung von Fürbitt-Gebeten untersucht. [...] Egal, ob für die Patienten gebetet worden war oder nicht, es gab keine signifikanten Unterschiede bei der Zahl der Komplikationen und Todesfälle.“[48] Das Gebet bzw. die Anrufung scheint also kein „Allheilmittel zu sein, dem sich jeder Christ jederzeit und uneingeschränkt bedienen kann.

Auch eine Trainerin für christlichen Tanz am The Call -eigenen Tagungszentrum macht sich wortwörtliche biblische Argumentation zu Eigen: „Die Bibel sagt, dass es Ehebruch ist, wenn ein Mann eine Frau auch nur lüstern anguckt. In dem Moment, wo ich mich aufreizend kleide oder bewege, verleite ich einen Mann zum Ehebruch“[49] und begründet so die besondere Sittlichkeit ihrer Kleidung und Tanzschritte.

Auch Merkmale des pfingstlich-charismatische Typs lassen sich bei The Call feststellen. „Dessen Merkmal [ist] eine auf den Heiligen Geist und die Gnadengaben bezogene Frömmigkeit“[50], die auch in der Holy Revolution School ausgelebt wird. Während extatischer Segnungsandachten wird das so genannte Parallelbeten praktiziert. Der Dokumentarfilm zeigt Szenen, in denen einzelne Personen weinend zusammenbrechen oder scheinbar in Zungen reden, und belegt, dass auch bei The Call Charismen scheinbar wirken. Diese Erfahrungen werden von zwei Teilnehmerinnen wie folgt beschrieben: „Manchmal, beim Sprachengebet, merkt man, dass man gar nicht denkt, sondern einfach redet. Ich merke, das ist der heilige Geist und es kommt nicht durch meine eigene Kraft sondern von Gott. [...] Von Drogen high sein ist nichts dagegen. Das Wirkliche ist, was man bei Gott findet, und das ist diese Liebe und Freude und der Frieden, den man merkt, wenn Gott da ist.“

Die Auferweckungsbewegung The Call ist also vom Glauben und ihren Überzeugungen her eine fundamentalistisch ausgerichtete Gemeinschaft, in der charismatisch-pentekostale Spiritualität ausgelebt wird. All dies zusammengenommen mit dem missionarischen Sendungsbewusstsein von The Call unterstützt Hempelmanns These, dass das Konzept [der] „Rückkehr ins Urchristentum" kennzeichnend [ist] für alle Ausdrucksformen erwecklicher Frömmigkeit. Der Wort- wie der Geistfundamentalismus zitiert die Bibel, wenn auch jeweils andere Passagen und beruft sich auf sie. Auch pfingstlich-charismatische Spiritualität erhebt den Anspruch, sich am biblischen Urbild individueller und gemeinschaftlicher Geisterfahrung zu orientieren. [...] Charismatisch-pentekostale Spiritualität sieht sich bestätigt und legitimiert durch zahlreiche biblische Hinweise auf „übernatürliches" Geistwirken. Einzelne biblische Notizen werden dabei in unmittelbarer Parallelität zu dem gesetzt, was sich in der Praxis charismatischer Frömmigkeit heute ereignet. Hinsichtlich der Heilungen und der exorzistischen Praktiken wird auf die Wundererzählungen der Evangelien und den ausdrücklichen Auftrag Jesu an seine Jünger, das Evangelium zu verkündigen, die Kranken zu heilen und die bösen Geister auszutreiben (vgl. Mk 6,7ff.; Mt 10,7f.; Lk 9,1ff.) verwiesen. […] Im Blick auf Verzückung und Ekstase beruft man sich auf das mehrfach berichtete In-Verzückung-Geraten von Petrus und Paulus (Apg 10,10f.; 22,17f.; 2. Kor 5,13). […] Eine „Theologie der Wiederherstellung" ermöglicht die Identifikation des gegenwärtig Geschehenden als biblisch und urchristlich und legitimiert es.[51]

Hempelmann selbst schreibt, dass dieser Anspruch geprüft werden müsse,[52] da „die Erfahrung einer hinreißenden Kraft [...] in unterschiedlichen religiösen Kontexten erlebt werden [kann]. Ekstatische Erfahrungen sind religionstranszendierend [, also nicht auf christliche Gruppierungen beschränkt]. Alle Erfahrungen göttlichen Wirkens sind in unserer Welt dem Zweifel ausgesetzt [, deshalb kann z.B.] auch die Glossolalie [...] nicht als zweifelsfreie Gotteserfahrung gelten.“[53]

2.4 Einbettung der Reihe: Bezug zum Halbjahresthema „Jesus Christus“

Im Rahmen des Religionsunterrichts des Halbjahres 12/1 stand zunächst die Person Jesus Christus im Vordergrund. Ausgehend von den Vorkenntnissen der Schüler und der Bedeutung Jesu für sie persönlich, wurden die Bedeutungshorizonte des historischen Jesus und des kerygmatischen Christus entfaltet. Nach einer Differenzierung beider Begriffe und eingehender Beschäftigung mit jedem im Einzelnen wurden beide Aspekte wieder zusammengeführt, um zu zeigen, dass der eine ohne den anderen nichts wert ist: Ein historischer Jesus ohne das Kerygma wäre für uns heute nicht relevanter als ein Nero, Augustus oder irgendeine andere historische Persönlichkeit. Das Kerygma ohne die historische Person jedoch, wäre nichts anderes als eine Legende, mit dem Bedeutungsgehalt der Werke von Homer oder der Gebrüder Grimm. Der Unterricht lief also auf die Frage hinaus, welche Relevanz Jesus Christus heute noch für uns hat. Dies führt uns unweigerlich zum Begriff der Nachfolge, der Imitatio Christi, der nicht nur das „Halten der Gebote“[54] impliziert, sondern die individuelle Entscheidung des Christen, die eigene Lebensgestaltung am Vorbild Jesu Christi auszurichten.[55] The Call beanspruchen für sich, im Sinne Jesu zu handeln, und bieten so ein aktuelles Beispiel für die Umsetzung des Nachfolgegedankens, das zum einen kritisch untersucht werden und zum anderen als Spiegel für das eigene Verständnis von Nachfolge dienen kann.

2.5 Lehrplanbezug

Nach dem anthropologisch-christologischen Prinzip steht „die Person des Jesus von Nazaret und sein Fortwirken in der Gemeinschaft der an ihn Glaubenden“ [...] in allen Themen dieses Halbjahres im Mittelpunkt,“[56] so auch im Thema der Examensreihe. Jesus Christus ist Ausgangspunkt und Ursprung des Selbstverständnisses von The Call; um den Selbstanspruch der Glaubensgemeinschaft zu verstehen, muss also auch eine Kenntnis dessen Ursprungs gewährleistet sein. Am Ende der Unterrichtsreihe soll eine Bewertung stattfinden, inwiefern The Call ihrem eigenen Anspruch tatsächlich gerecht werden (können), gemessen am Vorbild Jesu Christi.

Mit dem Thema werden verschiedene Intentionen verfolgt: So soll Orientierungshilfe geboten werden, um „Botschaft und Anspruch Jesu und das Wirken seines Geistes in der Kirche als Herausforderung für Lebens- und Weltgestaltung [zu] begreifen.“[57] Dies soll erreicht werden, indem die Schüler sich mit Nachfolge nicht nur als abstraktem Begriff, sondern als Konzept für die eigene Lebensgestaltung beschäftigen. „Sich mit Entwürfen von Gemeinde und Kirche als Beispiele und Orientierungen für Gestaltung eines Lebens in Gemeinschaft auseinander setzen“ gehört ebenso dazu, und erfolgt am Beispiel der Gemeinschaft The Call.

Es wird weiterhin gefordert, dass die Schüler die hermeneutische Kompetenz gewinnen, „neutestamentliche Grundlagen des Selbstverständnisses der Kirche und die Entwicklung der grundlegenden Vollzüge, die für das Leben der Christen bedeutsam sind, kennen lernen.“[58] Jesu Aufruf in die Nachfolge betrifft nicht nur die Gestalten der Evangelienerzählungen, sondern wirkt bis in unsere Zeit hinein und appelliert an jeden Christen. Dies sollen die Schüler erfahren, indem sie den Wandel des Begriffs „Nachfolge“, vom biblischen Kontext bis zu seiner heutigen Bedeutung, exemplarisch nachvollziehen. Die Schüler sollen außerdem „Berührungs- und Spannungsverhältnisse zwischen Institutionalisierung, Charismen, Ämtern, Reformbewegungen, Vielgestaltigkeit und Einheit, Erstarrung und Lebendigkeit entdecken und exemplarisch ihre Relevanz für Gegenwart und Zukunft aufzeigen.“[59] Auch dies ist am Unterrichtsgegenstand in Ansätzen möglich, ist The Call durchaus als Reformbewegung des Christentums, jedoch außerhalb der Kirche und im Gegensatz zu ihr, zu verstehen. Dennoch kann die Auferweckungs-bewegung als Impulsgeber und „Herausforderung und Bereicherung für die eigene Position“[60] begriffen werden. So kann Motivation und Handlungsfähigkeit geschaffen werden, indem „Lehre, Botschaft und Handeln Jesu als Herausforderung für die eigene Lebensgestaltung“[61] vermittelt werden. Unter dem Aspekt der Weltanschau-ung, kann Nachfolge auch am Beispiel von The Call als sozialpsychologisches Phänomen betrachtet werden.[62]

2.6 Das Thema im Horizont der Lerngruppe

Religionsunterricht hat die Aufgabe die Identitätsbildung der Schüler zu unterstützen. Erik Erikson, dessen Identitätstheorie in der Religionsdidaktik eine starke Rezeption erfahren hat, beschreibt Identität als epigenetisches Prinzip: Durch erlebte und bewältigte Krisen innerhalb eines Spannungsfeldes, das zwischen zwei Dimensionen eingebettet ist, werden Reifungsfortschritte erzielt und so verschiedene Reifungsphasen durchlaufen. Die Lerngruppe dieser Unterrichtsreihe befindet sich in der Adoleszenz bzw. im frühen Erwachsenenalter. Kennzeichnend für die „Adoleszenz“ ist die Infragestellung bisheriger als sicher geltender Normen und Instanzen. Diese Hinterfragung von vermittelten Werten betrifft nicht nur die eigenen Eltern, sondern auch autoritative Institutionen wie Schule und Kirche. Der Freundeskreis und andere Vorbilder gewinnen einen höheren Einfluss auf die Jugendlichen, die auf dem Weg der Abgrenzung vom Elternhaus und der Selbstfindung empfänglicher für Fremdeinflüsse werden. Hier können Eltern, Kirche und Schule nicht durch strenge Vorgaben und Forderungen den Jugendlichen hilfreich zur Seite stehen, sondern nur indem sie offen mit den Jugendlichen über vertretene Positionen sprechen, diese Hinterfragen lassen und Entscheidungsfreiheit gewähren.

Als Schüler einer Schule in kirchlicher Trägerschaft ist eine starke Anbindung der Familien und somit eine gewisse Sozialisation der Schüler in kirchengemeindlichem Umfeld anzunehmen. Ein Ausbrechen aus dieser Form gelebten Glaubens ist im Rahmen der Abgrenzung von den Eltern und ihrem Vorbild durchaus wahrscheinlich. Führt diese Abgrenzung nicht zur Aufgabe des eigenen Glaubens, kann der Wunsch bestehen, eine andere Form der Religiosität zu wählen. Neben der eher geringen Gefahr des Abrutschens in eine Sekte, stellen die zahlreichen freikirchlichen Gemeinden und Glaubensgemein-schaften eine positive Alternative dar. Hier besteht ein direkter Bezug zwischen dem Thema der Unterrichtsreihe und der Erfahrungswelt der Schüler: Bad Kreuznach beheimatet mehrere freikirchliche bzw. freichristliche Gemeinden, insofern ist es wahrscheinlich, dass die Schüler Angehörige dieser Gemeinden kennen oder dort selbst schon einen Gottesdienst besucht haben. Darüber hinaus zeigt The Call selbst eine gewisse Präsenz, der man sich nicht einfach entziehen kann. Allein auf dem Weltjugendtag in Köln 2005 waren über 500 an der Holy Revolution School ausgebildete Jugendmissionare, um dort das Gespräch mit anderen Jugendlichen zu suchen und sie für ihre Sache zu gewinnen.

Dass jugendliche im Alter der Lerngruppe leicht von diesen zu gewinnen sind, sieht auch Hempelmann so:

Die chancenreiche Ausbreitung des protestantischen Erweckungs-christentums resultiert nicht nur aus der beanspruchten Wiedergewinnung urchristlicher Glaubenserfahrung, sie profitiert von verschiedenen Rahmen-bedingungen: vom Schwinden der Selbstverständlich-keit und kulturellen Abstützung christlicher Glaubenspraxis und von den anti-institutionellen Affekten junger Menschen.[63]

[...]


[1] vgl. FoWiD

[2] vgl. ReMID

[3] Hempelmann. S. 412

[4] Hempelmann. S. 503

[5] Zugunsten der Lesbarkeit wird ab hier für Schülerinnen und Schüler der männliche Plural verwendet. Die Namen der Schüler wurden geändert.

[6] LChM: „Nachfolge Christi“

[7] Meyers Lexikon: „Nachfolge Christi“

[8] Brox. S. 56

[9] ebd.

[10] vgl. ebd.

[11] Das Märtyrertum war nicht Gegenstand dieser Sehnsucht.

[12] Meyer: „Nachfolge“

[13] vgl. Frank. S. 129

[14] vgl. LThK: „Nachfolge“

[15] Benediktiner der Erzabtei Beuron (Hrsg): „Christi Himmelfahrt“

[16] Gesellschafts- und politsatirisches TV-Magazin der ARD.

[17] Tita von Hardenberg, Jobst Knigge, Britta Mischer.

[18] Die Seminare der Holy Revolution School sind zugänglich für Jugendliche ab zwölf Jahren.

[19] Tita von Hardenberg, Jobst Knigge, Britta Mischer.

[20] Ohne Angabe von Name oder Alter.

[21] Tita von Hardenberg, Jobst Knigge, Britta Mischer.

[22] Tita von Hardenberg, Jobst Knigge, Britta Mischer.

[23] ebd.

[24] Radio1.

[25] vgl. Radio1.

[26] vgl. Frisch. S. 177

[27] im Folgenden mit ADS abgekürzt

[28] vgl. Tita von Hardenberg, Jobst Knigge, Britta Mischer.

[29] http://www.youtube.com (Suchbegriff „Jesus junge Garde“).

[30] http://video.google.de (Suchbegriff „Jesus junge Garde“).

[31] vgl. Debbrecht. S. 15f

[32] vgl. Tita von Hardenberg, Jobst Knigge, Britta Mischer.

[33] Hempelmann. S. 411

[34] Birnstein, 1999. S. 36

[35] vgl. Birnstein, 1989. S. 127ff

[36] Birnstein, 1999. S. 36

[37] ebd.

[38] ebd.

[39] Hempelmann. S. 414 - 415

[40] vgl. ebd. S. 419 - 420

[41] ebd.

[42] vgl. Vanheiden. S. 3

[43] ebd. S. 7

[44] ebd. S. 17

[45] Hempelmann. S. 419 - 420

[46] Tita von Hardenberg, Jobst Knigge, Britta Mischer.

[47] ebd.

[48] Weber. S. 71

[49] Tita von Hardenberg, Jobst Knigge, Britta Mischer.

[50] Hempelmann. S. 419 – 420

[51] Hempelmann. S. 503 - 504

[52] ebd.

[53] ebd. S. 504

[54] Katechismus der Katholischen Kirche. S. 160, Abschnitt 434

[55] vgl. LThK: „Nachfolge“

[56] Ministerium für Bildung. S. 56

[57] ebd. S. 57

[58] ebd.

[59] ebd.

[60] ebd. S. 58

[61] ebd.

[62] ebd. S. 59

[63] Hempelmann. S. 413

Final del extracto de 84 páginas

Detalles

Título
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem christlich-fundamentalistischen Nachfolgeideal der Auferweckungsbewegung „The Call“
Subtítulo
Eine Unterrichtsreihe in einem GK Katholische Religion 12
Curso
Referendariat
Calificación
1,7
Autor
Año
2007
Páginas
84
No. de catálogo
V88655
ISBN (Ebook)
9783638034531
ISBN (Libro)
9783638931205
Tamaño de fichero
1524 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
Nachfolgeideal, Auferweckungsbewegung, Referendariat, The Call, Examensreihe, neue, religiöse, Gemeinschaften, Freikirche, evangelikal, Evangelikale, Kreationismus, Kreationisten, Kirche, Jugend
Citar trabajo
Christian Schlegel (Autor), 2007, Eine kritische Auseinandersetzung mit dem christlich-fundamentalistischen Nachfolgeideal der Auferweckungsbewegung „The Call“, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88655

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