Gewalt für die Demokratie?

Die Kampfverbände von SPD und SDAP (1932-1934) im Vergleich


Thesis (M.A.), 2007

113 Pages, Grade: 1,6


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
II.1 Ausgangslage, Vorläufer und Gründung des Reichsbanners
II.2 Aufbau und Organisation
II.2.1 Entwicklung und Aufbau der politischen Struktur
II.2.2 Entwicklung und Aufbau der technisch-militärischen Struktur
II.2.2.1 Der technisch-militärische Sektor bis 1930
II.2.2.2 Der technisch- militärische Sektor von 1930-1932

III. Der Republikanische Schutzbund
III.1 Ausgangslage, Vorläufer und Gründung des Republikanischen Schutzbundes
III.2 Aufbau und Organisation
III.2.1 Entwicklung und Aufbau der politischen Struktur
III.2.2 Entwicklung und Struktur des technisch-militärischen Sektors
III.2.2.1 Der technisch-militärische Sektor bis zum Justizpalastbrand 1927
III.2.2.2 Vom Justizpalastbrand 1927 bis zur Ausschaltung des Parlaments 1933

IV. Vom Preußenschlag bis zur Machtergreifung
IV.1 Der 20. Juli 1932 und das Reichsbanner
IV.2 Das Reichsbanner bis zur Machtergreifung

V. Der Weg zur Ausschaltung des Nationalrates im März 1933 und bis zum 12. Februar 1934
V.1 Die Ausschaltung des Parlaments und das Verbot des Republikanischen Schutzbundes

V. 2 Der 12. Februar 1934
VI. Zusammenfassung

Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Beschäftigt man sich mit der Geschichte Deutschlands und Österreichs zwischen den beiden Weltkriegen, dann steht in den meisten Fällen eine Frage im Mittelpunkt. Warum scheiterte die parlamentarische Demokratie in beiden Ländern in der Auseinandersetzung mit der faschistischen Bedrohung? Dabei spielte die sozialdemokratische Partei sowohl im Deutschen Reich, als auch in Österreich, zwangsläufig eine entscheidende Rolle. Beide zählten zu den mächtigsten Vertretern der organisierten Arbeiterschaft in Mitteleuropa und hatten von Anfang an entscheidenden Einfluss auf die Politik der nach dem I. Weltkrieg entstandenen Republiken. Während die österreichischen Sozialdemokraten letzten Endes zum Äußersten bereit waren und zu den Waffen griffen, blieben gewaltsame Erhebungen ihrer deutschen Genossen komplett aus. Warum verteidigten die österreichischen Sozialdemokraten im letzten Moment, wenn auch erfolglos, die Demokratie mit militärischer Gewalt[1], während es in der Weimarer Republik zu keiner bewaffneten Erhebung gegen die Feinde der Republik kam, obwohl sich beide, mit Schutzbund und Reichsbanner, die Instrumente dafür geschaffen hatten?

Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht die Frage, warum es trotz vieler Ähnlichkeiten und Verbindungen zwischen den beiden Sozialdemokratischen Parteien und ihren Kampfverbänden zu so unterschiedlichen Reaktionen kam, als die bürgerliche Rechte tatsächlich begann, die parlamentarische Demokratie zu zerstören.

Bei meinen Recherchen fiel mir auf, dass das Reichsbanner sowohl in der umfassenden Literatur zur allgemeinen Geschichte der Weimarer Republik, als auch in den zahlreichen Arbeiten zur Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) im speziellen, nur sehr wenig Beachtung gefunden hat. Deshalb finde ich es interessant zu untersuchen, welche Rolle das Reichsbanner bei der Verteidigung der parlamentarischen Demokratie spielte. Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, werde ich in meiner Arbeit das Reichsbanner mit dem Schutzbund vergleichen.[2] In den Kapiteln über den Aufbau, die Struktur und die Entwicklung beider Kampfverbände beschreibe ich zunächst deskriptiv die politischen Rahmenbedingungen und erläutere die Charakteristika des Reichsbanners und des Schutzbundes. Im anschließenden analytischen Teil meiner Arbeit werde ich im Rahmen der historischen Abläufe zwischen 1932 und 1934 und anhand des gemachten Vergleichs die Ergebnisse formulieren, um abschließend die Frage zu beantworten, weshalb das Reichsbanner, im Unterschied zum Schutzbund keinen militärischen Widerstand leistete.

Versucht man sich dieser Fragestellung zu nähern, so wird man mit einer umfangreichen Literatur konfrontiert. Sich mit der Geschichte der Weimarer Republik bzw. der I. Republik Österreichs zu beschäftigen, bedeutet mit Sicherheit nicht, sich auf unbetretenen Pfaden zu bewegen.[3]

Das Scheitern der Weimarer Republik ist auch nach über siebzig Jahren unzweifelhaft eines der am intensivsten behandelten Themen in der deutschen Geschichtsschreibung. Nach wie vor gilt dabei Karl Dietrich Erdmanns Diktum aus dem Jahre 1955, nach dem alle Forschung über die Weimarer Republik, mehr oder weniger zwangsläufig unter der Frage nach ihrem Zusammenbruch stehe.[4] Die frühesten Auseinandersetzungen mit diesem Thema, namentlich von selbst Betroffenen und Mitwirkenden dieser Zeit, sind gekennzeichnet von dem Versuch, eigene Schuld oder Versäumnisse zu relativieren und dem jeweiligen politischen Gegner oder außenpolitischen Einflüssen die Hauptverantwortung aufzuerlegen.[5] Allerdings wurden vereinzelt auch eigene Fehler eingestanden wie z.B. bei Otto Bauer[6] oder die eigene Partei massiv kritisiert, wie z.B. von Julius Leber.[7]

Erst zehn Jahre nach Kriegsende erschien die umfassende Arbeit Karl Dietrich Brachers über „Die Auflösung der Weimarer Republik“, in der er ein weitgefächertes Ursachenbündel für das Scheitern der Demokratie verantwortlich machte.[8] Von den von ihm ausgemachten Strukturproblemen erwies sich der Übergang von den parlamentarischen zu den präsidialen Reichskabinetten im Jahre 1930 als besonders kontrovers und fruchtbringend. Namentlich Werner Conze widersprach Bracher in seiner Auffassung, die Präsidialkabinette seit 1930 seien schon als Vorgeschichte zum Dritten Reich zu werten, sondern vielmehr eine Chance zur Rettung der Republik, welche jedoch durch verschiedene Einflüsse keine Wirkungsmacht erlangten.[9] Zu den wichtigsten Folgen dieser Bracher/Conze-Kontroverse gehört das 1960 von Erich Matthias und Rudolf Morsey herausgegebene Sammelwerk „Das Ende der Parteien 1933“, welches seitdem neben dem Werk Brachers zu den Standartarbeiten zur Weimarer Republik gehört.[10]

Obwohl es bis jetzt keine umfassende Aufarbeitung zur Geschichte der Verbände und Parteien gibt, erschienen in den folgenden Jahren eine Vielzahl hochspezialisierter Detailstudien zu diesem Themenbereich.

Geleitet von der Frage wer oder was für das Scheitern der Republik und den Sieg des Nationalsozialismus die Verantwortung trägt, wurden neben den Parteien auch einzelne Zeiträume und gesellschaftliche wie politische Akteure und Institutionen der Weimarer Republik näher untersucht. Dabei ist festzustellen, dass der jeweilig behandelte Zeitraum bzw. Themenkomplex eng mit der aktuellen Standortgebundenheit der Historiker zusammenhängt.[11] Mit der Zeit bildeten sich zwei konkurrierende Deutungsmuster heraus. Während einige Historiker die Rolle der Institutionen (wie die des Reichspräsidenten) oder der politischen Machteliten (wie Bürokratie, Justiz, Militär und Wirtschaft) in den Vordergrund stellen[12], argumentieren die Verfechter der „Selbstpreisgabe“ Weimars, die Republikaner hätten die politische Macht leichtfertig aus ihren Händen gegeben.[13]

Dabei rückte die organisierte Arbeiterschaft bei vielen Historikern ins Zentrum des Interesses. War sie doch zunächst als Geburtshelfer der größte Aktivposten auf Seiten der Republik und des weiteren durch ihre parteipolitische Tätigkeit und schiere Größe sicherlich befähigt die Institutionen in ihrem Sinne zu beeinflussen.

So findet sich für keine andere Partei eine so große Auswahl an Literatur, zumal seit dem Erscheinen von Heinrich August Winklers drei Bände umfassenden Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik eine äußerst materialreiche Überblicksdarstellung vorliegt.[14]

Daher konnte ich für meine Arbeit auf eine, im Vergleich zu anderen politischen Parteien und Bewegungen, breite Basis an Literatur zurückgreifen. Betrachtet man diese Literatur gerade für das Deutsche Reich genauer, so fällt auf, dass sie sich in zwei Erklärungsmuster teilt. Die eine Richtung, von Bracher bis Hans Mommsen sieht den Grund des Scheiterns darin, dass die Sozialdemokratie den Weg zur Volkspartei nicht konsequent zu Ende gegangen ist und sich mit einem in ihren Augen überholten marxistischen Erbe selbst schwächte. Die andere Seite, z.B. repräsentiert durch Georg Fülberth und Jürgen Harrer[15], sah in eben jenem reformorientierten Weg den entscheidenden Fehler und hielt den Verzicht zu weitgehenden sozialistischen Weichenstellungen gerade zu Beginn der Weimarer Republik als den Anfang vom Ende. Auch wenn diese Zweiteilung in die strategischen Erklärungsmuster „Reform“ oder „Revolution“ natürlich stark vereinfacht ist, so ist sie dennoch deutlich erkennbar.[16]

Beide sozialdemokratischen Parteien akzeptierten die bürgerliche Demokratie als Basis ihrer Politik. Sie bildeten zur Verteidigung dieser Grundlage sogar eigene Wehrverbände, von denen der Schutzbund in Österreich den Charakter einer paramilitärischen Parteiarmee hatte. Dabei war es schon erstaunlich genug, dass sich beide Parteien überhaupt Kampfverbände schufen, obwohl eine gewisse Distanz gegenüber dem Militarismus ein entscheidender Faktor in der sozialdemokratischen Tradition war und ist.

Mit einer Gegenüberstellung der Organisation des Reichsbanners einerseits und seinem österreichischen Pendant, dem Schutzbund, andererseits, möchte ich, anhand der für die Sozialdemokratie eher untypischen Organisationsform „Kampfverband“, darstellen, welche Rolle beide Verbände bei der Verteidigung der Demokratie spielten.[17] Bei meiner Untersuchung von Vorteil war, dass sich die Literaturbasis über die österreichische Sozialdemokratie als ebenso günstig darstellte wie für die SPD im Reich, wenn man von einigen Einschränkungen absieht. Zunächst war es mir im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, wegen der räumlichen Entfernung eine intensive Archivrecherche zu betreiben und zum anderen setzte die Erschließung der Quellen zur I. Republik in Österreich, im Vergleich zur Bundesrepublik, relativ spät ein. Die meisten Archive wurden erst in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts der Öffentlichkeit und damit auch der Bearbeitung durch Historiker zugänglich gemacht.[18]

Im Allgemeinen lassen sich bei der Beurteilung der Politik der Parteien in der I. Republik Österreichs, insbesondere die der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), und in der Weimarer Republik viele Gemeinsamkeiten finden. So sehen die meisten Autoren die Hauptschuld für das Scheitern der Republik auf der konservativen Seite. So spricht z.B. Gerhard Botz von einer strengen Legalitätspolitik der Sozialdemokraten, dem eine schleichende Faschisierung durch die Regierung Engelbert Dollfuß gegenüberstand.[19] Die bisherige österreichische Geschichtsforschung betonte aber auch, dass eine mangelnde Konsens- und Kooperationsbereitschaft seitens der SDAP zum blutigen Ende der I. Republik beigetragen habe[20]. Norbert Leser z.B. ist der Meinung, dass einige Passagen des Linzer Parteiprogramms in ihrer Radikalität sicherlich einige Befürchtungen beim politischen Kontrahenten schürten.[21] Neuere Darstellungen hingegen betonen, dass es eine demokratische Selbstverständlichkeit sei, die Republik notfalls auch mit militärischer Gewalt gegen ihre Feinde zu verteidigen und dass das Linzer Programm trotz einiger markiger Aussagen eindeutig auf dem Boden der Verfassung stand und auch 1926 nur missverstanden werden konnte, wenn dahinter eine politische Absicht stand.[22] Dazu meint z.B. Christoph Butterwegge, dass die SDAP zwar auf dem Boden der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie stand, aber im Unterschied zur reichsdeutschen SPD, die Wehrhaftigkeit des Proletariats wesentlich stärker betonte.[23] Im Deutschen Reich, ebenso wie in der 1. Republik Österreich, waren die sozialdemokratischen Parteien die Hauptstützen der Republik. Dabei ist das jeweils angestrebte sozialistische Fernziel keineswegs ein Widerspruch, akzeptierten sie doch die parlamentarische Demokratie als dafür gültigen Handlungsraum. Beide galten im Rahmen der hier zu behandelnden Zeit als die bestorganisiertesten Parteien Europas. Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges hatten sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte die Möglichkeit, aktiv Einfluss auf die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Arbeiterschaft zu nehmen. Dabei gingen sie teilweise sehr unterschiedliche Wege. Während die reichsdeutsche Sozialdemokratie früh einen reformistischen Weg einschlug, weshalb sie durch ihren linken Flügel und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) stets angreifbar wurde, definierte sich die SDAP in Österreich, zumindest verbal, noch betont als revolutionäre Partei und entwickelte unter dem Schlagwort „Austromarxismus“[24] eine Art zentral positionierte Alternative zwischen Bolschewismus und Reformismus. Auch versuchte die SDAP anders als ihre reichsdeutsche Schwesterpartei, nachhaltig auf die gesellschaftlichen und politischen Machtfaktoren in der Republik Einfluss zu nehmen. Die Politik des „Roten Wien“[25] hat bis heute eine große Strahlkraft in ganz Europa. Die Volkswehr bzw. das spätere Bundesheer wurde früh, wenn auch nicht dauerhaft, unter sozialdemokratischen Einfluss gebracht und ab 1923 zur Verteidigung der Republik und der Partei des Republikanischen Schutzbundes gegründet, welcher bis zuletzt den innenpolitisch stärksten militärischen Machtfaktor darstellte.

Die SPD hingegen versäumte es, gerade im wehrpolitischen Bereich Einfluss zu nehmen. Zwar wurden auch von ihr traditionelle Forderungen nach dem I. Weltkrieg verwirklicht, zudem gelang ihr eine gewisse Durchdringung der preußischen Verwaltung, was ihrer langzeitigen Beteiligung an der Regierung unter Otto Braun und Carl Severing geschuldet war, eine entscheidende Einflussnahme auf die Reichswehr ist hingegen nicht festzustellen. Auch die Gründung des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, das Pendant zum österreichischen Schutzbund, erfolgte spät, gegen viele Widerstände und bewusst als parteiübergreifend konzipierte Truppe, um den Verdacht einer revolutionären Reserve zu vermeiden.

Neben diesen Unterschieden, gab es jedoch traditionell auch viele Gemeinsamkeiten und Verbindungsstränge zwischen den beiden Parteien. Auf der Basis einer gemeinsamen Sprache und Kultur ergaben sich seit dem Entstehen der organisierten Arbeiterschaft enge Verbindungen zwischen den Sozialdemokraten im Deutschen Reich und ihren „Genossen“ im Reich der Habsburger. Im Zusammenhang damit stehen die bis 1933 durch beide Seiten verfolgten Bemühungen um die Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, womit man in einem hochindustrialisierten Land mit beachtlicher Ausdehnung die größte und bestorganisierteste sozialistische Partei Europas gewesen und nach Karl Marx Diktum am ehesten zu einer proletarischen Revolution befähigt wäre. Bauer sprach deshalb auch von einem „Anschluss an den Sozialismus“[26] und obwohl es durch die Bedingungen der Friedensverträge von Versailles und Saint-Germain keine Aussicht auf eine Realisierung dieses Ziels gab, blieb es im offiziellen Parteiprogramm der SDAP bis 1933.[27]

Auch auf persönlicher Ebene gab es immer wieder enge Kontakte. So sind viele österreichische Sozialdemokraten aktiv im Deutschen Reich politisch tätig gewesen, wie z.B. Karl Kautsky und Rudolf Hilferding. Julius Deutsch beriet die deutschen Genossen beim Aufbau des Reichsbanners und Max Adler war sowohl einer der Vordenker des marxistischen linken Flügels der SPD als auch der SDAP.

Beiden Parteien gemein war schließlich auch das Scheitern im Kampf gegen die in ihren Ländern jeweils politisch agierenden faschistischen Bewegungen und Parteien. Ich setzte mich dabei mit den damals üblichen Fremd- bzw. Eigenbezeichnungen für den politischen Gegner der Sozialdemokratie auseinander, also z.B. Heimwehrfaschismus in Österreich und Nationalsozialismus im Deutschen Reich.[28] Dies erscheint mir sinnvoll, da es mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen des Begriffs „Faschismus“ gibt, welche im Rahmen dieser Arbeit unmöglich berücksichtigt werden konnten.[29] Ich orientiere mich an der Definition von Kurt Gossweiler, der im deutschen Nationalsozialismus die klassische und extremste Form einer faschistischen Organisation sieht, ohne dabei dem in Österreich auftretenden Gegner der Demokratie das Prädikat „faschistisch“ vorzuenthalten. Er sieht sie als durch innenpolitische, geografische und außenpolitische Faktoren beeinflusste Variationen der klassischen Faschismen in Deutschland oder auch Italien, deren bürgerliche und rechts-konservative Protagonisten in ganz Mitteleuropa, je nach ihren Möglichkeiten, die selbe politische Ausrichtung hatten: Antimarxistisch, Antidemokratisch und Autoritär.[30]

Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass der österreichischen Sozialdemokratie mindestens zwei „faschistische“ Kontrahenten gegenüberstanden.[31] Zu den oben genannten, monarchistisch geprägten und eher „bodenständigen“ Heimwehrfaschisten kamen die in Österreich agierenden, großdeutsch oder deutschnational orientierten Nationalsozialisten.[32]

Wie ich schon ausführte, standen die SPD wie auch die SDAP häufig im Mittelpunkt des Interesses der Historiker, wenn es um die Frage nach den Gründen des Scheiterns der beiden Demokratien ging.

Dabei konzentrieren sich die meisten Arbeiten aber ausschließlich auf die im Rahmen der Weimarer Verfassung gegebenen, also systemimmanenten Möglichkeiten einer Verteidigung der Demokratie durch die SPD.[33] Ich halte es deshalb für wesentlich zu untersuchen, welche Rolle das Reichsbanner bei der Verteidigung der parlamentarischen Demokratie spielen sollte und konnte, und warum es, anders als der Schutzbund, in letzter Konsequenz, keinen militärischen Widerstand gegen die antidemokratischen Kräfte leistete. Wie bereits eingangs erwähnt ist die Literatur, besonders zum Reichsbanner, bis heute äußerst überschaubar. So findet man neben den vom Krieg verschont gebliebenen Quellen und vereinzelter Primärliteratur, welche zumeist aus Kampfschriften, Liedersammlungen oder Gründungs- und Bundessatzungen besteht, nur wenig neuere Sekundärliteratur. Diese beschränkt sich entweder auf eng begrenzte lokalgeschichtliche Arbeiten oder auf Erinnerungen von ehemaligen Reichsbannermitgliedern.[34] Auch in der Geschichtsschreibung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) findet sich wenig Literatur über das Reichsbanner. Zu erwähnen wäre hier die 1987 erschienene Arbeit von Helga Gotschlich, die sicher nicht komplett abzulehnen ist, aber dennoch wegen eindeutiger politischer Tendenzen mit Vorsicht zu genießen ist.[35]

So bleibt als Grundlage neben den verfügbaren Quellen, die einzige gut recherchierte Gesamtdarstellung zur Geschichte des Reichsbanners von Karl Rohe, welche schon 1966 erschien.[36] Es ist erstaunlich, dass bei den bisherigen Versuchen, das Scheitern der Weimarer Republik zu erklären, dem sich offen für den Erhalt der Demokratie einsetzenden Reichsbanner so wenig Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Hier gibt es sicherlich noch Nachholbedarf.

Zum Republikanischen Schutzbund findet man hingegen eine größere Anzahl an Literatur. Neben zahlreichen Darstellungen über den Bürgerkrieg im Februar 1934 wie z.B. die von Werner Anzenberger und Martin Polaschek[37], gibt es mit den Arbeiten von Erwin Tramer[38] und Otto Naderer[39] zwei Gesamtdarstellungen über den Schutzbund, die durch die Dissertationen von Finbarr Mc Loughlin[40] und Christine Vlcek[41] ergänzt werden.[42] Allen diesen Arbeiten gemein ist jedoch, dass sie erheblich unter dem erschwerten Zugang zu einem Großteil der Quellen und offiziellen Akten zum Schutzbund leiden. So mussten sie vorrangig auf die vorhandene Primär- und Sekundärliteratur bzw. auf mündliche Auskünfte von Zeitzeugen zurückgreifen.[43]

Nach der Gegenüberstellung von Reichsbanner und Schutzbund, werde ich ihre konkrete Situation in dem im Titel angegebenen Zeitraum untersuchen.

Dabei konzentriere ich mich beim Reichsbanner auf die Ereignisse vom „Preußenschlag“ am 20. Juli 1932 bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 und beim Schutzbund auf die Zeit von der „Selbstausschaltung“ des Parlaments vom 4. März 1933 bis zum Bürgerkrieg am 12. Februar 1934. Zum Einen war in dieser Zeitspanne für beide sozialdemokratischen Parteien die letzte Chance vorhanden, mit Hilfe ihrer Wehrverbände in letzter Konsequenz die Demokratie durch militärische Gewaltanwendung zu verteidigen und zum anderen hatten die Ereignisse in der Weimarer Republik eine direkte Wirkung auf die politisch Handelnden in der österreichischen Republik.[44] Trotz dieser sicherlich vorhandenen Beeinflussung, besteht zwischen den Ereignissen im Deutschen Reich und in Österreich keine direkte Parallelität, da die politischen Vorraussetzungen hierfür zu unterschiedlich waren.[45]

Da beide Kampfverbände organisatorisch eng mit der SPD bzw. SDAP verflochten waren, macht es wenig Sinn diese beiden Verbände isoliert zu betrachten. Die Haltung von Parteiführungen, ebenso wie die innerparteilichen Oppositionen in Bezug auf das Reichsbanner und den Schutzbund werden also, wenn auch in bescheidenem Maße, immer wieder mit einfließen.

Ziel meiner Arbeit soll es sein Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Kampfverbände aufzuzeigen, um anhand dieser Ergebnisse nicht nur zu erläutern warum der Schutzbund bewaffneten Widerstand leistete und das Reichsbanner nicht, sondern auch warum letztendlich beide als Mittel im Kampf gegen den Faschismus versagten.

II. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold

Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold war in der politischen Landschaft der Weimarer Republik mit Sicherheit eine Ausnahmeerscheinung. Weniger von seiner äußeren Physiognomie, denn in dieser ähnelte es den zahlreichen anderen Kampfverbänden seiner Zeit, umso mehr jedoch in seiner Zielsetzung. Das Reichsbanner sah seine Aufgabe darin, die Republik und die Demokratie gegen ihre Gegner zu verteidigen und gleichzeitig eine selbstbewusste republikanische Gesinnung zu fördern. Aus eigenem Antrieb wurde daher darauf verzichtet, eine rein sozialdemokratische Schutztruppe zu bilden, um nicht in den Verdacht zu geraten, eine revolutionäre Reserve schaffen zu wollen.

Obwohl also als überparteilicher Verband gegründet und allen Anhängern der Republik offen, war die Rolle, welche die Sozialdemokratie innerhalb des Reichsbanners spielte, dominant. Es ist also durchaus legitim, das Reichsbanner als einen Kampfverband der SPD zu sehen, zumal der Einfluss des Zentrums und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bzw. Deutschen Staatspartei (DStP) in den letzten Jahren der Republik zusehends abnahm. Die Mitglieder dieser beiden Parteien stellten jedoch von Beginn an nur einen Bruchteil der bis zu 3,5 Millionen Angehörigen des Reichsbanners.[46]

Im Folgenden soll es um eine Beschreibung dieses Kampfbundes der politischen Linken gehen, der sich anders als sein österreichisches Pendant, auch bewusst der bürgerlichen Seite öffnete, was schon mit dem Namen „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ deutlich gemacht wurde. Auffallend ist, dass das Reichsbanner erst im Jahre 1924 gegründet wurde, zu einer Zeit, als die revolutionären Wirren zum größten Teil beendet waren und sich die Weimarer Republik wirtschaftlich und politisch zu stabilisieren begann. Am Beginn dieses Kapitels steht deshalb eine Schilderung der Ereignisse bis zur Gründung des Reichsbanners, insbesondere die Frage, auf welche bewaffneten Verbände die SPD in der revolutionären Phase zurückgriff und welche Vorläuferorganisationen es bis zu der Gründung des Reichsbanner gab.

Anschließend werde ich den Aufbau und die Entwicklung sowohl des politischen als auch des technisch-militärischen Teils des Reichsbanners untersuchen.

II.1 Ausgangslage, Vorläufer und Gründung des Reichsbanners

Die erste Frage, die man sich bei der Beschäftigung mit der Geschichte des Reichsbanners stellen kann, ist jene, warum es die Sozialdemokratie erst nach fünf Jahren Republik für nötig hielt, sich einen eigenen Kampfverband zu schaffen. Einerseits gab es im Jahr 1923 genügend politische Ereignisse und Entscheidungen, von denen noch die Rede sein wird, die zur Gründung dieses Schutzverbandes Anlass gaben. Andererseits hatte die SPD in den turbulenten Anfangsjahren der Republik keine Notwendigkeit gesehen, einen solchen Verband zu schaffen, obwohl die Situation für die junge Demokratie kaum weniger bedrohlich war. Eine Antwort auf diese Frage beginnt schon mit der von der Parteiführung nach Kriegsende verfolgten Reformstrategie und der Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien.[47] Man sah sich lediglich als Konkursverwalter der untergegangenen Monarchie.[48] Das hieß nicht, dass man auf das sozialistische Endziel verzichtet hatte, man sah in der Schaffung einer parlamentarischen Demokratie lediglich den nächsten logischen Schritt.

Die Konsequenz dieser Politik war allerdings, dass es der Sozialdemokratie zunächst um die Herstellung von Ruhe und Ordnung gehen musste, was nichts anderes bedeutete, als alle Bestrebungen von Links, die revolutionäre Situation weiter anzuheizen, zu unterbinden. Ein eigenes militärisches Aufgebot stand dabei nicht zur Verfügung. Die Versuche,„republikanische“ oder „demokratische“ Einheiten, oder gar eine „Volksmiliz“ zu schaffen, waren unbefriedigend verlaufen, da sich diese Formationen, von Ausnahmen abgesehen, als politisch unzuverlässig oder aber militärisch wenig einsatzfähig erwiesen. Das lag vor allem auch daran, dass es in der SPD keine konkrete wehrpolitische Zielsetzung gab. Alles Militärische wurde als durch den I. Weltkrieg diskreditiertes, überkommenes Werkzeug bürgerlich-imperialistischer Politik verstanden und auch die von Karl Marx und Friedrich Engels geforderte proletarische Wehrhaftigkeit war mit dem Einschlagen eines reformistischen Kurses der SPD weit in den Hintergrund gedrängt worden. Zu den wenigen zuverlässigen Verbänden gehörte der während des „Spartakusaufstandes“ im Januar 1919 von dem „Vorwärts“- Redakteur Erich Kuttner und dem Verleger Albert Baumeister gegründete „Freiwilligen Helferdienst der Sozialdemokratischen Partei“, der aus sozialdemokratischen Arbeitern und Soldaten bestand. Aus diesen Freiwilligen und aus Angehörigen der nach ihrem Formationsführer benannten „Gruppe Liebe“, wurden am 8. Januar die Regimenter „Liebe“ und „Reichstag“ gebildet.[49] Diese Verbände reichten aber bei weitem nicht aus, um die immer wieder auflodernden Kämpfe und Aufstände unter Kontrolle zu bringen. So wurden nach einem Regierungsaufruf vom 6./7. Januar aus den Resten der Reichswehr die sogenannten „Freikorps“ gegründet, deren Aufgabe nicht nur die Verteidigung der Reichsgrenzen im Osten sein sollte, sondern auch die Wiederherstellung der Ruhe im Inneren. Diese, zum größten Teil ideologisch weit rechts stehenden Truppen, bildeten unter der Führung des sozialdemokratischen Ministers Gustav Noske, welcher am 7. Januar 1919 den Oberbefehl über die Truppen in und um Berlin übernahm, neben den Freiwilligenverbänden der Obersten Heeresleitung, die Hauptstütze der Regierung in den Revolutionskämpfen. Das Gros der Freikorpsmitglieder rekrutierte sich eindeutig aus sozialen Schichten, von denen zumeist nach Tradition und Herkunft eine Übereinstimmung mit den Zielen des Rates der Volksbeauftragten, also der Sozialdemokratie, nicht zu erwarten war.[50] Jene Bevölkerungsgruppe, die allein ein betont republikanisches Element in die Freikorpsverbände hätte einbringen können, nämlich die sozialdemokratische oder gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft, trat bei ihnen so gut wie nicht in Erscheinung. Dies hatte zum einen mit dem in der Arbeiterschaft generell stark verankerten Antimilitarismus zu tun und zum anderen mit einer allgemeinen Kriegsmüdigkeit. Zudem verspürten wohl die allermeisten sozialdemokratischen Arbeiter wenig Lust, im Ernstfall auf ihresgleichen zu schießen. Noskes Bemühungen, seine Parteigenossen zu einem verstärkten Eintritt in die Freikorpsverbände zu bewegen, waren von wenig Erfolg gekrönt. Nicht zuletzt, weil er von den verantwortlichen Partei- und Gewerkschaftsstellen, wenn nicht offen sabotiert, so doch wenig Unterstützung erfahren hat. Rohe beschreibt die Situation folgendermaßen:

„Der „Vorwärts“ und die sonstige Parteipresse waren gemeinhin nur zögernd bereit, Werbeaufrufe für die Freikorps zu veröffentlichen. Gewerkschaftsmitglieder, die sich zum Dienst in den Freiwilligenformationen meldeten, hatte teilweise mit Relegationen seitens ihrer Berufsverbände zu rechnen und waren schweren Belästigungen an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt. Noch jahrelang wurde ein erfolgreicher Boykott der sogenannten „Baltikumer“ in den Betrieben praktiziert. Angesichts dieser Situation vermag es kaum zu überraschen, daß die ohnehin wenig wehrfreudig eingestellte sozialdemokratische Arbeiterschaft im allgemeinen den Freiwilligenverbänden fernblieb.“[51]

Die Folge des Fernbleibens sozialdemokratischer Elemente war jedoch, dass die Freikorps mehr und mehr zum Tummelplatz antidemokratisch und antirepublikanisch gesinnter Elemente wurden. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man die Situation in den Zeitfreiwilligenverbänden und Einwohnerwehren untersucht. Bei beiden handelte es sich meist um lokal begrenzt agierende Einheiten und auch bei ihnen war ein „republikanisches Element“ kaum vorhanden. Die Zeitfreiwilligenverbände bestanden fast ausschließlich aus nationalistischen Studenten[52], und auch die „bürgerlichen“ Einwohnerwehren standen zum größten Teil weit rechts. Da sie meist schlechter ausgerüstet waren, kam ihnen keine größere militärische Bedeutung zu.[53] In einigen Industriegebieten hingegen war das Übergewicht der äußersten Linken bei den Einwohnerwehren so stark, dass die Behörden meist auf die Bildung solcher Verbände verzichteten.[54]

Doch das Fernbleiben der sozialdemokratischen Arbeiterschaft hatte zur Folge, dass es überwiegend zwischen den linken wie rechten Feinden dieser Republik zu blutigen Auseinandersetzungen über die Zukunft der Republik kam. Wobei den reaktionären Verbänden paradoxerweise die Aufgabe zufiel, diese ihnen eigentlich verhasste Demokratie gegen revolutionäre Elemente zu verteidigen. Mit der Stabilisierung der Demokratie verschwand aber auch die einzige Übereinstimmung zwischen den Vertretern der Republik und den rechtsgerichteten Kampfverbänden. Ein Umformungsprozess setzte ein, als der Staat über ausreichend eigene Machtinstrumente verfügte und sich der Freiwilligenverbände zu entledigen begann.[55] Für die Selbstschutzformationen war jetzt, soweit sie nicht in die Reichswehr oder die Länderpolizei übernommen wurden, der Zeitpunkt gekommen, sich entweder aufzulösen, als illegaler paramilitärischer Verband weiter zu existieren, oder aber in Form von „nationalen Bünden“ weiterzuwirken.

Zwischen diesen „nationalen Bünden“ und den in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstandenen Freikorps- und Selbstschutzbewegungen bestand also in den allermeisten Fällen ein direkter oder indirekter organisatorischer Zusammenhang.[56] Der Feindbegriff verschob sich jetzt auf die Republik und ihre Repräsentanten, nachdem der „Spartakus“ und die „Roten“ als Gefahr ausgeschaltet waren. Konnten die zumeist dilettantisch geplanten und ausgeführten Unternehmungen der Konterrevolution, wie beim Kapp-Putsch 1920 oder beim Hitlerputsch von 1923, zwar noch mit Hilfe altbewehrter Mittel, wie etwa dem Generalstreik, schnell beendet werden, so erinnerten sie die Linke doch nachdrücklich an ihre Fehler und Versäumnisse. Man merkte schnell, dass die Reichswehr, welche bei einer bewaffneten Auseinandersetzung letztlich den Ausschlag geben musste, sich keineswegs als sichere Stütze des Staates erwies. Dies erkannte auch die Parteiführung. Eduard David z.B. schrieb am 31. Oktober 1923:

„Unser Fehler war, daß wir uns keine republikanische Schutzwehr geschaffen haben. Solange sich die Reichswehr der legalen Regierung zur Verfügung stellt, müssen Sozialdemokraten in der Regierung sein. Wären wir in Preußen nicht im Besitz der Schutzpolizei, so wäre die Republik längst dahin.“[57]

Die Befürchtungen, dass die Reichswehr keineswegs einen zuverlässigen Schutz gegen Umsturzversuche von rechts bot, ja im Gegenteil sogar enge Verbindungen zu republikfeindlichen Verbänden unterhielt, bestätigte sich mehr als einmal.[58] Die politischen Krisen und Attentate auf Repräsentanten der Republik bis ins Jahr 1923 stellten für die Arbeiterschaft ein Bedrohungspotential dar, auf das man mit der Gründung von eigenen Kampfverbänden und Schutzstaffeln reagierte. Dabei war es in den allermeisten Fällen nicht die Parteiführung, von der die Initiative zur Gründung von Selbsthilfeorganisationen oder Republikschutzverbänden ausging, sondern fast durchweg wurden sie von energischen Partei- und Gewerkschaftssekretären auf lokaler Ebene erschaffen. Rohe sagt hierzu:

„Die stärkste Aktivität macht sich jedoch immer an der Basis bemerkbar, während die Funktionärsschicht und namentlich die in staatliche Verantwortung hineingewachsene sozialdemokratische Führungsgruppe solchen Bestrebungen oft mehr als skeptisch gegenübersteht.“[59]

Auch Julius Deutsch, der Gründer des österreichischen Schutzbundes betonte 1926, dass große Teile der Partei, vor allem in Preußen, womit er wohl u.a. Severing meinte, bis dato entschiedene Gegner solcher Projekte waren.[60] Diese aufgezeigten Vorläuferorganisationen des Reichsbanners kann man demnach grob in zwei Gruppen unterteilen. Zum einen reine Selbsthilfeverbände, deren Aufgabe der Schutz von sozialdemokratischen Veranstaltungen war, zum anderen Republikschutzverbände welche eine auch symbolische Bedeutung erfüllten, indem sie vor allem nach politischen Attentaten oder Angriffen auf die Republik allgemein gegründet wurden. Die einen waren somit eine Antwort auf lokal begrenzte Phänomene, während die anderen eine Reaktion auf überregionale Ereignisse waren, wie dem Kapp- und Hitler-Putsch oder dem Rathenau-Mord.

Die politische Farbenskala der Reichsbannervorläufer reichte grundsätzlich vom gemeinproletarischen Rot der Hundertschaften bis hin zum bürgerlich getönten Schwarz-Rot-Gold. Zu den Selbsthilfeverbänden oder auch Parteischutztruppen zählten z.B. der „Sozialdemokratische Ordnungsdienst“ (SOD) in Nürnberg und Kassel, der „Sozialistische Ordnerdienst“ (SO) in Breslau oder die „Sicherheitsabteilung der Sozialdemokratischen Partei“ (SA) in München. Hier waren der Selbstschutzgedanke und der lokale Handlungsrahmen zumeist schon am Namen erkennbar. Den republikanischen Abwehrbewegungen lassen sich dagegen die „Vereinigung Republik“ in Schleswig-Holstein, die „Republikanischen Arbeiterwehren“ in Oberschlesien und die „Republikanischen Frontkämpferbünde“ Ostpreußens zuordnen.[61] Gemeinsam war diesen beiden Grundformen von Kampfverbänden nicht nur die schon erwähnte Tatsache, dass ihre Gründung hauptsächlich von der Basis der SPD ausging, sondern auch ihr defensiver Charakter, sowie ihre soziale Zusammensetzung. Ein Großteil ihrer Mitglieder rekrutierte sich aus den Schichten ehemaliger Kriegsteilnehmer. Allerdings benutzten nur wenige Verbände die „Kriegsteilnehmerschaft“ als politische Waffe und bezeichneten sich bewusst als Frontsoldatenbünde.[62]

Eine Sonderstellung nahmen die „Proletarischen Hundertschaften“ ein, die besonders im Raum Mitteldeutschland in Erscheinung traten. Diese gemeinproletarischen Formationen, die Kommunisten und Sozialdemokraten im Sinne der „Einheitsfront von unten“ vereinten, bildeten sich vereinzelt schon vor 1923, bis es am 19. März 1923 zu einem gemeinsamen Aktionsprogramm der sächsischen Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (VSPD) und der Landesleitung der KPD kam. Sie riefen allerdings starke Abwehrreflexe maßgeblicher Kreise der SPD hervor und lösten sich nach der Reichsexekution gegen Sachsen vom 29. Oktober allmählich auf. Da sie organisationsgeschichtlich nicht zu den Vorläufern des Reichsbanners zu zählen sind und zudem von diesem ganz betont aus seiner Ahnengalerie verbannt wurden, soll es bei dieser kurzen Erwähnung bleiben.[63]

Ursprungs- und späterer Vorort des Reichsbanners wurde die Stadt Magdeburg, in der es wie in anderen Regionen schon vor 1924 einen sozialdemokratischen Abwehrverband gab.

Am 19. April 1923 marschierte unter regem Interesse der Bevölkerung eine einheitlich gekleidete und straff formierte sozialdemokratische Schutztruppe von 1500 Mann zum Magdeburger Dom, um dort vom Oberpräsidenten Otto Hörsing eine Erklärung entgegen zu nehmen und sich unter dem Namen „Republikanische Notwehr“ in der Folgezeit in der ganzen Provinz Sachsen auszubreiten.

Aufgrund seines Organisationsschemas zählte dieser Magdeburger Kampfverband zu den Republikschutzverbänden, wenn auch lokale Ereignisse, wie die starke Präsenz des „Stahlhelms“ in Magdeburg und die damit immer wieder vorkommenden Provokationen und Störungen der entscheidende Auslöser zu seiner Gründung waren.[64] Rohe beschreibt dies wie folgt:

„Die nach Wohnvierteln und Betrieben organisierte Magdeburger Truppe ist alles in allem eine fast reine Verkörperung des Organisationstypus „Republikschutzvereinigung“, mag auch der Anstoß zur Gründung in starkem Maße durch lokale Ereignisse - Störungen sozialdemokratischer Versammlungen durch Stahlhelmer oder Kommunisten - bedingt sein. Von Anfang an stellt man als Hauptanliegen heraus, die Republik gegen Feinde von „rechts“ wie von „links“ verteidigen zu wollen und betont gleichzeitig, daß der Verband niemals selbstständig vorgehen, sondern nur auf den Ruf der Regierung hin in Aktion treten werde.“[65]

Selbst diese betonte Zurückhaltung jedoch verhinderte nicht, dass Severing und andere führenden Soziademokraten schwere Bedenken erhoben. Während dieser die Autorität des Staates vor allem auch außenpolitisch gefährdet sah, da er fürchtete, gerade Frankreich könnte in der Schaffung eines Kampfverbandes eine illegale Aufrüstung des Reiches vermuten und einschreiten, war die negative Einstellung gewisser Parteistellen eher der Angst vor möglicher Konkurrenz und einer Zersplitterung der Kräfte, einem Organisationskonservatismus, bzw. demokratischer oder pazifistischer Gesinnungstreue geschuldet.[66]

Zwar gab es schon 1922 Bemühungen, die regionalen und lokalen Selbstschutzformationen, mit denen vom Parteivorstand lediglich Otto Wels eine gewisse Verbindung aufrecht erhielt, zu einem Reichsverband zu vereinen, der Durchbruch gelang jedoch erst nach dem gescheiterten Hitlerputsch vom November 1923. Dennoch gab es weiterhin schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten über die politischen Grundlagen des neu zu errichtenden Verbandes. Zum einen, die schon erwähnten Vorbehalte seitens der Parteiführung und zum anderen die Weigerung einiger Bezirksleitungen der SPD, welche zu diesem Zeitpunkt häufig noch nicht bereit waren, auf eine Wehrgemeinschaft mit den Kommunisten zu verzichten. Gegen Ende des Jahres 1923 wurden die Sammlungsbestrebungen wiederaufgenommen. Mit den Sondierungsgesprächen, die der Gründung des Reichsbanners vorangingen, wurde Otto Hörsing, beauftragt. Von ihm stammte auch der Vorschlag, den Verband überparteilich zu organisieren.[67] Da die Magdeburger Sozialdemokraten als besonders revisionistisch und parteivorstandstreu[68] galten und zudem in der Gründungsstadt des Stahlhelms eine erfolgreiche Republikschutzvereinigung gegründet hatten, überließ der Parteivorsitzende Wels dem Kreis um Hörsing weitestgehend die Vorbereitungen.[69] Zunächst versuchte Hörsing die einzelnen Bezirksleitungen der SPD vom Konzept der Überparteilichkeit zu überzeugen, bevor er Gespräche mit einzelnen nichtsozialdemokratischen Politikern führte.[70] Dank dieser Vorverhandlungen, bot der eigentliche Gründungsakt bei den notariellen Verhandlungen in Magdeburg am 22. Februar 1924 ein Bild ungetrübter Einigkeit.[71] Man verständigte sich darauf, die bestehenden sozialdemokratischen Selbstschutzverbände zusammenzufassen und gemeinsam mit Angehörigen des Zentrums und der DDP einen republikanischen Abwehrverband zu schaffen.[72] Mit der Verabschiedung einer provisorischen Satzung und der Wahl eines Bundesvorstandes, dessen erster Vorsitzender Hörsing war, wurde der Verband unter dem Namen „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Bund deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner“ gegründet.[73] Trotz der auch im Namen deutlich gemachten überparteilichen Konzeption besteht kein Zweifel, dass das Reichsbanner vom Ursprung her und – wie ich zeigen werde – auch in seinem Aufbau eine klar durch die Sozialdemokratie dominierte Organisation war.

II.2 Aufbau und Organisation

Nach der offiziellen Gründungskonferenz in Magdeburg reisten die Bundesvorstandsmitglieder in die als Gauvororte bestimmten Städte und hielten sogenannte „Zündungskonferenzen“ ab. An anderer Stelle riefen die regionalen Parteileitungen von sich aus zu Gründungsversammlungen auf. Die Gaueinteilung lehnte sich bewusst an die Bezirksgliederung der SPD an und tatsächlich lag die Initiative auf lokaler und regionaler Ebene fast in allen Fällen bei der Sozialdemokratie. Häufiger beteiligten sich Angehörige der DDP, seltener dem Zentrum nahestehende Kreise.[74] Trotz eines regional recht unterschiedlichen Tempos beim Aufbau des Reichsbanners, übertraf der Massenzulauf in den ersten Monaten die kühnsten Erwartungen. Anlässlich der Bundesgründungsfeier 1925 gab Hörsing bekannt, dass man am 22. Februar 1925 schon drei Millionen Mitglieder zu verzeichnen hatte.[75] Später wurde sogar von dreieinhalb Millionen gesprochen.[76] Tatsächlich dürfte die Zahl der aktiven Mitglieder nie höher, als knapp über eine Million gelegen haben.

Über die soziale Zusammensetzung lassen sich teilweise nur Vermutungen anstellen. Die Bundesführung vermied es z.B. konsequent eine parteipolitische Statistik zu veröffentlichen, aus Angst es könnte bekannt werden, wie gewaltig der Anteil der Sozialdemokratie war. Rohe sagt hierzu:

„Praktisch kann das nur bedeuten: der sozialdemokratische Mitgliederanteil war derart hoch, daß man gut daran tat, das Zahlenmaterial nicht zu veröffentlichen. (...) Fast alle Gewährsmänner beziffern den sozialdemokratischen Anteil mit mindestens 80%; teilweise gehen sie sogar so weit darüber hinaus, daß für DDP und Zentrum zusammen nur ein Rest von einem Prozent übrigbleibt.“[77]

Innerhalb der SPD-Mitglieder war die Begeisterung recht unterschiedlich. Der rechte Flügel begrüßte die Gründung euphorisch, was z.B. in dem starken Engagement von Personen wie Theodor Haubach, Julius Leber[78], Carlo Mierendorff und Vertretern der Hofgeismarer Jungsozialisten zu sehen ist. Die „Linke“ innerhalb der Partei tat sich schwerer. Besonders das paramilitärische Auftreten, die Farben Schwarz Rot Gold statt dem proletarischen Rot und die Beteiligung der bürgerlichen Parteien, stießen wiederholt auf Ablehnung. Da eine genaue

Analyse der sozialen Zusammensetzung und der unterschiedlichen Standpunkte an diesem Punkt zu weit führen würde, sei abschließend bemerkt: Unter den SPD-Mitgliedern befanden sich weniger Intellektuelle, die z.B. auch ihre Kinder eher zur pazifistisch Jugendorganisation Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) schickten, als zum Jungbanner. Obwohl auch zahlreiche Parteilinke und Pazifisten dem Reichsbanner beitraten, zumeist aus Ermangelung an Alternativen, rekrutierte sich der größte Teil aus dem Proletariat, dem Kleinbürgertum und der Facharbeiterschicht.[79]

Trotz allem war der Erfolg des Reichsbanners erstaunlich. Schon gegen Ende des Jahres 1924 stand man organisatorisch gefestigt da, unterhielt in allen Teilen des Reiches Gauleitungen und der Massencharakter war selbst für die gegnerische Seite unleugbar. Dieser Erfolg liegt zum großen Teil an dem symbolischen Charakter des Reichsbanners, gab er doch den republiktreuen Elementen nach jahrelangen Angriffen von „Links“ und „Rechts“ ein Gefühl der Stärke und des Aufbruchs. Gegenüber diesen „Verdiensten“ tritt die technisch-militärische Schutzfunktion zunächst stark in den Hintergrund.

Im weiteren Verlauf werde ich die politische Struktur des Reichsbanners einerseits, sowie den technisch-militärischen Aufbau andererseits getrennt voneinander untersuchen. Dies wird zwar unvermeidbar zu Überschneidungen und Wiederholungen führen, da beide Ebenen in vielen Bereichen eng miteinander verflochten waren, dennoch halte ich es nicht nur aus praktischen Gründen für sinnvoll. Im Gegensatz zu seinem österreichischen Pendant und im übrigen auch zu allen anderen durch sozialdemokratische Parteien gegründeten Schutzverbänden in Europa, war das Reichsbanner aufgrund seiner überparteilichen Konzeption viel mehr als ein reiner Kampfverband. Die Organisation war doppelseitig aufgebaut, d.h. parallel zur politischen Struktur verlief die militärische. Dabei lässt sich mit der Zeit eine Verschiebung der Gewichtung zwischen beiden feststellen. Stand zunächst, wie oben erwähnt, der politisch-symbolische Wert einer Vereinigung aller republiktreuen Kräfte im Vordergrund, so wurde gegen Ende der technisch-militärische Sektor zusehends ausgebaut und rückte in den Vordergrund.[80]

II.2.1 Entwicklung und Aufbau der politischen Struktur

Auf den ersten Blick scheint es, dass die Organisation und Gliederung eines Verbandes eher weniger mit seinem politischen Bewusstsein zu tun hat, als vielmehr der Lösung rein technischer Organisationsprobleme dient. Berücksichtigt man allerdings die schon erwähnte Einzigartigkeit dieses Verbandes als parteiübergreifendes Projekt und seine zunächst stark im Vordergrund stehende symbolische Bedeutung für die republiktreuen Elemente des Staates, so stellt man fest, dass Gliederung und Aufbau des Reichsbanners eben jenes politisches Bewusstsein und seine Mentalität auch nach außen repräsentierten.

Die Aufgaben sowie der Aufbau und die Organisationsprinzipien des Reichsbanners wurden in der Bundessatzung festgehalten, ergänzt durch sogenannte Organisationshandbücher, welche nähere Anweisungen für die einzelnen Unterabteilungen enthielten. Die erste Bundessatzung von 1924 wurde zum ersten Mal 1926 durch eine neue ersetzt. In ihr wurde die Konsolidierung und der innere Ausbau der Organisation präzisiert und voran getrieben. Im Mittelpunkt standen hierbei vor allem die Bereiche Massenaufklärung, politische Erziehung und Jugendarbeit und weniger der technisch-militärische Bereich.[81] Entsprechend der Zeitsituation nahm das Reichsbanner in dieser Periode mehr die Züge eines republikanischen Bildungs- und Agitationsvereins an. Hand in Hand damit war ein starker Trend zur Bürokratisierung und Institutionalisierung zu verzeichnen, der sich vollends in der 1928 verabschiedeten Bundessatzung bemerkbar machte, welche auf ein Vielfaches der ursprünglichen Satzung angeschwollen war. Im Folgenden werde ich mich auf die Satzung von 1928[82] beziehen, da sie bis zum Ende Gültigkeit besaß und die in ihr enthaltenen Veränderungen und Erweiterungen, in Bezug auf ihre Vorläufer, weniger ins Gewicht fallen.[83]

Schon durch die Betrachtung der unmittelbaren Voraussetzungen und Ereignisse, die zur Gründung des Reichsbanners führten, wird klar, welche Elemente als Vorbild für die politischen Organisation dienten. Dieser von sozialdemokratischer Seite aufgezogene Kampfbund mit der Hauptstoßrichtung gegen die Rechte, vereinte in sich Komponenten eben jener paramilitärischen Vereinigung sowie Elemente der sozialdemokratischen Parteiorganisation. Besonders interessant im Rahmen dieser Arbeit ist zudem der Einfluss des österreichischen Schutzbundes. So ist belegt, dass vor Gründung des Reichsbanners häufiger deutsche Genossen in Wien weilten, um die Organisation des Schutzbundes zu studieren.[84] Das Verhältnis zwischen Reichsbanner und Schutzbund war auch in den folgenden Jahren als äußerst eng und freundschaftlich zu bezeichnen, zudem schaltete sich der österreichische Bundesführer Julius Deutsch mehrfach in die vorbereitenden Diskussionen ein.[85]

Als politischer Verband gliederte sich das Reichsbanner, von oben nach unten in Gaue, Kreise, Bezirke und Ortsvereine. Damit war er anderen Verbänden und Parteien der Zeit nicht unähnlich. Im Unterschied zu den Verbänden der Rechten jedoch, lag die Führung auf den vertikalen Stufen erster Ordnung bei „Vorständen“ und nicht in der Hand einzelner Personen. Als Bundesspitze fungierte ein aus 32 Mitgliedern bestehender Vorstand, der einen ersten und zweiten Vorsitzenden, drei Stellvertreter, einen Bundesschatzmeister, Bundeskassierer, Schriftführer, einen Technischen- und Schutzsportleiter, einen Jugendleiter, sowie deren Stellvertreter und 15 Beisitzer umfasst.[86] Mehrköpfig waren auch die Gau- und Ortsvereinsvorstände, lediglich die Kreise und Bezirke besaßen nur einen Führer oder Leiter.[87]

Parallel zu dieser politischen Vereinsstruktur und sich auf verschiedenen Stufen mit ihr überschneidend, läuft die nach militärischen Vorbildern aufgebaute technische Organisation, auf die ich im folgenden Kapitel näher eingehen werde. In der Person des Gau- und Bundesvorsitzenden laufen nominell technische und politische Organisationssphären zusammen. Diese technisch-politische Doppelfunktion findet terminologisch ihren Niederschlag in der seit 1928 offiziellen Bezeichnung Erster Vorsitzender und Bundesführer.[88] Auch auf Kreis- und Bezirksebene finden wir diese Doppelfunktion, die faktische Leitung des technischen Sektors lag jedoch auf jeder dieser Stufen bei einem eigens dafür bestimmten Führer. Dieser hatte allerdings keine direkte Verfügungsgewalt über die technischen Formationen, die nämlich lag bei den jeweiligen Vereinsvorständen und damit mittelbar bei den entsprechenden Führungsgremien auf Gau- und Bundesebene. Der Vorstand, dem der technische Leiter als stimmberechtigtes Mitglied angehörte, erteilte durch die Person des Vorsitzenden Weisungen, bzw. stellte bestimmte Aufgaben, deren Durchführung dann in der Verantwortung der technischen Führer lag. Letztgenannte waren also eindeutig der politischen Führung untergeordnet.[89] Für die Struktur des Verbandes bedeutet es deshalb eher wenig, dass, da alle technischen Führer von oben ernannt wurden, im technischen Sektor das Befehls- und Führungsprinzip vorherrschte.

Mit der unverhüllt autoritären Führerstruktur der Sturmabteilung (SA)[90] und der manipulierten Demokratie des Roten Frontkämpferbundes hat der Reichsbanner zwar wenig gemein, wohl aber mit dem Ausleseverfahren des Stahlhelms und des Jungdeutschen Ordens[91], deren Verfassung sich zutreffend als „Führerdemokratie“ beschreiben lässt. Jedoch besteht ein Unterschied zwischen dem bündisch-demokratischen Gefolgschaftsprinzip der rechts-konservativen Verbände, welches häufig stark ideologisch überfrachtet schien und dem von Rohe sogenannten „demokratischen Zentralismus“ der beim Reichsbanner vorherrschte.[92]

Die autoritären Elemente, denen man bei der Organisation des Reichsbanners begegnet, entstanden eher aus praktischen Erwägungen, als aus ideologischer Überzeugung. Zunächst sind sie eine Reaktion auf den damals zunehmenden bündisch-idealistischen Zeitgeist, den es zu berücksichtigen galt, wenn man als moderner Verband auch die Jugend ansprechen wollte.[93] Weiterhin kann ein Verband, der auch Schutzfunktionen militärischer Art übernehmen sollte, nicht komplett auf autoritäre Elemente verzichten. Im Vordergrund stand aber sicherlich, durch eine gewisse Einschränkung des demokratischen Prinzips, wie z.B. die Bestätigung aller gewählten Vorstände durch die nächst höhere Instanz, die überparteiliche Linie im Bunde aufrechtzuerhalten.[94]

Im selben Kontext ist wahrscheinlich auch das bereits oben erwähnte Abweichen vom demokratischen Prinzip bei der Wahl des ersten Bundesvorstandes, sowie die Verabschiedung der ersten Satzung zu sehen, womit man die überparteiliche Richtung auf ein festes Fundament stellte und sie allen eventuell störenden Einflüssen entzog.

Festzuhalten bleibt, dass beim Reichsbanner, im Unterschied zu den schwarzweißroten Verbänden, das Prinzip der kollektiven Leitung vorherrschte. Wie bei der SPD, gab es „Vorsitzende“, „Vorstände“ und „Funktionäre“, anstelle von „Führern“. Beim Reichsbanner wurden alle Vorstandsmitglieder, ebenso wie der Vorsitzende gewählt und nicht vom letzteren ernannt. Die einzelnen Vorstände waren nach einer Art Kollegialsystem organisiert, in dem jedes Mitglied stimmberechtigt war. Der Vorsitzende besaß zwar eine Sonderstellung, war grundsätzlich aber nur primus inter paris. Dieses demokratische Organisationsprinzip galt mit Einschränkungen auch für die vertikale Gliederung. Abgesehen vom Kreisführer wurden die politischen Instanzen aller Stufen gewählt, nicht von oben ernannt. Auf der Ortsvereinsebene erfolgte die Führerbestellung direkt, auf Gau- und Bundesebene mittels eines indirekten Wahlverfahrens. Auf der Bundes- und Gauebene gab es Generalversammlungen deren Aufgabe die Entgegennahme von Rechenschaftsberichten sowie Entlastung und Neuwahl der Vorstände war. Die Bundesgeneralversammlung hatte zusätzlich über Satzungsänderungen zu entscheiden. Der Bundesvorstand hatte sich eigentlich alle drei Jahre einer Neuwahl zu stellen, tatsächlich amtierte der 1928 gewählte Vorstand mit Hilfe eines Notverordnungsparagraphen bis ins Jahr 1933.

[...]


[1] Bei der SDAP waren die Voraussetzungen, die den Einsatz von militärischer Gewalt rechtfertigten im Linzer Parteiprogramm von 1926 definiert. Mein Gewaltbegriff orientiert sich an dem von Gerhard Botz, welcher Gewalt als eine direkte physische bzw. militärische, heißt in der Sphäre des Körperlich-Greifbaren sich abspielende Handlung definierte, durch die sich Menschen Schaden zufügen. Siehe: Botz, Gerhard: Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstösse, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918 bis 1934, München 1976, S. 13.

[2] Bei dieser Gegenüberstellung geht es nicht darum, einen vollständigen und in die tiefe gehenden Vergleich anzustellen. Es soll vielmehr mit Hilfe der Komparatistik eine Grundlage geschaffen werden, welche zum besseren Verständnis für die Situation, in der sich die beiden Kampfverbände in den Jahren 1932 bis 1934 befunden haben, führen soll. Zu den Theorien, Methoden und Ergebnissen der vergleichenden Geschichtswissenschaft, siehe: Kaelble, Hartmut: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1999; Siegrist, Hannes: Perspektiven der vergleichenden Geschichtswissenschaft. Gesellschaft, Kultur und Raum, in: Kaelble, Hartmut/ Schriewer, Jürgen (Hg.): Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M./ New York 2003, S. 305-339.

[3] Für einen Überblick zur Literatur über die Weimarer Republik, siehe: Kolb, Eberhard: Die Weimarer Republik, München 2002. Oder: Gessner, Dieter: Die Weimarer Republik, Darmstadt 2002.

[4] Erdmann, Karl Dietrich: Die Geschichte der Weimarer Republik als Problem der Wissenschaft, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd.3, Stuttgart, 1955, S.1-19.

[5] So z.B. bei: Brüning, Heinrich: Memoiren 1918-1934, Stuttgart 1970. Oder auch: Curtius, Julius: Sechs Jahre Minister der Deutschen Republik, Heidelberg 1948.

[6] So z.B. in: Bauer, Otto: Der Aufstand der österreichischen Arbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkung, Prag 1934.

[7] Leber, Julius: Die Todesursachen der deutschen Sozialdemokratie, (In Haft verfasst) 1933, in: Beck, Dorothea/ Schoeller, Wilfried F. (Hg.): Julius Leber, Schriften, Reden, Briefe, München 1976, S. 179-246.

[8] Bracher, Karl Dietrich: Die Auflösung der Weimarer Republik, Villingen 1971.

[9] So z.B. in: Conze, Werner: Rezension von K.D. Brachers „Die Auflösung der Weimarer Republik“, in: HZ 183, 1957, S. 378 ff.

[10] Matthias, Erich/ Morsey, Rudolf (Hg.): Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960.

[11] Als in den fünfziger Jahren die Wiederbewaffnung die Gemüter erregte, galt der Reichswehr das Hauptaugenmerk. In den sechziger Jahren, im Zusammenhang mit der Notstandsdebatte, traten die außerordentlichen Rechte des Reichspräsidenten in den Vordergrund und mit den beginnenden Studentenprotesten 1968 folgte eine Schwemme von Literatur über die revolutionären Anfänge der ersten deutschen Republik. Siehe: Gessner 2002, S. 24 ff.

[12] Z.B. Bracher, Karl Dietrich: Demokratie und Machtvakuum: zum Problem des Parteienstaats in der Auflösung der Weimarer Republik, in: Erdmann, Karl Friedrich/ Schulze, Hagen (Hg.): Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie, Düsseldorf 1980, S. 109-134.

[13] Erdmann, Karl Dietrich: Versuch einer Schlussbilanz, in: Erdmann/ Schulz 1980, S. 345-358.

[14] Im Rahmen der von Gerhard A. Ritter herausgegebenen Reihe „Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts“ verfasste Heinrich August Winkler die Bände 9-11. Winkler, Heinrich August: Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924, Berlin/ Bonn 1985; Winkler, Heinrich August: Der Schein der Normalität. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1924 bis 1930, Berlin/ Bonn 1988; Winkler, Heinrich August: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933, Berlin/ Bonn 1990.

[15] Fülberth, Georg/ Harrer, Jürgen: Die deutsche Sozialdemokratie 1890-1933, Darmstadt 1974.

[16] Siehe hierzu: Blanke, Bernhard: Sozialdemokratie und Gesellschaftskrise. Hypothesen zu einer sozialwissenschaftlichen Reformismustheorie, in: Luthardt, Wolfgang (Hg.): Sozialdemokratische Arbeiterbewegung und Weimarer Republik. Materialien zur gesellschaftlichen Entwicklung 1927-1933, Bd. II, Frankfurt a.M. 1978, S.380-408.

[17] Während bei Rohe in Bezug auf das Reichsbanner und seine innenpolitischen Gegner von „Kampfverbänden“ gesprochen wird, findet sich in der Literatur zum Schutzbund häufiger die Bezeichnung „Wehrverband“. Allein um Wiederholungen zu vermeiden, werden beide Begriffe in meiner Arbeit verwendet.

[18] Man befürchtete von Regierungsseite, es könne durch die Öffnung der Archive noch „zu frischer Stoff“ der historischen Materie zu innenpolitischen Konflikten in der II. Republik führen. Erst durch die Verordnung des Bundeskanzlers Dr. Klaus vom 11. Oktober 1966 wurde die Sperrung der staatlichen Archive aufgehoben und somit inländischen Benutzern von wissenschaftlicher Qualifikation der Zugang zu den Beständen erlaubt. Siehe hierzu: Jedlicka, Ludwig: Die Entwicklung der zeitgeschichtlichen Forschung von der Reichenauer Tagung 1960 bis heute, in: Jedlicka, Ludwig/ Neck, Rudolf (Hg.): Vom Justizpalast zum Heldenplatz, Wien 1975, S. 17-20.

[19] Siehe: Botz 1976.

[20] So z.B.: Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994.

[21] Leser, Norbert: Zwischen Reformismus und Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theorie und Praxis, Wien 1985.

[22] So z.B. Werner Anzenberger, dessen Arbeit einen guten Überblick zum bisherigen Forschungsstand bietet: Anzenberger, Werner/ Polaschek, Martin: Widerstand für eine Demokratie. 12. Februar 1934, Graz 2004.

[23] Butterwegge, Christoph: Austromarxismus und Staat. Politiktheorie und Praxis der österreichischen Sozialdemokratie zwischen den beiden Weltkriegen, Marburg 1991.

[24] Der Begriff „Austromarxismus“ wurde sowohl von den politischen Gegnern gebraucht, als auch von der SDAP selbst, die ihn als Oberbegriff für ihre grundsätzlichen, theoretischen Auffassungen benutzte, wie sie im „Linzer Programm“ von 1927 zusammengefasst worden sind. Zum „Austromarxismus“ der SDAP, siehe: Leser 1985. Des weiteren: Glaser, Ernst: Im Umfeld des Austromarxismus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des österreichischen Sozialismus, Wien 1981. Einen kurzen Überblick bietet: Albers, Detlev: Zur Spezifik und Aktualität des „Austromarxismus“- Zehn Thesen, in: Fröschl, Erich/ Mesner, Maria/ Zoitl, Helge (Hg.): Die Bewegung. Hundert Jahre Sozialdemokratie in Österreich, Wien 1990, S. 411-420.

[25] Für einen Überblick, siehe: Danneberg, Robert: Sozialismus in einer Stadt. Einige Errungenschaften des „Roten Wien“, in: Pfabigan, Alfred (Hg.): Vision und Wirklichkeit. Ein Lesebuch zum Austromarxismus, Wien 1989, S. 185-194.

[26] Zitiert nach: Steiner, Herbert: Otto Bauer und die Anschlussfrage 1918/19, S. 477, Z. 5, in: Plaschka, Richard G./ Mack, Karlheinz (Hg.): Die Auflösung des Habsburgerreiches, Wien 1970, S. 468-482.

[27] Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland wurde auf einem Parteitag im Oktober 1933 der „Anschluß“-Paragraph endgültig gestrichen. Siehe: Haas, Karl: Der „12. Februar 1934“als historiographisches Problem, S. 164-165, in: Jedlicka/ Neck 1975, S. 156-168.

[28] Die Bezeichnung „Heimwehren“ hatte man zunächst ohne parteipolitische Absicht für die Kärntner Freiwilligenverbände gewählt, die 1919 gegen die Jugoslawen kämpften. Diese bildeten später die Kader des Heimwehrfaschismus, welcher durch Industrielle, adlige Grundbesitzer, aber auch dem Ungarn Horthys und Mussolinis Italien unterstützt wurden. Siehe: Tramer, Erwin: Der Republikanische Schutzbund. Seine Bedeutung in der politischen Entwicklung der Ersten Österreichischen Republik, Inau. Diss., Erlangen/ Nürnberg 1969, S. 75.

[29] Werner Anzenberger schlägt für Österreich z.B. die Bezeichnungen „Ständestaat“ und „Austrofaschismus“ als staatsrechtlichen bzw. ideologischen Typenbegriff vor. In: Anzenberger/ Polaschek 2004. Ähnlich differenziert bei: Botz, Gerhard: Faschismus und „Ständestaat“ vor und nach dem „12. Februar 1934“, in: Fröschl, Erich/ Zoitl, Helge (Hg.): Februar 1934. Ursachen. Fakten. Folgen, Wien 1984 a, S. 311-332. Die von Nolte in der Totalitarismustheorie aufgestellte Norm, die „Machttechnik“ als entscheidendes Kriterium für eine Faschismusdefinition zu setzen, halte ich einerseits für zu eingeengt, nach ihr wären die Heimwehren keine „faschistischen“ Organisationen und andererseits zu breit gefasst, da sie auch die totalitären kommunistischen Regime mit einbezieht. Siehe: Nolte, Ernst (Hg.): Theorien über den Faschismus, Köln 1976.

[30] Gossweiler, Kurt: Die faschistische Bewegung in Österreich. Ein Versuch ihrer Einordnung in eine Typologie des Faschismus, in: Fröschl/ Zoitl (Hg.) 1984 a, S. 193-207.

[31] Francis L. Carsten spricht von drei faschistischen Bewegungen in Österreich, die Nationalsozialisten, sowie die völkisch- deutschnationale als auch die autoritär- faschistische Richtung innerhalb der Heimwehren, in: Carsten L., Francis: Zwei oder drei faschistische Bewegungen in Österreich?, in: Fröschl/ Zoitl (Hg.): 1984 a, S. 181- 192. Für Kurt Gossweiler zählt sogar die von der Regierung Dollfuß 1934 geschaffene „Vaterländische Front“ zur Gruppe der faschistischen Vereinigungen in Österreich, siehe: Gossweiler 1984, S. 193-207.

[32] Die Heimwehren selber waren keine homogene Bewegung. Der Kärntner Heimatschutz z. B. wurde großdeutsch geführt, während die Tiroler Heimwehr unter Steidle christlichsozial orientiert war. Fürst Rüdiger von Starhemberg, neben seinem Gegenspieler Major Emil Fey, einer der mächtigsten Führer in der Heimwehrbewegung, war dagegen vom italienischen Faschismus beeinflusst. Siehe: Tramer 1969, S. 75-79.

[33] Exemplarisch sei hier die sehr ausführliche Arbeit von Pyta genannt. Siehe: Pyta, Wolfram: Gegen Hitler und für die Republik. Die Auseinandersetzung der deutschen Sozialdemokratie mit der NSDAP in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1989. In seiner Arbeit zieht Pyta die Vergleichende Regierungslehre aus der Disziplin der Politischen Wissenschaften heran, um die Bedingungen für das Scheitern der SPD aufzudecken. Zur Vergleichenden Regierungslehre in den Politischen Wissenschaften, siehe: Linz, Juan: The Breakdown of Democratic Regimes: Crisis, Breakdown, and Reequilibration, Baltimore/ London 1978.

[34] Zur letztgenannten Gruppe gehört z.B. die Arbeit von Robert Becker. Allerdings genügt es, meiner Meinung nach, keineswegs wissenschaftlichen Ansprüchen. Auf Grundlage der Totalitarismustheorie geht es ihm vor allem darum, von ihm konstatierte Missstände in der Bundesrepublik anzuprangern. Becker, Robert: Der Wahrheit die Ehre. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Die vergessene „Judenschutztruppe“ der Weimarer Republik, Wiesbaden 2000.

[35] Gotschlich, Helga: Zwischen Kampf und Kapitulation, Berlin (Ost) 1987.

[36] Rohe, Karl: Das Reichsbanner Schwarz Rot Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966.

[37] Anzenberger/ Polaschek 2004.

[38] Tramer 1969.

[39] Naderer, Otto: Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg (1923- 1934), Graz 2004. Naderer hat im Unterschied zu den anderen Untersuchungen sein Hauptaugenmerk auf die militärischen Elemente des Schutzbundes gelegt.

[40] Mc Loughlin, Finbarr: Der Republikanische Schutzbund und gewalttätige politische Auseinandersetzungen in Österreich 1923-1934, Phil. Diss., Wien 1990.

[41] Vlcek, Christine: Der Republikanische Schutzbund in Österreich. Geschichte, Aufbau und Organisation, Phil. Diss., Wien 1971.

[42] Weiterhin ist die Arbeit von Duczynska zu erwähnen. Duczynska, Iljona: Der demokratische Bolschewik. Zur Theorie und Praxis der Gewalt, München 1975.

[43] Siehe hierzu das Vorwort von Erwin Tramer, in dem er die Problematik ausführlich behandelt. In: Tramer 1969, S. 3-12.

[44] So schreibt z.B. Botz: „ Die direkte Parallelität der österreichischen mit der deutschen politischen Entwicklung war, die negative Vorbildhaftigkeit der unparlamentarischen, präsidialen Notverordnungsregierung Brünings seit 1930 und der autoritären, die SPD zielstrebig ausschaltenden Regierung Franz von Papens. Immerhin ereignete sich schon am 20. Juli 1932 mit dem „Preußenschlag“ herrschaftsfunktional dasselbe wie in Österreich im März des folgenden Jahres.“ In: Botz, Gerhard: Der „4. März 1933“ als Konsequenz ständischer Strukturen, ökonomischer Krisen und autoritärer Tendenzen, S. 16, Z. 8-14, in: Erich Fröschl/ Helge Zoitl (Hg.): Der 4. März 1933, Vom Verfassungsbruch zur Diktatur, Wien 1984 b, S. 13-35.

[45] Siehe: Richter, Gustav (Veröffentlicht unter dem Pseudonym Buttinger, Josef): Am Beispiel Österreichs, Köln 1953, S. 7 ff.

[46] Zur Entwicklung der Mitgliederstärke des Reichsbanners, siehe: Posse, Ernst H.: Die politischen Kampfbünde Deutschlands, Berlin 1931, S. 65. Oder auch: Rohe 1966, S. 73.

[47] Siehe hierzu: Kluge, Hans Dieter: Verhältnis von SPD und Parlamentarismus: Koalition, Tolerierung, Opposition, S. 9-10, in: Luthardt, Wolfgang (Hg.): Sozialdemokratische Arbeiterbewegung und Weimarer Republik. Materialien zur gesellschaftlichen Entwicklung 1927-1933, Bd. I, Frankfurt a.M. 1978, S. 9-82.

[48] Diese vor allem von Ebert vertretene vorrangige Aufgabe der SPD findet sich in zahlreichen Äußerungen der damaligen Zeit. Siehe hierzu: Ritter, Gerhard A./ Miller, Susanne (Hg.): Die deutsche Revolution 1918-1919. Dokumente, Hamburg 1975.

[49] Hinzu kamen noch einige Berliner Ersatzbataillone, Teile der Republikanischen Soldatenwehr, sowie die Charlottenburger Sicherheitswehr. Siehe hierzu: Winkler 1985, S. 123.

[50] Eine etwas einseitige aber als Überblick brauchbare Darstellung zur sozialen Struktur der Freikorps bietet: Paulus, Günter: Die soziale Struktur der Freikorps in den ersten Monaten nach der Novemberrevolution, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3, Berlin 1955, S. 685-704.

[51] In: Rohe 1966 S. 19, Z.19-28.

[52] Zum Einfluss, sowie sozialer und politischer Kultur der Studentenschaft in den Freiwilligenverbänden siehe: Oertzen, Friedrich Wilhelm von: Die deutschen Freikorps 1918-1923, München 1936, S. 422 ff.

[53] Eine Ausnahme bildete die Organisation Escherich (Orgesch), benannt nach dem Forstrat Georg Escherich. Diese, auch über die Landesgrenzen Bayerns hinausgreifende, rechtsradikale Vereinigung wurde nach einem alliierten Ultimatum vom 5. Mai 1921 formell aufgelöst. Tatsächlich lebte sie in zahlreichen paramilitärischen Verbänden der Rechten fort. Zu den bayerischen Einwohnerwehren allgemein: Large, David Clay: The Politics of Law and Order. A History of the Bavarian Einwohnerwehr 1918-1921, Philadelphia 1980.

[54] Siehe: Rohe 1966, S. 21.

[55] Die Freikorps z.B. wurden, nachdem sie im März 1919 zunächst als „vorläufige Reichswehr“ anerkannt wurden, nach zustande kommen des Wehrgesetzes 1921 aufgelöst. Siehe hierzu: Caspar, Gustav Adolf: Die sozialdemokratische Partei und das deutsche Wehrproblem in den Jahren der Weimarer Republik, S. 13, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau. Zeitschrift für Europäische Sicherheit, Beiheft 11, Frankfurt a. M. Oktober 1959, 1- 106.

[56] Siehe: Rohe 1966, S. 24-26.

[57] Zitiert nach: Winkler 1985, S. 667, Z. 20-25.

[58] Siehe: Gotschlich 1987, S. 12.

[59] In: Rohe 1966 S. 36, Z. 14-18.

[60] In: Deutsch, Julius: Antifaschismus. Proletarische Wehrhaftigkeit im Kampf gegen den Faschismus, Wien 1926, S. 100.

[61] Siehe: Rohe 1966, S. 35.

[62] Siehe: Rohe 1966, S. 38.

[63] Siehe: Rohe 1966, S. 33-34.

[64] Die zahlreichen Aktivitäten des Stahlhelms in Magdeburg sind vor allem damit zu erklären, dass dieser 1918 als Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten hier gegründet wurde. Zum Stahlhelm allgemein, siehe: Berghahn, Volker R.: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918-1935, Düsseldorf 1966.

[65] In: Rohe 1966, S. 40, Z. 9-17.

[66] Siehe: Rohe 1966, S. 41.

[67] Dieser Vorschlag wurde vom Parteivorstand wohlwollend aufgenommen. Man erhoffte sich, dass der zu schaffende Verband alle republiktreuen Kräfte vereinigte, als Symbol einer nach Homogenität strebenden Demokratie. Zudem erwartete man die Erschließung neuer Wählerschichten. Siehe: Neumann, Sigmund: Die deutschen Parteien. Wesen und Wandel nach dem Kriege, Berlin 1932, S. 34.

[68] Das bestätigen in brieflichen Auskünften die drei sozialdemokratischen Gründungsmitglieder Gustav Ferl, Walter Röber und Ernst Böhme. In: Rohe 1966, S. 55.

[69] In der offiziellen Reichsbannerversion heißt es, dass Hörsing alleine für die Gründung des Reichsbanners verantwortlich war. Die offizielle Darstellung seitens der Partei stammt von Friedrich Stampfer, in der es heißt, dass die Initiative von Otto Wels ausging. Der Verdacht liegt nahe, dass die Version des Reichsbanners, den Anteil der SPD kaschieren will, um so den überparteilichen Charakter stärker zu betonen. Den bürgerlichen Kreisen, aus denen Hörsing ebenfalls Mitglieder gewinnen wollte, war das Reichsbanner ohnehin schon als „rote“ Erfindung suspekt. Siehe: Rohe 1966, S. 44.

[70] Über sämtliche Gespräche im Vorfeld ist nur wenig bekannt. Fest steht zum einen, dass der Vorstand der SPD widerstrebende Bezirke versuchte von der überparteilichen Linie zu überzeugen und zum anderen, dass es keine direkten Verhandlungen mit den Vorständen der DDP und des Zentrums gab. Siehe: Rohe 1966, S. 68.

[71] Das heißt natürlich nicht, dass es keine Kritiker gab. Besonders linke Parteileitungen wie in Thüringen oder Sachsen hatten große Probleme mit dem überparteilichen Charakter des Reichsbanners. Siehe: Rohe 1966, S. 55. Andererseits kritisierte z.B. das Zentrum die engen Verbindungen zum österreichischen Schutzbund, welcher sich wesentlich marxistisch generierte. Siehe: Rohe 1966, S. 200-212.

[72] Beim Rechtsanwalt Hammerschlag in Magdeburg waren mit Hörsing, Höltermann, Röber, Böhme, Baer und Baerensprung allein sechs Sozialdemokraten anwesend. Dazu kam Pohlmann für die DDP und ein christlicher Gewerkschafter. Siehe: Rohe 1966, S. 69.

[73] Die genauen Vorgänge bei der Wahl und der Verabschiedung der ersten Satzung sind weitgehend ungeklärt. So vermutet Rohe, dass die erste Satzung vom 27. Februar 1924 nicht bei der Gründungskonferenz verabschiedet wurde, sondern in freiem Ermessen durch den Bundesvorstand entstanden ist. Siehe: Rohe 1966, S. 69-70.

[74] Rohe 1966, S. 71.

[75] Siehe: Rohe 1966, S. 73.

[76] So z.B. bei: Posse 1931, S. 65.

[77] In: Rohe 1966, S. 266, Z. 14-16 und Z. 22-24.

[78] Leber gehörte schon im August 1923 zu einem in Lübeck gegründeten Dreier-Ausschuss, welcher die Organisation und Leitung der Vereinigung Republik übernahm. Dieser Verband sollte SPD Veranstaltungen in Lübeck schützen, hatte aber durch seinem Namen und durch die Verwendung der Farben Schwarz-Rot-Gold auch eine allgemein republikanische Symbolkraft. Er war somit eine Mischung der weiter oben beschriebenen Typen von Wehrverbänden, die im Umfeld der SPD entstanden und dem Wesen nach dem späteren Reichsbanner sehr ähnlich. Siehe: Beck, Dorothea: Julius Leber. Sozialdemokrat zwischen Reform und Widerstand, Berlin 1983, S. 42-43.

[79] Siehe: Beuys, Babara: Verteidigung der Republik: Der sozialdemokratische Reformer Theodor Haubach (1896-1945), Hamburg 2000, S. 28. Für eine ausführliche Analyse der sozialen Zusammensetzung des Reichsbanners, siehe: Rohe 1966 S. 266-278.

[80] Um Missverständnissen vorzubeugen, sei gesagt, dass auch in den Anfangsjahren Schutzfunktionen und handfeste Auseinandersetzungen zum Aufgabenbereich des Reichsbanners gehörten, ebenso wie die politische Symbolwirkung auch in den letzten Jahren der Weimarer Republik eine Rolle spielte.

[81] Diesen Vorrang von politisch-symbolischen Elementen sieht man besonders unter §2 der Bundessatzung von 1928, in dem es um die Aufgaben des Bundes geht. An erster Stelle stehen hier Wahrung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interessen der Republik, die Jugenderziehung und die Festigung und Verbreitung einer republikanischen Gesinnung, erst dann folgt eine Beschreibung konkreter Schutzfunktionen. In: Bundesvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (Hg.): Bundessatzung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Bund deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner. Sitz Magdeburg, Magdeburg 1928, §2.

[82] Diese Satzung trat am 1. Januar 1929 in Kraft und wurde auf der Bundes-Generalversammlung, die vom 2. bis 4. Oktober in Hannover tagte, beschlossen. In: Bundesvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (Hg.): Bundessatzung 1928.

[83] So sieht es auch Karl Rohe, der ebenfalls fast ausschließlich mit der Satzung von 1928 arbeitet, da sie im wesentlichen ihre Vorgänger präzisiert und ergänzt. In: Rohe 1966, S. 84.

[84] Siehe: Rohe 1966, S. 200 ff.

[85] Siehe: Rohe 1966, S. 204 ff.

[86] In: Bundesvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (Hg.): Bundessatzung 1928, §8.

[87] Die Wahl von Kreisvorständen war zunächst eine „Kannvorschrift“, jedoch wurde die Rolle der Kreise als Organisationseinheit mit der Satzung von 1928 erheblich aufgewertet. Die Delegierten für die Bundes- wie für die Gaugeneralversammlung wurden auf Kreisebene gewählt. Der Bezirk hingegen wird in keiner Satzung erwähnt und galt, wenn auch nicht ausschließlich, als technische Einheit. Siehe: Bundesvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (Hg.): Bundessatzung 1928, §12 ff.

[88] Siehe: Bundesvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (Hg.): Bundessatzung 1928, §8.

[89] Siehe: Rohe 1966, S. 85.

[90] Zur SA, siehe: Longerich, Peter: Geschichte der SA, München 2003.

[91] Im Folgenden als Jungdo bezeichnet. Über den Jungdeutschen Orden gibt es noch keine wissenschaftliche Arbeit, sieht man von Gerhard Rendas Begleitbuch zu einer Wanderausstellung ab. Renda, Gerhard: Hart und Zart: die Trachtengruppe des Jungdeutschen Ordens, Begleitbuch zur gleichnamigen Wanderausstellung des Westfälischen Museumsamtes, Münster 2003.

[92] Der Jungdo sah in seinem „Kursystem“ z.B. die Verbindung von Potsdam und Weimar, während der Stahlhelm in der Verbindung von Wahl und Kontrolle die dem deutschen Wesen am ehesten entsprechende Weise der Führerauslese sah. Siehe: Rohe 1966, S. 92.

[93] Siehe hierzu: Schröder, Peter: Die Leitbegriffe der deutschen Jugendbewegung in der Weimarer Republik. Eine ideengeschichtliche Studie, in: Geschichte der Jugend, Bd. 22, Münster 1996. Oder: Laquer, Walter: Die deutsche Jugendbewegung, Köln 1962.

[94] In §25 der Satzung von 1928 heißt es: „Politisch einseitig zusammengesetzten Vorständen ist die Bestätigung zu versagen.“ In: Bundesvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (Hg.): Bundessatzung 1928, §25.

Excerpt out of 113 pages

Details

Title
Gewalt für die Demokratie?
Subtitle
Die Kampfverbände von SPD und SDAP (1932-1934) im Vergleich
College
Humboldt-University of Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Grade
1,6
Author
Year
2007
Pages
113
Catalog Number
V88731
ISBN (eBook)
9783638034579
ISBN (Book)
9783638932349
File size
917 KB
Language
German
Keywords
Gewalt, Demokratie
Quote paper
Sascha Brejora (Author), 2007, Gewalt für die Demokratie?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88731

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