Anlage - Umwelt - Kontroverse und die Intelligenz


Mémoire pour le Diplôme Intermédiaire, 2002

42 Pages, Note: 1 (sehr gut)


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung
1.1. Der Fall von Kaspar Hauser
1.2. Die Kaspar-Hauser-Problematik beim Menschen
1.3. Historische Hintergründe der Zwillingsforschung
1.4. Schwächen der Sozialforschung

2. Allgemeines zur Zwillingsforschung
2.1. Grunddesign der Zwillingsforschung
2.2. Kritik an der Zwillingsforschung
2.3. Umwelteinflüsse:
2.4. Geteilte und nicht geteilte Umwelten
2.5. Auswirkungen von Erbe und Umwelt
2.6. Ziele der Zwillingsforschung

3. Verschiedene Methoden der Zwillingsforschung
3.1. Getrennt aufgewachsene eineiige Zwillinge
3.1.1. Die Untersuchung von Newman et al. von 1937
3.1.2. Die Untersuchung von Taylor (1980)
3.1.3. Die Untersuchung von Shields von 1962
3.2. Vergleich eineiiger mit zweieiigen Zwillingen
3.2.1. Die Studie von Loehin & Nichols
3.3. Adoptionsstudien:
3.3.1. Das Texas Adoptionsprojekt

4. Intelligenz und Intelligenzentwicklung
4.1. Probleme der Intelligenzentwicklung im Lichte der Zwillingsforschung
4.2. Kritik an der biologisch zentrierten Intelligenzkonzeptionen
4.2.1. Mängel in der theoretischen Bestimmung der Intelligenz
4.2.2. Fehleinschätzung des Intelligenztests als Messinstrument
4. 3. Kritik der umweltzentrierten Intelligenzkonzeptionen:
4.4. Die Louisville-Zwillingsstudie

5. Schlussfolgerungen

Literaturverzeichnis

Anlage – Umwelt – Kontroverse und das Intelligenz

1. Einleitung

Die zugrunde liegende Arbeit soll ein kurzer Einblick in die Anlage-Umwelt-Kontroverse vermitteln. Hierbei werde auf allgemeines, wie auf verschiedene Positionen, bzw. auf die Methoden der Zwillingsforschung eingehen. Einige Untersuchungen werden näher vorgestellt, die zu klären versuchen, ob die individuelle Unterschiede bezüglich der Persönlichkeitsunterschiede auf die Anlage oder auf der Umwelt zurückzuführen seien. Ein wichtiges Teil dieser Arbeit bildet auch der Bereich der Intelligenz. In dieser Arbeit werden bestimmte spezielle Forschungsrichtungen, wie z.B. die Entstehung des kriminellen Verhaltens, verschiedene psychiatrische Störungen, u. ä. nicht behandelt.

Die Frage, die sich hier stellt - und in den letzten Jahrzehnten auch immer penetrant wiederkehrt - ist, was Menschen bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen, ob die Unterschiede durch die Kräfte der Erbanlagen oder durch äußere Einflüsse, wie z.B. die familiäre- oder die soziale Umwelt „determiniert“ sind. Die in den letzten Jahren beobachtbare zunehmende Interesse an genetischen Determinanten menschlicher Merkmale liegt wahrscheinlich an den bemerkenswerten Fortschritten der medizinischen Genetik. Die größte Tragweite bedeutete das „Entziffern des genetischen Kodes“ von Watson und Crick in Form des allgemein bekannten Helix-Modells der DNS. Das erneute Interesse zeigte sich vor allem in mehreren Zwillingsstudien, wie z.B. die von Vandenberg (1962), die seit Anfang der 60-er Jahre stattgefunden haben.

Als erstes müssen aber der Bedeutungen der Begriffe Anlage, Umwelt und Intelligenz geklärt werden. Was die Intelligenz betrifft, so ist feststellbar, dass über eine Definition wenig Übereinstimmung herrscht. Unter den Definitionen der Intelligenz finden wir Fähigkeiten, wie „abstraktes Schlussfolgern und denken“, „das Vermögen, sich Wissen anzueignen“ und die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Laut einer anderen Definition bedeutet Intelligenz die Fähigkeit zu verstehen, wissen oder diese zu begreifen. Viele der Definitionen sind deutlich von der Psychometrie beeinflusst. Sie definieren Intelligenz folgendermaßen: „Die durch Intelligenztests oder andere soziale Kriterien nachgewiesene Fähigkeit, vorhandenes Wissen zu nutzen um Probleme zu bewältigen, Symbole oder Beziehungen anzuwenden, neue Beziehungen herzustellen und abstrakt zu denken.“ (Zitat nach Rowe: Genetik und Sozialisation, Seite 126.). Man kann also behaupten, dass Intelligenz ein verschwommener Begriff ist. Ich komme aber später noch darauf zurück.

Die Bedeutung der anderen Begriffe ist einfacher, sie können nämlich viel genauer beschrieben werden: Zwei Bedingungskomplexe bestimmen die Unterschiede zwischen den Menschen:

- die ererbte Anlage, auch Veranlagung genannt und
- der Umwelteinfluss (z.B. die Erziehung).

Frühere Theorien, die immer nur einen Komplex als bestimmend annahmen, haben heute ihre Gültigkeit verloren. Inzwischen weiß man, dass die Entwicklung eines Menschen immer das Ergebnis einer Wechselwirkung von Anlage- und Umweltfaktoren darstellt. Generell kann man davon ausgehen, dass alle Verhaltensweisen eine vererbte Basis haben. Allerdings sind beim Menschen alle Verhaltensweisen durch Lernprozesse modifizierbar bzw. auch veränderbar. Weiterhin gibt es biologisch vorgegebene Grenzen, d.h. z.B. dass bei einer erblichen Veranlagung zu einer seelischen Krankheit die Möglichkeiten der Anpassung und Umgestaltung von Verhaltensprozessen beschränkt sind.

Welche Rolle spielen Anlage und welche Rolle Umwelt in der menschlichen Erziehung? Grundsätzlich sind zwei extreme Antworten denkbar:

1. alles ist Umwelt
2. alles ist Anlage

Dafür, dass es ist nicht so einfach ist, kann man sehr viele Beispiele liefern. Verschiedene Forschungsrichtungen, wie z.B. die Zwillingsforschung versuchen zu klären, wofür genau Anlage und wofür die Umwelt verantwortlich ist. Sicher ist, dass uns in unserem Leben beide Faktoren beeinflussen.

1.1. Der Fall von Kaspar Hauser

Ein eindeutiges Beispiel für die Wechselwirkungen beider Faktoren bezüglich der Entwicklung einer Person liefert der Fall von Kaspar Hauser.

Kaspar Hauser wurde im Mai 1828 in Nürnberg „gefunden“. Damals war er ca. 16 – 17 Jahre alt, er konnte sich kaum verständigen, und wusste nicht einmal, welche Bedeutung das von ihm Gesagte hat. Kaspar wird bei dem Gymnasialprofessor Georg Friedrich untergebracht. Nach zwei Jahren kommt er zu Anselm von Feuerbach. Nachdem er gefunden wurde, hat man auch mit seiner Rückführung in die Zivilisation begonnen. Man ging nach näherer Begutachtung seiner Person davon aus, dass er bis zum Alter von 3 – 4 Jahren in einer familiären Umgebung aufgewachsen war. Danach wurden ihm alle Umwelteinflüsse bis zum Alter vom 17 Jahren entzogen. Man nahm ihn dann auf und begann mit der Zurückführung in die Zivilisation. Sprache und soziales Verhalten konnten von ihm erlernt werden, jedoch der Aufbau von Emotionen und sozialer Bindungsfähigkeit waren ihm nicht mehr möglich.

Dieses Beispiel dient der Verdeutlichung, dass nicht nur Anlagen sondern auch Umwelteinflüsse wesentlich zur Entwicklung des Menschen beitragen.

1.2. Die Kaspar-Hauser-Problematik beim Menschen

Die Kaspar-Hauser-Versuche sind eigentlich Tierexperimente, die in der zoologischen Grundlagenforschung angewendet werden. Trotzdem gehören die sog. Kaspar-Hauser-Situationen mit ihren verschiedenartigen Formen des sozialen Entzugs und direkter Isolation auch zum gesellschaftlichen Alltag der Menschen. Die spektakulärsten und extremsten Kaspar – Hauser – Situationen sind wahrscheinlich die Wolfskinder. Diese Kinder wurden meist im Säuglingsalter ausgesetzt und von sozial lebenden Tieren gesäugt. Sie sind innerhalb des tierischen Sozialverbandes aufgewachsen. Trotz dessen, wie unmenschlich diese Versuche sind, existieren historische sog. Kaspar-Hauser-Experimente. In diesen Fällen wurden Neugeborene sofort nach der Geburt in völliger Isolation aufgezogen, um zu klären, wie verschiedene menschliche Fähigkeiten, wie z.B. das Sprechen in der Entwicklung stehen.

„Die gegenwärtige Frage des Verhältnisses der Anlage / Umwelt ist deshalb nicht nur eine naturwissenschaftliche, experimentell entwickelte Problemstellung, sondern sie besitzt selbst wieder eine lange vorwissenschaftliche Ideengeschichte und wurde je nach den historischen Gesellschaftsbedingungen radikal gestellt.“ (Werner Knoche: Das Erbe-Umwelt-Problem, Begriffliches und Klärendes zu Begabung und Intelligenzerblichkeit, Seite 42)

Die methodologische Bedeutung dieser Versuche liegt darin, dass sie eine vielseitige Experimentalanordnung sind, um das Anlage-Umwelt-Problem empirisch im Tierverhalten überprüfen zu können. Um die Kaspar-Hauser-Experimente durchführen zu können, muss erst der unscharfe Begriff angeborenes Verhalten in seiner allgemeinen Bedeutung als wissenschaftlichen Terminus anerkannt werden. Erst dann ist es sinnvoll weitere Unterscheidungen zu treffen. Für diese werden dann weitere Experimente entwickelt. Der Begriff angeborenes Verhalten kann in der Ethnologie verschiedenes bedeuten, z.B. ein ererbtes Bewegungsmuster, eine angeborene Handlungsbereitschaft oder aber einen angeborenen Auslösemechanismus. Die Eigenschaft angeboren bedeutet nicht, dass die Umwelt an der Ausbildung des Verhaltens keinen Einfluss hat oder dass das Verhalten was angeboren sein soll, schon bei der Geburt vorhanden sein muss. Jedes sog. angeborene Verhalten bedeutet das Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen Anlage und Umwelt.

Erkenntnistheoretisch gesehen liegt die Besonderheit bei Kaspar-Hauser-Versuchen daran, dass sie genaue Aussagen darüber machen können, was nicht gelernt wird. Die Kaspar – Hauser – Versuche sind nur ein Verfahren zur Untersuchung angeborenen Verhaltens.

Wenn von der Erblichkeit eines Merkmals gesprochen wird, dann wird damit nicht gemeint, dass zwischen den Individuen die Unterschiede in diesem Merkmal genetische Gründe haben, sondern, dass es eine gewisse Stabilität der Merkmalsausbildung gegenüber den Umweltparametern ist. Die Vehaltenseigenschaften unterscheiden sich zum Teil stark in der Art und Weise, wie sie durch Umwelteinflüsse modifizierbar sind. Merkmale, die unter den sog. Kaspar-Hauser-Bedingungen ausgebildet werden können, sind extrem stabile Merkmale. Diese Bedingungen bedeuten nichts anderes, als dass das sich entwickelnde Individuum bei totaler Isolierung von allem für das Merkmal relevanten Stimuli, noch vollwertig ausbildet. Es sind auch sog. extreme Merkmale, bei deren Entwicklung das Lernen eine wesentliche Rolle spielt. Den Kulminationspunkt bildet unsere Sprachfähigkeit. Sie entwickelt sich nur dann, wenn eine Lernmöglichkeit existiert. Es muss aber erwähnt werden, dass es experimentelle Beweise dafür gibt, dass um untersuchen zu können , welche Sprache diese „misshandelten“ Kinder sprechen, sie in völliger Isoliertheit aufwachsen lassen. Kinder, die in Gruppen ohne irgendeinen Sprachunterricht aufgewachsen sind, haben selbst eine einfache Sprache entwickelt. Die meisten der menschlichen Eigenschaften gehören aber weder zum einen noch zum anderen Typ . Häufig wird das Verhalten in seinen Grundstrukturen instinktiv angelegt und die Umwelt übernimmt die Feineinstellung. Beispiel dafür könnte z.B. die Ausbildung der verschiedenen Verhaltensweisen sein . Grundsätzlich kann man jedes Merkmal sowohl durch genetische Methoden als auch durch Umweltmanipulation verändern. Auf welchem „Programm“ eine bestimmte Verhaltensweise beruht, ob auf einem geschlossenen, d.h. sehr stabilen oder auf einem offenen, also sehr labilen Programm, ist nur durch einen Kaspar-Hauser-Experiment zu entscheiden. In diesem Fall werden alle Möglichkeiten von dem sich entwickelnden Individuum entzogen, die dafür bestimmt sind, ein bestimmtes Merkmal zu lernen. Danach wird die Entwicklung dieses Merkmales beobachtet. Wenn es trotzdem zu dessen Ausbildung kommt, dann ist die Grundlage für dieses Merkmal ein geschlossenes Programm. Wenn es aber nicht ausgebildet werden kann, dann bedeutet es folglich, dass es hier vermutlich um ein offenes Programm geht. Diese Schlussfolgerung ist deshalb problematisch, weil das Verschwinden eines Verhaltens unter Kaspar-Hauser-Bedingungen auch durch einer allgemeinen Schädigung des Organismus zur Stande kommen kann. Es kann durch die häufig beobachtete Deprivationsbedingungen verursacht werden und nicht unbedingt wegen dem Entzug spezifischer Stimuli des betreffenden Verhaltens. Es sind verschiedene Untersuchungen, die an taubstummen und blinden Kindern durchgeführt wurden. Diese belegen eindeutig, dass das menschliche Lachen und Weinen nicht abgeschaut oder abgehört werden muss. Trotzdem sind bei diesen instinktiven Verhalten mehrere Umweltfaktoren, die eine Voraussetzung der normalen Entwicklung sind, beobachtbar. Schlussfolgernd kann man sagen, dass es unsinnig ist, von einem ererbten Verhalten sprechen, weil kein Merkmal in diesem Sinne völlig ererbt oder umgekehrt, völlig erworben sein kann.

1.3. Historische Hintergründe der Zwillingsforschung

Die Ursprünge der Zwillingsforschung reichen bis ins letzte Jahrhundert. Als ihr Gründer gilt Sir Francis Galton (1822 – 1911), ein Cousin von Charles Darwin.

Er war der Erste, der die Bedeutung von Erbe und Umwelt wissenschaftlich zu klären versuchte. Galton hat die ersten Zwillingsstudien (1883) durchgeführt, und auch erkannt, dass diese Problematik durch die spezielle „Stellung“ der Zwillinge eine einzigartige Möglichkeit bietet etwas sicheres zu dem Thema Anlage – Umwelt – Problematik aussagen können. Er schrieb in seinem Buch: „The history of Twins (...)“ (1876): „die Lebensgeschichte der Zwillinge gestattet uns nämlich, (...) zwischen den Einflüssen der Naturanlage und Umwelt zu unterscheiden“ (Zitat nach Friedrich, Walter / Kabat vel Job, Otmar, Zwillingsforschung international, Seite 13). Die Schlüsselfrage bei seinen Untersuchungen ist, in wie weit bei der Geburt ähnliche Zwillinge, als Folge unterschiedlicher Umwelteinflüsse einander unähnlicher werden und umgekehrt. Seine Studien entsprechen zwar nicht den heutigen methodischen Standards, trotzdem wird nicht bestritten, dass die heute noch aktuelle Zwillings- und Adoptionsmethoden, in die Verhaltensgenetik eingeführt wurden, sein Verdienst war.

Die umfassende praktische Nutzung der Zwillingsmethode zur Feststellung des Einflusses von Vererbung und Umwelt auf die Herausbildung bestimmter Merkmale des menschlichen Organismus begann 1924, als Siemens die Methode einer relativ zuverlässigen Differenzierung von eineiigen Zwillingen (im weiteren mit EZ abgekürzt) und zweieiigen Zwillingen (im weiteren mit ZZ abgekürzt) entwickelt hatte. Diese Methode ist die sog. „polysymptomatische Ähnlichkeitsmethode“, was auf dem Intrapaarvergleich einer Reihe von erblich stabilen Merkmalen wie z.B. Fingerabdrücke, Haar-, Körper- und Augenfarbe, beruht.

In der weiteren Entwicklung der Zwillingsforschung hat ihr Missbrauch im „Dritten Reich“ allerdings bewirkt, dass sie zumindest in Deutschland sehr lange als heikel gilt. (In Ausschwitz überlebten von 3000 Zwillingen, die für medizinische Experimente missbraucht wurden, nur 157). Während des Faschismus ist die Zwillingsforschung in den Sog der herrschenden Ideologie geraten. Diese junge Forschungsrichtung kam den faschistischen Ideologen sehr gelegen. Die ersten Ergebnisse wurden z.B. für Blut- und Bodenmysik, für Rassismus als wissenschaftliche Belege gesehen. Viele der prominenten Zwillingsforscher wurden zu aktiven Fürsprechern. Das erklärt warum die Zwillingsforschung sofort nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland eine Ende fand. In anderen Ländern, besonders in der USA, England, Frankreich und in der damaligen Sowjetunion haben seit Jahrzehnten verschiedene „Schulen“ der Zwillingsforschung etabliert.

Anfangs gab es viel zu hohe Erwartungen an diese Forschungsrichtung und die ersten Ergebnisse wurden gewaltig überschätzt. Die Forscher glaubten, durch diese Studien die Grundfragen der körperlichen und psychischen Entwicklung der Menschen nicht nur schnell, sondern auch präzise klären zu können. Das beweist auch die Meinung von Lotze, der gesagt hat, dass die Zwillingsforschung unmittelbar an die Grundfrage alles menschlichen heranführt. Nämlich an die Frage nicht nur was, sondern auch wieviel am Menschen durch Erbgut gegeben ist, und was können Umwelteinflüsse an diesen gegebenen Kern noch formen oder ändern. Damals dachten die Forscher, dass die Merkmale des psychischen Verhaltens genau so wie die körperlichen Merkmale genetisch festgelegt sind. Deshalb wurden auch die Korrelationen der körperlichen Merkmale zwischen EZ ohne weiteres auf die psychischen Merkmale extrapoliert. Den damaligen Stand der Forscher kann man mit dem Satz von Lotze von 1937 gut beschreiben: EZ sind völlig gleich, von den Sommersprossen auf der Nasenspitze bis zu den kleinsten Regungen des Seelenlebens. Aber bald wurde dieser sehr naive Stand der Forscher in Frage gestellt. Erst Bracken, dann Zazzo weisen auf die unterschiedlichen Bedingungen der sozialen Umwelt der Zwillinge hin. Seitdem ist allgemein bekannt, dass diese Umweltfaktoren der Zwillinge nicht gleich sind, sondern different ausgeprägt. Das betrifft unter anderem die Erziehungssysteme der Eltern, oder die spezielle Paarsituation der Zwillinge.

Nachdem der wesentliche genetische Unterschied von EZ und ZZ geklärt war, wurde die Bestimmung des Zwillingstypus sehr schnell weiterentwickelt und präzisiert. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Eiigkeit der Zwillinge noch durch den subjektiven Eindruck des Untersuchungsleiters hinsichtlich der morphologischen Merkmale festgelegt. Es wurde oft auch durch eine einfache und recht zugängliche Methode, durch die schriftliche Befragung unterstützt, die auch eine Standardisierung der Antworten erfordert. Dabei wurde auch der Grad der Ähnlichkeit bestimmt. Heute gilt neben der Methode der Gewebstransplantation die Untersuchung der Blutgruppen und –Faktoren als die zuverlässigste Methode zur Bestimmung des Zwillingstyps. Mit der Entwicklung verschiede Bereiche der Medizin, wie Immunologie der serologischen Eiweiße des Blutes, begann man für die Eiigeitsdiagnose einige Systeme dieser Eiweiße zu nutzen. Diese Methoden sind aber bei größeren Stichproben sehr kostspielig. Deshalb wurden statt dessen Fragebögen entwickelt, die als Grundbasis die Ähnlichkeit im Aussehen und die Verwechslung in der Kindheit haben..

Anne Mari Torgersen hat die Ergebnisse der Blutgruppenbestimmung mit den Antworten verglichen, die 229 gleichgeschlechtliche erwachsene Zwillingspaare gegeben haben. Diese Befragung erfolgte durch Fragebögen. Die mittlere Wahrscheinlichkeit der Eiigkeit eines als eineiig klassifizierten Paares wurde entsprechend der Genhäufigkeit in Norwegen auf 3,4% geschätzt. Aus den Ergebnissen ging hervor, dass die Antworten auf den Fragebögen deutlich zwischen den nach der Blutgruppen- und Faktorenbestimmung als eineiig und zweieiig klassifizierten Zwillingen trennen. Ein Vergleich der beiden Testergebnisse ergab eine Übereinstimmung von 95%. Nur bei 9 von 215 Zwillingspaaren wurde durch die Fragebögen eine andere Eiigkeit bestimmt als durch die Blutgruppenbestimmung. Vier von diesen 9 Paaren (sie alle wurden durch die Bluttests als EZ klassifiziert) waren durch ihr äußerliches Bild so verschieden, dass sie ZZ sein müssten. Daraus kann man ableiten, dass ein sog. postalischer Fragebogen bei der Eiigkeitsbestimmung genauso korrekt ist, wie die Blutgruppen- und serologische Bestimmung mit zehn genetischen Merkmalen.

In der heutigen Zeit beschäftigen sich weltweit viele Institute und Organisationen mit der Zwillingsforschung. In Deutschland sind beispielsweise die Zwillingsforschung beim Max – Planck Institut für psychologische Forschung oder eine neue Studie der Universität Bielefeld, wo über 2200 Zwillinge untersucht werden, zu nennen.

1.4. Schwächen der Sozialforschung

Eine sehr wichtige Frage ist, in wie weit unterschiedliche Erziehungen unterschiedliche Eigenschaften bei Kindern hervorrufen. Man kann drei befürwortende Theorien für den Einfluss von Erziehung nennen, die Freudsche Theorie, den frühen Behaviorismus und die soziale Lerntheorie.

Die Problematik dieser drei Theorien ist, dass sie das Verhalten der Eltern als hauptsächlichen Einfluss auf das Persönlichkeits- und intellektuelle Entwicklung sehen, ohne die geerbten „Veranlagungen“ miteinzubeziehen.

Die Freudsche Theorie hat die Wissenschaft der kindlichen Entwicklung nicht dominiert. Dies liegt u.a. daran, dass die Theorie nicht nur widersprüchlich in sich ist, sondern die empirischen Untersuchungen nach dem zweiten Weltkrieg die zentralen Behauptungen Freuds auch in Frage gestellt bzw. geschwächt haben.

Was den frühen Behaviorismus angeht, so plädierte sie für den Einfluss der Umwelt. Als Beweislage bediente sich diese Theorie nur aus einen „Experiment“, das mit einem einzigen Jungen durchgeführt wurde. Auf Grund der Stichprobengröße ist dies nicht aussagekräftig genug.

Die soziale Lerntheorie besagt, dass Verhaltensweisen erlernbar sind, indem die Kinder andere Kinder beobachten. Dies gilt auch für die Familie. Wenn Kinder z.B. zu Hause lange genug das Verhalten der Eltern oder Geschwister beobachten, dann wird dieses Verhalten in das eigene Verhaltensrepertoire aufgenommen.

Das Problem bei Sozialisationsstudien ist, dass sie keinen klaren und eindeutigen Nachweis für die Wirkung der Erziehung liefern können, weil sie die Einflüsse der geerbten Gene nicht ausschalten können. Den Beweismangel der Sozialisationsstudien kann man an einem einzigen Beispiel veranschaulichen:

Man soll sich eine Untersuchung vorstellen, bei der die Wirksamkeit von zwei Medikamenten, A und B – beide gegen Depression – untersucht werden. Der Versuchsleiter teilt die Kinder, die an den Versuch teilnehmen, in zwei Gruppen. Die Teilnehmer aus Gruppe A bekommen beide Medikamente und die aus der Gruppe B zwei Placebos. Diese Placebos sind sowohl nach dem Geschmack als auch nach dem Äußeren den richtigen Medikamenten verwechselnd ähnlich. Das daraus resultierte Ergebnis ergibt, dass die Kinder, die die richtigen Medikamente bekommen haben weniger depressiv wurden, und auch ihre schulische Leistungen besser geworden sind. Dagegen bleibt die Placebogruppe hinsichtlich der Depressiviät unverändert. Der Versuchsleiter folgert daraus, dass depressive Kinder Medikament A bekommen sollen. Aber wie kann er sicher sein, dass der Wirkstoff in Medikament A und nicht in Medikament B ist. Laut dieser Entscheidung nämlich kann Medikament B keinen Einfluss auf Depressivität haben und somit hinsichtlich der untersuchten Krankheit unwirksam sein. Außerdem wurde versäumt zu testen, wie das Ergebnis aussehen würde, wenn die Patienten unterschiedliche Mengen von Medikament A bei gleichbleibender Menge von Medikament B und umgekehrt bekommen würden. Und genau solche Untersuchungen werden in der Sozialforschung nicht nur ständig durchgeführt sondern sogar auch geduldet. Deshalb kann man aus solchen Untersuchungen keinerlei Schlüsse ziehen, da sie nicht aussagekräftig genug sind.

In dem Fall, dass Medikament A = familiäre Umwelt und Medikament B = Vererbung ist, muss man davon ausgehen, dass Vererbung keinerlei Einfluss auf das Verhalten hat. Es ist aber wissenschaftlich bewiesen, dass die von den Eltern geerbten Gene, bei den Kindern die gleichen oder zumindest ähnliche Verhaltensweisen hervorrufen können. Darauf soll im weiteren aber hier nicht tiefer eingegangen werden, denn es ist die Aufgabe der Verhaltensgenetik.

2. Allgemeines zur Zwillingsforschung

2.1. Grunddesign der Zwillingsforschung

Die konzeptuell einfachste Methode, durch Zwillingsstudien etwas über die Erblichkeit eines Merkmals zu erfahren, ist das Studium eineiiger Zwillinge, die getrennt aufwuchsen. Wenn es möglich wäre, eine Vielzahl solcher Paare direkt nach der Geburt zu trennen, und nach der Trennung in völlig verschiedenen – natürlich zufällig verteilte – Umwelten aufwachsen lassen, so ergebe die Korrelation zwischen den Zwillingen direkt die genetische Determination. Fast alle Unterschiede, die zwischen den getrennt aufwachsenden EZ auffindbar sind, sind umwelt- bzw. milieubedingt, und dadurch ein direktes Maß für die Erblichkeit.

[...]

Fin de l'extrait de 42 pages

Résumé des informations

Titre
Anlage - Umwelt - Kontroverse und die Intelligenz
Université
University of Frankfurt (Main)  (FB Pädagogik)
Note
1 (sehr gut)
Auteur
Année
2002
Pages
42
N° de catalogue
V8878
ISBN (ebook)
9783638157339
Taille d'un fichier
648 KB
Langue
allemand
Annotations
Vordiplomarbeit. 243 KB
Mots clés
Anlage, Umwelt, Kontroverse, Intelligenz
Citation du texte
Katalin Jakab (Auteur), 2002, Anlage - Umwelt - Kontroverse und die Intelligenz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8878

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