Das Bellevue-Rondell (Tramwartehalle). Geschichte eines historischen Baus in Zürich


Hausarbeit, 2015

28 Seiten, Note: 1.5


Leseprobe


Inhalt

I Einleitung
1.1 Ausgangslage
1.2 Forschungsstand
1.3 Fragestellung
1.4 Methode

II Historisch und innovativ
2.1 Städtebauliche Bedeutung
2.2 Baugeschichtlicher Hintergrund
2.3 Bauanalyse und Charakteristikum des Gebäudes
2.4 «Altneue Gedanken» nach Miroslav Šik
2.5 Sanfte Sanierung

III Schlussfolgerung

IV Anhang

I Einleitung

1.1 Ausgangslage

Es ist trotz des Fortschritts sinnvoll und notwendig, die Spuren der Vergangenheit zu bewahren. Die Gefahr des kulturellen Verlusts entsteht dadurch, dass nur ein kleiner Teil der bestehenden baulichen Substanz heute als schützenswert erachtet wird. Bereits Friedrich Nietzsche hat die Bedeutung und Bewahrung der Geschichte für den Menschen in seiner Schrift Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben herausgestellt. Erhaltung von Architektur, um den Fortbestand einer Kultur, eines Zeitgeistes zu sichern, sondern auch um den Fortbestand des Individuums im Bauwerk. «Die Geschichte gehört also […] dem Bewahrenden und Verehrenden, dem, der mit Treue und Liebe dorthin zurückblickt, woher er kommt, wohin er geworden ist [...].»1

Sanierung, Erweiterung und Umnutzung von Gebäuden statt Abriss. In diesem Sinne regt auch Miroslav Šik in seinen Schriften an, bestehende Substanz möglichst sensibel zu ergänzen. Daneben existiert die Möglichkeit, den vorhandenen Bestand im Hinblick auf aktuelle Anforderungen umzuwidmen. Ziel ist es in diesem Fall, zeitgemässe Anforderungen – etwa die Energieeffizienz, den Brandschutz oder die Barrierefreiheit – mit gestalterischen zurückhaltenden Eingriffen zu erfüllen. Aus der Geschichte wird etwas Neues geschaffen. 2

1.2 Forschungsstand

Der Umgang mit der historischen Bausubstanz ist kein neues Thema. Im Gegenteil: Bereits seit 1990 Jahren bewegt es die wissenschaftliche Forschungslandschaft. Mit seinem im Jahr 1966 erschienen Buch Die Architektur der Stadt prägte der Mailänder Aldo Rossi (1931–1997) den internationalen Architektur- und Städtebaudiskurs. Seitdem gilt Rossi als eine wichtige Referenz in der Diskussion um die Beziehung zwischen Architektur und «Geschichte und Erinnerung». Heute erscheint die Auseinandersetzung mit der Thematik aktueller denn je: Es steht die Kritik am zeitgenössischen Umgang mit dem baulichen Erbe im Fokus, welches seine historischen Spuren häufig negiert.

Der Architekt und ETH-Professor Miroslav Šik ist ein bedeutender Kopf in der schweizerischen Diskussion rund um das historische Erbe. In der Publikation «Altneue Gedanken» werden Texte und Gespräche Miroslav Šiks im Zeitraum zwischen 1987 und 2001 zusammengefasst. Šik geht es um die sanfte Form der Erneuerung, um die Integration des Neuen in das Vorhandene.

1.3 Fragestellung

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie sinnvoll Nutzungsalternativen im Umgang mit dem historischen Bestand sind.

Exemplarisch dafür werden nachfolgend die Umnutzung und der damit verbundene Umbau eines historischen, denkmalgeschützten Baus Herters vorgestellt und analysiert.

1.4 Methode

Für die Bellevue-Rondell (Tramwartehalle) am Bellevue wurde sichentschieden, weil der Bau zum einen bereits durch seine Lage eine besonders repräsentative Stellung einnimmt und zum anderen ein gelungenes Beispiel des «Modernen Bauens» Anfang der 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts in Zürich darstellt. Der Bellevue-Platz repräsentiert mit seinen Bauten ein denkmalpflegerisch und städtebauliches Ensemble besonderen Ausmasses. So verwundert es nicht, dass gerade an dieser Stelle auf die Bewahrung des Alten im Rahmen einer sanften Sanierung gesetzt wurde – alles war darauf ausgelegt, die Kontinuität in den Vordergrund zu stellen und der Geschichte Raum zu lassen.

Um eine adäquate Beantwortung der Fragestellung zu gewährleisten, ist es in einem ersten Schritt notwendig, die städtebauliche Bedeutung des Bellevue-Platzes und dessen baugeschichtliche Hintergründe zu untersuchen Kapitel (2.1 und 2.2). Vor diesem Hintergrund wird das Bestandsgebäude charakterisiert, bevor Miroslav Šiks theoretische Ansichten vorgestellt und mithilfe des Projektbeispiels verdeutlicht werden.Šiks Arbeiten beschäftigen sich mit Bauten, die im Sinne der Denkmalpflege als nicht schützenswert eingestuft werden.

Die städtebauliche Relevanz für den Ort von alltäglichen historischen Bauten spielt in seinen Arbeiten eine prägende Rolle. Eine Problematik, der auch diese Studienarbeit nachgeht. Die Grundlagen meiner Arbeit bilden Planvorlagen, Rezensionen und Besichtigungen vor Ort.

In einem abschliessenden Kapitel (2.5)wird sich eineDokumentation des Umbaus gewidmet. Da der Schwerpunkt meiner Untersuchung auf die Nutzungsperspektiven eines historischen Baus in der heutigen Zeit gelegt werden soll, verzichte ich darauf, weitere Projektbeispiele des Büros form.c (heute: Atelier Zürich) in meine Betrachtung zu integrieren

II Historisch und innovativ

2.1 Städtebauliche Bedeutung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Bellevue-Platz mit Blick auf die Quaibrücke, 1926

Lage

Weitläufig und in zentraler Lage am südlichen Endpunkt der Zürcher Altstadt liegt das Bellevue. Es bildet einen wichtigen metropolitanen Verkehrsknotenpunkt. Die besondere Bedeutung des Bellevue-Rondells hängt jedoch nicht nur mit der imposanten geographischen Lage zusammen. Anders als am Hauptbahnhof sieht man hier kaum Menschen hetzen – im Gegenteil, sie fliessen, gleiten entlang der Tramlinien. Mittendrin, wie eine schützende Insel, liegt Herters Bau des Bellevue-Rondells. Von drei Seiten wird es von Schienenachsen gesäumt – ein plastisch geformter Solitär. Der sachliche, schweizerische Begriff der Tramwartehalle trifft die Atmosphäre und das Ambiente des Baus nicht, denn statt einer Halle findet man hier einen dynamischen, schwungvollen Baukörper. Der Bellevue-Platz wird nur auf zwei Seiten von Gebäuden eingegrenzt, nach Süden und Westen ist die Fläche licht und offen (Abb. 3): Im Westen geöffnet gegen den See, im Süden unbegrenzt und mit einem Freiraum dank des sich anschliessenden Sechseläutenplatzes.

Das Bellevue-Rondell lässt das Gedränge hinter sich, die Stadt befindet sich regelrecht im Rücken. Man öffnet sich in die Weite. Hinter dem Opernhaus hebt nochmals die Stadt mit dem Seefeld-Quartier an.3

2.2 Baugeschichtlicher Hintergrund

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Bellevue-Platz mit Blick auf den Sechseläutenplatz und die Theaterstrasse, 1905

In den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts veränderte sich Zürich rasant. Durch die zweite Eingemeindung im Jahr 1934 entwickelte sich die Zürich zur Grossstadt. Die Einwohnerzahl wuchs durch zwei Eingemeindungen in den Jahren 1883 und 1936 von 50 000 auf über circa 300 000 Personen. Zur Zeit der ersten Eingemeindung 1883 konnte Zürich eine Bevölkerungszahl von 123 000 Einwohnern verzeichnen. In den 1930er Jahren verlagerte sich die Stadtentwicklung vom Wohnungsbau zur Citybildung mit öffentlichen Gebäuden.4

Umgestaltung Bellevue-Platz für die Zürcher Landesaustellung 1939

Der damalige Stadtrat Emil Klöti hatte 1936 den Ausbau des Bellevue-Platzes beschlossen, denn dem sich zwischen 1929 und 1936 verdoppelten Verkehrsaufkommen musste begegnet werden. Zudem wurde aufgrund der Zürcher Landesausstellung 1939 ein hoher Besuchersturm erwartet, der eine enorme Verkehrsbelastung mit sich bringen würde. Im Hinblick auf die Landesausstellung wurde in Verbindung mit der Umgestaltung des Bellevue-Platzes von Stadtbaumeister und Architekt Hermann Herter und dem Bauingenieur Fritz Stüssi ein Rondell, das als Tramwartehalle genutzt werden sollte, und ein Dienstgebäude errichtet.5 Beide Gebäude waren zwar als Solitäre zu betrachten, doch bildeten sie im Dialog miteinander ein Ensemble, das gestalterisch prägend für den Platz werden sollte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Lageplan des umgebauten Bellevue-Platzes, 1938

Tramhaltestelle (Bellevue-Rondell)

Das Bellevue-Rondell sowie das gegenüberliegende Dienstgebäude stehen heute unter Denkmalschutz. Sie werden im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte als von kommunaler Bedeutung klassifiziert. Von Herter stammen weitere denkmalgeschützte Bauten aus der Zeit des «Neuen Bauens», unter anderem die Tramwartehalle am Paradeplatz (1928), das Hallenbad City (1938–1941), das Strandbad Wollishofen (1939) und das Turm- und Schulgebäude Hofacker (1939).

Umgebungsbebauung am Bellevue

Die Urbanisierung Zürichs zeigte sich auch am Bellevue und seiner Umgebungsbebauung:

Das damalige Hotel Bellevue, das heute Terrasse heisst (Abb. 4), wurde 1858 nach Plänen von Leonhard Zeugheer realisiert und 1889 von Adolf Brunner umgestaltet. Der Neurenaissance-Palast mit Erkertürmen, Säulenhallen und Kuppeln befand sich an der Ecke Rämi- und Theaterstrasse. Entlang der Rämistrasse ist das Biedermeierhaus der Neuen Krone und der Kronenhalle angelegt. Damals umgaben den Stadtkern von Zürich bereits die klassizistischen Repräsentationsbauten des Hotels Baur en Ville, des Hotels Baur au Lac und der Tiefenhöfe am Paradeplatz. Historische Paläste das Hauptgebäude der ETH, der Kaserne, der Kreditanstalt und des Hauptbahnhofes gehörten seinerzeit zur Umgebungsbebauung. Die Häuserzeile an der Theaterstrasse wurde 1900 mit dem Corso-Theater im Rokko-Jugendstil von Herman Stadler und Ermil Usteri geschlossen. Der Usterhof im Jugendstil mit Odeon-Café wurde 1911 vom Architekturbüro Bischoff & Weideli erstellt. In neubarocker Formensprache errichteten die Wiener Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer 1891 das Opernhaus und 1895 die Tonhalle. Ein in sich geschlossenes und in Gänze beeindruckendes Areal entstand.6

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Bellevue-Hotel (heute Terrasse), 1896

2.3 Bauanalyse und Charakteristikum des Gebäudes

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Perspektive des Bellevue-Platzes von Osten, 1938

Lage

Das Bellevue-Rondell bildete das Präludium des Platzes. In einen Knotenpunkt liefen drei Hauptrichtungen der Tramlinien zusammen und bildeten von oben betrachtet ein Dreieck. Die so geformte Verkehrsinsel ermöglichte eine Übersicht der Fahrlinien zueinander; der Fahr- und Fussgängerverkehr umgab diese Konstellation (Abb. 5).

Baukörper, Fassaden und Grundriss

Da sich die Form der Neubauten auf dem Bellevueplatz an den Gleisanlagen orientierte, realisierte Herter die Idee eines Rundbaus für die Dreiecksinsel und eines lang gezogenen Baukörpers mit zwei halbrunden Kopfenden für das gegenüberliegende Dienstgebäude. Der zylindrische Baukörper im Inseldreieck war als Warteraum gedacht, ausgestattet mit öffentlichen Toiletten, Diensträumen, einem Zeitungskiosk und weiteren Nebenräumen.

Weiterhin überlegte Herter, den Bau transparent zu gestalten, um den Schauenden von aussen wie von innen eine gute Durchsicht zu ermöglichen. Die Form der Decke war bedingt durch die Integration einer indirekten Beleuchtung.

In der Wartehalle wie an der Aussenseite des Rundbaus brachte man Sitzgelegenheiten an; die an den geschwungenen Innenwänden installierten Aushängekästen waren für Werbung und Fahrpläne vorgesehen. Der einstöckige, zylindrische Baukörper hatte einen Durchmesser von 14 Metern. Prägnant ragte das weit auskragende Dach, das auf drei Stützen auflag, hervor. Die pilzkopfartigen Ausführungen der Ummantelung der Stützen waren getrennt vom Rundbau fundiert worden, ebenso stand der Abspannmast in der Mitte der Wartehalle – völlig unabhängig von der Konstruktion. Die Wartehalle wurde tagsüber durch ein Oberlicht von 6 Metern Durchmesser beleuchtet. Letzteres war in der Mitte der Halle angeordnet und wurde durch den Abspannmast der Tram durchdrungen (Abb. 7: Grundriss).

Konstruktion

Die Stahlkonstruktion wurde neben den drei Aussenstützen von weiteren 22 Stützen getragen, von denen waren 18 in der runden Wand der Halle und vier in der Kioskwand angeordnet. Sämtliche Stützen spannte man in den Fundamenten ein. Bei diesem Bau handelte es sich um eine Eisen - Stahl-Konstruktion, deren Ausführung auf der Grundlage eines Entwurfes von Professor Fritz Stüssi beruhte (Abb. 6: Schnitt).

Die Konstruktion des Daches war für die damalige Zeit sehr innovativ: Sie wurde mithilfe eines speziellen Betonmischverfahrens, das erstmals 1913 in Nordamerika angewendet und von einer Spezialfirma durchgeführt wurde, umgesetzt. Das Dach führte man mit einer Dachschalung aus Holzbrettern aus, darüber setzte man eine Lage Dachpappe mit Blechabdeckung. Die Entwässerung erfolgte nach innen. Eine Gunitplatte, die unter der Eisenkonstruktion angebracht war, diente der Aussteifung der Konstruktion und lieferte zudem die Basis für die Anbringung der indirekten Beleuchtung (Abb. 8: Draufsicht auf die Dachkonstruktion).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Schnitt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Grundriss

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8: Draufsicht auf die Dachkonstruktion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 9: Ansicht aus Südosten

[...]


1 Vgl. Nietzsche, 1874, S. 28.

2 Vgl. Heese, Lutz, 2014, S.4-7, sowie Vollmar, Bernd, 2014, S.14 15. in: Konservieren, Interpretieren, Transformieren – Erhalten, Deuten und Wandeln von Bauten der Jahre 1950 bis 1975.

3 Vgl. Baerlocher, 2005, S. 29–30.

4 Vgl. Kurz, 2000, S. 45–63.

5 Vgl. Kurz, 2000 , S.45–63.

6 Vgl. Baerlocher, 2005 , S. 217–220.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Das Bellevue-Rondell (Tramwartehalle). Geschichte eines historischen Baus in Zürich
Hochschule
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
Note
1.5
Autor
Jahr
2015
Seiten
28
Katalognummer
V889095
ISBN (eBook)
9783346221650
ISBN (Buch)
9783346221667
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Architektur Architekturgeschichte Hermann Herder Tramwartehalle
Arbeit zitieren
Nina Farhumand (Autor:in), 2015, Das Bellevue-Rondell (Tramwartehalle). Geschichte eines historischen Baus in Zürich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/889095

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das Bellevue-Rondell (Tramwartehalle). Geschichte eines historischen Baus in Zürich



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden