Kontrastive Analyse der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln im Deutschen und im Ukrainischen


Mémoire de Maîtrise, 2007

121 Pages, Note: 2,6


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung (Ziele und Daten der Arbeit)
1. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit
2. Zu den Quellen
3. Zur Transliteration der Beispiele

4. Aufbau der Arbeit

Theoretischer Teil
1. Methoden und Planung bei soziolinguistischen Untersuchungen
2. Zur Befragung
3. Soziale Funktionen der Grüße
4. Der Gruß im interkulturellen Vergleich

Praktischer Teil: Kontrastive Analyse Kontaktaufnahme
1. Begegnungsgrüße im Vergleich
1.2. Mit einer Tageszeit verbundene Grüße
1.2.1. Guten Morgen! Morgen! Moin!
1.2.2. Guten Tag! Tag! Tagchen! Tach!
1.2.3. Mahlzeit!
1.2.4. Guten Abend! Abend! n`Abend!
1.3. Von der Tageszeit unabhängige Grüße
1.3.1. Grüß dich! und Grüß Sie!
1.3.2. Hallo! Hallöle! Hi!
1.3.3. Servus!
1.3.4. Küss` die Hand!
1.3.5. Willkommen! und Herzlich willkommen!
2. Befindlichkeitsfragen
2.1. Befindlichkeitsfragen als grußbegleitende Äußerungen
2.2. Auf Frage nach dem Befinden reagieren
3. Überraschungsfragen
3.1. Auf Überraschungsfragen reagieren
3.2. Erstaunensausrufe bei unerwarteten Begegnungen
3.3. Evidenzfragen und Evidenzbemerkungen als Grußäußerungen
4. Grüße bei Telefongesprächen
4.1. Sich als Anrufender am Telefon vorstellen und begrüßen
5. Nonverbale Grüße im Vergleich
5.1. Handbewegungen beim Distanzgruß
5.1.1. Das Handheben
5.1.2. Das Heranwinken
5.1.3. Das Hände-Entgegenstrecken
5.2. Kopfbewegungen und Mimik beim Distanzgruß
5.2.1. Der Augengruß
5.2.2. Der Lidgruß
5.2.3. Das Lächeln
5.2.4. Das Nicken und die Verbeugung
5.3. Der Kontaktgruß
5.3.1. Das Händeschütteln und der Händedruck
5.3.2. Der Handkuss
5.3.3. Der Kuss auf die Wange
5.4. Andere nonverbale Formen des Grußes im Vergleich
5.4.1. Das Niederknien
5.4.2. Das Lüften des Hutes

Kontaktbeendigung
6. Abschiedsgrüße
6.1. Von der Tageszeit unabhängige Abschiedsgrüße
6.1.1. Auf Wiedersehen! Auf Wiederschauen!
6.1.2. Tschüß!
6.1.3. Leb(t) wohl!
6.1.4. Mach`s gut!
6.1.5. Bleibe gesund!
6.1.6. Bis ...!
6.2. Von der Tageszeit abhängige Abschiedsgrüße
6.2.1. Guten Tag! Guten Abend!
6.2.2. Gute Nacht! Nacht!

7. Abschiedsgrüße bei Telefongesprächen

8. Alle Gruß- und Abschiedsformeln im Überblick

9. Fazit

10. Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Idee zur vorliegenden Arbeit ist im Rahmen des Seminars „Europäische Sprachen im Vergleich: Pragmatik“ unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Raster entstanden. Diese Arbeit greift mit der Verwendung von Gruß- und Abschiedsformeln ein sehr interessantes Thema aus dem Bereich Pragmatik auf und bietet eine kontrastive Betrachtung von zwei europäischen Sprachen: Ukrainisch und Deutsch. Das vorliegende Thema entstand bereits zu Beginn meines Studiums in Deutschland, da eine kontrastive Betrachtung sprachlicher Ausdrucksmittel und deren Verwendung im Ukrainischen und Deutschen kaum vorhanden ist. Die Begrüßungs- und Abschiedsformen sind nicht nur Sprachformen, sondern auch Kulturwiderspiegelung. Die Beherrschung dieser sprachlichen Formen verbindet sich mit interkulturellen Fachwissen aus Linguistik, Geschichte, Landeskunde und Literatur.

Als ich nach Deutschland kam, ist mir sofort aufgefallen, dass die Deutschen in ihrem Verhalten und Denken anders als die Ukrainer sind. Von Anfang an habe ich die großen Unterschiede bemerkt, auch wenn es um die gleichen Situationen und Probleme ging. Ich habe am Anfang viele Missverständnisse gehabt und viele für mich ungewöhnliche Situationen erlebt. Als Beispiel führe ich eine Situation auf dem Bahnhof an, wo die Repräsentanten von der Deutschen Bahn sich für technische Mängel und damit möglicherweise verbundene Unannehmlichkeiten entschuldigen:

Die Abfahrt verzögert sich leider um fünf Minuten. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Solche Entschuldigungen gehören in der ukrainischen Kultur nicht zum Standard. Deshalb war es ungewöhnlich für mich. Ich konnte auch nicht verstehen, warum die Deutschen sozial höhergestellte Personen mit Hallo begrüßen und sich von ihnen mit Tschüß verabschieden. Sozial höhergestellte Personen spricht man nicht in der Ukraine mit Hallo (Pryvit) an und verabschiedet sich von ihnen auch nicht mit Tschüß (Buvaj). Als Beispiel führe ich eine Begrüßung und einen Abschied an der Universität:

Tschüß, Professor Raster!

Hallo, Professorin Hass!

In solcher Situation, in der Ukraine, muss man Guten Tag! oder Auf Wiedersehen! sagen und auf keinen Fall Hallo! oder Tschüß!. Außerdem, ist die Anrede mit dem Titel, Dienstgrad oder Rang in der Ukraine unüblich. Im Deutschen ist es ein Zeichen für Respekt und Höflichkeit höhergestellte Personen mit ihrem Titel bei der Begrüßung anzureden. Im Ukrainischen muss man eine Person mit dem Vor- und Vatersnamen anreden. Solche Begrüßungen würden im Ukrainischen so lauten:

Auf Wiedersehen, Peter + Vatersname!

Guten Tag, Ulrike + Vatersname!

Wo zwei verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, kommen die zahlreichen Missverständnisse und sogar Auseinandersetzungen zwischen den Menschen in Gang. Solche Auseinandersetzungen und Missverständnisse habe ich auch erlebt. Aber sie haben mir auch geholfen die Fremdkultur zu verstehen. Das Verständnis der Fremdkultur fördert den bewussten Umgang mit der eigenen Kultur. Nach 5 Jahren meiner Beobachtung der deutschen Kulturspezifik und Sprachspezifik, habe ich mich mit den deutschen Verhaltensbesonderheiten, Sprachbesonderheiten und Kulturbesonderheiten vertraut gemacht. Jetzt möchte ich versuchen die Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln in beiden Sprachen näher zu betrachten und zu vergleichen.

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei den Menschen bedanken, die mir während der Erstellung meiner Arbeit eine große Stütze waren:

Mein größter Dank gilt Prof. Dr. Ulrike Hass, die mir bei der Erstellung der vorliegenden Arbeit wertvolle Anregungen gegeben und bei Zweifeln immer beigestanden hat. Vor allem waren Gespräche mit Frau Dr. Ulrike Pospiech für die Gestaltung dieser Arbeit sehr wichtig. Selbstverständlich waren es die beobachteten Studenten, Freunde aus der Ukraine und aus Deutschland, deren Hilfe wesentlich zur Sammlung der Beispiele beigetragen hat. Ihnen danke ich besonders. Ebenso bin ich Herrn Prof. Dr. Raster für die gewährte Unterstützung in langen Seminargesprächen und die Erstellung des Zweitgutachtens zu Dank verpflichtet.

1. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den ukrainischen und deutschen Begrüßungs- und Abschiedsformeln aus dem Blickwinkel der vergleichenden Sprachwissenschaft. Ziel der in meiner Arbeit durchgeführten Analyse ist es, die Unterschiede und die Ähnlichkeiten bei der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln zwischen Deutschen und Ukrainern aufzuzeigen sowie sie an den gesammelten Beispielen zu verdeutlichen und miteinander zu vergleichen. Weiterhin wird untersucht, welche Einzelfälle und Gesprächssituationen bei der Verwendung der Begrüßungs- und Abschiedsformen in beiden Sprachen bestehen.

Außerdem gehe ich der Frage nach, welches Bedeutungsverhältnis sich zwischen einem bestimmten Ausdruck und Gesprächssituation besteht und welche Beziehungen zwischen Gesprächspartnern bestehen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den gesellschaftlichen Gründen wie z. B. die institutionell und gesellschaftlich bedingte Konstellationen und Machtverhältnisse, Erwachsenen-Kind-Verhältnisse, Lehrer-Schüler- Verhältnisse u. a. Dabei versuche ich auch die kulturellen Gründe für den Gebrauch ungewöhnlicher Entsprechungen zu ermitteln.

„Wenn zwei Individuen einen Kontakt arrangieren, kostet das Zeit, Geld und Energie“, schreibt Erving Goffman.[1] Mich interessiert in diesem Fall, wie ein sprachlicher Kontakt arrangiert wird, wie also Gesprächspartner in Deutschland und in der Ukraine ihr Gespräch eröffnen und beenden.

2. Zu den Quellen

Das Datenmaterial, das der Arbeit zugrunde liegt, entstammt primären Quellen (Texten, Photos, Befragungen von Muttersprachlern, eigenen Erfahrungen und Erinnerungen an Gesprächssituationen in Deutschland[2] ), als auch, soweit es möglich war, sekundären Quellen (wissenschaftlichen Untersuchungen und Arbeiten zu diesem Thema). Ich zeichnete anhand einer Systematisierung der bisher entwickelten wissenschaftlichen Arbeiten und mit Hilfe von Gesprächsnotizen ein Bild des unterschiedlichen Kommunikationsverhaltens zwischen Ukrainern und Deutschen. Ich habe das aus sekundären Quellen gewonnene Material von den deutschen Muttersprachlern prüfen lassen, während ich umgekehrt das von befragten deutschen und ukrainischen Muttersprachlern erhaltene Material anhand meiner Beobachtungen, Befragungen und Gesprächsaufzeichnungen in Deutschland und in der Ukraine geprüft habe.

Als Ausgangspunkt meiner Arbeit dienten die von mir notierten Begrüßungs- und Abschiedsgespräche aus dem wirklichen Leben.

3. Zur Transliteration der Beispiele

Die von mir verwendete Umschrift des ukrainischen Schriftsystem basiert auf dem Transliterationsystem,[3] das in Wikipedia veröffentlicht ist. Für meine Arbeit wird ausschließlich die wissenschaftliche Transliteration verwendet. Das deutsche Transkriptionsystem wird nicht verwendet, weil es in dieser Arbeit auf eine phonetisch und phonologisch genaue Wiedergabe der gesprochenen Sprache verzichtet wird.

Ukrainisches Alphabet

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hinweise:

¹: kommt nur vor o vor

²: nur nach Konsonanten; ein Großbuchstabe existiert nicht; palatisiert den vorangehenden Konsonanten; „j“ vor „o“ , sonst (im Auslaut und vor Konsonanten) „’“; in der Transkription „j“ vor „o“ , sonst nicht wiedergegeben

³: nur zwischen labialem Konsonanten und „j“ + Vokal; in der Transkription gewöhnlich nicht wiedergegeben

4. Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit basiert im Anschluss an die Einleitung auf zwei Teilen, einem theoretischen und einem praktischen Teil.

Der theoretische Teil bildet den Ausgangspunkt für den praktischen (empirischen) Teil dieser Arbeit. Eine allgemeine Beschreibung von Zahlen und Fakten über die Verwendung von Gruß- und Abschiedsformeln in beiden Sprachen genügt nicht. Deshalb hilft der theoretische Teil eine genaue Planung des Untersuchungsprozesses zu entwickeln. Hier werden nicht nur Erkenntnisse über Verlauf, Schwierigkeiten und Bedingungen dieser Arbeit dargestellt, sondern auch Methoden und Techniken, die ich verwendet habe, präsentiert.

Die empirische Untersuchung wird in 2 Hauptteile (Kontaktaufnahme und Kontaktbeendigung) und in 7 Kapitel untergeteilt.

In Kapitel 1 wird die Verwendung von Begegnungsgrüßen im Ukrainischen und im Deutschen untersucht. Alle Begegnungsgrüße werden von mir in zwei große Gruppen untergeteilt: Grüße, die mit einer Tageszeit verbunden sind, und Grüße, die von der Tageszeit unabhängig sind.

In Kapitel 2 wird geklärt ob die Befindlichkeitsfragen im Deutschen und im Ukrainischen als grußbegleitende Äußerungen eingesetzt werden können. Zum Abschluss des Kapitels 2 wird untersucht wie man in beiden Sprachen auf die Befindlichkeitsfragen bei der unerwarteten Begegnung reagiert.

Die Besonderheiten der Verwendung von Überraschungsfragen, Evidenzfragen und Evidenzbemerkungen in den Erstbegegnungssituationen werden im Kapitel 3 erläutert.

Das Ziel des 4. Kapitels ist es, relevante Unterschiede in der Struktur von deutschen und ukrainischen Telefongesprächen, und zwar die Begrüßung bei den Telefongesprächen, deutlich zu machen. Ich werde zunächst die Verlaufsstruktur von ukrainischen und deutschen Telefongesprächen unter besonderer Berücksichtigung des Gesprächsanfangs behandeln. Sodann werde ich die deutschen Telefongespräche betrachten und anschließend einen Vergleich der deutschen und ukrainischen Begrüßungen bei der Gesprächseröffnung vornehmen.

In Kapitel 5 wird hinterfragt, ob die nonverbalen Verhaltensweisen von Ukrainern und Deutschen in der Kommunikationssituation richtig verstanden werden, denn zwei Gesprächspartner, die eine unterschiedliche Herkunft haben, verhalten sich gemäß ihrer eigenen kulturellen Gewohnheit. Dadurch messen sie Zeichen unterschiedliche nonverbale Bedeutungen zu, die vielleicht nur die eigenen Kulturen prägen. Erklärt werden auffällige Häufungen bestimmter nonverbaler Verhaltensweisen von Ukrainern und Deutschen.

Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels ist das nonverbale Handeln von Personen in unterschiedlichen Situationen, insbesondere sogenannten Erstbegegnungssituationen zwischen Ukrainern und Deutschen mit ihren wechselseitigen Wirkungen. Die Untersuchung ist auch auf nonverbale Reaktionen fokussiert.

In Kapitel 6 werden die Unterschiede und Gleichheiten bei der Verwendung von Abschiedsgrüßen in beiden Sprachen untersucht.

Das Ziel des 7. Kapitels ist es, relevante Unterschiede in der Verwendung von deutschen und ukrainischen Abschiedsgrüßen am Telefon deutlich zu machen.

Eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der kontrastiven Analyse und ein Verzeichnis der verwendeten Literatur runden diese Arbeit ab.

Theoretischer Teil

1. Methoden und Planung bei soziolinguistischen Untersuchungen

Die sozialen Verhältnisse erweisen sich als starke Einflussfaktoren. Sie wirken auf die Sprache und sprachliche Kommunikation. Renate Komes [4] schreibt: „Die Realisierung verbaler Grußäußerungen unterliegt nachweisbar multifikatoriellen Einflüssen. Die äußeren, zeitlichen und räumlichen Bedingungen der Kommunikationssituation werden von Grüßenden ebenso mit in das Grußverhalten eingearbeitet wie die Besonderheiten der sozialen Rolle des Ansprechpartners und die persönlichen Beziehungen. Es konnte nachgewiesen werden, dass einerseits Personen mit einem gesellschaftlich oder institutionell anerkannt hohen Status und andererseits Fremde in der Regel höflicher und auch förmlicher gegrüßt werden als sozial Gleichgestellte und Freunde“. Dazu sind angemessene Untersuchungsmethoden notwendig.

Die ersten Methoden für die empirische Untersuchung der gesprochenen Sprache waren in der Dialektforschung entwickelt. Sie haben die Erforschung des Sprachsystems im Vordergrund gehabt, und waren für das Sammeln des Mundartwortschatzes in Wörterbüchern geeignet. Die Mundartformeln ermittelte man mit Hilfe von Fragebögen und durch mündliche Befragung und Beobachtung. Unter den ersten Werken, die diese Methoden verwenden und dem Gruß im Deutschen gewidmet sind, ist Karl Prauses „Deutsche Grußformeln in neuhochdeutscher Zeit“ (1930) zu nennen. Prause untersuchte wie hochsprachliche so auch mundartliche Varianten jedes einzelnen Grußes. Die ermittelten Mundartformen des Grußes setzte er repräsentativ für den ganzen Ort. Später erkannten die Wissenschaftler, dass die Ortmundarten nicht einheitlich sind, sondern zahlreiche Schwankungen aufweisen. Dabei ergab sich auch die Notwendigkeit die fakultativen Merkmale wie soziale Faktoren und Kommunikationssituationen bei der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln zu untersuchen, weil sie eine große Rolle spielen. Bei diesen Forschungen ging man mit verschiedenen Methoden vor (z. B. Methoden der Statistik, Soziologie und Psychologie). So konnte man mit Hilfe von statistischen Methoden Zusammenhang von Kenntnis und Gebrauch von Grußformeln mit Altersgruppen, Geschlecht und Beruf ermitteln. Auch indirekte Befragungen mittels Fragebogen und Beobachtungen waren sehr wichtig für die soziolinguistischen Untersuchungen.

Eine Planung des Ablaufsprozesses der praktischen Untersuchung spielt auch eine wichtige Rolle bei jeder soziolinguistischen Untersuchung. Eine Planung der empirischen Untersuchung soll am Anfang (im theoretischen Teil der Arbeit) aufgestellt werden und im Verlauf der Untersuchung sich festhalten. Für meine Arbeit lege ich folgendes Ablaufschema fest:

Festlegung des Themas

Zielsetzung und Problemformulierung nach einem Studium der zu diesem Thema vorhandenen Literatur

Ausarbeitung des Untersuchungsprogramms und Arbeitsmethode der Arbeit (Bestimmung der Methoden, Auswahl der Quellen, Erarbeitung der Vorgehensweise)

Technisch-organisatorische Vorbereitung (Sammeln von Fotos, Festlegung des Untersuchungszeitraumes)

Soziologische Aufbereitung des Forschungsthemas (Ausarbeitung eines Beobachtungsprogramms zur Sammlung von Beispielen, Aufstellung eines Fragebogens, Vorbereitung der mündlichen Befragungen)

Hauptuntersuchung (Die tatsächliche Ermittlung der Verwendung der von mir für meine Untersuchung ausgewählten Sprachformeln)

Auswertung und Vergleich der gesammelten Daten und Beispielen

8. Schriftliche Ausarbeitung der Untersuchung

Bei der Erforschung der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln existiert keine Übereinstimmung hinsichtlich der Methodik, so dass sich eine Auswahlmöglichkeit stellt. Die sicherste Methode der Datengewinnung bei soziolinguistischen Untersuchungen besteht in der Befragung und in der Beobachtung ausgewählter Personen.

Für die empirische Analyse wird heute von den Sprachwissenschaftlern und Kommunikationsforschern meistens die Konversationsanalyse auf sprachwissenschaftlicher Ebene angewendet. Besondere Herausforderung besteht dadurch, dass die Kommunikationssituation durch eine Analyse der zwischen den beiden Grußpartnern bestehenden Beziehungen und soziokulturellen Hintergründe in der Gesellschaft erforscht werden muss. In der vorliegenden Arbeit müssen neben der Verwendung der Begrüßungs- und Abschiedsformeln auch die situationsgebundenen zwischenmenschlichen Beziehungen beobachtet werden.

Ich wählte als Hauptmethode die schriftliche Befragung mittels eines Fragebogens. Das geschah auch deshalb, weil ich diese Methode bei der Untersuchung erproben wollte. Um die wesentlichen qualitativen Aspekte der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln erfassen zu können, wurde folgende Kombination von Methoden angesetzt:

Mit der Analyse von Sekundärquellen (Untersuchungen und wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema) sollte vor allem die Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln in unterschiedlichen Orten in Deutschland und in der Ukraine und deren Bedeutungsveränderungen in der Zeit erfasst werden.

Durch schriftliche Befragung mit dem Fragebogen sollten die zusätzlichen Angaben sowie Meinungen, Erklärungen und Motive zur Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln ermittelt werden.

Mit der nichtstandardisierten Beobachtung sollten das sprachliche Verhalten und die verbalen Äußerungen in der Begegnungssituation direkt erfasst, neue Angaben darüber gewonnen sowie dazu durch Befragung gewonnene Daten überprüft und verglichen werden.

Untersuchungsgegenstand ist die verbale und nonverbale Verwendung der Begrüßungs- und Abschiedsformeln und Begrüßungs- und Abschiedsgesten in Erstbegegnungssituationen zwischen Ukrainern und Deutschen mit ihren wechselseitigen Wirkungen. Die Untersuchung ist in erster Linie auf verbale Grußformeln fokussiert.

Im Hinblick darauf stellt sich die Frage, worin sich die Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln zwischen Angehörigen derselben Kultur von der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln mit (oder auch zwischen) Angehörigen fremder Kulturen unterscheiden und welche Rolle verbale und nonverbale Grüße bei dieser Situation spielen.

Auf den folgenden detaillierten Fragen, die ich für meine Analyse ausgewählt habe, liegt der Schwerpunkt dieser Untersuchung:

Welche Grüße gibt es in beiden Sprachen und welche davon werden nur in einer Sprache verwendet?

Woher kommen die Begegnungs- und Abschiedsgrüße in beiden Sprachen? Welche Bedeutung haben sie jetzt und welche Bedeutung haben sie ursprünglich gehabt? In welchen Lebensbereichen waren sie ursprünglich verwendet (z. B. nur im Kundenbereich, nur als Arbeitsgrüße, nur in der Kirche oder unter den Gläubigen).

Welche Grüße sind von der Tageszeit abhängig, und welche können unabhängig von der Tageszeit benutzt werden? Dabei möchte ich herausfinden, ob die Verwendung einiger Grüße sich an die Uhrzeit oder an die Lichtverhältnisse in beiden Sprachen orientiert?

Welche Rolle spielen die institutionell und gesellschaftlich bedingte Sprecherkonstellationen bei der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln in beiden Sprachen? Z. B. sind die beiden Gesprächspartner institutionell und gesellschaftlich gleichgestellt oder besteht eine asymmetrische Relation bezüglich ihrer Stellung und ihren sozialen Status in der Gesellschaft? Ist der Grußpartner ein Fremder, Bekannter, Freund, Verwandter, Arbeitskollege, Kunde? Sind die Grußpartner Kinder, Jugendliche, Erwachsene? Wird eine bestimmte Grußformel unter Männern oder unter Frauen am meisten verwendet?

In welcher Situation wird ein bestimmter Gruß in beiden Sprachen heute verwendet? Z. B. familiäre Situation, berufliche Situation, hochfeierliche Situation, nicht offizielle, neutrale oder offizielle Situation, häusliche Situation u. a.

Wo wird der Gruß am häufigsten in Deutschland und in der Ukraine verwendet? Z. B. in Bayern, in Norddeutschland, im Westen der Ukraine u. a.

Im Unterschied zu manchen kontrastiv angelegten Arbeiten, in denen eine bestimmte sprachliche Erscheinung zuerst in der Ausgangssprache, dann in der Zielsprache dargestellt wird und anschließend die betreffenden Segmente der beiden Sprachen miteinander verglichen werden, werden hier für beide Sprachen anwendbare Gruß- und Abschiedsformeln und Sprachsituationen zur Verwendung dieser Formeln dargestellt, mit deren Hilfe man dann über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Gebrauch von Begrüßungs- und Abschiedsformeln in beiden Sprachen diskutieren kann. Anschließend werden die einzelnen Beispiele einer Sprache mit ihren Entsprechungen in der anderen Sprache verglichen und kommentiert.

Die Darstellung der Ergebnisse der kontrastiven Gesprächsanalyse kann auch für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache nutzbar und hilfreich gemacht werden. Die Ergebnisse der kontrastiven Analyse sollen denjenigen Benutzern dienen, die Deutsch oder Ukrainisch als Muttersprache haben und Deutsch oder Ukrainisch als Fremdsprache lernen. Ich gehe davon aus, dass bei der erwähnten Darstellung der Sprachsituationen und deren Analyse alle Interferenzbereiche für die Deutschen, die ukrainische Sprache lernen, aber auch für die Ukrainer, die Deutsch lernen, klar zu erkennen und zu verstehen sein müssen.

Ich denke, dass die Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformen nicht anhand des vorbereiteten Gesprächs untersucht werden muss. Um die tatsächlichen Gebrauchsbedienungen dieser Formen erfassen zu können, ist es notwendig Erstbegegnungssituationen, die nicht lang und unvorbereitet sind, zu betrachten und zu notieren. Solche Gespräche müssen spontan geführt werden.

2. Zur Befragung

Die Hauptuntersuchung zur Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln, nämlich die Befragung mit dem Fragebogen, erfolgte innerhalb von vier Monaten. Die meisten Befragten wurden vorher über die vorgesehene Befragung und das Thema informiert. Der Fragebogen umfasste 2 Seiten (36 Fragen). Ich verteilte die Fragebögen an die einzelnen Personen, erläuterte ihnen das Ziel der Befragung und erklärte Hinweise zum Ausfüllen der Fragebögen. Die meisten Befragten lernte ich an der Universität, in meinem Studentenwohnheim und bei der Arbeit kennen. Die befragten Deutschen kamen aus NRW, nur wenige kamen aus Süddeutschland und Norddeutschland. Die befragten Ukrainer waren Studenten oder Auswanderer aus der Ukraine. Fast alle von ihnen waren mit der deutschen Sprache vertraut, da sie schon einige Zeit in Deutschland leben. Nicht möglich war eine Befragung auf der Straße. Eine schriftliche Befragung ließ sich auch bei kleinen Kindern, die nicht schreiben können, nicht durchführen. Deshalb wurden immer die Eltern über Begrüßungsverhalten ihrer Kinder mündlich gefragt. Insgesamt wurden zirka 50 Personen mündlich gefragt.

Der für die Untersuchung der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln aufgestellte Fragebogen bestand aus einem sozialen und einem sprachlichen Teil. Der soziale Teil enthielt Fragen nach Alter, Wohnort, Land, Beruf, Geschlecht und Ausbildung. Den Hauptteil meines Fragebogens bildeten die Fragen zur Verwendung von Gruß- und Abschiedsformeln, die sich in folgende Gruppen gliederten:

Fragen zur Kenntnis bzw. Nichtkenntnis der einzelnen Begrüßungs- und Abschiedsformeln.

Fragen zur Verwendung der einzelnen Begrüßungs- und Abschiedsformeln in den verschiedenen Lebensbereichen und unter verschiedenen Konstellationen.

Fragen nach den Motiven (nach dem Grund) für die unterschiedliche Verwendung der einzelnen Formeln.

Alle Fragen wurden nach Begegnungsgruß und Abschiedsgruß getrennt. Nach jeder Frage gab es freien Platz für die Antwort. Es gab keine feste Regeln für die Beantwortung, so das jeder Befragter selbst entscheiden konnte wie er auf die Fragen antwortet. Für die Ukrainer, die kein Deutsch sprechen, wurde dieser Fragebogen in der ukrainischen Sprache ausgearbeitet. Die Reaktion auf die Befragung war bei allen Befragten positiv. Von den an 50 Personen (25 Ukrainern und 25 Deutschen) zu verteilenden Fragebögen gelangten 50 (100%) ausgefühlt zurück.

Ein Mangel der schriftlichen Befragung war es, dass die Verwendung von nonverbalen Gruß- und Abschiedsgesten mit Hilfe von meinen Fragebogen nicht untersucht werden konnte. Die Daten zu diesem Kapitel wurden durch die Beobachtung und in mündlicher Befragung erhoben.

Um die Verwendung von Gruß- und Abschiedsformeln untersuchen und vergleichen zu können, ist es auch notwendig die Funktionen der Grüße in der Gesellschaft zu beachten.

3. Soziale Funktionen der Grüße

Grüße sind eine Erscheinungsform unser Gesellschaft und dienen der Kontaktaufnahme oder Kontaktbeendigung beim Gespräch. Sie sind in jeder Kultur üblich. Der Austausch von Gruß- und Abschiedsformeln gehört zum Standard in unserem sozialen Umwelt. Man kann sagen, dass Grüße zur Begegnung und zum Abschied in der heutigen Gesellschaft obligatorisch geworden sind.

Otterstedt [5] bezeichnet Grüße als partnerbezogene Sprechakte, die der sozialen Annäherung und Bandbekräftigung dienen.

Grüße können auch als Mittel der Identifikation der Grußpartner verwendet werden. Sie dienen z. B. als Bestätigung des Ranges, des Geschlechts und des Alters der Grußpartner. Hier können Grüße in Kombination mit einer Anrede verwendet werden. Grüße in Verbindung mit Anredeformen stellen einen interpersonalen Kontakt her und spiegeln soziale Strukturen wider. Die meisten Grußformeln werden im Deutschen und im Ukrainischen mit einer Anrede verbunden.

Durch die Art des Grußes können sich die Gesprächspartner beleidigt oder erhöht fühlen. Das geschieht nach dem Prinzip der Selbsterniedrigung oder Selbsterhöhung in Bezug auf den Grußpartner, in dem der Grüßende den Grad der Sympathie zeigt. „Der Gruß als solcher kennzeichnet eine Begegnung als sozial akzeptabel; die Wahl einer speziellen Grußform indiziert die soziale und persönliche Beziehung zwischen den involvierten Personen.“ [6]

Grüße können auch fehlen: „Unterbleibt der Gruß von Arbeitskollegen untereinander, z. B. in einem Betrieb oder in einem Büro, so werden dadurch zwar feste, äußere Anstandsregeln verletzt, aber vor allem wird von den Beteiligten ein bedrückendes Gefühl empfunden. Das stumme, grußlose Aneinander-Vorbeigehen ist so quälend, dass das Arbeitsklima darunter leiden kann“. [7]

Man kann behaupten, dass die Verwendung und die Wahl einer bestimmten Gruß- oder Abschiedsformel mit der sozialen Bindung und sozialen Distanz zwischen den Grußpartnern zusammenhängt, und dass die sozialen Beziehungen die Funktionen der Grüße stark beeinflussen.

4. Der Gruß im interkulturellen Vergleich

Das Grüßen hat sich in vielen kulturspezifischen Varianten ausgeprägt. Grüße können durch Mimik, Körperbewegung, Gestik, Blickverhalten und natürlich durch Sprache zum Ausdruck gebracht und vom Gesprächspartner als Gruß wahrgenommen werden. Nach Carola Otterstedt, ist der Gruß [ ... ] Ausdruck des menschlichen Wunsches nach sozialer Eingebundenheit und zeigt seine Kommunikationsbereitschaft und kommunikative Bindungsfähigkeit. Sowohl der Gruß zu Beginn einer Begegnung als auch der, welcher sie beendigt, zeigt soziale und kommunikative Kompetenz des Grüßenden und seiner Interaktion“. [8]

So unterscheidet Eibl-Eibesfeld [9] zwischen Kontaktgruß und Distanzgruß, also zwischen dem Gruß mit oder ohne körperlichem Kontakt. Zeichen des Grußes mittels Körperbewegung sind die historischen Formen des Kniefalls, Kniebeugung und Fußfalls. Sie sind heute in Osteuropa und Westeuropa auf ein knappes Kopfnicken reduziert. Der Augengruß ist ein anderes Beispiel visueller Begrüßung, der kultur- und situationsabhängig ist. In Westeuropa wird der Augengruß eher vermieden, es sei denn, er signalisiert z. B. sexuelles Interesse. Dem Distanzgruß stehen die anderen Formen des Kontaktgrußes gegenüber: Händedruck, Händereichen, Tätscheln, Handauflegen, Streicheln, Umarmen, Küssen usw. Die Kombinationen des nonverbalen und verbalen Grußes sind auch sehr verbreitet. Beispielweise kann der Händedruck durch freundliche Worte oder den Austausch von guten Wünschen begleitet werden. Viele Grußrituale sind kultur- und konstellationsspezifisch und werden durch unterschiedliche Regeln und Tabus gekennzeichnet.

Auch das kulturspezifisch unterschiedliche Territorialverhalten kann beim Grüßen wichtige Rolle spielen. Zum Beispiel der Abstand zwischen den Gesprächspartnern. Die Zonen der intimen Distanz sind von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Horst Rückle [10] behauptet, dass in Westeuropa die Zonen der intimen Distanz etwa 60 cm. sind. In Osteuropa entspricht die Zone etwa der Länge der Hand bis zum Ellenbogen. Die anderen kommunikativen Indikatoren sind: Grad der Vertrautheit, bisherige Beziehung, Kulturzugehörigkeit, räumliche Umstände usw. Die Wahl der Form des Grußes hängt von der Definition der Beziehung, von der seit dem letzten Treffen verstrichenen Zeit, aber auch von kulturellen Konventionen ab. Dazu kann Bekanntschaftsgrad, Verwandtschaftsgrad, Generationsverhältnis und Institutionalisiertheit als Entscheidungshilfen für die Wahl korrekter Begrüßung dienen. Dabei kann es auch zu interkulturellen Missverständnissen kommen: z. B. der dreimalige Wangenkuss unter Deutschen amüsiert Ukrainer und der alte kommunistische Kuss auf den Mund unter Ukrainern amüsiert die Deutschen.

In historischer Sicht sind Wissenschaftler für die Änderung der Bedeutung der Grußformen in der Zeit interessiert: wie z. B. aus Unterwerfungsgesten, Friedenssignalen und aus dem Niederwerfen zu Boden Grüße werden, oder warum aus Kniefall und Verbeugung das heutige Kopfnicken entstanden ist. Die Entwicklung des Grußverhaltens in Deutschland entspricht, laut Ilsegret Butt [11], der Entwicklung der Anredeformen. In Deutschland wurde bis ins 9. Jahrhundert allgemein geduzt, danach wurde die zweite Person Plural gegenüber Fremden und Ranghöheren verwendet. Im 15. Jahrhundert kommen zu den pronominalen Formen die Titel hinzu. Im 17. Jahrhundert wurden die Anredeformen Herr und Frau eingeführt. Ende des 17. Jahrhunderts wurde die 3. Person Singular in den Plural gesetzt und verbreitete sich in der Form des Siezens. Heute ist die Form des Duzens wieder modern geworden.

Die Anredeformen wie Herr und Frau, als Teil der Begrüßung, waren noch anfangs des 20. Jahrhunderts in der Ukraine vorbehalten, jedoch infolge der geschichtlichen Wandlungen in der Ukraine haben sie ihren ursprünglichen Charakter verloren. Heute scheinen diese Anredeformen, die verloren waren, wieder beliebt.

Praktischer Teil: Kontrastive Analyse Kontaktaufnahme

1. Begegnungsgrüße im Vergleich

1.2. Mit einer Tageszeit verbundene Grüße

Die zu dieser Gruppe gehörenden Grußformeln charakterisieren sich durch ihren Gebrauch zur bestimmten Tageszeit. Einige Grußformeln, die zu dieser Gruppe gehören, haben eine eindeutige zeitliche Situierung im Deutschen und im Ukrainischen (z. B. Guten Abend! oder Guten Morgen!). Es gibt aber auch die Grußformeln, die in beiden Sprachen unabhängig von der Tageszeit benutzt werden können (z. B. Guten Tag!).

1.2.1. Guten Morgen! Morgen! Moin!

Der Morgengruß Guten Morgen! wird in Deutschland und in der Ukraine in den meisten Begegnungssituationen am Morgen verwendet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Laut Bolhöfer [13] ist guoten morgen! im Mittelhochdeutschen erst seit Ende des 12. Jahrhunderts allgemein gebräuchlich. Die vollständigen Formeln für diese Begrüßung lauteten damals: Got gebe dir guoten morgen! und Got gebe dir saeligen morgen!. Diese Grußformeln haben im Mittelhochdeutschen die hochfeierliche Bedeutung gehabt. Später verkürzte man diese langen Grußformeln auf guoten morgen!.

Die Verwendung dieser Grußformel in der Ukraine unterliegt denselben Bedingungen wie die des deutschen Grußes. Diese Grußformel wird zeitlich von den frühen Morgenstunden bis etwa 11-12 Uhr verwendet, wie in offiziellen als auch in nichtoffiziellen Situationen. Zu Ausnahmen gehören Kontakte unter Kindern, Schülern und Jugendlichen, die sich sehr selten mit Guten Morgen! begrüßen. Sogar am frühen Morgenstunden auf dem Weg zur Schule begrüßen sich die Jugendlichen mit Hallo! oder Hi!.

In der Familie wird diese Formel oft gebraucht. Sowohl Eltern, als auch Kinder begrüßen einander mit Guten Morgen!. Das gilt für beide Sprachen.

Mutter: Guten Morgen, mein Sohn!

Sohn: Morgen!

In der deutschen Umgangssprache kommen häufig die verkürzten Formen Morgen! und Moin! vor. Diese Grußformen haben kein Äquivalent im Ukrainischen. Die Grußformel Morgen! wird von den Ukrainern in Deutschland deutlich seltener als Guten Morgen! gebraucht. Meine Befragungen beweisen, dass die Formel Moin! von den Ukrainern im Ruhrgebiet überhaupt nicht verwendet wird. Auf die Begrüßung Moin! antworten die Ukrainer mit Morgen! oder Guten Morgen!:

Deutscher: Moin!

Ukrainer: Morgen!

Im Deutschen kann die Formel Moin! auch zur Mittagszeit gebraucht werden. Ich notierte zwei Situationen an der Universität, wenn die deutschen Studenten sich zur Mittagszeit (um 12 Uhr und um 13 Uhr) mit Moin! begrüßten:

A: Moin!

B: Moin!

A: Moin, Moin! (In Eile zwei Mal gesprochen)

B: Morgen!

In dem Wortatlas der deutschen Umgangssprache wird auch bestätigt, dass es in Deutschland die Gegenden gibt, wo die Grußformel Moin! fast den ganzen Tag über verwendet wird. Als Beispiel nennt Eichhoff [14] Norddeutschland. Nach Eichhoff ist der Gruß Moin! beim Betreten eines Geschäftes am Nachmittag in Borkum, Tönning, Husum, Flensburg, Schleswig, Eckernförde, Emden, Aurich, Leer, Cloppenburg und Delmenhorst belegt. Die von mir befragten Personen, die aus Norddeutschland kommen, bestätigen diese Informationen.

Die Begrüßung Guten Morgen! gehört im Deutschen und im Ukrainischen zu Standardsprache und wird in verschiedenen offiziellen Situationen ebenso bei Radio- und TV Sendungen, die Morgens übertragen werden, gebraucht. Als Beispiel nehme ich den Anfang eines Radiogottesdienstes in Deutschland, den Paul Ingwer aufgezeichnet hat:

Radio: „Es ist 10 Uhr, . hier sind der Norddeutsche

Rundfunk und der Westdeutsche Rundfunk mit ih-

ren ersten Programmen, . angeschlossen ist uns

der Sender Freies Berlin . aus der Brüdern-

kirche in Braunschweig übertragen wir jetzt

(... Glockengeläut...usw.)

einen evangelischen Gottesdienst . die Pre-

digt hält . Pfarrer Georg Havemann

(40Sekunden) Pastor: Guten Morgen liebe Hörerinnen und Hörer, ...“ [15]

Im Ukrainischen werden die Zuschauer und Hörer auch mit Guten Morgen! (Dobroho ranku!) begrüßt. Als Beispiel nenne ich eine Standardbegrüßung beim TV in der Ukraine:

A: Dobryj ranok, šanovni telehljadači!

(Guten Morgen, sehr geehrte Zuschauer!)[16]

Im Verkaufsbereich in beiden Ländern sieht es nicht gleich aus. Eine Begrüßung im Laden, im Imbiss oder bei einer Bank in Deutschland gehört zum normalen Auftreten eines höflichen Menschen. Die Unterlassung kann als unhöflich empfunden werden. Es ist die Norm in Deutschland, einen Kunden zu begrüßen. Die Tür geht auf, ein Mensch tritt ein. Alle Verkaufenden wissen sofort was zu tun. Sie müssen Guten Morgen! sagen und ihn fragen, was er will:

Verkäufer: Guten Morgen!

Kunde: Morgen!

Verkäufer: Was kann ich für Sie tun?

An aller erster Stelle erwartet der Kunde in Deutschland Höflichkeit und Kontaktfreundlichkeit bei der Begegnung. In der Ukraine dagegen, ist es nicht die Norm, einen eintretenden Mensch im Laden zu begrüßen. Auch die Repräsentanten von Institutionen begrüßen die Kunden nicht immer. In meisten Fällen sieht es ungefähr so aus:

Im Laden

(Der Kunde tritt ein und geht auf die Verkäuferin zu)

Kunde: Welches Bier haben Sie?

Verkäuferin: Das, was auf dem Regal steht.

Kunde: Geben Sie mir zwei Flaschen.

(Der Kunde zahlt und geht)

Bei einer Bank

(Der Berater steht hinter dem Schalter und wartet. Als die Tür aufgeht, sieht er misstrauisch hoch. Der Kunde tritt ein und geht auf den Berater zu)

Kunde: Guten Morgen!

Berater: Guten Morgen!

Kunde: Ich möchte zwei Tausend auf mein Konto einzahlen.

Man kann deshalb nicht von geringerer Höflichkeit und Kontaktfreudigkeit im Verkaufsbereich und im Beratungsbereich in der ukrainischen Kultur sprechen, da die gesellschaftlichen Normen sich unterscheiden. Meine Befragungen bestätigen, dass die Ukrainer, die vor kurzem nach Deutschland gekommen sind, angenehm überrascht sind. Alle Ukrainer sagen, dass Sie nicht erwartet haben, dass hier in Deutschland mit den Kunden so freundlich umgegangen wird.

Zur richtigen Behandlung des Eintretenden und zur Begrüßung gehört in Deutschland noch etwas: die richtige und gekonnte Anrede. Im Vergleich zu der ukrainischen Sprache gehört die Anrede mit Namen oder Titel in Deutschland als Teil der Begrüßung nach wie vor zum gepflegten Verkaufsgespräch. Viele Großformen des Handels bieten den Kaufenden Anonymität, zum Beispiel Kaufhäuser und Supermärkte. Hier werden die Kaufenden einfach mit Guten Morgen! begrüßt. In allen anderen Geschäften wissen es die Kaufenden zu schätzen, wenn man sie kennt. Welche Bedeutung heute dieser Begrüßung in Deutschland beigemessen wird, zeigt auch die Entwicklung der Fachabteilungen in den Kaufhäusern. Diese Abteilungen haben den Charakter eigenständiger Geschäfte, und die Verkaufenden dort kennen ihre Stammkundschaft genauso wie ein Einzelhändler seine Kunden. Schon in den Stadtrandgebieten kann man in jedem Geschäft beobachten, wie Inhaber, Ladenchef oder Verkäufer jeden Stammkunden namentlich begrüßen:

A: Guten Morgen, Herr Schulze!

A: Guten Morgen, Frau Doktor!

A: Guten Morgen, mein Herr!

A: Guten Morgen, Silke!

Jeder Mensch empfindet es als erfreulich, wenn er bei der Begrüßung mit seinem Namen angeredet wird. Die Anrede mit dem Titel bei der Begrüßung gehört in Deutschland ebenfalls zu diesem Thema. In der Ukraine ist es nicht der Fall:

A: Dobryj ranok, professor! (Guten Morgen, Professor!)

Eine solche Begrüßung wird in der Ukraine als scherzhaft oder sogar beleidigend empfunden, weil das Wort Professor oft mit der Bedeutung Besserwisser verwendet wird.

1.2.2. Guten Tag! Tag! Tagchen! Tach!

Der Gruß Guten Tag! gehört zu den meistgebrauchten neutralen und offiziellen Begrüßungen im Ukrainischen und im Deutschen. Diese Formel wird meistens in öffentlichen und offiziellen Sprechsituationen in beiden Sprachen verwendet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Nach Bolhöfer [20] ist diese Grußformel in Deutschland seit Beginn der mittelhochdeutschen Zeit bekannt und gebräuchlich. Bolhöfer schreibt, dass diese Grußformel in Mitteldeutschland in mittelhochdeutscher Zeit den ganzen Tag über verwendet wurde. Ursprünglich war diese Grußformel zusammen mit dem Wort Gott verwendet. Die ältesten niederdeutschen Denkmäler vom Ende des 13. Jahrhunderts haben: Goden dach! und Got geve di goden dach!. Eichhoff [21] schreibt, dass die Grußformel Guten Tag! von nicht religiösen Menschen in Deutschland bevorzugt wird. Die religiösen Menschen verwenden in der Regel die Grußformel Grüß Gott!. Laut Eichhoff, Guten Tag! sagen auch die Zeugen Jehovas.

Diese Grußformel gehört zu den mit der Tageszeit verbundenen Grüßen, obwohl sie in der Ukraine und manchmal auch in Deutschland am Nachmittag und am Vormittag zu hören ist. Sie haben bestimmt auch erlebt, wenn jemand Sie am Vormittag mit Guten Tag! begrüßt, anstatt Guten Morgen! zu sagen. Die Ukrainer können die Grußformel Guten Tag! den ganzen Tag über, also bei Helligkeit, verwenden. Die Deutschen achten mehr auf die Grüße, die sie für Morgen, Mittag oder Abend verwenden. Beim Einbruch der Dunkelheit wird diese Grußformel in der Ukraine nicht mehr gebraucht. Meine Beobachtungen zeigen, dass die Deutschen anfangen zwischen 18 und 19 Uhr Guten Abend! zu sagen, obwohl es noch hell ist.

Die Begrüßung, mit der ein Kunde in Deutschland aufgenommen wird, ist entscheidend für den guten Kontakt. Deshalb sind die ersten Sekunden eines Gespräches wichtig. Was ereignet sich in diesen Sekunden? Die Begrüßung. Die Bedeutung dieses Vorgangs ist in Deutschland und in der Ukraine unterschiedlich. In Deutschland zumindest soll jeder Verkaufende die Formel Guten Tag! Was kann Ich für Sie tun? verwenden, weil solche Begrüßung zum normalen Auftreten eines höflichen Beratern oder Verkäufern gehört. Wenn er es dann noch für besser hält, kann er seine eigene Form der Begrüßung suchen, in der er auf seine Weise die gleiche Frage stellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Goffman, Erving : Das Individuum im Öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen
Ordnung. Frankfurt am Main. 1974, S. 109.

[2] Auf erinnerte Äußerungen, die man ganz aus seiner Kompetenz rekonstruieren kann, wurde
im Bereich pragmatischer Sprachforschung u. a. von vielen Sprachwissenschaftlern
zurückgegriffen, ebenso von dem Interaktionsanalytiker Erving Goffman (1974, S. 196), der
schrieb: „Die in diesem Aufsatz vorkommenden Darstellungen von Austäuschen habe ich -
bis auf einige sehr stereotype Beispiele - Notizen entnommen, die ich über wirklich erlebte
Interaktionen gemacht habe“.

[3] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Ukrainische_Sprache

[4] Vgl. Komes 1987, S. 278.

[5] Vgl. Otterstedt 1993, S. 16.

[6] Vgl. Coulmas 1981, S. 140.

[7] Vgl. Butt 1968, S. 58.

[8] Otterstedt, Carola: Abschied im Alltag. München. 1993, S. 16.

[9] Vgl. Eibl-Eibesfeld 1968, S. 737.

[10] Vgl. Rückle 1998, S. 326.

[11] Vgl. Butt 1968, S. 23.

[12] Diese Grußformel steht im Akkusativ und ist eine verkürzte Form des Wunsches: Ja bažaju
vam dobroho ranku! (Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!).

[13] Vgl. Bolhöfer 1912, S. 13-18.

[14] Vgl. Eichhoff, 1977, S. 47.

[15] Ingwer, Paul: Rituelle Kommunikation. Sprachliche Verfahren zur Konstitution ritueller

Bedeutung und zur Organisation des Rituals. Gunter Narr Verlag. Tübingen. 1990, S. 267.

[16] Alle Beispiele, sowie ukrainische Begrüßungs- und Abschiedsformeln, sind von Kalinkin

Volodymyr aus dem Ukrainischen ins Deutsche übersetzt.

[17] Bei dem ukrainischen Gruß den` dobryj! wird das Adjektiv nachgestellt. Solche Form des
Grußes wird am meisten im Westen der Ukraine verwendet, besonders an der Grenze zu
Polen. Vgl. die entsprechende Grußformel dzien` dobry! im Polnischen, z. B. in
Czochralski, J. 2005, S. 369.

[18] Diese Grußformel steht im Akkusativ und ist eine verkürzte Form des Wunsches: Ja bažaju

vam dobroho dnja! (Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!)

[19] Vgl. dazu auch Henne, Helmut: Jugendsprache und Jugendgespräche. In: Schröder /Steger
(Hrsg.), Jahrbuch des Instituts für deutsche Sprache. 1980, S. 376.

[20] Vgl. Bolhöfer 1912, S. 26-27, 52.

[21] Vgl. Eichhoff 1977, S. 32.

Fin de l'extrait de 121 pages

Résumé des informations

Titre
Kontrastive Analyse der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln im Deutschen und im Ukrainischen
Université
University of Duisburg-Essen
Note
2,6
Auteur
Année
2007
Pages
121
N° de catalogue
V89030
ISBN (ebook)
9783638030434
ISBN (Livre)
9783638928885
Taille d'un fichier
995 KB
Langue
allemand
Mots clés
Abschiedsformeln, Begrüßungsformeln, Sprachvergleich, Deutsch Ukrainisch, Sprachen im Vergleich, Sprachen Vergleichen, Grußformeln Vergleichen, Abschiedsformeln vergleichen, Der Deutscher Gruß, Der Deutscher Abschied, Abschied, Gruss
Citation du texte
Volodymyr Kalinkin (Auteur), 2007, Kontrastive Analyse der Verwendung von Begrüßungs- und Abschiedsformeln im Deutschen und im Ukrainischen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89030

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