Das Weltbild der Celestina und die Figur der Melibea


Seminararbeit, 2004

17 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitende Fragestellung

2. Das negative Weltbild der „Celestina“
2.1 Bezug Rojas auf Petrarca
2.2 Das Wirken der Fortuna
2.3 Degradierung positiver Werte (Liebe, Freundschaft, Loyalität)
2.4 Klage Pleberios

3. Die Figur der Melibea als positives Gegengewicht
3.1 Die Liebe zu Calisto
3.1.1 Erfüllung der Sehnsüchte/Erhalt des Ehrgefühls Melibeas
3.1.2 Entwicklung von Unabhängigkeit/Freiheit
3.2 Der Selbstmord als Manifestation von Liebe und Einsicht

4. Synthese

Biographie:

Primärliteratur:

Sekundärliteratur:

Internet:

1. Einleitende Fragestellung

Die Düsternis, die das Geschehen in der Celestina umwittert, kommt von den handelnden Personen selbst. Sie offenbart sich damit als die Riesenhafte, ja Universale vergrößerte Perspektive einer zutiefst skeptischen Welthaltung – und als der Versuch ihrer künstlerischen Bewältigung.[1]

Die Düsternis die Eberhard Leube in seiner Aufarbeitung von Fernando de Rojas „La Celestina“ anspricht kann wohl nicht bestritten werden. Jeder der Hauptcharaktere in dem Werk lässt im Laufe des Stücks sein Leben. Doch kann man anhand dessen von einem Pessimismus sprechen, der das Werk dominiert? Ich werde in dieser Arbeit versuchen das pessimistische Weltbild, das Rojas zeichnet, aufzuzeigen. Zunächst gehe ich auf die Bezüge auf Petrarca ein, dessen Weltanschauung Rojas geteilt zu haben scheint. Die Unmäßigkeit der Menschen und deren damit unausweichlichen Verknüpfung mit ihrem fremdbestimmten Schicksal zieht sich durch das Werk wie ein roter Faden. Von besonderer Bedeutung scheint Rojas auch die Ansicht Petrarcas in Bezug auf die antike Göttin Fortuna gewesen zu sein, auf deren Handeln und Auswirkungen sowie Bedingungen und Konsequenzen ich in Punkt 2.2 eingehen werde. Um das pessimistische Weltbild der „Celestina“ zu verstehen muss man sich die Degradierung positiver Werte vor Augen führen, d.h. eigentlich gute Werte wie Liebe, Freundschaft und Loyalität werden von den Charakteren ins Negative umgesetzt. Melibea und Calisto sind nicht in der amor cortés verhaftet, sondern geben sich einer körperlichen Liebe – amor loco – hin, die von der Gesellschaft des 15. Jahrhunderts nicht toleriert wird und besiegeln somit ihr eigenes Schicksal und auch das der anderen Charaktere. Die Loyalität zwischen Dienern und Herr, also hier zwischen Sempronio und Pármeno auf der einen und Calisto auf der anderen Seite, ist nicht gegeben. Die beiden Diener – Pármeno erscheint zunächst als loyaler Diener seines Herrn, gibt dann aber den Versuchungen Celestinas und der Gier nach Geld nach – besitzen diese Loyalität nicht und stürzen sich dadurch in ihr eigenes Verderben. Und sogar positive Aspekte der Freundschaft, wie zwischen Sempronio und Pármeno, werden pervertiert, da sie auf falschen Voraussetzungen (der Geldgier) beruhen. Im anschließenden Punkt 2.4 werde ich die Klage des Vaters von Melibea untersuchen, desssen pessimistische Anschauungen als Fazit der negativen Tendenz des gesamten Buches gelten können.

In dem zweiten Teil der Arbeit konzentriere ich mich auf die Person der Melibea, die bei genauer Betrachtung ein positives Gegengewicht zur allgemein pessimistischen Tendenz des Werkes darstellt. Zum einen wäre da die Liebe zu Calisto, die zwar wie bereits erwähnt nicht die sozialen Anforderungen der Gesellschaft des 15. Jahrhunderts erfüllt, für die Person Melibea selbst allerdings etwas ganz positives ist, denn zum einen werden ihre geheimen Sehnsüchte erfüllt; sie kann als einzige der Handelnden nach wie vor unterscheiden was nach den gesellschaftlichen Normen Recht und Unrecht ist und versucht größtenteils auch danach zu handeln (Punkt 3.1.1). Zum anderen erhält sie damit einhergehend zum ersten Mal ein Gefühl der Freiheit/Unabhängigkeit (Punkt 3.2.2) und erlangt ein für sie erfüllendes Glücksgefühl. Am Ende ihrer Beziehung zu Calisto steht der Suizid. Dieser kann natürlich als weiterer Ausdruck des pessimistischen Gesamtbildes Rojas gelten, doch ihre Beweggründe die hinter dem Selbstmord stecken sind Anzeichen dafür, dass Melibea am Ende der Geschichte eine wahre Liebe und eine wahre Einsicht erlangt hat. Warum tötet sie sich? Aus Liebe, oder gar weil sie sich bewusst wird, die moralischen Codes der Gesellschaft nicht erfüllt zu haben? Oder etwa weil sie nun eine Freiheit erlangt hat, die ihr keiner mehr nehmen kann? Dies werde ich in 3.2 herausarbeiten und versuchen aufzuzeigen, dass Melibea am Ende zu einer Einsicht von Moral und Liebe gekommen ist, die keiner der anderen Charaktere in „La Celestina“ aufweisen kann.

Zum Schluss werde ich mich um eine Synthese bemühen, in der Melibea als einzige positive Figur des Stücks gesehen werden kann und somit ein gewisses Gegenstück zur negativen Tendenz des Buches darstellt.

2. Das negative Weltbild der „Celestina“

2.1 Bezug Rojas auf Petrarca

Fernando de Rojas scheint mit Petrarca (1304-1374) mehr gemeinsam gehabt zu haben als das Jurastudium, denn Rojas bezieht sich in seinem Werk „La Celestina“ an mehreren Stellen auf ihn – sowohl durch wörtliche Zitate, wie auch durch Anlehnungen an die Einsichten Petrarcas. Die Zitate wurden zumeist aus dem Index einer Petrarca-Sammlung von 1496 entnommen, die Rojas gelesen hatte. Dennoch scheint Rojas auch mit den Vorstellungen Petrarcas im Allgemeinen vertraut gewesen zu sein. Besondere Bedeutung haben die Werke De Remediis, De Rebus Familiaribus und Bucolicum Carmen. Neben der Thematisierung des Lebens als universeller Konflikt, scheint Rojas besonders auch an den Ansichten Petrarcas über die Gefahren von Wohlstand, Habsucht und der sexuellen Liebe, die er in De Remediis zum Ausdruck bringt, interessiert gewesen zu sein.

Das Schicksal als von Anfang an bestimmender Faktor des menschlichen Lebens lehnt Petrarca ab; wenn der Mensch allerdings von seinem positiven Weg abkommt, gerät er in einen Kreislauf in dem er selbst nicht mehr die volle Entscheidungsgewalt besitzt. Der Mensch sollte von der Vernunft geleitet werden. Dieser gegenüber stehen aber Wollust und Begehrlichkeit. Wenn diesen Affekten nachgegeben wird, verlässt der Mensch den Weg der Mäßigung und beschreitet einen neuen Weg, auf den der Mensch keinen Einfluss mehr besitzt. Besonders schwierig ist es weiterhin mit Vernunft zu entscheiden, wenn man vom Glück begünstigt wird, denn dann werden die meisten Menschen unmäßig und geben sich den Affekten hin. Wie genau dies verstanden werden muss werde ich anhand des Wirkens der Fortuna in Kapitel 2.2 ausführlicher darstellen.

Im Zentrum stehen bei Petrarca also die Menschen und deren Auseinandersetzungen zwischen der Vernunft auf der einen und der Unmäßigkeit auf der anderen Seite. Dies ist bei Rojas Werk ebenso der Fall: im Zentrum stehen Calisto und Melibea die vom Glück begünstigt werden und sich ineinander verlieben; sie können sich aber nicht mäßigen und „entarten“ in eine sexuelle Beziehung an deren Ende der Tod beider steht. Sempronio und Pármeno werden habgierig, töten nicht nur Celestina aus Gier, sondern müssen selbst auch dafür bezahlen.

Falsch wäre es allerdings anzunehmen, Rojas übernahm die Vorstellungen als bloßes Plagiat. Vielmehr legte er sie nach seinen Vorstellungen aus und das bedeutet dass einige Ansichten auf ein noch pessimistischeres Level angehoben wurden als sie für Petrarca eigentlich hatten. Für ihn war die Freundschaft beispielsweise eines der wenigen positiven Aspekte des Lebens. Rojas jedoch stellt die Freundschaft zwischen Pármeno und Sempronio, die auf negativen Voraussetzungen (Habgier) beruht, als eine verderbliche dar, die schließlich in den Tod der beiden Freunde führt. Ein weiterer Unterschied liegt in der unterschiedlichen Behandlung des Todes: für Petrarca war der Tod ein Übergang in etwas positives, so dass man bereits im Diesseits an das Jenseits denken sollte; für Rojas ist der Tod allerdings etwas tragisches. „Death is seen as a final disaster, not a transition to another life as it was for Petrarch“[2].

2.2 Das Wirken der Fortuna

Wie bereits erwähnt steht der Mensch nach petrarcistischer Sicht im Konflikt zwischen Vernunft und Affekten, also zwischen Moral und Unmoral. Der Fortuna wird in Rojas Werk große Bedeutung zugemessen. Die Fortuna ist ein Beleg dafür, dass „La Celestina“ renaissancehaftes Gedankengut aufweist, denn sie ist eine antike Göttin die für das Geschick des Menschen verantwortlich ist. Sie hilft allerdings nur den Tapferen, den Beherzten, also jenen die auf dem Weg der Vernunft schreiten. Für die anderen, die den Affekten nachgeben wird sie zum Verhängnis; es setzen sich Abläufe in Bewegung die vom Individuum nicht mehr gesteuert werden können. Daher ist das Symbol der Fortuna auch das Rad: wird es einmal in Bewegung gesetzt (durch unmoralisches Handeln) wird die Bewegung von selbst fortgeführt. Wer sich mit Hilfe der Affekte zu bereichern versucht, d.h. wer gierig wird, muss dies nach einer gewissen Zeit bezahlen: „Wer die oberste Stufe des irdischen Glücks erklommen hat, muß, wie es die Bewegung des Rades ausdrückt, wieder herab.“[3]

Um dies zu verdeutlichen, muss man sich nur die einzelnen Entwicklungsstufen Pármenos anschauen. Zunächst ist er der Diener Calistos, der Treue und Verbundenheit gegenüber seinem Herrn empfindet. Somit fühlt er sich auch verpflichtet Calisto vor Celestina zu warnen: „Quién te podrá dezir lo que esta vieja fazía? Y todo era burla y mentira.“[4] Später allerdings verschafft ihm eben diese Kupplerin eine Nacht mit Areúsa und er schließt Freundschaft mit Sempronio. Von nun an wird Pármeno gierig, „Como, pues, este juego de nuestro amo y Melibea está entre las manos, podemos agora medrar, o nunca“[5] – er gibt also seinen Affekten nach. Das Rad der Fortuna beginnt sich zu drehen. Was nach oben steigt muss wieder runter. Seine Gier führt ihn sogar soweit dass er zusammen mit Sempronio Celestina, die nicht mit den beiden teilen will, aus Habgier tötet. Von jetzt an geht es auch mit den beiden Dienern bergab. Sie springen aus dem Fenster und verletzen sich schwer und werden dann auch noch hingerichtet und Calisto beklagt sich, als er von dem Tod der beiden erfährt: „O fortuna, quanto y por quantas partes me has combatido!“[6]

Bei den anderen Beteiligten verhält es sich genauso. Celestina wurde so gierig, dass sie nicht mal mehr mit Sempronio und Pármeno teilen wollte und wurde als Konsequenz von beiden erschlagen. Calisto und Melibea verlieben sich ineinander, können ihre körperliche Begierde aber nicht zügeln, was wiederum zum Sturz Calistos von der Leiter und zum Selbstmord seiner Geliebten führt. In vier von fünf Fällen kommen die Protagonisten durch Stürze ums Leben, was durchaus bildlich verstanden werden soll: am Höhepunkt ihres Glücks fallen sie.

[...]


[1] Eberhard Leube: Die Celestina. München: Fink, 1971. S. 52.

[2] Alan Deyermond: The Petrarchan Sources of „La Celestina“. London: Oxford University Press, 1961. S. 115.

[3] Leube: Celestina. S. 47.

[4] Fernando de Rojas: La Celestina, Hrsg. von Pedro M. Pinero. Madrid: Espasa, 2003. S. 123.

[5] Rojas: Celestina. S. 229.

[6] Rojas: Celestina. S. 299.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Weltbild der Celestina und die Figur der Melibea
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,5
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V89210
ISBN (eBook)
9783638028738
ISBN (Buch)
9783638927321
Dateigröße
433 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Weltbild, Celestina, Figur, Melibea
Arbeit zitieren
Magister Artium Florian Jetzlsperger (Autor:in), 2004, Das Weltbild der Celestina und die Figur der Melibea, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89210

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