Selbst im postmodernen und aufgeklärten 21. Jahrhundert gilt Orlando Furioso als ein Klassiker italienischer Literatur. Eine tradierte Kanonzugehörigkeit ist dafür nicht mehr ausreichendes Kriterium. Offenbar hat sich der Text bis in die Gegenwart vor dem Leser bewährt. Daraus entsteht die Neugierde nach den besonderen Momenten des Textes zu suchen, die den Leser damals wie heute zu begeistern vermögen. Dies macht einen Vergleich von Vergangenem und Gegenwärtigem notwendig. Um Zeiträume vergleichen zu können, hat die Wissenschaft das Verfahren epochaler Strukturierungen entwickelt, welches auch hier zur Anwendung kommt. Methodisch ist es ein nachordnendes Verfahren. Demnach sind Versuche Gegenwärtiges epochalisieren zu wollen von unabgeschlossenem Charakter und erscheinen spekulativ. Eindeutiger wirken Beschreibungen der Vergangenheit.
So ist es das Ziel dieser Arbeit Besonderheiten des OF im sozio-kulturellen Zusammenhang seiner Entstehungszeit herauszustellen und zu beschreiben. Da die Zeit um 1500 eine Zeit des Wandels und grundlegender Veränderungen ist, ist diese Zeit in sich bereits markant (II.1). Es ist deshalb sinnvoll zu zeigen, in welcher besonderen Weise im OF sich dieser Drang zur Veränderung äussert. Es wird im Text nach Neu-Schreibungen bestehender Kontexte gesucht. Die Diskussion um epochale Strukturierungen (II.2) führt zur Entwicklung vorbildlicher Parameter, um diese Prozesse adäquat abzubilden.
In der Literaturgeschichte Volker Kapps ist zu lesen, dass Ariost mit den Erzähltechniken mittelalterlicher Literatur spielt . Ist dies zutreffend, so ist es wahrscheinlich, dass mittelalterliche Liebesdarstellungen nicht mehr eindeutig auf dahinter stehende Liebeskonzeptionen verweisen, weil der verbindliche Bezugsrahmen fehlt. Eine Bestätigung der hier negativ formulierten These Rüdiger Schnells bedeutete, dass Liebesdarstellungen im OF nicht verlässlich auf einzelne Liebeskonzeptualisierungen rückführbar seien. Somit obläge es dem Leser wie er einzelne Darstellungen deutet und versteht .
Arbeitshypothese ist, dass der eben angenommene Lösungsprozess zwischen Darstellung, Konzeption und Ordnungsrahmen im OF vollzogen und dem Leser die Verantwortung für das Verstehen des Textes zugeführt wird. Um dies zu prüfen wird folgendermaßen verfahren:
Die Analyse der Figurenkonstellationen und –konzeptionen behandelt den Verlust eines eindeutigen Bedeutungsrahmen für die Liebesdarstellungen und –konzeptionen (III.1) im OF. Dafür sind mögliche Differenzen zwischen veränderten diskursbildenden Merkmalen des Textes und gattungsspezifischen Erwartungen der höfischen Epik herauszustellen. In III.2 wird gezeigt, ob und in welcher Weise es dem Leser verbleibt Bedeutungszuweisungen selbst zu erschaffen. In welcher Weise dabei gattungsspezifische Diskurse berührt und/oder gewandelt werden ist festzuhalten. Davon ausgehend können epochenspezifische Aussagen getroffen werden, die sich mit epochalem Wandel bzw. Epochenschwellen im OF auseinandersetzen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- II ORLANDO FURIOSO ZWISCHEN MITTELALTER UND NEUZEIT
- II. 1 Zum Begriff der Renaissance
- II.2 Grenzen und Möglichkeiten epochaler Strukturierungen – Von Epochen zu Epochenschwellen.
- II.2.1 Epochen
- II.2.2 Epochenschwellen.
- III LIEBE UND WAHNSINN – ZUM WANDEL HÖFISCH-RITTERLICHER STRUKTUREN IM OF
- III.1 Liebeskonzeptionen im Orlando Furioso.
- III.1.1 Angelica
- III.1.2 Angelica und Sacripante
- III.1.3 Angelica und Orlando
- III.1.4 Orlando
- III.2 Wahnsinn und Heilung Orlandos
- III.2.1 Entwicklung Orlandos zum Wahnsinn.
- III.2.2 Kennzeichen des Wahnsinn Orlandos
- III.2.3 Kennzeichen der Heilung Orlandos...
- III.3 Zusammenfassung......
- III.1 Liebeskonzeptionen im Orlando Furioso.
- IV INTERPRETATION – KÖRPERLICHKEIT, GEDÄCHNIS UND EMANZIPATION
- V FAZIT - DIALOGISZITÄT ALS MERKMAL EPOCHALER ZUORDNUNG ..
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den Orlando Furioso im Kontext epochaler Strukturierungen und analysiert den Wandel ritterlich-höfischer Paradigmen im Text. Der Fokus liegt insbesondere auf der Darstellung von Liebe und Wahnsinn und deren Einfluss auf die Figuren und den Erzählverlauf.
- Das Verhältnis von Mittelalter und Neuzeit im Orlando Furioso
- Die Entwicklung des Begriffs der Renaissance und seine Bedeutung für die Interpretation des Textes
- Die Darstellung von Liebe im Orlando Furioso und die Frage nach der Gültigkeit mittelalterlicher Liebeskonzeptionen
- Die Rolle von Wahnsinn und Heilung in der Entwicklung Orlandos
- Der Einfluss epochaler Veränderungen auf die Strukturen und Diskurse des Textes
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und beleuchtet die besondere Relevanz des Orlando Furioso bis in die heutige Zeit. Es wird die Notwendigkeit epochaler Strukturierungen für die Analyse des Textes herausgestellt und die Zielsetzung der Arbeit definiert.
Der zweite Kapitelteil befasst sich mit der Epoche der Renaissance und untersucht den Wandel des Begriffs. Im Fokus stehen die Entwicklung von Renaissance als Übergangsphase zwischen Mittelalter und Neuzeit hin zu einer eigenständigen Epoche sowie die Bedeutung der Licht-Metaphorik für die Zeit des Übergangs. Die Arbeit beleuchtet die verschiedenen Perspektiven auf die Renaissance und ihre Auswirkungen auf die Sichtweise des Mittelalters.
Der dritte Kapitelteil untersucht die Darstellung von Liebe und Wahnsinn im Orlando Furioso. Es werden verschiedene Liebeskonzeptionen im Text beleuchtet, insbesondere im Zusammenhang mit der Figur der Angelica. Die Arbeit analysiert die Entwicklung Orlandos zum Wahnsinn und seine Heilung, wobei die Veränderungen in seiner Persönlichkeit und seinen Beziehungen im Fokus stehen.
Der vierte Kapitelteil widmet sich der Interpretation des Textes und untersucht die Bedeutung von Körperlichkeit, Gedächtnis und Emanzipation im Kontext der Figuren und Handlungsstränge.
Schlüsselwörter
Orlando Furioso, Renaissance, Mittelalter, Neuzeit, Liebeskonzeptionen, Wahnsinn, Heilung, Epochenwandel, Höfische Epik, Textanalyse, Literaturgeschichte, Kulturgeschichte
- Quote paper
- Joern Bilkenroth (Author), 2006, Liebe und Wahnsinn – Über den Wandel ritterlich-höfischer ’Paradigmen’ im Kontext epochaler Strukturierungen in "Orlando Furioso", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89343